G. F. Unger Sonder-Edition 290 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 290 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Kelly Broy stand das Wasser bis zum Hals, und das Angebot des mächtigen Abe Longbridge hätte das Ende aller Schwierigkeiten bedeutet. Dem Großrancher war die Tochter davongelaufen. Sie hatte sich mit ihrem Liebhaber in Sundown Town verkrochen. Kelly sollte sie überwachen.
Das war der ganze Auftrag. Doch die Sache hatte einen Haken: Sundown Town galt als die wildeste Banditenstadt des Grenzlandes, und Kellys Chancen waren die eines Schneeballs in einer heißen Bratpfanne...


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Seitenzahl: 207

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Sundown Town

Vorschau

Impressum

Sundown Town

Als Kelly Elroy erwacht, begreift er nicht sofort, dass er sich in einer vergitterten Zelle befindet. Er braucht eine Weile, um zu sich zu kommen und sich an alles zu erinnern, was gestern in der wilden Nacht geschah. Sein Kopf kommt ihm wie eine dröhnende Pauke vor. Erst nach einer Weile setzt sich Elroy auf, stellt die Füße auf den Boden und hält sich den Kopf. Als er die Augen öffnet, sieht er die Gitterstäbe.

Und dann bemerkt er Abe Longbridge.

Er starrt den Ranger eine Weile verständnislos an. Endlich wischt er sich über die Augen, als glaubte er nicht an das, was er sieht. Aber Abe Longbridge verschwindet nicht. Er ist wirklich hier bei Kelly Elroy in der Zelle, hockt grimmig und verbittert auf dem Schemel und fragt mürrisch: »Bist du richtig wach, oder soll ich dir Wasser über den Kopf kippen?«

»Untersteh dich, du alter Geier!«, ächzt Kelly Elroy und wundert sich über den misstönigen Klang seiner Stimme.

»Heiliger Rauch!«, sagt er dann, »ich bin wohl gestern ein wenig rau mit deiner Mannschaft umgegangen, Abe, nicht wahr? Ich habe deine hartbeinigen Jungens immer wieder aus dem Saloon geprügelt, bis sie es aufgaben, hereinzukommen. Es war ganz leicht, weil nur zwei durch die Tür konnten. Es hat Spaß gemacht, diesen Burschen immer wieder was auf die Nasen zu geben. Eigentlich mochte ich deine großspurige Mannschaft nie leiden. – Warum haben sie dich mit mir in eine Zelle gesperrt, Abe? Und wie ist es möglich, dass ein großer und einflussreicher Rancher mit einem Strolch wie ich in einer Zelle die gleiche Luft atmet?«

»Ich bin nicht eingesperrt«, knirscht Abe Longbridge und verzieht sein faltiges Gesicht, als hätte er Salzsäure im Magen. »Ich bin hier, um dich vielleicht auszulösen. Der Schaden beträgt nämlich dreihundertvierzig Dollar im Saloon – und ob das Klavier repariert werden kann, ist noch fraglich. Alle Zeugen sind gegen dich. Wenn ich will, bleibst du ein ganzes Jahr in diesem Käfig. Sheriff Bannerhan lässt dich höchstens mal raus, damit du für ihn Holz zerkleinerst. – Hast du verstanden?«

Kelly Elroy schnauft und stöhnt nur. Er erhebt sich, schwankt und hinkt zur gegenüberliegenden Ecke der Zelle. Dort nimmt er den Tonkrug hoch und beginnt zu trinken.

Kelly Elroy ist ein großer, hagerer Bursche, rothaarig und grauäugig und nicht älter als dreißig Jahre. Trotz seiner Hagerkeit wiegt er hundertachtzig Pfund. Seine langen Beine sind leicht gekrümmt, und obwohl er gewiss keine Schönheit ist, wirkt er sehr männlich. Sein Kopf ist gut geschnitten.

Abe Longbridge betrachtet Elroy kritisch. Es scheint, als prüfe er ihn noch einmal.

Kelly setzt den Wasserkrug endlich ab. Er fühlt sich etwas besser und grinst den alten Rancher und Cattle King an.

»Du alter Geier«, sagt er, »du kommst mir wie der Teufel vor, der eine arme Seele fangen möchte. Du sitzt hier, um mich auszulösen? Was soll ich dafür tun? Du würdest doch nicht einmal den Dreck unter deinen Fingernägeln umsonst hergeben. Mit dir mache ich keine Geschäfte. Schließlich bist du schuld daran, dass ich Pleite machte und wieder dort anfangen muss, wo ich vor ein paar Jahren aufhörte. Du hast meine kleine Ranch geschluckt, wie vorher alle anderen Ranches und Siedlerstätten an den Grenzen deiner Weide. Du frisst die Kleinen alle auf, und das macht dich jedes Mal ein Stück reicher, größer und mächtiger. Aber dabei wirst du immer einsamer, du armer, reicher Mann. – Was willst du also von mir?«

Er geht zu der harten Schlafpritsche zurück und lässt sich vorsichtig darauf nieder.

»Deine harten Jungens«, sagt er dabei ächzend, »haben mich ganz hübsch grün und blau geschlagen, als sie mit ihren Bumsköpfen begriffen, dass sie durch die Hintertür kommen mussten, um zahlenmäßig überlegen zu sein. Ich konnte sie nicht gleichzeitig durch die Vorder- und Hintertür nach draußen befördern. Einen einzigen strammen Partner an der Hintertür hätte ich gebraucht, und wir hätten deine Mannschaft Purzelbäume schlagen lassen, bis sie nicht mehr gekonnt hätte. – Abe Longbridge, ich bin zwar pleite und fühle mich etwa so wie damals, als ich unter eine durchgehende Rinderherde geriet, aber ich möchte dennoch nicht mit dir tauschen. – Und jetzt raus hier!«

Abe Longbridges scharfes, dunkles und ziegenbärtiges Gesicht verzieht sich nur wenig.

»Ich habe einen lohnenden und menschlich noblen Vorschlag zu machen«, sagt er. »Ich achte einen Burschen, der mit einer Mannschaft wie meiner Streit anfängt und sich dabei noch ziemlich lange behaupten kann. Eigentlich habe ich dich immer geschätzt, mein Junge. Deinen Vater konnte ich zwar nie leiden. Der war ein betrunkener Strolch und ein Pferdedieb. Deshalb haben sie ihn auch drüben in Texas aufgeknüpft. Aber du hast mir schon als Knirps imponiert. Deshalb kam ich zu dem Entschluss, große Hoffnungen auf dich zu setzen, um deine Hilfe zu bitten – und dafür auch einen fairen Preis zu zahlen.«

Abe Longbridge verstummt und macht ein Gesicht, als hätte er Elroy den Himmel versprochen.

Aber Kelly Elroy sagt nur: »Dir glaube ich kein Wort. Du hast meine Ranch geschluckt. Nun willst du mich. – Aber anhören kann ich dich ja, Mr. Cattle King. Ich bin neugierig, zu was ein Mann wie du einen Burschen wie mich braucht – so nötig braucht, dass er sich sogar zu ihm in eine vergitterte Zelle setzt.«

Abe Longbridge zuckt leicht zusammen.

»Auch dein freches Maul habe ich schon immer bewundert, seit du noch ein Bengel mit ungewaschenen Ohren warst«, knurrt er schließlich und macht dann eine Pause, als müsste er sich überwinden.

Dann sagt er: »Es ist wegen meiner Tochter Sue, die mir damals mit einem windigen Spieler fortlief, der ihr versprach, ihr die ganze Welt zu zeigen. – Kelly, es ist wegen Sue.«

In Longbridges Stimme schwingt ein Klang mit, der einsam und bitter ist – zugleich aber auch bittend.

Kelly Elroy bekommt schmale Augen. Nachdenklich betrachtet er den Rinderkönig und ahnt etwas von dessen Einsamkeit, der Bitterkeit und den Hintergründen, die Abe Longbridge zu solch einem harten Mann machten.

»Sue?«, fragt er.

Longbridge nickt. »Ja, Sue. – Du warst ja wohl einmal selbst hinter ihr her wie alle Burschen in weiter Runde – oder?«

Kelly nickt.

»Aber Sue wollte mehr als einen Burschen mit einem Pferd, Sattel und Colt und sonst nichts«, murmelt er. »Sue wollte eine Menge mehr. Du hättest sie für eine Weile in die Welt schicken sollen, Abe. Dann hättest du sie vielleicht nicht verloren, und sie wäre sicher eines Tages wiedergekommen.«

»Du brauchst mir nicht zu sagen, dass ich eine Menge falsch machte«, knurrt der Alte. »Ich will dich zu Sue schicken, Kelly. Ich weiß jetzt endlich, wo sie lebt und wie es ihr geht. Es könnte sein, dass sie Hilfe nötig hat, dass sie ausbrechen will und fortlaufen. Ich könnte mit meiner Mannschaft hinreiten und sie mit Gewalt zurückholen. Doch das wäre falsch. Vielleicht ist sie sogar glücklich. – Du sollst hinreiten und eine Weile in ihrer Nähe leben. Wenn sie Hilfe braucht, dann gib sie ihr. Und wenn sie fortreiten will, dann hilf ihr. Sie lebt nämlich nicht in irgendeiner Stadt oder in einem guten Land. Sie lebt westlich des Pecos im Land der Banditen. – Sie wohnt in Sundown Town. – Vielleicht möchte sie gerne heim und ist zu stolz. Kelly, ich muss einen Mann schicken, der sich unter Banditen behaupten und dessen Wort ich trauen kann. Es muss ein Mann sein, der eine Menge gewinnen kann. – Ich habe dich ruiniert, Kelly. Doch ich kann dich auch wieder auf die Beine bringen. Du brauchst dich nur auf meine Seite zu stellen.«

Als Longbridge nach diesen Worten schweigt, beginnt Kelly Elroy nachzudenken.

Er ist sich über Abe Longbridge vollkommen im Klaren. Dieser Cattle King wurde von Jahr zu Jahr härter und rücksichtsloser. Er duldete keinen anderen Mann neben sich. In seinem Machtbereich gibt es nur Leute, die auf seiner Lohnliste stehen und seine Befehle ausführen, die ihm verpflichtet und von ihm abhängig sind.

Longbridge ist an allen kleinen Ranches und Siedlerstätten im Umkreis von fünfzig Meilen so stark beteiligt, dass er die Leute darauf fest in der Hand hat.

Longbridge besitzt auch diese Stadt. Ihm gehören die Bank, die Post- und Frachtlinie, das Hotel und der Mietstall.

Hier in diesem Land ist alles mehr oder weniger Longbridge – nichts als Longbridge.

Kelly Elroy kommt sich plötzlich wie ein dummer und einfältiger Narr vor. Wie konnte er nur glauben, dass dieser alte Geier ihn auf der kleinen Ranch hätte hochkommenlassen als freien und unabhängigen Nachbarn?

Bitter denkt Kelly Elroy daran, dass es für Longbridge leicht war, alle Schuldscheine aufzukaufen und sich so zu seinem Partner zu machen. Kelly hatte damals viel Geld aufnehmen müssen, um eine Stammherde zu kaufen. Und nun war er plötzlich nicht mehr Herr auf seiner kleinen Ranch.

Er grinst den alten Cattle King an.

»Du alter Geier«, sagt er, »was hast du mir zu bieten?«

Longbridge verzieht nicht eine einzige Falte seines dunklen Gesichtes.

»Alle Schuldscheine«, sagt er trocken. »Deine kleine Ranch wäre plötzlich schuldenfrei. Außerdem würde ich zwei gute Männer dort stationieren, die während deiner Abwesenheit alles in Gang hielten. Du könntest diese beiden Männer unter meiner Mannschaft aussuchen. Sie würden die Ranch zu deinem Nutzen verwalten. Zudem zahle ich dir für die Dauer deines Auftrages Vormannlohn und alle Spesen. – Kelly, ich lasse es mich etwas kosten, einen guten Mann nach Sundown Town zu schicken. Du hättest freie Hand. Du könntest selbst entscheiden. Ich will nichts anderes als das Glück meiner Tochter. Sollte sie in Sundown Town glücklich sein, so brauchst du nicht einzugreifen. Doch wenn sie unglücklich ist – oder gar Hilfe braucht –, dann hilf ihr oder bring sie heim.«

Kelly sieht ihn an. Endlich begreift er, dass sich dieser alte Mann große Sorgen macht und alles, was er bisher falsch machte, wiedergutmachen will.

»Und wenn sie glücklich ist, aber sie und ihr Mann Hilfe brauchen?«, fragt Kelly plötzlich.

Abe Longbridge schließt bei dieser Frage die Augen und ballt die Fäuste. Er wirkt nun sehr alt und verbraucht, müde und resigniert.

»Dann hilf ihnen«, sagt er. »Ich habe sichere Nachricht, dass sie in einigen Schwierigkeiten sind und es ihnen nicht gutgehen soll. Reite hin und sieh, was zu tun ist. – Kelly, ich will ein Geschäft mit dir machen. Die Ranch und guten Lohn für deine Hilfe. Es soll mir auch auf ein Stück Weideland mit guten Wasserstellen nicht ankommen. Aber Bedingung ist, dass meine Tochter Sue in Sundown Town nicht allein ist, sondern die Hilfe eines guten Freundes erhält. Und falls du in Schwierigkeiten geraten solltest, schick mir Nachricht. Dann komme ich mit hundert Reitern und mache Sundown Town klein.«

Kelly Elroy nickt langsam.

»Ich werde es tun«, sagt er. »Aber nicht deinetwegen, Longbridge, sondern weil ich Sue schon als kleines Mädchen mochte und als junger Bursche schwer in sie verliebt war – und weil du sie... Ach, lassen wir das!«

Er hält Longbridge die Hand hin.

»Schlag ein, Abe«, murmelt er. »Unsere gegenseitigen Bedingungen sind klar. Ich will, dass Shorty Brown und Cole Gannahan während meiner Abwesenheit meine Ranch bewirtschaften.«

Eine gute Stunde später geht Kelly Elroy zum Mietstall, um sein Pferd zu holen.

Vor dem Store steht ein Wagen der Longbridge-Ranch. Die drei Männer beim Wagen unterbrechen ihre Arbeit und starren Kelly böse an.

Er verhält und betrachtet sie ebenfalls. Er kann an ihnen überall die Zeichen seiner Fäuste erkennen.

»Hat es euch Spaß gemacht, Jungens?«, fragt er und wippt auf den Fußsohlen.

Calispel Hobson, dem er gestern zweimal die Schwingtür vor Stirn und Nase knallte, sagt heiser: »Du hast ganz einfach nur eine Menge Glück gehabt, du Hundesohn. Aber eines Tages – und das sage ich dir mit fester Überzeugung – wirst du auf einen Mann stoßen, der dich auseinandernimmt wie einen alten Kleiderschrank. Dann denk an uns.«

»Ja, ihr lieben Kleinen.« Kelly nickt und will gehen.

Aber Curly Banks knurrt: »Wir wünschen dir den Balg voll Flöhe und zu kurze Arme.«

»Und dein Gaul soll dich jeden Tag in den Hintern treten«, fügt Shorty Brown hinzu.

Kelly grinst.

»Shorty, du und Cole, ihr werdet auf meine Ranch ziehen und sie mustergültig bewirtschaften. Ich will ein Schmuckstück vorfinden, wenn ich eines Tages heimkehre. Ich habe Longbridge um dich und Cole gebeten, Shorty, denn ihr seid die besten Rindermänner dieser lausigen Mannschaft. – Also, Jungens! Lasst euch jeden Sonntag auf meine Rechnung einen Drink geben. Der Boss Longbridge wird es bezahlen.«

Kelly Elroy geht weiter.

Die drei staunen hinter ihm her.

»Der Boss hat immer viel von ihm gehalten und wollte ihn schon damals als Vormann haben«, murmelt Shorty schließlich. »Der hat vielleicht gar keinen Witz gemacht. Was mögen sie im Gefängnis wohl ausgeheckt haben? Ich glaube, man muss erst mit der Longbridge-Mannschaft Streit anfangen und dabei einen Saloon in Klumpen schlagen, um vom Boss respektiert zu werden.«

»Dann versuch es mal, Shorty«, grinst Calispel und wirft einen Sack Bohnen auf den Wagen.

Später sehen sie Kelly Elroy aus der Einfahrt des Mietstalls reiten. Das Fell seines Pferdes ist so rot wie Kellys Haar. Er reitet nach Westen zu aus der Stadt.

Nicht nur die drei Cowboys beim Store blicken ihm nach.

Am Fenster der Bank steht Longbridge, und ein Dutzend Bürger schaut interessiert hinter Kelly her.

Sie wissen nichts von Sundown Town. Gar nichts!

Dies, lieber Leser, war die Vorgeschichte.

Jetzt fängt die Geschichte erst richtig an.

Der Weg zum Pecos ist weit. Kelly Elroy braucht fünf Tage, obwohl er sein Pferd nicht schont. Sein Red ist ein zähes und schnelles Tier.

Kelly Elroy, der viele Jahre von seiner Heimatweide fort war, weil er während des Krieges in der Texas-Brigade gegen die Yanks kämpfte und auch danach nicht sofort heimfinden konnte, ist an das ständige Reiten und das einsame Kampieren gewöhnt. Seine Campfeuer waren die Punkte einer Zickzackfährte wie die Sterne am Himmel.

Am sechsten Tag – es ist schon Sonnenuntergang – erreicht er endlich den Pecos River und späht hinüber in das Banditenland.

Hier am östlichen Ufer des Flusses ist die Grenze von Recht und Ordnung, und selbst die Texas Ranger konnten bisher noch nicht das Gesetz über den Pecos bringen.

Drüben herrschen die Banditen. Sie bestimmen die Politik des Landes und wählen nur ihnen gewogene Männer in die öffentlichen Ämter. Niemand von den fleißigen Siedlern, Farmern und Ranchern, die in diesem Banditenland leben, wagt es, gegen die Macht der Banditen aufzubegehren.

Kelly blickt auf die Berge weit jenseits des Flusses und sieht den Einschnitt in der Gebirgsmauer. Dahinter steht rot die Sonne.

Obwohl die Entfernung fast noch einen Tagesritt beträgt, erkennt Kelly in der klaren Luft das Glänzen von weißen Mauern, das Blinken von Fenstern und das Schimmern der Dächer.

»Sundown Town«, sagt er langsam. »Dort liegt Sundown Town mitten im Pass, und die Sonne stirbt jeden Tag über der Stadt, geht dort unter wie ein Feuerball, der in die schwarze Unendlichkeit fällt. – Ja, das da muss Sundown Town sein.«

Er reitet zum Fluss hinunter und stößt bald auf die Furt des Wagentrails. Während er den Fluss durchquert, senkt sich die Dämmerung über das Land.

Schon bald verlässt er den Wagenweg und folgt etwa eine Viertelmeile einem kleinen Creek. Zwischen Felsen und Büschen hält er das müde Pferd an. Es ist ein guter Platz, abseits vom Wagenweg und der Furt, doch nahe genug, um Furt und Weg zu übersehen.

Er versorgt sein Pferd und bereitet sich am Feuer das Abendbrot. Als er sich noch einmal etwas Kaffee aus der rußgeschwärzten Kanne einschenkt, merkt er, dass er nicht mehr allein ist.

Es war ihm von vornherein klar, dass man nicht unbemerkt über den Fluss in das westliche Pecosland reiten kann. Die wenigen Furten werden unter Kontrolle gehalten.

Es sind zwei Reiter, die von zwei Seiten zwischen den Felsen hervorkommen. Sie halten an der Grenze des Feuerscheins und blicken zu ihm herüber.

Aber Kelly kennt sich aus und weiß, dass es noch einen dritten Mann geben muss, der zu Fuß kam. Als er sich umsieht, kann er diesen Mann erkennen. Gehört hatte er ihn nicht. Das Knistern des Feuers übertönte alle Geräusche. Und wahrscheinlich bewegte sich der Fremde so leise wie ein Schatten.

Es kann kein freundschaftlicher Besuch sein. Sonst wäre es üblich gewesen, aus einiger Entfernung zu rufen, sich zu melden und erst nach Aufforderung näher an das Feuer heranzureiten.

»Wenn euch der Kaffeeduft lockte«, sagt Kelly langsam, »so muss ich euch enttäuschen. Es ist nichts mehr da.«

»Wir sind nicht gekommen, um deine Plörre zu probieren«, sagt einer der Reiter. »Concho, sieh nach!«

Der Mann, der zu Fuß in Kellys Camp gekommen war, beginnt sofort damit, Kellys Ausrüstung zu durchwühlen, die Satteltaschen, den Sattel, die Deckenrolle – alles. Zuletzt tritt er zu Kelly und beginnt, dessen Taschen zu durchsuchen. Er ist kleiner als Kelly, von mexikanischer Abstammung und noch ziemlich jung. Seine Kleidung besteht aus dunklem, sehr geschmeidigem Leder, und seine Hose ist an der Seite mit vielen Metallknöpfen geschmückt.

Er grinst Kelly von unten herauf an.

»Nun, wo hast du den Stern versteckt, Amigo? Sag es schon, bevor ich dich bis aufs Hemd ausziehe, um ihn zu finden. Sag es schon!«, zischt er plötzlich ungeduldig.

Kelly fängt an zu lachen.

»Jungens«, sagt er, »ihr sucht bei mir einen Stern? Wie kommt ihr denn auf solch eine Idee?«

Er sieht sich nach dem Reiter um, der vorhin den Befehl gab. Aber es ist der zweite Reiter, der das Lasso wirft. Die Schlinge legte sich um Kellys Oberarme und presst sie fest gegen seinen Körper. Zugleich springt das Pferd an und reißt Kelly von den Beinen. Der Reiter treibt das Tier scharf an. Kelly wird gnadenlos mitgeschleift. Der Boden ist rau, steinig und mit Dornengestrüpp und hartem Bunchgras bedeckt.

Nach etwa hundert Yard hält der Reiter an und fragt: »Nun, Hombre, für wen arbeitest du? Wer schickte dich über den Fluss? Antworte, bevor ich dich ein doppelt langes Stück schleife!«

Kelly stöhnt nur auf und macht nicht den Fehler, nach dem Colt greifen zu wollen. Er weiß, dass ihm die Waffe längst aus dem Holster rutschte. Dass man ihm die Waffe nicht gleich abnahm, beweist nur, wie gefährlich die drei Reiter sind und wie überlegen sie sich fühlen.

Der Reiter drängt sein Pferd näher an Kelly heran, der am Boden liegt und kläglich stöhnt. Er beugt sich etwas aus dem Sattel, um Kelly besser zu verstehen.

Doch als sich der Reiter tief genug herabbeugt, da zeigt ihm Kelly einen feinen Trick.

Das Lasso wurde locker. Kelly hat zwar die Schlinge noch um den Oberkörper, doch neben ihm liegt ein langes Stück Lasso lose im Gras.

Es ist ein Zauberkunststück, dass aus diesem losen Seil plötzlich eine weitere Schlinge wird, die sich um den Hals des sich beugenden Reiters legt. Und weil dieser sich mit einem heftigen Ruck aufrichtet, zieht er sich selbst die Schlinge fester und gleichzeitig Kelly auf die Beine.

Es ist das Lassokunststück eines Mannes, der in der wilden Brasada am Brazos River Wildrinder jagte, in einem Buschland, in dem man kein Lasso schwingen kann, sondern aus dem Handgelenk werfen muss.

In der Brasada gibt es die größten Lassokünstler.

Und Kelly ist einer.

Er macht sich blitzschnell frei und reißt den halberstickten Reiter vom Pferd, bevor das nervöse Tier mit ihm durchgeht.

Und dann gibt er es dem Burschen. Dabei sind sie kaum mehr als hundert Yard von seinem Camp entfernt, bei dem die beiden anderen Männer auf ihre Rückkehr warten.

Sie können lange warten.

Denn ihr Partner kommt nicht zurück. Kelly nimmt sich nur den Colt und wirft den bewusstlosen Burschen in den nächsten Dornbusch.

Das Pferd wich nur wenige Schritte zur Seite. Es ist ein guterzogenes Tier, das gelernt hat, sich nicht zu entfernen, wenn die Zügel am Boden hängen.

Kelly Elroy sitzt geschmeidig auf. Er lenkt das Tier mit der Rechten und hält die erbeutete Waffe in der Linken.

In seinem Herzen ist eine kalte Unversöhnlichkeit. Obwohl er glaubt, dass die drei Burschen ihn mit einem anderen Mann verwechseln – mit einem Mann des Gesetzes, den sie erwarten –, lässt er das nicht als Entschuldigung gelten. Sie wollten ihn übel zurechtstutzen, und schon die kurze Strecke, die er über den Boden geschleift wurde, hat ihm die Kleidung total ruiniert und ihm selbst Abschürfungen und Kratzer beigebracht.

So etwas kann man mit Kelly Elroy nicht machen.

Er reitet langsam zu seinem Camp zurück.

Concho, der zu Fuß gekommen war, steht noch immer beim Feuer. Er hat es inzwischen sogar angefacht, so dass es etwas mehr Helligkeit verbreitet als zuvor.

Der andere Mann sitzt noch im Sattel – wachsam und außerhalb des Feuerscheins. Als Kelly langsam herangeritten kommt, ist es der Reiter, der mit heiserer Stimme fragt: »Nun, hast du ihn erledigt? Gab er doch zu, von der Viehzüchtervereinigung geschickt zu sein?«

»Nein«, erwidert Kelly. Er verstellt seine Stimme nicht, und das ist die einzige Warnung, die er den beiden Männern gibt. Aber sie genügt. Sie erkennen die fremde Stimme und reagieren sofort.

Kelly lässt sich vom Pferd fallen. Dabei schießt er. Obwohl der erbeutete Colt eine Waffe ist, die ihm ungewohnt in der Hand liegt, trifft er den Reiter, der ihm durch das eigene Mündungsfeuer außerdem noch ein gutes Ziel bietet.

Kelly rollt über den Boden, hält an und schießt abermals. Diesmal erwischt er Concho, der zweimal abdrückte und zweimal fehlte, weil Kelly sich zu rasch bewegte.

Concho taumelt zur Seite, dreht sich halb und fällt in das aufsprühende Feuer. Er kann sich jedoch herausrollen, bevor seine Lederkleidung zu brennen beginnt. Aber dann bleibt er keuchend liegen.

Es wird still. Die beiden getroffenen Männer stöhnen.

»Ihr verdammten Narren!«, sagt Kelly Elroy bitter. »Warum musstet ihr euch mit mir anlegen? Wenn ihr auf einen Mann angesetzt seid, der einen Stern in der Tasche trägt, dann sage ich es euch jetzt zum letzten Mal, dass ich dieser Mann nicht bin.«

Danach beginnt er, seine Siebensachen zusammenzupacken und sein Pferd zu satteln. Seinen Colt, der ihm bei der Schleifpartie aus dem Holster gerutscht war, findet er dicht beim Camp.

Als er fertig ist, sagt der verwundete Reiter heiser: »Willst du uns hier verbluten lassen, du Hundesohn?«

»Euer Partner, der mich über den Boden schleifte, wird bald kommen«, erwidert Kelly. »Er wird nur etwas stachelig sein wie ein Kaktus, doch er wird euch helfen können. – Ich will euch eines sagen, Hombres: Legt euch nie wieder mit mir an – nie wieder!«

Nach diesen Worten sitzt er auf. »Ich brauche eure Namen gar nicht zu wissen«, sagt er. »Euch würde ich im Dunkeln an den Stimmen erkennen.«

»Oh, du kannst unsere Namen ruhig erfahren«, stöhnt Concho und setzt sich mühsam auf. Seine angesengte Lederkleidung qualmt und riecht übel.

»Ich bin Concho«, sagt er gepresst. »Und der dort drüben ist Larrybee. Kisco hast du wahrscheinlich in einen Dornbusch geworfen. Merk dir nur unsere Namen: Concho, Larrybee und Kisco! – Hast du verstanden? Wir haben eine Menge Freunde in diesem Land, die dir die Haut abziehen werden, weil wir es vorerst nicht können. Du bist erledigt, du Cabron, du Cucaracha!«

Er verstummt, denn seine Wunde schmerzt zu sehr.

Kelly Elroy reitet wortlos davon. Als er den Wagenweg erreicht, hält er an und lauscht.

Was er hört, kann er zuerst nicht recht glauben. Doch je länger er in die stille und klare Nacht lauscht, umso sicherer wird er.

Eine Herde wird da getrieben. Sie befindet sich noch auf der Ostseite des Flusses, aber sie nähert sich schnell, viel schneller als eine gewöhnliche Treibherde, die man ruhig wandern lässt, damit die Rinder nicht zu sehr an Gewicht verlieren.

Er hört das Brüllen der unwilligen Rinder, die scharfen Rufe der Treiber, ihr schrilles Pfeifen und das Klatschen der Bullpeitschen und Lassoenden.

Und noch ein Geräusch ist da. Es ist ein merkwürdiges Klappern. Aber Kelly weiß auch dieses Geräusch zu deuten. Es sind Hörner, die gegeneinander schlagen. Diese Longhorn-Herde wird so dicht beisammengehalten, dass die Hörner der Tiere gegeneinanderschlagen.

Die Herde wird nach Westen über den Fluss getrieben, also genau in die entgegengesetzte Richtung, in die man sonst Herden treibt, weil die Absatzmärkte im Osten liegen.

Für Kelly ist es sicher, dass dort eine gestohlene Rinderherde getrieben wird.

Nun bekommt alles einen Sinn.

Die drei Burschen, mit denen er den Verdruss hatte, hielten ihn für einen Gesetzesvertreter oder den Beauftragten einer Viehzüchtervereinigung. Es waren also Reiter, die dieser gestohlenen Treibherde den Weg sichern sollten. Niemand sollte sie über den Pecos verfolgen können. Man wollte verhindern, dass man sie bis zu ihrem Endziel verfolgen konnte. Die drei Revolverschwinger hatten Kelly für einen Mann gehalten, der feststellen wollte, wohin die Herde getrieben wird. Deshalb hatte Kelly ihrer Meinung nach schon vor der Herde den Fluss überquert und sich ein Camp in der Nähe der Furt und des Weges gesucht.

Ja, nun passt alles einigermaßen zusammen, und Kelly kann sich das Geschehen besser erklären.

Aber wenn sie ihn für einen Sheriff oder den Beauftragten einer mächtigen Viehzüchtervereinigung hielten, wo ist dann dieser Gesetzesmann? Hatten sie sichere Nachrichten über ihn, oder handelten sie nur auf Verdacht oder Vermutungen hin?