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Eigentlich hieß er Jake McCannon, aber unter den Pelztierjägern und Fallenstellern des Yellowstone-Landes kannte man ihn nur unter dem Kriegsnamen Yellowstone-Tip. Denn wie der Silvertip, der gefürchtete Graubär der Bergwildnis, besaß Jake einen silberfarbenen Fleck in seinem dunklen Haarschopf. Und was seine Furchtlosigkeit und seine Kämpfernatur betraf, glaubten viele, dass ein Grizzly nicht gefährlicher sein konnte als er.
Doch das ahnten die drei Schurken nicht, die eines Tages in der Wica-Kanaska-Bucht auftauchten und glaubten, Jake ungestraft die Frau wegnehmen zu können...
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Yellowstone-Tip
Vorschau
Impressum
Yellowstone-Tip
Eigentlich hieß er Jake McCannon, aber man kannte ihn nur unter seinem Kriegsnamen Yellowstone-Tip. Dies sagte den Eingeweihten, dass er ein Mann wie ein Silvertip war; so hießen im Yellowstone-Land die Grizzlybären, weil sie einen silberfarbenen Fleck auf der Brust hatten. Jake McCannon hatte solch ein Flecken in seinem dunklen Haar. Und für seine Feinde war er gefährlich wie ein Silvertip.
Als er die rote Wica-Kanaska-Bucht erreicht – rot, weil die Beerensträucher voll von roten Beeren hängen –, da erblickt er das Dampfboot des Händlers Ree Raven. Es hat mit dem Flachboot, auf dem sich der Store befindet, am Ufer festgemacht. Und weil dies hier im Yellowstone-Land um diese Jahreszeit ein längst üblicher Treffpunkt ist, fanden sich auch diesmal wieder eine Menge Menschen ein, um Waren einzukaufen oder Tauschgeschäfte zu machen.
Einige Indianersippen haben sogar ihre Tipis aufgestellt, weil sie länger zu bleiben und geduldig zu handeln gedenken.
Es kamen Geächtete, Deserteure der Armee, Gebirgsläufer und Goldsucher, die sich neu ausrüsten wollen.
Aus allen verborgenen Winkeln des Landes kamen sie zum Vorschein, um sich mit allem zu versorgen, was sie für die Monate in ihrer Einsamkeit benötigen.
Einige dieser Trapper und Goldsucher haben ihre Frauen dabei, zumeist Indianerinnen.
Es ist das übliche Bild.
Jake McCannon betrachtet es, indes sein Kanu langsam aus der Strömung in die Bucht gleitet.
Und wie immer wundert er sich über das friedliche Beieinander.
Aber es war schon immer so. Hier in der Wica-Kanaska-Bucht ruhten alle Feindschaften. Hier war schon immer neutraler Boden, und alle hielten sich an die geforderte Friedenspflicht. Denn jeder weiß, dass der Händler Ree Raven Unruhestiftern nichts mehr verkaufen und mit solchen Burschen auch keine Tauschgeschäfte mehr machen würde.
Als Jake McCannon sein Kanu halb auf das sandige Ufer zieht, sieht er die Frau zuerst nur aus den Augenwinkeln. Sie hatte sich ihm genähert. Doch nun hält sie inne, denn eine heisere Stimme ruft scharf: »Lauf nur nicht weg, Süße!«
Jake McCannon wendet sich ihr zu und sieht in ihre dunkelblauen Augen. Dann blickt er an ihr vorbei auf die drei Männer, die auf einer Decke hocken und bei einer Pokerpartie sind. Einer von ihnen, ein rotbärtiger Bursche in schmieriger und befranster Lederkleidung, langhaarig, mit Ohrringen und Federn am Hut, rief die scharfen Worte mit heiserer Stimme.
Jake McCannon richtet seinen Blick wieder auf die Frau.
Nein, sie passt ganz und gar nicht zu diesen Kerlen. Er kennt diese Typen gut genug. Es sind heruntergekommene Weiße. Und die Frau gehört gewiss nicht zu der Sorte, die mit solchen Kerlen lebt.
Auf eine etwas herbe und rassige Weise ist sie mehr als hübsch.
Und sie verharrt, sagt nichts, sieht Jake McCannon nur an.
In ihren Augen erkennt er die Bitte um Hilfe.
Nein, es gibt keinen Zweifel. Er weiß sofort Bescheid.
Doch er nickt ihr nur zu und geht dann an ihr vorbei zu der Landeplanke, die auf das Flachboot hinüberführt, auf dem sich in einer Baracke der Store befindet.
Ree Raven, der Händler, empfängt ihn vor der Tür mit den Worten: »Hey, McCannon! Wie war die Jagd? Ich sehe, dass Ihr Kanu gut gefüllt ist. Und wenn wir ins Geschäft kommen, sparen Sie sich die Fahrt den Strom hinunter bis nach Fort Buford.«
Jake McCannon grinst.
»Aber ich bekomme in Ford Buford bessere Preise«, spricht er. »Und es gibt in Fort Buford an der Missouri-Mündung auch ein wenig Spaß. Das alles können Sie mir nicht bieten, Raven. Ich will nur ein wenig Tabak – nur einen Beutel Tabak und vielleicht eine Handvoll guter Zigarren. Wer ist die Frau da unten? Und wer sind die drei Kerle, mit denen sie zusammen ist?«
Seine beiden Fragen kommen ganz beiläufig.
Doch Ree Raven erschrickt tief in seinem Kern. Man sieht es ihm an.
Dann murmelt er: »Oooh, das sind Red Skalp Jennison und dessen zwei Partner. Noch nie gehört von denen?«
»Doch«, erwidert Jake McCannon »Und nur Böses. Die würden von der Armee sofort an den Hälsen aufgehängt werden. Und wie kommen die zu dieser Frau?«
»Was weiß ich«, seufzt der Händler. »Ich habe sie nicht gefragt Ich will nichts anderes als friedlichen Handel treiben und muss mit allen auskommen – mit den Guten und den Bösen ich stelle auch keine Fragen. Vielleicht haben sie die Frau irgendwo geraubt. Jedenfalls pokern sie jetzt um sie Das habe ich mitbekommen. Sie pokern um das Erstrecht bei dieser schönen Frau. Aber ich werde mich da nicht einmischen, und Sie sollten das auch nicht, Jake!«
Dieser blickt über die Schulter zu den drei Kerlen hinüber, die mit ihren Karten auf einer schmutzigen Decke hocken, und dann über das gefährliche Kleeblatt hinweg auf die Frau.
Sie lehnt nun an einem Baum und sieht zu ihm herüber – wieder stumm und bewegungslos. Und dennoch spürt er ihren lautlosen Hilferuf. Abermals gibt es keinen Zweifel in ihm.
Verdammt, denkt er, was geht sie mich an! Ich bin kein edler Prinz, der eine schöne Prinzessin aus den Klauen böser Mächte befreien will. In diesem Lande geht man am besten jedem Verdruss aus dem Weg! Was geht sie mich an!
Er geht in den schwimmenden Store hinein. Der Händler folgt ihm mit den Worten: »Vielleicht kann ich mir Ihre Pelze mal ansehen, Jake, und vielleicht mache ich Ihnen dann einen wirklich erstklassigen Preis. Und den Tabak und eine ganze Kiste Zigarren bekämen Sie ganz umsonst.«
»Nein.« Jake McCannon grinst. »Ich will nach Fort Buford und mich dort drei Tage und drei Nächte bei Dolly Bostons Engeln amüsieren.«
Er nimmt sich den Beutel Tabak und eine Handvoll Zigarren aus dem Regal und aus der Kiste, holt einige Münzen aus der Tasche und wirft sie auf den Tisch. Ree Raven gibt ihm schweigend das Wechselgeld heraus.
Aber dann sagt er böse: »Hoffentlich holen Sie sich bei Dolly Bostons Mädchen nicht diese verdammte Lustseuche. Die greift jetzt immer mehr um sich, weil sich immer mehr Drecksvolk in dieses Land zu retten versucht. Die Goldfunde locken sie alle an.«
Jake McCannon erwidert nichts. Er geht wieder hinaus und verharrt dann auf der Laufplanke. Über die Entfernung von knapp zwanzig Yard hinweg trifft ihn wieder der stumme Hilferuf der Frau.
Von der Figur kann er nicht viel sehen, denn sie trägt eine Art Poncho, wie die Mexikaner im Süden ihn bevorzugen. Aber er ist sicher, dass er von ihrer Figur begeistert wäre, könnte er sie ohne diesen Poncho betrachten. Ihre Haare sind unter einem Männerhut verborgen, aber er glaubt, dass sie dunkel sind. Sie hat die blauesten Augen, die er jemals sah. Auf ihrer etwas eigenwilligen Nase sind Sommersprossen. Er sah sie deutlich, als er an ihr vorbeiging.
Ja, sie gefällt ihm Sie strömt etwas aus, was ihm unter die Haut geht.
Verdammt, was für ein Weib, denkt er. Wie kommt sie in dieses Land? Und wie geriet sie in die Gewalt dieser Kerle?
Nein, er wundert sich nicht, dass sie hier von keinem der anderen Menschen Hilfe erhielt. Es gibt hier kein Gesetz. Hier nimmt sich jeder, was er haben will, und erkennt nur das Recht des Stärkeren an. Hier herrschen noch die primitivsten Regeln der Menschheit.
An diese drei Kerle wagt sich keiner heran.
Indes er so verharrt und die Frau dort drüben am Baum betrachtet, steckt er sich eine der Zigarren an. Dabei spürt er, wie sich etwas in ihm verändert.
Er war schon immer ein stolzer Mann, und obwohl er niemals Streit suchte, trug er schon viele Kämpfe aus. Denn für eine bestimmte Sorte von Burschen war seine ganze Erscheinung stets eine Herausforderung. Sie wollten bei ihm unbedingt etwas herausfinden.
Er beginnt in diesem Moment zu begreifen, dass er noch lange an diese Frau würde denken müssen, wenn er jetzt wieder in sein Kanu stiege und weiter den Yellowstone abwärts führe, als wäre nichts geschehen.
Sein Stolz würde in ihm immer wieder das Gefühl von Scham entstehen lassen. Er würde sich ständig fragen, ob er aus Furcht und Feigheit gekniffen hätte. Er würde sich im Spiegel nicht mehr in die Augen schauen können, wenn er das vor sich zugeben müsste.
O verdammt, denkt er und kann ein leises Seufzen nicht unterdrücken. Wäre ich doch nur weiter den Strom abwärts gefahren. Hätte ich doch nicht hier angelegt, um Tabak und Zigarren zu kaufen. O verdammt!
Und die ganze Zeit spürte er den Blick der Frau, ihren stummen Hilferuf.
Als er sich endlich in Bewegung setzt, die Laufplanke verlässt und das sandige Ufer betritt, da ist er entschlossen. Er kann nicht anders.
Ist er deshalb ein Narr?
Will er ein Held sein?
Er verspürt eine Hilflosigkeit gegenüber seinem Stolz. Denn diesem Stolz muss er gehorchen. Er kann sich nicht davonschleichen, denn er ist nun mal ein Mann wie sonst keiner unter zehntausend anderen Männern.
Das ist es.
Als er die drei Kerle erreicht, die da auf der schmutzigen Indianerdecke hocken, verhält er. Sie blicken schräg zu ihm hoch, und er stellt fest, dass sie die ausdruckslosen Augen von Wölfen haben, kalt, erbarmungslos und ohne jeden Ausdruck.
Und er fragt: »Um was geht es? Kann man mitspielen?«
Sie beginnen zu grinsen.
»O Backe«, krächzt einer, »da müsstest du aber einen hohen Einsatz bringen, um mithalten zu können. Wir spielen hier nicht um Hosenknöpfe. Wir spielen um die da.«
Und er deutet mit dem Daumen über seine Schulter hinweg nach hinten auf die am Baum lehnende Frau.
»Wir spielen um sie«, wiederholt er. »Noch gehört sie uns gemeinsam wie jede andere Beute. Aber wir wollen sie nicht teilen. Nur einer von uns soll sie besitzen. Und du gehörst nicht zu uns Also schleich dich, Bruder.«
Nun weiß er es also genau.
Sie ist eine Beute dieser Dreckskerle – etwa so wie ein Pferd oder ein Gegenstand. In dieser Welt hier wird so gedacht. Hier gibt es keine Zivilisation, nur allein das Recht der Gewalt.
Seine Vernunft sagt ihm, dass er jetzt aufgeben sollte.
Doch da macht er den Fehler und sieht noch einmal zu der Frau hinüber, deren Namen er noch nicht mal kennt. Und in ihrem Blick liest er die Frage: Wirst du mir beistehen? Wirst du mir helfen? Oder wirst du mich diesen Dreckskerlen überlassen?
Er würde diesen Blick nie wieder vergessen können, sollte er sich jetzt davonschleichen.
Und so entschließt er sich. Er sagt: »Ich habe in meinem Kanu für mehr als dreitausend Dollar Edelpelze – meine ganze Winterausbeute. Bin ich für diesen Einsatz mit im Spiel?«
Sie überlegen, und die Habgier glitzert in ihren Augen.
Dann murrt dieser Red Skalp Jennison: »Wir spielen schon eine Weile mit wechselndem Glück. Wir müssten noch mal von vorn anfangen.«
»Das wäre doch nicht schlimm.« Einer der beiden anderen Burschen grinst. »Dafür haben wir die Chance, seine Felle an Ree Raven verkaufen zu können. Und unsere Chance ist größer als seine, was die Süße betrifft. Oder?«
Nun grinsen sie wieder alle drei.
Red Skalp Jennison deutet auf die Decke.
»Dann hocke dich zu uns, Lederstrumpf«, sagt er. »Ich will dir unser Spiel genau erklären. Wir fangen noch mal neu an. Wir spielen nicht um Geld. Jeder von uns nimmt zehn Patronen. Damit macht er seine Einsätze. Wer alle Patronen gewonnen hat, dem gehört die Süße. Klar? Und wenn du deine Patronen verloren hast, dann gehört uns dein Kanu mit dem gesamten Inhalt. Verstanden?«
»Genau«, sagt Jake McCannon. Er holt zehn Gewehrpatronen aus seiner Jackentasche und lässt sie vor sich auf die Decke fallen. Dann nimmt er im Indianersitz Platz.
Nach der Frau sieht er sich nicht mehr um.
Ihren Blick kennt er schon.
Und indes einer der Kerle die Karten mischt, denkt Jake McCannon: Bin ich verrückt geworden? Was ist mit mir los? Hat sie mich verhext? Verdammt, ich habe noch nie mit solchen Dreckskerlen gepokert. Das sind doch die allerletzten Stinker. Wie bekamen sie nur diese Frau in ihre Gewalt?
Einen Moment ist er versucht, nach Hilfe Ausschau zu halten. Denn es sind ja mehr als vier Dutzend Menschen hier an der Bucht versammelt.
Aber die Indianerfamilien zählen nicht – auch nicht die Squaw- und Halbblutmänner – und noch weniger die Deserteure der Armee, diese Renegaten der menschlichen Gemeinschaft, von der sie gehasst und gejagt wurden.
Nein, denen ist diese Frau egal. Sie hocken und liegen überall herum und trinken Ree Ravens billigen Handelswhisky. Die meisten sind bereits betrunken, und manche trinken hier schon seit Tagen, selbst die Frauen, die sie bei sich haben.
Dies hier ist ein Sammel- und Handelsplatz der Verlorenen, Geächteten, Verfolgten. Von ihnen kann er keine Hilfe erwarten – nicht für eine Frau.
Ja, wenn es um Gold ginge, dann...
Er bekommt seine Karten. Und das Spiel beginnt. Drei Stunden später gewinnt er die letzte Patrone.
Gewiss er war stets ein guter Pokerspieler, ein Mann mit Instinkt, der sich selten bluffen lässt. Doch wahrscheinlich wurden die drei anderen Spieler immer schlechter, weil sie zu viel tranken.
Jedenfalls gewinnt er kurz vor Anbruch der Abenddämmerung Red Skalp Jennison die letzte Patrone ab. Mit seinen eigenen zehn liegen nun genau vierzig Patronen vor ihm auf der Decke.
Und so hat er die Frau gewonnen und sein Kanu mitsamt der Ladung behalten können. Was nun?
Er fragt es sich, indes er aufsteht, ohne auf die Patronen zu achten.
Denn das ist jetzt die große Frage.
Was nun?
Werden sie ihn mit der Frau ziehen lassen?
Er glaubt es nicht. Dass sie ihn mitspielen ließen, war für sie kein Risiko.
Aber er versucht es wenigstens. Und so nimmt er sich nicht die Zeit zum Patroneneinsammeln, sondern setzt sich in Bewegung.
Als er die Frau beim Baum erreicht, dreht er den Kopf und zischt: »Vorwärts! Ins Kanu!«
Er will, dass sie vor ihm hergeht und er sie somit deckt. Und sie gehorcht auch augenblicklich.
Doch dann holt Red Skalp Jennisons Stimme sie ein: »Sie bleibt! Hau ohne sie ab! Oder du fährst zur Hölle!«
Ja, dies ist die primitive Sprache gewalttätiger Burschen.
Jake McCannon ist allein gegen sie und darf ihnen keine Chance geben. Er wird sie wahrscheinlich gar nicht schaffen können, weil sie zu schnell und zu gefährlich sind. Dennoch hat er keine andere Wahl mehr. Denn er hat diese Sache nun mal angefangen und kann nicht mehr zurück.
Und so wirbelt er herum.
Sein Colt kracht in der Faust. Den ersten Schuss gibt er beim Herumwirbeln noch unter dem linken Arm hindurch ab. Und er trifft. Er trifft dreimal, indes er in ihre Mündungsfeuer sieht und von ihnen getroffen wird.
Dann fällt er und spürt noch, wie er am Boden aufschlägt.
Doch dann weiß er eine Weile nichts mehr.
Selbst die Schmerzen seiner Wunden spürt er nicht mehr.
✰
Irgendwann jedoch spürt er diese Schmerzen wieder, und dies wiederum lässt ihn begreifen, dass er noch lebt.
Oder spürt er bereits die Qualen der Hölle?
Er reißt die Augen auf, erschreckt von diesem Gedanken. Und da sieht er über sich am Himmel Mond und Sterne.
Also muss er sich noch auf der Erde befinden als lebender Mensch unter all den anderen Lebewesen.
Er wird sich nun bewusst, dass er in einem Kanu liegt, das von der Strömung flussabwärts getragen wird. Über seine Füße hinweg schräg nach oben blickend erkennt er die Frau im Mond und Sternenschein.
Ja, sie ist es. Und sie sitzt hinten am Heck des Kanus und steuert es, indem sie dann und wann, die Paddel einsetzt und es so mit dem Bug auf Kurs hält. Denn der Strom bildet manchmal Strudel, die das Kanu drehen wollen. Aber das lässt sie nicht zu. Jake McCannon geht es schlecht, dennoch stellt er fest, dass sie gut mit einem Kanu umgehen kann.
Er stößt einen heiseren Laut aus, räuspert sich, wobei seine Schmerzen stärker zu spüren sind, und fragt heiser: »Was ist passiert, Schwester?«
Sie lasst einen erleichtert klingenden Laut hören und sagt dann: »Oh, Bruder, wie schön, dass du aufgewacht bist. Ich freue mich sehr. Aber bleib ruhig liegen! Du hast viel Blut verloren. Ich tat, was ich konnte. Doch wenn du dich bewegst, werden die Wunden wieder zu bluten beginnen.«
Ihre Stimme klingt zuletzt sehr ruhig. Er weiß plötzlich, dass er sich auf diese Frau verlassen kann wie auf einen guten Gefährten. Aber seine Frage hat sie noch nicht beantwortet. Und so murmelt er: »Gut, gut, ich bewege mich nicht. Doch was ist passiert? Wie hast du mich in mein Kanu bekommen? Was ist mit diesen drei Hurensöhnen?«
Seine Stimme knirscht zuletzt voll Bitterkeit, denn er spürt nicht nur die Schmerzen seiner Wunden, sondern wird sich auch bewusst, dass er sich wegen dieser Frau in einen Kampf einließ, den er nicht gewinnen konnte.
Aber sie sagt schlicht.
»Du hast sie umgelegt, Bruder, Mann für Mann. Sie trafen dich nicht gut genug. Du warst zu schnell für sie. Und sie fühlten sich gewiss auch zu überlegen und glaubten nicht, dass du es mit ihnen aufnehmen würdest. Du hast sie umgelegt. Und ich wartete nicht lange, um herauszufinden, ob sie tot waren oder nicht oder ob sie Freunde hatten unter den anderen Kerlen. Ich wollte auch von keinem von ihnen als Beute übernommen werden. Der Händler und dessen Gehilfen halfen mir, dich in dein Kanu zu tragen. Ich warf mein eigenes Gepäck hinein – es war ja nicht viel – und stieß ab. Vor einer guten Stunde hielt ich in einer Bucht an und versorgte deine Wunden. Dann trieb ich das Kanu wieder in den Strom. Denn ich wollte weg, nichts wie weg.«
»Und das war gut so«, murmelt er, entspannt sich endlich wieder und schließt die Augen.
Er ist noch einmal davongekommen. Ja, er glaubt es. Seine Wunden werden heilen. Da der Yellowstone sie stetig mit seiner Strömung vorwärtsbringt, müssen sie nicht paddeln. Er kann sich ausruhen, seine Wunden verharschen lassen. Er hat diese Frau gerettet vor einigen Dreckskerlen. Nun sorgt sie für ihn.
Es wird alles gut werden.
Nach einer Weile des Entspannens und Ausruhens fragt er: »Wie heißt du, Schwester? Wie ist dein Name? Ich wette, du hast einen verdammt schönen Namen. Sag ihn mir endlich, damit ich weiß, für wen ich mich auf diesen Verdruss einließ.«
Sie lacht ein wenig freudlos und herb.
Dann antwortet sie: »Mae, Mae Bullock ist mein Name. So schön ist er also nicht – oder? Und mein Mädchenname war Kilbourne, auch nicht gerade eine Offenbarung, nicht wahr?«
Er muss wieder nachdenken, und es wird ihm klar, dass sie eine verheiratete Frau ist, die Bullock heißt und eine geborene Kilbourne ist.
»Dein Mann?«, fragt er.
»Er war einer von deiner Sorte«, erwidert sie »Und ich weiß auch, wie du heißt! Jake McCannon Sie nennen dich hier in diesem Lande auch Yellowstone-Tip. Der Händler sagte mir das, als wir dich ins Kanu legten. Ein merkwürdiger Name ist das. Yellowstone-Tip.«
Er möchte ein leises Lachen wagen, doch er lässt es, weil er sicher ist, dass dann seine Wunden gleich noch böser schmerzen würden. Und so sagt er nur durch das Rauschen und Plätschern des Flusses, dessen Wellen immer wieder gegen das Kanu schlagen: »Aaah, es ist ein ziemlich verrückter Name. Ich wurde in diesem Lande geboren Mein Vater war ein Handelsagent. Sie nannten mich zuerst Yellowstone-Jake, weil ich das Land so gut kenne und mal einige Landvermesser der Regierung, die nach Zebulon Pikes kamen, durch das Land führte Und dann musste ich mal mit einem Messer gegen einen Grizzly kämpfen. Er riss mir dabei mit einer Tatzenkralle den Kopf auf. Dort wachsen jetzt nur noch weiße Haare in der Umgebung der Narbe. Ich habe einen weißen Fleck in meinem Haarschopf, so wie ein Grizzly auf der Brust Nun nennen sie mich Yellowstone-Tip. – In diesem Land bekommt man manchmal die verrücktesten Namen.«
Er sieht sie nicken im Mond- und Sternenschein.
Dann hört er sie fast flüsternd sagen: »Einen Grizzly nur mit einem Messer... Oh, das sieht dir ähnlich.«
Er erwidert nichts mehr, sondern schläft ein.
Die Müdigkeit kam plötzlich wie eine Betäubung.
Aber in seinem Unterbewusstsein weiß er jetzt, dass alles in Ordnung ist.
Er glaubt es jedenfalls.
Aber er weiß ja nichts von Mae Bullock.
✰
Als er erwacht, hat er Fieber. Das war zu erwarten. Es geht ihm nun schlechter als bei seinem ersten Erwachen. Da war sein Kopf klarer als jetzt.
Dennoch begreift er, dass sie nun nicht mehr von der Strömung flussabwärts getragen werden, sondern mit dem Kanu zwischen den dicht über dem Wasser hängenden Ästen und Zweigen eines mächtigen Baumes festgemacht haben.
Es wurde Tag. Die Sonne wärmt gewiss schon kräftig. Doch hier im Schatten des Baumes ist es angenehm.
Als er den Kopf hebt und nach Mae sieht, da stellt er fest, dass sie zusammengekauert im Heck des Kanus hockt und eingeschlafen ist. Das ist kein Wunder, denn sie hatte gewiss mehr zu bewältigen, als eine Frau normalerweise ertragen kann, ohne zu zerbrechen.
Er möchte sie nicht wecken, denn er weiß, dass sie noch ihre ganze Kraft benötigen wird, um sie beide sicher nach Fort Buford zu bringen. Es gelingt ihm jedoch, sich langsam auf die Seite zu drehen und mit der hohlen Hand etwas Wasser aus dem Fluss zu schöpfen. So erfrischt er sich ein wenig, kühlt seine Stirn und fällt dann wieder in einen Fieberschlaf, der ihm wilde Bilder vorgaukelt.
Und weil er dabei vielleicht sogar laut wurde, erwacht er davon, dass Mae neben ihm liegt und ihm den Mund zuhält. Er hört sie scharf flüstern: »Sei still, Jake! Sie dürfen uns nicht hören! Sei still!«
Sie sieht nun, dass er wach ist. Aus nächster Nähe sehen sie sich an. Sie nimmt ihre Hand von seinem Mund.
»Indianer«, flüstert sie. »Redhorn und ein Dutzend Cheyenne sind auf dieser Seite. Die anderen sind drüben. Sie suchen mich. Sei still.«
Er nickt wortlos.
Und als er zum Ufer blickt, da begreift er trotz seines Fiebers, dass sie den Liegeplatz des Kanus verändert hat. Das Kanu liegt zwar immer noch unter dem dichten Geäst und Gezweig, doch sie brachte es näher an das leicht überhängende Ufer heran. Wollte man es von oben entdecken, müsste man sich weit über den Uferrand beugen. Doch so nahe kann man an das Ufer gar nicht herankommen, weil ja die Äste und Zweige des Baumes auch nach der Landseite zu einem Hindernis sind.
Er hört nun auch die Stimmen der Indianer, das Schnauben ihrer Pferde und das Rascheln der unbeschlagenen Hufe im hohen Gras.
Er versteht ihre Sprache wie seine eigene. Denn mit Cheyenne, Sioux und Arapahoes wuchs er auf. Selbst die Nez Percès kennt er gut. Mit all diesen Völkern und Stämmen betrieb sein Vater Handel.
Er hört eine tiefe Stimme sagen: »Wir müssen sie finden. Sieh nach, Gelbvogel. Da im Gezweig des Riesenbaums können sie stecken. Sieh nach.«