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Der schönen Karin Hutchison steht das Wasser bis zum Hals, und deshalb ist sie entschlossen, die fünfhundert texanischen Longhorns, die ihr von der großen Herde noch geblieben sind, auf dem Missouri hinauf nach Montana zu schaffen. Dort auf den Goldfeldern wird man jedes Rind mit Gold auswiegen, und Karin verspricht sich einen riesigen Gewinn.
Es ist ein tollkühner Plan. Selbst der eisenharte Schiffseigner Barton McLane, den sie dafür gewinnen will, hält ihn für undurchführbar. Aber obwohl McLane weiß, dass es eine Höllenfahrt werden wird, die vor ihm noch nie ein Flusskapitän unternommen hat, willigt er ein. Er kann die schöne Rancherin nicht enttäuschen...
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Missouri-Legende
Vorschau
Impressum
Missouri-Legende
Alle Männer am Tisch vergessen ihr Pokerspiel und wenden ihre Köpfe, um die Frau anzusehen, die in Reitkleidung mit einer Maultiertreiberpeitsche in der Hand den Saloon betritt.
Sie trägt die lange Peitsche zusammengerollt, und es ist eine große, geschmeidige und reife Frau. Ihr Haar ist dunkelrot, und sie hat grüne Augen, hochstehende Wangenknochen und einen vollen Mund, der etwas breit ist.
Auf eine besondere Art ist sie hübsch. Die Männer haben solch einen Anblick schon sehr lange nicht gehabt. Deshalb vergessen sie ihr Pokerspiel, obwohl mehr als dreihundert Dollar im Topf liegen. Die schlanke und geschmeidige Frau kommt bis in die Mitte des Saloons, hält inne und blickt sich wie suchend um. Mike Powder, der Wirt, kommt hinter dem Schanktisch hervor und fragt höflich: »Madam, was kann ich für Sie tun?«
»Ich suche Mr. McLane, Barton McLane, den Schiffseigner der Missouri Bee, die unten an der Landebrücke festgemacht hat.«
Es ist so still im Saloon, dass man ihre Worte genau verstehen kann. Ihre Stimme klingt dunkel und etwas kehlig. Doch es ist eine wohlklingende und auf Männer etwas erregend wirkende Stimme.
Als die Worte verklungen sind, wenden alle anwesenden Männer wie auf Kommando die Köpfe und blicken auf Barton McLane, den sie alle gut kennen oder von dem sie zumindest wissen, dass er der Eigner des Flussdampfers ist, der heute anlegte und für die Frachtlinie nach dem Hinterland einige Tonnen Frachtgut löschte.
Barton McLane erhebt sich langsam.
»Madam«, sagt er, »wenn Sie noch eine Minute Geduld haben würden, bis ich diesen Gentlemen hier das Geld abgenommen habe...«
»Selbstverständlich«, sagt sie. Doch sie verlässt nicht den Saloon, um draußen zu warten, wie es jede andere Frau gemacht hätte. Sie tritt näher an den Pokertisch heran, und die Männer begreifen, dass sie dem Spiel zusehen will.
Der Schiffseigner Barton McLane ist ein großer Mann, hager und sehnig, doch mit breiten Schultern. Er wirkt eigentlich gar nicht wie ein Flussschiffer, eher wie ein Reiter, ein Rindermann. Er ist bestimmt nur wenige Jahre älter als die Frau. Und er hat ebenfalls rote Haare, nur heller, flammender, herausfordernder. Seine Augen sind grau, sehr kühl und fest. Er hat ein ruhiges und kühn wirkendes Gesicht, und es ist jetzt ausdruckslos und starr.
Denn er spielt mit rauen und hartgesottenen Männern Poker.
Ohne noch einen weiteren Blick in seine Karten zu werfen, holt er seine Brieftasche heraus, zählt nochmals hundert Dollar ab, wirft sie zu dem anderen Geld in die Tischmitte und sagt: »Ich habe es jetzt eilig, Jungens! Wer will noch?«
Sein Nachbar starrt auf das Geld, und er müsste jetzt ebenfalls hundert Dollar mitbieten.
Er blickt zur Seite und Barton McLane an. Der erwidert den Blick unpersönlich und ausdruckslos.
Und da atmet der Mann langsam aus und sagt: »Ich passe! Ich steige aus!«
Das scheint ein Signal für die vier anderen Männer zu sein. Sie zögern und überlegen zwar, und sie blicken zumeist noch einmal in ihre Karten und rechnen und kalkulieren. Sie starren auch Barton McLane an, misstrauisch, zweifelnd und manchmal sogar etwas böse. Doch irgendwie zerbrechen sie an dessen ausdrucksloser Ruhe, die wie etwas Greifbares von ihm auszugehen scheint. Sie spüren alle nacheinander die gleichen Zweifel und die gleiche Unsicherheit. Und sie geben auf. Sie bieten nicht mehr mit.
Als er das Geld einstreicht – es sind nun mehr als vier hundert Dollar, und das ist der Jahreslohn eines guten Cowboys! –, beginnt er zu lächeln.
»Jungens«, sagt er, »ihr müsst noch den richtigen Big-Muddy-Poker lernen.« Er macht eine Pause. Seine Zähne blitzen nun.
»Also bis zum nächsten Male! Und dann lasst euch von mir nicht so schnell aus dem Spiel bluffen.«
Er stopft das Geld in seine Taschen, erhebt sich und geht um den Tisch herum und verbeugt sich leicht vor der Frau.
»Wenn es Ihnen jetzt...«
»Schon gut, gehen wir hinaus!« Sie sagt es knapp, betrachtet ihn von oben bis unten und geht dann vor ihm aus dem Saloon.
Die Männer blicken ihnen nach.
»Was mag die von ihm wollen?«, fragt eine Stimme.
Doch inzwischen hat einer der Männer Barton McLanes Blatt aufgedeckt. Er erblickt ein jämmerliches Paar und beginnt schrecklich zu fluchen.
»Dieser Hundesohn«, keucht er. »Ich habe drei Damen, und ich lasse mich von diesem Flussrutscher aus dem Spiel bluffen! Mit einem jämmerlichen Neunerpaar blufft er mich aus dem Spiel. Ich...«
Er flucht wieder schlimm, und alle anderen Männer, die nacheinander feststellen, dass sie ebenfalls mit viel besseren Karten im Spiel waren und sich herausbluffen ließen, fluchen nun mit.
»Beim nächsten Male wird er mich nicht mehr aus dem Spiel bluffen können, und wenn er gleich um tausend Dollar steigern sollte«, verspricht einer der Männer.
Die anderen nicken.
Doch einer, der am Spiel nicht teilgenommen hatte und in der anderen Ecke saß, sagte herüber: »Der gewinnt immer im Poker! Du kannst sicher sein, dass er beim nächsten Male nicht blufft, sondern das beste Blatt in der Hand hält, wenn du der Meinung bist, Franky, er wollte dich wieder aus dem Spiel bluffen. Sei nur vorsichtig mit ihm. Der könnte mit dem Präsidenten der Staaten von Amerika Poker spielen und würde nicht schlecht dabei abschneiden.«
»Wer weiß, ob der Präsident ein guter Pokerspieler ist?«, sagt einer der Männer zweifelnd.
»Nur die besten Pokerspieler der Welt werden Präsidenten«, sagt der Mann in der Ecke überzeugt.
Eine hitzige Debatte entspinnt sich nun.
✰
Barton McLane schreitet indes neben der Frau her und zu einem Haltebalken, an dem sie ihr Pferd angebunden hat. Es ist ein Rinderpferd mit einem richtigen Cowboysattel. Das erkennt McLane sofort. In einem Sattelholster steckt ein Gewehr, und am Sattelhorn hängt ein Lasso.
Barton McLane betrachtet die Frau. Obwohl diese für eine Frau ziemlich groß ist, muss sie zu ihm aufsehen. Sie tut es fest und geradezu. Daran erkennt er, dass sie gewöhnt ist, mit Männern umzugehen.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Madam?«, fragt er.
Sie betrachtet ihn immer noch forschend.
»Es war interessant für mich«, sagt sie, »Sie Poker spielen zu sehen. Verraten Sie mir eines: Wie war Ihre Karte?«
»Ein Neunerpaar«, sagt er sanft. »Ich wollte schon passen. Doch dann kamen Sie herein. Ich dachte mir gleich, dass ich nun die anderen Spieler bluffen konnte. Aber wollen Sie von mir Unterricht im Pokern bekommen?«
Sie lächelte ernst.
»Ich sah das Schiff an der Landebrücke«, sagt sie dann. »Und ich wollte mir den Eigner dieses Schiffes ansehen.«
»Sind Sie zufrieden?«, fragt er, und in seinen grauen Augen funkeln helle Lichter.
»Sie riskieren manchmal einen hohen Einsatz, um einen hohen Gewinn einstreichen zu können«, sagt sie.
Er nickt. »Sicher«, sagt er langsam, »wollen Sie mich am Ende auch zu einem Spiel einladen?«
Sie nickt und klopft ihrem Pferd die Seite.
»Ein ziemlich raues Spiel mit großem Risiko«, sagt sie.
»Und was kann ich gewinnen?«
»Ihr Reingewinn dürfte nach Abzug aller Unkosten etwa zwanzigtausend Dollar betragen«, sagt sie schlicht.
Er schweigt einige Sekunden und betrachtet sie.
»Was ist das für ein Spiel?«, fragte er.
»Ich besitze fünfhundert Rinder«, sagt sie. »Und Ihr Steuermann sagte mir, dass die Missouri Bee genauso viele Rinder und noch einige Pferde fassen kann«.
»Rindertransport!«, fragt er.
»Ins Goldland von Montana«, sagt sie. »Dort oben an der Nordgrenze suchen zehntausend Männer nach Gold. Sie werden im Winter Fleisch haben müssen. Ich möchte fünfhundert Rinder auf dem Flussweg hinaufschaffen. Und ich suche einen Partner, der ein Schiff besitzt, welches groß genug ist. Ich bringe die Rinder! Sie bringen das Schiff! Ich bringe die Rindermannschaft! Sie bringen die Schiffsmannschaft. Und den Gewinn teilen wir.«
»Sie haben mir noch nicht einmal Ihren Namen genannt«, murmelt er kühl.
»Ich bin Karen Hutshinson«, sagt sie.
»Miss?«
»Mein Mann ist im Rindercamp – fünf Meilen von hier.«
»Und warum schickt er Sie, um Männergeschäfte zu erledigen?«
»Weil er am Red River vor Monaten eine Kugel bekam und seit diesem Tag ein kranker Mann ist. Weil ich die Herde und die Mannschaft führe. Deshalb, Barton McLane!«
Sie sagt es hart, und als er sie betrachtet, da erkennt er auch ihre Härte, die kaum etwas Weibliches hat. Doch er ahnt, dass ihre Härte aus der Not und der Verzweiflung geboren wurde.
Und plötzlich verspürt er Mitleid mit ihr.
Ja, er hat es da und dort schon mal erlebt, dass Frauen aus Not und Verzweiflung so hart wie Männer wurden. Und das war schlimm, denn es waren unglückliche Frauen, denen das Schicksal eine Last aufgebürdet hatte, die sonst nur Männer tragen konnten.
»Ich glaube nicht...«, beginnt er. Doch dann verstummt er und sieht schweigend zu, wie sie den Kopf hebt, wie sie das Kinn anzieht und sich strafft.
Sie wendet sich ihrem Pferd zu und hebt den Fuß, um ihn in den Steigbügel zu schieben. Ihr weiter Reitrock kann nun doch nicht die Schlankheit ihrer Beine verbergen. Aber Barton McLane achtet nicht darauf. Er ist etwas betroffen und beschämt. Denn die Frau handelt nun sehr stolz und entschieden. Sie bittet nicht mehr oder versucht es mit irgendwelchen Mitteln, von denen ja eine hübsche Frau sehr viele zur Verfügung hat. Nein, sie hat offen und frei ihr Angebot gemacht. Er hat es abgelehnt, und nun bittet sie nicht und versucht es nicht mit Überredung. Das gefällt ihm an ihr, ja, er ist sogar sehr beeindruckt.
Er streckt seine Hand aus und erfasst ihren Oberarm.
»Vielleicht sollten wie uns ausführlicher darüber unterhalten«, sagt er sanft.
Ihr Blick ist nun misstrauisch. Sie prüft nun wachsam und sorgfältig. Doch sie kann an ihm nichts erkennen, was ihr missfallen müsste. Sie sieht nur einen großen hageren und rothaarigen Mann, dessen Gesicht ruhig und dessen Härte keine böse Härte ist.
»Wenn wir ausführlicher über die Sache reden wollen«, sagt sie, »dann borgen Sie sich für zwei oder drei Stunden ein Pferd, und reiten Sie mit mir zur Herde. Wir können unterwegs darüber sprechen, und Sie können auch alles gleich selbst in Augenschein nehmen. Ich habe ja auch Ihr Schiff besichtigt, bevor ich zu Ihnen kam. Ihr Steuermann ist ein Mann wie ein Bär, doch er war sehr freundlich zu mir.«
Sie sitzt nun auf und wartet im Sattel.
Barton McLane überlegt drei Sekunden. Dann tritt er noch einmal in den Saloon und ruft von der Tür: »He, Charly Brown, kann ich für drei Stunden dein Pferd nehmen? Du kannst dafür drei Stunden auf meine Kosten trinken.«
»Das ist gemacht!« Ein kleiner Bursche, der schon ziemlich bejahrt ist, springt an einem Ecktisch wie von einer Nadel hochgejagt auf. Er aß dort und blätterte in einem Katalog für Damenbekleidung. Nun aber ist er schon unterwegs zum Schanktisch.
»Hast du gehört?«, fragt er laut. »Hast du gehört, ich kann auf Barton McLanes Kosten drei Stunden...«
Barton McLane hört die weiteren Worte nicht. Doch als er aus dem Saloon kommt, grinst er. Denn er weiß genau, dass der kleine Charly Brown nicht viel vertragen kann und viel zu gierig ist, um drei Stunden durchzuhalten. Charly wird binnen zwanzig Minuten unter dem Tisch liegen, und er wird dennoch nur so viel getrunken haben, wie ein anderer nötig hat, um lustig zu werden.
Karen Hutshinson beobachtet aufmerksam, wie der große Rotkopf zu einem der hier angebundenen Pferde geht. Es ist ein altes, doch großes und starkes Pferd. Die Frau beobachtet, wie der Mann sich in den Sattel schwingt. Als sie es gesehen hat, da weiß sie, dass Barton McLane nicht immer zu den Flussleuten gehörte.
Sie konnte klar und einwandfrei erkennen, dass dieser Mann dort sich wie ein Cowboy in den Sattel schwang. Und nun weiß sie auch die feinen Narben auf seinen Handrücken zu deuten. Es sind Lassonarben, die entstehen, wenn eine um die Hand geschlungene Lassoleine gleitet.
Sie sieht auch, wie er das alte Rinderpferd herumzieht.
Ja, sie weiß nun sicher, dass er ein Cowboy war.
Wie kommt er nur zu einem Flussdampfer?, fragt sie sich, indes sie aus dem kleinen Ort reiten. Er hält sich nun neben ihr, und als sie ihn anblickt, lächelt er wieder auf seine Art.
Es ist eine Art, die ihn plötzlich völlig anders aussehen lässt, sehr viel jünger, jungenhafter, verwegen. Sie spürt tief in ihrem Kern, dass ihr sein Lächeln gefällt.
Und dann beweist er ihr sogar noch, dass er ihre Gedanken erraten konnte. Denn er sagt: »Sicher, Madam, ich war ein Cowboy. Sie täuschen sich nicht in Ihrer Vermutung. Und den Flussdampfer erbte ich kurz vor dem Kriege vom Bruder meines Vaters. Mit diesem Schiff erbte ich sozusagen auch den Steuermann. Habe ich damit Ihre stummen Fragen beantwortet, Madam?«
»Genau«, sagt sie ohne Ziererei.
Dann reiten sie eine Weile schweigsam nebeneinander nach Süden.
»Auch ich hätte einige Fragen«, sagt er schließlich. »Soll ich sie laut äußern?«
Nun lächelt sie ernst. Doch dann wird ihr Gesicht sehr herbe. Gewiss denkt sie jetzt an alle Dinge, die hinter ihr liegen und die noch kommen werden.
»Mein Mann und ich, wir heirateten vor dem Kriege«, sagt sie. »Er war ein kleiner Rancher in Texas. Dann ging er in den Krieg, wie all die anderen Männer auch. Ich verwaltete unsere kleine Ranch, so gut ich es konnte. Während des Krieges vermehrten sich die Rinder ungeheuer. Fünf Rindergenerationen und deren Nachkommen bevölkern Texas. Und es gab bis vor wenigen Monaten keine Absatzmärkte für das Vieh. Doch dann zeigte der Rancher Jesse Chisholm den Texas-Herden den Weg zu den Eisenbahnstädten in Kansas. Auch wir brachen damals mit einer großen Herde auf. Wir gingen mit fünftausend Rindern auf den Trail.«
Als sie dies gesagt hat, spricht sie vorerst nicht weiter. Sie reitet nun ernst und verschlossen wirkend, und ihre sonst so vollen Lippen sind fest zusammengepresst.
Dann sagt sie schlicht: »Am Red River überfielen uns die Comanchen. Sie versetzten die Herde in Stampede. Viele Reiter wurden getötet oder schlimm verwundet. Mein Mann...« Sie verstummt und blickt eine Weile in die Ferne. Dann sagt sie härter: »Mein Mann wurde ebenfalls schwer verwundet. Es ist ein Wunder, dass ich ihn am Leben erhalten konnte. Eine Kugel befindet sich immer noch in seinem Körper. Sie kann nicht entfernt werden. Carl Hutshinson wird sein ganzes Leben lang ein Kranker bleiben. Deshalb führe ich die Mannschaft.«
Wieder verstummt sie für eine Weile. Barton McLane kann erkennen, wie sie mehrmals mühsam schlucken muss. In diesen Minuten jetzt beginnt er zu ahnen, dass sie sehr viel mehr in Not ist, als er bisher erkennen konnte. Er spürt auch irgendwie, dass sie dicht davor ist, zu zerbrechen und aufzugeben.
Plötzlich spricht sie weiter: »Von unserer Herde konnten wir etwas mehr als fünfhundert Rinder retten. Dafür hätten wir in Dodge City knapp fünftausend Dollar bekommen. Das ist nicht genug. Ich brauche mehr. Ich muss genug haben, um meinem kranken Mann den Platz zu verschaffen den er verdient: ein nettes Haus, viel Sonne, eine Veranda mit Rosen. Er wollte mir alle Wünsche erfüllen. Er wollte...«
Wieder bricht sie ab. Nun schweigt sie länger.
»Er wurde dabei ein Krüppel«, sagt sie klirrend vor Härte, die den Schmerz unter Kontrolle hält. »Nun bin ich an der Reihe, für ihn etwas zu wagen. Und ich will es wagen. Mister, ich habe genaue Informationen. Im vergangenen Winter zahlten die Goldgräber dort im Norden, dort in der Last Chance Gulch und im Gallatin Valley mehr als zweihundert Dollar für einen Longhorn-Stier, wenn sie ihn nur bekommen konnten. Und ich besitze fünfhundert Stiere. Ich rechne auch nur mit hundert Dollar für einen Stier. Aber das macht immer noch fünfzigtausend Dollar, nicht wahr? Ich wäre mit der Hälfte zufrieden. Wenn ich meine Mannschaft ausgezahlt habe, blieben mir immer noch zwanzigtausend Dollar. Und das würde mir für Carl genügen. Wir würden in Kalifornien ein hübsches Haus und eine Obstplantage...«
Wieder verstummt sie, und nun bewegt sie auf eine besondere Art ihren Kopf, so, als wollte sie damit ausdrücken: Das sind meine persönlichen Angelegenheiten, Mr. McLane.
Dieser schweigt nun eine lange Zeit, indes sie stetig reiten. Und nun ist ihm fast alles klar. Er verspürt eine starke Bewunderung in sich, die dieser mutigen und tapferen Frau gilt. Du lieber Gott, denkt er, sie hat ganz einfach die Stelle ihres Mannes eingenommen. Und sie ist mutig genug, um ein gefährliches Spiel zu wagen. In Dodge City hätte sie fünftausend Dollar für ihre Stiere bekommen können. Das war ihr nicht genug. Sie will mit ihren Stieren hinauf nach Montana, weil die nach Fleisch hungrigen Goldgräber dort für jedes Steak drei Dollar zahlen. Sie will Geld machen, damit es ihrem kranken Manne an nichts mangelt. Sie will ihn dafür entschädigen, dass er Pech hatte. Sie will für ihn sorgen, so wie er für sie gesorgt hatte. Sie will ein gewagtes Spiel riskieren, denn...
Er unterbricht seine Gedanken, denn er will sie nicht nur still für sich denken, er will sie in Worte kleiden. Und so sucht er eine Weile nach den richtigen Worten. Doch er weiß, dass er die Sache nicht wird gefährlich und ernst genug schildern können.
»Madam«, sagt er nach einer Weile und drängt sein Pferd dichter an ihr Tier heran, um möglichst eindringlich zu reden. »Madam, so einfach ist das nicht! Auch der Wasserweg auf dem Missouri führt durch das Indianerland, und die Sioux schlagen jeden Weißen tot, dessen sie habhaft werden können. Ja, sie haben auch einige Flussboote erwischt, die nach den Großen Fällen des oberen Missouri wollten, weil dort auch für Frachtgüter jeder Art hohe Preise gezahlt werden, und weil auch viele Goldsucher auf dem Flussweg nach Montana und ins Goldland wollen. Um diese Jahreszeit ist es besonders gefährlich. Der Fluss hat Niedrigwasser. Die Boote müssen zwischen Inseln hindurch auf engen und deshalb tiefen Kanälen fahren, und diese Kanäle sind so eng, dass die Rothäute von den Felsen aufs Deck springen können. Das haben sie auch schon oft genug getan. Ich habe mehr als ein Dutzend halbverbrannte Wracks gesehen, als ich vor drei Monaten einmal diese Fahrt machte. Und stellen Sie sich mal die ganze Fahrt mit fünfhundert Rindern an Bord vor! Wir können die Rinder nicht drei oder vier Wochen an Bord halten. Wir müssen immer wieder anlegen, die Rinder auf die Weide lassen und...«
Er bricht ab und macht eine resignierende Handbewegung.
»Die Chancen stehen eins zu zehn, dass wir es schaffen könnten«, sagt er schlicht. »Und zwar stehen die Chancen eins zu zehn gegen uns!«
»Und warum reiten Sie dann überhaupt mit mir zum Herdencamp?« Sie fragt es ihn mit kühler Stimme.
Er denkt über die Frage nach, und er forscht in sich nach den Gründen, die ihn davon abhielten, schon jetzt ein endgültiges Nein zu sprechen.
»Ich weiß nicht genau«, murmelt er dann und blickt in Karen Hutshinson grüne Augen, »Vielleicht ist es deshalb, weil Sie so mutig und stolz sind, Karen Hutshinson«, sagt er schließlich.
Er kann wieder erkennen, wie sie sich strafft, abwehrend und stolz.
»Keine Gefühle, Mister«, sagt sie rau. »Keine Gefühle! Ich will mit Ihnen ein Geschäft machen – mehr nicht! Man muss immer etwas riskieren. Schließlich haben Sie vorhin beim Poker...«
»Da ging es nicht um meinen Skalp«, sagt er trocken.
Sie reiten nun wieder schweigend, kommen dann durch eine Hügelkette in ein kleines Tal. Und nun kann Barton McLane das Herdencamp und die kleine Herde sehen.
Es ist ein jämmerliches Camp. Ein einziger Wagen steht dort, ein kleiner Planwagen, wie ihn die Siedler auf ihrer Landsuche für den Transport ihrer Habe und als Wohnwagen benutzen.
Aber es ist kein Kochwagen bei der Herde.
In einem kleinen Seilcorral stehen einige Pferde. Und einige Sattelpferde sind in der Nähe da und dort angebunden.
An einem Feuer hocken einige Männer.
Die Herde aber grast unten in der Senke rings um die Wasserstelle und wird von einem Reiter bewacht.
Der Mann und die Frau halten an.
»Das ist es«, sagt Karen Hutshinson, und nun klingt ihre Stimme gepresst. Barton McLane betrachtet die Frau wieder von der Seite, und nun vermeidet sie es, ihn anzusehen.
»Ein jämmerliches Camp«, sagt er. »Nicht einmal einen Koch- und Proviantwagen hat diese Mannschaft. Ich wette, den Jungens dort unten wachsen schon Hörner, so viel Rinderfleisch und nichts anderes haben sie zu essen bekommen. Madam, das dort unten ist eine Herde, die aus dem letzten Loch pfeift, wie man so sagt, und diese Mannschaft rührt auch gewiss keine Hand mehr, weil sie ebenfalls aus dem letzten Loch pfeift.«
Nun wendet sie den Kopf und blickt ihn an. In ihren Augen sind immer noch keine Tränen. Nur ihre Unterlippe zittert etwas. Sie beißt mit den Zähnen darauf. Und dann schluckt sie schwer.
Als sie spricht, zittert ihre Stimme nur wenig. Sie sagt: »Ich habe Ihnen gesagt, dass wir Pech hatten. Und wenn die Cowboys auf dem Schiff erst mal eine richtige Mahlzeit bekommen haben, wird auch für sie die Welt wieder ganz anders aussehen. Ich gebe zu, dass wir kein Geld und keinen Proviant mehr haben. Und...«
»... die Mannschaft ist nur noch bei der Herde, weil sie nicht ihren Anspruch auf Lohn aufgeben möchte«, sagt er rau. Karen Hutshinson senkt den Kopf.
»Wir sind nun schon sieben Monate mit der Herde unterwegs«, sagt sie dann leise. Er gibt ihr keine Antwort mehr, treibt sein Pferd wieder vorwärts und zum Camp hinüber.
Sie folgt ihm, und nun ist sie blass und wirkt verzweifelt. Es ist, als würde sie nun der Mut verlassen.
✰
Als Barton McLane das Feuer erreicht hat und sein Pferd von selbst anhält, zählt er sechs Männer. Und diese Männer – das erkennt er mit einem Blick – sind hartgesottene Gentlemen der Texasweide. Das hier sind Männer, die schon das Wort Kuh buchstabieren konnten, bevor sie ihren eigenen Namen kannten.
Und es sind sechs verbitterte und mürrische Männer, missmutig und ohne jeden freundlichen Gedanken.
Sie betrachten ihn ebenfalls, schweigend und störrisch. Denn sie befinden sich alle in jenem Stadium, da ein Mensch von dieser Welt gar nichts mehr erhofft oder erwartet.
Karen Hutshinson kommt herbeigeritten und schwingt sich aus dem Sattel. »Das ist Mr. McLane«, sagt sie. »Ihm gehört ein Flussboot, welches fünfhundert Rinder und einige Pferde fassen kann. Und wenn wir damit die Herde nach Montana bringen können, so werdet ihr doppelten Lohn erhalten.«
Nach diesen Worten ist es still.
Die scharfen Augen der sechs Texas-Cowboys richten sich auf Barton McLane, misstrauisch und prüfend, aber ganz bestimmt nicht erwartungsvoll oder gar hoffnungsfreudig. Denn diese Mannschaft erwartet nichts mehr.
Nach einer Weile öffnet einer der Männer seinen linken Mundwinkel und sagt sarkastisch: »Wenn ich ein bis zwei Dollar hätte, dann würde ich mir im nächsten Ort ein menschenwürdiges Essen, einen kleinen Schnaps und eine Zigarre kaufen. Diese Lady kann ja nichts dafür, dass wir so sehr am Ende sind. Und sie hat sich sogar prächtig gehalten. Doch irgendwann muss mal Schluss sein. Die Lady ist nach dem Ort geritten, um einen Käufer für die Herde zu finden. Doch sie hat anscheinend ein Schiff gefunden und ist auf eine Idee gekommen. Gewiss, wir haben vom Goldland in Montana gehört. Wir hörten auch vom Bozeman-Weg, der zu den Goldfeldern führt, wo jetzt zehntausend harte Burschen nach Gold suchen sollen. Wir hörten aber auch von den Sioux, die jeden Weißen erschlagen, der sich über Laramie hinaus nach Norden wagt. Gibt es denn auf dem Big Muddy und mit einem Schiff eine Chance?«
Das war eine lange Rede für einen verbitterten Texas-Cowboy. Und zuletzt stellte er eine klare Frage.
Barton McLane erwidert: »Die Chance ist zehn zu eins!«
»Für wen?«, fragt ein anderer Mann heftig.
»Für die Indianer natürlich, für wen sonst?« Barton McLane sagt es trocken. Und er fügt hinzu: »Auf dem Landweg steht die Chance etwa fünfzig zu eins für die Roten.«
Sie betrachten ihn wieder: »Kaufen Sie vielleicht der Lady die Herde ab, sodass sie uns auszahlen kann?«, fragt ein dritter Mann heiser.
»Nein«, erwidert Barton.
Er wendet sich zur Seite und blickt zum Wagen hinüber. Nach einer Weile zieht er sein Pferd herum und reitet hinüber. Er beugt sich aus dem Sattel und schlägt die Wagenplane am Wagenende zur Seite.
Sonnenschein fällt in den Wagen. Auf einem Bett, welches eine große Bodenfläche des Wagens bedeckt, liegt ein Mann. Es ist ein großer und blauäugiger Mann, blond und blassgesichtig.
Dieser Mann starrt den Reiter an und sagt dann mit einer gepressten Stimme: »Sie soll die Herde verkaufen! Kaufen Sie ihr die Herde ab! Ich weiß, sie möchte die Longhornbiester selbst nach Montana bringen. Doch das schafft sie nicht! Das schafft sie nie! Keine Frau kann das schaffen. Ja, wenn ich noch gesund wäre! Wenn ich noch der alte, harte Bursche wäre, dann... Aber ich bin es nicht. Ich habe eine Kugel im Leib! Ich kann mich nur unter höllischen Schmerzen bewegen. Ich kann deshalb nichts tun, gar nichts! Sonst würde ich die Herde nach Montana bringen, ganz bestimmt! Und da brauchten wir Sie nicht, Mister!«
Er schließt die Augen. Als er sie öffnet, wirken sie sehr starr. Und als er nun spricht, klingt seine Stimme schrill: »Ich habe am Red River mehr als ein Dutzend Comanchen erschossen! Mehr als ein Dutzend habe ich getötet, bevor sie mich aus dem Sattel schießen und die Herde in Stampede versetzen konnten. Ich habe gekämpft wie eine ganze Mannschaft, doch es waren zu viele Hundesöhne! Es waren der Schufte zu viele. Es war wirklich nichts mehr zu machen.«
Barton McLane lässt den Vorhang wieder fallen, richtet sich im Sattel auf, zieht sein Pferd herum und sitzt dann regungslos.
Er holt sein Rauchzeug aus der Tasche, dreht sich eine Zigarette und sieht die Frau an, die dort drüben beim Feuer noch mit ihrem Pferd bei den Männern steht.
Nun bewegt sie sich und kommt zu ihm. Sie hält drei Schritte vor ihm an und blickt fragend zu ihm auf.
»Was würden Sie tun, wenn ich ablehne?«, fragt er sanft.
Sie schließt die Augen und fährt sich mit einer Handbewegung über Schläfe und Stirn.
»Es kommen wohl noch mehr Schiffe«, sagt sie dann herbe. »Einer der Kapitäne würde es sicherlich machen.«
Er nickt. »Das stimmt! Hinter mir fuhr die ›Rose of Missouri‹, und sie müsste jetzt ebenfalls angelangt sein. Sie könnten heute noch mit Kapitän Jess Slaugther sprechen. Und er würde die Sache sofort machen.«
»Sicher ist er ein mutiger und entschlossener Mann«, erwidert sie.
»Das kann man wohl sagen«, murmelt Barton McLane trocken, doch es ist ein grimmiger Beiklang in seiner Stimme.
Er sitzt ab und tritt dicht an die Frau heran. »Jess Slaugther würde es sicherlich unter gewissen Bedingungen für eine begehrenswerte Frau machen«, murmelte er.
In ihren Augen blitzt es nun auf. Sie wird unter ihrer gebräunten Gesichtshaut blass. Doch dann strafft sie sich wieder trotzig. »Ich habe bald keine Wahl mehr«, murmelt sie. »Ich will die Herde in Montana verkaufen. Ich will!«
Er nickt. Und er weiß, dass sie jetzt zu den ganz verzweifelten Mitteln greifen wird. Er kennt auch Jess Slaugther gut, dem die »Rose of Missouri« gehört. Und weil er diesen Flussbanditen gut genug kennt, kann er sich auch ausrechnen, was sein wird, wenn diese Frau nun in ihrer Verzweiflung zu diesem Manne geht.
Zuletzt denkt Barton McLane an den Kranken dort im Wagen, und er ist nicht sicher, ob dieser Mann noch normal ist. Diese Verteidigungsrede und die Behauptung, gut gekämpft und viele Indianer getötet zu haben, lassen eine Menge Schlüsse zu.
Er blickt die Frau an.
»Wenn wir Partner werden«, sagt er, »dann gebe ich die Befehle.«
Sie schluckt und nickt dann heftig.