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Kirby Starbow nimmt die Schuld des Bruders auf sich und geht für ihn ins Gefängnis, Er weiß, eine Haft würde Jesse zerbrechen, und er hofft, dass dieser nun in sich geht, die Bande, der er sich angeschlossen hat, verlässt und zu seiner jungen Frau und seinem kleinen Sohn zurückkehrt. Aber Kirby erlebt eine bittere Enttäuschung. Jesse dankt ihm sein Opfer nicht. Bei einem Postkutschenüberfall wird er sogar zum Mörder.
Doch dann kommt der Tag, an dem Kirby die Strafe für die Tat, die er nicht beging, abgesessen hat und sich die Tore des Gefängnisses hinter ihm schließen. Als er in den Sattel steigt, gibt es für ihn nur ein Ziel: Er wird über den Wild-Horse-Pass ins Land der Verlorenen reiten, um den Undankbaren zur Rechenschaft zu ziehen...
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Seitenzahl: 223
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Pass der Verlorenen
Vorschau
Impressum
Pass der Verlorenen
Die vergangenen zwölf Monate sind nicht gut gewesen für einen Mann wie Kirby Starbow, denn es waren die zwölf traurigsten und bittersten Monate seines Lebens.
Was Kirby Starbow jedoch besonders verbittert, das ist die Erkenntnis, dieses Jahr nutzlos geopfert zu haben. Als er in das Büro des Gefängnisdirektors tritt, ist sein Gesicht ausdruckslos. Nur in seinen grauen Augen kann man etwas von der Ungeduld erkennen, mit der er auf diesen Tag gewartet hat.
Er blickt dann den zweiten Mann an, der seitlich von ihm und dem Gefängnisleiter neben dem Fenster in einem bequemen Sessel sitzt. Es ist der US-Marshal des Wyoming-Territoriums, Sam Morgan.
»Hallo, Kirby«, sagt der alte Falke und nickt ihm ruhig zu. Kirby erwidert den Gruß und nimmt dann vom Gefängnisleiter schweigend seine Entlassungspapiere entgegen.
»Die üblichen Worte kann ich mir wohl sparen?«, fragt der Mann dabei.
Kirby erwidert nichts. Er tritt an den zweiten Tisch und nimmt dort seine wenigen Besitztümer an sich.
Da ist eine silberne Taschenuhr, die er als ältester Sohn von seinem Vater erbte. In dem Lederbeutel, den Kirby öffnet, befinden sich immer noch die sechs Zwanzigdollarstücke. Er zieht auch das Green-River-Messer aus der Scheide, betrachtet es prüfend und schiebt es dann in den Stiefelschaft. Im Tabaksbeutel befindet sich noch etwas Tabak, aber er ist sehr trocken und fast nur noch grobes Pulver. Die kurze Holzpfeife ist am Mundstück etwas beschädigt. Kirby stopft sich diese Pfeife und nimmt sich vom Schreibtisch des Gefängnisleiters ein Zündholz.
Er ist ein großer Mann, mit breiten Schultern und den schmalen Hüften eines Reiters. Es fehlen ihm jedoch jetzt sicherlich etwa zwanzig Pfund an Gewicht. Seine Kleidung schlottert etwas.
Als er raucht, blickt er den US-Marshal wieder an.
»Wollen Sie etwas von mir, Morgan?«
Der eisgraue, falkenäugige und hartgesichtige Verbrecherjäger verzieht keine Miene. Aber nach einigen Atemzügen sagt er sanft: »Ich wollte sehen, wie Sie es überstanden haben, Kirby, und in welcher Verfassung Sie sich befinden. Sie wissen, dass nicht nur ich, sondern auch Richter und Geschworene Verständnis für Ihre Handlungsweise hatten.«
»Ich habe mich nie über meine Strafe beklagt«, murmelt Kirby. »Ich habe bezahlt, nicht wahr?«
»Dem Gesetz nach, ja.«
»Auch die andere Schuld bringe ich in Ordnung«, murmelt Kirby Starbow gedehnt und blickt dann auf den Rest seiner Besitztümer. Er zieht dabei heftig an der Pfeife und hüllt seinen Kopf in Rauchwolken ein. Die beiden Männer beobachten ihn schweigend.
Und sie sehen, wie Kirby Starbows Hand mitten in der Bewegung zögert. Es sieht wirklich so aus, als zögerte er, Colt und Waffengurt vom Tisch zu nehmen.
Aber dann tut er es doch und atmet dabei tief ein. Er legt sich den Waffengurt um, bindet die Holster am Schenkel fest und richtet sich wieder auf. Langsam zieht er die Waffe heraus, klinkt die Trommel aus und nimmt Patronen aus den Schlaufen des Waffengurtes. Sie sind immer noch gut eingefettet und bestimmt nicht unbrauchbar.
Als er die Waffe geladen hat, sieht er beide Männer nacheinander an, schiebt den Colt ins Holster und fragt dann: »Kann ich jetzt gehen?«
»Ihr Pferd hat im Mietstall gearbeitet und sich dort Futter und Unterkunft verdient. Sie können es dort abholen. Hier ist der Berechtigungsschein«, murmelt der Gefängnisverwalter und schiebt Kirby einen Zettel zu. Der nimmt ihn und wendet sich zur Tür.
»Moment noch, Kirby Starbow«, murmelt der US-Marshal. »Da wäre noch eine Sache zu besprechen.«
Kirby blickt ihn über die Schulter an. Dann wendet er sich zurück.
»Wirklich?«, fragt er.
»Setz dich, mein Junge«, murmelt der alte Kämpfer und deutet auf einen zweiten Sessel. »Setz dich und sei nicht so stolz und verbittert.«
Kirby zögert. Dann zuckt er lässig mit den jetzt so knochig wirkenden Schultern und gehorcht. Er sagt kein Wort, sondern blickt den Mann, der das Bundesgesetz in Wyoming vertritt, ruhig an.
Und Sam Morgan ist ein Mann, der nicht lange um den heißen Brei herumgeht, sondern den Stier stets bei den Hörnern packt.
Er sagt pulvertrocken: »Junge, du wolltest deinem Bruder eine Chance geben und hast dich geopfert. Aber du hast ein Jahr deines Lebens nutzlos verschwendet. Dein Bruder Jesse hätte an deiner Stelle...«
»Genug!«, unterbricht ihn Kirby scharf.
Aber der US-Marshal schüttelt den Kopf. »Es konnte nicht bewiesen werden«, sagt er, »aber nicht nur ich war von Anfang an davon überzeugt, dass du die Schuld deines Bruders auf dich genommen hast. Alle wussten wir das, alle! Dein Bruder war es, der die Post überfallen hatte und den wir mit drei Aufgeboten jagten. Jesse war es! Aber dann stelltest du dich als Täter. Dein Bruder leugnete. Und die Augenzeugen waren sich nicht sicher, weil ihr euch ähnlich seht. Das Gericht konnte die Wahrheit nicht herausfinden und musste dich schließlich verurteilen. Es war doch so, Kirby?«
Der antwortet nicht, sondern blickt ins Leere. Aber seine Lippen pressen sich immer mehr zusammen. Man hört einmal seine Zähne knirschen.
»Ist das alles, Sam?«, fragt er schließlich.
»Nein, Kirby. Du weißt, ich kannte deinen Vater. Und ich habe auch seine Söhne gern gehabt. Als du noch ein Junge warst, nanntest du mich Onkel Sam. Vergiss das nicht.«
»Das hattest du vergessen, Sam, nicht wir!«
»Ich musste einen Banditen fangen«, knurrt Sam Morgan. »Aber ich bekam den wirklichen Schuldigen nicht, weil sich ein verdammter Narr für den jüngeren Bruder opferte. Es hat dir nichts genützt, Kirby, gar nichts! Jesse hat seine Chance nicht wahrgenommen. Oh, ich weiß, warum du dich für ihn geopfert hast! Jesse war jung und leichtsinnig, verwegen und wild. Er befand sich auch in schlechter Gesellschaft und hatte ein junges Mädchen geheiratet, das ein Kind von ihm erwartete. Er wollte dieses Mädchen nicht in einer kümmerlichen Hütte wohnen lassen, sondern ihm etwas bieten. Dieser Narr! Und da ließ er sich von seinen Freunden dazu verleiten, beim Überfall auf eine Postkutsche mitzumachen. Und du kanntest deinen Bruder gut. Du wolltest ihn retten, denn du wusstest genau, dass er nach einer langjährigen Haft als wilder Wolf aus dem Gefängnis kommen würde, verdorben, verloren. Du dachtest, dass dein Opfer ihn verändern würde, dass er nie mehr wieder leichtsinnig handeln und für alle Zukunft auf dem guten Weg bleiben würde. Und du wolltest auch nicht, dass Jesses junge Frau...«
»Schluss damit, Sam!«, unterbricht ihn Kirby klirrend. »Schluss damit, hörst du?«
»All right, all right! Oh, well! Aber dein Bruder Jesse hat Frau und Kind verlassen und ist inzwischen ein berüchtigter Bandit und Revolvermann geworden. Er hat sich was ins Fäustchen gelacht, als du für ihn alles auf dich genommen hast. Während dieses Jahres hat er viel Unrecht begangen. Daran bist du mitschuldig, moralisch auf jeden Fall! Ist dir das klar?«
»Ich bringe das in Ordnung, Sam. Aber das geht nur mich und Jesse etwas an.«
»So-o-o? Und wie willst du das in Ordnung bringen?«
Kirby gibt keine Antwort, macht aber den Ansatz einer Bewegung, als wollte er aufstehen und aus dem Zimmer gehen.
»Warte noch, Junge«, grollt Sam Morgan, greift in die Tasche und holt ein kleines Päckchen heraus.
»Nimm es«, knurrt er. »Das ist die Chance, die ich dir gebe, damit du innerhalb des Gesetzes bleiben kannst und nachher dein ganzes Leben nicht in der Hölle leben musst.«
Kirby starrt auf das Päckchen. »Was ist es?«
»Deine Ernennung zum US-Hilfsmarshal, die Plakette und einige Haftbefehle auf Burschen, die vom Bundesgesetz gesucht werden und die du in Gesellschaft deines Bruders finden wirst. Das ist alles, was du nötig hast, Kirby. Denn es wird dich davon abhalten, Rache zu nehmen und dein Gewissen mit Dingen zu belasten, die ein guter Mann nicht tun darf. Das ist deine Chance, Kirby, wenn du innerhalb des Gesetzes bleiben möchtest und kein Verlorener werden willst, der nach einer blutigen Rache nicht mehr auf den guten Weg zurückfinden kann. Sei kein Narr, Kirby.«
Der blickt eine Weile stumm auf das Päckchen, in dem sich einige Papiere und ein harter Gegenstand befinden.
Dann lacht er bitter auf.
»Ich komme aus dem Gefängnis und soll Gesetzesbeamter werden? Das ist wie ein schlechter Witz! Ist dein Vertrauen so groß, Sam Morgan? Wenn ich ein Hundesohn bin und dich enttäusche, dann wirst du mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt.«
»Ich bin Colonel Samuel B. Morgan, US-Marshal des Wyoming-Territoriums, mein Junge. Ich vertraue dir und übernehme die Verantwortung für alles, was du als mein Hilfsmarshal tun wirst. Ich brauche dich, weil ich keinen anderen Mann finden könnte, der diesem Auftrag gewachsen wäre. Ich habe schon vor Monaten zwei gute Männer über den ›Wild-Horse-Pass‹ geschickt. Sie sind beide verschollen. Du aber wirst auf jeden Fall über jenen Pass reiten wollen, über den alle Verlorenen und Geächteten reiten. Aber reite mit dem Gesetz.«
Kirby Starbow senkt den Kopf. Sein dunkles Gesicht ist etwas unregelmäßig, aber auf eine männliche Art fast hübsch. Doch jetzt sind viele dunkle und harte Linien darin, die vor einem Jahr noch nicht da waren.
Sein Haar ist rabenschwarz und gekräuselt. Wenn er wieder sein altes Gewicht haben wird, wird er ein sehr stattlicher Mann sein, von knapp dreißig Jahren und im Vollbesitz aller Kräfte und Fähigkeiten, die ein Mann während seines Lebens in diesem Maß nur wenige Jahre besitzt.
Der Gefängnisleiter beobachtet ihn ebenfalls scharf und murmelt schließlich: »Kirby, Sie hätten Ihr Schuldbekenntnis schon vor Monaten widerrufen sollen.«
Aber Kirby hört die Worte nicht.
Er denkt jetzt an seinen verwilderten Bruder und an die schlimmen und hartgesottenen Burschen, in deren Gesellschaft er sich befindet. Er sucht immer noch nach Entschuldigungsgründen für Jesse. Aber er findet keine mehr. Jesse hat seine letzte Chance gehabt. Er hätte zur Vernunft kommen müssen, nachdem er, Kirby, sich für ihn opferte.
Kirby verspürt den kalten Zorn, den er nun schon kennt, weil er ihn während der letzten Zeit Tag für Tag und Nacht für Nacht ertragen musste. Aber der Zorn gilt nicht so sehr dem Bruder.
Kirby denkt an Riley Tenslip, an Jube Head und an Johnny Sego. Gewiss, jeder Mann ist sein eigener Hüter und muss allein für seine Taten einstehen. Aber diesen drei Burschen gibt Kirby die größte Schuld, dass Jesse die Chance nicht nutzte und ein guter Mann, Gatte und Vater wurde. Ja, Kirby spürt einen kalten und bösen Zorn, der in ihm immer wieder den Wunsch nach Gewalttat entstehen lässt.
Plötzlich begreift er auch, was Colonel Sam Morgan ihm anbietet. Oh, er begreift es genau. Der US-Marshal will ihn an die Kette legen. Er will ihn verpflichten und ihn davor bewahren, mit rauchendem Revolver Rache zu nehmen.
Er ist Sam Morgan dankbar.
Aber dann schüttelt er den Kopf und reicht das Päckchen zurück.
»Ich kann es nicht annehmen, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich unparteiisch und nach dem Gesetz handeln könnte. Sam...«
»Aber ich bin mir sicher«, unterbricht dieser ihn. »Und du kannst mir den Stern und die Vollmachten zu jeder Zeit zurückschicken. Aber versuch es doch wenigstens mal.«
Sie erheben sich beide. Kirby ist noch unentschlossen. Sam Morgan öffnet Kirbys Jacke, schiebt das Päckchen in die Seitentasche und tritt dann einen Schritt zurück. »Jetzt schwöre deinen Eid als US-Hilfsmarshal, Junge«, sagt er hart.
Sechs Tage später hat US-Hilfsmarshal Kirby Starbow etwas über zweihundert Meilen im Sattel zurückgelegt und fast jeden Tag ein Kilo an Gewicht zugenommen. Das ständige Reiten in frischer Luft, die einsamen Camps und die ständige Befriedigung seines Hungers haben ihm gutgetan und ihn verändert.
Sein Gesicht ist wieder gebräunt. Sein starker Körper ist wieder an ständige Bewegung gewöhnt. Manchmal hat er unterwegs lange gerastet und auch gejagt oder gefischt. Er nähert sich seinem Ziel fast gemächlich und konnte bisher seine Ungeduld zügeln.
Am späten Nachmittag dieses sechsten Tages kommt er aus der Green-Hill-Kette geritten und blickt eine Weile über das große Tal, zu dem sich das Hügelland in gewaltigen Stufen abwärts senkt.
Es ist ein mächtiges Tal, von Gebirgsketten umgeben und von Hügeln durchzogen, von Canyons durchfurcht und tiefen Senken und Klüften durchschnitten.
Er kennt dieses Land. Es ist unübersichtlich und birgt viele Geheimnisse. Es bildet tausend abgelegene Winkel, besitzt tausend Verstecke und verbirgt vielerlei Dinge.
Ganz weit im Norden erkennt Kirby in der gewaltigen Bergmauer den Einschnitt des Wild-Horse-Passes. Und er weiß, dass das Land dahinter noch wilder, unübersichtlicher und geheimnisvoller ist. Dort hinter dem Pass gibt es kein Gesetz. Dort ist das Ziel vieler Verfolgter, Verlorener und Geächteter.
Kirby wittert zum Tal nieder, und er spürt nun die starken Düfte der Heimatweide. Es ist ein vertrauter Geruch von Weideland, harzigen Kiefern, Wasser, sonnenwarmer Erde und vielen, vielen anderen Dingen.
Die alten Erinnerungen werden wach. Zugleich verspürt Kirby auch wieder die Bitterkeit und den kalten Zorn. Die Linien in seinem Gesicht verhärten sich, und es ist kein sanftes Gefühl mehr in ihm, wie es in der ersten Minute seiner Heimkehr vorhanden war.
Er reitet weiter und folgt den abwärts ins Tal führenden Pfaden.
Als später dann die Nacht anbricht und der bleiche Mond sein Licht durch Wolkenschleier sickern lässt, entdeckt Kirby das einsame Licht in der Nacht.
Er kennt dieses Licht gut.
Langsam reitet er darauf zu.
Dieses Licht leuchtet in einer Blockhütte, die zwischen einigen verfallenen Corrals steht. Ein Schuppen und eine erst halbfertige und nun schon wieder im Verfall befindliche Scheune stehen daneben. Ein Bach sprudelt vorbei. Neben der Blockhütte steht ein Wagen, und im Corral bewegt sich ein Pferd. Kirby hört jedoch das Muhen zweier Kühe, die in einem der anderen Corrals stehen müssen.
Dann beginnt ein Hund zu bellen. Er kommt dem Reiter entgegen. Es ist ein großer und wütender Hund.
»Smoky!«, ruft Kirby ruhig.
Der Hund verstummt sofort. Er kommt noch näher heran und springt am Reiter hoch. Kirbys Pferd schnaubt nervös und tanzt zur Seite. Aber der Hund stößt nun ein Freudengebell aus.
»Schon gut, Smoky, schon gut, alter Junge«, sagt Kirby ruhig. »Yeah, ich bin es, Smoky.«
Er hält an und blickt auf die kleine Blockhütte. Smoky sitzt auf den Hinterläufen und winselt glücklich. Er stößt seltsame Laute aus, und es ist sicher, dass er sich freut. Er hat Kirby nicht vergessen, und irgendwo in ihm ist jetzt die Erinnerung an Jagden und viele Abenteuer.
Kirby blickt auf die Tür.
Die wird nun geöffnet. Eine Frau wird sichtbar. Sie hält eine Schrotflinte im Arm. Aber das kann Kirby nur undeutlich erkennen, weil vorher das Licht in der Hütte verlöschte.
»Hester«, sagt er ruhig.
Einige Atemzüge lang ist es still. Aber er hört das scharfe Einatmen der Frau.
»Kirby«, sagt sie dann, »du bist also heimgekommen? Versorg dein Pferd und komm herein. Ich werde mich freuen, dich zu sehen.«
Sie sagt es seltsam zitternd, und als sie wieder in die Blockhütte tritt, sieht es fast wie eine Flucht aus.
Als Kirby dann beim Corral absitzt, springt Smoky an ihm hoch und versucht sein Gesicht zu lecken. Es ist ein mächtiger Hund.
Es dauert eine Weile, bis Kirby ihn beruhigt hat. Er versorgt sein Pferd, findet im Schuppen etwas Futter und legt dann sein Gepäck in den Schuppen. Mit seinem Waschzeug geht er langsam zum nahen Bach hinüber. Als er sich endlich der Blockhütte nähert, erwartet ihn Hester Starbow in der Tür.
Er tritt langsam ein und muss unter der Tür den Kopf beugen. Er bleibt vor Hester stehen und blickt auf sie nieder.
Vor einem Jahr war die Frau seines Bruders Jesse noch ein Mädchen. So sieht sie auch jetzt noch aus. Doch ihre großen blauen Augen sind anders geworden.
Kirby erkennt, wie hart, trotzig, stolz, bitter und einsam die junge Frau geworden ist.
Und doch kann er sich noch gut daran erinnern, wie mädchenhaft, lustig, froh und glücklich sie damals bei der Hochzeit war und wie leicht sie sich beim Tanz in seinen Armen drehte.
Aber das ist vorbei.
Er nickt ihr zu, wendet sich dann um und sieht, dass sich in der Hütte nicht viel verändert hat, bis auf die Kinderwiege in der Ecke. Er nimmt den Hut ab und geht langsam auf Zehenspitzen hinüber. Hester bringt die Lampe vom Tisch.
Das Kind ist ein Junge.
»Das ist also Franky?«, flüstert er.
»Ja, Kirby! Das ist mein Sohn Frank Kirby Jesse Starbow. Und seit fünf Wochen kann er laufen.«
Sie wendet sich rasch um und geht zum Tisch zurück.
»Lass das Essen nicht kalt werden, Kirby.«
Er folgt ihr zum Tisch und setzt sich. Sie hat ihm ein Stew gemacht, und es ist eine jämmerliche Mahlzeit. Aber sicherlich kann sie ihm nichts Besseres vorsetzen. Ihr Kleid ist oft ausgebessert und geflickt. Er erkennt nun auch, dass ihr Gesicht schmaler geworden ist. Ihre Wangenknochen stehen weiter hervor. Ihr voller Mund wirkt nun herbe. Und in ihren Augen sind Trotz und Härte zu erkennen.
Langsam beginnt er zu essen. Sie gießt ihm ein Glas Buttermilch ein.
»Ich habe zwei Milchkühe und zwölf Hühner«, sagt sie. »Aber ich habe Butter und Eier gestern in der Stadt verkauft. Morgen früh werden die Hühner wieder gelegt haben.«
Er nickt, und er fragt nicht, wie es ihr geht. Er braucht diese Frage nicht zu stellen.
Dies hier sollte einmal eine Ranch werden.
Aber Jesse hatte bald genug davon und wollte sich durch einen Postraub Geld verschaffen.
Und jetzt ist er fort. Kirby hat schon im Gefängnis davon gehört.
Hester beobachtet ihn und lässt ihm Zeit, bis er mit dem Essen fertig ist und sich seine Pfeife stopft. Sie bringt ihm schnell vom Herd einen brennenden Holzspan und sagt: »Wenn du einige Zündhölzer entbehren kannst, ich habe vergessen, welche aus Wild Horse mitzubringen.«
Er kramt in seinen Taschen und legt alle Zündhölzer auf den Tisch, die er finden kann. Dann betrachten sie sich beide wieder eine Weile schweigend.
Ihr Mund bekommt einen noch herberen Ausdruck. Und mit plötzlicher Heftigkeit sagt sie: »Dein Opfer war nutzlos, Kirby! Oh, ich klage nicht darüber, dass Jesse mich verlassen hat. Ich bringe mich und Franky schon durch. Bald werde ich in meinem Gemüsegarten ernten können. Ich habe einen Vertrag mit dem Restaurant und dem Store. Es wird uns bald bessergehen, wenn ich das frische Gemüse in der Stadt verkaufen kann. Auch die jungen Hühner werden in einigen Wochen zu legen beginnen. Bald werde ich noch zwei Milchkühe hinzukaufen können. Mach dir nur keine Sorgen um uns. Wir schaffen es schon.«
Bei den letzten Worten blickt sie zur Wiege hinüber.
Kirby schluckt hart.
»Jesse?«, fragt er.
»Er taugt nichts«, sagt sie fest. »Er duldete, dass du für ihn ins Gefängnis gingest. Oh, ich weiß, warum du das auf dich genommen hast! Ich weiß es genau, Kirby! Aber es war falsch, grundfalsch! Er schämte sich. Seine Schuld war zu groß. Er konnte das nicht vertragen. Aber ich sagte ihm, dass er es ändern könne. Er brauche sich nur zu stellen. Er hätte sicherlich wenig Mühe gehabt, beweisen zu können, dass er und nicht du...«
Sie bricht ab, wischt sich über die Augen und macht dann eine bittere Handbewegung.
»Er tat es nicht«, murmelt sie dann. »Vielleicht hatte er auch eine besondere Angst davor, eingesperrt zu sein. In den ersten Wochen arbeitete er schwer und ehrlich. Er sorgte für uns. Aber er kam innerlich nicht darüber hinweg, dass er dein Opfer annahm. Oh, er wusste ganz genau, dass du seine Schuld auf dich nahmst, damit er sich endlich bewähren sollte. Er wusste ganz genau, dass du von ihm erwartet hattest, er sollte sich nun bewähren. Er versuchte es eine Weile. Aber dann kamen immer wieder seine früheren Freunde zu Besuch. Dann kam der Tag, da er mit ihnen ritt und eine Weile fortblieb. Als er wieder zu mir kam, hatte er viel Geld. Da stritten wir uns. Ich sagte ihm, dass er ein Schuft sei und dass du, Kirby, seine Schuld nicht auf dich genommen habest, damit er neue Überfälle und Diebereien begehen könne. Wir hatten einen schlimmen Streit. Er sagte, dass er dich nicht gebeten habe, für ihn ins Gefängnis zu gehen, und dass er endlich deinen Trick durchschaut habe, ihn dir auf diese Art zu verpflichten und an die Kette zu legen. Er sagte, dass du als Gegenleistung von ihm viel zu viel verlangen würdest. Er rechnete mir vor, wie viele Jahre er brauchen würde, um bei harter Arbeit aus dieser Siedlerstätte eine Ranch zu machen. Und zum Schluss sagte er, dass er nicht zwanzig Jahre seines Lebens für eine Ranch opfern möchte, wenn er auf andere Art in zwanzig Wochen oder Monaten genauso wohlhabend werden könne. Nun, ich spuckte ihm ins Gesicht und sagte ihm meine Meinung. Er ritt dann fort. Einmal, als ich im Gemüsegarten arbeitete, schlich er sich in die Hütte, sah nach Franky und legte ihm tausend Dollar in die Wiege. Aber ich kam hinzu und zwang ihn mit der Schrotflinte dazu, sein gestohlenes Geld zu nehmen und zu verschwinden. Seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehen. Ich bin jetzt einsam hier, aber die meisten Leute in der Stadt sind anständig zu mir.«
Nach dieser Rede schweigt sie erschöpft. Kirby kann erkennen, wie der Puls an ihrem Hals und an den Schläfen klopft. Sie beißt die Zähne auf die volle Unterlippe und schluckt einmal mühsam.
Aber ihre Augen bleiben trocken. Wahrhaftig, sie ist hart und stark. Kirby zweifelt plötzlich nicht mehr daran, dass Hester es schaffen wird, für sich und Franky zu sorgen.
Doch dann muss er auch schon wieder an Jesse denken, und sein Gesicht verhärtet sich.
»Natürlich wirst du es irgendwie schaffen, Hester«, murmelt er. »Aber du wirst doch nicht zu stolz sein, um dir von mir helfen zu lassen? Du wirst mir doch hoffentlich erlauben...«
»Nein, Kirby«, unterbricht sie ihn fest. »Du hast schon mehr gegeben, als ich dir jemals vergelten könnte. Du hast die Schuld deines Bruders auf dich genommen und ein Jahr deines Lebens nutzlos geopfert.«
»Das tat ich für Jesse.«
»Nicht nur für Jesse! Reden wir offen, Kirby! Du tatest es hauptsächlich für mich und Franky! Ich war schon Jesses Braut, als du mich zum ersten Mal sahst. Du konntest deinem Bruder nicht das Mädchen wegnehmen. Aber ich wusste vom ersten Tag an, dass du dich in mich verliebt hattest. Eine Frau spürt das. Einem anderen Manne hättest du mich weggenommen, und vielleicht wäre es dir sogar geglückt, soweit es an mir gelegen hätte. Aber es war dein Bruder! Und so sahst du zu, wie wir Hochzeit machten. Vielleicht wusstest du sogar, dass Jesse nicht viel taugte. Aber du sahst zu, wie ich seine Frau wurde. Als er dann versagte, spürtest du Schuld. Und im Grunde genommen tatest du alles andere dann nicht für Jesse, sondern für mich. Du wolltest verhindern, was jetzt dennoch geschehen ist. Sei ehrlich, Kirby!«
Er senkt den Kopf und blickt auf seine Hände.
Er knetet sie unruhig.
Dann sieht er Hester wieder an und nickt.
»Yeah, ich liebte dich von der Minute an, da Jesse uns miteinander bekannt machte. Und weil ich dachte, er liebte dich über alles, glaubte ich, dass seine wilde und leichtsinnige Zeit endlich vorbei wäre und er nur noch ein einziges Ziel hätte, nämlich, dich glücklich zu machen.«
»Hättest du mich ihm nur fortgenommen«, murmelt sie erstickt. »Aber nun ist es zu spät«, sagt sie dann herbe und hat sich auch schon wieder fest in der Gewalt.
»Es ist genug«, sagt sie noch schärfer. »Ich nehme nichts mehr von dir an. Du hast jetzt gegessen, getrunken, dich ausgeruht und Franky gesehen. Jetzt solltest du fortreiten. Was suchst du überhaupt hier in diesem Land?«
Er nimmt sich Zeit. Dann erhebt er sich, geht langsam zur offenen Tür und starrt in die Nacht hinaus. Smoky schiebt sich über die Schwelle und drückt seinen Kopf gegen sein Knie.
Und dann blickt Kirby über die Schulter auf die junge Frau.
»Was ich hier suche? Jesse suche ich! Jesse und das ganze Rudel dort jenseits des Passes.«
»Du Narr! Was hat Rache für einen Sinn? Sie werden dich totschießen. Und du wirst auch mit den großen Ranchern Streit bekommen. Jeder Mann hier im Land weiß, dass du Jesses Schuld auf dich genommen hast. Sie verlieren viel Vieh an die Banditen. Sie geben dir die Schuld, dass Jesse davonkommen konnte und nun ein berüchtigter Bandit geworden ist. Sie werden fest daran glauben, dass du immer noch zu Jesse hältst und dich wieder mit ihm in Verbindung setzen möchtest. Reite fort, Kirby, bevor du den größten Verdruss deines Lebens bekommst. Es gibt hier nichts, was dich festhalten könnte. Nichts!«
Er blickt wieder in die Nacht hinaus. Hester tritt neben ihn und umklammert seinen Arm.
»Reite fort, Kirby! Reite! Hier gibt es nur Kummer und Verdruss für dich. Und du verdienst es, irgendwo glücklich zu werden. Irgendwann kann jeder Mensch einmal vergessen. Versuch es, dann wird deine Zeit gut werden.«
Er sieht sie an und greift unter ihr Kinn. Einen Moment sieht es so aus, als würde er sich niederbeugen und sie küssen.
Aber sie weicht zurück.
»Versuche es nicht, Kirby«, flüstert sie kehlig. »Es hat keinen Sinn. Reite fort!«
Er schüttelt den Kopf.
»Eines Tages werde ich über den Pass reiten«, murmelt er und tritt dann hinaus. »Dank für das Essen, Hester.«
Er geht um das kleine Blockhaus herum und bleibt dann beim Corral stehen. Er spürt seine Müdigkeit, und sie ist nicht nur körperlich. Eine Weile überlegt er, ob er reiten oder hier im Schuppen die Nacht verbringen soll. Aber dann entschließt er sich, weiter nach Wild Horse zu reiten. Er kann die kleine Stadt in etwa vier Stunden erreichen. Und wenn sein Pferd zu müde werden sollte, so kann er unterwegs immer noch anhalten und ein Campfeuer anzünden.
Schlafen wird er nicht können, das weiß er. Es sind zu viele Gedanken in ihm.
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Er greift schon nach dem Sattel, der auf einer Corralstange liegt, als die stille Nacht und deren vertraute Geräusche, wie zum Beispiel das Fächeln des Windes, das Wispern des Grases und Zirpen der Grillen, von anderen Lauten gestört wird.
Zuerst klingt es undeutlich, aber nach einer Minute weiß Kirby Starbow, was da kommt.
Es sind Rinder, die von Nachtreitern schnell durch das Land getrieben werden. Er hört das unwillige Brüllen der Rinder, das Klatschen von Bullpeitschen und die scharfen, gepressten und heiseren Rufe der eiligen Treiber.
Kirby wendet sich um und geht zur Ecke der Blockhütte zurück. Er lehnt eine Schulter gegen die Hüttenwand und wartet. Nach einer Weile erscheint Hester in der offenen Tür. Sie hält die Schrotflinte wieder in den Händen und wendet sich nach rechts. Als sie die Hüttenecke erreicht, entdeckt sie Kirby, hält kurz inne und sagt dann heftig: »Dir ist wohl nicht zu raten, Kirby?«
Er sieht sie im schwachen Mondlicht nur stumm an.
Indes hat die kleine Rinderherde das jenseitige Ufer des Baches erreicht. Hester wendet sich in diese Richtung, beginnt zu laufen und ruft dann schrill über den Bach: »Kommt nur nicht von dort herüber! Hier liegt mein Gemüsegarten! Kommt nur nicht hier über den Bach! Versucht es hundert Yard bachabwärts! Wenn mir eure Kühe das Gemüse zertrampeln, dann schieße ich mit Schrot auf euch!«
Sie ruft es warnend und scharf. Es gibt keinen Zweifel, dass sie schießen wird.