1,99 €
Mein Name ist Jeff Kerrigan. Ich war einer von sechs Strolchen, die aus dem Süden gekommen waren, um im Goldland Pferde zu verkaufen. Die Pferde hatten wir gestohlen, das muss ich ehrlich zugeben. Aber wir hatten sie nicht armen Leuten weggenommen, sondern der Unionsarmee. Und diese wiederum hatte sie bei Ranchern, Farmern und Siedlern requiriert, die ihre Steuern nicht bezahlen konnten.
Wir kamen uns also keineswegs wie Diebe vor. Im Gegenteil, wir waren richtig stolz auf uns, als wir mit Taschen voller Dollars in Lou Madisons Paradise einzogen, um uns von ihren Mädchen verwöhnen zu lassen. Allerdings sollte es aus unserem Glücksrausch schon bald ein bitteres Erwachen geben...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Es waren sechs Texaner
Vorschau
Impressum
Es warensechs Texaner
Lou Madisons Haus war für alle wilden Jungens mit genügend Dollars das Paradies. Denn bei ihr arbeiteten die schönsten Mädchen auf fünfhundert Meilen in der Runde als sogenannte »Gastgeberinnen«.
Lou Madisons Haus war nobel eingerichtet – und wenn man bedenkt, dass das Camp weit weg von jeder Zivilisation war und man alles sehr mühsam und umständlich hatte durch das Indianergebiet herschaffen müssen, so war Lou Madisons Etablissement für uns wahrhaftig so etwas wie ein neues Weltwunder – obwohl wir die anderen gar nicht kannten.
Ja, wir waren primitive Burschen.
Und wir hatten eine Pferdeherde hergebracht. Denn Pferde waren knapp in Golden Bucket, was so viel wie »Goldener Eimer« bedeutet. Der Name kam zustande, als jemand mit einem Eimer Wasser aus dem Creek holte. Der Creek war so klar, dass er die Wassertiefe überschätzte und mit dem Eimer über den Grund schrappte. Nachdem sein Pferd den Eimer leergemacht hatte, sah er sich den Sand darin an. Aber es war gar kein richtiger Sand. Es war mehr Gold als Sand.
Der Bursche von damals hatte also Gold im Eimer.
Und weil er das nicht für sich behalten konnte, sondern laut genug hinausposaunen musste in seiner wilden Freude, gab es bald tausend und noch mehr goldhungrige Burschen mit allem nur denkbaren Zubehör hier. Das Camp schoss wie eine Kolonie Pilze aus dem Boden. Man nannte es Golden Bucket. Und im Winter dann stellte es sich heraus, dass die goldhungrigen Digger vom Gold nicht satt werden konnten. Sie brauchten auch Fleisch. Es war nicht mehr genug Wild da nach einigen Blizzards.
Da begannen sie ihre Pferde zu verspeisen.
Und deshalb hatten wir eine Herde hergebracht, weil niemand gern zu Fuß ging und wir auf gute Preise hofften.
Unsere Hoffnungen wurden sogar noch übertroffen. Jeder von uns hatte zum Schluss nach Abzug der eigenen Unkosten mehr als fünfhundert Dollar in der Tasche.
Nun waren fünfhundert Bucks natürlich eine Menge Geld. Drunten im Süden musste ein guter Cowboy für fünfhundert Dollar fast zwei Jahre arbeiten.
Aber hier im Goldland waren sie nicht so viel wert. Hier war alles sündhaft teuer. Schon für ein gutes Steak mit Beilagen zahlte man zwei Dollar – und das jetzt im Frühsommer. Im Winter hatte ein Pferde-Steak zehn Dollar gekostet, und ein paar Leute waren verhungert.
Als wir gestern vor Lou Madisons Paradies kamen, zog gerade eine Mannschaft von Frachtfahrern ab, die einige Wagen voll Schnaps, Wein, Tabak und Zigarren, Spielkarten und zwei Klaviere hergebracht hatte.
Der Verdienst dieser Maultiertreiber war nach drei Tagen im »Paradies« draufgegangen. Als sie keinen Dollar mehr hatten, mussten sie gehen.
Wir lösten sie sozusagen ab. Aber wir mussten zuvor erst eine Minen-Mannschaft verprügeln und zum Teufel jagen, bevor wir ungehindert durch die Pforte ins »Paradies« gelangen konnten.
Lou Madison nannte uns dann recht sachlich ihren Preis.
Als wir akzeptierten, wurde das Haus verschlossen.
Nun waren wir eine geschlossene Gesellschaft. So einfach und natürlich ging das zu in Golden Bucket, mitten in der Wildnis von Montana.
Lou Madisons Mädchen hatten Stil. Sie waren keine abgewirtschafteten Flittchen, die nur noch dort arbeiten konnten, wo sie ohne Konkurrenz waren.
Mary zum Beispiel, die sich ihrer Aufgabe als Gastgeberin ganz mir widmete, war noch vor einem Jahr in Boston Lehrerin gewesen. Aber wahrscheinlich hatte sie es da schon mit den Männern getrieben. Sie kannte sich jedenfalls aus.
Und sie konnte Klavier spielen, fast so gut wie eine ausgebildete Sängerin singen und auch Gedichte aufsagen. Wenn sie betrunken war, wurden die Texte ihrer Lieder zwar zweideutig, doch wurde sie dabei nie vulgär.
Sie hatte Stil. Und sie konnte einen Burschen, der schon lange keine Frau mehr sah und den die Indianer fast skalpiert hatten, ziemlich glücklich machen.
Dass man bezahlen musste – nun, was auf dieser Welt gab es schon umsonst? Und überdies bezahlten wir ja jeden Tag bei Lou Madison und nicht bei unseren Schönen.
Die ließen uns niemals merken, dass wir sie gekauft hatten.
Übrigens, mein Name ist Jeff Kerrigan. Ich bin ein gelbhaariger, grauäugiger Texaner, mit ein paar Narben an Leib und Seele.
✰
Sego Conray trommelte uns im wortwörtlichsten Sinne zusammen, indem er von Tür zu Tür ging und mit der Faust dagegen hämmerte, bis wir uns endlich meldeten und ihm versprachen, gleich zu kommen.
Wir versammelten uns im Speiseraum, denn Sego hatte vom Chinesen Kaffee kochen lassen, damit wir möglichst schnell klare Köpfe bekamen und unsere Hirntätigkeit nicht ganz so mühsam in Gang kam.
Er saß am Kopfende des noblen Tisches und sah aus wie sein eigener Schatten. Und dennoch war noch eine ganze Menge von seiner wilden und verwegenen Energie in ihm, die uns so oft schon im rechten Moment angetrieben hatte, wenn wir glaubten, aufgeben zu müssen. Und immer dann, wenn er uns wieder antrieb, da gewannen wir jede am Anfang scheinbar aussichtslose Sache. Jawohl, so war es schon oft.
Und nun saß er dort, goss sich die zweite Tasse Kaffee ein und probierte, ob der Löffel darinnen steckenblieb wie in schwarzem Schlamm.
Dann schlürfte er das Zeug, welches auch einen schon sieben Tage lang toten Indianer wieder in den Sattel gebracht hätte.
Als ich kam, war schon Jube Mullegan da. Er war unser Bulle. Wenn er auch nur hörte, dass jemand etwas nicht schaffen konnte, weil er nicht Kraft genug hätte, so kam er sofort, um zu zeigen, dass es bei ihm nicht an dieser Kraft fehlte.
Jube Mullegan saß neben Sego Conray, rührte wie dieser im Kaffee und versuchte, auf die gleiche Art zu grinsen.
Doch bei ihm sah es zumeist etwas dämlich aus. Aber er war ganz gewiss nicht dämlich. Im Gegenteil, Jube war bauernschlau. Er legte es nur stets darauf an, unterschätzt zu werden. Sosehr er auch gern seine Kraft zur Schau stellte, im Hinblick auf sein Hirn hielt er sich zumeist bescheiden zurück.
Ich setzte mich zu diesen beiden Sattelgefährten, goss mir seufzend Kaffee ein und rührte ebenfalls in der Tasse herum.
Zwischendurch kratzte ich mir die behaarte Brust. Das konnte ich leicht, denn bis auf die Unterhose war ich nackt. Auch die anderen waren nicht besser angezogen. Es war ja auch ganz hübsch warm geworden, und der heiße Kaffee trieb uns nun den Wein und den Schnaps aus den Poren.
Nach mir kamen dann mürrisch Pecos Slaughter, Curly Highmaster und Scott Bonespenny herein.
Mehr waren wir nicht.
Wir waren eigentlich nur ein paar Strolche, die aus dem Süden heraufgekommen waren mit der Idee, den Goldgräbern die Pferde zu bringen.
Die Pferde hatten wir gestohlen, dies muss ich ehrlich zugeben. Aber wir hatten sie nicht armen Leuten gestohlen, sondern der Unions-Armee. Und diese wiederum hatte sie im Süden bei Ranchern, Farmern und Siedlern requiriert, die ihre Steuern nicht zahlen konnten.
Man wird verstehen, dass wir Südstaatler uns nicht gerade für Pferdediebe hielten.
Als wir dann alle sechs am Tisch saßen und im Kaffee rührten, so als könnten wir dadurch verhindern, noch etwas anderes tun zu müssen – zum Beispiel zu denken oder gar zu reden –, da raffte sich unser guter Sego wieder einmal auf.
Er sagte: »Jungens, wenn wir kein Geld mehr haben, müssen wir wieder hinaus in diese harte und unfreundliche Welt. Ich aber würde noch gerne eine Weile in diesem Paradies bleiben. Ihr nicht?«
Nun erschraken wir wahrhaftig. Zwei von uns verschluckten sich sogar beim Kaffeetrinken und begannen schlimm zu husten.
Aber die Nachbarn schlugen ihnen fast die Rücken ein, so freundlich klopften sie.
Und so herrschte bald wieder Stille.
Nur unsere Hirne begannen innerlich zu knistern. Wir alle hatten tiefe Falten auf den Stirnen und bekamen traurige Augen.
Heiliger Rauch – wenn wir jetzt so plötzlich wieder raus mussten aus diesem schönen Sündenpfuhl ... Das war ja gar nicht auszudenken!
Wir waren fünf Jahre im Krieg gewesen, waren dann aus Texas gejagt worden und hatten Pferde gestohlen. Wir waren dann vier Monate mit diesen Pferden auf der Flucht.
Und wir glichen sozusagen Seefahrern, die nach langen Jahren endlich eine grüne Insel erreichten, auf der es alles gab, was sie sich nur wünschten für die allererste Zeit.
Versteht ihr, Leute, dass wir damals gar nicht normal waren?
Und schon gar nicht waren wir gebildete Schöngeister und gefestigte Menschen, obwohl auch dieses ... Nun, das geht keinen was an.
Wir dachten also nach.
Und jedem von uns schauderte es.
Wir seufzten wie auf Kommando in sechsstimmigem Chor. Plötzlich fühlten wir uns wie auf einem Begräbnis des wahren Glückes.
Endlich sagte Sego Conray: »Na, ihr Hammelköpfe, jetzt begreift ihr wohl, warum ich euch rausgetrommelt habe, weggeholt von den Schönen der Nacht?«
Wir nickten alle.
Ja, das begriffen wir wahrhaftig.
Scott Bonespenny aber fragte: »Sego, hast du da drinnen eine Idee?«
Als er »da drinnen« sagte, pickte er mit einem Zeigefinger gegen seine Stirn wie ein Specht mit seinem Schnabel gegen einen Baum.
Wir hatten fast den Eindruck, als müssten Späne fliegen unter seinem harten Fingernagel.
Doch dann hörten wir Sego Conray sagen: »Einer von uns muss sich opfern. Einer von uns muss dieses Paradies verlassen, um Geld zu beschaffen für die anderen. Wir werden es auslosen.«
Er warf nach diesen Worten ein Kartenspiel auf den Tisch, und er warf es so, dass sich die Karten wahllos ausbreiteten, jedoch mit den Bildern nach unten liegen blieben.
»Wer die höchste Karte zieht, muss hinaus in die harte und unfreundliche Welt«, knurrte er. »Der muss was anschaffen für die guten Amigos, die dann gewissermaßen daheim warten wie die kleinen Vögelchen im Nest auf die gute und fleißige Vogelmam mit dem Futter. Kapiert?«
Wir dachten auch nach.
Und wir rechneten auch nach.
Denn die Chancen standen fünf zu eins für jeden von uns, dass er nicht hinaus ins unheile Leben musste.
Hatten wir jemals bessere Chancen gehabt als fünf zu eins? Oft genug waren sie nicht mal eins zu eins gewesen.
So war das also.
Der Plan war verlockend.
Einer von uns musste etwas tun für die anderen, musste Geld ranschaffen, damit es für uns noch ein paar Tage – und vor allen Dingen Nächte – ein Paradies gab nach fünf Jahren Krieg und fast einem Jahr Satteltramp-Dasein.
Ja, so war es. Einer von uns musste sich opfern.
Scott Bonespenny lachte plötzlich vergnügt. Er war schon immer der große Wagehals von uns, der zuerst auf ein Wildpferd stieg.
Er streckte auch schon seine Hand aus und drehte eine Karte um. Es war die Karo-Dame, und dies bedeutete sicherlich Glück für ihn.
Ich hatte die Herz-Dame und wunderte mich erst danach, warum ich mitgemacht hatte bei diesem Spiel. Die vier anderen Burschen unserer Sattelgemeinschaft hatten es mächtig eilig. Keiner wollte als Zauderer gelten, keiner zurückstehen beim großen Wagnis. Denn zueinander waren wir immer fair gewesen.
Und als die sechs Karten dann auf dem Tisch lagen, da sahen wir, wer hinaus musste aus dem Paradies, wer anschaffen musste für uns, damit wir noch ein Weilchen bleiben konnten.
Es war unser Bulle Jube Mullegan.
Wir starrten ihn ungläubig an, und wahrscheinlich dachten wir allesamt in diesem Moment: Heiliger Rauch, warum gerade er? Das schafft er doch nie, unser Bulle. Nein, dazu ist er zu blöd. Das kann der nicht! Der findet keinen Trick, damit es legal bleibt. Der wird zum Banditen, nur um das zu erfüllen, was er uns gegenüber für seine Pflicht hält.
Ja, das etwa dachten wir alle.
Denn sonst hätte es nicht möglich sein können, dass wir alle wie auf Kommando zu gleicher Zeit sagten: »Nein, du nicht, Jube!«
Und als wir es gesagt hatten, erschraken wir und starrten uns staunend an.
Jeder von uns mochte also diesen Bullen wie seinen eigenen Bruder. Und jeder fühlte sich ihm überlegen, was den Verstand anging. Keiner wollte ihn fortlassen. Es kam jedem von uns so vor, als ließe er ein großes Kind in den Dschungel unter die Tiger gehen mit dem Auftrag, diesen Tigern die Beute abzujagen.
Ja, so kam es uns vor.
Denn Golden Bucket und das umliegende Goldland war eine böse Sache. Der ganze Abschaum der Grenze hatte sich hier eingefunden.
»Was wollt ihr?«, grollte Jube.
»Ich würde es gerne für dich tun«, sagte ich da auch schon und fragte mich zugleich tief in meinem Innern, warum ich denn solch ein Narr war. Aber ich konnte mir darauf keine Antwort geben.
»Nein, ich werde für unseren guten Jube gehen – denn dann könnt ihr sicher sein, dass ich noch rechtzeitig genügend Mäuse heranschaffe«, sagte Sego Conray entschlossen und machte bei dem Wort Mäuse eine typische Geldzählbewegung.
»Glaubst du denn, du wärst die große Nummer, die alles am besten kann? Ich werde es für den Bullen machen.« Dies sagte Pecos Slaughter kehlig und stieß dabei die geballte Rechte klatschend in seinen Handteller, so als wollte er auf diese Art andeuten, dass er sie jedem, der ihm widerspräche, ins Gesicht stoßen würde.
»Nein, ich bin an der Reihe, endlich mal was Großartiges zu tun«, meldete sich Scott Bonespenny, der ja eigentlich unser Küken war.
Aber Curly Highmaster schüttelte seine langen braunen Locken.
»Wir müssen noch mal losen – ohne Jube«, sagte er. »Denn nur eine neue Auslosung wäre fair.«
Da wurde unser Bulle mächtig wild.
»Ihr könnt mich mal«, sagte er. »Ihr glaubt wohl, ich bin blöd? Aber ihr seid noch viel blöder. Ich habe dieses Spiel gewonnen! Und ich will auch meinen Preis kassieren. Ich will hinausgehen in diese lausige Welt und mit Beute heimkehren in unser schönes Nest. Ich bin der Mann, der gewonnen hat. Soll ich euch das vielleicht erst in die Bumsköpfe hämmern?«
Er stellte die Frage fast gemütlich. Doch er hatte jenen schrägen Blick, den wir bei ihm schon kannten. Wenn er so schräg blickte und so gemütlich redete, dann war er gefährlich wie ein echter Toro.
Wir sagten nichts mehr.
Wir ließen ihn gehen.
Und weil wir alle uns einigermaßen schämten, weil wir uns im Moment nichts mehr zu sagen hatten und weil von oben eine Frauenstimme nach einem von uns rief, da erhoben wir uns alle wieder und gingen.
Der Kaffee hatte uns munter genug gemacht, so dass wir wieder die Freuden des Lebens genießen konnten – nämlich die Schönheit, die Wärme und all die guten Dinge von Frauen, alles, was wir sechs lange Jahre entbehrt hatten.
✰
Zwei Tage später trafen wir uns in der Wohnhalle von Lou Madisons Etablissement, in der auch das Klavier stand, um das wir uns schon so oft singend mit unseren schönen Freundinnen gruppiert hatten, sehr deprimiert wieder.
Wir alle waren hungrig, sehr schüchtern und unzufrieden.
Unsere schönen Freundinnen hatten sich längst zurückgezogen, und zu essen gab es auch nichts seit heute Morgen.
Als Lou Madison eintrat, erhoben wir uns höflich, denn sie wollte wie eine Lady behandelt werden und legte Wert auf solche Formen. Sie sah auch wahrhaftig wie eine Lady aus und hätte mit dem Präsidenten unserer Nation zum Ball gehen können, ohne als das erkannt zu werden, was sie war.
Sie sah uns der Reihe nach an.
Dann sagte sie: »Jungens, ihr wart zwar seit langer Zeit unsere liebsten Gäste. Doch wir sind hier kein Pflegeheim aus Barmherzigkeit. Es ist schon schlimm genug, hier in dieser Wildnis leben und mitten unter Wilden aller Hautfarben auf Niveau achten zu müssen. Aber dass wir dies auch noch umsonst tun sollen, geht zu weit! So schön seid ihr auch wieder nicht.«
Nach diesen Worten machte sie eine Pause und wartete, ob jemand von uns etwas zu erwidern hätte. Doch keiner machte den Mund auf.
»Ihr wartet auf euren Bullen«, sprach sie weiter. »Ihr wartet auf ein Wunder. Euer Bulle Jube Mullegan ist hinüber nach Left Hands geritten. Glaubt ihr, dass er dort wieder heil herauskommen wird?«
Wir verstanden nichts, gar nichts.
»Erklären Sie uns das Mal, Ma'am«, sagte Sego Conray höflich. »Bitte erklären Sie es uns armen unwissenden Burschen nur genau.«
Sie sah uns fast mitleidig an, obwohl wir sicher waren, dass sie schon sehr lange mit Männern kein Mitleid mehr hatte.
»Left Hand«, sagte sie, »ist ein Banditennest weiter oben in den Bergen. Die O'Tole-Brüder leben dort. Und die O'Tole-Brüder haben vor wenigen Tagen die Überlandpostkutsche angehalten und ausgeraubt. Sie hatten sich zwar als Indianer verkleidet und irre mit Kriegsfarben bemalt, doch jemand hat sie erkannt.«
Sie machte eine kleine Pause. Wir nickten. Denn bis jetzt konnten wir ihr gut folgen.
Nachdem sie dies mit kritischen Blicken festgestellt hatte, nickte sie zufrieden. Dann erklärte sie uns die Sache weiter.
»Hier im Golden Bucket Canyon gibt es die Lucky-Jenny-Mine. Sie holten dort schon seit Monaten mächtig viel Gold heraus. Man spricht von einem Ertrag, der mehr als fünfzigtausend Dollar pro Monat betragen soll. Der Besitzer heißt Pete Carlson, und eines meiner Girls wurde vor zwei Monaten seine Frau. Er bestellte ihr das Hochzeitsgeschenk beim besten Juwelier in Boston. Vor wenigen Tagen kam es mit der gleichen Post, die von den O'Tole-Brüdern überfallen wurde. Es ist eine prächtige Halskette, die fünfzigtausend Dollar gekostet haben soll. Pete Carlson hat dann eine Belohnung von zehntausend Dollar ausgesetzt, wenn jemand den Schneid haben sollte, den O'Tole-Brüdern das Ding wegzuholen. Na?«
Sie brauchte uns nichts mehr zu sagen.
Wir hatten begriffen.
Unser Bulle Jube Mullegan war nach Left Hands geritten, um zehntausend Bucks zu verdienen.
Wir kannten die Verhältnisse in diesem Teil des Goldlandes von Montana zwischen Last Chance Gulch und Crazy Mountains noch nicht gut genug, um Jubes Chancen richtig einschätzen zu können. Aber sie waren gewiss nicht besser als eins zu zehn und nicht viel schlechter als eins zu tausend.
Damit es richtig verstanden wird, die Zahl zwischen zehn und tausend war gegen unseren Jube.
Sego Conray erhob sich plötzlich: »Wenn es so ist«, sagte er, »müssen wir uns wohl auf die Socken machen, um unseren Jube herauszuholen, wenn das überhaupt noch möglich ist. Mann, o Mann, warum haben wir ihn hier nur rausgelassen?«
Wir alle standen auf. Und wir blickten uns noch einmal bedauernd um.
Jetzt würden wir nicht mehr in weichen Betten schlafen können. Auch mit dem täglichen Badevergnügen war es aus. Und das gute Essen würde es auch nicht mehr geben. Wir würden bald wieder nach Pferdeschweiß riechen, staubig und unrasiert sein – und – und – und ... Aaah, es fielen uns noch sehr viele Dinge ein, die wir nicht mehr haben würden.
Auch unsere Freundinnen würden wir sicherlich nie wiedersehen. Draußen vor Lou Madisons Etablissement würden wahrscheinlich schon einige Mannschaften warten, um uns ablösen zu können. Ich erinnerte mich plötzlich, wie wir die Maultiertreiber fortgeprügelt hatten, um hier ins Paradies zu kommen.
Die verdammte harte Welt würde uns wieder mitten drinnen haben.
Aber unser Bulle war ganz sicherlich in Gefahr. Da durften wir nicht länger mehr zögern. Wir waren zusammen durch den ganzen Krieg geritten und zuletzt auch zusammen in die Gefangenschaft gekommen. Wir hatten zu viel gemeinsam hinter uns gebracht.
Nicht mal ein paar Schöne konnten uns jetzt noch halten.
Und überdies konnten wir hier nichts mehr bezahlen. Man würde uns ohnehin rauswerfen.
So war das also. Wir waren bereit.
Aber in diesen Sekunden, indes wir noch verhielten und uns innerlich darauf einstellten, dass der Ernst des Lebens nun wieder begann und die wenigen Tage hier nur ein verdammt kurzes Glück waren, im Vergleich zu den vergangenen sechs verlorenen Jahren, da hörten wir draußen ein Pferd kommen.
Und der schwarze Diener, der für uns jeden Tag das heiße Badewasser schleppen musste, kam herein und sagte: »Da kommt er!«
Er sagte nicht, wer da kam, aber wir wussten es dennoch.
Und wir hörten es auch, obwohl es zwischen der großen Wohnhalle und der Haustür zum Garten noch eine große Empfangsdiele gab.
Wir hörten unseren Bullen stöhnen, dann mühsam husten und schließlich fluchen.
»Verdammt, warum nimmt mir kein Hundesohn den Gaul ab?«
Und dann kam Jube Mullegan herein. Er stapfte schwerfällig, mühsam. Doch wir hielten es vorerst noch für Müdigkeit oder Erschöpfung. Er war staubig, verschwitzt und hatte dennoch seine Jacke an.
Seine Augen glänzten seltsam.
Er sah uns an, grinste breit und sagte: »Na, ihr Affen? War's schön? Wo ist denn Nelly? Wie ist denn Nelly ohne mich ausgekommen?«
Wir gaben ihm keine Antwort, sahen ihn nur an, staunten – und zugleich auch begriffen wir, dass er nicht einfach nur müde und erschöpft war.
Nein, unser Jube pfiff aus dem letzten Loch. Der machte uns mit seiner allerletzten Kraft etwas vor und hoffte, dass er es durchhalten könnte bis hinauf ins Bett.
Er griff in die Seitentaschen seiner Jacke – auch in die Innentaschen. Und er holte Geld hervor, eine Menge Geld.
»Zehntausend Dollar«, sagte er. »Ehrlich verdient. Aber ...«
Weiter kam er nicht.
Wir sahen vorher schon, dass er unter der Jacke gar nicht gut aussah. Sein Hemd war aufgerissen oder aufgeschnitten, und darunter trug er einen blutigen Verband.
Er sah uns noch einmal stolz der Reihe nach an.
»Und ihr glaubtet, ich bin zu dumm und schaffe so was nicht«, brummte er.
Dann fiel er.
Wir sprangen hinzu, um ihn aufzufangen. Ganz schafften wir es nicht, weil er ja erstens zweihundertzwanzig Pfund wog, und wir uns zweitens in unserem Eifer gegenseitig behinderten.
Lou Madison aber, die inzwischen das viele Geld gesehen hatte, rief: »Tragt ihn hinauf ins Bett! Hinauf ins Bett mit ihm! Josuah, hol den Doc! Um diese Tageszeit wird er wieder nüchtern genug sein. Lauf, Josuah!«
Josuah, das war der schwarze Diener. Und er lief.
Die Mädchen tauchten wieder auf. Sie hatten irgendwo beisammengehockt und die Stimme ihrer Madam gehört.
Nun sahen sie das Geld.
Und nun war klar, dass wir wieder für eine Weile die lieben Gäste waren – wenn wir das wollten.
Als es Abend wurde, war alles ganz anders.
Obwohl wir jetzt mehr Geld als vorher hatten, mehr als dreimal so viel wie am Anfang, als wir hier einzogen, hatte keiner von uns mehr Spaß an diesem Leben.
Lou Madison und ihre Schönen und all das so lang entbehrte vermeintlich Gute und Schöne, dies schien uns nun gar nicht mehr so großartig und einmalig.
Wir waren gewissermaßen aufgewacht aus einem Rausch.
Warum das so war – nun, Jube lag im Sterben.
Ja, da gab es keinen Zweifel. Dass er es überhaupt noch bis zu uns geschafft hatte, war schon ein Wunder. Nur seine Riesenkraft und der Wille, uns sagen zu können, dass er alles geschafft hatte, hatte ihn diese letzte Anstrengung vollbringen lassen.