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So mancher Mann wirkt groß, mächtig und unbezwingbar, und er wirft einen großen Schatten. Solch ein Mann macht auch lange Schritte, und andere Männer wirken neben ihm nicht so imposant. In jedem Kreis von Männern wirkt er als der Mann, auf den man achten muss.
Aber nicht jeder Große ist in Wirklichkeit so groß, wie man glaubt, nicht so stark und nicht so mächtig. Manchmal verdanken diese Großen und Starken ihre ganze Mächtigkeit anderen Männern, die gegen sie unscheinbar wirken. Und diese Männer sind die wirklich Starken.
Wehe einem scheinbar Starken, wenn er gewisse Grenzen überschreitet, maßlos wird und die Treue des wirklich Starken verliert. Denn dann stürzt er plötzlich von seinem hohen Thron und fällt mächtig tief.
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Seitenzahl: 222
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Der wirklich Starke
Vorschau
Impressum
Der wirklich Starke
So mancher Mann wirkt groß, mächtig und unbezwingbar, und er wirft einen großen Schatten. Solch ein Mann macht auch lange Schritte, und andere Männer wirken neben ihm nicht so imposant. In jedem Kreis von Männern wirkt er als der Mann, auf den man achten muss.
Aber nicht jeder Große ist in Wirklichkeit so groß, wie man glaubt, nicht so stark und nicht so mächtig. Manchmal verdanken diese Großen und Starken ihre ganze Mächtigkeit anderen Männern, die gegen sie unscheinbar wirken. Und diese Männer sind die wirklich Starken.
Wehe einem scheinbar Starken, wenn er gewisse Grenzen überschreitet, maßlos wird und die Treue des wirklich Starken verliert. Denn dann stürzt er plötzlich von seinem hohen Thron und fällt mächtig tief.
Rhip Jordan unterschreibt die Verkaufsurkunde mit zitternder Hand. Dann richtet er sich langsam auf und atmet tief aus. Er wendet seinen hageren Kopf und blickt Simson Stoneway mit resignierter Bitterkeit an.
»Das ist es wohl«, sagt er heiser. »Jetzt gehört Ihnen meine Ranch, Stoneway. Jetzt haben Sie es wieder einmal geschafft.«
Die letzten Worte sagt er sehr müde, und er ist ein alter, zerbrochener Mann, dessen beste Zeit schon vor Jahren vorbei war.
Auch die Augen der anderen Männer richten sich auf Simson Stoneway. Richter Maugham Linds Falkenaugen wirken sehr nachdenklich. Sheriff Jim Landergham schnauft hörbar, und sein bulliger und klotziger Körper wirkt sehr angespannt, so, als müsste er sich beherrschen, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten.
Nur Daniel Lee, der Vormann von Simson Stoneways mächtiger »Henkeltopf-Ranch«, wirkt still und sehr reserviert. Aber auch er beobachtet seinen Boss mit gewisser Nachdenklichkeit. Doch was in diesem dunkelhaarigen und hageren Vormann auch vorgehen mag, es bleibt tief unter seiner ruhigen Oberfläche verborgen.
Simson Stoneway wirkt schon rein äußerlich wie ein großer Mann. Er ist blond, mit leuchtenden Blauaugen und einem kühnen Gesicht. Er ist prächtig gewachsen und könnte einem Maler als Modell für einen kühnen Siegfried dienen. Er ist ein Mann, neben dem andere Männer klein, unbedeutend und unwichtig wirken. Und immer, wenn er lachend seine blitzenden Zahnreihen zeigt, ist es ein sieghaftes Lachen.
Er scheint als helläugiger und hellhaariger Sieger auf die Welt gekommen zu sein. Und er weiß das und ist fest davon überzeugt.
Langsam nimmt er die Urkunde vom Tisch, liest sie sorgfältig durch, faltet sie zusammen und steckt sie dann in die Innentasche seiner gutgeschneiderten Jacke. Er trägt unter dieser Jacke eine schottische Weste. Seine Hosen sind aus Rehleder, und die Reitstiefel stammen aus Alabama. Sein perlgrauer Stetson hat drei Cowboy-Monatslöhne gekostet, und weil er seine Jacke öffnet, sieht man den mit Elfenbein ausgelegten Kolben eines Colts, der in einem vorzüglich angepassten Schulterhalfter steckt.
Als er die Urkunde weggesteckt hat, sieht er den alten Rhip Jordan fest und ruhig an.
»Ich habe einen fairen Preis gezahlt, nicht wahr?«, sagt er. Seine Stimme ist männlich und wohlklingend. »Und ich ziehe als Draufgabe die Anzeige gegen Ihren Sohn zurück.«
Nach diesen Worten blickt er den Sheriff und den Richter fest an.
»Ich ziehe die Anzeige gegen Frank Jordan zurück«, wiederholt er. Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: »Allerdings müssen die Jordans das Land verlassen. Nicht wahr, Rhip Jordan?«
Der Alte schluckt mühsam und nickt. Aber er sagt nichts mehr.
»Das wär's also«, lächelt Simson Stoneway blitzend, nickt seinem Vormann zu und geht hinaus. Er bewegt sich sehr leicht und geschmeidig, obwohl er über einsneunzig groß ist und etwa zweihundert Pfund wiegt. Sein Vormann folgt ihm wortlos – das heißt, er will ihm folgen. Aber Richter Maugham Lind sagt sanft: »Einen Moment, Dan – nur einen kleinen Moment.«
Daniel Lee hält an und wendet sich noch einmal zurück. Er ist fast so groß wie Simson Stoneway, der hinaus auf die Straße getreten ist. Er ist hager und wirkt zäh, sehnig und hart. Sein Haar ist rabenschwarz, und in seinem dunklen Gesicht fallen seine hellgrauen Augen auf. Es sind feste und klare Augen, und es gibt nicht viele Männer im Land, die seinem Blick standhalten können. Von diesem Vormann geht eine besondere Härte aus, die jedoch nicht böse wirkt – aber irgendwie unerbittlich und unnachgiebig.
Ja, er ist ohne Zweifel ein harter Mann, in abgenutzter Weidekleidung, mit einem einfachen Colt an der Seite. Aber der Holzgriff dieses Colts wirkt sehr abgegriffen, dunkel glänzend und wie eine Warnung.
Es gab schon viele Männer auf Daniel Lees Wegen, die blickten in seine fest und kühl blickenden Augen, dann auf diesen Coltgriff – und nochmals in diese hellgrauen Augen.
Und dann gehorchten sie ihrer inneren Stimme und traten bescheiden zur Seite. Sie machten Daniel Lee Platz.
Der Richter, der Sheriff und der alte Rhip Jordan betrachten den »Ersten« der Henkeltopf-Ranch einige Atemzüge lang schweigend. Dann sagt Richter Maugham Lind bitter: »Dein Boss wird immer unersättlicher und maßloser, Dan, je weiter er kommt. Warum dienst du ihm wie ein Hund? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was du auf dein Gewissen nimmst?«
In Daniel Lees dunklem und ruhigem Gesicht, unter dessen brauner Haut der Bartwuchs bläulich schimmert, bewegt sich nichts.
»Rhip bekam für seine Ranch einen fairen Preis«, sagt er knapp. »Und die Anzeige gegen seinen Sohn wird zurückgezogen. Was wollt ihr mehr? Ich diene meinem Boss nicht wie ein Hund! Wenn ihr das glaubt, so denkt ihr falsch. Ich reite für eine Ranch. Was ihr nützlich ist, ist gut für mich. Ich diene der Henkeltopf-Ranch. So müsst ihr es ansehen. Und wenn zum Beispiel Rhip Jordan der Boss der Henkeltopf-Ranch wäre, würde ich genauso alles für die Ranch tun wie jetzt.«
Die Männer denken eine Weile über seine Worte nach. Dann aber seufzt der Richter und sagt noch sanfter als zuvor: »Das tut mir leid, Dan, denn eines Tages wirst du erkennen, dass Simson Stoneway die letzten Grenzen überschreiten und jene Macht missbrauchen wird, die ihm deine Treue und die Größe seiner Ranch geben. Ich bin ein alter Mann, Dan, und ich habe Burschen wie Simson Stoneway schon aufsteigen und fallen sehen. Stoneway werden eure Erfolge bald zu Kopfe steigen. Er wird sich immer mehr für eine Art Halbgott halten. Und dann wirst du herausfinden, was er mit seiner Macht anfangen wird, die er in unserem Lande mit deiner Hilfe erlangte. Eine große Ranch ist so gut oder so schlecht wie ihr Boss, der die Befehle gibt. Dan, wir können euch nicht beweisen, dass ihr Rhip Jordans Sohn Frank reingelegt und so in eine Klemme gebracht habt, dass ihr Rhip Jordan auf die Knie zwingen konntet, aber eines Tages wird Simson Stoneway sich so groß fühlen, dass er jede Vorsicht missachten und etwas tun wird, wofür er nicht groß genug ist. Pass auf dich auf, Dan. Ich kannte deinen Vater. Deshalb gebe ich dir jetzt diesen Rat.«
»Yeah, mein Franky hat niemals Vieh gestohlen«, krächzt Rhip Jordan heiser. »Aber ihr...«
»Schluss damit!«, sagt Daniel Lee hart und geht hinaus.
Simson Stoneway erwartet ihn lächelnd auf dem Plankengehsteig. Er hat sich inzwischen eine seiner langen Zigarren angezündet und hält Daniel das noch wohlgefüllte Etui hin. Daniel Lee zögert unmerklich, doch dann bedient er sich. Stoneway gibt seinem Vormann Feuer. Und als sie dann nebeneinander den Plankengehsteig entlang zum Mietstall gehen, sagt Stoneway mit leisem und spöttischem Lachen: »Ich habe durch die offene Tür natürlich jedes Wort gehört. Diese Burschen neiden mir meinen tüchtigen Vormann. Sie neiden uns alle Erfolge. Und sie verkennen mich vollkommen, Dan, lass dich von ihnen nicht gegen unser gemeinsames Werk aufwiegeln. Du weißt doch, was wir uns vor zehn Jahren als ziemlich junge Burschen in die Hand versprochen haben. Das...«
»Schon gut, Sim«, brummt Daniel Lee. »Mach dir nur keine Sorgen um meine Treue zur Ranch. Was wir uns damals in die Hand versprachen, gilt für mich bis in die Hölle. Wenn das Los damals anders entschieden hätte, wäre ich dein Boss und du mein Vormann. Aber es ist ja wirklich nicht wichtig, wer von uns beiden der Boss ist. Wir reiten beide für die Ranch, und sie soll die größte Ranch von ganz Wyoming werden.«
»So ist es richtig, Dan, so ist es richtig«, sagt Simson Stoneway warm und herzlich.
Sie gehen schweigend weiter, und als sie Reva Mills' Modesalon erreichen, tritt das Mädchen heraus. Beide Männer halten an und ziehen die Hüte. Simson Stoneway lächelt vergnügt und sieghaft. Er sagt: »Reva, ohne dich wäre diese jämmerliche Stadt Two Fork überhaupt nichts wert. Du wirst mit jedem Tag schöner und erscheinst in meinen Träumen. Und immer, wenn ich träume, dass du mich küsst, wache ich auf und stelle fest, dass alles nur ein Traum war. Aber eines Tages wirst du mich küssen, nicht wahr? Darf ich dich am 4. Juli zum Ball führen? Irgendwann muss ich doch einmal die große Chance bei dir bekommen.«
Er lacht wieder auf seine gewinnende und sieghafte Art.
Reva Mills ist mittelgroß, schlank, gerade und hat graue Augen und dunkelrotes Haar, das wie der Glanz von Kastanien leuchtet. Ihr Gesicht ist sehr klar und sauber geschnitten, und ihr Mund besitzt den richtigen Schwung. Es ist alles richtig an ihr, so wie es sich ein Mann nur wünschen kann.
Doch die Haltung ihres Kopfes und die Art, wie sie ihn auf den geraden Schultern trägt, lässt darauf schließen, dass sie auch ziemlich eigenwillig und stolz ist.
Sie betrachtet Simson Stoneway mit einer prüfenden Nachdenklichkeit.
Dann sagt sie ruhig: »Sim, du bist nicht der Mann, mit dem ein Mädchen von meiner Sorte unbesorgt zum Tanz gehen sollte.«
Wieder lacht er und zeigt seine prächtigen Zähne. »Bist du sicher, Mädel, zu welcher Sorte du gehörst? Versuch es mal mit mir. Dann wirst du auch bald mehr über dich selbst wissen.«
Wieder betrachtet sie ihn fest und prüfend, und ihr Blick bekommt dabei einen abweisenden Ausdruck.
»Sim«, sagt sie fest, »ich glaube nicht, dass du ein Gentleman bist. Du siehst nur so aus.«
Und dann wendet sie sich von ihm ab und blickt Daniel Lee an. Ihr Blick wirkt irgendwie besorgt.
»Ich möchte mit dir etwas besprechen, Dan«, sagt sie. »Komm herein!«
Sie wendet sich ab und verschwindet in ihrem Laden. Daniel Lee sieht Simson Stoneway an. Bevor er etwas sagen kann, spricht dieser: »Vielleicht kannst du sie zum Ball führen. Ich habe kein Glück bei ihr. Oder sie fürchtet sich davor, dass sie mich doch küssen würde. Ich werde langsam reiten und am Creek auf dich warten. Dan, dieses Mädel ist eine kleine Hexe. Pass auf dich auf, dass sie dich nicht mit Haut und Haaren bekommt. Dann musst du tun, was sie dir sagt.«
Er grinst, und in seinen blauen Augen ist ein ärgerlicher und fast zorniger Ausdruck. Er dreht sich auf dem Absatz um und geht davon.
Daniel Lee betritt den Laden und schließt die Tür. Das Glöckchen bimmelt. Und Reva Mills steht hinter dem Ladentisch und blickt ihn gerade und offen an. Sie wirkt sehr ernst.
Indes geht Simson Stoneway weiter. Vor dem Big-Horn-Saloon bildet der Plankengehsteig eine Art Veranda. Als er sie erreicht, treten einige Männer heraus.
Sie treten Simson Stoneway in den Weg. Er hält inne und blickt die drei wichtigsten Männer der Gruppe an.
Und er sagt nichts, sondern grinst nur blitzend. In seinen stahlgrauen Augen erscheint der Ausdruck einer kalten und mitleidlosen Härte. Er wirkt kühn und furchtlos.
Einer der Männer – es sind Rancher – sagt grimmig: »Jetzt ist es genug, Sim, hast du verstanden? Jetzt ist es genug!«
»Was ist genug?«, fragt Simson Stoneway kalt. »Was ist genug? Das lasst mich noch hören, bevor ihr Platz macht vor Simson Stoneway!«
Er sieht Jack Morgan an, der zu ihm gesprochen hatte. Jack Morgan ist etwas über dreißig, also ungefähr so alt wie Stoneway. Er bewirtschaftet mit seiner Schwester eine kleine Ranch am Big Horn Creek. Durch den Kauf von Rhip Jordans Ranch hat Simson Stoneway jetzt seine Grenzen bis an die Big-Horn-Ranch der Geschwister Morgan vorgeschoben.
»Sim«, sagt Jack Morgan schwer, »das war die letzte Weide, die du käuflich erwerben konntest.«
»Ich kaufe alles, was ich bekommen kann«, erwidert Stoneway trocken.
»Yeah, egal, wie und auf welche Art du es bekommst«, sagt einer der anderen Männer bitter. »Aber ab jetzt wirst du in diesem Land nichts mehr bekommen. Du bist jetzt groß genug in deinen Hosen, Sim. Größer wirst du nicht mehr. Lass also die Finger von jedem weiteren Versuch, jemanden unter Druck zu setzen und ihn dann auszukaufen. Wir halten jetzt gegen dich zusammen. Und geschlossen sind wir noch ein Stück größer als du.«
»Ist das eine Drohung, Curly Pete?«, fragt Stoneway.
»Eine Warnung, Mister«, erwidert Jack Morgan. »Wir haben jetzt begriffen, dass du einen Nachbarn nach dem anderen auffrisst und erledigst. Und du machst es so schlau, dass du nicht mit dem Gesetz in Konflikt gerätst. Aber wir kennen dich jetzt und wissen, was du willst. Du bekommst hier keinen Quadratzoll Weideland mehr. Wenn du es versuchst, gehen wir alle geschlossen auf dich los, reißen deine verdammte Raubranch in Stücke und jagen dich aus dem Land. Franky Jordan war kein Viehdieb. Du hast ihn nur reingelegt und ein halbes Dutzend meineidige Schufte als Zeugen gekauft. Wenn du Rhip Jordan nicht einen fairen Preis gezahlt hättest, würden wir dir schon heute die Haut abgezogen haben. Jetzt geh!«
Er tritt zur Seite. Auch die anderen Männer geben Simson Stoneway den Weg frei.
Aber der geht noch nicht. Sein auf eine männliche Art so hübsches Gesicht verzerrt sich vor Zorn. Er wirkt nun nicht mehr so angenehm wie sonst. Und seine Stimme klingt misstönig, als er heiser und fast zischend vor Zorn sagt: »Das werdet ihr bereuen, Männer, mir hier auf der Straße zu drohen. Ich bin Simson Stoneway, versteht ihr? Ich bin der große Bursche! Und das werde ich euch bald klarmachen. Ihr habt mich jetzt richtig herausgefordert. Das könnt ihr haben. Jack Morgan, deine Ranch möchte ich als nächste haben. Ich biete dir zehntausend Dollar. Überlege dir bis zum vierten Juli, ob du an mich verkaufen willst.«
Nach diesen Worten blickt er die anderen Männer der Reihe nach an.
»Ihr seid nicht groß genug für mich. Ich bin der Starke. Wie Käfer kann ich euch zerdrücken. Stellt euch nur in meinen Weg, dann findet ihr schnell heraus, welche Wichte ihr seid.«
Nach diesen Worten geht er weiter. Einige Männer machen die Ansätze von Bewegungen, so als wollten sie ihn anfallen wie Jagdhunde einen Löwen.
Aber Jack Morgan ruft kurz: »Lasst ihn gehen!«
Er geht ruhig davon und blickt sich nicht mehr um. Sheriff Jim Landergham kommt heran. Er geht langsam, schwergewichtig und wuchtig. Er ist auch ein Mann, der langsam denkt. Und doch bewegen sich seine Gedanken zumeist in einer unbeirrbaren Folgerichtigkeit. Und er ist furchtlos. Es dauert lange, bis er einmal zu handeln beginnt. Aber wenn er erst einmal in Fahrt kommt, hält ihn so leicht nichts auf. Seine Rechtlichkeit ist über jeden Zweifel erhaben, und gerade deshalb handelt er niemals voreilig und lässt sich zumeist viel Zeit.
Er starrt die Ranchergruppe grimmig an, und sein rötlicher Schnurrbart scheint sich zu sträuben. Wie ein Bullbeißer steht er vor den Männern und sagt kehlig: »Ihr verdammten Narren, ihr habt ihm jetzt wohl Grenzen gesetzt und ihm gedroht. Zum Teufel, kennt ihr ihn so wenig? Ihr habt wieder Öl in sein Feuer gegossen. Yeah, er hat hier drinnen ein verdammtes Feuer.«
Bei den letzten Worten stößt der Sheriff mit seinem dicken Daumen gegen seine Brust.
Aber dann spricht er ruhiger weiter. »Jungens«, sagt er, »eines Tages wird er etwas machen, was ihn außerhalb des Gesetzes stellt. Und dann hole ich ihn mir. Darauf könnt ihr euch verlassen.«
Die Männergruppe starrt den Sheriff bitter an. Jack Morgan sagt nach einer Weile: »Du hast dir Franky Jordan geholt, als sechs Schufte gegen ihn aussagten.«
»Was sollte ich tun?«, fragte Jim Landergham bitter. »Sechs Cowboys der Henkeltopf-Ranch sagten aus, dass sie Frank Jordan mit einem Rudel Stoneway-Rinder erwischt hätten. Der Richter schrieb den Haftbefehl aus, und ich musste Frank Jordan einsperren. Was sollte ich tun? Aber ich erwische Stoneway schon mal bei einem seiner Tricks. Kommt zu mir, wenn ihr in einen Verdruss geratet. Handelt nicht auf eigene Faust. Hinter mir steht das Gesetz. Wenn ihr Stoneway angreift und ihm nichts nachzuweisen ist, was gegen das Gesetz verstößt, muss ich ihn sogar vor euch schützen. Zwingt mich nur nicht dazu, gegen euch vorgehen zu müssen. Das täte mir leid.«
Er macht auf dem Absatz kehrt und geht wieder zurück.
Daniel Lee blickt das Mädchen an.
»Nun, Reva«, murmelt er, »du kannst Sim Stoneway wohl nicht leiden. Und du hast ihn sicherlich tief getroffen, als du bezweifeltest, dass er ein Gentleman ist. Er ist mein Freund.«
»Du bist sein Freund«, sagt sie herb. »Aber er kann niemals der Freund eines Mannes sein. Dan, warum bist du Sim Stoneway gegenüber so blind?«
»Er ist in Ordnung«, murmelt Daniel Lee. »Wir wuchsen zusammen auf. Sein Vater nahm mich als kleinen Jungen zu sich, damit Sim einen Freund und Bruder bekommt. Sim war sein ganzes Leben lang zu mir sauber und anständig. Und als wir alt genug waren und auf die Idee kamen, aus der kleinen Stoneway-Ranch die größte Ranch von Wyoming zu machen, da war jedem von uns klar, dass nur einer von uns der Boss sein konnte. Wir ließen das Los entscheiden. Auch ich hätte Sims Boss werden können. Und er würde mir genauso treu sein wie ich ihm.«
Die Augen des Mädchens werden groß. Und sie kommt um den Ladentisch herum, bis sie ihre Hände gegen Daniels Brust legen kann. Sie greift um die Säume seiner ärmellosen Weste und versucht ihn zu schütteln.
»Wach auf, wach auf, Dan«, sagt sie. »Vor vielen Jahren wart ihr zwei Jungens und machtet einen Plan. Und jetzt ist Sim Stoneway der Boss und fühlt sich mit jedem Tag größer und mächtiger mit deiner Hilfe. Fast jeder Mensch im Lande weiß, dass er ohne dich eine Null wäre.«
»Das ist nicht wahr«, sagt Daniel Lee schnell und entschieden. »Er war schon als Junge stets klüger, größer und stärker als ich. Ich war damals sehr froh, als unser Los auf ihn fiel und ich dazu bestimmt war, den zweiten Platz einzunehmen. Er ist keine Null.«
Das Mädchen tritt zurück und blickt ihn seltsam an. Oh, sie kennt ihn schon so lange, wie es nun einmal ist, wenn zwei Menschen sich als Kinder begegnen und in einem Lande als Nachbarn aufwachsen. Natürlich ist Reva jünger. Als sie zehn Jahre alt war, ritt Daniel Lee schon als junger Cowboy. Sie hebt den Zeigefinger und sagt heftig: »Stets hast du die wirklich große und wichtige Arbeit für die Henkeltopf-Ranch getan. Simson Stoneway gab die Befehle – und du machtest die Arbeit. Niemals hätte er es fertigbringen können, fünftausend Rinder von Texas bis hier nach Wyoming zu treiben. Auch kein anderer Mann hätte das vermocht. Wir alle hier kennen die Geschichte dieses Rindertreibens. Viele der Treiber reiten heute noch für die Henkeltopf-Ranch, und jeder von ihnen weiß eine Menge von diesem Treiben zu berichten. Zwei Jahre warst du mit der Mannschaft und den Longhornrindern unterwegs, und jeder andere Mann hätte unterwegs aufgegeben, die Herde verloren und...«
»Auch Sim hätte die Herde ans Ziel gebracht«, unterbricht er sie. Und dann denkt er einige Sekunden über das Treiben nach. Es liegt schon einige Jahre zurück. Aus jenen fünftausend Longhorns aus Texas wurden inzwischen mehr als zwanzigtausend. Als er jene fünftausend Rinder holte, gab es in Texas noch keine Absatzmärkte für Rinder.
Man konnte sie in Texas für den Preis ihrer Häute erwerben. Er kaufte jedes Rind für einen Dollar. Und er warb dreißig Treiber an. Sie waren ein wildes Rudel hartgesottener Texaner.
Dann begannen sie die Herde nach Norden zu treiben. Sie überwanden viele Gebirgsketten, durchschwammen reißende Flüsse, trieben durch endlose Durststrecken, gerieten zwischen gewaltige Büffelherden und kämpften gegen Banditen und Indianer.
Und er war der Treibboss.
Er brauchte zwei volle Jahre. Und inzwischen hatte Simson Stoneway hier die Ranch vergrößert und Weideland erworben. Er hatte Geld aufgenommen und all jene Vorarbeiten geleistet, die aus einer kleinen Farm und Siedlerstätte eine große Ranch machten. Er hatte gute Arbeit geleistet, doch diese Arbeit war im Vergleich zu Daniel Lees Treiben ein Kinderspiel.
Daniel schüttelt den Kopf und sagt überzeugt: »Auch Sim hätte die Herde hergebracht. Ich verlor unterwegs mehr als dreihundert Rinder. Und sieben Männer wurden getötet oder verunglückten tödlich. Sicherlich hätte Sim weniger Verluste gehabt. Er ist klüger als ich. Er kann dreimal schneller denken...«
»Du kennst deine eigene Größe und Stärke nicht«, unterbricht sie ihn bitter und lässt die Säume seiner Weste los. Sie wendet sich ab und kehrt hinter ihren Ladentisch zurück.
»Ich könnte dir noch einige andere Dinge nennen, Dan, die du vollbrachtest und die er niemals vollbracht hätte. Aber es ist zwecklos. Darauf kommt es jetzt nicht an. Ich will dich vielmehr fragen, ob du dir richtig darüber klar bist, welches Spiel Simson Stoneway betreibt? Er setzt stets seine nächsten Nachbarn unter Druck, bis sie aufgeben und an ihn verkaufen. Carl Bannak und Tom Cumming wurden auf der Weide niedergeschossen, als sie die Fährten gestohlener Rinder verfolgten. Und Simson Stoneway kaufte Bannaks und Cummings Witwen aus. Und Bruce Walker versperrte ihr dann den Weg zum Fluss, so dass er für seine Rinder kein Wasser hatte.«
»Wir nehmen jede Chance wahr«, murmelt Daniel Lee. »Mit Carl Bannaks und Tom Cummings Tod hat die Henkeltopf-Ranch natürlich nichts zu tun. Es gibt Viehdiebe im Land. Dass wir die Witwen ausgekauft haben, ist doch kein Verbrechen. Und Bruce Walker hätte sich vom Fluss einen Wassergraben ziehen können. Dazu war er zu faul. Wenn seine Rinder zum Wasser kamen, fraßen sie unterwegs unser Gras. Wir haben nichts zu verschenken.«
»Nein, ihr wollt groß und mächtig werden. Und Simson Stoneway ist der Boss!«
Das Mädchen sagt es bitter.
»Du tust mir leid, Dan«, spricht sie nach einigen Atemzügen weiter. »Gegenüber Simson Stoneway bist du blind und taub. Du siehst ihn nicht richtig – nicht so wie ich und wie einige andere Menschen, die ihn anders kennengelernt haben. Weißt du überhaupt, woher er euer Betriebskapital bekommen hat?«
»Die Bücher führt Sim«, sagt Daniel abweisend. »Ich sorge für die Rinder und führe die Mannschaft. Die Verwaltung hat Sim in den Händen. Und er ist mein Freund. Er ist in Ordnung. Wir arbeiten an einem großen Werk. Die Henkeltopf-Ranch wird eines Tages hunderttausend Rinder und zehntausend Pferde besitzen. Und wenn man das Weideland umreiten will, wird man dazu eine ganze Woche Zeit benötigen.«
Er sagt es sehr stolz, und in seinen grauen Augen liegt ein besonderer Glanz.
Plötzlich versteht Reva ihn besser.
Und nun verspürt sie ein Gefühl von Traurigkeit und Mitleid.
»Wenn ihr so groß werden wollt, müsst ihr noch viele Nachbarn vertreiben«, sagt sie. »Und weil diese jetzt gemerkt haben, dass die Henkeltopf-Ranch ihre Nachbarn einen nach dem anderen auffrisst, halten sie nun gegen euch zusammen. Ihr werdet in Zukunft kämpfen müssen – nicht auf Simson Stoneways Art, sondern offen und vor aller Welt. Und diesen offenen Kampf wirst du zu führen haben. Simson Stoneway...«
»Genug, Reva«, unterbricht er sie. »Ich weiß, du bist mit allen Leuten gut befreundet. Sie haben dich wohl dazu ausersehen, dass du mich der Henkeltopf-Ranch abtrünnig machst. Und wenn man dich so reden hört, da klingt immer mehr heraus, dass Simson Stoneway ein großer Schuft sein soll.«
»Das ist er auch – nur du weißt es nicht«, erwidert sie scharf. »Ich kann dir einige Geschichten...«
»Ich will nichts hören«, unterbricht er sie abermals und wendet sich zur Tür.
»Ich hatte dich schon als kleines Mädchen gern, Reva«, murmelt er von dort. »Und ich wollte dich wirklich bitten, mit mir am Unabhängigkeitstage zum Ball zu gehen.«
»Auf diese Einladung habe ich gewartet«, sagt sie schnell. Ihre Wangen werden etwas rot dabei.
Aber er schüttelt den Kopf. »Du kannst die Dinge nicht so sehen wie ich«, murmelt er. »Und du kannst Sim nicht leiden. Du würdest nie auf der Henkeltopf-Ranch leben können. Es ist besser, wir fangen gar nicht erst etwas an.«
»Du Narr«, sagt sie heftig. Und er erwidert nichts und verlässt ihren kleinen Laden, in dem sie Kleidung für Ladys und Kinder verkauft, die sie selbst in ihrer Nähstube anfertigt.
»Du Narr«, sagt sie nochmals, als sich die Tür hinter ihm schließt und das Bimmeln des Glöckchens verklungen ist. »Eines Tages wirst du aufwachen und erkennen, dass du mitten in der Hölle bist. Und das alles wirst du deiner Blindheit gegenüber Sim Stoneway zu verdanken haben, den du für deinen Freund hältst und der ein Schuft ist. Ich weiß das. Und viele Leute in diesem Lande wissen es. Nur du bist blind und taub.«
✰
Simson Stoneways wilder Zorn hat sich immer noch nicht gelegt, als er nach einem ruhigen Siebenmeilenritt die Furt des Two Fork Creek erreicht und zu den schattigen Bäumen hinüberlenkt.
Unter den Bäumen steht ein mausgraues Pferd, das so zäh und struppig wie ein Büffelwolf wirkt. Und an einem Baumstamm lehnt ein Mann, der an einem Stock herumschnitzt.
Simson Stoneway betrachtet diesen Mann eine Weile schweigend und nickt dann leicht. »Es ist gut, Drango«, sagt er, »dass wir uns hier treffen. Es gibt wieder Arbeit für dich.«
»Ich dachte es mir«, sagt Drango McKeene. »Deshalb wartete ich hier darauf, dass du von der Stadt vorbeigeritten kommst. Die Sache hat also geklappt, nicht wahr? Nun, für mich war es ein Kinderspiel, Franky Jordan zum Viehdiebstahl zu verführen. Der Alte hielt seinen Sohn ziemlich knapp. Und ein wilder Junge wie Franky wollte etwas Spaß bei Karten und Mädchen. Als seine Schulden bei uns groß genug waren, drohte ich ihm, das Geld von seinem Vater zu kassieren. Und da ging er darauf ein, uns einige deiner Rinder zu bringen. Du hast seinen Alten also weichbekommen und die Ranch kaufen können. Was soll es jetzt sein, mein Bester? Du weißt doch, ich helfe dir gern.«
Er grinst schief, und er ist ein dunkler, geschmeidiger und indianerhafter Mann, von dem ständig ein Hauch von Wildheit ausgeht wie von einem Raubtier.
Und er ist ein Viehdieb und Revolverheld. Er führt ein wildes Rudel von Hartgesottenen, die hier in diesem wilden Lande eine Zuflucht suchten und diese Zuflucht jenseits der »Seven-Bull-Kette« in »Canyon Camp« fanden – einer einstigen Goldgräbersiedlung, in der jetzt Verlorene leben, die im beständigen Hass gegen die Gesetze reiten.
Sheriff Jim Landergham würde dieses Canyon Camp gern an allen vier Ecken einreißen und anzünden. Und er würde auch gerne einige Burschen haben, die dort leben und auf deren Köpfe hohe Belohnungen ausgesetzt sind.
Aber um diese Aktion durchführen zu können, brauchte der Sheriff zumindest fünfzig harte Jungens.
Und diese Zahl bekommt er nicht in die Sättel. Solch ein starkes Aufgebot würde er nur zusammenbekommen, wenn Simson Stoneway die kleinen Mannschaften der anderen Ranches durch die große Henkeltopf-Mannschaft verstärkt.
Doch das tut Stoneway nicht.
Und deshalb kann der Sheriff das Banditencamp nicht ausräuchern.