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In der Hölle des Bürgerkriegs hat ihm der Gedanke an die Shamrock-Ranch und deren junge schöne Herrin Amos Ross die Kraft zum Durchhalten gegeben. Jetzt kehrt er, der Vormann, mit dem Rest der Mannschaft heim ins Mogollon-Land.
Doch die Freude des Wiedersehens und das Glück, wieder auf der Heimatweide zu sein, werden bald von einer rauen, blutigen Wirklichkeit verdrängt. Banditen, Viehdiebe und die skrupellose mächtige Schafzüchtervereinigung lassen keine Zeit für Sentimentalitäten. Die Shamrock muss um ihr Überleben kämpfen. Und Amos und seine Getreuen müssen erfahren, dass es auf dieser Welt mehr als nur eine Hölle geben kann...
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Seitenzahl: 201
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Shamrock
Vorschau
Impressum
Shamrock
Immer wieder gibt es auf dieser Welt Männer, die einer bestimmten Sache als verschworene Gemeinschaft die Treue halten. Das kann eine Schiffsbesatzung sein, die den Wal jagt und ihr gutes Schiff liebt. Diesem Schiff hält sie die Treue. Es kann nicht untergehen.
Es kann die Baumannschaft einer Bahnlinie sein, die sich durch scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten herausgefordert fühlt und über sich hinauswachsen muss, um das Werk vollenden zu können.
Oh, es gibt viele Möglichkeiten auf dieser Welt, durch die sich Männer herausgefordert und gezwungen fühlen, die Sache über alles zu stellen.
So war es auch mit dem Shamrock-Brand, dem Kleeblatt-Brandzeichen. Für die Männer damals war es mehr als nur ein Brandzeichen, denn für diesen Brand hatten sie gekämpft, gelitten, geopfert, entbehrt und Blut vergossen.
Dieses Brandzeichen durfte nicht untergehen! Die Shamrock-Ranch war ihr Werk. Es musste erhalten bleiben. Aber sie schufen die Ranch vor dem Krieg. Als er ausbrach, folgten sie ihrem Rancher zu den Fahnen der Texas-Brigade und kämpften unter Stonewall-Jackson für die Sache des Südens.
Ihr Rancher fiel. Und der Krieg brachte sie alle auseinander. Manche wurden verwundet und kamen ins Lazarett. Andere gingen in Gefangenschaft – und wieder andere wurden mit Sonderaufgaben betraut.
Aber nach dem Krieg strebten alle wieder der Heimatweide zu, der Shamrock-Ranch.
Sie wussten, dass ihr Rancher einen Erben hinterlassen hatte, eine Tochter. Sie wussten auch, dass nach dem Krieg alles drunter und drüber gehen und die Shamrock-Ranch in Gefahr geraten würde.
✰
Als sie nach Beartown kommen, erblicken sie etwa fünfzig Menschen. Sie hätten nicht gedacht, dass sie in diesem Land eine solche Menge Menschen auf einmal sehen würden.
Bei den Corrals des Frachtwagenhofes sind Männer, Frauen und Kinder versammelt. Einige Wagen sind in der Nähe abgestellt.
Es sind nicht nur die Frachtwagen der Arizona-Company, sondern auch Planwagen von Siedlern und Auswanderern, die jetzt nach dem Krieg trotz Apachengefahr und vieler anderer Nöte ins Territorium kommen, um voller Hoffnung, Mut und Gottvertrauen freies Land zu suchen.
Die Menschen bestaunen einen feuerroten Hengst.
Gus Pearchmeal und Jim Doolin, die langsam heranreiten, begreifen schnell, warum die Leute hier versammelt sind.
Und wenn sie es immer noch nicht begriffen hätten, könnten sie es hören. Ein massiger, stiernackiger, braunhaariger und rotgesichtiger Mann, der einen Zigarrenstummel im Mundwinkel hat und dessen gelbe Augen merkwürdig stumpf wirken, sagt noch einmal laut: »Also, Leute, wir sind nur auf der Durchreise, doch wir nehmen jedes Geschäft mit – auch das kleinste. Wir halten jede Wette, dass niemand unseren Hengst Red King auf einer Distanz zwischen einer Meile und zwanzig Meilen schlagen kann. Wer wagt es? Wer hat ein Pferd, das er gegen Red King laufen lassen will? Wir halten jede Wette ab hundert Dollar!«
Der bullige Mann blickt auf die beiden hinzugekommenen Reiter.
»Nun, Jungens, ihr seht wie echte Cowboys aus. Und eure Pferde sind gewiss nicht schlecht. Wollt ihr es riskieren? Wir können uns sogar über eine gewisse Vorgabe einig werden, damit die Chancen ausgeglichener sind. Wie ist es?«
Gus Pearchmeal und Jim Doolin sehen sich an.
Dann leckt Pearchmeal sich über die Lippen und betrachtete den roten Hengst.
»Wir hätten hundert Dollar«, sagt er. »Aber wie groß wäre die Vorgabe gegen meinen Schecken, wenn es über zehn Meilen ginge?«
Der bullige Mann geht langsam um Gus Pearchmeals Schecken herum.
Er sieht ein struppiges, doch bestimmt außergewöhnlich zähes und katzenhaft geschmeidiges Tier. Es zeigt ihm das Weiße seiner Augen und bleckt die Zähne, als wüsste es genau, dass es kritisch abgeschätzt wird.
»Eine Viertelmeile«, sagt der massige Mann schließlich.
Gus Pearchmeal blickt wieder zu dem roten Hengst hinüber. Die Leute halten ihre Blicke auf ihn gerichtet und warten auf seine Entscheidung.
Sie sehen einen rothaarigen, sommersprossigen, ziemlich kleinen Burschen, der gewiss nicht mehr als hundertvierzig Pfund wiegt. Selbst im Sattel wirkt er krummbeinig.
Aber er ist bestimmt so zäh wie ein Wildkater und so hart wie ein Kiesel aus dem Bear Creek, der dieser Siedlung hier den Namen gab.
Gus Pearchmeal blickt auf seinen Freund und Partner Jim Doolin.
Jim ist nicht weniger massig als der Besitzer des roten Hengstes. Er reitet einen mächtigen Wallach.
Jim versteht Gus Pearchmeals Blick als stumme Frage. Er schüttelt den Kopf.
»Tut mir leid, Mister«, sagt Gus. »Wir sind nicht mehr interessiert. Nur wenn wir eine halbe Meile Vorgabe bekommen.«
»Bin ich verrückt?«, fragt der bullige Mann und spuckt den Zigarrenstummel zu Boden.
Gus und Jim nicken nur. Dann reiten sie weiter. Ihr Ziel ist der Store, zu dem auch ein Hotel, ein Saloon und eine Gaststube gehören.
Das ganze Gebäude besteht aus einem halben Dutzend Anbauten.
Aber bevor sie es erreichen, gelangen sie zu einem bunt angemalten Kastenwagen, wie ihn auch Zirkusleute benutzen.
Davor ist ein Stand aufgebaut, der nur aus zwei über Holzböcke gelegten Brettern besteht.
Auf der ganzen Wagenbreite kann man lesen:
LEDBETTER'S WUNDERMEDIZIN
Heilt jede Krankheit innerlich und äußerlich,
macht Alte wieder jung.
Daneben sind Plakate aufgehängt, auf denen man in großer Schrift lesen kann, dass Ledbetters Wundermedizin nach einem uralten chinesisch-indischen Geheimrezept hergestellt wird, das Ike Ledbetter von seinem Freund, dem weltbekannten Gelehrten Dr. Fu Wu Wang, als Vermächtnis erbte.
Als Gus Pearchmeal und Jim Doolin das lesen und zwischendurch die vielen Flaschen betrachten, die mit ihrer buntschillernden Pracht auf dem Brettertisch aufgereiht sind, kommt ein kleines Männchen in einem grünen Gehrock aus dem Wagen die Treppenleiter herunter.
Der kleine Mann tritt hinter den Verkaufsstand, lüftet den grauen Zylinder und zeigt dabei seine spiegelnde Glatze.
»Meine Freunde«, sagt er mit tiefer Bassstimme, die ihm gar nicht zu gehören scheint, »welche Leiden führen Sie zu mir? Vertrauen Sie mir ruhig Ihre Sorgen an, denn ich bin bestrebt, Doktor Fu Wu Wangs Vermächtnis in der selbstlosesten Weise bis zu meinem letzten Atemzug zu erfüllen. Meine Zaubermedizin macht Kranke gesund, Greise jung, stärkt alle Schwächen, heilt alle Gebrechen, macht die Frauen schön, lässt kranke Pferde aufsteh'n. Sehen Sie, meine Freunde, wie mich – der ich doch schon ein betagter Mann bin – dieses Lebens-Elixier noch jung erhalten hat!«
Nachdem er die letzten Worte geradezu jauchzend gerufen hat, springt er plötzlich aus dem Stand über seinen Verkaufstisch hinweg, ohne sich aufzustützen. Er macht einen sogenannten »Schlusssprung« über den etwa einen Meter hohen und siebzig Zentimeter breiten Tisch mitsamt den darauf aufgebauten Flaschen.
»Was? Das ist was für einen alten Mann, nicht wahr? Das macht meine Zaubermedizin! Wollt ihr mal probieren, meine Freunde?«
Gus und Jim staunen.
Sie sind gewiss nicht halb so alt wie dieser kleine Mann. Doch sie könnten nicht aus dem Stand über den Tisch springen, ohne die Flaschen zu beschädigen.
Gus betrachtet misstrauisch die Flasche, die ihm Ledbetter hinaufreicht.
»Das soll ich probieren?«, fragt er und rutscht unruhig im Sattel herum. »Was ist denn da drin? – Pumaspucke mit geriebenem Kautabak und...«
Er nimmt die Flasche und riecht an der Öffnung.
»Aaah«, macht er, »das riecht gar nicht so übel! Das riecht nach Kakteenblüten und Honig. Und wenn das so schmeckt...«
Er setzt plötzlich die Flasche an und nimmt einen vorsichtigen Schluck.
Dann schließt er seine Augen und scheint mit all seinen Sinnen nach innen zu versinken wie ein Stein im Wasser eines Brunnens.
Als er drei Sekunden später die Augen aufreißt, quellen sie ihm hervor, und er schnappt nach Luft.
»Hei-hei-hei-heiliger Rauch!« Er keucht, sieht seinen Gefährten Jim Doolin an und fragt: »Kommt Qualm aus meinen Ohren?«
»Nein«, erwidert Jim ernst. »Doch vorhin sprangen dir zwei Knöpfe vom Hemd.«
Gus Pearchmeal bedeckt seine Magengegend mit der Hand.
»Das brennt wie flüssiges Blei«, keucht er. »Ich glaube, ich werde gleich auseinandergehen wie ein überhitzter Dampfkessel. Jim, grüß mir die Jungens der alten Mannschaft. Ich...«
»Es ist nur vorübergehend«, mischt sich Ike Ledbetter ein. »Gleich wird er sich wie ein Riese fühlen und tausend Wonnen im Leibe spüren.«
Und wirklich, Gus Pearchmeals hervorquellende Augen werden wieder normal, verändern sich und bekommen den Ausdruck von Wonne.
»Hey, jetzt wird mir's anders im Bauch«, sagt er. »Jetzt ist es mir nach mehr zumute. Ich versuche es noch mal.«
Er trinkt noch einen Schluck – und es wiederholt sich alles, nur diesmal stärker, weil der Schluck größer war.
»Ich glaube«, sagt er dann schnaufend, »dass ich jetzt aus dem Stand über mein Pferd springen könnte. Hier, Meister, ist die Flasche zurück. Wir nehmen eine. Was kostet sie?«
»Drei Dollar, und das sind reine Selbstkosten«, sagt Ledbetter. »Ich verkaufe es nicht wegen des Verdienstes, sondern weil ich ein Vermächtnis zu erfüllen habe. Und wenn es Ihrem Pferd mal schlecht geht, wenn es müde ist und noch zwanzig Meilen laufen soll, dann füllen Sie eine halbe Flasche in einen Eimer mit Wasser und...« Er bricht plötzlich ab, und er wirkt wie ein Mann, dem soeben eine Erleuchtung kam, ein grandioser Gedanke, ein Einfall von besonderer Art.
Aber es geht ihm in diesem Moment nicht allein so.
Auch bei den beiden Reitern ist etwas zu erkennen. Auch ihnen ist offenbar eine plötzliche Erleuchtung gekommen.
Die drei Männer sehen sich an, und sie begreifen, dass sie an die gleiche Sache denken.
Sie schweigen, überlegen, betrachten sich – grinsen schließlich. »Wenn das Zeug wirklich innerlich so viel Dampf macht...«, sagt Gus Pearchmeal.
»... könnte vielleicht sogar eine Viertelmeile Vorsprung für deinen Philippe ausreichen«, meint Jim Doolin. Dann betrachten sie Ike Ledbetter hart.
Gus sagt gedehnt: »Aber vielleicht ist so ein Pferd schlauer als wir Menschen und säuft das Zeug ums Verrecken nicht. He, Mr. Ledbetter?«
Dieser hat einen Finger gegen seine nicht gerade kleine Nase gelegt. Er betrachtet Gus Pearchmeals Pferd und geht im Halbkreis um das Tier herum.
Dann sagt er: »Ich verstehe nicht wenig von Pferden. Eigentlich habe ich seit vierzig Jahren nichts anderes getan, als mit meinen Ersparnissen auf Pferde gewettet. Auf diesen schafnasigen Schecken würde ich mein ganzes Geld setzten.«
Gus und Jim nicken langsam. »Wie viel ist es?«, fragt Jim.
»Das weiß ich genau«, erwidert Ike Ledbetter. »Zweihundertsiebenundfünfzig Dollar. Und ich würde sie riskieren, wenn es uns gelingt, diesem Gaul mit einem Eimer Wasser eine Flasche von meinem Lebenselixier einzuflößen. Dieser Gaul wird lossausen, als hätte er Feuer am Schwanz hängen. Es fragt sich nur, ob sein Reiter sich so fest anklammern kann, dass ihn der Windzug nicht aus dem Sattel reißt.«
Als Ledbetter die letzten Worte spricht, grinst Gus Pearchmeal.
»Das ist ein Witzbold«, sagt er zu Jim Doolin. »Aber wenn er selbst sein ganzes Geld zu riskieren bereit ist, dann muss doch wohl eine Chance vorhanden sein, oder? Machen wir es, Jim?«
Doolin nickt.
»Ich sage drüben Bescheid«, grinst er. »Wir setzen all unser Geld. Das sind einhundertsiebenundzwanzig Dollar, nicht wahr? Und wann soll das Rennen losgehen? Wann wirkt das Feuerwasser besonders stark?«
Bei der Frage blickten sie auf Ledbetter. Der lüftet seine graue Angströhre und kratzt sich hinter dem Ohr.
»Ist der Gaul durstig?«, fragt er. Die beiden nicken.
»Dann wird er gewiss saufen«, murmelt Ledbetter. »Ich denke, dass er zehn Minuten später das Gefühl hat, dass es ihn zerreißt. Er wird in zehn Minuten laufen wie ein Präriefeuer.«
»Gut!«, sagt Jim Doolin und reitet zu den Corrals zurück. »Ich werde die Wette über dreihundertvierundachtzig Dollar anbieten«, sagt er über die Schulter zurück.
Gus Pearchmeal und Ike Ledbetter sehen sich eine Minute schweigend an. »Das Zeug wird doch meinen Philippe nicht umbringen?«, fragt Gus schließlich.
Ledbetter schüttelt heftig den Kopf.
»Bringen Sie den Gaul hinter den Wagen und holen Sie den Holzeimer voll Wasser aus dem Creek«, sagt Ledbetter.
✰
Zehn Minuten später ist alles klar.
Der Besitzer des roten Hengstes heißt Bush Joliet, und er kaut schon wieder an einem Zigarrenstummel.
Natürlich nahm er die Wette an, denn das ist ja sein Geschäft.
Und weil es sich in Beartown herumsprach, kamen noch mehr Menschen herbei, als schon vorher versammelt waren. Sogar der rußgeschwärzte Schmied ließ seine Arbeit an einem Frachtwagen liegen und kam näher.
Da man den roten Hengst schon den ganzen Vormittag und auch gestern ausgiebig betrachtet und abgeschätzt hatte, richtet sich das Augenmerk der Leute jetzt völlig auf den rammsnasigen Pinto, mit dem Gus Pearchmeal herangeritten kommt. Dieser Schecke wirkt gegen den roten Hengst wie ein Tramp gegen einen Lord oder wie ein struppiger Gassenköter gegen einen edlen Windhund.
Aber es wird den Betrachtern klar, dass der Schecke so zäh wie ein narbiger Wüstenwolf ist. Zu dieser Zähigkeit kommt noch eine erstaunliche Wildheit. Der Gaul rollt fortwährend die Augen, zeigt das Weiße, schnaubt und stampft und ist von seinem Reiter kaum unter Kontrolle zu halten.
Die Leute begreifen, dass dieses Tier voll Feuer ist.
Und da der Ritt über zehn Meilen geht und der Pinto überdies auch noch eine Viertelmeile Vorgabe bekommt, sind seine Chancen vielleicht gar nicht so aussichtslos.
Plötzlich setzt das Wetten ein. Manchmal sind es nur ganz geringe Dollarbeträge. Doch da Kleinvieh auch Mist bringt, wenn es nur zahlreich genug ist, sind insgesamt gar nicht so wenige Dollars gesetzt worden.
Der Bürgermeister von Beartown macht den Schiedsrichter.
»Es ist ganz einfach«, sagt er. »Die Vorgabe beträgt eine Viertelmeile. Dort bei der großen Burr-Eiche muss der Pinto sein, wenn der Hengst hier losprescht. Ich habe zwei Leute creekaufwärts geschickt. Dort, wo diese beiden Reiter warten, geht es durch den Creek, auf der anderen Seite creekabwärts und durch die Furt auf unserer Seite. Wer von den Reitern beim fünften Male zuerst mit dem Tier auf trockenem Boden ist, hat gewonnen. Gibt es noch irgendwelche Fragen?«
Gus Pearchmeal und Jim Doolin schütteln ihre Köpfe.
Auch Bush Joliet schüttelt seinen dicken Kopf.
Neben dem massigen Mann steht ein scheinbar junger Bursche, der so aussieht, als wäre er aus Milch und Blut gemacht. Er hat wunderbare blaue Augen und auf den ersten Blick ein richtiges Engelsgesicht.
Doch er ist gewiss sehr zäh und geschmeidig. Er trägt zwei Revolver im Kreuzgurt und hat einen harten Mund, schmal und blass wie die Narbe eines Messerschnitts.
Gus und Jim betrachteten diesen scheinbar milchgesichtigen Burschen schon mehrmals – und immer wieder kamen sie zu der Erkenntnis, dass es keinen Irrtum gibt. Dieser Milchknabe ist keiner, sondern eine ganz gefährliche Nummer, die ihre Revolver nicht zum Spaß trägt. Dieser scheinbare Sonny-Boy ist Bush Joliets Revolvermann, der dafür Sorge trägt, dass man Bush Joliet nicht betrügen oder berauben kann.
In diesem Land ist ein solcher Schutz besser als ein guter Geldschrank, denn diesen kann man meistens irgendwie öffnen. Einen gefährlichen Revolverschwinger aber muss man erst niederkämpfen.
Gus Pearchmeal und Jim Doolin sind erfahrene Burschen. Sie spüren instinktiv die Gefährlichkeit dieses Revolvermannes.
Aber sie erfahren seinen Namen nicht – noch nicht.
Der Wettritt geht los. Gus muss anreiten, und er nutzt seine Chance. Er jagt nicht wild los, denn er weiß, dass der rote Hengst erst starten darf, wenn er bei der mächtigen Burr-Eiche angelangt ist. Deshalb lässt er seinen scheckigen Philippe nur mäßig traben.
Doch er muss ihn dauernd zügeln und zurückhalten. Der Schecke ist von Ledbetters Zaubergetränk etwa im gleichen Zustand wie eine voll unter Dampf stehende Lokomotive, die vorerst nur langsam fahren darf. Philippe hatte tatsächlich einen Eimer voll Wasser mit dem ganzen Inhalt einer Flasche von Ledbetters Wundermedizin getrunken.
»Heiliger Rauch«, sagt Gus zu ihm, »du wirst von dem Zeug doch wohl nicht explodieren wie eine Sprengladung? Verzeih mir, Philippe, wenn es dich zerreißen sollte. Wenn ich nicht wüsste, was für ein zäher Bursche du bist, hätte ich dir dieses Feuerwasser nicht zu trinken gegeben. Weißt du, es ist ja auch nicht so sehr wegen des Geldes – es ist noch mehr der Spaß, diesen roten Hengst schlagen zu können. Oder nicht? Er hat längere Beine als du, eine breitere Brust und gewiss einen langen Stammbaum, der irgendwo in Spanien begann. Du bist nur ein Mustang aus dem Brazos-Land. Aber...«
Er spricht nicht weiter, denn jetzt ist er bei der Burreiche.
Nun lässt er Philippe laufen. Er gibt ihm den Kopf frei, und das genügt schon. Der Pinto rennt los wie eine gesengte Katze, und ehe Gus es sich versieht, sind sie bei den beiden Reitern, die winkend auf den Creek zeigen.
Gus saust mit seinem Pinto hindurch. Das Wasser reicht dem Tier kaum bis zu den Knien.
Dann geht es auf der anderen Creekseite zurück.
Jetzt endlich sieht er den roten Hengst kommen, denn sie begegnen sich ja – nur durch den Creek getrennt – im Gegenverkehr. Ein kleiner, pockengesichtiger Mexikaner reitet den Hengst, und er reitet ihn wie ein Könner.
Gus merkt sich genau den Punkt, bei dem sie sich begegnen.
Dann macht er sich leicht, arbeitet mit seinem Pferd, versucht mit ihm die Verbindung einzugehen, die man als »mit dem Pferd verwachsen« bezeichnet.
Oha, er kann reiten, dieser Gus Pearchmeal! Und er kann auch kämpfen.
Dann prescht er auch schon wieder mit seinem Schecken durch den Creek. Hier stehen die Leute von Beartown, die Frachtfahrer und die Siedler des Wagenzuges.
Sie jubeln ihm zu. Er hört ihr vielstimmiges Gebrüll, denn sie alle sind auf der Seite des rammsnasigen Pintos, wie sie auch auf der Seite eines Gassenköters wären, der mit einem Windhund um die Wette läuft. Die Menge ist immer auf der Seite des Schwächeren, wenn dieser nur sein Bestes gibt.
Sie haben nun zwei Meilen hinter sich.
Philippe läuft immer noch wild und ungestüm, angetrieben von einem Feuer, von scheinbar überschüssiger Kraft und dem heißen Verlangen nach Bewegung.
Als sie bei den Männern am oberen Wendepunkt ankommen, liegen drei Meilen hinter ihnen.
Als sie drüben sind und dem roten Hengst begegnen, muss Gus feststellen, dass dieser aufgeholt hat.
Aber das war trotz Ledbetters Wundermedizin zu erwarten.
Sie fegen dann bei Beartown durch den Creek, hören die Leute abermals brüllen, diesmal noch wilder und anfeuernder. Gus winkt seinem Freund und Sattelgefährten Jim Doolin zu, stößt einen heiseren Schrei aus – und ist auch schon außer Hörweite. Unter den Hufen des Pintos spritzen die Kiesel des Creekufers nach allen Seiten.
Jim Doolin sieht dem Freund nicht nach; er behält Bush Joliet und dessen milchgesichtigen Revolvermann unter Beobachtung und kann erkennen, dass diesen beiden Männern nicht besonders siegesbewusst zumute ist.
Bush Joliet hat seine Zigarre zu einem Pinsel gekaut. Er wirft sie jetzt mit einer wütenden Bewegung zu Boden.
Dann sagt er aus dem Mundwinkel etwas zu seinem Revolvermann. Der bekommt schmale Augen und nickt kurz.
Jim Doolin presst grimmig seine Lippen aufeinander. Oha, denkt er, diese Hombres sollen nur nicht auf krumme Gedanken kommen! Da würde diesem Bush Joliet auch der Revolverschwinger nichts nützen. Auf solche gestreiften Tiger verstehen wir uns. Wenn man's genau nimmt, dann gehören Gus und ich zur gleichen Sorte – aber nur dann, wenn's sein muss.
Nach diesen grimmigen Gedanken wartet Jim geduldig auf das Ende des Rennens. Einmal wendet der Revolvermann seinen Kopf und blickt zu ihm herüber.
In den blauen Augen des Mannes erkennt Jim Doolin ein kaltes Funkeln. Es ist wie das Flackern eines Nordlichtes.
Inzwischen prescht Gus Pearchmeal schon wieder eine Meile oberhalb der Stadt durch den Creek, und als er auf der anderen Seite ist und sich seinen Vorsprung ausrechnet, kommt er zu der Erkenntnis, dass der Verfolger bis auf eine Achtelmeile herangekommen ist.
Und es sind noch fast fünf volle Meilen bis zum Ende des Rennens.
Gus Pearchmeal begreift, dass Ledbetters Wundermedizin wohl doch keine Wunder vollbringen kann, sondern sogar daran schuld ist, dass Philippe vor dem Rennen zu viel trinken musste.
Obwohl er gewiss schon fast alles ausgeschwitzt hat – denn er ist nun mit flockigem Schaum bedeckt –, war es bestimmt nicht gut. Sein anfängliches Feuer ließ merklich nach.
Gus Pearchmeal ruft ihm zu: »Kämpfe, Philippe! Hoy, kämpfe, Amigo! Willst du dich vielleicht von diesem langbeinigen Roten schlagen lassen!«
In Gus Pearchmeals wildem Geheul ist der ganze Trotz und der Kampfeswille eines echten Rebellen, der nicht aufgeben kann, solange er noch einen Finger zu bewegen vermag.
Der schwarzweiße Pinto ist von der gleichen Sorte, denn er kämpft ebenfalls. Er gibt sein Letztes und rennt sich für seinen Reiter die Seele aus dem Leib. Der Schweiß fliegt ihm in Flocken von Brust und Hals. Nur, wenn sie durch den Creek müssen, spült das kalte Wasser etwas von den Schweißflocken ab.
Das kalte Wasser ist gefährlich. Es war nicht klug vom Bürgermeister der Stadt Beartown, die Strecke so festzulegen, dass die Tiere zweimal bei jeder Runde durch den Creek müssen.
So sehr Gus Pearchmeal und sein zäher Philippe auch kämpfen – als sie zum vorletzten Male den Creek durchfurten, holt der Mexikaner auf dem roten Hengst sie ein.
Noch eine volle Meile und die letzte Creekdurchquerung liegen vor dem Ziel.
Aber Gus Pearchmeal auf seinem Pinto hat schon jetzt verloren.
Wie sollte er noch gewinnen können?
Etwa eine Viertelmeile lang liegen die beiden Pferde Kopf an Kopf und schieben abwechselnd ihre Nasen vor.
Der Mexikaner reitet leicht und geschmeidig. Einige Male wendet er Gus Pearchmeal sein pockennarbiges Gesicht zu und zeigt ihm grinsend die blitzenden Zähne.
Der schwarzweiße Pinto kämpft verzweifelt. Er will sich von dem größeren und langbeinigeren roten Hengst nicht abhängen lassen.
Aber dann bleibt er Zoll um Zoll zurück. Aus vielen Zolls werden Yards. Und als sie zum letzten Male durch den Creek reiten, ist Gus Pearchmeal fast zwanzig Yard zurück – trotz des Vorsprungs von einer Viertelmeile am Anfang des Rennens und Ledbetters Wundermedizin.
Dennoch gibt er noch nicht auf.
Jeder andere Reiter hätte sein Pferd wahrscheinlich gezügelt und wäre im Schritt geritten.
Doch Gus Pearchmeal würde einen Kampf niemals aufgeben.
Wie gut er daran tut, erweist sich einige Sekunden später.
Plötzlich stolpert der rote Hengst im Creek über ein Hindernis, dem er viermal glatt ausgewichen war. Auch Gus Pearchmeals Philippe war bisher daran vorbeigekommen.
Diesmal aber geschieht es. Der Hengst bleibt mit dem linken Vorderhuf irgendwo hängen. Das genügt bei der Geschwindigkeit vollauf, ihn stürzen zu lassen. Sein geschmeidiger Reiter muss aus dem Sattel, denn das Tier wälzt sich auf die Seite.
Als es endlich hochkommt und auf drei Hufen ans Ufer hinkt, ist Gus Pearchmeal auf seinem Pinto schon vorbei.
Die Zuschauer brüllen vor Begeisterung, und selbst jene, die auf den roten Hengst gewettet haben, jubeln mit. Sie konnten miterleben, dass es sich lohnt, bis zuletzt zu kämpfen und nicht vorher aufzugeben.
Bush Joliet aber, der sich soeben im Vorgefühl des Sieges eine neue Zigarre zwischen die Lippen stecken wollte, zerkrümelt diese in seiner großen Hand.
Dann will er sich abwenden.
Doch Jim Doolin, der immer noch im Sattel seines Pferdes hockt, weil er von diesem Sitz über alle Köpfe blicken und das Rennen besser beobachten konnte, sitzt mit einer geschmeidigen Bewegung ab und sagt trocken: »Zahlen Sie, Mister! Zahlen Sie dreihundertvierundachtzig Dollar an mich aus, denn ich bin der Kassierer.«
Bush Joliet sieht ihn an. Sie sind von gleicher Größe, von etwa dem gleichen Gewicht und haben auch sonst viel Ähnlichkeit. Man könnte sie fast für Brüder halten, obwohl der Altersunterschied an die zehn Jahre betragen dürfte.
Sie starren sich an, und die Zuschauer bilden einen Ring um sie, der auch den Revolvermann mit einschließt.
In Bush Joliets gelben Augen glimmt eine heiße Wut. Jim Doolin kann es genau erkennen.
Doch dann greift Bush Joliet wortlos in die Tasche seiner Jacke, holt die Brieftasche hervor und zählt das Geld ab.
Er gibt es Doolin und drängt sich wortlos durch die Zuschauer, deren Kreis sich langsam auflöst.
Dann kracht plötzlich ein Schuss. Alle blicken in diese Richtung, und sie sehen den roten Hengst fallen. Der Mexikaner hält den rauchenden Colt in der Hand. Tränen rinnen ihm über die pockennarbigen Wangen.
»Bist du verrückt geworden, Paco?«, fragt Bush Joliet wild und packt den Mexikaner nach einigen langen Sprüngen vorn an der Hemdbrust.
»Bist du verrückt, Paco?«, ruft er nochmals, diesmal voll böser Wut.
Doch der Mexikaner sagt heiser: »Red Kings Bein war gebrochen. Ich konnte ihn nicht länger leiden lassen Chef, es musste sein! Kein Mensch hat Red King mehr geliebt als ich.«
Da lässt Bush Joliet ihn los, wirft einen Blick auf den toten Hengst und geht wortlos davon.
Sein milchgesichtiger Revolvermann blickt auf Jim Doolin, dann auf Gus Pearchmeal, der seinem Pferd den Sattel abnimmt und es mit der Satteldecke abreibt. Dann folgt er Bush Joliet in den Ort hinein.
Die Zuschauer zerstreuen sich langsam.
Jim Doolin und Ike Ledbetter finden sich bei Gus Pearchmeal am Creek ein. Gus arbeitet immer noch an seinem Pferd. Jim Doolin hilft ihm, und sie betreuen den Schecken wie einen erschöpften Preiskämpfer.