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Der Abschaum des Grenzlandes triumphiert: Dan Sherburn, der stahlharte Wagenboss, ist ein geschlagener Mann. Er, der Handel und Wohlstand, Recht und Gesetz an den Snake River bringen wollte, hat sich schwer angeschossen auf eine einsame Ranch verkrochen und leckt dort seine Wunden. Dan Sherburn ist am Ende.
Das jedenfalls glauben seine Feinde. Dass sie sich gewaltig in die Finger geschnitten haben, bekommen sie zu spüren, als sie sich an Dans Freundin Ester Lincoln vergreifen...
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Seitenzahl: 217
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Der Wagenboss
Vorschau
Impressum
Der Wagenboss
Es waren nicht nur die Cowboys, die den Westen und den Nordwesten eroberten, nicht nur sie mit ihren großen Rinderherden. Es gab auch noch andere Männer, denen es der Wilde Westen zu verdanken hatte, dass er eines Tages zur Ruhe kam.
Zu diesen gehörten die Frachtfahrer. Ihre Taten und ihr Wirken sind mit der Geschichte des Wilden Westens eng verknüpft. Ohne sie hätte das weite wilde Land nicht besiedelt werden können. Denn sie waren es, die die alten Wagenwege schufen, die Verbindungen aufrechterhielten und für den so notwendigen Nachschub sorgten.
Und auf allen Wegen mussten sie kämpfen, mussten tausend Hindernisse und Schwierigkeiten überwinden. Das heutige Amerika hat diesen Männern viel zu verdanken. Sie sollten nicht vergessen werden.
Denn Cowboys und Frachtfahrer waren es, die immer wieder dafür sorgten, dass die Grenze von Gesetz und Ordnung ständig vorrücken konnte. Erst später, sehr viel später, wurden Eisenbahnen gebaut, nachdem der Weg bereitet und die Zukunft einer Stadt sichergestellt war.
So war es.
Genauso, wie ich es auf den nächsten Seiten berichte.
G.F. Unger
Das Geräusch eines dumpfen Schlages reißt Dan Sherburn aus dem Schlaf. Er öffnet die Augen, liegt still in seinen Decken und lauscht.
Aus verschiedenen Richtungen hört er das Atmen und Schnarchen seiner Männer.
Besonders Rock Longhorn schnarcht sehr laut.
Draußen in der Nacht heulen Präriehunde klagend den Mond an.
In dem Seilcorral stampfen die Maultiere.
Ein Nachtfalke stößt einen scharfen Schrei aus. Und das Campfeuer des Wagenzuges ist fast niedergebrannt. Dan Sherburn hört also nur durchaus normale Geräusche.
Aber er denkt immer noch über das Geräusch nach, durch das er soeben geweckt wurde.
Sollte sich sein Pferd wieder einmal mit den Maultieren nicht vertragen haben? War es ein ausschlagender Huf, der ein Ziel traf und dessen Geräusch Dan Sherburn hörte?
Aber nein, das kann es nicht gewesen sein.
Er wirft plötzlich die Decken von sich und nimmt den Colt in die Faust. Einige Sekunden kauert er so am Boden und lauscht noch wachsamer als zuvor.
Denn ganz plötzlich warnt ihn nun sein Instinkt vor einer Gefahr.
Aber es ist nichts zu hören außer den vertrauten Geräuschen der Schläfer und der Tiere im Seilcorral. Aber diese Geräusche sind laut genug, um vielleicht andere Laute zu übertönen.
Dan Sherburn wirft einen schnellen Blick zum Nachthimmel empor. Er erkennt, dass es bald Tag werden wird. Im Osten zeigt sich schon der erste graue Schein. Die Sterne verblassen dort.
Und da weiß Dan Sherburn, dass Tage Old jetzt Wache hat. Der Oldtimer hat immer die letzte Wache.
Um diese Zeit ist er aber sonst schon mit den Vorbereitungen zum Frühstück beschäftigt. Der grauköpfige, lederhäutige und riesige Tage Old braucht nie viel Schlaf. Und er ist nicht nur ein tüchtiger Frachtfahrer, sondern auch ein guter Koch.
Dan Sherburn erhebt sich mit einem Ruck und gleitet an einem seiner Wagen entlang.
Und in diesem Moment ertönt drüben beim Seilcorral das Wiehern seines Pferdes.
Cheyenne wiehert warnend.
Dan Sherburn hat nun fast das Ende des Wagens erreicht. Er hält sofort inne und wendet sich in Richtung Seilcorral um. Dort drüben erkennt er nun undeutlich eine Bewegung, die ihm zeigt, dass sich dort ein Mensch bewegt.
»Tage!« Er ruft es scharf.
Aber er bekommt keine Antwort von drüben.
Dafür stößt ein harter Gegenstand in seinen Rücken, und zugleich sagt eine grimmige Stimme trocken: »Das ist eine Gewehrmündung, Freund!«
Dan Sherburn wendet langsam den Kopf und blickt über die Schulter. Er erkennt einen großen Mann, der sich die Hutkrempe tief über die Augen gezogen hat.
Und er sieht auch, dass der Mann tatsächlich ein Gewehr in den Händen hält, dessen Mündung hart in Sherburns Rücken drückt.
»Lassen Sie den Colt fallen, Freund«, sagt der Mann nun. Und es ist ein grimmiger und zugleich zufriedener Klang in seiner Stimme. »Es hat keinen Zweck, Mister«, fügt er noch trockener hinzu. »Wir haben euer Camp umstellt. Wir sind zwölf Mann. Und den Wächter haben wir niedergeschlagen, als er unten am Creek Wasser schöpfte.«
Dan Sherburn ist ein Mann, der sich gut auf andere Männer versteht und auch zumeist einen Bluff erkennt.
Er erkennt aber auch, wenn eine raue Sache wirklich eine raue Sache ist.
Und die Stimme des Mannes klingt so selbstsicher und ruhig, dass es sich ganz bestimmt nicht um einen Bluff handelt.
Dan Sherburn späht über das Camp.
Die vier Wagen sind in einem Viereck aufgefahren, das zum Seilcorral etwas offen ist.
Rock Longhorns Schnarchtöne brechen plötzlich ab. Und Jack Benteens Stimme fragt heiser und misstrauisch: »Dan, Tage?«
»Hölle, was ist hier los?«, erklingt nun auch Dick Sullmans Stimme.
»Sagen Sie Ihren Jungens, dass sie keine Chance haben«, sagt die trockene Stimme des Mannes hinter Dan. »Und lassen Sie endlich die Waffe fallen!«
Der Druck der Gewehrmündung wird noch stärker. Dan weiß, dass der Mann wahrscheinlich abdrücken wird, sobald er eine auch nur leichte Bewegung macht.
Er lässt den Colt fallen und sagt laut: »Kämpft nicht, Jungens! Wir sitzen schon tief in der Klemme!«
Eine Weile ist es still.
Aber zwischen den Wagen sind jetzt die Gestalten von anderen Männern zu erkennen. Das Sternenlicht lässt Gewehr- und Revolverläufe matt erglänzen.
Rock Longhorn sagt bitter: »Haben sie dich, Daniel?«
»Mich und Tage! Hinter mir steht ein Gentleman, der mir eine Gewehrmündung auf die Niere drückt. Und es sind zwölf Mann, die uns besucht haben, Rock.«
»Yeah, wir haben euch eingekreist«, erklingt eine andere Stimme von der gegenüberliegenden Seite. »Macht nur keinen Blödsinn, ihr Maultierknechte!«
Wieder ist es still. Dann sagt Rock Longhorn: »All right, es sieht so aus, als ob ihr die besseren Karten in dieser Runde hättet. Was nun?«
»Die Waffen weg! Und dann tretet ans Feuer und macht es heller!«, ruft der Mann hinter Dan Sherburn.
Dan sieht, wie seine Männer gehorchen.
Sie treten langsam ans Feuer, Jack Benteen, Rock Longhorn und Dick Sullman.
Dick wirft Holz in die Glut. Bald lodern einige Flammen und verbreiten Helligkeit.
»Vorwärts!«, sagt nun der Mann hinter Dan Sherburn scharf und stößt ihn mit dem Gewehr vor sich her dem Feuer zu.
Und zugleich tauchen noch viele andere Männer auf. Sie kommen von allen Seiten in die Wagenburg herein. Zwei der Burschen bringen den bewusstlosen Tage Old herbeigeschleppt und werfen ihn neben dem Feuer zu Boden.
Dan Sherburn und seine vier Frachtfahrer sind nun von einem dichten Kreis umgeben.
Und dieser Kreis besteht aus scharfgesichtigen Weidereitern. Dan Sherburn war früher selbst Rindermann gewesen. Er war Vormann auf großen Ranches und Treibherdenboss auf dem Chisholm Trail. Er hat also schon viele hartbeinige und hartgesottene Mannschaften sehr genau kennengelernt und versteht sich darauf, sie richtig einzuschätzen.
Der Feuerschein beleuchtet all die scharfen und harten Gesichter.
Dan Sherburn erkennt immer mehr, dass diese Mannschaft mächtig hart und rücksichtslos ist. Vielleicht ist es sogar eine Banditenmannschaft. Er wendet sich langsam um und betrachtet den großen Mann, dessen Gewehrmündung er nun nicht mehr im Rücken spürt.
Dan Sherburn ist selbst ein großer Mann, sechs Fuß groß und hundertneunzig Pfund schwer.
Aber dieser Mann ist noch größer und schwerer.
»Coup, sie sind nun alle entwaffnet«, meldet eine Stimme.
Und der große Mann nickt, indes er seinen Blick nicht von Dan Sherburn nimmt. Er hat ein breitflächiges Gesicht, mit einer kleinen Nase und einem breiten Kinn. Er ist mächtig stark. Seine Lippen sind hart und seine scharfen Augen klein.
Er schiebt den Hut zurück. Ein Büschel Haare fällt ihm in die Stirn. Bei Tageslicht könnte man sehen, dass diese Haare ziegelrot sind.
Er hängt seine Daumen in die Ärmellöcher seiner offenen Lederweste. Auch sein Flanellhemd steht offen und lässt seine haarige Brust erkennen.
Er trägt zwei Colts, und seine gekrümmten Beine wirken etwas zu dünn bei seinem mächtigen Oberkörper und den muskelbepackten Schultern.
Er betrachtet Dan Sherburn sehr sorgfältig, studiert ihn Zoll für Zoll und versucht ihn zu ergründen. Sicherlich ist er ein Mann, der sich in solchen Dingen Zeit nimmt und nichts überstürzt.
Endlich sagt er zu Dan: »Er wird ein schlechtes Geschäft für Sie. Aber das ist nicht unsere Schuld. Josiah Lincoln hätte Sie vielleicht aufklären sollen, als er Ihnen den Frachtauftrag erteilte. Bedanken Sie sich bei Josiah Lincoln.«
»Für was?«, fragt Dan Sherburn sanft.
»Sie verlieren hier Ihre Fracht«, sagt der andere trocken. »Sie haben die lange Frachtfahrt umsonst gemacht. Denn ich glaube nicht, dass Ihnen Josiah Lincoln auch nur einen Dollar geben wird, wenn er das Frachtgut nicht erhält.«
Er grinst seltsam.
Dan Sherburn hebt die Hand und kratzt sich nachdenklich im Stoppelbart. Es sind blauschwarze Bartstoppeln, und sie geben Dan Sherburns dunklem Gesicht einen bläulichen Schimmer, auch dann, wenn er frisch rasiert ist.
Seine sonst rauchgrauen Augen stehen weit auseinander. Jetzt haben sie im Schein des Feuers einen grünlichen Schimmer. Und sie sind fest und ruhig, hart und kühl.
»Wenn ich meine Fracht verliere«, sagt er sanft, »dann werde ich mich wohl an den Mann halten müssen, der sie mir nimmt. Ich war noch nie in diesem Lande und habe mit Josiah Lincoln nur schriftlich verkehrt. Mich interessieren auch die Dinge nicht, die hier in diesem Lande sind. Ich bin Frachtfuhrunternehmer. Ich bringe Frachten jeder Art dorthin, wo man sie hinhaben will.«
»Das ist es«, sagt der große Reiter grinsend und wippt auf den Fußsohlen. Seine Sporen klirren dabei.
»Josiah Lincoln will eine Stadt aufbauen«, fährt er fort. »Und weil er das beabsichtigt, braucht er die Dinge da in den Wagen. Er möchte die Fracht nach Silvertip gebracht haben. Gut, das möchte er! Aber wir möchten das nicht! Das ist der Unterschied.«
Der Mann grinste wieder seltsam und wendet sich an die Mannschaft.
»Fangt an«, sagt er knapp.
Die Mehrzahl der Männer setzt sich sofort in Bewegung.
»Was wir für uns gebrauchen können, nehmen wir auf Packtieren mit«, sagt ihr Anführer und sieht Dan Sherburn dabei an.
Der hört seine eigenen Männer hinter sich fluchen. Er achtet jedoch nicht darauf, sondern beobachtet das Rudel, das nun die Wagen durchsucht.
Auf zwei Wagen ist eine auseinandergenommene Dampfsäge verladen. Die beiden anderen Wagen enthalten Waren jeder Art, wie sie ein großer Store hier in diesem Lande führen muss.
Und ein Store mit einem vielfältigen Warenbestand ist in diesem Lande immer der Anfang einer Stadt.
Zuerst ersteht immer ein Store oder eine Handelsstation. Dann kommt eine Post- und Frachtstation hinzu, ein Saloon und Hotel. Dadurch wird eine kleine Siedlung zuerst einmal zu einem Versorgungs- und Einkaufszentrum. Um solch einen Mittelpunkt, der Verbindung zur Zivilisation hält, sammeln sich dann die Siedlerstätten und Farmen.
Im Lauf der Zeit wird solch eine Siedlung dann ein Knotenpunkt vieler Wege und Pfade. Und wenn das Land ringsum gut ist, wird ein neues Rinder- oder Farmland daraus. Eine Stadt entsteht. Ein neues County wird geboren.
So ist es überall im weiten Westen.
Und so sollte es auch hier sein. Dan Sherburn weiß das aus Josiah Lincolns Briefen.
Aber jetzt sieht es so aus, als gäbe es in diesem Lande einige Männer, die keine Stadt wünschen und lieber unter sich bleiben würden.
Hammerschläge erklingen.
Dan Sherburn weiß, dass man nun die Dampfsäge in Stücke schlägt.
Man schleppt auch Säcke aus den Wagen, Kisten und Packen.
Dan sieht den großen Mann an.
»Seid ihr Banditen?«
»Es kommt auf den Standpunkt an, von dem man die Sache betrachtet«, sagt der Mann kühl. »Auf jeden Fall ist es so, dass wir nicht wollen, dass dieser alte Geier Josiah Lincoln eine Stadt in diesem Lande gründet. Tut mir leid, Mister, dass Sie darunter zu leiden haben.«
»Es wird Ihnen noch mächtig leidtun«, murmelt Dan Sherburn sanft.
Der andere Mann hebt seine dunklen Augenbrauen.
»Oh, ich weiß, dass Sie ein stolzer Bursche sind. Sie sind Dan Sherburn. Ich habe schon von Ihnen gehört. Ich war mir von Anfang an darüber klar, dass Sie ziemlich rau werden können, Sherburn. Wir kommen schon noch darauf zurück, Mister. Wir erledigen diese Angelegenheit Zug um Zug.«
Er wendet sich halb zur Seite, als einer seiner Männer von einem Wagen ruft: »Hier sind viele Kisten mit Eisen- und Stahlwaren, Coup! Was machen wir damit?«
»Werft die Kisten in den Creek. Im Treibsand versinken sie bald. Die Frachtfahrer werden euch bei der Arbeit helfen. Wenn jemand von den Burschen wild wird, dann schießt auf ihn.«
Er wendet sich Dan Sherburn und dessen Männern zu. Auch Tage Old ist aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. Er hockt noch am Boden und betastet seine Beule am Hinterkopf. Aber er hat inzwischen schon alles begriffen und stellt keine Fragen.
»Los«, sagt der große Mann, der mit Vornamen »Coup« zu heißen scheint, »los, Maultiertreiber! Ihr helft jetzt meinen Männern bei der Arbeit. Wir vernichten Josiah Lincolns Fracht.«
»Ich will lieber zur Hölle fahren, als dass ich euch Hundesöhnen bei dieser Schweinerei helfe«, grollt Rock Longhorns Bass sofort.
Und das ist verständlich, denn für jeden guten Frachtfahrer bedeutet das ihm anvertraute Gut genauso viel wie für einen Cowboy eine Rinderherde.
Es sind schon viele Cowboys für ihre Herden gestorben. Das Leben eines Cowboys dreht sich um seine Herde.
Und es sind auch schon viele Frachtfahrer für ihre Frachtgüter gestorben. Sie haben immer wieder auf allen Wegen mit Banditen und Indianern um ihre Fracht gekämpft. Und jeder Frachtzug kämpft überdies auch noch gegen die Hindernisse des Landes, der Natur und der Witterung, auf wasserlosen Strecken, bei rauem Gelände zum Beispiel dann, wenn die Ströme und Flüsse Hochwasser führen.
Was für einen Cowboy die Herde, für einen Seemann das Schiff und das Meer ist, das ist für einen Frachtfahrer sein Wagen, sein Achtergespann, seine Fracht und das Land mit seinen Hindernissen: sein Lebensinhalt.
Und deshalb ist Rock Longhorns Ausruf verständlich und ganz und gar nicht übertrieben.
Aber jetzt wendet sich Dan Sherburn zu seinen Männern um: »Wir leiten heute nicht die Vorstellung«, sagt er rau. »Heute müssen wir Befehle ausführen, die uns von Banditen gegeben werden. Nun, Jungens, kommt nur. Wir gehorchen.«
Er setzt sich in Bewegung. Die anderen folgen ihm widerwillig. Sie werden von einigen Männern bewacht, die ihre Waffen schussbereit in den Händen halten.
Und Coup Casshill, so heißt der Anführer der Bande, sagt zu den Männern, als sie an ihm vorbeigehen: »Ihr seid mächtig klug, Leute. Es wird nämlich wirklich sehr rau, wenn einer von euch den trotzigen Burschen spielen möchte.«
Dan Sherburn gibt keine Antwort. Nur seine Männer fluchen immer noch. Er tritt an einen der Wagen und bekommt eine Kiste auf die Schulter gelegt, in der sich, wie er weiß, Äxte befinden.
Auch seine Leute bekommen Lasten aufgeladen und auch die Banditen, oder was sie auch sein mögen, beginnen zu schleppen.
Es ist nicht sehr weit zu einer Art Felskanzel, die sich hundert Fuß hoch über dem Creekbett befindet. Der Creek mit seinem Treibsand und toten Winkeln liegt nämlich sehr viel tiefer. Die Furt ist weiter westlich, wo das Gelände nicht mehr so rau und unübersichtlich ist.
In der nächsten Stunde wird eine Menge in den Creek geworfen. Die Kisten, Tonnen und Kästen rollen und poltern alle den steilen Hang hinunter und verschwinden bald im Treibsand, der alles mit sich in die Tiefe reißt.
Viele Kisten mit Eisen- und Stahlwaren, zwei Schmiedeambosse, Werkzeug, eine Feldschmiede, Teile von der Dampfsäge, Säcke mit Konserven, Hülsenfrüchten, Kisten, Packen, Ballen.
Dan Sherburn und seine Männer arbeiten mit einem verbissenen Grimm.
Und auch die anderen Männer packen kräftig zu. Als dann die Sonne schon zu wärmen beginnt, sind sie fertig. Einige Packpferde sind beladen. Die Mannschaft hat auch ihre Sattelpferde herbeigebracht.
Nun, bei Tageslicht, wirkt sie noch härter und rauer. Fast alle tragen ihre Colts sehr tief.
Sie sind wahrhaftig ein schlimmes Rudel, und wahrscheinlich sind viele von ihnen Verlorene und Geächtete, die sich in dieses wilde Land retten und flüchten konnten und nun außerhalb des Gesetzes eine raue Meute bildeten.
Aber für wen reiten sie?
Dan Sherburn fragt sich das.
Er sieht nun den Anführer auf sich zukommen. »Wir haben nur eure Fracht vernichtet«, sagt dieser. »Wenn ihr noch mal in dieses Land kommen solltet, verliert ihr auch eure Wagen und die Gespanne. Habt ihr begriffen? Um es nochmals ganz genau zu sagen: Wir dulden nicht, dass jemand für Josiah Lincoln Frachten fährt!«
Er verstummt hart und knapp. Dabei sieht er Dan Sherburn an.
Der nickt, und er wirkt äußerlich sehr kühl und ruhig. Niemand sieht ihm den grimmigen Zorn an. Und seine Stimme klingt sanft, ganz sanft, als er fragt: »Wie war noch Ihr Name, Mister?«
»Coup Casshill«, sagt dieser und tritt langsam näher an Dan Sherburn heran.
»Haben Sie irgendwelche Wünsche, Sherburn? Wünsche an mich persönlich? Legen Sie sich nur keinen Zwang auf. Wir könnten das gleich hier erledigen.«
Dan Sherburns Arme hängen ruhig nieder. Er blickt in Casshills Augen, und diese Augen sind hell. Er erkennt darin den Wunsch nach Kampf. Von diesem Mann hat er schon viel gehört.
Und plötzlich wird er sich darüber klar, dass dieser Mann noch nicht zufrieden ist. Was bis jetzt geschah, genügt Casshill noch nicht. Dieser Mann möchte diese Sache gründlich erledigen.
»Casshill«, murmelt Dan Sherburn, »Sie haben meine Fracht vernichtet, und Sie konnten das nur deshalb tun, weil Sie eine starke Mannschaft hinter sich hatten und wir nicht darauf vorbereitet waren, von einer Banditenbande überfallen zu werden. Jetzt fühlen Sie sich wohl als ein mächtig großer Bursche, Casshill?«
»Meine Leute werden nur zusehen, wenn Sie persönlich herausfinden möchten, wie groß ich in meinen Stiefeln bin, Sherburn«, erwidert Coup Casshill kühl.
Er legt seine Linke an die Gürtelschnalle des Kreuzgurtes und löst sie. Sein Waffengurt mit den beiden schweren Colts fällt zu Boden. Er schleudert ihn mit dem Fuß zur Seite. Einer seiner Leute hebt ihn auf. Und ein anderer sagt heiser: »Richtig, Coup! Du wirst ihn wirklich zurechtstutzen müssen, damit er es nicht nochmals versucht. Der kommt sonst eines Tages wieder, wenn nicht alles restlos geklärt ist.«
Dann wird es still.
Coup Casshills helle Augen betrachten Dan Sherburn kalt. Aber in ihrem Hintergrund lauert eine fast gierige Erwartung. Dan Sherburn hört hinter sich das scharfe Atmen seiner Männer.
Und er selbst schätzt Coup Casshill noch einmal sorgfältig ab.
Oh, er hat von Casshill schon einige Male gehört. Ein Frachtwagenmann kommt viel in der Welt herum und hört viel. Coup Casshills Name hat in einigen Staaten einen üblen Klang. Dieser Mann ist nichts anderes als ein gefährlicher und berüchtigter Revolverheld und Bandit. In Texas, Nebraska und Kansas sind Belohnungen auf seinen Kopf ausgesetzt. Staatenreiter suchen ihn. Er ist ein Geächteter, der schon mehr als ein Dutzend Männer getötet hat.
Und er fragt nun mit kaum unterdrückter Gier: »Wir können es auch mit den Colts austragen, Sherburn, wenn Sie sich so nicht entschließen können. Oder wollen Sie nicht? Es wäre aber besser, wenn Sie jetzt gleich herausfänden, dass Sie nicht groß genug sind, um gegen mich vielleicht an einem anderen Tage mehr Glück zu haben. Diese Lektion wäre gut für Sie, nicht wahr?«
Dan Sherburn begreift Coup Casshills Wünsche. Casshill möchte ihn hier und jetzt zurechtstutzen. Er möchte ihm eine heilige Mannesfurcht einhämmern, damit er nie mehr wieder den Versuch macht, einen Frachtwagenzug in dieses Land zu bringen.
Und wenn es sich erst herumspricht, dass der Kämpfer Dan Sherburn geschlagen wurde und aufgeben musste, wird das auch andere Wagenbosse und deren Mannschaften davon abhalten, für Josiah Lincoln Frachten zu fahren.
Ja, Coup Casshills Gründe sind klar genug zu erkennen. Überdies ist er aber auch ein Bursche, der gerne einen harten Mann zurechtstutzt, um sich damit selbst zu beweisen, wie mächtig groß er ist.
Doch auch Dan Sherburn ist ein starker, stolzer und eisenharter Mann und dazu fähig, schnell und rau zu handeln. Meist hat er sich streng unter Kontrolle, denn sein Leben auf rauen Wegen und in wilden Städten hat ihm viele Lektionen erteilt.
Er explodiert nur noch, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt.
Und hier gibt es keinen anderen Ausweg mehr. Denn er kann in Coup Casshills Augen erkennen, dass der Mann nicht eher aufhören wird, bis er seinen Kampf bekommen hat.
Obwohl Casshill lauernd wartet, kommt Dan Sherburns Faust für ihn dennoch zu schnell.
Sherburn hat ansatzlos zugeschlagen.
Er trifft Casshill recht auf die Herzspitze und dann mit einem kurz herumgezogenen Schwinger auf Kinnwinkel und Ohr.
Casshill taumelt gebückt zur Seite. Und Sherburn knallt ihm die Linke auf die Rippen.
Ja, so waren die Männer in jener Zeit des Wilden Westens, da es weit und breit noch kein Gesetz gab und ein Mann nur bestehen konnte, wenn er rau und hart genug zu kämpfen vermochte. Zu dieser Zeit konnte raue Gewalt nur mit rauer Gewalt bekämpft werden. Es gab keine andere Möglichkeit.
Coup Casshill stöhnt schmerzvoll. Aber dann wirft er sich knurrend herum und greift an. Er ist drei Fingerbreit größer und zwanzig Pfund schwerer als Dan Sherburn, und er ist hart und stark. Obwohl ihn Sherburn jetzt dreimal voll getroffen hat, zeigt er nur wenig Wirkung.
Er ist ein Mann, der ungeheuer viel einstecken und ertragen kann.
Und er kann auch schlagen.
Das zeigt er jetzt.
Den ersten Schlag fängt Sherburn mit der Schulter auf. Aber dann bekommt er Casshills harte Faust unter das Kinn und die andere aufs Ohr. Casshill greift mit einer wilden Wut und fast unaufhaltsamer Wucht an.
Dan Sherburn marschiert rückwärts und versucht den Schlägen zu entgehen.
Er prallt mit dem Rücken gegen einen von Casshills Männern. Und dieser Mann gibt ihm einen kräftigen Stoß, so dass er in Casshills Faust hineintaumelt.
Sie trifft ihn wie eine Ramme mitten ins Gesicht. Er hat das Gefühl, als explodierte sein Kopf und als schwebte er dann schwerelos in einem stillen Raum.
Aber dann spürt er wieder wie Casshills Fäuste seinen Körper wie Huftritte treffen.
Er fällt und wirft sich dabei zur Seite.
So entgeht er Casshills wildem Fußtritt.
Dies ist ein wilder und mitleidloser Kampf der Grenze, ein Kampf, wie ihn die Geschichte aus der Pionierzeit des Wilden Westens oft gesehen hat, hart und unerbittlich. Es waren nicht alle Männer Raufhelden und Banditen, die sich mit der Faust ihr Recht suchten. Rechtliche Männer waren darunter, Männer, die Wegbereiter waren für eine bessere Zeit, in der auch die Schwachen eines Tages zu ihren Rechten kamen, jene Schwachen, die von Männern wie Coup Casshill vernichtet worden wären.
Dan Sherburn entgeht also Casshills Fußtritt mit knapper Not. Durch seinen Fehltritt verliert Casshill das Gleichgewicht und taumelt an Sherburn vorbei.
Dan Sherburn kniet noch und ist benommen, als Casshills Fuß abermals kommt.
Aber Dan Sherburn kann den Kopf gerade noch zur Seite nehmen. Dabei wirft er sich herum, so dass er Casshill den Rücken zuwendet. Und er klemmt sich Casshills Unterschenkel unter den Arm und wirft sich von der Seite, aufspringend und Casshills Bein hochreißend, mit dem ganzen Körpergewicht gegen die Außenseite von Casshills Knie.
Der Mann brüllt schmerzvoll auf und fällt.
Als Casshill dann aufspringt, knickt sein Bein ein. Dan Sherburn greift ihn an, schlägt rechts und links und treibt ihn bis zu einem der Wagen zurück.
Dort findet Casshill Halt. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Wagenwand und versucht, Dan Sherburns Schläge zu blockieren. Aber er kann nicht mehr ausweichen. Sein rechtes Bein gehorcht ihm nicht mehr. Er keucht und schnauft.
Er muss einige harte Schläge nehmen. Plötzlich wirft er sich vor, umklammert die Hüfte des Wagenbosses und reißt ihn zu Boden. Sie rollen nun kämpfend und schlagend über den Boden und bis vor die Füße eines von Casshills Männern.
Der hat, wie alle Männer von Casshills Rudel, den Colt in den Händen.
Der Mann bückt sich und schlägt den Revolverlauf über Dan Sherburns Hinterkopf.
Casshill wirft den bewusstlosen Gegner keuchend von sich herunter und richtet sich langsam auf. Aber er fällt wieder auf ein Knie, als er mit dem verletzten Bein auftreten will.
»Bringt mir mein Pferd«, keucht er.
Jemand bringt ihm erst seinen Waffengurt, den er sich kniend und mit zitternden Fingern umlegt. Dann führt man sein Pferd neben ihn. Er zieht sich am Steigbügel hoch und kommt mit einiger Anstrengung in den Sattel.
Ein paar Sekunden sitzt er regungslos und wischt sich das Blut aus dem Gesicht.
Dann sieht er auf Dan Sherburn nieder.
Nach einer Weile betrachtet er Sherburns Männer.
Die starren ihn an. Und Rock Longhorn sagt: »Das war ein fairer Kampf, nicht wahr? Oh, du kannst stolz sein, Casshill! Du kannst ohne Sorge einen Kampf anfangen, wenn dein Rudel bei dir ist. Wenn du Prügel bekommst, dann helfen dir deine Leute. Du bist wirklich ein großer Bursche.«
Casshills Hand reißt den Colt heraus.
»Schieß doch, du Hundesohn!«, brüllt Rock Longhorn und will den Reiter angreifen.
Aber Jack Benteen und Dick Sullman halten ihn fest.
»Lasst mich los! Ich will diesen feigen Schuft vom Pferd holen!«, brüllt Rock Longhorn wild und will sich losreißen.
Aber dann wird er still, denn Casshill wendet sein Pferd um.
Er fragt mit grimmiger Stimme: »Wer hat ihn niedergeschlagen? Zum Teufel, wer hat daran gezweifelt, dass ich ihn nicht allein schlagen kann?«
Ein Mann hebt leicht die Linke. Und in der Rechten hält er immer noch den Revolver, mit dem er Dan Sherburn betäubte.
»Ich schlug ihn bewusstlos«, sagt der Mann.
Casshill starrt ihn eine Weile an. Beide halten ihre Colts schussbereit.
Dann sagt Casshill bitter: »Jesse, mische dich nie wieder ein, wenn ich mit einem Gent eine persönliche Sache erledige. Mische dich nie wieder ein!«
»All right, Coup«, murmelt der Mann.
Casshill atmet langsam aus. Dann steckt er den Colt ins Holster und betastet sein schmerzendes Knie.
»Wir reiten«, knurrt er dann grimmig und reitet davon, ohne sich noch einmal nach Dan Sherburn und dessen Frachtfahrer umzublicken. Das Rudel folgt ihm, so schnell es in die Sättel kommen kann. Sie verschwinden bald über einen Hügelkamm.
Das Land hier bildet tausend dunkle, abgelegene Winkel. Berg- und Hügelkämme verdecken immer wieder die Sicht. Es ist ein zerklüftetes Land mit Canyons und tiefen Senken.
Hier und da weiden Rinderrudel. Es sind die wildesten Weiderinder, die Dan Sherburn und dessen Männer jemals gesehen haben.
✰
Dan Sherburn erwacht nach einer Weile und betastet die Platzwunde an seinem Hinterkopf.
»Du hättest ihn sicherlich schlagen können«, sagt der grauköpfige Tage Old sanft und kniet neben Dan nieder. Er gießt ihm Whisky auf die Wunde.
Dan stöhnt, denn es brennt wie Feuer.
Jemand bringt einen gefüllten Wassereimer und ein Handtuch. Als Dan sein Gesicht abwäscht, fühlt er, dass Coup Casshills Fäuste einigen Schaden angerichtet haben.