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Als Jim Fletsher mit einem Rudel Wildpferde aus den Bergen zurückkehrt, glaubt er, Liz McIntire, die Tochter des Rinderkönigs, zur Frau bekommen zu können. Doch McIntire lacht ihn aus und jagt ihn von seiner Ranch.
Zum ersten Mal bekommt Jim die Gnadenlosigkeit des Mannes am eigenen Leib zu spüren, und das gibt ihm ein Gefühl für die verzweifelte Situation der vielen kleinen Siedler, die ständig unter der Willkür der mächtigen Ranchervereinigung, deren Boss McIntire ist, zu leiden haben.
Jim verzichtet auf seine persönliche Rache; er wird zum Verteidiger der Kleinen und Schwachen im Land, und er beginnt einen einsamen Kampf gegen die Starken, obwohl ihm niemand auch nur die kleinste Chance gibt...
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Seitenzahl: 233
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Besieger der Starken
Vorschau
Impressum
Besieger der Starken
Die Starken – das waren damals in den 1870er-Jahren die großen Rinderzüchter, die »Rinderkönige«.
Otto Zierer schreibt in Band 4 seiner »Geschichte Amerikas«: Die großen Rinderbarone verteilten die Land- und Wasserrechte auf diesen grasbedeckten Hochflächen. Die mächtigen Herren regelten das Zusammentreiben und Verfrachten der Herden, sie gaben die Anordnungen, die streng wie die Gesetze befolgt wurden, sie bestimmten die Preise, sie setzten willfährige Sheriffs ein und rotteten die Banden von Viehräubern, Strolchen und entwurzelten Indianern aus. Wer dem Viehzüchterverband von Wyoming widerstrebte, der packte besser seinen Karren und zog in ein anderes Land.
Und H. Garland, der von 1860 bis 1940 lebte und uns viel aus jener Zeit überlieferte, schrieb in seinem Werk »A Spoil of Office«: Es wird eine Zeit kommen, in der es die Farmer nicht mehr nötig haben, auf einsamen Farmen in Hütten zu leben; ich sehe die Farmer in Gruppen zusammenkommen. Ich sehe, wie sie sich in schönen Sälen, die in jedem Dorf bestehen, an Vorlesungen erfreuen. Ich sehe, wie sie gleich den alten Sachsen auf dem Dorfanger zu Gesang und Tanz zusammenkommen. Ich sehe Städte, die sich in der Nähe erheben, mit ihren Schulen, Kirchen und Konzertsälen. Ich sehe den Tag kommen, an dem der Farmer sich nicht mehr plagen und seine Frau nicht mehr wie eine Sklavin arbeiten muss, sondern wo sie wie glückliche Männer und Frauen singend ihrer angenehmen Arbeit nachgehen.
Dies also schrieb einer der Überlieferer jener Zeit. Und er sagte alles richtig voraus. Es kam alles so, wie er es prophezeite.
Doch erst mussten die Starken besiegt werden, jene Rinderkönige, die nichts neben sich im Land duldeten. Es gab damals zwischen ihnen und den Farmern und Schafzüchtern einen richtigen Krieg, der fast in einen Bürgerkrieg ausartete.
Ich möchte auch mit diesem Roman meinen Lesern wieder ein möglichst echtes Bild aus jener bewegten Zeit vermitteln. Es gab überall Männer wie Jim Fletsher, den ich zum Helden dieser Geschichte mache und der die Starken besiegen wird, um damit zum Wegbereiter für eine neue Zeit zu werden.
G.F. Unger
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Jim Fletsher sieht zufrieden zu, wie seine beiden indianischen Gehilfen, die wie Cowboys gekleidet sind, die Pferdeherde aus dem Canyon treiben. Herrliche Tiere sind es, mehr als hundert Stück. Und sie sind halbwegs zahm und zugeritten. Jim Fletsher lächelt unter seinem roten Bart, und er hebt seine lange und geschmeidige Rechte und befühlt diesen Monate alten Bart. Dann blickt er hinauf zum blauen Sommerhimmel.
»Du lieber Gott im Himmel, ich danke dir«, sagt er dann schlicht. Mehr sagt er nicht, doch er könnte eine ganze Menge sagen. Aber das weiß der liebe Gott ohnehin. Denn irgendwie hielt ein gütiger Himmel wohl während der letzten dreizehn Monate seine Hand schützend über Jim Fletsher und dessen Gehilfen.
Jawohl, dreizehn Monate Leben in der Wildnis, dreizehn Monate Jagd und harte Zureitearbeit, ein langer Winter in einem von der Außenwelt abgeschnittenen Canyon und ein ständiger Kampf gegen viele Schwierigkeiten, das alles hat diese prächtige Pferdeherde gekostet.
Das war Jim Fletshers Preis.
Und heute wird er seine Herde an den großen Rinderzüchter Abe McIntire verkaufen. Da es sich um besonders wertvolle Tiere handelt, zumeist Stuten, die die große Star-Ranch für Zuchtzwecke haben will, wird er im Schnitt gewiss mehr als dreißig Dollar für jedes Tier bekommen. Er wird also bald über mehr als dreitausend Dollar verfügen können. Und diese Summe könnte sich ein Spitzencowboy von seinem Lohn nicht in zehn Jahren sparen, selbst dann nicht, wenn er nicht rauchte, nicht trank und nicht spielte.
Jim Fletsher ist der Meinung, dass er die erste Klippe geschafft hat. Er winkt seinen beiden indianischen Helfern zu und reitet zu einem nahen Bach hinüber. Hier sitzt er ab, kleidet sich vollkommen aus, nimmt den letzten Rest Seife in die Hand und springt ins Wasser.
Etwas später rasiert er sich dann mit seinem Bowiemesser, welches ganz bestimmt schärfer als so manches Rasiermesser ist.
Als er sich dann sein bestes Hemd aus dem Kleidersack holt und sich ankleidet, wirkt er ganz wie einer der noch jungen und verwegenen Cowboys. Und er ist ja auch noch jung. Vor einigen Tagen wurde er sechsundzwanzig Jahre alt. Sein hageres und hohlwangiges Gesicht ist dort, wo sich der Bart befand, bedeutend heller als die Nase, die Wangen und die Stirn. Irgendwie wirkt er etwas unangezogen, und er greift sich auch immer wieder an das nackte Kinn.
Er ist sehr groß, sehr breit in den Schultern, doch sonst sehr hager und sehnig. Seine roten Haare sind lang; sie rollen sich auf dem Hemdkragen. Er hat rauchgraue Augen, eine kurze und gerade Nase und einen ziemlich breiten Mund. Man kann ihn nicht hübsch nennen, doch er wirkt sehr männlich und auf eine verwegene Art sympathisch. Und obwohl er so schlank und hager ist, wiegt er gewiss immer noch etwa hundertachtzig Pfund, ein Zeichen dafür, wie stark und fest sein Knochenbau ist.
Er schwingt sich nun auf sehr leichte und geschmeidige Art in den Sattel und reitet seinen beiden Helfern und der Herde nach. Als er die beiden Gehilfen eingeholt hat, betrachten sie ihn ernst. Und dann grinsen sie so breit, wie sie können, und das ist fast so breit wie von einem Ohr zum anderen. Wer je behauptet hat, dass Indianer niemals grinsen oder gar lachen, der ist ein Lügner. Diese beiden Indianer jedenfalls grinsen wundervoll.
Und dann sagt »Sonnenspringer« in einem kehligen Englisch zu seinem Bruder »Gelber Vogel«: »Er ist jetzt wieder nackt am Kinn, wie es sich für einen Mann gehört. Wenn er sich jetzt im Traum begegnet, wird er sich gar nicht erkennen.«
»Doch die weiße Squaw, von der er träumte, als er im Fieber lag, die wird ihn erkennen«, erwidert Gelber Vogel. »Und wenn er sich im Traum begegnet und sich nicht erkennt, dann ist dies nicht schlimm. Was hat er davon? Die Lebenden sollen ihn erkennen. Und sie sollen sagen: Hugh! Heyah! Heurekah, da kommt er! Da kommt Red Fletsher! Und er fing die besten Pferde ein, die...«
»Red nur nicht so viel, Mr. Yellow Bird«, sagt Fletsher. »Denke lieber nach, was du mit deinem Lohn anfangen wirst! Da, das gelbe Biest bricht wieder aus!«
Die Indianer reiten sofort an, um eine gelbe Stute, die mit einigen weiteren Tieren ausbrechen will, zur Herde zurückzutreiben.
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Etwa eine Stunde später hat Jim Fletsher es geschafft. Er hat die Pferde sicher in einen der großen Corrals der Star-Ranch geschafft. Einige Cowboys haben sich eingefunden, und man hat schon nach dem Rancher geschickt.
Jim Fletsher kennt die Cowboys alle, und er erträgt lächelnd ihre anerkennenden Scherze, die seinen langen Haaren und seiner sehr viel helleren weißen unteren Gesichtshälfte gelten.
»Er ist so lange mit zwei Rothäuten in den Bergen gewesen, dass er sich nun auch schon eine lange Skalplocke wachsen lässt und sich das Gesicht bemalt«, sagt Cimarron. »Oder ist deine untere Gesichtshälfte gar nicht mit weißgelber Farbe angemalt?«, fragt er scheinheilig.
Dabei reicht er Jim den Tabaksbeutel. Jim dreht sich eine Zigarette. Es ist die erste seit Monaten, denn der Tabak war ihm schneller ausgegangen, als er dachte, weil seine beiden indianischen Gefährten jeden Tag eine Handvoll kauten.
Jim dreht sich also eine Zigarette, raucht sie an und sagt dann: »Spottet nur! Ich ertrage das gern; denn ich bin euch jetzt um zehn Jahre voraus. Und jeder von euch hätte mitkommen können. Ich erinnere mich, dass ich vor mehr als einem Jahr im Schlafhaus die Einladung ganz offen aussprach. Doch niemand wollte mitkommen. Hoffentlich seid ihr auch alle so richtig wütend auf mich; denn ihr sollt mal sehen, wie schnell ich mir jetzt ein nette Ranch aufgebaut habe. Und wenn es einem von euch bei Abe McIntire nicht mehr gefällt – so in zwei oder drei Jahren, meine ich nun, dann soll er mal bei mir anfragen. Ich stelle ihn ein.«
Sie grinsen, und Cimarron und Curly klopfen ihm auf die Schulter.
»Du hast ganz einfach nur Glück gehabt«, sagt Curly dann. »Und wenn du von uns jemanden mitgenommen hättest, nun, dann müsstest du mit ihm teilen. Sei froh, dass du nur mit diesen beiden roten Heiden in den Wildpferd-Bergen warst. Die sind mit normalem Lohn zufrieden.«
»Da kommen Abe McIntire und Bill Johns«, sagt eine Stimme.
Jim Fletsher wendet sich um. Ja, da kommt der Boss der riesengroßen Star-Ranch und der Erste Vormann Bill Johns. Sie kommen mit langen und sporenklingelnden Schritten, und sie sind beide sehr große und schon äußerlich sehr beachtliche Männer, richtige Rinderleute in abgenutzter Weidekleidung, mit Sporen und Revolvern an der Seite. Sie sind breit in den Schultern, groß, fast riesig, schmal in den Hüften, und sie besitzen all die Härte und Geschmeidigkeit von Männern, die vor Jahren ihre Herden von Texas herauf nach Norden brachten, mitten durch die damals noch starken Indianerstämme. Und sie überwanden Gebirgsketten, endlose Steppen, reißende Flüsse; sie überwanden tausend Schwierigkeiten und Hindernisse. Und sie waren die ersten Rinderzüchter, die nach Wyoming gekommen waren.
Abe McIntire ist schon grau. Er muss fast schon sechzig Jahre alt sein, und er befindet sich dennoch immer noch im Vollbesitz seiner Kraft, seiner Geschmeidigkeit und Härte. Er nimmt es immer noch in allen Dingen mit den besten Männern seiner großen Mannschaft auf, sogar mit seinem Vormann, der mehr als zwanzig Jahre jünger ist, ein schwarzköpfiger und dunkelhäutiger Mann, der etwas Indianerhaftes an sich hat und die raue Mannschaft immer wieder zu bändigen versteht.
Sie kommen herbei. Sie nicken Jim Fletsher zu. Und dann lehnen sie sich über die oberste Stange des Corrals und betrachten die Pferde. Sie betrachten sie lange, sehr lange. Ihren kundigen und erfahrenen Augen entgeht nichts, gar nichts.
Dann wendet sich Abe McIntire zu Jim Fletsher, und er zupft dabei leicht an seinem graugelben Bart.
»Jim«, sagt er, »das ist gute Arbeit. Ich sehe nur erstklassige Pferde. Es sind genau die Stuten, die ich mir dachte und mit denen ich meine Zucht härter und widerstandsfähiger zu machen gedenke. Du hast mir das gebracht, was ich wollte. Und ich nehme sie dir alle ab. Ich zahle einen Durchschnittspreis von fünfunddreißig Dollar, weil es sich um ausgesucht gute Tiere handelt. Einverstanden?«
Er hält dem Excowboy und Pferdejäger die lange und geschmeidige Hand hin, die so gut mit Lasso, Zügel, Peitsche und Colt umgehen kann.
Jim Fletsher schlägt ein.
»Also komm mit in mein Büro, mein Junge«, sagt Abe McIntire, denn er ist ein Mann von schnellen Entschlüssen, der sein Wort unbedingt hält und der jede Art von Geschäften auf der Stelle erledigt und keine Halbheiten oder Aufschübe kennt.
Er geht davon.
Bevor Jim ihm folgt, tauscht er mit dem Vormann Bill Johns noch einen Blick aus.
Jim Fletshers Blick ist voll verborgenem Triumph.
Bill Johns Blick ist ohne Ausdruck. Seine dunklen Augen lassen nichts erkennen, gar nichts. Aber er sagt gedehnt: »Viel Geld, Jim, viel Geld für einen Cowboy! Doch nicht so viel Geld, wie du glaubst. Du müsstest es jedes Jahr verzehnfachen. Dann könnte dir vielleicht gelingen, was du dir wünschst. Doch so...« Er lächelt verächtlich. »Was für ein Unterschied ist zwischen einem Cowboy und einem Drei-Kühe-Rancher?«, fragt er trocken. »Ich will es dir sagen, Jim! Ein Cowboy wird immer satt und hat jeden Monat Geld in der Tasche. Und das ist auch schon der Unterschied.«
Jim Fletsher erwidert nichts. Er blickt den Vormann nur ruhig an und folgt dann dem Rancher.
Und da er nun geradewegs auf das Haupthaus zumarschiert, sieht er endlich, was er zu sehen erhoffte und wonach er sich die langen Monate im Wildpferde-Land sehnte, wovon er träumte und was ihn so ehrgeizig und strebsam sein lässt. Denn dort auf der großen Veranda des Haupthauses, dort erscheint nun ein Mädchen.
Jim Fletsher stolpert die Stufen hinauf und zieht den Hut. Er hält inne, und dann blickt er in Liz McIntires grünblaue Augen und sieht ihr gutes und warmes Lächeln. Er erkennt die warme Freude in ihr, und er spürt genau den Strom, der von ihr ausgeht. Ja, er spürt, dass zwischen ihm und ihr immer noch alles so ist wie vor mehr als einem Jahr, als er zum Pferdefang aufbrach.
»Liz«, sagt er etwas gepresst, »Liz, ist es dir recht, wenn ich bei deinem Vater jetzt gleich um deine Hand anhalte? Ist es dir recht? Denn nun bin ich kein armer Cowboy mehr! Nun bin ich schon was. Und ich werde dir etwas mehr als eine...«
»Jim, komm ins Büro!«
Abe McIntires Stimme ruft es vom Ende der Veranda aus dem Büro der Ranch. Aber Jim Fletsher bewegt sich nicht. Er blickt erwartungsvoll auf Liz nieder. Und er sieht, wie sie etwas mühsam schluckt und dann heftig nickt.
»O Jim«, sagt sie dann, »ich habe länger als ein Jahr auf diesen Tag gewartet. Ja, versuche es! Bitte meinen Vater um mich! Vielleicht haben wir Glück. Wenn nicht, dann musst du eben warten, bis ich mündig geworden bin.«
Nun bewegt er sich. Er macht keinen Versuch, sie zu berühren oder gar zu küssen. Er weiß, dass viele Augen ihn und das Mädchen beobachten. Und sie hielten bisher ihre Liebe geheim.
Und so schwingt er nur den Hut. »Ich danke dir, Liz, liebe Liz«, murmelt er. Und er kann sein Glück noch gar nicht fassen. Er hält sich für den größten Glücksjungen auf dieser Erde, und er steckt nun noch mehr voller Ehrgeiz, voller Tatkraft und voller Pläne. Oh, wenn Liz erst seine Frau ist, dann wird er für sie und sich schon etwas auf die Beine stellen. Dann wird er erst richtig loslegen und eines Tages seinen Platz unter den Starken dieses Territoriums haben, und diese Starken sind die großen Rinderkönige, wie Abe McIntire einer ist.
Er geht die Veranda entlang, und er weiß, dass Liz McIntire nun ein heißes Gebet gen Himmel schickt und den Herrn dort oben um Beistand und um Hilfe bittet.
Jim Fletsher tritt indes in das Büro ein. Es ist ein primitiv eingerichteter Raum mit einem alten und narbigen Schreibtisch, einem Regal, einem Sessel und einem großen Messingspucknapf. In der Ecke steht noch ein Geldschrank, und vor dem Schreibtisch gibt es einen zweiten Sessel für Besucher.
Doch diesen Sessel bietet Abe McIntire dem jungen Mann nicht erst an, denn er hat es ziemlich eilig, und Jim war ja Cowboy dieser Ranch, bevor er sich selbstständig machte und Pferdejäger wurde.
»Hier ist das Geld«, sagt der Rancher, und dabei schreibt er mit kratzender Feder eine Kaufurkunde.
»Unterschreibe dies, Jim«, sagt er. »Ich besitze dann die Pferde und du besitzt diese Menge Geld.«
Jim unterschreibt schweigend. Dann zählt er das Geld nach und nickt. »Diese Sache wäre erledigt«, sagt er schlicht, und er spürte die ganze Zeit, dass ihn der Rancher aufmerksam betrachtete und studierte.
»Willst du wieder für mich reiten?«, fragt McIntire. »Ich biete dir einen besseren Posten als zuvor. Du kannst unter meiner Leitung die Pferdezucht übernehmen. Du kannst auch die beiden Indianer behalten und bekommst überdies auch noch drei Zureiter zur Hilfe. Ich stelle dich als Dritten Vormann ein. Du bist dann nach mir, nach Bill Johns und nach Luke Longhorn der vierte Mann auf dieser Ranch. Ist das nichts? Es ist eine Ranch, die mehr als fünftausend Rinder und dreitausend Pferde besitzt. Es ist eine Ranch, für die mehr als fünfzig Reiter reiten und viele Ranchhelfer arbeiten. Es ist ein Königreich. Und du bist der vierte Mann auf der Liste. Ich zahle dir hundertfünfzig im Monat. Und du bekommst wie Johns und Longhorn ein eigenes Quartier außerhalb des Schlafhauses. Entscheide dich, Jim!«
Er sagt es nun ziemlich ungeduldig und fordernd, denn er hält Untergebenen sonst nicht lange Reden, und er ist irgendwie der Meinung, er hätte schon zu viel geredet.
Jim Fletsher steckt das Geld sorgfältig ein.
Dann lächelt er und sagt: »Es freut mich, Sir, dass Sie etwas von mir halten. Doch ich möchte mich selbstständig machen. Ich möchte mit einer kleinen Ranch beginnen. Jeder große Rancher hat einmal angefangen, nicht wahr? Und auch ich will anfangen. Ich möchte mir auch eine Frau nehmen. Wir sind uns schon einig. Sie würde mir eine treue Gefährtin sein, und da ich von der Bank zumindest so viel Kredit bekomme, wie ich Bargeld besitze, habe ich mit siebentausend Dollar keinen schlechten Start. Ich weiß, Sir, dass Sie damals vor dem Krieg daheim in Texas unter noch viel schlechteren Bedingungen angefangen haben. Und jetzt sind Sie der größte Mann auf zweihundert Meilen in der Runde. Ich will das auch schaffen.«
Er hat sich richtig in Begeisterung geredet, und er schweigt nun etwas betroffen, denn er geht sonst nicht so aus sich heraus und reißt den Mund so weit auf.
Er sieht den grauköpfigen und hartgesottenen Rinderkönig lächeln.
»Viel Glück«, sagt Abe McIntire dann. »Viel Glück, Cowboy! Vielleicht schaffst du es, vielleicht auch nicht. Ich hätte dich gern als Vormann behalten. Aber ich kann dich gut verstehen. Ich war auch so. Also...«
Er vollendet den angefangenen Satz nicht, sondern macht nur eine verabschiedende Handbewegung. Und man sieht ihm an, dass seine Gedanken sich schon auf andre Dinge richten. Er will keine Zeit mehr mit diesem Cowboy verschwenden, der bald einer der kleinen Drei-Kühe-Rancher sein wird, wie man die kleinen Rancher nennt, die eine Ein-Mann-Ranch betreiben oder sich höchstens ein oder zwei Reiter halten können.
Doch Jim Fletsher macht keine Anstalten, das Büro zu verlassen. Er sagt vielmehr: »Da ist noch etwas, Sir, was ich gerne mit Ihnen besprechen möchte. Es handelt sich um Elizabeth, um Liz, Ihre Tochter, Sir!«
Abe McIntire blickte ihn nun kalt und hart an, und seine buschigen Augenbrauen bewegen sich wie dicke Raupen.
»Was sagst du da, Cowboy?«
Jim Fletsher, der etwas unsicher und gehemmt war, bekommt sich nun wieder unter Kontrolle. Und er ist wieder davon überzeugt, dass dieser Rinderkönig keinen besseren Schwiegersohn bekommen könnte als ihn. Deshalb sagt er nun einfach und schlicht, sicher und selbstbewusst: »Sir, ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter. Liz und ich, wir lieben uns. Wir hielten es bisher geheim, weil ich erst beweisen wollte, dass ich mehr bin als nur ein durchschnittlicher Bursche. Eben habe ich Liz gefragt. Ich bitte mit Ihrem Einverständnis bei Ihnen um ihre Hand. Wir lieben uns. Und wir werden es schon schaffen.«
Abe McIntire hörte ruhig zu, doch es war kein freundliches Abwarten.
Jim Fletsher spürte schon während seiner Rede, dass dieser Mann dort hinter dem alten Schreibtisch innerlich so hart und kalt wie ein Stein wurde. Er konnte das auch in den flintsteinhart wirkenden Augen erkennen.
Abe McIntire sagt dann ganz ruhig, doch kalt und klirrend: »Cowboy, du möchtest meine Tochter? Liz? Elizabeth, die Tochter von Abraham McIntire – meine Tochter?«
Dann erhebt er sich, kommt um den Schreibtisch herum und tritt vor Jim Fletsher hin. Er blickt ihn aus nächster Nähe in die Augen.
»Liz soll mit dir in einer kümmerlichen Hütte leben? Und sie soll wie eine Farmerfrau arbeiten? Und Kinder kriegen soll sie? Meine Tochter?«
Er schüttelt den Kopf.
»Cowboy, du bist übergeschnappt. Liz bekommt jetzt von mir mehr Taschengeld, als du während der ersten Jahre für deine Familie an Einkommen verdienen könntest. Allein ihre Ausbildung in den besten Internaten hat mich ein Vermögen gekostet. Und wo wollt ihr denn den kostbaren Flügel hinstellen, den ich für sie aus Europa kommen ließ, hahaha? Das ist wieder eine von diesen Launen eines Mädels, welches zu sehr von ihrem Vater verwöhnt wird. Liz ist reich und gebildet. Und wie lange gingst du eigentlich in die Schule, Cowboy?«
»Sechs Jahre«, murmelt Jim Fletsher. Und in ihm ist jetzt ein heißer Zorn. »Sir«, sagt er, »wir lieben uns! Sie können nicht verhindern, dass Liz meine Frau wird. Dann warten wir eben, bis sie mündig ist. Liz pfeift auf dieses reiche und bequeme Leben. Sie ist es leid, ein wohlbehüteter und kostbarer Luxusgegenstand zu sein. Ja, es war Ihre Idee, sie zu einer richtigen Lady zu machen. Aber Liz hat davon die Nase voll. Sie will richtig leben, verstehen Sie? Sie will die Frau eines hart arbeitenden Mannes sein. Sie will diesem Mann eine gute Gefährtin sein. Wir haben oft genug davon gesprochen. Ja, wir wollen am Anfang in einer kleinen Hütte leben, und wir werden auch ziemlich hart arbeiten und uns einschränken müssen. Aber eines Tages werden wir es geschafft haben, und wir werden stolz sein. Wir werden Kinder haben. Es wird alles richtig sein. Liz will keinen Mann von Rang und Namen, keinen Mann mit hohem Titel. Sie will mich. Was haben Sie gegen mich, Sir?«
Abe McIntire geht einmal um ihn herum, und er betrachtet ihn wie ein Pferd.
»Vielleicht«, sagt er dann, »bist du in zehn oder zwanzig Jahren solch ein großer und mächtiger Bursche wie ich. Vielleicht! Aber so lange kann ich nicht warten, bis du Liz das alles geben könntest, was ich ihr geben kann. Ja, ich will einen Mann für sie, der es schon geschafft hat, der schon groß und mächtig ist und der es deshalb gar nicht darauf abgesehen hat, dass Liz mich eines Tages beerben wird. Junger Mann, Liz wird eines Tages Millionärin sein. Und ihr Mann wird ihr Erbe mitverwalten müssen. Es muss ein Mann sein, der selbst vermögend ist und dem es deshalb nicht zu Kopf steigt, plötzlich reich zu sein. Auch ist ein solch riesiger Besitz nicht so einfach zu verwalten. Dazu gehört mehr als der Verstand eines Cowboys, der ein Rancher werden möchte. Dazu gehört... Ach, was rede ich so viel! Du kannst Liz nicht bekommen, Jim! Und ich schätze es nicht, wenn man mir droht. Dass ihr heiraten wollt, wenn Liz mündig ist, sehe ich als eine Drohung an!«
Er sagt es hart und geht dann hinter seinen Schreibtisch zurück.
Von dort sagt er: »Du verlässt sofort dieses Land, Jim Fletsher! Du reitest zumindest zweihundert Meilen weit in einer dir beliebigen Richtung, bevor du dir erlaubst, länger anzuhalten, als es zur Rast notwendig ist. Und dann lässt du dich nie wieder hier blicken. Das ist ein Befehl, junger Mann!«
Besonders seine letzten Worte, die nicht lauter, sondern eher leiser gesprochen werden, klingen sehr drohend und kalt.
Und Jim Fletsher weiß gut genug, wie hart und mitleidlos dieser Mann sein kann und wie unversöhnlich er mit Feinden und Gegnern umspringt.
Jim weiß ganz genau, was ihm droht, wenn er sich diesen Mann zum Feind macht und sich ihm auch noch widersetzt.
Einen Moment durchflutet ihn ein Gefühl der Resignation und der Mutlosigkeit. Doch dann strömt der bittere Zorn aus seinem Kern, breitet sich in ihm aus und ergreift von ihm Besitz.
Nun ist er ganz der stolze, hitzköpfige und etwas wilde Cowboy.
Er sagt: »Mister, sind Sie eine Art Gott, sind Sie das? Können Sie mir verbieten, in einem freien Land zu leben? Können Sie das? Mister, ich werde in diesem Land bleiben, solange es mir gefällt. Und ich werde inzwischen einige Geschäfte tätigen und mein Vermögen vermehren. Überdies aber werde ich warten, bis Liz mündig geworden ist. Wir verlieren dadurch zwar etwas mehr als ein Jahr, doch wir werden auch diese Zeit überstehen. Und wenn der Tag gekommen ist, dann werden Sie uns nicht hindern können, Mr. McIntire!«
Der sagt nichts mehr, gar nichts.
Er sitzt nur hinter seinem Schreibtisch und blickt Jim Fletsher an, kalt, hart und mitleidlos.
Jim verspürt nun einen heftigen Schock. Irgendwie kommt er sich wie ein kleiner, frecher Terrier vor, der es wagte, einen Löwen anzubellen. Er spürt ganz sicher, dass er noch eine Menge Kummer bekommen wird, wenn er wirklich im Land bleibt.
Er dreht sich um und geht hinaus.
Draußen steht ein Mann an der Verandabrüstung. Es ist sicher, dass dieser Mann jedes Wort hören konnte, was im Büro gesprochen wurde. Denn die Tür stand offen.
Es ist ein großer und schwergewichtiger Mann, der sich nun nach Jim Fletsher umblickt und dabei an einer großen Zigarre raucht. Es ist ein gelbhaariger und braunäugiger Mann, mit einem breitflächigen Gesicht und kleinen Ohren.
Dieser Mann ist etwa acht Jahre älter als Jim Fletsher. Er ist der zweitgrößte Rancher im Land. Seine Ranch liegt vierzig Meilen entfernt. Der Mann heißt Simson Oregon.
Und er sagt jetzt auf seine grobe und sehr direkte Art: »Wenn du im Land bleiben solltest, Cowboy, werde ich dich so lange verprügeln, bis du keinen anderen Wunsch mehr hast als den, möglichst schnell aus dem Land zu reiten. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder Sattelquetscher sich einbildet, schnell groß werden und mitreden zu können. Wo bleibt denn da die natürliche Ordnung auf dieser Welt? Pack dich, Cowboy, pack dich! Liz ist nichts für dich! Und du darfst ihre Launen nicht so ernst nehmen. Ein Mädel, das jeden Wunsch erfüllt bekommt, langweilt sich manchmal sehr. Und dann tut es schon mal etwas Verrücktes.«
Er grinst breit, und er wirkt sehr beharrlich, sehr selbstsicher und unerschütterlich.
Dann wendet er Jim den breiten Rücken zu und tritt ins Haus. Jim geht zum anderen Ende der Veranda, dorthin, wo der Aufgang ist und wo die große Tür in das Ranchhaus führt.
Als er dort ist, kommt das Mädchen heraus. Ihre Augen wirken sehr neugierig, und irgendwie spürt man ihre innerliche Erregung. Eine Röte ist auf ihren Wangen.
»Ja«, sagt sie, »es war wohl ziemlich schlimm? Du bist ganz blass unter deiner braunen Haut. Hat mein Vater dich abgelehnt?«
Sie tritt nahe an ihn heran und spielt irgendwie erregt mit einem Knopf seiner Lederweste. Dabei blickt sie zu ihm auf, und sie wirkt sehr zart, sehr hilfsbedürftig. Doch er weiß, dass sie kräftig und ausdauernd ist und fast wie eine Indianerin reiten kann.
»Dein Vater ist gegen mich«, sagt er zu ihr. »Er sagt, dass ich weiter als zweihundert Meilen aus dem Land reiten soll. Sonst bestraft er mich. Doch ich bleibe hier. Ich fürchte mich nicht, wenn du nur zu mir hältst, Liz. Ich kann auch dieses Jahr noch warten! Oh, ich könnte noch zehn Jahre warten! Sag mir, dass du mich noch haben willst, wenn du mündig geworden bist!«
Sie nickt. Dann stellt sie sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn. Es ist dies der erste Kuss vor Zeugen. Und es sind da und dort eine ganze Menge Menschen auf der großen Ranch, die auf das Paar blicken und nun zu Zeugen werden, wie Liz McIntire einen Cowboy küsst.
»Warte auf mich«, sagt sie, und ihre Stimme klingt etwas schrill. »Ich bin nächstes Jahr frei. Und niemand darf mich dann daran hindern, mir den Mann zu nehmen, den ich liebe.«
Sie küsst ihn nun nochmals, legt ihre Arme um seinen Nacken und schmiegt sich an ihn.
Er steht etwas steif da, ist überrascht von ihrem so öffentlichen Bekenntnis. Doch dann erliegt er ihrem Zauber. Er hält sie fest und erwidert ihren Kuss. Er vergisst für einige Sekunden ganz, dass sie von allen Seiten beobachtet werden – sogar der Koch tritt aus dem Küchenhaus –, und sie kommt ihm als der kostbarste Besitz auf dieser Welt vor.
Als sie sich dann lösen, klingt Abe McIntires Stimme laut und klar: »Cowboy, wenn Sie in zehn Sekunden noch auf der Ranch sind, lasse ich Sie mit der Bullpeitsche wegjagen! Liz! Du gehst ins Haus!«
»Er würde mich am liebsten in eine Glasvitrine sperren«, sagt das Mädchen zu Jim. »Ich bin für ihn so etwas, wie ein besonderes Bild für einen Bildersammler. Aber ich werde ihm ausbrechen, das schwöre ich.«
Nach diesen Worten geht sie ins Haus zurück.
Jim Fletsher blickt sich nach Abe McIntire um. Und er sieht diesen und auch jenen Simson Oregon. Sie stehen vor dem Büroeingang und starren ihn an.
Plötzlich weiß Jim, dass dieser Simson Oregon der Mann ist, den McIntire zum Schwiegersohn haben möchte. Er begreift dies plötzlich, als er sie so nebeneinanderstehen sieht, so einträchtig und ganz eines Sinnes. Ja, Simson Oregon ist ein noch verhältnismäßig junger und doch schon sehr erfolgreicher Mann nach Abe McIntires Herzen.
Jim Fletsher wendet sich ab und geht davon.
Zwischen den Ställen warten einige Cowboys auf ihn.