G. F. Unger Sonder-Edition 256 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 256 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Damals, mehr als zwanzig Jahre vor der Jahrhundertwende, gab es jene wilde Zeit, aus der das heutige Amerika geboren wurde. Eine Zeit, da aufrechte, mutige und harte Männer aus eigener Verantwortung heraus Recht und Gesetz zum Wohl der Gemeinschaft durchsetzen mussten.
Die berühmtesten dieser Männer waren James B. "Wild Bill" Hickock und Wyatt Earp. Aber es gab auch noch andere, die nicht so bekannt wurden, weil ihre Taten schon fast vergessene Legenden aus jener Zeit sind.
Ich will von Jim Flannaghan berichten. Auch er kämpfte damals zum Wohl der Gemeinschaft für eine bessere Zeit. Er zähmte eine wilde Stadt, denn kein anderer Mann hätte es vollbringen können. Er war ein Starker und Großer, und er konnte sich der eigenen Verantwortung nicht entziehen - denn der Starke ist dazu bestimmt, ein Vorkämpfer für eine bessere Zeit zu sein.


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Seitenzahl: 218

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die zähmende Hand

Vorschau

Impressum

Die zähmende Hand

Damals, mehr als zwanzig Jahre vor der Jahrhundertwende, gab es jene wilde Zeit, aus der das heutige Amerika geboren wurde. Eine Zeit, da aufrechte, mutige und harte Männer aus eigener Verantwortung heraus Recht und Gesetz zum Wohl der Gemeinschaft durchsetzen mussten.

Die berühmtesten dieser Männer waren James B. »Wild Bill« Hickock und Wyatt Earp. Aber es gab auch noch andere, die nicht so bekannt wurden, weil ihre Taten schon fast vergessene Legenden aus jener Zeit sind.

Ich will von Jim Flannaghan berichten. Auch er kämpfte damals zum Wohl der Gemeinschaft für eine bessere Zeit. Er zähmte eine wilde Stadt, denn kein anderer Mann hätte es vollbringen können. Er war ein Starker und Großer, und er konnte sich der eigenen Verantwortung nicht entziehen – denn der Starke ist dazu bestimmt, ein Vorkämpfer für eine bessere Zeit zu sein.

Nachdem Jim Flannaghan den beschädigten Auswerfer des Gewehrs durch einen neuen ersetzt hat, erhebt er sich von seinem Arbeitsplatz und bringt die Waffe zum Gewehrständer hinüber. Er stellt das Gewehr hinein und betrachtet die anderen Waffen mit einem ruhigen Blick. Es sind Gewehre und Flinten von jeder Sorte, Büffelgewehre, Winchesterkarabiner, Spencergewehre und Schrotflinten – eine lange Reihe.

Und in dem Regal neben dem Gewehrständer liegen eine Menge Colts.

Auch diese Waffen streift der Mann mit einem ruhigen Blick. Dann wendet er sich ab und tritt ans Fenster. Er blickt auf die Hauptstraße von Waggoner City hinaus – und wieder einmal mehr wird er sich bewusst, wie sehr sich die kleine Rinderstadt verändert hat.

Überall wird gebaut. Fahrzeuge aller Art sind unterwegs oder irgendwo abgestellt. An den Haltebalken stehen Sattelpferde, und Menschen von jeder Sorte sind auf den Beinen.

Jim Flannaghan hebt seine lange, geschmeidige Hand und legt sie über Stirn und Augen.

Er sieht nun nicht mehr die rege Geschäftigkeit dort draußen auf dem großen Platz, dessen vier Seiten von Gebäuden begrenzt werden.

Andere Bilder entstehen aus seiner Erinnerung. Er sieht sie im Geiste vor Augen und nimmt schnell die Hand wieder herunter.

Nun seufzt er leise, und es ist ein bitteres und resigniertes Seufzen.

Langsam geht er durch die Werkstatt der Eisen- und Waffenhandlung des alten Joe Sunday, bei dem er seit zwei Jahren als Büchsenmacher und Mechaniker arbeitet.

Der Raum ist lang und schmal. Er erreicht das rückwärtige Fenster und hält hier an. Sein Blick gleitet über den Hof hinweg, über ein Feld und bleibt prüfend auf den ausgedehnten Gattern und Corrals des neuen Verladebahnhofes gerichtet. Dahinter ist der Verladebahnhof entstanden, mit seinen Verladerampen, Abstellgleisen und Gebäuden.

Auch dort wird überall noch gearbeitet. Der schrille Pfiff einer Arbeitslok schrillt durch den Nachmittag.

Jim Flannaghan zuckt leicht zusammen, und dann seufzt er wieder und überlegt ernsthaft, ob er nicht sein Bündel packen, sich auf sein Pferd setzen und in eine andere Stadt reiten soll – in eine Stadt, die so ist, wie es Waggoner City noch vor einigen Wochen war, in eine Stadt ohne Eisenbahn, ohne Verladebahnhof und all die Dinge, die damit eng verbunden sind.

Er hebt seine Rechte, die schlaff an seiner Seite hing, und betrachtet sie wieder einmal. Es ist eine lange, gebräunte und sehr geschmeidige Männerhand. Sie ist schmal und wirkt irgendwie stählern. Und das Handgelenk ist fast so breit wie der Handrücken.

Jim Flannaghan betrachtet die Hand also, bewegt sie, ballt sie zur Faust und bewegt dann die einzelnen Finger.

Dann schiebt er die Hand in die Hosentasche und durchquert abermals den langen Raum, um nun wieder durch das Vorderfenster auf den großen Platz zu blicken.

Seine langen Beine sind leicht gekrümmt, er steht breitbeinig vor dem Fenster und hat seine Hände in den Hosentaschen vergraben. Er ist sehr schmal in der Taille und sehr breit in den Schultern. Und dennoch wirkt er schlank und hager, denn er ist sehr groß. Sein Kopf wirkt eine Idee zu klein, aber dieser Kopf ist gut geschnitten. Nur Jim Flannaghans Gesicht wirkt etwas unregelmäßig, aber das liegt wohl daran, dass seine Nase irgendwann einmal gebrochen wurde und etwas schief ist. Die Narbe an seinem linken Backenknochen verstärkt das Unregelmäßige noch. Alles in allem ist es jedoch ein festgefügtes Gesicht, mit einem festen Kinn und einigen dunklen Linien, die den Mann älter erscheinen lassen. Auch die rabenschwarzen Haare Jim Flannaghans sind an den Schläfen ergraut. Aber er ist nicht älter als zweiunddreißig Jahre. Seine Augen liegen tief. Sie stehen weit auseinander und haben die silbergraue Farbe frischgegossenen Kugelbleis.

Über seinem etwas breiten, vollen, aber sehr männlichen Mund sitzt ein dunkles Bärtchen. Er trägt ein blaues Hemd, eine Sergehose und Cowboystiefel ohne Sporen. Und obwohl seine Wangen und sein Kinn sorgfältig rasiert sind, gibt es unter seiner gebräunten Haut einen bläulichen Schimmer.

Das ist Jim Flannaghan, von dem in dieser kleinen Stadt niemand besonders viel weiß. Vor gut zwei Jahren kam er von Süden her in die Stadt geritten – und er trug keine Waffe.

Er trat bescheiden, ruhig und zurückhaltend auf und fragte bei Joe Sunday, dem Büchsenmacher dieses Countys, um Arbeit. Er bekam diese Arbeit und erwies sich als ein guter Gehilfe, dem der alte Joe Sunday, weil seine Augen immer schlechter wurden, immer mehr die Werkstatt überließ.

Jim Flannaghan hatte niemals in den zwei Jahren Streit, denn zwei- oder dreimal konnten einige Bürger der Stadt beobachten, wie er die Herausforderung wilder und rauflustiger Cowboys nicht annahm, sondern still und fast feige wirkend das Feld räumte.

Ja, das also ist Jim Flannaghan.

Und immer noch denkt er darüber nach, ob er nicht sein Bündel packen und die Stadt verlassen soll.

Denn er weiß, dass ihn jetzt, da Waggoner City einen Bahnhof hat und damit zu einer Verladestadt für Treibherden geworden ist, die Vergangenheit sicherlich bald einholen wird.

Ja, die Vergangenheit wird ihn einholen, denn von überall her werden nun die Rinderherden herangezogen kommen, Longhornherden, die von harten, wilden und verwegenen Treibmannschaften getrieben werden, von Männern also, die schon fast überall waren. Und unter ihnen wird es bestimmt welche geben, die Jim Flannaghan kennen.

Aber das wäre noch nicht schlimm. Schlimm für Jim Flannaghan wird es erst, wenn jene andere Sorte von Männern kommt, jene Glücksritter und Geschäftemacher, die immer dort auftauchen, wo der Dollar zu rollen beginnt.

Jawohl, hier in Waggoner City wird bald der Dollar rollen. Hier werden die Treibmannschaften ihr Geld ausgeben und sich nach einem monatelangen Rindertreiben richtig austoben. Waggoner City wird eine einzige Amüsierhölle werden, und bald werden alle Laster, Leidenschaften und Schwächen der Menschen diese Stadt beherrschen.

Jim Flannaghan kennt das.

Er war schon in solchen Städten.

Und auch andere Leute waren dort, die vielleicht auch in dieser Stadt auftauchen werden und ihn sicherlich kennen.

Vor den Dingen, die dann geschehen, fürchtet sich Jim Flannaghan.

Wieder seufzt er schwer, zieht seine Rechte aus der Hosentasche und betrachtet sie.

Als er dann über den Platz blickt, sieht er einen Mann kommen, der langsame und vorsichtige Schritte macht und von dem ein seltsamer Strom auszugehen scheint, den Jim Flannaghan hinter dem Fenster fast körperlich spürt.

Oh, er kennt diesen Mann nicht, aber er kennt die Sorte, zu der dieser Fremde gehört. Solche Burschen hat er in allen wilden Städten gesehen, und er kennt ihre Art, sich zu bewegen und zu geben.

»Zum Teufel«, murmelt er bitter, »da ist schon der erste eitle, großspurige, selbstgefällige und sich für eine Art Halbgott haltende Revolverheld nach Waggoner City gekommen. Der erste Tiger ist da, und es werden noch mehr von dieser Sorte kommen. Zum Teufel!«

Er sagt es bitter, und indes kommt der Fremde über den Platz und behält die Richtung bei, als wolle er in die Waffenhandlung. Jim Flannaghan tritt vom Fenster weg, und er hofft, dass jener stolze und wie ein Pfau schreitende Bursche vorbeigehen möge, denn er weiß, dass er dann in den Laden müsste.

Joe Sunday ist nämlich Mitglied des Stadtrates und nimmt jetzt gerade an einer Sitzung teil. Und Cindy Sunday, die Tochter seines Arbeitgebers, macht im Store Einkäufe.

Als Jim Flannaghan schon glaubt, dass der Fremde am Laden vorbeigegangen ist, bimmelt die Türglocke. Dann schlägt die Tür zu, und eine kalte und präzise Stimme ruft halblaut: »Bedienung!«

Jim zögert noch, aber dann öffnet er eine Tür und tritt aus der Werkstatt in den Laden, stellt sich hinter den Ladentisch und fragt sanft und höflich: »Womit kann ich Ihnen dienen, Mister?«

Der nur mittelgroße Mann betrachtet ihn scharf. Es ist ein Mann, an dem alles ledern und farblos wirkt, wenn man ihn Stück für Stück betrachtet.

Sein Alter ist schwer zu schätzen, aber die tausend winzigen Fältchen in seinem schmalen Gesicht täuschen sicherlich. Wenn seine Haltung nicht so stolz und aufgeplustert wirken würde, wäre nichts Besonderes an ihm. Aber da sind noch zwei Dinge, die einem Mann wie Jim Flannaghan alles sagen.

Da ist der große Colt des Fremden, der tief an den Oberschenkel geschnallt ist.

Da sind auch die farblosen Augen des Mannes, die wie gefrorenes Wasser wirken und einen kalten Ausdruck haben – und da ist jenes kalte, intensive und harte Starren.

In solche Augen hat Jim Flannaghan schon einige Male gesehen. Und er weiß, wie es ist, wenn in solchen Augen plötzlich der Wille zum Töten zu erkennen ist und solch ein Mann dann in rasende Tätigkeit gerät und wie im Rausch den Moment einer Gewalttat erlebt.

Jim Flannaghan verspürt innerlich einen kalten Schauder, und er spürt, wie ihn der Mann abschätzt und plötzlich noch aufmerksamer betrachtet.

»He, Freund, kennen wir uns?«, fragt der Fremde gedehnt, und in seinen Augen erscheint der Ausdruck eines intensiven Forschens.

Jim schüttelt den Kopf. »Ich wüsste nicht«, sagt er. »Womit kann ich dienen?«

Der Fremde zieht mit einer gleitenden Bewegung seinen Colt.

Dabei sieht er Jim Flannaghan an. Der bewegt sich nicht, sondern beobachtet stumm.

Vielleicht ist das ein Fehler, denn ein Durchschnittsmann wäre jetzt an Jims Stelle zumindest zusammengezuckt.

Der Fremde grinst.

»Sie haben gute Nerven, mein Freund«, murmelt er. »Nun, dies hier ist meine alte, gute Kanone, aber sie ist nun schon zu alt geworden und ziemlich ausgeleiert. Sie schießt nicht mehr so haargenau, wie ich es von einer guten Waffe erwarte. Sind Sie nur Verkäufer oder der Büchsenmacher selbst?«

»Beides«, murmelt Jim, und er sieht, wie der Mann die Waffe in die Luft wirft, diese am Lauf auffängt und sie ihm reicht.

»Gehen wir in Ihre Werkstatt«, sagt der Fremde dabei. »Sie sollen sich die Waffe mal ansehen.«

Jim Flannaghan zögert, aber dann gehorcht er. Der Revolvermann tritt hinter ihm ein und schließt die Tür.

»Ich bin Lee Quincannon«, sagt er lässig. »Vielleicht haben Sie schon mal was über mich gehört, Mister?«

»Nein«, murmelt Jim sanft und beugt sich über seinen Arbeitstisch. Er zerlegt die alte Waffe in ihre Bestandteile und überprüft alles ganz genau. Dabei aber denkt er über Lee Quincannon nach. Ja, er hat eben gelogen. Diesen Namen hat er früher einige Male gehört, und er weiß, dass Lee Quincannon schlimm ist. Überdies weiß er jetzt, dass er und dieser Quincannon einmal vor Jahren zu gleicher Zeit in einer Stadt weilten. Aber Quincannons Gastspiel war sehr kurz. Er war nur in jene Stadt gekommen, um einen Mann zum Revolverkampf zu zwingen. Nachdem er diesen Mann getötet hatte, verließ er die Stadt wieder. Jim Flannaghan bekam Quincannon damals gar nicht zu Gesicht. Er hörte nur wenige Minuten später von dem Kampf, aber da war Lee Quincannon schon wieder fort.

Indes Jim Flannaghan an diese Dinge denkt und dabei die Einzelteile der Waffe genau untersucht, fragt er sich irgendwie ahnungsvoll, ob Lee Quincannon jedoch ihn vielleicht in jener Stadt gesehen hat. Das könnte möglich sein.

Er hebt unwillkürlich den Kopf, und er blickt in Quincannons Augen hinein, die ihn scharf betrachten, forschend und nachdenklich und leicht misstrauisch.

Ruhig erwidert er den Blick des Mannes und sagt: »Jeder Teil Ihrer Waffe ist zu verbraucht, Mr. Quincannon. Es hätte keinen Sinn, es mit einem neuen Lauf und einer neuen Trommel zu versuchen. Es ist alles ausgeleiert.«

Er setzt die Teile wieder zusammen. Und er hört den Revolvermann nachdenklich sagen: »Irgendwo habe ich Sie gesehen. Wie heißen Sie eigentlich, Mann?«

»Flannaghan, Mister.«

»Black Tex Flannaghan?«

»Jim Flannaghan aus Tennessee, Mister«, sagt er sanft und schiebt die zusammengesetzte Waffe, in der sich auch wieder die Patronen befinden, über den Tisch.

Aber Lee Quincannon ist noch nicht zufrieden.

»Ich war vor vier Jahren mal in Abilene«, sagt er nachdenklich. »Dort gab es einen Hilfsmarshal. Ich sah ihn nur kurz im Lampenschein eines Store. Ich wusste damals noch nicht, wie dieser Hilfsmarshal hieß. Erst später hörte ich, dass es Black Tex Flannaghan war. Und er sah Ihnen ziemlich ähnlich. Oh, ich kann mich noch genau daran erinnern, wie dieser Black Tex Flannaghan auf einem großen Rappen die Hauptstraße heruntergeritten kam. Mister, wenn ich Sie mal im Sattel sehe, dann werde ich besser Bescheid wissen.« Seine schmalen und blutleeren Lippen öffnen sich zu einem seltsamen Lächeln.

»Ich war damals nach Abilene geritten, um einen Mann zu töten«, sagt er langsam. »Und als ich es getan hatte und die Stadt verließ, da hörte ich einige Leute nach Black Tex Flannaghan brüllen. Später sagte mir dann ein Freund, dass ich Glück gehabt hätte, aus der Stadt und Black Tex Flannaghan entkommen zu sein. Nun, Sie sind es also nicht, mein Freund? Aber vielleicht sind Sie mit diesem Black Tex Flannaghan verwandt? Oder...«

»Lassen Sie mich zufrieden«, unterbricht ihn Jim ruhig. »Ich bin nicht jener Black Tex Flannaghan, und selbst wenn ich dieser Mann wäre – was würde das schon bedeuten.«

»Für mich sehr viel«, grinst Lee Quincannon. »Ich habe mich ziemlich oft gefragt, ob ich damals Glück hatte, dass Black Tex Flannaghan mir nicht den Weg aus der Stadt versperrte oder ob Black Tex Flannaghan Glück hatte. Ich würde gern heute noch herausfinden, ob er mich hätte aufhalten können.«

Er grinst immer noch und betrachtet Jim kritisch.

»Es war vielleicht nur ein dummer Einfall von mir«, sagt er sanfter als vorher, »in Ihnen jenen Black Tex Flannaghan zu vermuten. Denn dieser Bursche würde nicht hier als Büchsenmacher arbeiten.«

Er wendet sich ab und tritt an das Regal, in dessen Fächer viele Colts liegen. Es sind neue, aber auch alte und eingeschossene Waffen dabei.

Jim erhebt sich ebenfalls, tritt an die Seite des Mannes und beobachtet diesen bei der Wahl. Denn es ist ja klar, dass sich der berüchtigte Revolverheld jetzt eine neue Waffe aussuchen wird.

Jim denkt auch daran, ihm dieses einfach zu verweigern, aber sofort wird ihm klar, dass dies keinen Zweck hätte.

Lee Quincannon greift plötzlich mit beiden Händen zu und holt zwei Colts aus einem Fach. Es sind schon ältere Waffen, aber Jim weiß, wie gut, ausgewogen und präzise sie sind.

Lee Quincannon hantiert damit herum. Er wirft sie in die Luft, fängt sie wieder auf, lässt sie kreisen, Saltos schlagen und wirbelt sie um den Zeigefinger. Immer wieder schnappen seine hageren Hände die Griffe der Waffen.

Und nach einer Weile sagt er zufrieden: »Die sind beide gut, aber die rechte Waffe ist eine winzige Idee schlechter ausgewogen.«

Er legt diese Waffe weg, nimmt Patronen aus seinem Waffengürtel und lädt den anderen Colt.

»Ich muss ihn sofort ausprobieren«, sagt er zu Jim und geht hinaus. Jim folgt ihm. Sie durchqueren den Laden und treten auf den Plankengehsteig vor dem Haus.

Der Revolverheld Lee Quincannon sieht sich nach einem passenden Ziel um.

Und er findet es sofort.

Denn drüben auf dem Platz spielen zwei Hunde. Es handelt sich um den großen Wolfshund des Frachtwagenhofes und den kleinen Terrier der Saat- und Futtermittelhandlung. Beide Hunde sind schon ziemlich bejahrt und sehr alte und gute Freunde. Jim Flannaghan hat sie schon oft beobachtet, und er hat oft seinen Spaß daran gehabt, wenn er sehen konnte, wie sie sich immer begrüßten und dann für kurze Zeit – so als erinnerten sie sich immer wieder an die jungen Zeiten – miteinander zu spielen begannen.

Heute ist es ihr letztes Spiel.

Denn der Colt in Quincannons Rechter bellt plötzlich zweimal kurz und krachend auf.

Und die beiden Hunde sind tot, als hätte sie ein Blitz getroffen.

Und es ist plötzlich sehr still.

Die Menschen auf dem Platz und überall auf den Gehsteigen und vor den neuen Saloons und Geschäften bewegen sich nicht mehr.

Lee Quincannon aber schnauft zufrieden, schiebt den Colt in seinen Hosenbund, sieht Jim Flannaghan an und sagt: »Das ist der richtige Colt für mich. Ich kaufe diese Waffe. Was kostet sie?«

Jim starrt auf den Mann nieder, denn Quincannon ist höchstens einsfünfundsiebzig groß, während Jim in den Stiefeln einsneunzig misst. Er blickt bitter in dieses faltige und lederhäutige Gesicht und in die farblosen Augen, in deren Hintergrund er eine wilde Freude erkennt.

Und er beantwortet Quincannons Frage nicht, sondern sagt: »Das waren zwei gute Hunde. Dem Terrier entging keine Ratte in dieser Stadt. Und der Wolfshund hat einmal das Kind des Posthalters aus dem Creek gezogen. Es waren zwei gute Hunde, die die ganze Stadt mächtig gern hatte, Mister.«

»Aber es waren nur zwei Hunde – nichts anderes.« Quincannon grinst, und in seinen Augen tanzen plötzlich seltsame Funken. »Ich habe nach dem Preis gefragt«, sagt er scharf. »Und ich frage nie zweimal, Freund.«

Jim gibt ihm immer noch keine Antwort. Er starrt zur Ecke hinüber, dorthin, wo die Hauptstraße von Waggoner City auf den Platz mündet, an dem der Laden des Waffenschmieds liegt. Das Haus gegenüber ist Waggoner Citys Gerichts- und Stadthaus.

Und aus diesem Haus treten jetzt einige Männer heraus. Wahrscheinlich wurden sie von den beiden Schüssen alarmiert, denn bisher waren Schüsse in Waggoner City eine sehr, sehr große Seltenheit.

Jim verspürt wieder jene alte Bitterkeit in sich aufsteigen, und er weiß, dass in Waggoner City bald zu jeder Tages- und Nachtzeit Schüsse ertönen werden.

Die Männer, die soeben aus dem Stadthaus kamen, werden von einigen Leuten, die an der Ecke standen, über den Grund der beiden Schüsse informiert.

Jim Flannaghan wendet sich plötzlich dem Revolvermann zu und sagt: »Sechzig Dollar kostet die Waffe. Geben Sie mir das Geld und gehen Sie lieber fort, bevor es Verdruss gibt. Da kommen die drei Stadträte von Waggoner City mit dem Marshal.«

Lee Quincannon grinst seltsam zu Jims Worten. Er starrt ihn nochmals auf seine kalte, forschende Art an und sagt plötzlich scharf: »Nun gut, da kommen also die vier mächtigsten Männer dieser Stadt. Well, ich werde sie hier empfangen. Flannaghan, stören Sie mich nur nicht dabei. Gehen Sie in Ihren Laden zurück und warten Sie dort, bis ich komme und den Colt bezahle. Los!«

Jim zögert, aber dann tritt er einige Schritte zur Seite, so dass er fast die Ecke des Hauses erreicht.

Als er verhält, kommt ein Mädchen um diese Hausecke.

Sie trägt ein einfaches Kleid und einen Einkaufskorb in der Armbeuge. Es ist ein mittelgroßes, schlankes und biegsames Mädchen mit roten Haaren und blauen Augen.

Es ist ein hübsches Mädchen, das einen sehr erfreulichen Anblick bietet, selbst jetzt noch, obwohl sie sichtlich sehr zornig ist.

Sie hält bei Jim an, stellt den Korb auf das Fenstersims und sieht dabei zu Quincannon hinüber, der am Rand des Gehsteiges vor dem Laden steht und auf den Fußsohlen wippt. Quincannon wartet bewegungslos auf die vier Männer.

Das Mädchen aber fragt: »Jim, ich habe es gesehen. Wer ist dieser Bursche? Wie kann ein Mensch nur so gemein sein und zwei spielende Hunde einfach...«

»Das ist ein berüchtigter Revolverheld«, unterbricht Jim das Mädchen ruhig. »Das ist einer von jener Sorte, die bald hier in Waggoner City sehr zahlreich sein wird. Er hat sich einen Colt gekauft und diesen ausprobiert. Die Stadt kann wahrscheinlich mächtig froh sein, dass er nur zwei Hunde getötet hat. Cindy, da kommt der Marshal, und unsere drei Stadträte sind bei ihm. Du wirst jetzt erleben, wie dieser Revolverheld ihnen vor die Füße spucken und dazu noch sagen wird, sie sollen sich zum Teufel scheren.«

Das Mädchen blickt mit erschrockenen Augen zu ihm empor.

»Nein«, flüstert sie hastig, »das wird nicht sein. In dieser Stadt darf...«

»In dieser Stadt hier ist noch nie ein richtiger Revolverheld gewesen«, unterbricht er sie rau. »Diese Burschen kommen erst noch. Der ganze Verdruss kommt erst noch.«

Er verstummt bitter, denn die vier Männer sind nun nahe genug gekommen. Sie halten an und blicken zu Lee Quincannon hinauf, der ja auf dem Plankengehsteig etwas höher als sie steht.

Jim Flannaghan kennt die Männer.

Der alte Joe Sunday, der fast wie ein Gelehrter aus dem Osten wirkt, ist sein Boss.

Frank Sander, dem die Fracht- und Postlinie gehört, ist ebenfalls ein schon alter Mann mit grauem Haar und bedächtigen Bewegungen.

Bill Heesman, der den größten Store der Stadt führt, ist lang und dürr, glatzköpfig und kurzsichtig. Seine Brille rutscht ihm ständig von der Nase.

Diese drei Männer sind der Stadtrat von Waggoner City und sollen in Zukunft die Geschicke einer Stadt bestimmen, die plötzlich eine freie Treibherdenstadt geworden ist und gewiss eine Hölle werden wird.

Die drei alten und müden Männer wirken mit einem Mal ziemlich kläglich, wenn man sie mit dem grinsenden Lee Quincannon vergleicht.

Und der vierte ist Marshal Hibb Higgins, ein braver Mann mit einem prächtigen Bierbauch und einem Walrossschnurrbart. Oh, Hibb Higgins ist wirklich ein braver Mann. Am Unabhängigkeitstag trägt er das Sternenbanner. Bei Hochzeiten spielt er auf der Fidel. Er kassiert die Steuern der Bürger und führt auch ordentlich Buch über Geburten und Todesfälle. Manchmal sperrt er auch einen Tramp oder Betrunkenen ein, und die Cowboys der umliegenden Ranches sind alle seine Freunde und ärgern ihn nicht unnötig, denn sie alle kennen seine blasse Frau und seine sieben Kinder. Diese sieben Kinder aber sind alles mehr oder weniger prächtige Mädchen von sechzehn bis dreiundzwanzig. Und da in diesem frauenarmen Land fast jedes Mädchen ihren Freier findet und begehrt ist, ärgert kein Cowboy den Marshal, weil dieser ja vielleicht eines Tages mal sein Schwiegervater werden könnte.

Ja, so war es bisher.

Aber jetzt beginnt eine neue Zeit.

Denn Waggoner City hat einen Verladebahnhof bekommen. Und dieser Umstand wird die Stadt so verändern, wie wenn jemand aus einem Schafscorral einen Zwinger für Raubtiere machte.

Jawohl!

Jim Flannaghan weiß es.

Aber die Bürger von Waggoner City, die sich auf das große Geldverdienen freuen, wissen es noch nicht.

Marshal Hibb Higgins tritt nun noch einen Schritt vor, blickt zu Lee Quincannon hoch und sagt barsch: »Sie haben geschossen. Sie haben zwei Hunde getötet. Sie haben also den Stadtfrieden gestört und Schaden angerichtet. Wir dulden solche Elemente nicht bei uns. Ich bestrafe Sie mit dreißig Dollar. Je zehn Dollar für die beiden Hunde – und zehn Dollar wegen des Stadtfriedensbruchs. Haben Sie mich verstanden, Mann? Zahlen Sie die Strafe, oder muss ich Sie einsperren? Das würde dann sechs Tage Haft kosten. Natürlich verbiete ich Ihnen den weiteren Aufenthalt in dieser Stadt. Haben Sie mich verstanden, Mann?«

»Genau«, sagt Lee Quincannon.

»Und? Wollen Sie zahlen, oder muss ich Sie einsperren?«

»Gehen Sie zum Teufel, Opa«, sagt Lee Quincannon fast mitleidig.

Hibb Higgins zuckt zusammen und kaut dann einige Sekunden schweigend an seinem Schnurrbart. Dann atmet er langsam und seufzend aus und blickt sich nach den drei Männern des Stadtrates um. Aber er sieht, dass diese sämtlich unbewaffnet sind. Überdies ist er der Marshal und trägt einen großen Colt im Holster.

Er wendet sich Quincannon wieder zu und sagt heiser: »Nun gut, Sie sind verhaftet! Kommen Sie mit mir! Ich hole mir Ihre Waffen!«

Er greift bei den letzten Worten nach dem Colt, zieht ihn heraus und will ihn auf Quincannon richten.

Aber da macht dieser eine schnelle Bewegung. Ein Schuss kracht. Der Marshal lässt mit einem Schrei seine Waffe fallen, taumelt zurück und steckt seine blutende Rechte unter die linke Achselhöhle. Er stößt nochmals einen Schmerzensschrei aus und weicht bis zu den drei Stadträten zurück.

Und Lee Quincannon sagt hart und präzise: »Ihr verdammten Narren! Geht mir in dieser Stadt nur alle aus dem Weg! Wenn in Zukunft noch mal jemand gegen mich eine Waffe zieht, töte ich diesen Narren. Wacht auf und begreift endlich, dass ihr nicht mehr unter euch seid, sondern jeden Tag neue Gäste bekommen werdet, die sich nicht bluffen lassen. Ihr müsst euch umstellen, Leute. Oder ihr geht sehr schnell in dieser Stadt zum Teufel. Denn es ist nicht mehr eure Stadt! Es ist nicht mehr eure alte Stadt, ihr armen Narren! Sie gehört euch nicht mehr. Ihr seid nur noch dazu da, um den Gästen das Leben angenehm zu machen und ihnen die Stiefel zu putzen. Und wenn ihr es geschickt anstellt, werdet ihr dabei noch nicht mal schlecht verdienen.«

Er sieht die drei Männer des Stadtrates an – hart, kalt und grimmig.

»Schafft die beiden Hunde fort«, sagt er kalt. »Ich gebe euch den Befehl, die toten Hunde fortzuschaffen. Sie stören meinen Schönheitssinn. Vorwärts!«

Hibb Higgins stößt plötzlich einen seltsam wimmernden Laut aus, wendet sich um und wankt davon.

Nur die drei Stadträte stehen noch da, und es sieht so aus, als könnten sie nicht glauben, was sie soeben hörten.

Aber dann begreifen sie es doch. Die ganze Stadt begreift es, denn überall in der weiten Runde stehen Menschengruppen und sehen zu. Ja, ganz Waggoner City begreift, dass der erste große und wilde Wolf eingetroffen ist und diese Stadt zurechtstutzt.

Ein einziger zweibeiniger Wolf genügte und sorgte dafür, dass in Waggoner City Recht und Ordnung zerbrochen werden und der Anfang zu einer neuen Ordnung gemacht wird, einer Ordnung, die den Schwachen rechtlos macht.

»Ihr sollt die toten Hunde fortbringen«, sagt der Revolverheld mit kalter, plötzlich ausbrechender Wut.

Denn es ist eine Machtprobe, die jetzt stattfindet.

Ja, es ist eine Machtprobe.

Die drei Männer zögern, und Joe Sunday sagt bitter: »Ich will lieber zur Hölle fahren, bevor ich vor diesem Revolverhelden krieche. Aaah, Sie verdammter Revolverschwinger, Sie haben hier nur drei alte Burschen vor sich, die keine Waffen tragen. Aber gleich werden Sie von der ganzen Bürgerschaft dieser Stadt zum Teufel gejagt! Passen Sie auf, wie schnell das gehen wird!«

Nach diesen Worten wird es still.

Lee Quincannon grinst kalt. Die drei Stadträte sehen sich um.

Und nirgendwo sieht es so aus, als würde ihnen jemand helfen wollen. Bürger und Fremde stehen da und dort in Gruppen und beobachten. Aber niemand kommt näher. Alles hält sich zurück.

Denn sie alle haben begriffen, dass ein Revolvermann gekommen ist, der nicht blufft, sondern sofort schießt.