G. F. Unger Sonder-Edition 258 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 258 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Es ist Winter geworden in Montana, und es ist von Anfang an ein besonders harter und schneereicher Winter. Der Flathead Lake ist schon sehr früh in seiner ganzen Länge von dreißig Meilen zugefroren, und nachdem die starken Schneefälle endlich aufgehört haben, hat man eine weite Fernsicht.
Von dem kleinen Nest Kalispell aus kann man den Citadel Mountain und den Fusillade Montain fast greifbar nahe über die Glacier Region mit ihren Gletscherseen hinausragen sehen. Das nördliche Montana bis nach Kanada hinüber ist ein grandioses Naturtheater, eine Welt voller Anmut und Größe.
Und alles wäre gut und wunderschön, wenn es die Menschen nicht gäbe.


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Seitenzahl: 184

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Und alle sollen sterben

Vorschau

Impressum

Und alle sollen sterben

Es ist Winter geworden in Montana, und es ist von Anfang an ein besonders harter und schneereicher Winter. Der Fla‍thead Lake ist schon sehr früh in seiner ganzen Länge von dreißig Meilen zugefroren, und nachdem die starken Schneefälle endlich aufgehört haben, hat man eine weite Fernsicht.

Von dem kleinen Nest Kalispell aus kann man den Citadel Mountain und den Fusillade Mountain fast greifbar nahe über die Glacier Region mit ihren Gletscherseen hinausragen sehen. Das nördliche Montana bis nach Kanada hinüber ist ein grandioses Naturtheater, eine Welt voller Anmut und Größe.

Und alles wäre gut und wunderschön, wenn es die Menschen nicht gäbe.

Wes Teague liebt dieses Land. Es ist sein Land, und er nennt es wie alle Bergläufer der sogenannten »Hirschleder-Brigade« Big Sky, was ja so viel wie großer Himmel bedeutet.

Dennoch befindet er sich jetzt nicht in seiner festen Jagdhütte in seinem einsamen Jagdtal, so wie in den vergangenen Jahren, um dort kostbare Pelze und Biberfelle zu erjagen.

Nein, in diesem Winter ist alles anders.

Im frühen Herbst musste er mit einem ausgewachsenen Grizzly kämpfen und wurde dabei schwer verletzt. Ein gewisser Pierce Read – ein Bergläufer und Trapper wie er – fand ihn rechtzeitig und brachte ihn auf einer Schleppbahre nach Kalispell.

Jetzt ist Wes Teague wieder gesund und im Besitz all seiner Fähigkeiten. Doch es ist zu spät, um in sein fernes und einsames Tal zu ziehen. Er hätte das vor zwei Monaten tun müssen mit drei schwerbeladenen Packtieren. Er hätte Holz für einen langen Winter schlagen, seine sämtlichen Fallen instand setzen und noch viele andere Dinge erledigen müssen.

Überdies gefällt es Wes Teague in diesem kleinen Nest Kalispell, und warum sollte er nicht mal einen Winter lang auf der faulen Haut liegen? Es gibt in Kalispell eine ganze Menge Zerstreuung in den Saloons und der Spielhalle, auch in Ev Hoppers Etablissement, in dem es Mädchen aller Hautfarben gibt, sogar eine russische Gräfin, die im vergangenen Jahr aus Alaska kam, welches ja erst vor einem Jahr von Russland an die USA verkauft wurde.

Wes Teague gefällt es also in diesem Winter in Kalispell, zumal er eine Menge Glück hat beim Spiel, so als wäre ihm das Schicksal wohlgeneigt. Denn ganz gleich, ob er es beim Poker, am Roulettetisch oder beim Würfeln versucht, er gewinnt stets mehr, als er zum Leben benötigt. Aber er könnte sich auch ohne diese Spielgewinne mehrere faule Winter leisten. Sein Guthaben bei der Pelz-Company beträgt an die siebentausend Dollar. Der Agent würde sie ihm sofort in bar auszahlen, sollte er dies wünschen.

Es geht Wes Teague also gut. Er hat eine Menge Spaß und lag auch schon einige Nächte mit der angeblichen russischen Gräfin im Bett, was ihn stets zwanzig Dollar und den Preis für die Getränke kostete.

In Kalispell sind ein Menge Goldgräber aus den Bitter Roots, die hier den Winter verbringen, weil sie sich das leisten können. Auch einige Trapper und Glücksjäger sind hier, Holzfäller und Flößer vom Bitter Roots River – und eine ganze Anzahl von Männern, die wahrscheinlich von irgendwoher nach hier geflüchtet sind, weil sie Schatten auf ihren Fährten haben. Einige von ihnen könnten desertierte Soldaten sein, steckbrieflich gesuchte Banditen und Revolverhelden.

Kalispell ist ein gesetzloses Nest.

Aber seine Bewohner halten Frieden untereinander, so als gäbe es eine stillschweigende Übereinkunft unter ihnen, dass sie sich alle hier einen langen Winter gemütlich machen wollten.

Denn wenn dies nicht von allen beachtet werden sollte, dann würde sich Kalispell gewissermaßen in ein Pulverfass verwandeln, das eines Tages mit einem lauten Knall in die Luft geht.

Sie wissen es alle. Und so bleiben sie vorerst noch friedlich.

Wes Teague tritt am späten Nachmittag aus dem Hotel, in dem er eine winzige Kammer bewohnt.

Die Sonne ist auf ihrem flachen Bogen längst hinter der Bitter Root Range versunken. Es wurde dunkel.

Er sieht einen Reiter kommen, dessen Pferd am Ende seiner Kräfte ist. Als der Reiter bei Wes angelangt ist, da erkennt er ihn endlich trotz des dichten, eisverkrusteten Vollbarts, dessen Eis nichts anderes als gefrorener Atem ist.

Denn wahrscheinlich lief dieser Mann auch viele Meilen, um sein Pferd zu schonen, durch den tiefen Schnee und keuchte dabei seinen Atem in die kalte Luft.

Der Reiter ist Pierce Read, ja, genau jener Bergläufer, der Wes Teague damals halbtot nach Kalispell brachte und ihm somit das Leben rettete.

Teague grinst blinkend zu Read hinauf.

»He«, sagt er, »jetzt können wir wohl die große Feier veranstalten, die ich dir damals versprochen habe, nicht wahr? Aber erst wirst du wohl mal ausschlafen müssen. Steig ab. Ich bring dein Pferd in den Mietstall und lasse es gut versorgen. Du kannst dich in mein Bett legen. Sage nur dem Portier Bescheid. Du bekommst sonst nirgendwo ein Bett. Kalispell ist überfüllt. Also geh schon! Das Abendbrot bringe ich dir hinauf. Solltest du schlafen, wecke ich dich. Du siehst verhungert und erledigt aus.«

»Das bin ich auch«, krächzt Pierce Read. »Der Schnee lag manchmal zwei Yard hoch, und so kam ich mir mit meinem Pferd wie ein Maulwurf vor. Verdammt, ich bin wirklich erledigt.«

Nach diesen Worten rutscht er aus dem Sattel. Als er am Boden steht, muss er sich einige Atemzüge lang an seinem Pferd festhalten. Denn wahrscheinlich hat er das Gefühl, als würde sich der Boden unter seinen Füßen mit ihm drehen wie eine Karussellplatte.

Er schwankt dann ohne ein weiteres Wort zum Hoteleingang und verschwindet.

Wes Teague aber verharrt noch einige Sekunden lang bei dem Pferd und klopft dem Tier den Hals und die Brust.

»Gleich geht es dir besser, mein Freund«, murmelt er. »Woher kommst du wohl mit diesem Pierce? Es muss verdammt weit sein – und von hoch oben in den Bergen. Vielleicht von Kanada herüber? – Aber weiß man denn in diesem Winter überhaupt richtig, wo die Grenze ist?«

Er führt das stolpernde Tier zum Mietstall, und als er dort den einen Torflügel öffnen will, da knurrt die Stimme des Stallmannes böse: »Nichts geht mehr! Wir sind voll! Bleib draußen, wer du auch bist mit dem Gaul!«

Aber Wes Teague lässt sich nicht beirren, sondern führt das erschöpfte und mit Schnee und gefrorenem Schweiß bedeckte Tier in den Vorraum des Stalles. Hier steht auch die große Futterkiste, auf der außer dem Stallmann noch zwei andere Männer hocken und Karten spielen im trüben Licht zweier Stalllaternen. Sie werden sofort böse, und einer der beiden anderen Männer fragt den Stallmann: »Leroy, sollen wir diesen Spaßvogel mit seinem Gaul rauswerfen? Das geht sehr schnell. Sollen wir?«

Der Stallmann kennt Teague schon einigermaßen. Auch sein Pferd steht ja hier in einer der Boxen, und selbst wenn er nicht ausritt, besuchte er es jeden Tag und bewegte es in einem der Corrals. Der Stallmann weiß also Bescheid. Und so sagt er: »Den schafft ihr nicht.«

Er will sich nun an ihn wenden, vielleicht, um einzulenken und ihm zu sagen, dass er eventuell doch noch ein Plätzchen für das arme Pferd schaffen würde.

Doch die beiden Kerle fühlen sich durch seine warnenden Worte herausgefordert oder gar so etwas wie degradiert und herabgesetzt in ihrer Bedeutung.

Sie erheben sich von der Futterkiste.

Und einer knurrt: »Raus hier mit dem stinkenden Gaul, raus hier! Bis eben war es hier so gemütlich, und jetzt kommst du, Langer. Du schmeckst uns schon eine ganze Weile wie Schmierseife.«

Ja, sie kennen sich bisher nur vom Sehen, weil sie ja in einer Stadt leben und zwangsläufig die gleichen Saloons, die gleiche Spielhalle und auch Ev Hoppers Schöne besuchen.

Bisher waren sie umeinander geschlichen. Doch irgendwie hatten sich diese beiden Kerle von ihm stets herausgefordert gefühlt.

Nun greifen sie ihn an, wollen ihn gegen das müde Pferd drängen und so einkeilen. Sie sind zwei Narren, denen es ohne Verdruss hier in Kalispell zu langweilig wurde.

Aber Wes hat vor drei Monaten noch mit einem Grizzly gekämpft, wobei er nur ein Messer hatte und doch Sieger blieb. Dabei hatte ihn der Grizzly von hinten angegriffen und schon mit dem ersten Tatzenschlag fast getötet.

Was sind diese beiden Narren schon gegen einen ausgewachsenen Grizzly? Teague gibt es ihnen. Sie rennen fast zu gleicher Zeit gegen seine rechte und linke Gerade und fallen auf den Rücken, werfen sogar noch die Beine hoch. Er spürt seine Rammstöße bis in die Schulterblätter und hätte sich nicht gewundert, würde er ihnen die Köpfe von den Schultern gestoßen haben.

Aber es sind harte Burschen, und sie kommen wieder hoch.

Und so schlägt er sie immer wieder von den Beinen, kaum dass sie stehen. Weil sie zum Glück nie wieder zur gleichen Zeit hochkommen, hat Wes kaum Mühe, sie nacheinander plattzumachen. Dann bleiben sie endlich liegen und wissen von nichts mehr.

Er holt sich ihre Revolver und wirft diese durch das noch offene Stalltor hinaus in den Schnee.

Dann nickt Wes dem Stallmann zu.

»Ist die Futterkiste noch voll?«

»Nur noch zu einem Viertel«, erwidert der heiser.

»Dann hoch mit dem Deckel«, verlangt Wes Teague.

Leroy gehorcht schweigend. Doch dann murmelt er: »Ich habe immer gespürt, dass Sie ein harter Bursche sind – aber für so hart hielt ich Sie nun doch nicht.«

Teague grinst nur und wirft die beiden Bewusstlosen nacheinander in die Futterkiste, schließt den Deckel und sichert diesen mit dem Riegel, so dass man ihn von innen nicht öffnen kann.

»Also los«, wendet er sich wieder an Leroy, den Stallmann, »jetzt versorgen wir beide das Pferd. Es hat es verdient. Hast du kein Herz für Pferde, obwohl du hier im Stall arbeitest?«

Aber der Stallmann knurrt nur böse. Dennoch hilft er dann, das Pferd zu versorgen, also abzusatteln, abzureiben und durchzumassieren.

Als sie fertig sind und dem Tier einen Futtertrog hinstellen, in dem sich Hafer und Mais befinden, da beginnt das Tier tatsächlich zu fressen.

In der großen Futterkiste aber poltert, brüllt es dumpf und fluchen zwei Stimmen.

»Das sind jetzt zwei Todfeinde«, sagt der Stallmann und grinst. »Die vergessen dir das nicht. Die wollen jetzt deinen Skalp, Lederstrumpf.«

Teague betrachtet den Stallmann im Laternenschein. Aber Leroy hält dem Blick nicht lange stand.

»Am besten bleiben diese beiden Narren in der Kiste«, murmelt Teague. »Denn wenn sie wieder frei sind und es mit den Revolvern versuchen sollten, dann würden sie schnell tot sein.«

Nach diesen Worten geht er. Und der Stallmann verharrt eine Weile sehr nachdenklich.

Als er dann die beiden fluchenden Kerle aus der Kiste lässt, kann er unschwer in deren Gesichtern erkennen, wie tief dort Teagues Fäuste ihre Spuren hinterlassen haben. Die beiden Männer werden nie wieder so aussehen wie vorher.

»Wo sind unsere Revolver?« So faucht einer heiser.

»Draußen im Schnee«, erwidert der Stallmann. »Aber ihr solltet ihn zufriedenlassen. Er würde euch töten. Er sagte es, und ich glaube es ihm. Nehmt die Niederlage hin. Auch ich musste es.«

Sie starren ihn an, böse – und einen Moment sieht es so aus, als wollten sie sich auf ihn stürzen.

»Auf dich konnte man sich noch nie verlassen, Leroy«, knurrt einer. »Das war damals schon so, als wir bei der Armee waren.«

Sie gehen hinaus, um im Schnee ihre Revolver zu suchen.

Leroy aber ruft ihnen nach: »Was kann ich dafür, dass ihr euch mit dem falschen Mann angelegt habt? He, was kann ich dafür?«

Und er zieht hinter ihnen das Stalltor wieder zu.

Dann betrachtet er das erschöpfte Pferd, das aus dem Futtertrog die Körner frisst.

»Du verdammtes Miststück«, knurrt er. »Wegen dir kam das alles. Ich sollte dir das Leben hier schwermachen, verdammt.«

Aber er wagt es dann doch nicht, diesem Tier etwas anzutun, sei es mit Tritten oder der Peitsche. Er verspürt zu große Furcht vor Teague.

Und er ist ja eigentlich nur ein Deserteur der Armee, der hier den Job als Stallmann erhielt.

Indes geht Teague wieder zum Hotel, und wenig später betritt er mit einem Tablett die kleine Kammer und bringt seinem Kollegen das Abendessen.

Pierce Read schläft fest, aber er weckt ihn, denn er weiß, dass dieser Mann eine Menge von seiner Substanz verbraucht hat, so wie das Pferd, und neue Säfte benötigt, um sich dann bei einem langen Schlaf zu regenerieren.

Er weckt ihn also. Zuerst flucht Pierce Read böse, dann aber beginnt er dankbar zu essen. Und nach einigen Bissen ächzt er: »Du weißt genau, was gut ist für einen Mann in meinem Zustand. Ja, du weißt es, Teague.«

Mehr Worte reden sie nicht.

Pierce Read verputzt schnaufend das Essen und legt sich dann wieder lang. Von einem Atemzug zum anderen schläft er wieder ein.

Teague aber macht sich auf den Weg zum Spielsaloon.

Er hat schon gegessen, bevor er Pierce Read das Abendbrot brachte.

Im Spielsaloon warten einige Spieler auf ihn, denen er noch Revanche schuldig ist. Und Teague blieb noch nie jemandem etwas schuldig – nicht im Bösen und auch nicht im Guten.

Es ist etwa eine Stunde nach Mitternacht, als Wes Teague wieder einmal die Karten mischt. Dabei schweift sein Blick kurz in die Runde. Er sitzt mit vier Mitspielern am Tisch und kann von seinem Platz aus den ganzen Spielraum übersehen, den man auch vom benachbarten Saloon betreten kann, wo es einige Animiermädchen gibt, die sich jedoch mit den Mädchen in Ev Hoppers Etablissement nicht messen können.

Aus dem Saloon tritt nun ein Fremder in den Spielraum.

Ja, es ist ganz sicher ein Neuankömmling in Kalispell, denn Teague sah ihn hier noch nie. Auch sieht man dem Neuen an, dass er einen langen und harten Weg hinter sich hat, so etwa wie Pierce Read.

Aber was für ein Mann ist dieser Ankömmling?

Teague betrachtet ihn staunend und hält sogar mit dem Kartenmischen inne.

Nun werden auch seine Mitspieler aufmerksam und blicken zum Durchgang, in dem der Mann verhält. Zwei von ihnen müssen sich auf ihren Stühlen umwenden.

Und auch sie alle staunen.

Dann fragte einer: »He, was ist das? Ein Mann?«

Sie staunen immer noch.

Dann erwidert ein anderer Spieler: »Doch, der da ist ein Mensch, ein männliches Menschenwesen, denke ich. Nein, der ist kein Affe, wie wir sie ja in unserem Land hier nur von Bildern kennen. Und er scheint die gelbe Haut eines Chinesen zu haben. Dazu passen auch seine Schlitzaugen. Seht, er hat nur einige lange Barthaare am Kinn. Sonst ist er glatt wie ein Arsch im Gesicht. Und er wiegt bestimmt drei Zentner. Oh, was für ein Ungetüm ist das?«

Die anderen nicken und staunen dann immer noch.

Der schlitzäugige Blick des Neuen richtet sich auf alle Anwesenden im Raum. Es sind ja noch weitere Spieltische besetzt. Auch beim Roulette und den Faro- und den Blackjacktischen stehen Spieler.

Sie alle staunen das menschliche Ungetüm an, das zottige Fellkleidung trägt. Unter der Pelzmütze hängen Haare hervor, fallen bis auf die Schultern nieder. Es sind stark abfallende Schultern, in denen eine gewaltige Kraft vermutet werden kann.

Der Spieler neben Teague murmelt: »Der sucht jemanden. Da wette ich. Der ist auf einer Fährte und sucht jemanden hier in Kalispell. Es wäre sehr interessant zu wissen, wer hier vor ihm in den letzten Stunden angekommen ist. Wisst ihr von jemandem, auf den das zutrifft?«

Obwohl Teague ihm darauf eine Antwort geben könnte, schweigt er.

Aber er denkt: Kann es sein, dass Pierce Read auf der Flucht war, als er hier ankam?

Irgendwie verspürt er instinktiv, dass es so sein könnte. Denn Read war mehr als nur erschöpft.

Der Fremde hat sie nun alle angesehen der Reihe nach. Er will gehen, doch dann wendet er sich zu der kleinen Bar in der Ecke, die nur für die Spieler zur Verfügung steht.

Er tritt mit geschmeidigen Bewegungen hin, ergreift eine noch halbvolle Brandyflasche und beginnt sie zu leeren, so als wäre der Inhalt Wasser.

Als er sie abstellt, greift er in die Tasche seiner Felljacke und holt eine Münze hervor, knallt diese mit einem hörbaren Klatschen auf die Bar.

Dann erst geht er.

Als er verschwunden ist, tritt einer der Angestellten des Hauses, der auch die Spieler an den Tischen bedient, an die Bar und nimmt das Geldstück, betrachtet es.

Jemand fragt herüber. »He, Jorge, was ist das?«

»Ein Goldstück«, erwidert Jorge. »Ein russisches Goldstück.«

Nun herrschen wieder einige Sekunden Stille. Sie alle denken nach.

Dann sagt jemand laut genug, so dass sie es alle hören können: »Dann kommt dieses Ungetüm aus dem fernen Alaska. Ob es dort noch mehr solche Menschen gibt? Kann es sein, dass sie dort vielleicht alle so aussehen? Ihr wisst doch, im vergangenen Jahr hat unsere Regierung den Russen Alaska abgekauft. – Und wenn dies so ist, dann ist dieser Bursche ein Amerikaner wie wir, hahahaha!«

Er lacht brüllend.

Und sie alle im Spielraum stimmen in dieses Gelächter ein. Dann aber erinnern sie sich wieder daran, dass sie hier sind, um ihr Glück beim Spiel zu versuchen.

Und so geht bald wieder alles seinen alten Gang.

Nur Wes Teague kann sich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren. Er verliert einige Runden, weil sich sein Instinkt nicht mehr auf seine Gegenspieler richtet. Er vermag nicht mehr zu spüren, ob sie bluffen oder wirklich etwas in der Hand haben. Er würde gerne aufhören, aber er weiß, dass sie es ihm übelnehmen würden. Er ist ihnen Revanche schuldig, denn er hat in den vergangenen Nächten zu viel von ihnen gewonnen.

Und so bleibt er sitzen, spielt weiter.

Wenn er an Pierce Read denkt, so beruhigt er sich stets damit, dass dieser ja gewissermaßen unerkannt in seiner kleinen Kammer im Hotel schläft und dort in Sicherheit ist. Was sollte Pierce dort passieren?

Und es ist ja auch noch gar nicht sicher, dass dieses menschliche Ungetüm, welches mit goldenen Rubeln den Brandy bezahlt hat, hinter Pierce Read her ist.

Es vergeht jedoch noch nicht einmal eine Stunde, als jemand vom Saloon her seinen Oberkörper in den Spielraum schiebt und heiser ruft: »Im Royal-Hotel wird geschossen! Da muss die Hölle los sein! Da ballert jemand wie verrückt!«

Wes Teague hält in diesem Moment einen mittleren Flush in der Hand, mit dem er gewiss den Topf gewonnen hätte, der in der Tischmitte liegt und aus mehr als hundert Dollar besteht.

Doch er wirft seine Karten offen auf den Tisch und erhebt sich, wobei er ruft: »Ich höre auf, ich passe. Denn ich muss hinüber.«

Er streicht sein Spielkapital, welches vor ihm liegt, mit einer Handbewegung vom Tisch in seine Rechte und geht.

Sie sehen ihm nach, wollen protestieren, aber dann sehen sie, dass er hervorragende Karten hatte und dennoch aufgab. Und so glauben sie, dass er einen wirklich triftigen Grund haben muss.

Teague aber eilt draußen schon durch den Schnee schräg über die festgestampfte Fahrbahn.

In der kleinen Empfangshalle sind schon einige Menschen versammelt. Sie umgeben den Nachtportier des Hotels, der am Boden liegt.

Jemand sagt heiser: »Dem hat man das Genick gebrochen. Aber das war wohl nicht schwer bei seinem dürren Hals.«

Sie alle wenden sich zu Teague um.

»Da oben muss was passiert sein«, spricht einer. »Wir denken, dass jemand gekommen ist, den der Portier nicht hinauflassen wollte. Und da...«

Teague hört nicht länger zu.

Seine bittere Ahnung – dieser feine Instinkt für Gefahr – ist nun stark geworden und wittert Unheil. Er springt die Treppe hinauf.

Und draußen vor dem Gang, da sieht er im schwachen Lampenschein das Ungetüm liegen. Ja, es ist der Mann, welcher mit Goldrubel zahlte und der in seinen zottigen Pelzen wie ein großer Menschenaffe wirkte, mit langen Armen, gekrümmten Beinen und einem kleinen Kopf.

Da liegt er.

Und er ist tot.

Teague ruft: »He, Pierce, ich bin es, Teague! Schieß nicht, denn ich will zu dir hinein!«

»Dann komm doch«, hört er die gestöhnte Antwort.

Als er eintritt, sieht er Pierce Read auf dem Bett hocken. Seine beiden Hände halten den Griff eines großen Messers umfasst, welches aus seiner Magengegend ragt. Mit großen Augen starrt Pierce Read zu Teague empor. Im Lampenlicht erkennt Teague in Pierce Reads Augen den Ausdruck von Resignation, den Verlierer stets in ihrem Blick haben, wenn sie keine Chance mehr sehen und genau wissen, dass sie am Ende sind – am Ende aller Wege.

Er hört Pierce stöhnend sagen: »Wenn ich es herausziehe, dann sterbe ich noch schneller, nicht wahr? Also lasse ich es besser stecken. Komm herein, Teague, denn ich habe dir noch etwas zu sagen. Mache die Tür hinter dir zu. Niemand darf außer dir meine Worte hören. Und jetzt denk stets daran, dass du in meiner Schuld stehst. Du wirst sie bezahlen müssen. Das verlange ich von dir.«

Teague gehorcht. Er schließt die Tür und tritt zu Pierce Read, hockt sich zu ihm auf das Bett.

Read zögert nur wenige Sekunden. Er holt noch einmal Kraft aus seinem innersten Kern. Dann flüstert er: »Im kleinen Hochtal über dem Saint Mary Lake, da warten sie auf mich. Vier Männer und zwei Frauen. Sie verloren ihre Pferde, ihre Ausrüstung, ihren Proviant und retteten nur das nackte Leben. Sie werden sterben, wenn niemand ihnen Hilfe bringt. Und sie haben mein Wort, dass ich dies tun würde. Nun übergebe ich dir mein Wort. Rette sie. Denn alle sollen sie sterben.«

»Wer will das?« So fragt Wes Teague schnell, denn er sieht, dass Pierce Read nur noch wenige Sekunden zu leben hat.

Aber er erhält keine Antwort mehr.

Pierce Read, der ihm damals das Leben rettete, ist tot.

Und er übertrug ihm – Wesly Teague – dieses Wort.

An die Tür wird geklopft. Dann wird sie aufgerissen.

Die Leute von unten wollen wissen, was geschah.

Wes Teague sagt ruhig: »Er hatte wohl dieses Ungetüm als Killer auf seiner Fährte. Doch er gab es dem Kerl noch mit dem Colt, obwohl er dessen Messer im Bauch hatte. Mehr ist wohl nicht zu sagen, denke ich.«

Sie verharren staunend. Dann nicken sie.

Jemand sagt: »In diesem verdammten Land hat wohl so mancher Mann Schatten auf seiner Fährte. Und diesmal hielt selbst der Schnee solch einen Schatten nicht auf. Verdammt!«

Es ist am nächsten Tag nicht so einfach, Pierce Read und auch seinem Mörder ein christliches Begräbnis zu geben. Denn man muss den unter dem Schnee gefrorenen Boden mit Feuer auftauen und kann mit Spitzhacke und Schaufeln nur mühsam zwei Gräber ausheben.

Jemand sagt bei dieser Arbeit: »Ich hab' mal davon gehört, dass man bei solchen Grabarbeiten auf Gold gestoßen ist. Das wäre was für uns, wenn wir dies hier auch erleben würden, nicht wahr?«