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In dem furchtbaren Augenblick, als ich meinen Bruder Bill fand, wurde mir klar, dass ich wieder einmal auf die Jagd gehen musste. Ich war Johnny Laredo, der Revolvermann. Oft genug hatte ich für einen Auftraggeber gejagt. Diesmal tat ich es für mich selbst. Das war ich Bill schuldig. Seine Mörder sollten nicht ungestraft davonkommen, und ich nahm eine heiße Spur auf.
Als ich dann zur Buckmaster Overland Line kam und Jennifer Buckmaster kennenlernte, erfuhr ich die ganze grausame Wahrheit. Und ich erkannte, dass vor mir der raueste Weg meines Lebens lag...
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Seitenzahl: 207
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Overland Line
Vorschau
Impressum
Overland Line
PROLOG
oder: Was ich berichten muss, bevor ich mit der Geschichte richtig beginnen kann.
Vielleicht wäre mein Bruder Bill ein Revolvermann geworden wie ich – aber ich tat alles, dies zu verhindern. Und es gelang mir einigermaßen. Denn das Schicksal kam mir etwas zu Hilfe.
Es war im Jahre 1850, und ich zählte erst fünfzehn Jahre, als der Apachenüberfall kam. Mein Bruder Bill war damals zehn Jahre – ein kleiner Junge also noch, der sich mühte, mir nachzueifern. Denn ich war ja schon fast ein Mann, und ich war sein einziger Bruder, der große Bruder. Ich war ihm Spielgefährte und Lehrmeister. Ich gab ihm alles weiter, was mein Vater mir beigebracht hatte.
Mit fünfzehn Jahren war man damals im Arizona-Territorium kein Junge mehr, mochte man ein Weißer, ein Apache oder ein Mexikaner sein. In unserem Lande waren damals alle Lebewesen Jäger und Gejagte zugleich. Und deshalb zählten die Jahre doppelt. Man musste doppelt so schnell und so viel lernen wie sonst wo. Oder man ging unter.
Mein Bruder Bill hatte am Creek eine große Forelle entdeckt, die unter einem schattigen Busch dicht bei einem Stein stand und sich die Strömung ins Maul fließen ließ.
Ich sollte ihm zeigen, wie man solch eine Forelle »griff«.
Deshalb steckten wir damals in den Büschen beim Creek, als die Apachen kamen.
Unsere Mam war dabei, in ihrem kleinen Garten Wäsche aufzuhängen. Wir hörten sie schrecklich schreien – und sie rief immer wieder, dass wir, ihre Jungens, in den Büschen bleiben sollten.
Zum Glück konnte keiner der Apachen ihre Worte verstehen. Selbst in ihrer verzweifelten Not also dachte unsere Mam nur an uns. Und sie rief auch, dass ich bald mit Bill allein wäre und gut für ihn sorgen sollte.
Dies alles hörten wir, obwohl wir uns gut hundertfünfzig Yards von unserem Haus entfernt am Creek befanden.
Unseren Vater hatten die Apachen zuvor auf dem Feld beim Pflügen erwischt. Er konnte noch dreimal mit dem Colt schießen – und er tötete drei Apachen. Solch ein Mann war unser Vater. Doch er konnte sich und unsere Mam nicht vor dem Schrecklichen bewahren.
Sie jagten ein halbes Dutzend Pfeile durch seinen zähen Körper.
Zuerst wollte ich loslaufen, um mich ihnen zu stellen. Ich wollte meinen Eltern beistehen.
Doch da hörte ich die schrillen Rufe meiner Mam, über die das Rudel der Wilden hergefallen war.
Ich begriff, dass sie mich und Bill ebenso schnell und glatt erledigen würden wie meinen Vater. Selbst Bill war schon zu groß, um von den Apachen lebend gefangen zu werden. Kleine Kinder fingen sie gerne lebend. Sie machten dann Apachen aus ihnen. So zählte die Schwächung der Weißen doppelt. Denn die Weißen verloren dann einen Kopf – die Apachen bekamen einen hinzu.
So rechneten die Apachen nun mal.
Aber Bill war schon so groß, dass er sich als Weißer fühlte und sich auch an seine Eltern würde erinnern können. Den konnte man nicht mehr zum Apachen machen. Deshalb würden sie ihn töten.
Er wollte schreiend zum Haus laufen.
Doch ich erwischte ihn im Genick und drückte ihn mit dem Gesicht ins Gras, dass er fast erstickte. Und weil er nicht aufhörte, verzweifelt zu kämpfen und es vielleicht geschafft hätte, einen Schrei von sich zu geben, schlug ich ihm meine harte Faust gegen die Schläfe.
Ich war zu jener Zeit schon über einssiebzig groß und an die siebzig Kilo schwer. Ich konnte kämpfen wie ein Mann.
Aber damals, als sie meinen Vater töteten und die schrecklichen Schreie meiner Mutter langsam erstarben – da wagte ich es nicht, in den Tod zu gehen.
Ich lag neben meinem bewusstlosen Bruder zwischen den Büschen im Gras. Ich schwitzte und zitterte vor Wut und Furcht, vor Hilflosigkeit und Hass.
Oh, ich wusste genau, was diese Hundesöhne mit meiner Mam machten, bevor auch sie ermordet wurde. Was uns hier passierte, war im Verlaufe der Jahre da und dort immer wieder in diesem Lande geschehen. Wir hatten schon als kleine Kinder davon gehört.
Jetzt traf uns alle das Schreckliche selbst.
Meine Gedanken jagten sich. Ich wusste auch, dass die Apachen nach Bill und mir suchen würden, falls sie unsere Farm vorher lange genug beobachtet hatten, um zu wissen, dass es auch noch zwei Kinder gab.
Unsere einzige Chance war, dass sie überraschend gekommen waren und uns nicht kannten. Ich wusste, es gab viele solcher streifenden Banden. Sie waren manchmal kaum ein Dutzend Krieger stark und zogen wie Wolfsrudel herum.
Ihre Wut auf die Weißen war mächtig groß, seitdem Städte wie Tucson für jeden Apachenskalp eine Belohnung zahlten und weiße Skalpjäger über Dörfer herfielen und dort auch Frauen und Kinder töteten, um ihnen die Skalpe zu nehmen. Dafür gibt es auch genügend verbürgte Beispiele, wie ich viel später in einem Geschichtsbuch las. So wurde in den siebziger Jahren von zweihundert Bürgern aus Tucson im Ariwaipa Canyon das Dorf des Häuptlings Eskimenzin überfallen, indes der Häuptling selbst mit seinen Kriegern in Mexiko beim Pferdehandel war. Die Weißen aus Tucson töteten einhundertundacht Frauen und Kinder. Neunundzwanzig Kinder brachte man im Triumph nach Tucson, von wo aus man sie später als Sklaven nach Mexiko verkaufte.
Die höchsten Preise für Apachenskalpe wurden im Jahre 1840 von der mexikanischen Regierung gezahlt. Hundert Goldpesos für einen männlichen, fünfzig Goldpesos für einen weiblichen und fünfundzwanzig Goldpesos für den Skalp eines Apachenkindes wurden gezahlt.
Der Apachenkrieg währte von 1835 bis 1886 – und dennoch konnte man die Apachen, die insgesamt als Volk kaum mehr als neuntausend Seelen zählten, nicht völlig ausrotten.
Sie waren die gefährlichsten Guerillakämpfer, die man sich denken kann.
✰
Als mein kleiner Bruder sich wieder zu regen begann und zu weinen anfing, brachte ich ihn mit harten Worten zur Ruhe. Ich schlug ihm mehrmals meine Hand ins Gesicht. Er tat mir leid, doch ich konnte nicht anders. Ich wusste keinen anderen Weg, unser Leben zu retten.
Wir zogen uns durch die Büsche in den Creek zurück und verbargen uns zwischen einigen großen Steinen, auf denen Grünzeug wuchs. Ich verwischte hinter uns alle Spuren, so gut ich konnte. Und ich konnte es gut. Dies hatte ich zuerst in diesem Land gelernt – außer reiten und schießen.
Dann warteten wir.
Und die Zeit verstrich.
Wir hörten ein paar Schüsse. Sie probierten also alle Waffen aus, die sie erbeutet hatten, und sie töteten damit unsere Rinder. Wir hörten unsere Hühner gackern und kreischen.
Dann rochen wir den Rauch des Brandes.
Dies wieder machte uns etwas Hoffnung. Denn da sie unser Haus und die Scheune ansteckten, würden sie höllisch schnell verschwinden. Sie mussten damit rechnen, dass uns Nachbarn zu Hilfe kamen.
Indes wir warteten, starrte ich ins Wasser. Ich sah die Forelle, welche ich gerade hatte »greifen« wollen. Sie hatte uns ungewollt das Leben gerettet. Wir hätten unseren Eltern nicht helfen können, sondern wären gleichfalls erschlagen worden.
Erst als die Abenddämmerung kam, wagten wir uns hervor. Wir fanden unseren Vater dort, wo er kämpfend gestorben war.
Und wir fanden unsere Mam beim Brunnen.
Das Haus, die Scheune, der Stall – alles, was wir uns in den vergangenen Jahren aufgebaut hatten, war abgebrannt und rauchte noch.
Mit der Abenddämmerung kamen auch unsere Nachbarn. Sie hatten einen weiten Weg von mehr als sieben Meilen. Sie hatten die Rauchwolke über den Hügeln gesehen und wussten Bescheid.
Sie hielten sich nicht lange auf. Sie wollten wieder heim, mussten sie doch befürchten, dass die Apachen während ihrer Abwesenheit ihre zurückgebliebenen Leute überfallen hatten.
Sie luden unsere toten Eltern und uns Jungens in den Wagen, den sie draußen auf dem Feld gefunden hatten, und spannten ihre Reitpferde davor, die auch gewohnt waren Wagen und Pflüge zu ziehen.
Und dann ging es höllisch schnell zurück.
Aber die Apachen waren nicht vorbeigekommen. Sie waren in eine andere Richtung weitergezogen.
✰
Eine Woche später waren mein Bruder und ich in der kleinen Stadt Sunsettown. Es war eine kümmerliche Stadt, kaum mehr als eine Siedlung. Doch es gab einen Store, ein Hotel, einen Saloon, eine Poststation und ein halbes Dutzend anderer Gebäude, zum Beispiel die Schmiede und die Saatgut- und Futtermittelhandlung.
Ein paar Minen, Ranches und Farmen in der Umgebung boten der kleinen Stadt eine kümmerliche Existenz.
Die Nachbarn, die uns damals abgeholt hatten, gaben uns auf der Durchreise in dieser Stadt ab. Sie konnten und wollten uns nicht mitnehmen, da sie selbst noch nicht wussten, was aus ihnen werden würde. Ihre Farm hatten sie aufgegeben. Sie wollten nicht ohne Nachbarn in jenem Lande bleiben und hatten Furcht, dass es ihnen eines Tages so ergehen könnte wie meinen Eltern.
Nun, sie gaben uns also beim Bürgermeister von Sunsettown ab.
Dieser Bürgermeister war zugleich auch der Schmied. Und dieser konnte einen Zuschläger gebrauchen. Er war gerade dabei, für eine der Minen ein paar schwere Stücke zu schmieden.
So wurde ich ein menschlicher Hammer, eine Zuschlagmaschine.
Und mein kleiner Bruder Bill arbeitete drüben im Hotel und im Saloon. Gleich am ersten Tag musste er sämtliche Messingspucknäpfe mit Asche blankpolieren, und weil er das nicht richtig machte, bekam er vom Saloon- und Hotelbesitzer ein paar Maulschellen verpasst, dass er fast Purzelbäume schlug.
Ich warf den schweren Schmiedehammer hin und rannte hinüber. Ich sprang den Hotel- und Saloonbesitzer an wie ein Wildkater.
Aber er war ein zweihundert Pfund schwerer Bulle, ein Mann, der in der Lage war, fast jeden verrücktspielenden Gast selbst aus der Tür zu werfen. Ich traf ihn zwar einige Male mit ganzer Kraft. Doch dann gab er es mir. Und nur weil sein Freund, der Bürgermeister und Schmied, ihm Einhalt gebot, wobei er ihm zubrüllte: »Schlag ihn nicht krank, denn ich brauche ihn für die Arbeit«, ließ er von mir ab.
Ich war angeschlagen, und der Schmied prügelte mich zu meinem Arbeitsplatz zurück. Indes er das Schmiedestück wieder ins Feuer legte, um es für eine Feuerschweißung zu erhitzen, konnte ich den Blasebalg bedienen und mich dabei etwas von den erhaltenen Prügeln erholen.
Ich sah zu, wie der Schmied Quarzsand auf das fast weißglühende Eisen streute – und ich wusste, dass Bruder Bill und ich hier in diesem Drecknest die Hölle erleben würden.
Wir waren zwar bei Weißen, die sich Christen nannten, aber sie hatten uns nicht aus Menschlichkeit aufgenommen. In diesem harten Land war sich jeder Mensch zu sehr der Nächste – und solch ein paar billige und rechtlose Arbeitskräfte bekam man selten wieder.
Aber bald konnte ich nicht mehr länger darüber nachdenken, denn der Schmied stieß einen heftigen Laut aus. Wir rissen die beiden Schmiedestücke aus dem Feuer, legten sie übereinander – und der Schmied arbeitete mit dem Handhammer und stellte die Schweißung her.
Die wie krallenartig ineinander passenden und verschweißten Stücke wurden dann von uns zu irgendeinem wichtigen Teil für eine Förderanlage geformt.
Ich schwang den schweren Hammer und musste mich damit den Schlägen anpassen, die der Schmied mit seinem Handhammer machte. Wir spalteten, stauchten, zogen aus, bogen, arbeiteten mit Gesenken und Gesenkhämmern und trieben Löcher in geschmiedete Wagenachsen.
Es gab kaum eine Pause, und meine Handflächen waren bald schon wund und blutig. Meine Rückenmuskeln verkrampften sich mehr und mehr. Einige Male musste ich mich erbrechen.
Doch wir arbeiteten bis zum Sonnenuntergang.
Und als dann später der Schmied zum Saloon ging, um sich zu betrinken, lag ich in einem halboffenen Schuppen im Stroh und war halb betäubt.
Mein kleiner Bruder Bill kam zu mir gekrochen wie ein Hund. Er versuchte mich zu streicheln, und er weinte.
Gegen Mitternacht war ich dann endlich so weit, dass ich mich wieder bewegen und einigermaßen klare Gedanken fassen konnte. Ich begriff, dass wir nicht hier an diesem Ort bleiben konnten.
Diese Leute hier waren nicht fair. Wir wollten weder Mitleid noch Geschenke. Ganz gewiss hätten wir durch Arbeit für unseren Lebensunterhalt aufkommen können.
Doch diese Leute hier waren gewiss auch zu Hunden gemein. Sie versuchten sich inmitten eines gnadenlosen Landes zu behaupten – und dies hatte sie aus Egoismus gnadenlos gegen alles Schwächere gemacht.
Wir mussten fort.
Aber wie?
In diesem Land konnte man nicht einfach so zu Fuß fortlaufen. Da wäre man bald umgekommen.
Nein, wir mussten Pferde, Proviant und Ausrüstung haben – auch Waffen. Ich war dazu entschlossen, hier zum Dieb zu werden.
Ich wusste, dass ich bei diesem Schmied zerbrechen würde. Für diese schwere Arbeit als Zuschläger war ich einfach noch zu jung. Wäre ich zwei oder drei Jahre älter gewesen, so hätte ich versuchen können, mich durchzubeißen. Nach einer Woche oder mehr hätte ich den kritischen Punkt überwunden, und der Schmied hätte mir die notwendigen Pausen gönnen müssen.
Aber ich bekam nicht mal etwas für meine blutigen Handflächen.
Auch wegen meines Bruders musste ich fort. Dieser Hotel- und Saloonbesitzer war wahrscheinlich ein Sadist, der gerne kleine Jungens quälte.
Wir mussten fort.
Und so schlich ich mich hinüber ins Wohnhaus, in dem der betrunkene Schmied laut schnarchte...
✰
Wir entkamen damals. Denn wenn ich auch noch kein Mann war, der seinen kleinen Bruder vor den Schlägen eines Saloonbesitzers schützen konnte, so verstand ich doch, unsere Fährten zu verwischen.
Wir entkamen damals als Diebe. Denn wir nahmen zwei Pferde, Proviant und Ausrüstung mit, dazu einen Revolver mitsamt einem wohlgefüllten Waffengurt, den ich im Schrank des Schmiedes fand.
Diese Waffe hatte gewiss einmal einem besonderen Revolverschützen gehört – doch das stellte ich erst später fest, nach endlosen Tagen einer ruhelosen Flucht, die meinen kleinen Bruder Bill fast, umbrachte.
Er wurde krank, und wir verkrochen uns schließlich in einem verborgenen Camp, bis unsere Vorräte aufgebraucht waren und Bill sich wieder erholt hatte. Dann ritten wir weiter.
Eines Tages kamen wir zu einer Ranch. Und ich gab mich als siebzehnjährig und Bill als zwölfjährig aus. Dies konnte man uns glauben.
Wir bekamen Arbeit, ich als Cowboy, und Bill sollte in der Küche helfen und sich auch sonst überall nützlich machen.
Der Boss war ein harter Mann; er war mit einer Mexikanerin verheiratet, die mir schon bald schöne Augen machte. Sie war wie eine Katze.
Im Schlafhaus der hartbeinigen Reiter war ich der Letzte in der Rangordnung, und das machte mir nichts aus, solange man mich fair behandelte.
Doch das wurde schon bald anders. Vielleicht lag es daran, dass ich ein wilder und stolzer Junge war – ein Bursche, der die ganze Welt hasste und mit Bitterkeit an die traurigen Erfahrungen dachte, die er bisher machen musste.
Vielleicht passte es den meisten Reitern nicht, wie ich ihnen in die Augen sah. Vielleicht ärgerten sie sich auch, dass ich – der jüngste Mann – das Lasso besser werfen konnte als jeder von ihnen.
Sie gaben mir dann und wann Befehle, die mich demütigen mussten. Sie ließen sich von mir bedienen. Ich musste ihre Pferde satteln, die Stiefel putzen und dergleichen Dinge erledigen – und dies, obwohl ich das gleiche Arbeitspensum erfüllte wie sie auch.
Ich schluckte alles herunter und hielt durch.
Aber dann musste ich eines Tages die Frau des Bosses zur Stadt begleiten. Wir nahmen einen leichten Wagen und ein feuriges Rappengespann. Und wir sausten damit los.
Die Frau war nur zehn Jahre älter als ich, und sie war so schön, wie nur eine Mexikanerin schön sein kann. Sie war also verwirrend.
Und ich war ein dummer, unerfahrener Junge, der erst in einem Monat sechzehn und nicht achtzehn wurde.
Irgendwann dann auf dem Nachhauseweg musste ich zwischen den Hügeln den Wagen anhalten. Und die Frau küsste mich. Ich kam mir vor wie ein Mondkalb und hatte den Verstand verloren.
Obwohl ich die Frau verachtete, weil sie mit mir ihren Mann betrog, fand ich aber auch Spaß an der Sache.
Aber dieser Spaß dauerte nicht lange. Denn wir waren plötzlich nicht mehr allein. Der Vormann – er hieß Alex Ferguson – erschien auf seinem scheckigen Pferd neben uns. Er hatte uns schon eine Weile zugesehen. Und er grinste und sagte: »Nun, Dolores, hast du auch unseren Kleinen herumgekriegt? Aber du solltest dich mit richtigen Männern abgeben, nicht mit solchen Milchbärten.«
Er schwang sich vom Pferd, trat mit den Zügeln in den Händen näher an den Wagen heran und reichte sie mir herauf.
»Hier, Junge«, sagte er. »Führe mein Pferd etwas spazieren. Nimm schon und geh. Ein Stück weiter ist eine Quelle. Tränke mein Pferd.«
Er sah dabei nicht so sehr mich an. Sein glitzernder Blick war auf Dolores gerichtet.
»Geh nicht, Johnny«, sagte sie. »Ich will nichts mit ihm zu tun haben. Geh nicht, Johnny Laredo. Bringe mich heim.«
Da erst sah Alex Ferguson mich voll an.
Und er sah mich hart an.
Er war ein Mann mit zwei Revolvern, der imstande war, jede raue Mannschaft unter Kontrolle zu halten. Bei uns im Schlafhaus war er der Bulle, wie jede Herde einen Bullen hat – oder jedes Rudel einen Anführer, mochte es ein Wolfsrudel, eine Hundemeute oder ein Pferderudel sein.
Aber ich sah ihn an und sagte: »Nein!«
Da lachte er hart. Er ergriff mich am Arm und riss mich vom Fahrersitz des Wagens.
Ich rollte über den Boden – kam hoch. Aber er ließ mir keine Chance. Er traf mich mit einem gemeinen Tritt, der mich wieder umwarf.
Nun, ich war in den vergangenen Wochen bei der harten Männerarbeit im Sattel noch zäher, härter und schneller geworden. Ich hatte mich in den vergangenen Wochen weiterentwickelt, als wären es Monate gewesen.
Und so konnte er mich beim zweiten Versuch nicht mehr mit einem Fußtritt treffen. Ich bekam seinen Fuß zu fassen, drehte ihn herum und brachte ihn zu Fall. Er war ein Mann, der fast zwei Zentner wog und dabei kein einziges Gramm überflüssiges Fleisch über den Knochen hatte.
Als er hochkam, traf ich ihn mit harten Schlägen. Ich schlug sie als Haken, als Schwinger – und ich brachte sogar einen Aufwärtshaken an, der einem Preiskämpfer den Beifall der Zuschauer eingebracht hätte.
Aber ich war nicht stark genug. Hinter meinen Schlägen lag noch nicht die Wucht eines Mannes.
Und so lachte Alex Ferguson nur kehlig. Dann begann er mich zu verprügeln.
Diesmal kam mir kein Schmied zu Hilfe, der mich zu sehr als Zuschläger am Amboss brauchte, um mich totschlagen zu lassen.
Diesmal war ich allein auf mich gestellt.
Und ich begriff schon bald, dass Alex Ferguson mich zumindest halbtot und zu einem Krüppel schlagen wollte. Er war gnadenlos in seiner Wut.
Je länger ich mit ihm kämpfte, umso schlimmer würde es mir ergehen. Ich hatte einfach keine Chance gegen ihn. Von unserer Mannschaft hatte überhaupt keiner eine Chance gegen den Vormann.
Als er mich wieder einmal am Boden hatte, blieb ich stöhnend liegen. Oh, ich hätte noch auf die Beine kommen und eine Weile weitermachen können. Doch ich tat es nicht. Das war klug von mir. Denn er hätte mich nur noch kranker gemacht.
Er trat mich noch einige Male bösartig, knickte mir ein paar Rippen. Dann ritt er davon.
Und der Wagen war auch nicht mehr da. Dolores, die junge Frau meines Ranchers, hatte die Flucht ergriffen.
Ich schleppte mich erst mal zu der Quelle, bei der ich Fergusons Pferd hatte tränken sollen.
Dort kühlte und linderte ich meine Wunden, ruhte mich aus und dachte mit dumpfer Wut über die Schlechtigkeit der Menschen auf dieser Erde nach.
Nun hatte ich endgültig den Glauben an diese Welt verloren.
Irgendwann dann in der Mondnacht machte ich mich zu Fuß auf den Weg. Ich war krank und elend, aber ich musste zur Ranch. Hier draußen in der Wildnis konnte ich umkommen. Es gab hier auch Wölfe, Pumas und dann und wann sogar Apachen. Aber ich hatte ja auch keine Nahrung – und keine Waffen. Im Wagen hatten wir ein Gewehr und eine Schrotflinte dabeigehabt. Aber meinen Colt, den ich damals dem Schmied stahl, hatte ich bei meinem anderen Zeug auf der Ranch.
Ich versuchte also, mich zur Ranch durchzukämpfen. Doch es waren mehr als sieben Meilen. Ich glaubte nicht, dass ich es schaffen würde. Und dennoch versuchte ich es.
Nach etwas mehr als zwei Meilen konnte ich nicht mehr. Meine Rippen waren zu schlimm verletzt. Ich konnte nur ganz flach atmen.
Stöhnend legte ich mich am Rand des Fahr- und Reitweges in das Gras. Mir war alles gleich. Mochte kommen, was da wollte. Ich war erledigt.
Aber was dann kam, war mein kleiner Bruder Bill.
Er kam mit unseren Pferden und mit unserer wenigen Habe. Er hielt an, weinte etwas und machte sich dann daran, mir zu helfen. Er ließ mich Wasser trinken und wusch mein Gesicht.
Ich war bald in der Lage, ihn zu fragen, was denn passiert wäre.
Und da sagte er es mir: »Ferguson hat behauptet, du hättest die Frau des Bosses zu küssen versucht. Sie hätte sich gewehrt, und er, Ferguson, wäre ihr zu Hilfe gekommen. Er hätte dich verprügelt. Da haben sie auch mich hinausgeworfen. Ich musste unsere Siebensachen packen und von der Ranch. Aber die Frau hat mir hundert Dollar zugesteckt. Sie hat gesagt, dass sie dir nicht helfen könne und auch nicht mehr Geld hätte.«
Mein kleiner Bruder Bill sagte dies sehr schlicht, sehr ernst und sehr gefasst.
Er fragte nicht, was wir tun würden. Und ich wollte es ihm nicht sagen.
Denn für mich stand fest, dass ich von Alex Ferguson Genugtuung fordern würde. Er hatte mich verprügelt wie einen räudigen Hund. Aber er hatte kein Recht dazu gehabt.
Da ich ihn nicht mit den Fäusten schlagen konnte, würde ich es gegen ihn mit dem Revolver versuchen.
Aber das konnte ich Bill nicht sagen.
✰
Die hundert Dollar reichten eine Weile. Denn damals war ein einzelner Dollar so groß wie ein Wagenrad, was seine Kaufkraft betraf. Cowboys verdienten kaum mehr als zwanzig Dollar im Monat bei freier Station.
Wir mieteten uns am Rande der kleinen Stadt – es war ein kleiner Ort, der Santa Cruz hieß, und so hießen Dutzende von diesen Towns – eine Hütte für fünf Dollar im Monat. Es war eine kümmerliche Hütte, kaum mehr als ein Ziegenstall. Doch sie genügte uns.
Nach einer Woche ging es mir gut genug, so dass ich mit meinem Colt ein Stück in den Hügeln wandern und dort zu üben beginnen konnte.
Wie man es machen musste, wusste ich von meinem Vater, den ich früher oft genug mit der Waffe üben sah. Und wie gut er schießen konnte, bewies er ja noch kurz vor seinem Tode, als er mit drei Schüssen drei angreifende Apachen tötete.
Ich begann also Tag für Tag zu üben.
Als dann drei Wochen vergangen waren, fühlte ich mich gesund. Und ich konnte ein paar hübsche Kunststücke mit dem Schießeisen vorführen und auf zehn Schritte fast alle Kastanien treffen, die mein Bruder in die Luft warf.
Und was besonders wichtig war dabei: Ich zog erst, wenn die Kastanien sich schon in der Luft befanden, und wartete nicht mit schussbereitem Colt auf die Ausführung des Wurfes.
Mein kleiner Bruder wurde in diesen Tagen elf. Aber er war sehr viel reifer. Er betrachtete diese Welt mit den Augen eines Dreizehnjährigen, der bereits begriffen hat, dass die Menschen nicht gut sind.
Und er ahnte schon, was ich vorhatte.
Wahrscheinlich fürchtete er sich. Doch er verstand mich. Er begriff irgendwie, dass ich mich nicht immer wieder herumstoßen und wie einen Hund verprügeln lassen wollte. Vielleicht ahnte er auch schon, was ich selbst schon glaubte, nämlich, dass andere Männer sich schon allein durch meinen Anblick und die Art, wie ich sie ansah, herausgefordert fühlten.
Es verging dann eine knappe Woche, da war es soweit.
Alex Ferguson kam in die Stadt geritten, um mal wieder im Saloon etwas Spaß zu haben. Er hatte ein paar Reiter der Mannschaft bei sich. Es hatte auf der Ranch wieder einmal Löhnung gegeben.
Nun, ich wartete in der Hütte, bis Ferguson genug getrunken hatte, um nicht mehr völlig nüchtern zu sein. Aber ich wollte auch nicht mit einem richtig Betrunkenen kämpfen.
Zu meinem kleinen Bruder Bill sagte ich: »Wenn es mich erwischen sollte, so geh zu einer Mission der Jesuiten. Dort hast du wahrscheinlich die größte Chance, dass man dich fair behandelt und man etwas aus dir macht. Hast du mich verstanden, Bill?«
Er kniff die Lippen zusammen, nickte heftig und hatte Tränen in den Augen. Ich half ihm noch, unsere Pferde zu satteln. Dann ging ich.
Er wollte mit, aber ich sagte ihm: »Wenn du mir helfen willst, dann bleib weg. Wenn ich dich nicht in der Nähe habe, werde ich mich besser auf den Gegner einstellen. Verstehst du das? Meine Chance wird größer sein, wenn ich dich ein Stück weg weiß.«
Er begriff es.
Und dann ging ich allein die nächtliche Straße von Santa Cruz entlang. Ich war unterwegs, um meinen ersten Gegner zu töten.
Mit dreizehn Jahren hatte ich bei einem Apachenüberfall schon mal meine Schrotflinte auf ein Rudel Apachen abgedrückt und ein paar von ihnen schlimm getroffen.
Aber dies hier war völlig anders.
Ein Mann hatte mich ohne Grund wie einen Hund verprügelt. Und ich wollte nun Genugtuung. Ich wollte selbst ein Mann sein – und ich hatte Furcht, dass ich mich mein weiteres Leben lang immer wieder prügeln und treten lassen würde, ließe ich diese Sache auf sich beruhen.
Ich hatte keinen älteren Bruder, keinen Vater, keinen Onkel oder väterlichen Freund, die mir raten konnten.
Ich musste alles mit mir selbst ausmachen.