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Mit einer kleinen Rinderherde kommt Kirby Satterlee nach Prairie City, weil er für sich und seinen mutterlosen Sohn eine neue Heimat sucht. Aber in der Stadt regiert der Teufel. Hass, Ausbeutung und Gewalttat sind an der Tagesordnung.
Kirby will weiterziehen, aber dann sagt er sich, dass er, um nicht mehr töten zu müssen, der Auseinandersetzung schon zu lange ausgewichen ist. Also beschließt er zu bleiben und zu kämpfen.
Es ist ein Entschluss, der einer gedemütigten und grausam unterdrückten Stadt die heißersehnte Befreiung bringen wird...
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Seitenzahl: 221
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Prairie City
Vorschau
Impressum
Prairie City
Im letzten Schein der Abendsonne betrachtet Kirby Satterlee seine jämmerliche Herde, die sich um die schlammige Wasserstelle sammelt. Und wieder einmal denkt er bitter: Dies ist also alles, was mir nach all den Jahren blieb – siebenundfünfzig Rinder! Er wirft einen Blick zum Camp hinüber. Dort hat Jesse das Feuer in Gang gebracht und den Wasserkessel über die Flammen gehängt. Für einen Jungen von zwölf Jahren ist er sehr geschickt und zuverlässig.
Kirby Satterlee korrigiert sich in Gedanken. Er meint plötzlich wieder, dass ihm eine ganze Menge blieb, nämlich Jesse. Er hat einen Sohn, der in wenigen Jahren schon fast erwachsen sein wird. Und in einigen Jahren werden sich auch die siebenundfünfzig Rinder tüchtig vermehrt haben. Er muss nur eine gute Weide für sie finden, wo sie sich von dem langen Treiben erholen, zu Kräften kommen und sich dann mehren können.
Die Herde besteht fast nur aus tragenden Kühen. Sie wird sich also bald verdoppeln.
Kirby Satterlee lächelt plötzlich ernst.
So schlimm ist es gar nicht, denkt er. Ich habe immer noch Jesse, und ich habe siebenundfünfzig Rinder. Ich bin noch keine fünfunddreißig Jahre alt und kann noch einmal von vorn beginnen. – Nun gut!
Er blickt noch einmal über die kleine Herde. Die Tiere trinken noch, doch sie werden sich auch nachher nicht von dieser Wasserstelle entfernen. Sie haben während der letzten Tage zu viel Durst gelitten, und sie sind auch zu sehr erschöpft. Sie werden hier am Wasser und auf dem besonders saftigen Gras der Senke bleiben. Man müsste sie gewiss prügeln, um sie fortbekommen zu können, bevor sie sich sattgetrunken und ausgeruht haben.
Und weil das so ist, wird auch Kirby Satterlee einige Stunden ruhen und schlafen können.
Dieses schon tagelang andauernde Ein-Mann-Treiben hat sehr an seinen Kräften gezehrt. Und manchmal war er im Sattel eingeschlafen. Jesse war ihm zwar eine große Hilfe, doch der Junge hat genügend mit den sechs Pferden und den beiden Packpferden zu tun. Er leistet eine Arbeit, die man einem etwa fünfzehn- oder sechzehnjährigen Jungcowboy überträgt. Doch Jesse ist vor fünf Tagen erst zwölf Jahre alt geworden.
Kirby Satterlee reitet zum Camp hinüber. Er nickt Jesse zu, gleitet vom Rücken seines Pferdes und nimmt dem Tier den Sattel ab. Er holt sich eines der frischeren Pferde aus dem Seilcorral und legt diesem Tier den Sattel auf. Er bindet es an einer langen Leine an einem Baum an und hat somit Vorsorge getroffen, dass er binnen weniger Sekunden im Sattel sitzen und zur Herde reiten könnte.
Nun tritt er ans Feuer und hockt sich auf seine Fersen nieder, wie es Cowboyart ist.
Es ist inzwischen dunkel geworden. Die Sonne versank brennend und glühend im Westen, und auch die feurige Lohe am Himmel wurde dunkel und wird nun von den eilenden Schatten der Nacht bedeckt.
Die beiden Satterlees hocken am Feuer und bereiten ihr Abendbrot. Sie sind sich so ähnlich, wie es sich Vater und Sohn nur sein können. Man kann schon jetzt klar erkennen, dass Jesse einmal Kirbys Ebenbild werden wird.
Sie haben das gleiche Haar. Es ist gelb wie reifer Weizen. Und sie haben die gleichen Augen. Es sind graue, weit auseinanderstehende Augen, die selbst bei Jesse schon ruhig und abwägend blicken.
Kirby Satterlee ist ein sehr großer Mann, hager und sehnig. In den Hüften ist er schlank, und seine Beine sind lang und leicht gekrümmt. In den Schultern ist er breit. Ja, er ist ein typischer Cowboy, einer von der langen, lässig wirkenden und so ruhig erscheinenden Sorte aus Texas, die äußerlich so kühl und innerlich so heiß und hitzig sein kann.
Und er trägt einen alten Revolver tief an der Hüfte, eine offensichtlich gut gepflegte Waffe mit einem dunklen Holzkolben und in einem steifen und glatten Holster. Solch ein steifes Holster braucht man nicht an den Oberschenkel zu binden.
Dieser alte Revolver wirkt irgendwie nicht wie ein toter Gegenstand, den man sich in einem Holster umschnallt. Nein, diese Waffe wirkt an Kirby Satterlees Seite ganz selbstverständlich.
Er ist einer jener großen, sehnigen Texaner, zu denen solch ein glatter Colt einfach gehört.
Es ist der 12. Mai 1873 irgendwo in Nebraska, nördlich der Union Pacific, weit, weit nördlich, schon fast auf der Laramie-Prärie.
Sie essen dann schweigend, und manchmal blicken sie sich an. Sie wirken trotz ihres Altersunterschiedes wie Partner und Sattelgefährten.
Als Jesse dann das Geschirr wäscht und Kirby eine Pfeife raucht, fragt der Junge: »Sind wir noch in Nebraska, Vater? Oder ist das hier schon Wyoming oder South Dakota?«
»Ich glaube, es ist noch Nebraska«, erwidert Kirby. »Wir wenden uns morgen nach Westen. Dort muss es eine kleine Stadt geben. Prairie City heißt sie. Wir werden uns eine Weide für unsere Rinder suchen...«
Er bricht ab. Denn er wird sich bewusst, dass es ihm unmöglich ist, irgendwelche Pläne zu machen. Er weiß nur, dass er für seine Rinder einen Weideplatz und für sich selbst eine Arbeit finden muss. Er braucht Bargeld. Ohne Geld kann man nicht leben. Man kann nicht warten, bis die kleine Herde sich vermehrt hat. Bis er Rinder verkaufen kann, werden drei oder vier Jahre vergehen.
Kirby weiß noch nicht, wie er das alles schaffen will. Aber irgendwie muss es gehen. Es wäre auch gut, wenn Jesse noch mindestens ein Jahr zur Schule gehen könnte. Gewiss, er kann lesen, schreiben und all das, was ein intelligenter Junge innerhalb von vier Jahren da und dort auf mehreren verschiedenen Schulen lernen konnte. Doch es ist nicht allzu viel. Ja, es wäre gut, wenn er noch zur Schule gehen könnte.
Und vielleicht gibt es für die Satterlees und ihre kleine Herde das alles in Prairie City.
»Ich werde bis nach Mitternacht schlafen, Jesse«, sagte Kirby müde. Er nimmt sich eine Decke, geht damit unter einen Baum und rollt sich ein. Er hat das Gewehr neben sich liegen. Es ist ein gutes Winchestergewehr.
Er schläft sofort ein.
Jesse blickt einige Minuten lang zu ihm hinüber. Oh, er weiß, dass sein Vater während der letzten vier oder fünf Tage keine sechs Stunden Schlaf bekam. Sie mussten die Herde über eine lange Durststrecke treiben, und die Rinder wollten nachts immer wieder in die alte Richtung zurück. Sie durften die Herde keine Minute unbewacht lassen.
Und so bekam Kirby keinen Schlaf.
Wenn ich doch größer wäre, denkt der Junge. Wenn ich ihm doch besser helfen könnte. Oh, er ist der beste Reiter, den ich je im Sattel sah. Und ich kenne keinen Mann, der ihm ebenbürtig ist. Warum haben wir nur ein solches Pech gehabt? Warum musste das alles so kommen?
Er lauscht auf die Herde. Sie ist nun etwas unruhig. In der Ferne heulte mehrmals ein Büffelwolf, um sein Rudel zu versammeln.
Der Junge geht zu seinem Sattelpferd, das ebenfalls in der Nähe angebunden ist wie das Tier seines Vaters. Es ist dies eine alte Regel der Herdentreiber. Mit einer Herde unterwegs muss man zu jeder Zeit Tag und Nacht ein Sattelpferd zur Verfügung haben. Man muss aus den Schlafdecken heraus in den Sattel springen und sofort losreiten können.
Jesse Satterlee sitzt auf. Er hat ebenfalls eines von diesen kurzen Winchestergewehren im Sattelholster. Er reitet einen Kreis um die an der Wasserstelle lagernde Herde.
Als in der Ferne wieder die Büffelwölfe heulen, werden die Tiere noch unruhiger.
Jesse beginnt das alte Lied vom guten Pikes Whisky zu singen. Oh, es ist gewiss kein Lied für zwölfjährige Jungen. Doch er ist ein Junge, der unter Cowboys aufgewachsen ist und der gern schnell ein vollwertiger Cowboy werden möchte.
Und so ist es kein Wunder, wenn er mit seiner Jungenstimme solche Cowboylieder singt.
»Oh, hätte ich doch eine Flasche Pikes Whisky,
denn Pikes Whisky ist gut.
Als Doc Bonescale zwölf Tote fand in einer Stadt,
er ihnen Pikes Whisky gegeben hat.
Sie erwachten schnell und zogen ihre Hüte,
denn Pikes Whisky ist von bester Güte!
Oh, hätte ich doch eine Flasche Pikes Whisky,
denn Pikes Whisky ist gut!«
Zwei Stunden nach Mitternacht weckt er dann seinen Vater. Kirby fährt auf und wirft einen Blick nach den Sternen.
»Partner«, sagt er grollend, »du hast mich mindestens eine Stunde zu lange schlafen lassen. Ich werde dich nie auf Herdenwache schicken dürfen, wenn ich mich nicht darauf verlassen kann, dass du mich pünktlich weckst.«
»Ich hatte es vergessen«, erwidert Jesse grinsend. Er liegt eine Minute später in seinen Decken und schnarcht.
Und Kirby reitet nun seine Kreise. Einmal singt er:
»Ich habe einen Flush in der Hand!
Mein Vater ertrank in einem Fass Rum!
Mein Bruder kam in einer Stampede um!
Unsere Ma, die hatte noch viele...«
Er verstummt und lauscht in die Ferne. Er hört den Hufschlag von Reitern. Da dies die einzige Wasserstelle weit und breit ist und man sicherlich auch das Feuer unter den Bäumen weit genug erblicken kann, ist wohl anzunehmen, dass die Reiter hier anhalten werden.
Denn dies ist eine fremde Weide. Man kann hier nie wissen, was auf einen zukommt. Und dies dort in der Dunkelheit, dies scheint eine starke und schnell reitende Mannschaft zu sein.
Kirby bleibt bei seinem Pferd draußen in der Nacht. Er hält sich sogar etwas in der Senke der Wasserstelle, sodass seine Silhouette sich nicht gegen den Sternenhimmel abhebt. Etwas geduckt und vorgeneigt verharrt er lauschend. Er hat auch die Winchester aus dem Sattelschuh genommen und quer über den Schenkeln liegen.
Die Reiter kommen schnell näher. Ihr Hufschlag schwillt an. Sie galoppieren. Und wenig später ist ihre dunkle Traube, die sie bilden, unter den Sternen zu erkennen.
Sie kommen genau auf die Wasserstelle und das Feuer zu.
Und sie sind dann plötzlich da, reißen ihre Pferde zurück und halten jäh. Die Tiere bäumen sich auf, stampfen, schnauben.
Dann wird es still.
Der Junge ist wieder aufgewacht. Er hat sich erhoben, ist bis zu dem Baum zurückgewichen, an den sein Pferd gebunden ist. Er steht dicht neben dem kleinen Cowboypony und könnte schnell das Gewehr aus dem Sattelholster ergreifen.
»He, was ist das hier?«, fragt eine lässige Stimme. Es ist die Stimme eines Mannes, der ein Boss ist, dessen Autorität so unangefochten ist, dass er sich leisten kann, lässig und fast sanft zu sprechen.
Kirby reitet nun langsam aus der Senke.
»Mein Name ist Satterlee, Kirby Satterlee«, sagt er. »Ich bin mit meinem Sohn und einigen Rindern unterwegs. Wir rasten hier und treiben morgen weiter. Wer sind Sie, Mister?«
Der Mann mit der lässigen Sprechart lachte leise.
»Shorty, sieh mal nach«, sagt er.
Einer der Reiter treibt sein Tier hinunter zur Wasserstelle und reitet dort zwischen den ruhenden Rindern herum. Einige Male zündet er ein Zündholz an.
Dann kommt er wieder herauf und meldet: »Es sind jämmerliche Rinder, die schon viele Tage oder Wochen getrieben wurden. Sie alle tragen ein Flying S als Brand.«
Der Sprecher verstummt trocken. Und der Mann, dem er seine Feststellungen meldete, denkt einige Sekunden nach.
Dann sagt er, und nun klingt seine Stimme trotz aller Lässigkeit unmissverständlich hart und grob: »Ich bin Noel Wellsberry. Sie sind hier auf meiner Weide und an meiner Wasserstelle. Warum sind Sie mit solch einer jämmerlichen Herde unterwegs?«
»Ich suche Arbeit«, erwidert Kirby und reitet dann näher heran. Er kann einen großen und schwergewichtigen Mann erkennen, der auf einem starken Pferd sitzt.
Hinter diesem beachtenswerten Mann halten etwa acht Cowboys.
»Ich suche Arbeit auf einer Ranch, die es zulässt, dass meine Rinder auf ihrem Gebiet weiden dürfen für etwa ein Jahr. Und ich möchte meinen Jungen zur Schule schicken können. Das ist alles, Mr. Wellsberry. Ich habe mal eine kleine Ranch gehabt, und ich möchte eines Tages wieder eine haben.«
Einige der Reiter schnauften und lachten auf eine Art, wie es Burschen tun, die sich über einen Mitmenschen lustig machen.
Noel Wellsberry denkt eine volle Minute nach. Groß, schwer, doch bestimmt nicht plump, sondern kraftvoll und beachtlich, so sitzt er auf seinem großen Pferd.
Er entschließt sich nun und sagt: »Treiben Sie Ihre Rinder sofort weiter, Satterlee! Ich will Sie hier nicht haben. Sechs Meilen weiter im Westen ist ein Creek. Bringen Sie Ihre Rinder auf die andere Seite! Vorwärts!«
»Erlauben Sie mir, bis Tagesanbruch zu warten«, sagte Kirby sanft.
»Nein!« Die bis jetzt so lässige Stimme klirrt nun, und sie ist jetzt drohend und wütend. Noel Wellsberry ist gewiss ein Mann, der schnell in Zorn gerät.
»Es gibt genug Sattelstrolche und Nachtfalken in diesem Land«, sagt er. »Ich dulde Sie nicht auf meiner Weide! Brechen Sie das Camp ab, und treiben Sie weiter. Oder ich mache Ihnen Beine!«
Kirby atmet langsam aus, als er dies hört. Und er bezwingt seinen bitteren Zorn. Oh, er ist mit seinem Sohn schon lange genug unterwegs. Er geriet da und dort auf das Gebiet eines Großen und musste zähneknirschend weiterziehen.
Und auch jetzt soll es wieder so sein.
Kirby Satterlee spürte den heißen Wunsch in sich, dichter an diesen unduldsamen Mann heranzureiten und ihn aus dem Sattel zu schlagen. Doch er weiß nur zu gut, dass dies dumm wäre. Es würde ihm nicht helfen. Er ist ein Mann, der jedem Streit aus dem Wege gehen sollte. Er hat einen Sohn von zwölf Jahren. Aber auch wenn er nicht für einen Knaben sorgen müsste, wäre es unklug, hier auf dieser fremden Weide Streit zu suchen.
Er wendet sich im Sattel zur Seite und ruft zu Jesse hinüber: »Wir brechen das Camp ab, Jesse!«
Er will absitzen, um dem Jungen zu helfen. Denn Jesse bekommt noch nicht die beiden Packsättel auf die Packtiere.
Inzwischen hat Noel Wellsberry nachgedacht und ist zu einer weiteren Entscheidung gekommen. Er wendet sich zu seinen Reitern um und sagt knapp: »Luke! Kalispel! Ihr treibt diese mageren Flying-S-Rinder schon mal weiter, bis diese beiden Tramps ihr Camp abgebrochen und euch eingeholt haben. Ihr bleibt bei ihnen und sorgt dafür, dass diese Herde möglichst schnell auf die andere Seite des Creeks kommt.«
Nach diesen Worten reitet er weiter.
Das Rudel folgt ihm. Sie reiten nach Nordwesten, wo die Stadt Prairie City liegen soll.
Zwei Reiter bleiben zurück. Einer von ihnen sagt kühl: »Da seid ihr aber noch glimpflich weggekommen. Nun gut, wir bringen jetzt eure gehörnten Karnickel in Bewegung!«
Kirby Satterlee erwidert nichts. Er ist schweigend damit beschäftigt, die Packsättel aufzulegen und dann die Dinge aufzupacken, die ihre einzige Habe sind. Jesse arbeitet schnell und geschickt, ist ihm eine gute Hilfe. Der Junge sagt nichts, spricht kein Wort.
Aber Kirby weiß, dass Jesse am liebsten weinen möchte und dass er immerzu hart schlucken muss, um die Bitterkeit herunterzuwürgen.
Denn es ist schon beschämend für einen Jungen, für den der Vater ein großer und tüchtiger Mann ist, sehen zu müssen, wie dieser Vater zurechtgestutzt wird, wie er kneifen muss, wie er sich herumstoßen lassen muss.
Sie holen dann die Herde ein, die von den beiden Cowboys rau getrieben wird.
Jesse treibt die Pferde ihrer kleinen Remuda und die beiden Packtiere. Kirby gesellt sich zu den Treibern und hilft. Sie kommen gut vorwärts. Denn die lange Rast bei der Wasserstelle hat den Rindern etwas Kraft gegeben.
Im Osten zieht dann der neue Tag herauf. Nebel steigen überall, und es wird ein feuchtkalter Morgen.
Sie treiben die Rinder immer noch unentwegt, gebrauchen Lassoenden und stoßen immer wieder antreibende Rufe aus.
»Hoiiiyah! Haaha! Braah! Hoiiiyah! Braah! Yiiieeeha!«
So klingt es zu den klatschenden Hieben mit den Lassoenden. Und die mageren Rinder werden müde und müder. Ihre Kraft reicht nur für wenige Meilen.
Es wird Tag. Für eine Weile sieht es nach einem herrlichen Sonnentag aus. Denn die Sonne vertreibt strahlend die Nebel und macht alle Dinge freundlich hell und leuchtend in ihren Farben. Sie erweckt den Anschein von Schönheit und Herrlichkeit in einer Welt, in der alle Dinge gut sind.
Doch dann dreht der Wind. Von Westen her kommen Regenwolken. Und der Tag, der so strahlend und sonnenhell begann, wandelt sich und wird dunkel und unfreundlich, kalt und hässlich, so, als hätte sich eine liebliche Fee in eine böse Hexe verwandelt.
Die mageren Rinder wollen nicht mehr weiter. Doch sie werden nun noch rücksichtsloser und rauer angetrieben. Irgendwann am späten Vormittag sind dann die sechs Meilen geschafft. Der Creek taucht auf – schon jetzt, Mitte Mai ein dünnes Rinnsal, weil Winter und Frühling ohne nennenswerte Niederschläge blieben.
Sie treiben die Rinder hinüber auf die andere Seite.
Die beiden Cowboys halten an.
»Das wär's wohl«, sagt der eine.
Kirby betrachtet sie noch einmal. Und er blickt auch auf die Brandzeichen ihrer Pferde.
Sie tragen den »Horseshoe-Brand«, und demnach besitzt ihr Boss Noel Wellsberry die »Hufeisen-Ranch« oder »Horseshoe-Ranch«. Ein Mann wie Kirby Satterlee muss sich das merken. In diesem Land erkennt ein Fremder die verschiedenen Parteien zumeist an den Brandzeichen der Pferde, die sie reiten.
Kirby Satterlee kann gegen Männer, die für den Horseshoe-Brand reiten, verständlicherweise keine Freundlichkeit mehr empfinden.
Und dabei weiß er noch nicht, was ihm noch alles bevorsteht. Er weiß noch nicht, in was er hier hineingeraten ist.
Sie treiben die Rinder in eine kleine Mulde dicht beim Creek und errichten wieder ihr Camp. Es ist nun sicher, dass sie den Rindern mindestens zwei Tage Ruhe gönnen müssen.
Ihr Mittagessen ist karg, denn ihre Vorräte sind fast gänzlich aufgebraucht. Kirby überlegt schon die ganze Zeit, ob er Jesse in die Stadt schicken soll. Doch er kommt zu der Überzeugung, dass es besser ist, wenn er selbst in die Stadt reitet. Da kann er gleich nach Arbeitsmöglichkeiten Ausschau halten und er kann sicherlich auch alles Wissenswerte über dieses Land hier, über die Menschen und über verschiedene Möglichkeiten, Arbeit zu finden, erfahren. Denn sie müssen nun endlich einen festen Platz finden. Er, Kirby, muss Geld verdienen können. Vielleicht braucht er dann seine letzten Dollars nicht für Vorräte auszugeben.
Er nickte Jesse zu. »Ich reite in die Stadt, Jesse. Ich will mich umsehen und umhören. Die Herde wird hier gewiss in der Senke bleiben und dir keine Schwierigkeiten machen. Wenn jemand kommt, so bleibe ruhig und höflich. Sag, dass dein Vater in die Stadt geritten ist und bald zurückkommen wird.«
»Du kannst dich auf mich verlassen, Vater«, sagt Jesse ernst.
»Das weiß ich«, erwidert Kirby lächelnd. Er blickt in die Ferne, so, als könnte er dort irgendwelche Bilder erkennen – Bilder der Zukunft.
Er richtet seinen ruhigen Blick wieder auf den Jungen, der ihm jetzt schon sehr ähnlich sieht.
»Eines Tages, wenn wir eine große Ranch haben, Jesse, dann wirst du der Vormann und mein Partner sein. Ja, ich kann mich auf dich verlassen. Und wir werden es schon schaffen. Das schwöre ich dir. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Der Junge schluckt und nickt.
»Das weiß ich, Vater«, sagt er fest.
Und dann sieht er zu, wie der Vater zur Stadt reitet.
»Oh, er ist größer und besser als alle anderen Männer«, sagt Jesse plötzlich. »Und wenn er gewollt hätte, so würde er diesen Noel Wellsberry unangespitzt in den Boden geschlagen haben. Jawohl!«
✰
Zur Stadt ist es nicht sehr weit. Kirby folgt dem Lauf des Creeks nach Norden und dann in nordwestlicher Richtung. Einige Male erblickt er in der Ferne grasende Rinder. Er erkennt einige Hügelketten und Waldinseln. Dieser Creek ist sichtlich nicht die einzige Wasserstelle im Lande, nur mehr eine Grenze von Noel Wellsberrys Weidegebiet.
Einmal sieht er einige Rinder drunten im Creek bis zu den Bäuchen im Wasser. Er reitet näher heran und betrachtet die Brandzeichen der Tiere.
Es ist nicht der Horseshoe-Brand.
Dieses Brandzeichen ist anders.
Kirby Satterlee erschrickt sehr, als er dieses Brandzeichen erblickt. Denn es ist ein S, und es ist kein stehendes S, nein, es liegt genauso auf der Nase wie sein »Flying S«.
Zuerst glaubt Kirby, dass es sich um einige Rinder handelt, die ihm vor einigen Monaten gestohlen wurden. Denn er besaß ja einmal mehr als zweitausend Rinder auf seiner Ranch.
Aber er wird sich dann schnell darüber klar, dass es Tiere sind, die er zum ersten Male sieht.
Und nun wird ihm heiß. Er nimmt den Hut ab und wischt sich mit dem Unterarm über die Stirn.
Er begreift, dass er mit seiner kleinen Herde auf eine Weide gekommen ist, die mit Tieren besetzt ist, deren Brandzeichen das Gleiche ist wie sein eigener Brand.
Er begreift, dass Noel Wellsberry sich mit ihm einen bösen Spaß erlaubt hat, der aber vielleicht gar kein Spaß, sondern eine Bösartigkeit und Gemeinheit ist.
Er begreift auch sofort, dass er hier eine Menge Kummer bekommen wird, wenn der Rancher auf dieser Weide genauso unduldsam und hart wie Noel Wellsberry ist.
Und nachdem er dies begriffen hat, will er umkehren. Er will zurück zu Jesse und zu seiner Herde. Er will fort von hier.
Doch dann reitet er weiter. Er sagt sich, dass man keine Suppe so heiß isst, wie sie gekocht wird, und dass es unter vernünftigen Menschen doch immer gegenseitiges Verständnis geben wird. Außerdem ist er, Kirby Satterlee, ja in der Lage, alle Dinge vernünftig zu erklären.
Die Stadt kann ja nicht mehr weit sein. Er will hin, will Erkundigungen einziehen, will hören, wie die Dinge hier im Lande stehen. Er will vor allen Dingen erfahren, auf wessen Weide er geraten ist und an wen er sich mit seiner Bitte um Verständnis wenden soll.
Ja, er reitet weiter und gelangt zwischen zwei flachen Hügeln hindurch an den Rand einer weiten Senke.
Er sieht nun die Stadt vor sich liegen.
Es ist eine kleine Stadt, eine typische Rinderstadt, mit einigen Holzhäusern, Scheunen, Ställen und sonstigen Neubauten. Die Poststraße von Osten her führt in die Stadt hinein und nach Westen zu wieder hinaus.
Das ist Prairie City.
Ringsum dehnt sich das Land bis zum Horizont, nur dann und wann unterbrochen von Hügelketten, Bodenwellen und einigen Waldinseln.
Kirby Satterlee reitet weiter, und er hat es nun sehr eilig, in die Stadt zu kommen.
Jetzt um die Mittagszeit wirkt Prairie City still und verschlafen. Viele der Holzhäuser haben noch keinen Anstrich, und das Holz ist schon verwittert, gesprungen in langen Rissen, gebleicht. Einige wenige Häuser haben einen Anstrich. Es gibt sogar einige falsche Fassaden, die obere Stockwerke vortäuschen sollen. Und es gibt vor den Häusern einen Plankengehsteig, wohl deshalb, weil die Straße sich in Regenzeiten in einen Morast verwandelt, in dem man fast bis zu den Knien versinkt.
Kirby erkennt eine Futtermittelhandlung, eine Schmiede, einen Mietstall. Daneben gibt es einen Wagenhof der Fracht- und Postlinie. Und dann weiter inmitten der kleinen Stadt öffnet sich die einzige Straße zu einem Platz, der von vier Seiten von Gebäuden eingerahmt wird, nämlich einem Hotel, einem Saloon, der Town Hall mit dem Gefängnis und einem großen Store, zu dem auch das Post Office gehört.
Hotel und Store liegen sich gegenüber. Die Straße führt am Saloon vorbei. Die Town Hall liegt dem Saloon gegenüber.
Für einen Mann wie Kirby Satterlee ist es immer richtig, in den Saloon einer solchen Stadt zu gehen. Denn hier erfährt man als Fremder stets schnell alle Dinge über Land und Leute, die man ganz allgemein wissen möchte.
Als Kirby vor dem Saloon aus dem Sattel rutscht, hört er das Bimmeln einer Schulglocke. Er kann die Straße entlang nach Westen blicken, genau an der Ecke des Topfit-Store vorbei.
Und er erkennt am Ende der Straße einige Kinder, die zu Fuß, aber auch zu Pferd und zu mehreren in einem Wagen aus einem Hof heraus zum Vorschein kommen.
Die Kinder zu Fuß zerstreuen sich schnell hier in der Stadt.
Die Kinder auf den Pferden und in dem Wagen aber verlassen nach Westen hin die Stadt.
Und dies ist für Kirby sehr aufschlussreich.
Im Westen gibt es also ganz offensichtlich Siedler oder Kleinrancher mit vielen Kindern. Anders kann es nach Kirbys Erfahrungen nicht sein. Er ist zufrieden, erkannt zu haben, dass es hier mehr als zwei Dutzend Kinder und eine Schule gibt.
Nun betritt er den Saloon, und er ist überrascht, denn dieser Saloon ist sehr viel besser eingerichtet und ausgestattet als Saloons in vergleichbaren Städten wie Prairie City.
Hier hat jemand Geld investiert. Es gibt eine lange und prächtige Bar mit Messinggeländer für Arme und Füße, mit blinkenden Spucknäpfen, einigen großen Spiegeln, Ölbildern und roten Samtportieren vor den Durchgängen zu Nebenräumen. Es gibt ein oberes Stockwerk und eine Galerie mit einigen Logen. Es gibt eine kleine Bühne, ein Podium für eine Kapelle und ein Klavier.
Für solch eine kleine Stadt ist dies ein prächtiger Saloon, der gewiss auf hundert oder noch mehr Meilen in der Runde ohne jede Konkurrenz ist.
Jetzt ist es ziemlich ruhig im Saloon. Zwei Männer sitzen in einer Ecke und lesen in alten Zeitungen. Ein Billardspieler übt irgendwelche Kunststücke. Und an der Bar würfelt ein Mann mit einem Barkeeper.
Als Kirby Satterlee eintritt, blicken ihn alle aufmerksam an, und sie sehen einen ziemlich abgerissenen, hageren und gelbhaarigen Texaner. Man sieht ihm an, dass er Rinder treibt, dass er lange unterwegs ist und oft in Camps nächtigt.
Kirby tritt ans Ende des Schanktisches und blickt sich um, indes der Barmann langsam zu ihm kommt. Er legt einen Dollar auf den Schanktisch und sagt sanft: »Schenken Sie für uns beide ein, Freund. Ich bin fremd hier und möchte etwas mehr über diese Stadt und dieses Land wissen.«
Der Barmann betrachtet ihn ernst. Er ist schon grauköpfig, und er trägt ein schwarzweißgestreiftes Hemd, Ärmelhalter und eine Schürze. Er ist ein massiger Mann, dem man ansieht, dass er früher einmal Preiskämpfer war. Die Zeichen seiner Kämpfe trägt er deutlich genug im Gesicht.
Er schenkt keinen Whisky, sondern zwei Bier ein, wohl wissend, was ein staubiger und durstiger Reiter, der von irgendwo weit hergeritten kam, zuerst haben will.
Das Bier schmeckt recht gut und ist auch kühl. Als sie die Gläser absetzen, sagt der Barmann: »Es gibt nicht viel über diese Stadt und dieses Land zu berichten, Fremder. Diese Stadt hat neunundneunzig Bürger, die sich in Kinder, Frauen und Männer aufteilen, von einem Monat bis zu zweiundachtzig Jahren, was das Alter betrifft. Wir haben einen Sheriff. Und es gibt zwei große Ranches hier. Die Horseshoe-Ranch und die S-Haken-Ranch. Im Westen gibt es Nester genug, aber auch einige Drei-Kühe-Rancher und Farmer. Das ist schon alles!«
»Nein, es ist nicht alles«, sagt eine Stimme. Es ist der Mann, der mit dem Barkeeper gewürfelt hatte.
»Du hast mich vergessen, Sam. Ich bin noch da!«
Er sagte es scharf, so wie ein Mann, dem alles daran liegt, noch im Geschäft zu bleiben und nicht abgeschrieben zu sein. Er kommt nun am Bartisch entlang näher und bringt Glas und Würfelbecher mit.
»Ich bin noch da«, wiederholt er. »Mein Name ist Jonny Kinkaid. Ich zähle immer noch mit in diesem Land. Wer sind Sie, und was wollen Sie hier bei uns, Fremder?«