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Von Stellas Mördern wusste ich nur eins: Sie waren nach Norden geritten; irgendein großer Boss mit Namen Jonnyson hatte sie als Leibgarde angeworben. Ich musste also Jonnyson finden, wollte ich die Kerle fassen. Doch wie?
Nun, ich schrieb an alle Sheriffs der County-Städte im Norden und erkundigte mich nach ihm. Jedem Brief legte ich einen halben Zehn-Dollar-Schein bei und versprach, nach Erhalt der Antwort die andere Hälfte zu schicken. Natürlich enthielt keiner der Antwortbriefe einen Hinweis auf den Gesuchten; ich hatte auch nicht damit gerechnet. Aber wenn ich mit meinem Plan richtig lag, würde Jonnyson von mir erfahren und seine Bluthunde nach mir ausschicken. Und wahrhaftig, ich brauchte nicht lange auf sie zu warten...
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Seitenzahl: 178
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Revolverspur
Vorschau
Impressum
Revolverspur
Es war drüben in Sonora – in einem Ort, der Santa Cruz hieß, wie so viele Orte hier im Süden –, als ich Stella fand.
Stella war mal meine Braut gewesen, damals, als ich noch Deputy in Rosalia war. Richtig verlobt waren wir gewesen.
Aber dann passierte eine Menge.
Und jetzt fand ich sie in einem Bordell. Meine Stella war eine der Huren in einem Freudenhaus! Sie gehörte zu dem Dutzend Mädchen, die hier die Männer erfreuten.
Ich hatte lange nach Stella gesucht. Obwohl die Bande, von der sie damals entführt worden war, eine sehr deutliche Fährte hinterlassen hatte, eine Revolverspur. Am Anfang jedenfalls.
Das Haus hier, das wie ein Saloon geführt wurde, im mexikanischen Stil natürlich, war stets voller Gäste. Denn es gab in der näheren Umgebung einige Minen. Und der wichtige Wagenweg führte durch den Ort.
Ich musste lange warten, bis ich an der Reihe war, um mit Stella auf ihr Zimmer gehen zu können. Und vorher musste ich bei der Patrona einige Silberpesos hinlegen.
Stella hatte mich längst schon erkannt.
Aber sie tat so, als sähe sie mich zum ersten Mal.
Ich spielte einen liebeshungrigen Gringo, und engumschlungen gingen wir die Treppe hinauf, so als könnte ich es kaum erwarten, käufliche Liebe zu bekommen.
Doch oben in ihrem kleinen Zimmer, da befreite sie sich schnell von mir.
Und sie flüsterte herb: »Du hättest nicht kommen sollen, Jeff – nein, das hättest du nicht tun sollen. Hau ab und vergiss mich! Los, hau schnell wieder ab! Denn was einmal war, kann nicht wieder sein!«
Ihre Stimme klang kalt und unpersönlich – aber in ihren Augen und in ihrem zuckenden Gesicht erkannte ich, wie es wirklich in ihr aussah.
Oh, sie tat mir so leid. Und ich war gekommen, um ihr zu helfen.
Lange hatte ich gebraucht, sehr lange. Seit damals, als die Banditen sie entführten, sie als nach dem Bankraub Geisel mitnahmen, damit ihnen das Aufgebot nicht folgen sollte – seit damals waren acht Monate vergangen.
Acht Monate, und sie waren für Stella gewiss die Hölle gewesen.
Das sah ich ihr an.
»Wir werden zusammen abhauen«, sagte ich. »Was glaubst du denn, warum ich gekommen bin?«
Sie sah mich seltsam an, schüttelte dann den Kopf.
»Es ist zu spät«, sagte sie schließlich, »viel zu spät. Jeff, ich kann nicht mehr deine Frau werden, so wie ich es dir einst versprach – nein, das geht nicht mehr. Diese Bande, mit der ich damals reiten musste, war übel. Sie taten mir unterwegs schon Schlimmes an. Und dann verkauften sie mich für tausend Silberpesos hier an die Patrona. Doch die habe ich längst der Patrona verdient. Verstehst du? Die habe ich längst verdient. Also hau endlich ab! Es ist aus und vorbei! Such dir ein sauberes Mädchen. Ein sauberes, verstehst du? Denn ich bin nicht mehr sauber. Nur um eines möchte ich dich bitten. Wenn dir die Kerle mal über den Weg laufen sollten, dann töte sie. Ja, töte sie, damit sie anderen Mädchen nicht das antun können, was sie mir angetan haben. Töte sie.«
Ich war bis tief in meinen Kern erschrocken.
Was mochte Stella alles durchgemacht haben!
Und wie groß war ihr Hass!
Sie fühlte sich als Verlorene, und wahrscheinlich war der Hass jetzt das einzige Gefühl in ihr. Sonst war sie stumpf und gefühllos geworden.
Ich musste etwas sagen, doch die Worte fielen mir schwer.
Und so murmelte ich: »Sicher, ich würde diese Kerle töten, Mann für Mann. Aber ich kenne sie ja nicht. Niemand kannte sie. Sie kamen durch Rosalia, raubten die Bank aus und nahmen dich mit. Und nie wieder hat man etwas von ihnen gehört. Nur ihre Revolverspur war die erste Zeit deutlich. Aber niemand kannte sie. Wie kann ich sie finden?«
Stella sah mich einige Atemzüge lang schweigend an.
Dann wandte sie sich ihrem Bett zu. Es war ein nobles Bett aus Messing mit großen Kugeln an den Pfosten.
Sie hob eine Ecke der Matratze hoch und holte etwas hervor, was in ein Nachthemd eingewickelt war. Sie wickelte es aus, und es war ein kleines Buch, wie man es für Notizen benutzt. Es war ein in Leder gebundenes Buch, dies sah ich bald genau, denn sie warf es mir zu.
»Da steht alles drin«, sagte sie. »Denn die Kerle machten einen Fehler. Ich war viele Tage und Nächte bei ihnen, indes wir nach Süden über die Grenze ritten. Ich hörte zu, wenn sie miteinander redeten. Ich belauschte sie sogar, wenn sie glaubten, dass ich schliefe. Ich merkte mir ihre Namen. Und ich hörte ihre Pläne. Jeder von ihnen hatte Pläne. Sie hätten mich töten sollen. Aber tausend Silberpesos, die sie untereinander teilten, waren ihnen lieber. Obwohl sie bei uns in Rosalia reiche Beute machten, wollten sie auch noch diesen Verdienst. Aber es war ein Fehler von ihnen. Es steht alles in diesem Buch. Jetzt kannst du sie suchen und sie töten. Und mich vergiss. Geh!«
Sie deutete zur Tür.
Ich aber wollte mich ihr nähern.
Aber sie wich zurück.
»Wenn ich schreie«, flüsterte sie, »dann kommen die Rauswerfer.«
»Die würde ich durch das Fenster schmeißen«, knurrte ich. »Und wenn es nicht anders geht, dann mache ich hier alles klein.«
Sie wusste, dass ich nicht bluffte.
Sie wusste auch, dass die Kerle damals mit der Beute und ihr niemals entkommen wären, wenn ich in Rosalia gewesen wäre. Doch ich war unterwegs, um drei ausgebrochene Apachen einzufangen und ins Reservat zurückzubringen, bevor sie Schlimmes anfangen konnten.
Ich war erst Tage später nach Rosalia zurückgekommen.
»Schrei doch«, sagte ich. »Dann...«
»Na gut«, unterbrach sie mich. »Was willst du also?«
»Ich bin in einer Stunde dort unter deinem Fenster«, sagte ich. »Und ich werde auch für dich ein Sattelpferd haben, dazu ein Bündel mit praktischer Kleidung. Und du wirst von hier oben in meine Arme springen. Dann werden wir fortreiten. So einfach wird das sein. Und wehe irgendwelchen Narren, die uns aufhalten wollen. Hast du verstanden?«
»Und warum willst du mich hier wegholen?«
Ich staunte sie an.
»Verdammt«, sagte ich, »wir sind verlobt. Ich will dich immer noch heiraten. Was dir geschah, wirst du vergessen wie böse Träume. Ich will dich immer noch haben. Was ist geschehen? Du bist beschmutzt worden, mehr nicht. Sieh es so und nicht anders. Aber Schmutz kann man abwaschen. In einer Stunde also.«
Ich steckte das kleine Buch weg und zögerte noch.
Denn ich hätte sie gerne in die Arme genommen.
Sie war immer noch so schön wie vorher.
Nur das flitterhafte Kleid gefiel mir nicht.
Aber sonst... Oha, ich konnte verstehen, dass die dicke Patrona dort unten gerne tausend Silberpesos für sie zahlte.
Und dann hatte man sie hier wie eine Sklavin gehalten.
Eine Flucht war unmöglich. Gewiss hatte sie ein Papier unterschreiben müssen, auf dem stand, dass sie Schulden abarbeiten musste.
Sie sah mich seltsam an. Ihre Lippen zuckten und vibrierten. Sie war dicht vor dem Weinen. Sie biss ihre Unterlippe fest. Ich spürte, dass ich sie jetzt besser nicht versuchen sollte, sie in die Arme zu nehmen.
Zu viel hatte sie durch mich wieder eingeholt.
Ihre ganze Vergangenheit, Jugend und Kindheit in Rosalia waren wieder in ihrer Erinnerung.
»In einer Stunde springst du aus diesem Fenster in meine Arme«, sagte ich noch mal und ging.
Unten hinter dem kleinen Pult am Fuße der Treppe thronte die Patrona.
Sie staunte: »Nanu, Señor, sooo schnell...«
»Si, si«, sagte ich nur und ging hinaus.
Draußen war es Nacht.
Und ich musste noch ein Pferd besorgen, dazu einige Kleidung. Am besten war wohl, wenn ich ihr Burschensachen kaufte. Denn es würde ein langer und rauer Ritt werden bis hinüber nach Arizona.
Übrigens, Leute, die ihr meine Geschichte lest, mein Name ist Lane, Jeffrey Lane. Ich war das, was man einen harten Burschen nannte.
Damals, als die Bande bei uns in Rosalia die Bank überfallen, ausgeraubt und Stella entführt hatte, da stellte sich ihnen unser alter Sheriff in den Weg. Sie schossen ihn tot. Und so wäre ich sein Nachfolger geworden. Das war schon lange so geplant. Denn im nächsten Jahr hatte er sich zur Ruhe setzen wollen. Ich wäre also Sheriff geworden in einer aufstrebenden Stadt. Und bald schon hätte ich ein halbes Dutzend Deputies unter mir gehabt. Denn unsere Stadt sollte County-Sitz werden, ich hätte Stella heiraten können.
Aber es kam ja alles anders.
Ich gab meinen Job auf, um nach Stella zu suchen.
Jack Keene, der zweite Deputy, der nur halb so gut war wie ich, bekam den Job als Sheriff.
So war das also, Leute.
Aber das alles zählte nicht mehr für mich. Denn ich hatte Stella gefunden. Irgendwann würde alles wieder gut werden. Nur das zählte. Und so machte ich mich also auf den Weg, um ein zweites Sattelpferd zu kaufen und für Stella die Reitkleidung eines halbwüchsigen Burschen zu erstehen.
Denn Stella war für eine Frau nur knapp mittelgroß und wog gewiss nicht viel mehr als hundertzehn Pfund.
Das Buch, das sie mir zugeworfen hatte, steckte in meiner Tasche.
Vorerst hatte ich es vergessen.
✰
Es war dann schon fast Mitternacht, als ich mit den beiden Pferden zu jenem Haus ritt, über dessen Haupteingang eine rote Laterne hing.
Ich wusste, ich musste dann in die Gasse einbiegen, um unter Stellas Fenster gelangen zu können. Die Gasse führte auch zum Hof und zur Hintertür des Etablissements.
Vor dem Haupteingang standen einige Sattelpferde und Wagen.
Drinnen spielte die Kapelle. Sie bestand aus einem Gitarrenspieler, einem Trompeter und einem Geiger.
Und eine Frauenstimme sang.
Ich ritt um die abgestellten Wagen und angebundenen Pferde herum und wollte in die Gassenmündung hinein.
Aber da tauchte ein Mann vor mir auf, ein riesiger Bursche, der ein Bündel über der Schulter trug wie einen schlaffen Sack.
Wir versperrten uns einen Moment lang gegenseitig den Weg. Denn er wollte aus der Gasse, ich jedoch hinein.
Indes wir einige Sekunden verhielten, da erkannte ich im schwachen Lichtschein der roten Laterne, der vom Haupteingang bis zur Gassenmündung reichte, dass aus dem Bündel, das der Bursche über der Schulter trug, zwei Beine herausragten. Ja, ich sah zwei Füße und zwei Waden.
Darüber war alles in eine Decke gewickelt.
Es waren Frauenfüße und Frauenbeine.
Ich wusste nicht, warum ich fragte, und ich tat es aus einem Impuls heraus, der vielleicht schon irgendwie eine Ahnung war.
Ich hörte mich fragen: »Amigo, wen tragen Sie denn da?« Ich sprach die spanische Sprache wie ein Mexikaner.
Und deshalb konnte ich auch die Antwort sofort gut verstehen. Denn der Mann sagte mit tiefem Bedauern in der Stimme: »Ay, Señor, wer wird das schon sein? Natürlich wieder solch ein armes Täubchen, das das Leben hier nicht länger mehr ertragen konnte, jede Hoffnung verloren hatte und auf dieser Erde nicht länger mehr leben wollte. Hoffentlich kommt dieses Täubchen in den Himmel und wird ein Engel. Ob ein Mädchen aus dem Haus da wohl im Himmel wieder zu einem Engel werden kann? Denn einst wurde es unschuldig in diese Welt geboren. Einst war es ein Engel – oder nicht?«
»Sicher«, murmelte ich. »Einst waren sie alle Engel. Darf ich sie mal sehen?«
Ich rutschte aus dem Sattel, ließ die Zügelenden fallen und ging um den Mann herum, bis ich hinter ihm war. Denn er trug ja die Tote über der Schulter.
Ich musste die Decke öffnen und dann den Kopf der Toten so weit drehen, dass der schwache Lichtschein in ihr Gesicht fiel.
Es war Stella.
Aber ich erschrak nicht mehr besonders. Denn irgendwie hatte ich es schon geahnt, gewittert, gefühlt. Ich sah meine bittere Ahnung nur bestätigt.
Langsam trat ich zurück.
Einen Moment lang war ich wie betäubt.
Es war Stella, meine Stella, die ich endlich gefunden hatte und mit der ich abhauen wollte zu einem neuen Anfang.
»Die ist schön, nicht wahr?«, fragte der Mann wie jemand, der seine eigene Meinung bestätigt haben wollte.
»Ja«, murmelte ich tonlos, »die ist schön. Sie war das schönste aller Mädchen in diesem Haus. Warum ist sie tot?«
»Aaah«, seufzte er, und die Last auf seiner Schulter schien ihm nichts auszumachen. »Die hat sich mit irgendeinem Pulver betäubt. Laudanum oder so ähnlich heißt das Zeug wohl bei euch dort drüben im Gringoland, wenn ich mich nicht irre. Sie hat sich also mit solch einem Mittel betäubt und dann die Pulsadern aufgeschnitten. Als man sie fand, war es schon zu spät. Kannten Sie das arme Ding?«
»Si«, nickte ich. »Sind Sie der Leichenbestatter, Señor?«
»Und der Totengräber«, erwiderte er. »Kurz nach Sonnenaufgang werde ich sie bestatten. Die Patrona dort drinnen hat ihr einen guten Sarg gekauft. Doch Trauernde werden nicht kommen. Die da drinnen schlafen am frühen Morgen noch.«
Er ging weiter.
Und ich stand da.
Stella hatte sich umgebracht.
Warum?
Diese Frage stellte ich mir fortwährend.
Und so langsam glaubte ich, es begreifen zu können.
Stella liebte mich immer noch. Aber sie wollte nicht mit mir reiten. Sie glaubte nicht, dass wir einen neuen Anfang finden könnten. Sie fühlte sich zu sehr beschmutzt und entehrt. Vielleicht glaubte sie, dass es besser wäre, mir sozusagen die Freiheit zu geben.
Und vielleicht wollte sie auch, dass ich die Kerle suchte und aufspürte, die ihr Leben zerstörten. Ihr Hass und der Wunsch nach Rache mussten in ihr sehr stark gewesen sein.
Indes ich so stand, meine Betäubung langsam wich, die Gedanken zu eilen begannen und der Schmerz immer stärker wurde, da dachte ich: Ja, ich werde sie finden. Wenn in Stellas kleinem Buch etwas steht, was mich ihre Fährte aufnehmen lässt, dann...
Ich dachte nicht weiter, versuchte mir nicht auszumalen, was dann sein würde.
Aber ich war sicher, wenn ich die Fährte aufnehmen konnte, wenn ich ihrer Spur folgen konnte – nun, dann würde das eine Revolverspur werden.
✰
Am nächsten Tag ritt ich gleich nach der Beerdigung weiter.
Außer dem Leichenbestatter und dessen Gehilfen war ich der einzige Mensch an ihrem Grab. Nicht einmal der Padre war gekommen.
Denn sie war ja eine Selbstmörderin und kam überdies auch noch aus einem anrüchigen Haus.
Denn niemand fragte, wie sie dort hineingekommen war.
Dies hier war eine miese Stadt in einer miesen Welt.
Ich ritt bis zur größten Mittagshitze und suchte dann einen schattigen Platz für mich und meine beiden Pferde.
Ich wollte allein sein, keinen Menschen sehen.
Und ich wollte in dem kleinen Buch lesen.
Stellas Handschrift war noch so sauber und klar, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sie musste sich das Buch erst viel später beschafft haben. Denn sie hatte alles, was ich las, aus der Erinnerung niedergeschrieben.
Zuerst merkte ich mir die Namen der vier Kerle. Denn diese hatte sie im Verlauf der vielen Tage und Nächte irgendwie herausbekommen.
Die Kerle waren ausgebrochene Sträflinge. Man hatte sie verurteilt und eingesperrt als Kettensträflinge, weil sie während des Krieges als sogenannte »Freischärler« oder »Guerillas« nichts anderes als Mordbrenner gewesen waren. Als Kettensträflinge hatte man ihnen ihre Gefangenennummern auf den rechten Unterarm tätowiert. Denn sie waren lebenslänglich zu Strafarbeit verurteilt worden.
Einer von ihnen hatte einen Steckbrief unter seinen Siebensachen, und an diesen Steckbrief war Stella irgendwie herangekommen.
Und so konnte ich in ihrem kleinen Buch lesen:
Tom Faversham, Nr. 444
Chuck Sloane, Nr. 565
Vance Trevor, Nr. 587
Hogan Hannagan, Nr. 599
Das waren sie also, und das war schon eine Menge, was ich nun wusste.
Aber da stand noch mehr zu lesen in dem kleinen Buch.
Denn dass sie über die Grenze nach Sonora gingen, geschah nur, um ihre Fährte zu verwischen.
Sie hatten andere Pläne.
Denn in Wirklichkeit wollten sie nach Norden.
Dort im Norden hatte offenbar ihr einstiger Anführer, der ihre Guerillatruppe führte, unerkannt Fuß fassen und ein mächtiger Mann werden können. Zu ihm wollten sie. Mit ihrer Beute wollten sie seine Partner werden.
Der Mann hieß jetzt Adam Jonnyson. Er hatte ihnen durch Helfer auch das Entkommen ermöglicht. Auf Umwegen wollten sie zu ihm.
Dies alles hatte Stella aus ihren Gesprächen erfahren, wenn sie glaubten, sie schliefe erschöpft.
Und es war eine ganze Menge, was ich nun wusste.
Ich musste im Norden – wahrscheinlich in Colorado – nach einem mächtigen Mann suchen, der sich Adam Jonnyson nannte.
Ich war sicher, dass ich ihn finden würde – irgendwann.
Und bei ihm würden die vier anderen sein.
Als die Mittagszeit nicht mehr so höllisch war und das Hitzeflimmern über dem Boden den länger werdenden Schatten Platz machte, da ritt ich weiter.
Manchmal dachte ich an Stella.
Sie hatte sich umgebracht, weil ich sie gefunden hatte.
Ja, so musste man es wohl sehen.
Sie hatte sich umgebracht, weil sie nichts als hoffnungslose Ausweglosigkeit für uns sah.
Ich war ihr schuldig, die Kerle zu finden, denen sie damals in die Hände fiel.
✰
Es wurde ein langer Weg für mich.
Denn mein Geld war bald alle, und selbst als ich das zweite Pferd mit ein paar Dollars Gewinn verkaufte – in Santa Cruz, wo ich es kaufte, wäre das nicht möglich gewesen –, da reichte es auch nicht sehr lange.
Denn ich ritt eine Zickzackfährte durch das Arizona- und das westliche New-Mexico-Territorium.
Einige Male hielt ich da und dort für eine Weile an, um Geld zu verdienen. Zumeist ritt ich Wildpferde zu. Solch eine Arbeit war fast immer zu haben bei den Mietställen in kleineren Städten oder bei den Stationen der Postlinien.
Verrückte und wilde Biester konnte man immer zureiten, denn es gab nicht allzu viele Burschen im Land, die ihre Knochen riskierten.
Die paar Dollars, die man dabei verdiente, waren ein Hühnerdreck.
Meine Pechsträhne begann dann in Socorro.
Dort hatte jemand einen Hengst, den niemand reiten konnte.
Und jeder, der mehr als zwanzig Dollar darauf setzte, dass er länger als dreißig Sekunden im Sattel bleiben konnte, der durfte es versuchen.
Das war natürlich auch gemein gegen das Pferd.
Aber die meisten Menschen sind in irgendeiner Beziehung gemein.
Ich hatte schon fleißige Kirchgänger gesehen, die prügelten ihre Pferde, wenn sie am Sonntag zum Gottesdienst fuhren. Und ich hatte edle Tierfreunde kennen gelernt, die prügelten ihre Frauen und Kinder daheim.
Das gab es alles.
Ich hatte mir gerade zwanzig Dollar verdient und wollte sie verdoppeln.
Denn dreißig Sekunden auf solch einem vierbeinigen Biest, dies traute ich mir immer zu.
Nun, Leute, ich schaffte siebenundzwanzig Sekunden. Und dann warf mich der Hengst so gegen die Corralstangen, dass ich mir zwei Rippen und ein Bein brach.
Danach lag ich einige Wochen im Heu oder Stroh des Mietstalles, weil das billiger war als ein Hotel. Der Stallmann versorgte mich, aber er und der Doc kosteten so viel, dass ich alles verkaufen musste, was ich besaß, also mein Pferd, meinen Sattel und meinen Colt.
Sonst hatte ich ja nichts.
Als ich dann wieder einigermaßen gesund war, kam der Stadtmarshal und sagte: »Nun, Jeff Lane, Sie haben eine Menge Pech gehabt. Das wissen wir alle. Doch niemand zwang Sie, sich auf dieses schwarze Biest zu setzen. Sie werden in dieser Stadt keine Arbeit finden. Die Zeiten sind zu schlecht. Und Sie sind ja auch noch ziemlich schlapp, nicht wahr? Das Geld ging Ihnen jetzt auch aus, wie ich hörte. Deshalb habe ich mit dem Posthalter gesprochen. Sie können mit der nächsten Postkutsche nach Norden oder Süden mitfahren, so weit Sie wollen. Oben auf dem Dach zwischen dem Gepäck. Haben Sie verstanden? Die nächste Postkutsche nach Norden geht in zehn Minuten, die nach Süden in einer Stunde. Mit welcher Kutsche werden sie fahren?«
Nach dieser langen Rede schwieg er wie ein Mann, der alles gesagt hat und nur noch auf eine kurze Antwort wartet.
Ich sah in seine Augen, und darin erkannte ich Härte.
Ich wusste auch, er hatte von dieser Stadt den Auftrag, alle mittellosen Tramps zum Teufel zu jagen. Sie duldeten hier keine Herumlungerer, Bettler und ähnliche Kerle. Sie wollten in ihrer Stadt nur Männer haben, die sich ihren Unterhalt verdienen konnten, also einer Beschäftigung nachgingen.
Sie waren hier keine Wohltäter, vergaben keine milden Gaben. Hier herrschte der unbarmherzige Materialismus – oder wie man es sonst auch nennen mochte.
Ich konnte noch froh sein, dass er mir das alles mit einer langen Rede so schonend beibrachte. Denn er hätte auch sagen können: »Hau ab hier! Leute wie dich, die können wir hier nicht durchfüttern. Und wenn du bleibst, dann wirst du vielleicht bald stehlen müssen – vielleicht sogar ein Pferd.«
Ja, so wäre es wohl auch gewesen.
Wenn man nichts geschenkt bekommt und nicht umkommen will, was bleibt einem dann noch anderes übrig!
Viele Satteltramps, die keine Arbeit finden konnten, jetzt so kurz nach dem für den Süden verlorenen Krieg, mussten stehlen.
Da besorgte er mir lieber einen Freiplatz auf einer Kutsche.
Und dann sollten sich andere Leute mit mir herumplagen.
Ich nickte und sagte: »Danke, Marshal. Ich nehme die Kutsche in zehn Minuten nach Norden.«
Er nickte zufrieden, griff in die Tasche und schenkte mir einen Dollar.
Wahrscheinlich tat er das, weil er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte.
»Viel Glück«, sagte er und ging.
Nun, Glück konnte ich gebrauchen. Meine Pechsträhne hielt ja schon lange genug an.
In der Stadt hier hatte ich kein Glück gehabt, also war es nur gut, dass ich mich auf die Socken machte, zusah, dass ich wegkommen konnte.
Die Freifahrt auf dem Dach einer Kutsche war mir recht. Anderswo gab es vielleicht eine Chance und endlich wieder Glück.
Ich erhob mich von der Futterkiste, auf der ich bisher gehockt und mit meinem Messer an einem Stück Holz herumgeschnitzt hatte. Ich betrachtete mein Werk. Es war ein faustgroßer Pferdekopf. Ich hatte ihn recht gut hinbekommen.
Der Stallmann kam aus seinem Verschlag, der sich stolz »Stallbüro« nannte, und in dem stets auch der Nachtmann schlief.