G. F. Unger Sonder-Edition 257 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 257 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Er reitet zu der kleinen Farm in den Wäldern des Elkhorn-Landes, um Lena Parson die Nachricht vom tragischen Tod ihres Mannes zu bringen. Jeremy Starr war der Deputy von Shoshone in Idaho, und hat es Bill Parson versprechen müssen, nachdem dieser wusste, dass ihm der Galgen sicher war.
Für den Mann aus Idaho ist es eine Selbstverständlichkeit, sein Wort zu halten, auch wenn es ein Bandit war, dem er es gegeben hat. Ahnungslos erreicht er die kleine Farm - und muss plötzlich feststellen, dass hier Hölle und Himmel auf ihn warten...


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Seitenzahl: 206

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Der Mann aus Idaho

Vorschau

Impressum

Der Mann aus Idaho

Am Nachmittag des 17. September 1879 wurde überraschend die Filiale der Columbia-Bank in Shoshone überfallen und ausgeraubt. Die drei Bankräuber erbeuteten etwa siebzehntausend Dollar und entkamen fast mühelos.

Etwa drei Stunden später nahm der von einem Angelausflug heimkehrende Sheriff Paul Herrington die Verfolgung auf. Er nahm kein großes Aufgebot mit – nur einen einzigen Mann, den er zum Gehilfen für drei Dollar Tageslohn verpflichtete.

Dieser Sheriffsgehilfe hieß Jeremy Starr. Da ihn Sheriff Herrington verpflichten konnte, sparte er sich ein starkes Aufgebot. Und dass es ihm möglich war, ihn zu verpflichten, war dem Umstand zu verdanken, dass der Kassierer der Bank, den die Banditen getötet hatten, Jeremy Starrs Bruder war.

Der Sheriff und sein Gehilfe stellten die drei Bankräuber zwei Tage später – das heißt: Sie spürten die Bande in ihrem Camp auf. Es kam zu einem Revolverkampf, den der Sheriff und sein Gehilfe glatt gewinnen konnten.

Als die Sache erledigt war, lebte nur noch einer der Banditen, ein Mann von etwa dreißig Jahren, der seinen Namen nicht nannte und überhaupt so stumm war, als könnte er gar nicht sprechen.

Der Sheriff und sein Gehilfe beschlossen, die Nacht am Campfeuer zu verbringen. Denn sie und ihre Pferde waren ziemlich erschöpft. Man wollte am nächsten Tag mit dem Gefangenen die Rückkehr nach Shoshone antreten.

Und der Gehilfe Jeremy Starr übernahm die erste Wache.

Die Flammen des Feuers beleuchten die Gesichter der beiden Männer, das des Gefangenen – und das harte Gesicht des Sheriffsgehilfen. Der Sheriff liegt ein Stück entfernt unter einer riesigen Fichte und schnarcht laut in die Gegend.

Über die Schnarchtöne, die der alte Jagdfalke von einem Sheriff hören lässt, könnte man zumindest amüsiert lächeln, doch die beiden Männer am Feuer haben keinen Sinn für die Lächerlichkeit dieser Schnarchtöne.

Die beiden Männer denken an andere Dinge, an bittere Dinge, die nicht mehr zu ändern sind. Der Gefangene trägt Handschellen und hockt dicht am Feuer. Er starrt in die Flammen, ein mittelgroßer, stämmiger und braunhaariger Mann. Sein breitflächiges Gesicht ist ständig der Spiegel seiner Empfindungen, und es sind Gefühle der Resignation, der Verlorenheit, der Reue, der Furcht – und der Verzweiflung.

Jeremy Starr kann diese Empfindungen mühelos von diesem Gesicht ablesen, und er empfindet dabei eine grimmige Genugtuung. Er ist ein großer, dunkler und indianerhaft wirkender Mann, ein Mann, der im Sattel lebt, ein Reiter; das sieht man ihm an. Er mag etwa dreißig Jahre zählen, ist also fast gleichaltrig mit dem Gefangenen. Es geht etwas Wildes, Unbezwingbares, Gefährliches und Verwegenes von ihm aus.

Für den Sheriff war er so wertvoll wie eine ganze Mannschaft.

Der alte Falke Paul Herrington hat sich den gefährlichsten Mann auf fünfhundert Meilen in der Runde zum Gehilfen verpflichten können, und es hat ihn wenig gekümmert, dass Jeremy Starrs Ruf als Revolverheld auch sonst nicht gerade einwandfrei ist.

Für Sheriff Herrington spielt das keine Rolle. Er ist losgeritten, um drei Bankräuber zu fangen, die einen Bankangestellten getötet haben. Und er hätte dabei auch die Hilfe des Leibhaftigen in Anspruch genommen, hätte dieser sich nur seinem Kommando untergeordnet und wäre dessen Hilfe erfolgversprechend gewesen.

Doch jetzt schläft und schnarcht der alte Verbrecherjäger.

Jeremy Starr schenkt aus der Kaffeekanne, die in der warmen Asche am Rand des Feuers steht, einen Blechbecher voll. Er nimmt ihn zwischen die großen, langen Hände, trinkt vorsichtig mit gespitzten Lippen und hält den Blick seiner grauen Augen unverwandt auf den Gefangenen gerichtet.

»Warum habt ihr ihn erschossen?«, fragt er schließlich mit merkwürdig sanfter Stimme. »Er war doch weder groß noch stark, er war ein schwächlicher Mann. Jeder von euch konnte ihn mühelos überwältigen. Warum habt ihr ihn getötet?«

Der Gefangene blickt ihn mit großen Augen an.

»Es war nicht meine Idee«, sagt er dann bitter. »Es war überhaupt alles nicht meine Idee. Aber jammern und klagen hilft jetzt wohl nichts mehr. Ich bin erledigt. Nichts kann mir noch helfen.«

»So ist es.« Jeremy Starr nickt. »Du bist erledigt. Deine zwei Partner waren sicherlich härter und schlauer als du. Sie kämpften, bis sie tot waren; denn sie wussten, dass man euch hängen wird. Aber ich fragte dich etwas. Ich fragte dich, warum ihr den Kassierer getötet habt.«

Der Gefangene antwortet nicht sogleich. Er starrt wieder ins Leere. Er sitzt mit dem Gesicht nach Süden. Doch jetzt wendet er den Kopf und blickt nach Westen.

Dort im Westen liegt Oregon.

Der Gefangene blickt auf die fernen Sterne dort im Westen. Dann atmet er langsam aus und sagt: »Im Banktresor lag ein geladener Revolver. Als der Kassierer unseren Befehlen gehorcht und geöffnet hatte, griff er die Waffe aus dem Schrank und drehte sich um, um zu schießen. Und da hat einer von uns unwillkürlich abgedrückt.«

Er verstummt gepresst.

Jeremy Starr nickt leicht. »Er war mein Bruder«, sagt er dann sehr langsam. »Er war mein um drei Jahre älterer Bruder. Und ich hätte nie gedacht, dass er solch ein Risiko eingehen würde. Ich zweifelte immer daran, dass er Mut besäße. Ich habe ihn mein ganzes Leben lang für einen Schwächling gehalten. Aber vielleicht wäre er eines Tages doch noch Filialleiter und später sogar Direktor einer Hauptstelle geworden. Er ist für seine Firma gestorben, und das bedeutet, dass er auch sonst in allen Dingen bis zu den kleinsten Nebensächlichkeiten zuverlässig, strebsam und aufopfernd war. Solche Leute machen sich immer unentbehrlich und kommen auf einem langen Wege zu einem hohen Ziel. Er war mein Bruder. Wir waren sehr verschieden, und wir haben uns auch bestimmt nicht besonders gemocht. Er war so völlig anders als ich. Doch er war mein Bruder. Deshalb half ich dem Sheriff, euch zu erwischen. Du siehst doch wohl ein, Mann, dass ich dem Sheriff in solch einem Fall helfen musste?«

Der Gefangene sieht ihn seltsam an, verwundert und staunend. Doch dann nickt er. »Gewiss, das sehe ich ein«, murmelt er.

Dann schweigen sie beide eine Weile.

»Willst du Kaffee?«, fragt Jeremy Starr schließlich.

Der Gefangene schüttelt den Kopf.

»Es tut mir leid«, sagt er dann. »Ich meine – das mit deinem Bruder – es tut mir leid. Weißt du, ich bin kein Bandit. Ich machte das zum ersten Mal. Ich war verzweifelt und konnte keine andere Möglichkeit mehr sehen, zu Geld zu kommen. Ich steckte zu sehr in der Klemme und...«

Er bricht ab und schüttelt den Kopf.

»Jammern hilft nichts«, murmelt er. »Wer für die Hölle bestimmt ist, der kann nicht entkommen.«

»So ist es«, pflichtet Jeremy Starr ihm bei, und dann betrachten sie sich wieder lange.

»Ich war es nicht, der schoss«, spricht der Gefangene. »Du kannst mir das glauben. Ich gebe dir mein Wort. Ich war es nicht. Kannst du mir das glauben? Spürst du Hass gegen mich?«

Jeremy Starr denkt über die beiden Fragen eine Weile nach. Zwischendurch nimmt er immer wieder einen Schluck Kaffee aus dem heißen Blechbecher.

Schließlich nickt er. »Ja, ich glaube dir. Du warst nicht der Bursche, der den Schuss abfeuerte. Doch es wird dir nichts nützen. Denn du gehörtest mit zur Bande. Und diese Bande verübte einen Bankraub und ermordete den Kassierer. Darauf steht die Todesstrafe – für alle Beteiligten.«

»Ich weiß.« Der Gefangene nickt. »Ich bin verloren. Ich könnte dir und diesem Sheriff ganz gewiss nicht lebend entkommen.«

»Ich hasse dicht nicht«, beantwortet Jeremy Starr unvermittelt die zweite Frage. »Ich kannte schon eine Menge wilder Jungens, die Dummheiten machten und darin umkamen. Nur eines geht mir nicht in den Kopf. Du siehst nicht wie einer dieser wilden Burschen aus. Du bist ein Typ, den ich nicht einordnen kann. Ich würde dich am ehesten für einen Farmer halten. Doch...«

»Ich bin einer«, sagt der Gefangene. Er deutet mit einer Kinnbewegung nach Westen. »Dort in Oregon. Und meine Frau ist allein auf unserer Farm. Sie wird in diesen Tagen ein Kind bekommen und...«

»Ist das eine krumme Tour, die mein Mitleid erregen soll? Versprichst du dir etwas davon, auf diese Art Barmherzigkeit zu erwecken und Mitleid zu erregen?«

Jeremy Starr fragt es mit zunehmender Schärfe. Seine Stimme wird eiskalt dabei, und sein hartes Gesicht wird unbeweglich. Nur in seinen Augen funkelt es.

Der Gefangene zuckt zusammen, senkt den Kopf und schüttelt ihn heftig.

»Ich bitte nicht um meinetwillen«, sagt er dann. »Aber meine Frau ist allein in unserer Hütte und wartet auf meine Heimkehr. Meine Ernte war in diesem Jahr recht gut. Doch der Erlös wurde von meinen Gläubigern beschlagnahmt. Wir waren also völlig ohne Mittel, und der Winter steht vor der Tür, und das Baby wird kommen. Nun, ich versuchte, Geld aufzutreiben. Es gelang mir nicht. Da ritt ich nach Idaho hinüber zu einem Onkel. Ich wollte tausend Dollar leihen. Doch mein Vater und mein Onkel waren feindliche Brüder. Ich hatte kein Glück, obwohl ich diesem Onkel einen guten Vorschlag machte und ihm von den ungeahnten geschäftlichen Möglichkeiten berichtete, die...«

Er bricht plötzlich ab, senkt den Kopf und spricht dann nach einer Pause weiter: »Mein Onkel ist ein harter Mann und ein großer Mann, ein sogenannter ›Holzbaron‹, und mein Vater hat ihn früher, als sie beide noch junge Burschen waren, einmal schlimm betrogen. Er jagte mich zum Teufel. Ich machte mich dann auf den Heimweg. Unterwegs stieß ich auf die beiden Männer, mit denen ich dann den Banküberfall wagte. Einen der Burschen kannte ich. Wir gingen einmal gemeinsam zur Schule und waren Nachbarskinder. Er und sein Freund waren richtige Banditen, Langreiter. Ich erkannte es schnell. Doch es war mir gleich. Ich versuchte sogar, von meinem einstigen Freunde ein Darlehn zu erhalten. Er lachte mich aus und machte mir dann den Vorschlag, beim Banküberfall mitzumachen. Er versprach mir, dass ich dabei mehr Geld bekommen würde, als ich mir leihen wollte, und dabei noch den Vorteil hätte, dieses Geld nicht zurückzahlen zu müssen. Nun, ich machte mit.«

Er verstummt bitter.

Und Jeremy Starr sagt knapp: »Jeder Mann ist sein eigener Hüter. Und wenn ich eine Frau besäße, die ein Kind erwartet, dann würde ich mich nicht an Unternehmen beteiligen, die mit langjähriger Haft, verbunden mit schwerer Zwangsarbeit, oder auch mit dem Tode bestraft werden.«

Es wird wieder still, die Flammen des Feuers knistern. In der Ebene unten heulen die Coyoten. Und aus den Bergen klingt der Ruf eines Pumaweibchens, schaurig kreischend und erschreckend wild. Es klingt, als schrie eine Frau in höchster Todesnot und voller Entsetzen.

Der Gefangene zuckt zusammen. Als er mit seinen Händen das Gesicht bedeckt, klirren die Handschellen. Eine Weile sitzt der Mann so da.

Doch dann nimmt er die Hände herunter und sagt: »Ich habe ständig darüber nachgedacht. Lena wird schon irgendwie durchkommen. Sie wird es irgendwie schaffen und das Kind zur Welt bringen. Doch sie sollte wohl wissen, dass es keinen Sinn für sie hat, auf mich zu warten und noch mit mir zu rechnen. Wenn Lena erst weiß, dass sie allein ist, wird sie über sich hinauswachsen.«

Er blickt Jeremy Starr an.

»Wollen Sie mir einen Gefallen tun?«

»Wenn Sie nicht von mir verlangen, Sie entweichen zu lassen«, erwidert Jeremy Starr kühl.

»Das werde ich nicht verlangen«, murmelt der Gefangene. »Mein Name ist Parson, Bill Parson. Ich besitze im Quellgebiet des Blue Creek eine Farm. Wenn ich tot bin, dann reiten Sie zu meiner Frau und sagen ihr, dass mein Pferd gestürzt und ich in einen Abgrund gefallen wäre. Sagen Sie ihr, dass sie nicht länger auf mich warten soll. Und verschweigen Sie bitte sonst alles. Verraten Sie auch dem Sheriff meinen Namen nicht. Sehen Sie, es ist für das Kind besser, wenn es nicht als Kind eines Banditen und...« Die Stimme versagt ihm.

Jeremy Starr aber betrachtet ihn seltsam nachdenklich und zweifelnd. Sein Gesicht drückt ganz deutlich erkennbar Widerwillen aus.

Und indes er noch in sich hineinlauscht und sich fragt, ob er den Auftrag annehmen soll, erklärt ihm Bill Parson schnell und knapp, wie er zum Ziele kommen könnte. Er beschreibt ihm also genau den Weg.

Als Parson verstummt, ist Jeremy Starr sich endlich schlüssig: »Nun gut, ich werde hinreiten und der jungen Frau sagen, dass sie auf ihren Mann nicht zu warten braucht«, murmelt er leise.

Als er es gesagt hat, hört der Sheriff auf mit dem lauten Schnarchen. Bald darauf erhebt er sich und kommt ans Feuer.

»Jetzt löse ich dich ab, Jeremy«, sagt er. »Und bei Tagesanbruch reiten wir weiter.« Er steht nun am Feuer und betrachtet den Gefangenen hart. Er ist ein nur mittelgroßer, drahtiger und säbelbeiniger Mann, ein richtiger Jagdfalke, und er hat seit zwei Jahrzehnten überall den Stern getragen. Er ist immer ein Gesetzesmann gewesen und hat Banditen gejagt. Er hat die gutgearteten Menschen vor den bösgearteten beschützt. Und er ist unversöhnlich gegen diese böse Sorte und kennt kein Mitleid.

»Willst du mir immer noch nicht deinen Namen und die Namen deiner Kumpane verraten?«, fragt er jetzt.

Der Gefangene, der sich Bill Parson nannte, blickt ihn stumm an. Er weiß, dass dieser alte Jagdfalke kein Mitleid und keine Gnade kennt. Dann blickt der Gefangene auf Jeremy Starr, forschend und abschätzend.

Doch Jeremy Starr sagt nichts, kein Wort. Er geht wortlos davon und legt sich außerhalb des Feuerscheins zur Ruhe.

Dieser Sheriff und sein so indianerhaft wirkender Gehilfe sind vorsichtig. Sie haben immerhin nicht nur einen Gefangenen, sondern auch die siebzehntausend Dollar bei sich, die sie den Banditen wieder abnehmen konnten.

Und hier in diesem Territorium gibt es noch genug Banditen, die ein Camp aus geringeren Anlässen überfallen.*

Der Gefangene sagt nun ruhig zum Sheriff: »Ihr werdet meinen Namen von mir nicht erfahren. Ich möchte doch lieber unerkannt...«

Er verstummt gepresst, und er bringt es nicht fertig, den angefangenen Satz zu beenden. Denn es wären zu bittere Worte geworden, zu bitter und hoffnungslos.

Denn er hätte enden müssen: »... durch den Strang enden.«

Der Sheriff begreift, was der Gefangene sagen wollte und nicht aussprechen konnte. Er nickt leicht und murmelt: »Das ist der Kummer mit euch Dummköpfen. Das ist immer der gleiche Kummer. Ihr überlegt euch immer zu spät oder überhaupt nicht, dass solch eine Sache zumeist nicht klappt und dass man für Tote, die man auf der Fährte hinter sich lässt, den vollen Preis zahlen muss – ja, den vollen Preis!«

Er setzt sich langsam ans Feuer, nimmt sein Gewehr über die Knie und steckt sich wenig später einen Zigarrenstummel an.

»Mir ist es gleich, ob du uns deinen Namen sagst oder nicht«, erklärt er dann trocken. »Es war meine Pflicht, euch zu verfolgen, einzufangen und die Beute wieder abzunehmen. Alles, was jetzt noch getan werden muss, ist die Sache eines Richters und einer Jury. Und nun solltest du dich hinlegen und etwas Schlaf zu nehmen versuchen. Das wird morgen ein harter Ritt durch die Berge. Das wird ein sehr harter Ritt, mein Junge.«

»Nicht so sehr hart«, murmelt der Gefangene.

Am frühen Morgen, kaum dass die Sonne sich zeigt, brechen sie auf. Sie haben den Gefangenen zwischen sich. Jeremy Starr, der das Land wie seine Westentasche kennt, reitet zuerst. Der Gefangene folgt ihm, und er sitzt mit gefesselten Händen im Sattel. Den Schluss macht der grauhaarige Sheriff.

Noch am frühen Vormittag geschieht es dann.

Als sie auf einem schmalen Felsband dicht neben einem Abgrund reiten müssen, hört Jeremy Starr hinten den Sheriff wild und überrascht rufen: »Tu es nicht, Junge! Tu es nicht, du Narr! O zur Hölle, er hat es wahrhaftig getan!«

Jeremy Starr wandte sich schon beim Ertönen der ersten Worte im Sattel um, und er konnte sehen, wie der Gefangene sich zur Seite und vom Pferd in den Abgrund fallen ließ.

Ein schriller und notvoller Entsetzensschrei gellt noch zu den beiden Reitern empor, die jetzt damit zu tun haben, die Pferde zu beruhigen.

Dann hören sie unten den Aufschlag, und eine Gerölllawine begräbt dann obendrein auch noch den Körper dort unten.

Nach einer Weile wird es still.

»Dieser Narr«, sagt der Sheriff bitter. »Dieser Narr hat sich das Leben genommen.«

»Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass er zuletzt ein Narr war«, murmelt Jeremy Starr nachdenklich. »Vielleicht war das, was er jetzt tat, ein echtes Opfer gegenüber anderen Personen, die ihm sehr nahestehen.«

Sie sind nun beide abgesessen und blicken in die Tiefe.

»Ja, er nannte seinen Namen nicht. Vielleicht hatte er Frau und Kind, die er schützen wollte«, murmelt der Sheriff. »Und wenn er lebenslänglich ins Zuchthaus gekommen oder gar gehenkt worden wäre – nun, ich kann mir vorstellen, dass eine gute und achtbare Frau darüber sehr unglücklich geworden wäre. Und wenn er Kinder hatte, nun, dann...«

Er bricht ab, denn er ertappt sich dabei, dass er irgendwie Gefühle und eine gewisse Weichheit zeigte und im Begriff war, noch mehr zu zeigen. »Reiten wir weiter! Wir brauchen gar nicht dort unten nachzusehen. Wir könnten nicht einmal die vielen Tonnen Geröll fortschaffen. Der Mann ist tot. Ich werde das alles in meinem Bericht erwähnen und zu den Akten legen. Diese Sache ist so gut wie abgeschlossen und erledigt.«

Er will sich zu seinem Pferd wenden, um aufzusitzen.

Doch Jeremy Starr sagt schnell: »Dann brauchen Sie mich jetzt nicht mehr, Paul, nicht wahr?«

Die Falkenaugen des alten und erfahrenen Verbrecherjägers werden einen Moment sehr schmal. Dann wendet er den Kopf und blickt in den Abgrund nieder.

Jeremy Starr weiß, dass Paul Herrington jetzt über verschiedene Dinge und Möglichkeiten nachdenkt – auch über die Möglichkeit, dass Jeremy Starr inzwischen den Namen des Gefangenen in Erfahrung brachte und vielleicht sogar einen bestimmten Auftrag übernahm.

Und der Sheriff könnte jetzt Fragen stellen. Er könnte seinen auf Zeit verpflichteten Gehilfen an den Eid erinnern. Und dann könnte er Fragen stellen, die Jeremy Starr beantworten müsste.

Doch er ist fair, dieser alte Falke. Er ist sehr fair. Er honoriert seinem Gehilfen die geleisteten Dienste gut. Er muss sie ihm auch gut honorieren; denn ohne Jeremy Starrs Hilfe hätte er es diesmal nicht geschafft. Er ist alt geworden. Auf diesem Ritt hat er dies erkennen müssen. Ohne Jeremy Starrs Beistand wäre er jetzt bestimmt nicht mehr am Leben und könnte auch das geraubte Geld nicht zurückbringen.

Er weiß das. Die beiden anderen Burschen der Bande waren gefährlich; es waren hartgesottene Revolverhelden.

Der Sheriff sieht Jeremy Starr an. »Wenn du willst«, sagt er, »dann kannst du den Stern wieder zurückgeben, und ich entlasse dich dann aus dem Amtseid.«

»So will ich es«, sagt Jeremy Starr sanft. Sie blicken sich dabei an. Jeremy wird sich darüber klar, dass der alte Sheriff ganz genau Bescheid weiß. Diesem Oldtimer kann man nichts vormachen. Er wittert und ahnt so ziemlich, um was es geht und wie die Sache liegt.

Doch er ist fair. Jeremy Starr hat das immer gespürt, bei aller Härte und Unversöhnlichkeit, die Paul Herrington ausströmt, er hat immer irgendwie gespürt, dass der alte Jagdfalke im Grunde fair und gut ist.

Er nimmt den Blechstern von der Weste und legt ihn in die alte, hagere und narbige Hand.

»Paul, ich bin gerne mit Ihnen geritten«, sagt er. »Doch nun möchte ich wieder meinen eigenen Weg reiten. Es ist unnötig, dass ich mit nach Shoshone zurückreite. Ich habe mir gerade überlegt, dass ich mal nach Oregon reiten sollte.«

Der Sheriff nickt. Er steckt den Stern ein und geht zu seinem Pferd. Dort sitzt er auf und blickt auf Jeremy Starr nieder. An des Sheriffs Sattelhorn hängt der dicke Leinenbeutel mit dem Beutegeld. Hinter dem Sattel hat der Sheriff sein Bündel festgeschnallt. Und eine dicke Uhrkette, an der sich eine wirklich wertvolle Uhr befindet, die er einmal von der Bürgerschaft eines Distriktes zum Dienstjubiläum erhielt, hängt vor seiner Weste.

»Viel Glück, Jeremy«, sagt er. »Ein junger Mann wie du, der muss immerzu reiten. Ich kenne das. Ich musste früher auch immerzu unterwegs sein, und manchmal, da ritt ich haarscharf auf dem Zaun zwischen Gut und Böse. Einige Male hätte ich mir an diesem Zaun fast die Hose zerrissen und den Hintern verletzt – es war haarscharf. Und so war es auch schon einige Male mit dir, mein Junge. Ich bin sehr froh, dass ich dich einmal auf Banditenjagd mitnehmen konnte. Damals, als ich so war wie du, da hat mich auch ein Sheriff als Gehilfen mitgenommen, und als die Jagd vorbei war, da wusste ich Bescheid. Hoffentlich weißt auch du jetzt Bescheid, mein Junge.«

Er hebt leicht die Zügel. Doch bevor sich sein graues Pferd in Bewegung setzt, sagt er fest: »Viel Glück, Jeremy! Sei nur immer gut, Cowboy! Und das Pferd des Gefangenen kannst du mit dir nehmen. Es würde in unserer Stadt nur auf Stadtkosten im Mietstall Futter fressen. Man weiß ja nicht, wer die Erben dieses Mannes sind. Vielleicht aber findest du – ganz zufällig natürlich – dort in Oregon Menschen, die dieses Pferd kennen. Dann schreib mir mal, mein Junge.«

Nach diesen Worten nickt er knapp und reitet weiter. Und er hat eine sehr lange Rede gehalten. Er hat zuletzt mit Jeremy Starr viel Zeit verschwendet. Doch vielleicht war die Zeit gar nicht verschwendet, vielleicht war sie sehr nutzbringend verwandt. Er reitet bald darauf um die Ecke einer Felsnase.

Jeremy Starr aber blickt hinunter in den Abgrund.

Dann sagt er langsam: »Du siehst, Bill Parson, selbst dieser alte Banditenfänger ist nicht übel. Er hat was gewittert, doch er forschte nicht nach. Er ist kein sturer Gesetzesmann, der das Gesetz wie einen Götzen anbetet und unmenschlich sein kann. Er war zum Schluss sehr fair und menschlich. Nun, Bill Parson, ich will mit deinem Pferd nach Oregon hinüber und zu deiner Frau reiten. Ich will ihr sagen, dass du vom Pferd in den Abgrund fielst. Und der Herr im Himmel möge mir meine Lüge verzeihen.«

Zwei Tage lang reitet Jeremy Starr durch die Blue Mountains nach Westen und folgt dabei der gewundenen Wagenstraße, einer nördlicheren und sehr viel beschwerlicheren Route des Old-Oregon-Trails, der von Laramie herkommt.

Am Abend dieses zweiten Tages erreicht er ein Holzfällerlager, welches abgebrochen wird. Dies ist auch erklärlich, denn weit und breit in dem langen Tal, durch welches ein beflößbarer Creek fließt, ist der Wald abgeholzt und das Land kahl.

All diese mächtigen Douglas-Tannen oder Sugar-Fichten, die eine Höhe bis zu dreihundert Fuß erreichten und die einen Durchmesser bis zu zehn Fuß hatten – wie man an den Stümpfen mühelos messen kann –, wurden umgelegt, so als wären die Jahrhunderte ihres Lebens nichts, gar nichts. Jeremy Starr bleibt die Nacht über in diesem Holzfällerlager. Er bekommt ein gutes Essen und wird dafür ausgefragt über all die Neuigkeiten in der Welt. Denn die Männer hier haben viele Wochen und Monate in den Wäldern gesteckt und die beiden Sägemühlen am Creek bedient.

Selbst die alten Neuigkeiten, die Jeremy Starr ihnen berichtet, sind brandneu für sie.

Er aber hört auch allerlei Wissenswertes. Es sind drei Dinge, die er zur Kenntnis nimmt und über die er sich seine besonderen Gedanken macht:

1. Diese Holzfällermannschaft gehört zur Jackson-E.-Parson-Holzgesellschaft, und sie ist nur eine der vielen Mannschaften, die überall arbeiten, wo die Gesellschaft Waldbesitz oder die Rechte zum Abholzen erwerben konnte.

2. Die Mannschaft bricht ihr Hauptlager und die Sägemühlen ab, um neue Abholzgebiete aufzusuchen.

3. Diese neuen Abholzgebiete befinden sich am Blue Creek, rings um dessen Quellgebiet, wo es nur eine kleine Stadt, einige Farmen und Ranches und einige einsame Camps geben soll.

Als Jeremy Starr dies alles hört, weiß er bald darauf einigermaßen Bescheid. Denn er erinnert sich noch recht gut daran, dass Bill Parson davon sprach, dass sein Onkel ein sogenannter »Holzbaron« sei, dem er einen günstigen geschäftlichen Vorschlag gemacht und von dem er dennoch kein Geld bekommen habe, sondern davongejagt worden sei.

Für Jeremy Starr sieht es so aus, als würde Bill Parsons Onkel die geschäftlichen Möglichkeiten, von denen ihm sein Neffe berichtet hatte, sofort erkannt haben. Es musste dann reiner Zufall gewesen sein, dass gerade eine der vielen Holzfällermannschaften mit einem Abholzauftrag fertig war und verlegt werden musste.

Denn es gibt keinen Zweifel daran, dass die Mannschaft dorthin beordert ist, wohin auch Jeremy Starr reiten will.

Jeremy Starr zieht sich dann etwas vom Feuer zurück. Die Holzfäller sind nun auch müde und haben genügend Neuigkeiten aus dem Westen gehört. Sie alle gehen zur Ruhe.

Nur der Koch hantiert noch unter dem Schutzdach, unter dem ein richtiger Herd gemauert wurde, dessen Kamin für guten Zug sorgt.

Jeremy Starr muss immerzu an Bill Parsons Onkel denken, an jenen mächtigen Holzbaron, der den um Hilfe bittenden Neffen zum Teufel jagte, sich dann jedoch beeilte, einer Holzfällermannschaft per Eilboten bestimmte Anweisungen zu geben, die sicherlich mit den geschäftlichen Vorschlägen seines Neffen zusammenhängen.

Er muss ein harter und mitleidloser Bursche sein, dieser Jackson E. Parson, denkt Jeremy Starr. Er muss kalt und hart sein, über Leichen gehen und keine Gnade kennen. Er ist mal von seinem Bruder betrogen worden und hat noch den Sohn seines Bruders mit Hass verfolgt und keine Gnade gekannt. Doch das hinderte ihn nicht, die geschäftlichen Möglichkeiten wahrzunehmen, auf die er aufmerksam gemacht worden war. Oh, es sieht so aus, als gäbe es viel Wald im Quellgebiet des Blue Creek, als gäbe es auch Möglichkeiten für Sägemühlen und für den Transport zu den Häfen und zu der kommenden Eisenbahn.*