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Eine Riesenbeute lockt, und so geben die vier Rancher einem Killer den Auftrag, Big John Browns Erbin aus der Postkutsche zu holen und zu beseitigen. Aber der Bandit tötet das Mädchen nicht. Er ist scharf auf die tausend Dollar, die man in Mexiko für schöne Frauen zahlt.
Der Plan der vier, sich Big Johns Riesenranch ungestraft unter den Nagel zu reißen, hätte dennoch Erfolg gehabt, wäre Blake Clayton nicht in der Kutsche gewesen. Auf den ersten Blick hat sich der Revolvermann in die reizvolle Lily Brown verliebt, und so nimmt er die Fährte auf und befreit sie aus dem mexikanischen Edelbordell. Aber als er Lily weiter helfen will, lehnt diese ab. Sie ist entschlossen, ihr Recht auf ihre Weise durchzusetzen - mit den Waffen einer Frau. Clayton zweifelt, dass ihr das gelingen wird...
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Seitenzahl: 182
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Die Rache der Lily Brown
Vorschau
Impressum
Die Rache der Lily Brown
Es ist an einem Nachmittag, als sich die vier hartgesottenen Weidepiraten im Hinterzimmer des Cattlemen-Saloon treffen.
Sie kommen fast zu gleicher Zeit in die kleine Stadt geritten, und jeder von ihnen hat zwei Reiter mitgebracht, die zu jener Sorte gehören, welche mit dem Colt besser umgehen kann als mit einem Wurfseil.
Doch diese Reiter nehmen an der Beratung natürlich nicht teil, sondern halten sich an der langen Bar des Saloons auf.
Die vier Bosse aber genehmigen sich erst einmal kurz hintereinander zwei Drinks und zünden sich eine dicke Zigarre an. Dann betrachten sie sich eine Weile schweigend.
Schließlich knurrt Herb Stonebreaker grimmig: »Nun gut, Stud Kennedy, du hast uns zusammengerufen. Also sag uns, was dich dazu bewogen hat! Was willst du von uns?«
Nach der Frage zuletzt herrscht wieder einige Atemzüge lang Schweigen. Und abermals belauern sie sich.
Dann hebt Stud Kennedy die Hände, zeigt ihnen seine Handflächen und spricht ruhig: »Big John Brown ist tot. Machen wir uns nichts vor. Er war der wirkliche Cattle King, in dessen Schatten und an dessen Grenzen wir lebten. Er ist also tot.«
»Ja, er soll umgefallen sein wie ein Baum, dem man nicht angesehen hat, dass er innerlich total morsch und krank war. Ja, er ist umgefallen wie ein Baum. So hat man es mir gesagt.«
Sloan McNally spricht diese Worte.
Die anderen drei Männer nicken. Denn sie alle haben es gehört. Im ganzen Land auf mehr als fünfzig Meilen in der Runde sprach es sich herum.
Sie starren Stud Kennedy wieder an.
Dessen Anblick lässt an einen Falken denken, denn er ist scharfgesichtig mit einer Nase wie ein Falkenschnabel. Nun lächelt er schmal und spricht: »Jetzt haben wir die Wahl.«
»Welche?« Sie fragen es dreistimmig, und irgendwie klingt es herausfordernd.
Doch Stud Kennedy zeigt ihnen wieder die Handflächen als Zeichen des Friedens.
Dann spricht er ruhig: »Wenn wir um sein Land, seine Weide, seine Herden und um alles kämpfen, was er hinterlässt, dann wird das unser Untergang sein. Denn wir sind gleich stark. Keiner von uns würde Sieger werden können – keiner. Wir würden uns gegenseitig zerstören. Also sollten wir sein Kingdom – sein Königreich – unter uns aufteilen und Frieden halten. Die Beute ist groß genug.«
Als Stud Kennedy verstummt, denken sie nach. Dabei hüllen sie sich in Rauchwolken ein, so sehr paffen sie an ihren Zigarren.
Doch dann schüttelt Hiob Kane, der sich wie ein Prediger kleidet, in Wirklichkeit aber ein zweibeiniger Wolf ist, heftig den Kopf und spricht: »Ich weiß, dass er eine Tochter hat, die also seine Erbin ist. Sie wird kommen. Vielleicht ist sie schon unterwegs. Und wenn sie hier ist...«
Er vollendet den Satz nicht.
Abermals schweigen sie, aber zugleich spüren sie nun ein stillschweigendes Einverständnis, so als wären sie ganz plötzlich eine verschworene Gemeinschaft geworden.
Sloan McNally knurrt: »Wenn sie hier ist, nur dann kann sie Ansprüche erheben, nur dann. Aber woher wird sie kommen? Und wie sieht sie aus?«
Sie alle sehen Hiob Kane an, denn dieser weiß offenbar mehr.
Und er lässt sie auch nicht lange warten, sondern spricht: »Ich bin ja damals nach Big John in dieses Land gekommen und einige Jahre vor euch hier gewesen. Ich kannte noch Big Johns Frau, bevor sie ihm mit seiner und ihrer Tochter weglief. Sie hielt das Leben in diesem Land nicht aus. Einmal hatte Big John sie mit dem Kind einige Tage und Nächte allein gelassen in der Hütte. Und sie war von Apachen belagert worden, hatte mit ihrer Schrotflinte welche getötet oder angeschossen. Sie war verrückt geworden vor Angst. Er hatte Pferdediebe verfolgt. Nun, sie war damals fertig in diesem Land. Wie man hörte, wurde sie Lehrerin in Galveston und zog ihre Tochter groß. Dann kam der Bürgerkrieg und...«
Hiob Kane bricht ab und zuckt mit den Achseln.
Dann aber spricht er weiter: »Ich denke, dass Big Johns Tochter aus Galveston kommen wird, jedenfalls von der Küste her und das Rio Grande Valley herauf. Es ist ein sehr langer Weg. Pat Ringold, der Vormann von Big Johns Broken-Arrow-Ranch, wird sie benachrichtigt haben. Sie kommt. Und wir sollten nun zu einer Abmachung kommen.«
Als er verstummt, da nicken die drei anderen Männer.
»Ja, machen wir einen Plan«, spricht Herb Stonebreaker. »Und dann lasst uns nach diesem Plan handeln. Big Johns Tochter darf hier nicht ankommen. Dann ist seine Riesenweide und sind seine Herden frei. Wir können dann alles unter uns aufteilen. Es ist eine gewaltig große Beute. Dafür lohnt sich eine Menge.«
Sie denken abermals nach. Immer wieder tun sie es und wägen ab.
Doch jeder von ihnen kommt stets wieder zur selben Erkenntnis. Sie sind gleich, was ihre Stärke betrifft. Wenn sie sich zu bekämpfen beginnen würden, wäre das ihr Untergang. Also müssen sie unter sich das Gleichgewicht erhalten.
Doch die Beute ist ja groß genug für sie alle.
Und so beginnen sie an diesem späten Nachmittag im Hinterzimmer des Cattlemen-Saloon ihren Plan zu entwickeln.
Und dieser ist ganz einfach.
Hiob Kane spricht schließlich: »Wenn Big Johns Tochter so aussieht wie ihre Mutter, dann wird sie blond sein, mit leuchtend blauen Augen und wunderschön anzusehen. Ja, sie wird eine schöne junge Frau geworden sein, wie kaum eine andere unter zehntausend und noch mehr.«
Als er verstummt, nicken die drei anderen Männer. Dann murmelt Stud Kennedy: »Wir müssen jetzt also die richtigen Männer für die Drecksarbeit anwerben.«
Sie nicken wieder.
»Wir lassen Jim Jennison kommen«, schlägt Hiob Kane vor. »Den und dessen Kumpane können wir später als Vieh- und Pferdediebe hängen, wenn sie ihre Arbeit verrichtet haben.«
Sie alle grinsen. Und Stud Kennedy lacht grimmig: »Jennison wird sich geehrt fühlen, wenn er für uns arbeiten darf.«
✰
Der Spieler Blake Clayton hat es ziemlich eilig in El Paso. Er erreicht die neunsitzige Abbot & Downing Stage im Moment ihres Abfahrens und lässt sich zufrieden auf den noch freien Sitz fallen.
Einer der männlichen Passagiere fragt mit einem Klang von Lachen in der Kehle: »Das war wohl sehr knapp, Mister?«
»Und wie«, erwidert Blake Clayton und hat das gleiche Lachen in seiner Stimme.
Dann aber herrscht Schweigen in der Kutsche. Sie rollt aus El Paso hinaus nach Norden auf dem Rio-Grande-Weg, der dem Fluss aufwärts folgt.
Es ist Nacht, eine sterbende Nacht. Denn von Osten her kommt das erste Grau heraufgekrochen und lässt das Licht der Gestirne erblassen. Nun strahlt der Himmel nicht mehr so schön und geheimnisvoll.
Alles wird bald ohne Schatten und Farben sein.
Die Fahrgäste schweigen. Sie sind müde, wollen schlafen trotz des Schüttelns und Rüttelns, Schwankens und Stoßens der Kutsche auf dem schlechten Wagenweg.
Auch Blake Clayton lehnt sich zurück, zieht sich den Hut übers Gesicht und versucht seine langen Beine zwischen den Beinen der gegenübersitzenden Passagiere unter deren Bank zu strecken.
Und da spricht eine Frauenstimme biestig: »Mister, trampeln Sie nicht zu sehr herum mit Ihren langen Beinen. Sie stoßen sonst meine Reisetasche auf die andere Seite. Vielleicht sollten Sie sich einen Knoten in die Beine machen, wenn Sie in einer Postkutsche fahren.«
Er zieht die Beine wieder ein und murmelt: »Vergeben Sie mir, Lady. Aber Ihre Stimme gefällt mir. Wenn Sie so aussehen wie Ihre Stimme klingt, dann werde ich mich bei Tageslicht Ihres Anblicks gewiss erfreuen.«
Einige Passagiere lachen leise. Eine Männerstimme spricht: »Mann, diese Lady ist wunderschön. Ich sah sie schon bei Tageslicht. Ihnen steht wirkliche Freude bevor.«
Und wieder lachen einige Stimmen.
Dann wird es erneut still.
Die Kutsche rollt stetig. Der Fahrer ruft manchmal oben auf dem hohen Sitz: »Hoiiyaaaa, lauft, ihr dicken Tanten! Braaah, braaah!«
Allmählich wird es dann Tag, bekommt die Welt wieder ihre Farben und wird es auch in der Kutsche immer heller, in die von rechts her – also von Osten – das erste Sonnenlicht einzufallen beginnt. Denn ganz plötzlich ist die Sonne über den Hügeln des Rio Grande Valley heraufgekommen.
Und Blake Clayton kann nun endlich die Frau betrachten, die ihm gegenübersitzt.
Ihre funkelnden blauen Augen halten seinem Blick stand. Und so weiß er, dass sie eine stolze Frau sein muss, die gelernt hat, sich in einer Männerwelt zu behaupten.
Er sieht in ein schönes Gesicht, welches noch jung ist und in dem sich dennoch einige Linien gebildet haben, die von einem Leben mit Höhen und Tiefen entstehen.
Und so weiß er, dass der jungen Schönen kaum noch etwas fremd geblieben ist auf dieser Erde.
Er lächelt sie an, und er ist ein Mann, dessen Lächeln sein Gesicht jünger macht, so dass man ahnen kann, dass er wahrscheinlich zweierlei Seiten besitzt – nämlich eine harte und eine andere, welche freundlich und duldsam ist.
Er ist ein dunkelhaariger Mann mit grauen Augen. In seinem Gesicht sind einige Narben, die von Kämpfen auf rauen Wegen erzählen. Narben sind zwar stumm und verraten dem Betrachter dennoch eine Menge.
Er spürt, wie die junge Frau ihn abschätzt und einzuordnen versucht.
Doch dann erwidert sie sein Lächeln kurz und kaum erkennbar.
Aber er erkennt es und ist dankbar dafür. Sie sprechen kein Wort, lösen dann ihre Blicke voneinander. Er legt sich wieder zurück auf seinem Sitz und zieht sich den Hut übers Gesicht, ein Zeichen dafür, dass er wahrscheinlich versäumten Schlaf nachholen möchte. Und das Rütteln, Schwanken und Stoßen der Kutsche scheint ihm nichts auszumachen, so als wäre er ein Mann, der ständig in schnellen Expresskutschen unterwegs ist, sogenannten Overland Stages, die alle dreißig Meilen ihr Sechsergespann wechseln und auf langen Strecken von keinem Reiter einzuholen sind.
Unter den anderen Passagieren findet dann und wann eine Unterhaltung statt, aber zwei von ihnen schnarchen immer wieder, bis ihnen die Nachbarn die Ellenbogen in die Rippen stoßen.
Die Abbot & Downing Stage ist neunsitzig und voll besetzt.
Als sie die Station am Red Eagle erreicht und ein frisches Gespann bekommt, steigen die Passagiere aus, um in der Gaststube ein Frühstück einzunehmen.
Es ist eine Station mit einem kleinen Store, einigen Corrals und einem tiefen Brunnen, dessen Wasser frisch und sauber ist.
Einige Reiter, die von irgendwoher kamen und irgendwohin wollen, machen hier ebenfalls Rast. Offenbar sind sie eine Ranchmannschaft, die eine Herde zum Verkauf trieb und nun auf dem Heimweg ist.
Die Reiter brechen auch bald auf, verschwinden nach Westen in den Hügeln, also in Richtung Arizona-Territorium.
Nur ein kleiner, unscheinbarer Bursche bleibt auf der Veranda sitzen und dreht sich eine neue Zigarette.
Dieser so unscheinbar wirkende Bursche starrt die schöne Frau wie witternd an.
Dann aber senkt er den Blick wieder, als hätte er genug gesehen.
Als die Reisenden nach dem Frühstück aus der Station kommen und in die Kutsche steigen, sitzt der kleine Bursche immer noch auf der Veranda und sieht der Kutsche nach, bis sie hinter einer Biegung des Rio Grande Valley verschwunden ist.
Dann erhebt er sich, geht zu seinem Pferd, welches an einem der Tränktröge beim Brunnen steht, sitzt auf und reitet davon.
Eine halbe Stunde später ist er auf einem Hügel der abfallenden San-Andreas-Berge und sucht trockene Kakteen für ein Feuer zusammen. Doch als dann das Feuer brennt, wirft er frische Kakteen hinein, so dass eine schwarze Rauchsäule gen Himmel steigt, die nach Norden zu auf viele Meilen zu sehen ist.
Und so ist es auch. Die Rauchsäule wird zehn Meilen weiter von einem anderen Hügel aus gesichtet. Der Mann auf diesem Hügel reitet sofort den steilen Hang hinunter und erreicht bald das Camp der Jennison-Bande.
Jim Jennison, der Anführer, sieht dem Reiter entgegen und fragt: »Ist was, Pecos?«
»Ich habe die Rauchsäule von Shorty gesehen«, erwidert Pecos. »Es muss also eine besonders schöne und junge Frau in der Kutsche sitzen – eine Frau mit blonden Haaren und blauen Augen. Sie kommt also.«
Nach diesen Worten sitzt Pecos ab.
Denn die Jennison-Bande hat ja noch viel Zeit, so viel Zeit jedenfalls, wie eine Overland Stage braucht, um zehn Meilen hinter sich zu bringen.
✰
In der Kutsche herrscht eine recht gute Stimmung. Denn das Frühstück – Eier mit Speck, frische Biskuits und Kaffee – hat allen gutgetan. Zwei Handelsvertreter tauschen Erfahrungen aus. Der eine vertritt eine Damenunterwäschefabrik und erzählt unter anderem, dass er immer einen großen Koffer mit Katalogen mitschleppt, weil diese Kataloge voller hübscher Bilder von halbnackten Frauen sind, die die Reizwäsche der lieferbaren Kollektion präsentieren.
»Die Cowboys von den einsamen Ranchen zahlen bis zu zwei Dollar für solch einen Katalog voll schöner Mädchen, hahahaha«, erzählt der Handelsvertreter weiter. »Sie kleben die Wände in den Bunkhouses damit voll. Aaah, diese armen Burschen. Was für ein Leben nur mit Rindern und Pferden auf einsamer Weide!«
Er verstummt richtig mitleidig.
Der andere Handelsvertreter – das stellt sich schnell heraus – reist für eine noble Uhrenmanufaktur. Und auch er hat etwas zu erzählen, was sie alle in d er Kutsche interessiert, so dass sie aufmerksam lauschen.
Denn der sehr seriös wirkende Mann sagt: »Ja, es ist immer wieder ein schönes Erlebnis, wenn man Freude bereiten kann. Ich habe unlängst einem Spieler eine wunderschöne goldene Uhr verkauft. Oh, ich habe ihn mit Engelszungen zu dieser Kapitalanlage überreden müssen. Er wollte keine tausend Dollar anlegen. Schließlich kaufte er die Uhr – es war die letzte meiner Musterkollektion –, um endlich vor mir Ruhe zu haben. Und dann in der folgenden Nacht im Fair-Play-Saloon zu Socorro, da erlebte ich und sah es mit meinen Augen, wie diese Uhr ihm das Leben rettete. Denn als man ihn bei einem Kartentrick erwischte – er hatte ein fünftes Ass im Ärmel – und einer der Mitspieler auf ihn schoss, da hielt die Uhr in seiner Westentasche die Kugel auf. Ihm wurde nur eine Rippe gebrochen. Und so hätte er tatsächlich überleben können.«
Der Handelsvertreter verstummt zuletzt mit einem bedauernden Klang in der Stimme.
Aber einer der Fahrgäste ruft enttäuscht: »He, hat er etwa nicht überlebt?«
»Leider nicht«, erwidert der Handelsvertreter traurig. »Sie haben ihn gelyncht. Die schöne Uhr hat ihm das Leben nur um wenige Minuten verlängern können. Aber wenn sie ihn nicht gelyncht hätten...«
Als er verstummt, da schweigen alle einige Zeit.
Schließlich spricht eine ältere Frau, der man ihr früheres Gewerbe ansehen kann und die nun gewiss ein eigenes Etablissement besitzt und eine sogenannte Patrona ist: »Sir, die Welt ist hart und gnadenlos. Doch nur die Dummen versuchen es mit einem fünften Ass im Ärmel.«
Sie verstummt hart. Es herrscht nun längere Zeit Schweigen in der Kutsche.
Und so hat sie bald an die zehn Meilen zurückgelegt seit ihrer Abfahrt von der Red-Eagle-Station.
Es geschieht dann sehr plötzlich.
Der Wagenweg durch das Rio Grande Valley führt gerade um einige rote Felsen herum. Und mit einem Mal wird der Wagenweg durch einen Wall von Kakteenleichen versperrt.
Die beiden Führungspferde bäumen sich auf, denn sie wollen natürlich nicht in die Stacheln der Sagueros rennen wie in Dolche.
Und so kommt das ganze Sechsergespann in Unordnung. Die Tiere wollen ausbrechen. Fast kippt die Kutsche um.
Es krachen Schüsse. Und eine heisere Stimme brüllt: »Macht nur keine Dummheiten! Wir machen sonst ein Sieb aus der Kutsche! Kommt heraus – alle! Los, raus aus der Kutsche! Mit erhobenen Händen! Vorwärts!«
In der Kutsche ist es einige Atemzüge lang still.
Dann kreischt die ältere Frau: »He, wer ihr auch seid, ihr wilden Hombres! Ich bin Santella Alvarez und betreibe die Puta Casa in Socorro! Ihr kennt mich sicherlich, weil ihr alle schon mal bei meinen Mädchen gewesen seid. Also macht hier kein Blutvergießen, keine Toten! Wir wollen ganz friedlich miteinander umgehen! Wir kommen jetzt aus der Kutsche, ich zuerst!«
Sie beginnen schweigend hinauszuklettern.
Blake Clayton aber sieht die Schöne an, die ihm ja gegenüber sitzt. Ihre Blicke treffen sich wieder wie schon mehrmals unterwegs.
Er sagt: »Lady, ich möchte Ihnen meine ganze Barschaft anvertrauen. Es sind mehr als fünftausend Dollar, denn ich bin ein Spieler. Sie könnten das Geld leicht unter Ihren Röcken oder Ihrer anderen Kleidung verbergen. Ich glaube nicht, dass die Banditen Sie bis auf die Unterwäsche durchsuchen werden. Wollen Sie meinen Geldgürtel an sich nehmen, Lady, wie Sie auch heißen mögen? Mein Name ist Clayton, Blake Clayton.«
»Ich bin Lily Brown«, erwidert sie knapp. »Also geben Sie mir Ihr Spielkapital, ohne das Sie kein Spieler mehr sein könnten. Ich bekomme zehn Prozent.«
Er nickt nur. Dann handeln sie schnell.
Aber beim Aussteigen lässt er sich Zeit, stellt sich hinkend und unbeholfen, so als hätte er ein krankes Bein.
Und so erhält sie Zeit, um seinen gefüllten Geldgürtel, den er unter dem Hemd hervorzog, unter ihren Röcken unterzubringen.
Sie wird dann draußen von der Jennison-Bande als letzter Passagier mit freudigen Rufen und begeisterten Pfiffen empfangen.
Der rothaarige Jim Jennison, Anführer einer starken Bande, die während des Krieges einen Guerilla-Krieg führte, aber nichts anderes als eine Banditenbande war, betrachtet sie mit seinen kalten Fischaugen.
»Lily Brown«, spricht er, »wir haben auf Sie gewartet. Wir wussten nur, dass eine besonders schöne Frau den Rio Grande Trail hochkommen würde, eine so schöne Frau wie keine zweite unter zehntausend Frauen. Und Sie können keine andere sein als Lily Brown, deren Mutter genauso schön gewesen sein soll, blond und blauäugig.«
Als er verstummt, da schweigen sie alle in der Runde – alle, also die Passagiere, die beiden Fahrer der Postkutsche, die Banditen – sie alle. Und sie sehen Lily Brown an wie ein Wunder.
Whip Charly, der Fahrer, mischt sich nun nein. Er sagt: »He, Jennison, wir sind dir natürlich sehr dankbar, dass ihr uns nicht vom Bock geschossen habt. Doch was soll der Überfall? Wir transportieren keine Reichtümer. Von meinen Passagieren hat keiner viel Geld bei sich – nicht mal Santella Alvarez wäre so unklug, mit viel Geld durchs Land zu reisen. Also, was soll das, Jim Jennison? Wir kennen uns doch recht gut. Also sage es uns endlich und lasst uns weiter.«
Jim Jennison – er ist ein entfernter Vetter des berüchtigten Rotbein-Jennison – grinst breit mit seinem Fischmaul und deutet auf Lily Brown.
»Ihr könnt weiter. Doch sie bleibt bei uns. Also los, haut ab! Ihr könnt weiter bis auf die Schöne. Haut ab!«
Seine Stimme klingt zuletzt hart und lässt erkennen, wie gnadenlos er sein kann, wenn etwas nicht nach seinem Willen geht.
Nun mischt sich Santella Alvarez ein und spricht verächtlich: »OJim Jennison, wie tief bist du gesunken. Jetzt entführst du schon Frauen. Was für ein Abstieg. Hast du dir schon überlegt, dass dieser Weg geradewegs in die Hölle führt?«
Jim Jennison starrt die erfahrene Frau böse an.
»Du bist ja wohl auch keine edle Lichtgestalt, Santella.« Er grinst böse. »Du spielst dich auf, als wärst du die Prinzipalin eines schöngeistigen Theaters, welches Perlen unter die Säue streut.«
Er wendet sich wieder an den Fahrer und fragt: »Hast du was mit den Ohren? Habe ich dir nicht erlaubt abzuhauen? Na los, bevor ich es mir anders überlege!«
Whip Charly wischt sich übers Gesicht und sieht Lily Brown an.
»Vergeben Sie mir, Lady, aber ich kann jetzt nichts für Sie tun. Ich muss an die anderen Passagiere denken.«
Er wendet sich mit einer ausholenden Armbewegung an alle, die aus der Kutsche kamen, und ruft bitter: »Einsteigen! Los! In die Kutsche, es geht weiter!«
Sie gehorchen nur zu gern. Denn sie wollen weg, nichts wie weg.
Nur Blake Clayton verharrt noch, will offensichtlich zuletzt in die Kutsche steigen, den anderen Mitreisenden den Vortritt lassen.
Er sieht Jim Jennison an, so als wollte er sich bis in die Ewigkeit und zurück dessen Aussehen merken.
Jennison grinst ihn an: »He, Langer, willst du was?«, fragt er und zielt mit dem Colt auf ihn.
Aber Blake Clayton hebt die Hände und zeigt ihm die Handflächen.
»Sie sind also der berühmte Ex-Guerilla Jennison«, sagt er. »Ich staune Sie nur an, weil ich schon eine Menge von Ihnen gehört habe. Berühmte Gestalten der Geschichte werden immer angestaunt.«
Jim Jennison bekommt nun deutlich erkennbar einen dicken Hals.
Dann knirscht er: »Bist du so dämlich, dass du glaubst, mich verarschen zu können? Ich sollte dir jetzt doch einen Denkzettel verpassen.« Aber Blake Clayton hat sich abgewandt und verschwindet in der Kutsche.
Einen Moment sieht es so aus, als würde Jennison ihm eine Kugel nachsenden. Doch dann lässt er es bleiben.
Denn die Kutsche fährt nun an. Whip Charlys Stimme kreischt einen Pumaschrei, der das Gespann aus dem Stand anspringen lässt. Der Ruck ist so stark, dass sie drinnen in der Kutsche mächtig durcheinander geschüttelt werden.
Sie lässt Lily Brown inmitten der Jennison-Bande zurück. Es sind neun Mann. Einige sitzen noch auf ihren Pferden.
Sie sieht fest in Jim Jennisons Augen.
»Und was jetzt?«, fragt sie knapp, und wenn Sorge, Angst und heiße Frucht in ihr sein sollten, dann ist ihr das nicht anzumerken.
Jim Jennison zuckt mit den Schultern.
»Wir bringen Sie hinüber nach Sonora«, erwidert er dann.
»Und warum? Doch nicht nur, um mich drüben zu verkaufen?«
Sie fragt es hart.
Er schüttelt bedauernd den Kopf.
»Es ist ganz einfach«, spricht er. »Sie sollen das Erbe nicht antreten können. Sie müssen für immer verschwinden. Doch wir sind keine Frauenmörder. Also bleibt uns nur eine Möglichkeit. Ich denke, dass wir mehr als tausend Dollar für Sie bekommen werden, Lily Brown. Immerhin können Sie in einem Edelbordell überleben, zu dem nur auserlesene Gäste Zutritt haben. Sie werden sich nicht mit dem Dreck und dem Abschaum der Grenze abgeben müssen. Also, wir haben ein Pferd für Sie. Soll ich Ihnen in den Sattel helfen? Ihre Röcke sind wohl weit genug, um damit reiten zu können. Denn sonst schlitzen wir die Röcke an den Seiten auf.«
Sie starrt in seine kalten Fischaugen, in denen sie nichts erkennen kann. Aber sie spürt, dass der Ex-Guerilla und jetzige Bandit offenbar noch einen letzten Rest von Stolz besitzt, den er sich erhalten möchte.
Sie begreift, dass er sie töten sollte.
Doch so tief ist er noch nicht gesunken. Da fehlt noch etwas.
»Ich kann allein aufsitzen«, erwidert sie und tritt zu jenem Pferd, auf das er deutete.
Schweigend und bewegungslos sehen sie zu, wie sie in den Sattel kommt. Trotz der Röcke, die nun etwas von ihren Beinen freigeben, schwingt sie sich wie ein Cowgirl in den Sattel.