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Mithilfe seiner Revolverschwinger hat Simson Hickock die Goldstadt fest unter Kontrolle. Aber dann erschießt er seinen Partner Jim Rock und lässt verbreiten, er habe ihn beim Falschspiel erwischt, weil Jim seinen Anteil nicht an ihn verlieren wollte.
Hickock glaubt, sein letztes Problem losgeworden zu sein. Er weiß nicht, dass der Ermordete einen Bruder hat, Bruce Rock, den berühmten Städtebändiger. Er weiß auch nicht, dass die junge Witwe ihren Schwager um Hilfe bittet. Und so erscheint eines Tages ein Fremder nach Montana City. Für Hickock ist es der Anfang vom Ende...
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Seitenzahl: 220
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Montana City
Vorschau
Impressum
Montana City
Die schwankende Concord-Kutsche kommt in wilder Fahrt die Passstraße herunter. Kurz vor der Brücke stemmt der Fahrer den Fuß gegen die Bremse und stößt mit scharfer Stimme einige Rufe aus, die den sechs Pferden gelten. Genau vor der Brückenschranke und dicht neben dem Wächterhaus kommt die Postkutsche schwankend zum Stillstand.
»Alles aussteigen, wir sind an der Brücke! – Hier muss Zoll bezahlt werden, Leute! Nur Ladys haben freien Übergang!«
So ruft der Fahrer vom Bock zum Seitenfenster der Kutsche hinein. Dann setzt er sich wieder aufrecht und beißt sich ein neues Stück Kautabak ab. Auch sein Begleitfahrer neben ihm grinst und holt eine flache Blechflasche aus der Tasche.
An der Kutsche stehen die Worte geschrieben:
OVERLANDLINE
Simson Hickock
MONTANA CITY
Und am Dach des Blockhauses hängt ein Schild, auf dem geschrieben steht:
BRÜCKENBAUGESELLSCHAFT
Simson Hickock & Co.
Fünf Männer, die Gold suchen wollen – und ein sechster Mann, der kein Gold suchen will –, klettern mehr oder weniger fluchend aus der Kutsche.
Der sechste Mann klettert zuletzt heraus und wartet dann lässig neben dem Hinterrad der Kutsche.
Bruce Rock ist ein großer Mann, mit den massigen Schultern und schmalen Hüften eines Reiters. Seine langen Beine sind leicht gekrümmt, und es ist kein Gramm überflüssiges Fett an ihm.
Sein Kopf ist gut geschnitten – man sieht es, als er den flachen Stetson abnimmt und sich durch das dunkle Kraushaar fährt. Aber sein Gesicht ist unregelmäßig, und dieser Eindruck wird noch durch die Narbe auf der linken Wange und seine schiefe Nase verstärkt. Irgendwann ist diese Nase einmal von einer harten Faust um ihre einstige Linie gebracht worden.
Bruce Rock hat einen breiten Mund und harte Kinnwinkel. Aber er wirkt nicht böse, sondern nur hart, sehr hart. Seine grauen Augen schimmern manchmal etwas grünlich.
Sie sind ruhig und fest und meistens ausdruckslos. Sie stehen weit auseinander und sind unter vorgewölbten Augenbrauen verborgen.
Er ist also wahrhaftig kein schöner Mann, dieser Bruce Rock – aber er ist unbedingt ein richtiger Mann. Nur die Falten in den Augenwinkeln deuten an, dass tief in ihm ein trockener Humor verborgen ist, und seine Mundwinkel verraten zumeist einen lässigen Spott.
Ein halbes Dutzend Männer stehen im Halbkreis vor den ausgestiegenen Fahrgästen. Alle sechs halten Gewehre in den Armbeugen. Ein siebter Mann kommt aus dem Blockhaus. Dieser Mann ist klein, drahtig, geschmeidig wie ein Panther, mit schwarzen Knopfaugen und einem Mund, der wie die Narbe eines Messerschnittes wirkt.
Er trägt zwei Colts, die er sich auf eine besondere Art auf die Oberschenkel geschnallt hat, so dass die Kolben nicht nach hinten zeigen, sondern im rechten Winkel vom Körper abstehen.
Bruce Rock ist auf seinen rauen Wegen vielen Revolvermännern begegnet, und mit einigen Burschen der schlimmsten Sorte hat er gekämpft.
Als er diesen zweibeinigen Panther kommen sieht, weiß er sofort, dass dieser Bursche richtiges Gift ist.
Er holt langsam sein Rauchzeug hervor. Indes er sich eine Zigarette dreht, hört er den kleinen Revolvermann sagen:
»Also, Leute – ihr werdet es wohl schon gehört haben, dass der Weg ins Goldland nur über diese Brücke führt. Es ist eine Privatbrücke, deren Bau hunderttausend Dollar gekostet hat. Wenn ihr einen Blick über den Schluchtrand in die Tiefe werft, so werdet ihr erkennen, dass hier ein Wunder der Brückenbaukunst vollbracht wurde, und das mitten in der Wildnis, wo es nur diese eine Straße gibt. Um es kurz zu machen, Leute: Wer über diese Privatbrücke will, der muss fünfzig Dollar Zoll herausrücken.«
Er verstummt und zeigt grinsend seine Zähne.
Die fünf Männer, die mit Bruce Rock in der Kutsche fuhren, beginnen bitter zu fluchen. Einer ruft wütend: »Das ist eine verdammte Halsabschneiderei! Das ist Erpressung! Zum Teufel...«
»Nur keine Drohungen, Mister«, unterbricht ihn der Revolvermann kühl. »Wir sind hier an solche Schwierigkeiten gewöhnt. Es zwingt Sie niemand, die Brücke zu betreten. Das liegt ganz bei Ihnen. Wenn Ihnen fünfzig Dollar zu viel Geld sind, bauen Sie sich selbst eine Brücke oder versuchen auf andere Art, die Schlucht zu überqueren. Aber stoßen Sie hier keine Drohungen aus. Hier sind schon rauere Burschen fügsam geworden.«
»Aber wir haben doch alle einen Fahrpreis nach Montana City bezahlt. Und da muss man doch annehmen, dass alles darin inbegriffen ist«, knurrt ein anderer Mann.
Aber auch er ist schon eingeschüchtert.
Der kleine Revolvermann tritt jetzt vor und hält die linke Hand auf.
»Also, Gents! Die Kutsche fährt sofort weiter. Wer über die Brücke will, der muss zahlen.«
Unterdrückt fluchend zahlen die Männer, und manche kratzen ihr letztes Geld zusammen. Einer hat nur siebenundvierzig Dollar, aber der kleine Revolvermann gestattet ihm grinsend, wieder die Kutsche zu besteigen.
Ganz zuletzt hält er Bruce Rock die Hand hin.
Der schüttelt sanft den Kopf und murmelt: »Von seinen alten Freunden nimmt Simson Hickock keinen Brückenzoll.«
»Doch«, sagt der Kleine sanft und schaut zu Bruce auf. »Vielleicht sind Sie mal Hickocks Freund gewesen, vielleicht ist es aber auch nur ein Trick, um Geld zu sparen. Zahlen Sie lieber, Freund. Wenn der Boss Ihr Freund ist, so gibt er Ihnen das Geld zurück.«
Grinsend hält er Bruce Rock die Linke hin, und seine Rechte hängt lässig hinter dem Coltkolben.
Bruce Rock trägt seinen Colt am rechten Oberschenkel. Es ist ein alter Colt in einem alten Holster. Der Holzkolben ist blank und abgegriffen.
Bruces Rechte bewegt sich langsam und greift in die Tasche. Der Revolvermann beobachtet dies und grinst zufrieden, als Bruce eine Rolle Geldscheine herausholt.
Aber dann kommt plötzlich Bruces Linke – und sie kommt kurz und wie ein Blitz. Aus kaum zwanzig Zentimeter Entfernung knallt sie kurz herumgezogen auf den Kinnwinkel des kleinen Mannes.
Und dieser würde wie eine Puppe umfallen, wenn Bruce ihn nicht mit einem schnellen Zugriff an der Hemdbrust packen würde. Auch dies erledigt er mit der Linken.
Mit der Rechten steckt er das Geld weg und zieht den Colt. Es ist ein schneller Zug, der sich in den Kreisen der besten Revolverkämpfer sehen lassen kann. Den bewusstlosen Revolvermann hält er wie ein Schutzschild vor sich. Sein Colt droht. Und er selbst blickt kühl und furchtlos in die sechs Gewehre hinein, die sich auf ihn und sein »Schutzschild« richten.
Die ganze Sache hat sich blitzschnell abgespielt. Von Bruce Rocks Seite aus war es der explosionsartige Ausbruch eines Kämpfers, der nur äußerlich so lässig wirkt und in Wirklichkeit wie eine Pulverladung explodieren kann.
Er presst den Bewusstlosen fest an sich. Die kraftlosen Beine des kleinen Revolvermannes berühren nicht mehr den Boden.
Über den Kopf des Mannes hinweg sagt Bruce kalt zu den sechs Männern: »Wetten, dass ich ihn noch erledigen kann, bevor ihr mich umgelegt habt? Wie ist es, Freunde?«
»Diese Wette könntest du gewinnen«, sagt einer und senkt grinsend sein Gewehr.
»Lasst ihn nur machen«, sagt er zu den anderen Burschen. »Er will nach Montana City. Und wenn er wirklich nicht ein guter Freund von Simson Hickock ist, lässt der ihn wegen dieser Sache hier in Streifen schneiden. Aaah, es muss wirklich Hickocks Freund sein, sonst würde er jetzt nicht über die Brücke wollen! All right, Fremder, du kannst ohne Zoll fahren, du kannst Montana City nur über diese Brücke wieder verlassen, und Hitt Lane, den du da im Arm hältst, würde uns verfluchen, wenn wir ihm eine Arbeit abnehmen, die er selbst tun will. Selbst wenn du Hickocks Freund bist, wird Hitt Lane sich deinen Skalp holen! Fahr nur los!«
Er wendet sich ab und geht zur Bank an der Blockhauswand.
Auch die drohende Gruppe der anderen Männer löst sich auf.
Bruce Rock lässt seinen bewusstlosen Gefangenen fallen und klettert rückwärts in die Kutsche. Dabei hält er den Colt schussbereit auf die sechs Männer gerichtet.
Aber die grinsen nur.
Bruce zieht die Tür hinter sich zu und setzt sich in seine Ecke. Als die Kutsche anfährt, stoßen die anderen fünf Männer den angehaltenen Atem aus – und einer sagt: »Mister, selbst wenn Sie ein guter Freund dieses Hickock sind, haben Sie eben mit ihrem Leben gespielt. An Ihrer Stelle hätte ich mir von Hickock lieber die fünfzig Dollar zurückgeben lassen.«
Bruce Rock grinst.
»Er wird sie mir nicht geben, er gibt nie etwas zurück, was er einmal in Besitz genommen hat. Und er ist mir eine Menge schuldig. Seine Schuld könnte er nicht abtragen – selbst dann nicht, wenn ich ein ganzes Jahr lang jeden Tag zehnmal ohne Zoll die Brücke passieren würde. Wer wirft seinem Schuldner schon noch mehr Geld vor die Füße?«
Die fünf Männer, die hier Gold suchen wollen, sehen ihn staunend an. Einer war sicherlich mal Cowboy, zwei andere sehen wie ehemalige Frachtwagenfahrer aus. Einer war bestimmt Holzfäller, und der fünfte Mann hat vor kurzer Zeit bestimmt noch hinter einem Ladentisch gestanden.
Sie sehen ihn also staunend an.
Dann ächzt der Cowboy: »Oha, dann ist Simson Hickock, der große Boss der Goldfelder, gar nicht ihr Freund, Mister?«
»Nein«, grinst Bruce.
Nun starren sie ihn an wie einen Verrückten.
»Sie sehen aber doch ganz gesund aus«, wundert sich der Ladenclerk.
»Nur gut, dass wir mit Ihnen nichts zu tun und unseren Zoll bezahlt haben«, murmelt der ehemalige Frachtwagenfahrer.
Dann verstummen sie und vermeiden es sichtlich, Bruce Rock anzusehen.
Der blickt aufmerksam zum Fenster hinaus und betrachtet das Land. Der Fahrweg führt in einen engen Canyon hinein, der sich wie ein Trichter erweitert und dann zu einem Tal öffnet. Rings um das Tal, in dem Hügel und Waldinseln stehen, zieht sich eine gewaltige Bergmauer. Schon auf diese Entfernung kann man erkennen, dass es aus diesem Tal wahrscheinlich keinen anderen Ausgang gibt als diesen einen Canyon, den man nur über die Brücke erreichen kann.
Die feste Holzbrücke spannt sich über einen tiefen Abgrund. Als die Kutsche über die Brücke poltert, sehen die Männer aus den Fenstern, und sie können erkennen, wie tief der Abgrund ist. Bruce Rocks Blick schweift aufmerksam über das weite Tal. Hier und da längs des Creeks und an den kleineren Bächen, am Fuße der Hügel und weiter drüben längs der Bergwände sieht er überall kleine Goldgräbercamps und einzelne Bretterhütten oder Zelte.
Männer sind an der Arbeit. Manche stehen im Creek und waschen dort den Kies aus. Andere treiben Stollen in die Hänge der Hügel oder treiben Löcher in den steinigen Boden.
Überall sind die Männer am Werk – es sind Männer aller Klassen und Sorten, und manche arbeiten mit nackten Oberkörpern. Sie tragen derbe Stiefel, in denen ihre Hosen stecken, bunte Wollhemden und große Hüte. Fast alle sind bewaffnet. Viele sind bärtig. Aber es sind auch bartlose Gestalten darunter.
Da sind ehemalige Cowboys, Lehrer, Angestellte, Buschräuber, Holzfäller, alte Büffeljäger, Trapper, Exsoldaten, Frachtwagenfahrer Maultiertreiber und Rowdys – ja, es sind alle Sorten vertreten. Einer der Goldgräber trägt sogar einen steifen Zylinderhut.
Und sie bevölkern das Tal. Sie wühlen, graben, waschen und schuften. Sie arbeiten hart, und sie sind hart gegen sich selbst und hart gegen die Artgenossen.
Denn sie suchen nach Gold.
Gold!
Für Gold sind auf dieser Erde schon die unmöglichsten Dinge vollbracht worden!
Die Kutsche rollt schwankend auf der schmalen und staubigen Straße durch das regsame Goldfeld. Der Creek wird immer breiter, denn von allen Seiten rinnen dünne Bäche in sein Bett.
Und die Camps, die Hütten, Schutzdächer und Zelte werden immer zahlreicher. Jetzt sind auch nirgendwo mehr Wäldchen oder Bäume zu sehen. Nur noch Baumstümpfe sind da.
An einer schmalen Stelle des Creeks, wo die Strömung stark ist, steht eine Sägemühle.
Aus dem Fenster der Kutsche liest Bruce Rock das große Schild an der Hauswand:
BAUHOLZ – HÄUSERBAU – MÖBEL
Inh. Simson Hickock
Bruce Rock grinst. Er ist nicht mehr überrascht. Nun ist er darauf vorbereitet, dass er den Namen Simson Hickock an allen wichtigen Gebäuden und Unternehmen lesen wird.
Dieser Simson Hickock ist nichts anderes als der ungekrönte König des Goldlandes.
Und der Schlüssel zu seiner Macht dürfte die Brücke sein.
Der Creek teilt sich in zwei Arme, die jeder für sich einen Weg durch eine Hügelbarriere suchen. Der Fahrweg folgt dem linken Arm. Und auch hier zwischen den Hügeln wühlen, bohren und graben Männer nach Gold. Sie arbeiten allein oder in Mannschaften. Von irgendwo tönt der donnernde Krach einer Sprengung herüber.
Ein Stück weiter sieht Bruce Rock einen kleinen Mann aus einem Loch springen und wie wild herumtanzen. Der Kleine hält einen Dreckklumpen in der Hand und brüllt immer wieder: »Gold! Gold! Das größte Nugget des Montana Valley! Ich bin reich! Gold, Gold!«
Von allen Seiten kommen Männer hinzugelaufen.
Dann ist die Kutsche vorbei. Die fünf Männer, die mit Bruce in dem Gefährt sitzen, rutschen unruhig auf ihren Sitzen herum.
Einer sagt heiser: »Bei Gott, ich werde hier ebenfalls mein Glück machen – ich fühle es ganz deutlich, dass ich hier reich werde!«
»Wenn wir nur nicht zu spät kämen!«, ruft ein anderer. »Die besten Stücke sind längst vergeben.«
Bruce Rock hört das alles und noch mehr. Er lächelt hart und hält weiter scharf Ausschau.
Dann rollt die Kutsche aus den Hügeln. Hier vereinen sich die beiden Creekarme wieder und werden zu einem Fluss, der über Sandbänke plätschert, dessen Bett dann aber wieder tief zwischen enge Felswände eingeschnitten ist.
Und dann sieht Bruce Rock die Stadt Montana City auftauchen. Er kann nur einen raschen Blick auf die Ansammlung von Holzhäusern, Hütten, Buden und Zelten werfen, dann macht die Straße eine Biegung.
Aber bald werden die Camps dichter und größer. Bald fährt die Postkutsche zwischen den ersten Häusern in die Stadt hinein.
Hier reihen sich die Saloons, Spielhallen, Tanzsäle, Speisehäuser und Stores aneinander.
Menschen bevölkern die Gehsteige. Nur wenige Frauen sind zu sehen. Da zu dieser Stunde fast alle Goldgräber auf ihren Claims arbeiten, herrscht kein ausgesprochen reger Betrieb im Ort.
Bruce Rock weiß aus dem Schatz seiner Erfahrungen, dass die Stadt Montana City zur Abendstunde erst richtig erwachen wird.
Dann werden die Männer durstig an die Whiskytränke stürmen, die Speisehäuser und die Spiel- und Tanzhallen füllen. Und es wird getrunken, gerauft, betrogen und gespielt werden. Alle Laster und Leidenschaften werden sich austoben.
Die Stadt wird sich in ein böses Untier verwandeln, das viele Menschen verschlingt, zerbricht und erledigt und nur wenigen Menschen Gewinn und Glück bringt.
Bruce Rock kennt das alles – denn seine Wege waren stets rau und rauchig.
Plötzlich hält die Kutsche vor einem zweistöckigen Haus. Auch hier liest Bruce Rock auf einem Schild:
FRACHT- und POSTLINIE
Inh. Simson Hickock
Er ist wirklich ein großer Mann, denkt Bruce Rock. Es gibt sicherlich auf tausend Meilen in der Runde keinen Mann, der wichtiger und größer ist als Simson Hickock. Sein Schatten liegt über der Stadt und dem ganzen Goldtal. Was wird er nur sagen, wenn...
Er beendet seine Gedanken nicht, lächelt hart und grimmig, klettert aus der Kutsche und geht die Nugget Street hinauf.
Als er hundert Yard gelaufen ist, hat er noch dreimal den Namen Simson Hickock lesen können. Der General Store, der große Montana-Saloon und die Bank gehören also ebenfalls Hickock.
Vor der Bank hält Bruce inne und streicht sich nachdenklich die stoppelbärtige Wange.
Aber dann geht er weiter.
Ganz plötzlich hält er inne.
Über dem Eingang eines Hotels liest er die Worte:
GOLDEN BELL-HOTEL
Inhaberin Kate Rocks
Er starrt auf den Namen – und dann geht er langsam hinein.
Ein einarmiger Mann hockt hinter dem Pult und sagt: »Bedaure, Mister – aber das Haus ist bis zum Dachboden hinauf belegt.«
»Für mich wird noch Platz sein«, murmelt Bruce. Er nimmt die Feder aus dem Tintenfass, dreht das Gästebuch herum und schreibt seinen Namen unter die lange Reihe.
»Das nützt alles nichts, Mister«, murmelt der Portier. Aber er starrt dabei auf Bruces Namen – und er ist geübt genug, um die Buchstaben auch verkehrt herum lesen zu können.
Der Mann ist grau und alt, aber noch stark und schwer. Er richtet sich plötzlich auf und sieht fest in Bruces Gesicht.
»So ist das also«, sagt er ruhig. »Ich bin Frank Mallet. Gehen Sie durch diesen Gang, und klopfen Sie an die zweite Tür. Ich werde dem Hausnigger sagen, dass er schon einmal ein warmes Bad vorbereitet. Nun, ich weiß nicht, ob es gut ist, dass Sie gekommen sind – aber ich verdanke mein Leben Ihrem Bruder. Seit diesem Tag arbeite ich für die Rocks.«
Bruce sieht ihn an, nickt unmerklich und geht davon.
Frank Mallet sieht ihm nach, schielt auf den Eisenhaken, der ihm die Hand ersetzt, betrachtet dann nachdenklich seine gesunde Rechte und tritt einen Schritt zurück, damit er die Schrotflinte unter dem Pult sehen kann.
Kolben und Lauf dieser Flinte sind abgesägt. Es ist eine gefährliche Kugelspritze.
»Nun, die kann ich auch mit einer Hand abfeuern«, murmelt Frank Mallet. Sein grobes Gesicht zuckt, und in seinen hellen Augen erscheinen gelbe Lichter.
Indes klopft Bruce an der bezeichneten Tür. Er hört die Stimme einer Frau, öffnet und tritt langsam ein.
Er nimmt den Hut ab und sieht die junge Frau an, die sich jetzt hinter dem Schreibtisch erhebt.
Langsam schließt er die Tür, ohne seinen Blick von Kate Rock zu nehmen.
»Was wünschen Sie?«, fragt sie herb. Ihre Stimme klingt dunkel.
Plötzlich kommt sie hinter dem Schreibtisch hervor und nähert sich Bruce. Zwei Schritte vor ihm bleibt sie stehen und sieht ihn an.
Auch Bruce sieht sie an – er steht vor der Frau seines Bruders Jim. Kate ist mittelgroß, schlank und dabei voll genug, um nicht mager zu wirken. An ihr ist alles richtig. Sie trägt den Kopf auf eine stolze Art. Ihre Haare sind von einem leuchtenden Kastanienrot.
Ihre Augen sind so blau wie Kornblumen, und die Brauen haben einen besonderen Schwung. Ihre Lippen sind voll und herb zugleich.
Sie ist nicht ausgesprochen schön – aber sie ist sauber, klar und sehr anziehend. Sie ist eine junge, frische Frau – und wenn sie es darauf anlegen würde, könnte sie gewiss jedem Manne den Kopf verdrehen.
Bruce lächelt ernst auf sie nieder.
»Wir haben uns noch nie gesehen, Kate«, sagt er, »aber Jim sah mir ähnlich, obwohl seine Haare so gelb wie Stroh waren. Bin ich willkommen?«
Sie sieht ihn immer noch an.
Dann sagt sie herb.
»Du bist also Bruce. Du bist also der große Bruder meines Mannes. Du bist...«
»... der Revolverheld und der Satteltramp – das schwarze Schaf der Familie Rocks«, vollendet er sanft.
Sie schüttelt unwillig den Kopf und wendet sich ab. Sie tritt ans Fenster und starrt auf die Straße.
»Jim hat mir genug über dich erzählt«, murmelt sie. »Ich weiß, warum du vor einigen Jahren ins Gefängnis musstest.«
»So, weißt du das?«, murmelt er sanft.
Sie wendet sich schnell. »Du hast den Mann getötet, der eure Schwester...«
»Das ist vergessen«, murmelt er. »Helen ist tot – und jener Hundesohn, mit dem sie ging und an den sie glaubte und der sie dann in größter Not verließ, ist tot. Aber auch Jim ist tot! Du bist seine Witwe. Ich habe von Jim einige Briefe erhalten. Ich weiß, dass er mit Simson Hickock eine Partnerschaft hatte und dann von Hickock getötet wurde. Ich bin gekommen, um Einzelheiten zu erfahren. Vielleicht wurde ich, nachdem ich jenen Mann getötet hatte, ein Revolverheld und Satteltramp. Vielleicht habe ich einige Dinge getan, die ein Mann nicht tun sollte. Aber Jim war anders! Jim war kein...«
»Simson Hickock wird dich ebenfalls töten oder töten lassen«, unterbricht sie ihn. »Ich weiß also, dass du hier eine Hölle entfesseln kannst. Aber dabei wirst auch du umkommen. Und einige Männer, die es nicht verdienen, werden vielleicht auch sterben. Ich will keine Rache für Jim – obwohl es für dieses Tal gut wäre, wenn Simson Hickock abgeschossen würde. Aber das geht nicht.«
»Ich möchte erst einmal wissen, wie sich die ganze Sache abspielte«, murmelt er. »Wenn es dir nicht sehr viel ausmacht, so berichte es mir. Mir ist es nicht gleich, wenn mein Bruder wegen Falschspiels von seinem eigenen Partner getötet wird. Jim würde niemals seinen Partner im Spiel betrogen haben. Wie war es also?«
Er geht langsam zu einem Sessel und lässt sich darin nieder. Er legt den Hut neben sich auf die Erde, faltet die Hände und sieht Kate fest an.
Sie setzt sich ihm gegenüber. Aber dann erhebt sie sich wieder und holt eine Flasche Wein und zwei Gläser aus dem Schrank.
Als sie trinken, sehen sie sich wieder in die Augen.
»Du bist genauso, wie Jim dich beschrieben hat. Ich weiß, dass Jim dazu verpflichtet war, dir die Hälfte des Wertes der väterlichen Ranch auszuzahlen. Das Geld liegt für dich bereit, Bruce.«
»Ich bekomme es von Simson Hickock«, sagt Bruce sanft. »Bitte erzähle, Kate, wie es von Anfang an war.«
Sie zögert, aber dann nickt sie und beginnt.
✰
Ihre Stimme klingt herb – aber sie wird nach wenigen Worten fest und ruhig.
»Mein Vater war sein ganzes Leben lang auf der Suche nach Gold. Er entdeckte auch dieses Tal. Es gibt im Osten noch einen gefährlichen Kletterweg über die Berge – aber das ist ein schlimmer Weg, der jetzt durch einen Bergrutsch unpassierbar gemacht wurde. Mein Vater fand schnell heraus, dass der Creek und die kleineren Wasserläufe, die Hügel und überhaupt der ganze Boden dieses Tales Gold enthielten. Er steckte seinen Claim ab und machte sich dann auf den Weg, um seinen Besitzanspruch eintragen zu lassen. Das geschah in Farel. Beim Landagenten traf er Simson Hickock, und von meinem Vater erfuhr Hickock, dass das Goldtal nur über einen gefährlichen Kletterweg zu betreten war. Hickock war damals in Farel ein Spieler und Revolvermann. Nun, mein Vater zog wieder ins Goldland – und mit ihm zogen mehr als hundert andere Männer, die sich alle neben dem Entdeckerclaim ihre eigenen Claims abstecken wollten. Sie konnten nur mitnehmen, was sie auf den Schultern trugen. Simson Hickock aber suchte einen Geldgeber. Jim hat mir später erzählt, wie er Hickock kennenlernte.«
»Das hat er mir geschrieben«, murmelt Bruce. »Inzwischen war nämlich der verdammte Bürgerkrieg beendet worden. Ich habe auf der Seite der Südstaaten gekämpft. Bei Appomattox wurde ich am letzten Tag schwer verwundet. Ich brauchte mehr als ein halbes Jahr, um wieder in den Sattel zu können. Inzwischen war Jim längst daheim. Er schrieb mir, dass er die Ranch verkauft hätte und mit zweitausend Rindern nach Dodge City aufgebrochen wäre. Er schrieb mir auch von der weiten Weide in Wyoming. Er wollte dort mit dem Aufbau einer neuen und größeren Ranch beginnen. Ich sollte, sobald ich könnte, nachkommen.«
Kate nickt. »So sagte Jim es mir auch. Er hatte in Dodge City einen großen Teil der Herde verkauft. Nur etwa zweihundert auserlesene Rinder und hundert Pferde behielt er. Mit Frank Mallet, der damals noch beide Arme hatte, und zwei anderen Cowboys brach er von Kansas nach Wyoming auf. Hickock und er lernten sich in einem Speisehaus beim Mittagessen kennen. Hickock hörte, dass Jim sich eine Ranch aufbauen wollte und ein gutes Stück Land suchte. Er erfuhr auch bald, dass Jim viel Geld hatte. Sie wurden Partner; denn Hickock interessierte Jim für das Projekt einer Brücke.«
»Das hat mir Jim auch geschrieben«, murmelte Bruce wieder. »Er schrieb mir von einer Zollbrücke, die er und Simson Hickock über einen tiefen Abgrund bauen wollten, damit es ins Goldtal endlich eine richtige Straße geben würde. Jim versprach sich viel Geld davon, aber er hätte gewiss keine fünfzig Dollar für die Benutzung der Brücke genommen.«
Kate sieht ihn an. »Als Jim noch lebte, zahlte man einen Dollar für Mensch und Tier – und zehn Dollar für eine Tonne Fracht«, sagte sie. »Und dieser Preis sollte gesenkt werden, sobald die Kosten des Brückenbaus eingebracht waren. Aber dann gehörte die Brücke eines Tages nur noch Simson Hickock. Und der erhöhte den Zoll. Jeder zahlt die Summe – jeder, der Gold suchen oder hier auf eine andere Art zu Geld kommen will. Du hast sicherlich auch gezahlt, Bruce.«
Er grinst und schüttelt den Kopf.
»Ich habe nicht gezahlt«, murmelt er. »Aber erzähl nur weiter. Du hast Jim hier kennengelernt, und ihr habt schnell geheiratet, nicht wahr? Es stand in seinem letzten Brief, den ich erhielt, als ich nach Monaten zum ersten Male das Bett verlassen konnte. Dann kam nur noch ein Brief von dir, Kate, der mir den Tod meines Bruders mitteilte. Ich brauchte dann immer noch viele Wochen, um wieder gesund zu werden.«
Sie sieht ihn aufmerksam an.
»Du hast keinen Zoll gezahlt? Wie bist du denn...«
»Simson Hickock ist mir eine Menge schuldig«, sagt er. »Und die Hälfte des Geldes, das mein Bruder für den Brückenbau aufbrachte, gehörte mir. Jim war damals noch nicht alt genug, um den Mann töten zu können, der unsere Schwester ruiniert hatte. Er brauchte nicht ins Gefängnis. Ich bin vorzeitig entlassen worden, weil der Krieg ausbrach und ich in die Südarmee eintreten wollte. Nun, Jim hat das Erbe der Eltern für mich mitverwaltet – denn ein Bruder musste Genugtuung für die Schande fordern, die jener Mann unserer Schwester antat. Man hat es mir damals zur Last gelegt, dass ich den Mann zum Zweikampf forderte. Die Freunde des Hundesohnes sagten aus, dass ich zuerst den Colt gezogen hätte. – Aber es war nicht so. Der Bursche hatte seine Chance. Wie ging es hier weiter?«
Kate schließt die Augen und senkt den Kopf.
»Als die Brücke fertig war, ließ mein Vater mich nachkommen. Er hatte viel Geld mit seinem Claim verdient. Er baute dieses Hotel, aber er war immer schon etwas leichtsinnig. Er verspielte viel Geld und musste eines Tages seinen Claim verkaufen, weil er in einer einzigen Nacht fünfzigtausend Dollar am Spieltisch verlor. Hickock kaufte den Claim. Hickock stellte mir auch vom ersten Tag an nach. Aber ich wurde Jims Frau. Ich lernte Jim gleich an der Brücke kennen. Später kam er mir einmal zu Hilfe, als Hickock zudringlich wurde. Als wir heirateten, wurde Hickock sein Feind. Eines Tages wurde auch mein Vater von einem Revolverhelden angerempelt. Da mein Vater selbst streithaft war, kam es zu einem Kampf. Sie töteten sich gegenseitig. Dann ging alles sehr schnell. Simson Hickock war immer mehr zum mächtigsten Mann geworden. Da seine Methoden jedoch zu hart und rau waren, hatte sich Jim längst von ihm getrennt. Nur in Bezug auf den Ertrag der Brücke waren sie Partner. Aber auch hier gab es ständig Streit, da Hickock den Zoll immer mehr erhöhen wollte. Nun, Bruce, ich weiß nicht, warum Jim sich mit Hickock auf ein Pokerspiel einließ. Jedenfalls spielten sie um die Brücke. Jeder von ihnen setzte seinen Anteil. Und die Augenzeugen behaupten, dass Jim einen Kartentrick versucht hätte, bei dem Hickock ihn erwischte. Da sie schon vorher verfeindet waren, zogen sie ihre Colts. Oh, ich selbst wollte mit einem Gewehr zu Hickock gehen und ihn töten. Als man Jim zu mir brachte, glaubte ich gleich nicht an die Behauptung, dass er falsch gespielt hätte. Jim war stolz und grundehrlich. Aber...«
»Und was glaubst du jetzt, Kate?«