G. F. Unger Sonder-Edition 294 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 294 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Als Luke Babsy den Fluss zu sehen bekommt, hält er sein mageres Pferd an und nimmt seinen Hut ab. Dieser Hut ist schon so alt wie Babsy, und viele Reiter der Lone-Star-Mannschaft behaupten, dass Luke mit diesem Hut schon auf die Welt gekommen sei.
Nun lässt Luke Babsy seine siebzehn Haare im Winde flattern und schüttelt dazu den Kopf wie ein störrischer Gaul.
"Du lieber Vater", sagt er, "jetzt muss ich doch wahrhaftig heute noch ein Bad nehmen. Und dabei habe ich doch erst vor zwei Monaten am Saline River gebadet und versucht, den Fluss leerzutrinken. - Seht euch das an, Jungens! Das nennt sich White River! Habt ihr schon mal einen schmutzigeren Fluss gesehen?"

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Seitenzahl: 223

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Seit jenem Tage...

Vorschau

Impressum

Seit jenem Tage...

Als Luke Babsy den Fluss zu sehen bekommt, hält er sein mageres Pferd an und nimmt seinen Hut ab. Dieser Hut ist schon so alt wie Babsy, und viele Reiter der Lone-Star-Mannschaft behaupten, dass Luke mit diesem Hut schon auf die Welt gekommen sei.

Nun lässt Luke Babsy seine siebzehn Haare im Winde flattern und schüttelt dazu den Kopf wie ein störrischer Gaul.

»Du lieber Vater«, sagt er, »jetzt muss ich doch wahrhaftig heute noch ein Bad nehmen. Und dabei habe ich doch erst vor zwei Monaten am Saline River gebadet und versucht, den Fluss leerzutrinken. – Seht euch das an, Jungens! Das nennt sich White River! Habt ihr schon mal einen schmutzigeren Fluss gesehen?«

Er blickt die anderen Reiter an, und er ist ein eierköpfiger, chinesenbärtiger und falkenäugiger Bursche, der wie ein Comanche auf seinem Pferd sitzt und seinen Revolver auf eine Art in der Tasche seiner abgenutzten Chaps stecken hat, die so selbstverständlich wirkt wie der Federhalter hinter dem Ohr eines Buchhalters, wenn dieser mal eine kleine Pause macht.

Und auch die beiden anderen Reiter wirken schon auf den allerersten Blick wie reinblütige Gentlemen der Texas-Weide.

Doch hier ist das Dakota-Territorium. Hier ist nicht Texas. Es war ein weiter Weg von Texas herauf. Man sieht es den Reitern an. Babsy seufzt.

Die beiden Männer zu seiner Linken betrachten den angeschwollenen Fluss schweigend und prüfend. Sie schätzen ihn ab, und in Morg Shannons grauen Augen erscheint für einen Moment der Ausdruck einer leichten Unruhe. Auch er denkt gewiss an den Flussübergang vor zwei Monaten am Saline River. Dort war die Herde mitten im Fluss in Panik geraten, und er, Morg Shannon, war fast ertrunken.

Ben Campifer hatte ihn herausgeholt – mitten aus dem Hexenkessel der verrückten Longhorns.

Und jetzt? Er nimmt seinen Blick von dem Hochwasser führenden Fluss und richtet ihn auf Ben Campifer.

Der Vormann der Lone-Star-Mannschaft ist nur zwei Jahre älter als er. Er wirkt stiller und ruhiger, ernster und bedächtiger. Ben Campifer ist rotblond, hager, sehnig und grauäugig. Er hat ein ziemlich unregelmäßiges und ganz bestimmt nicht hübsches Gesicht.

Morg Shannon aber ist dunkelhaarig, auf eine männliche und verwegene Art hübsch und wirkt auf alle Menschen sehr anziehend. Er ist ein Mann von jener Sorte, die überall Freunde hat und die es gewöhnt ist, stets zu gewinnen.

Sie sind also äußerlich sehr verschieden, diese beiden Männer. Doch sie sind beide groß und hart. Sie sind die besten Männer einer Texas-Mannschaft, die daheim in Texas einen gewissen Ruf besitzt.

Ben Campifer erwidert Morg Shannons Blick ruhig und sagt dann: »Wir müssen hinüber, Morg. Wir müssen die Herde hinüberbringen. Denn hinter uns sind weitere Herden. Und der Fluss steigt noch an. Wir müssen hinüber, auch wenn es uns einige Dutzend Rinder kostet.«

Er grinst und nickt Luke Babsy zu. »Da du den Fluss nicht leertrinken kannst, Luke, kannst du zurück zur Herde reiten. Die Jungens sollen die Longhorns bremsen und die Herde in vier oder fünf Gruppen von je achthundert oder tausend Tieren aufteilen. Ich will zwischen diesen einzelnen Abteilungen einen Zwischenraum von zweihundert Yard haben. Die Biester sollen sich nicht von hinten stoßen können. Los, Luke!«

Der nickt, setzt seinen alten Hut auf und wirkt damit wie ein chinesischer Flusspirat. Aber er zwingt sein Pferd mit einer geschmeidigen Bewegung herum und reitet zurück.

Morg Shannon und Ben Campifer bleiben noch nebeneinander und betrachten den Fluss.

»Du sorgst dafür, Morg, dass die Wagen und die Pferde-Remuda gut auf die andere Seite kommen«, sagt Ben dann schlicht. In seiner Stimme ist keinerlei andere Bedeutung enthalten. Seine Worte sind nur eine schlichte und fast nur der Ordnung halber ausgesprochene Anweisung.

Doch Morg Shannon zuckt leicht zusammen.

»Das kannst du nicht machen, Ben«, sagt er gepresst. »Nein, das kannst du mir nicht antun. Gewiss, ich bin am Saline River fast ertrunken – ja, ich war schon so gut wie erledigt, doch ich fürchte mich nicht vor dem Fluss. Und auch nicht vor verrückten Rindern! Ich werde auch nicht die Nerven verlieren, wenn die Furt hier wieder zu einem Hexenkessel wird. Du kannst mich nicht auf ein Nebengleis abschieben, Ben, mein Junge. Ich bin immer mit an der Spitze, wie es sich gehört. Ich bin immer dort, wo der beste Mann nötig ist. Und das ist nicht bei den Wagen und der Pferde-Remuda!«

Seine Worte enthalten zuletzt eine Menge Stolz, und in seiner Stimme schwingt ein spröder Klang.

Ben Campifer betrachtet ihn forschend. Er kann es nicht erkennen, doch er spürt es instinktiv, dass Morg Angst hat vor diesem angeschwollenen Fluss.

Oh, sie hatten seit dem Saline River viele Flüsse durchfurtet. Doch keiner führte Hochwasser. Alle waren sie zahm. Und immer war Morg Shannon sehr froh darüber.

Die ganze Zeit aber hatte er sich gewiss vor dem nächsten Fluss mit Hochwasser gefürchtet.

Jetzt ist es so weit.

Dort unten ist ein schlimmer Flussübergang.

Und hier oben ist ein Mann, der zwischen verrückt gewordene Longhorns geraten war, die sich gegenseitig verletzten und auf den Grund des Flusses trampelten.

Auch Morg Shannon war verletzt und von den Rindern auf den Grund getrampelt worden. Er war schon so gut wie tot. Ben Campifer rettete ihn.

Doch seit jenem Tage hatte er Furcht vor verrückt gewordenen Longhorns in einem gefährlichen Fluss.

Ben Campifer weiß das also. Er weiß so sehr viel über all die Männer in seiner Mannschaft. Doch dies gehört zu den Dingen, die ein guter Vormann, der eine fünftausendköpfige Herde von halbwilden Texas-Rindern tausendfünfhundert Meilen weit nach Norden bringen soll, wissen muss.

Nun sagt er zu Morg Shannon: »Bruderherz, du solltest nicht so stolz sein. Es gibt immer irgendwelche Dinge, vor denen ein Mann Respekt hat und denen er deshalb aus dem Wege gehen sollte. Du hast ein schreckliches Erlebnis gehabt. Also vergiss es erst einmal.«

»Nein«, sagt Morg Shannon hart.

»Na gut«, nickt Ben Campifer, und seine Stimme klingt nun noch ausdrucksloser. »Dann beteilige dich da an dem ganzen Spaß, wo du glaubst, dass der beste Mann dort nötig ist.«

Er will zur Furt hinunter, um sie vor dem Eintreffen der Herdenspitze noch zu studieren und zu erforschen.

»Und noch etwas«, sagt Morg Shannon zu ihm.

»Ja?« Ben Campifer fragt es ernst, und nun wirken auch seine grauen, weit auseinanderstehenden Augen ebenfalls ausdruckslos. Alles, was in ihm ist, bleibt tief in ihm verborgen.

»Ich verdanke dir mein Leben, Ben«, sagt Morg. »Und ich werde das auch nie vergessen – bis ich diese Schuld bezahlt habe. Doch wenn ich nochmals in einem Fluss unter die Rinder geraten sollte, dann komme mir nicht wieder zu Hilfe. Ich will es nicht haben, hörst du? Ich will nicht noch einmal vor den Augen der Mannschaft von dir gerettet werden. Ich möchte, dass du es richtig begreifst!«

»Ich begreife es«, sagt Ben Campifer.

Dann reitet er zum Fluss hinunter. Morg Shannon blickt ihm nach und sieht dann zu, wie Ben Campifer ohne zu zögern seinen großen, wohl an die sechzehn Hand hohen und zwölfhundert Pfund schweren roten Wallach ins Wasser lenkt.

Der lehmgelbe Fluss strömt und rauscht, gurgelt und schmatzt, und er bringt immer wieder losgerissenes Gestrüpp, Astwerk und sogar Bäume mitsamt ihren Wurzeln mit. Er ist jetzt gefährlich, dieser Fluss, voller Strudel und anderen Tücken.

Als Ben Campifers Red den Boden unter den Hufen verliert und schwimmen muss, werden Reiter und Pferd sofort von der Strömung erfasst und abgetrieben.

Morg Shannon beobachtet, wie Ben Campifer sich flach ins Wasser legt und vom Rücken seines Pferdes gleitet. Er hält sich nun am Schwanz des Tieres fest, rudert mit dem rechten Arm kräftig mit und macht mit den Beinen Schwimmbewegungen wie ein Frosch. Erst als das große Tier wieder Boden unter die Hufe bekommt, zieht Ben Campifer sich wieder auf den Rücken und rutscht in den Sattel.

Und dann sind Reiter und Tier drüben. Sie trieben ein ziemliches Stück ab und kommen nun am Ufer zurückgeritten. Einmal blickt Ben Campifer zu Morg Shannon herüber. Doch sie winken sich nicht zu.

Ben Campifer reitet den Uferhang hinauf, sicherlich, um noch ein Stück nach Norden hin zu erkunden.

Morg Shannon seufzt. Er betrachtet wieder den Fluss. Und dann hört er Hufschlag hinter sich.

Big Jim Quartermane, der Boss der Herde, kommt da mit seiner Tochter herangeritten. Und Chris, die geschmeidig und lebendig neben ihrem Vater reitet, ist Morg Shannons Braut.

Er genießt das Bild, sie so reiten zu sehen, und er ist wieder sehr stolz auf sich, dass er dieses Mädchen erringen konnte.

Sie ist wie keine – und sie liebt mich!

Dies sind seine frohlockenden und stolzen Gedanken, und er erwidert ihren jodelnden Zuruf mit einem Winken. Oh, er wirkt sehr prächtig und beachtlich auf seinem schwarzen Hengst, und wie er jetzt so halb lässig und halb freudig winkt, da ist er schon äußerlich ein Mann, in den fast jedes Mädchen sich verlieben würde.

Sie reitet nun schneller zu ihm und lässt ihren Vater ein Stück hinter sich. Sie ist mittelgroß und geschmeidig, und ihr Haar ist so gelb wie reifer Weizen. Sie hat blaue Augen und ein lebendiges Gesicht, mit einer kurzen Nase, großen, etwas schräggestellten Augen und einem vollen und ausdrucksvollen Mund. Dieser Mund und ihre blauen Augen werden immer viel von dem verraten, was sie fühlt und denkt. Sie ist ein impulsives Mädel, froh darüber, auf dieser Welt voller Abenteuer und sehr lebendig zu sein.

»Hoiii, Cowboy«, sagt sie, »dies ist kein sauberes Badewasser, und Luke Babsy, den wir unterwegs trafen, sagte mir, dass der Name dieses Flusses eine Lüge wäre.«

Sie lacht und schüttelt ihren zusammengebundenen Haarschopf über die Schulter. Sie späht über den Fluss und sagt: »Aaah, Ben ist schon auf der anderen Seite. Und nass ist er! Oho, heute werden wir alle nass wie Biber! Ich werde mit meinem Pferd ebenfalls hinüberschwimmen. Sieh, Morg, ich habe mir Hosen angezogen.«

»Das sehe ich«, lächelt er und fügt etwas anzüglicher hinzu: »Das habe ich sofort gesehen. Nichts an dir entgeht mir, Chris.«

Sie wird rot, doch ihre Augen funkeln. Sie können jedoch nicht länger miteinander reden. Jim Quartermane ist nun bei ihnen angelangt. Er ist schon weißhaarig, und er wirkt verwittert und etwas zerzaust von einem harten Leben auf der Weide. Auch er besitzt graue Augen. Sie blicken fest und scharf. Sein Gesicht besteht aus festen Winkeln und Kanten und drückt einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst aus.

Er ist nur wenige Zoll über Mittelgröße. Doch daheim nannte man ihn »Big« Jim Quartermane. Er war also der große Jim Quartermane daheim. Und er hat die Absicht, dort im Norden noch größer zu werden.

Er wirft einen Blick zu Ben Campifer hinüber, der ihm durch ein leichtes Zuwinken ein lässiges Zeichen gibt. Dann blickt er Morg Shannon an und sagt schließlich: »Also, wir bringen die Herde sofort hinüber. Bis zur Abenddämmerung kann es vorbei sein.«

Morg Shannon nickt nur. Big Jim betrachtet ihn nochmals prüfend, und Morg spürt diesen prüfenden Blick.

Wenn sie mich doch nicht so prüfend anblicken würden, denkt er. Ben Campifer und er, sie fürchten sich wohl davor, dass ich Angst vor diesem Fluss haben könnte. Nein, ich habe keine Furcht.

Aber er ist irgendwie erleichtert, als Big Jim seinen prüfenden Blick von ihm nimmt und zurück nach Süden blickt.

Denn von dort kommt nun die Herde den langen Hang zum White River Valley herunter. Es sind etwas mehr als fünftausend Rinder. Oh, sie bieten einen imposanten und in ihrer Masse geradezu unwiderstehlichen Anblick. Sie wirken wie etwas Elementares, welches man nicht lenken oder gar aufhalten könnte.

Zuerst trotten die Leitstiere, allen voran der riesige Mooshorn, der fast so gewaltig wie ein Büffel wirkt.

Und dann folgt das lange Dreieck, welches aus gehörnten Köpfen und knochigen Rücken besteht. So kommen sie herunter ins Tal, und sie bedecken eine Bodenfläche von einer Größe, wie man sie brauchte, um eine kleine Stadt darauf zu errichten.

Überall sind Reiter um die Herde, und man sieht, dass man sich nun bemüht, sie zu zerstückeln. Doch das ist nicht leicht. Die Rinder wollen nach diesem heißen und staubigen Tage zum Wasser. Die starken Regenfälle, die den White River so sehr anschwellen ließen, fanden nicht hier, sondern hundert Meilen weiter westlich hinter dem Pine Ridge statt.

Westlich der Herde wird auch die Pferde-Remuda getrieben. Es sind mehr als vierhundert Pferde. Dazu kommen fast hundert Maultiere. Und hinter der Remuda folgen fünf Frachtwagen und der Küchenwagen.

Es ist ein stattlicher Zug. Denn hier ist ein texanischer Rinderkönig unterwegs, dem es in Texas zu eng wurde, der alles verkaufte und aufgab und der mit dreißig Männern und einigen Fuhrleuten und anderen Helfern aufbrach, um sich im Norden ein weites Land zu erobern.

Morg Shannon strafft sich im Sattel, als er dies alles wieder einmal sieht und ihm zu Bewusstsein kommt, dass er eines Tages der Nachfolger von Big Jim sein wird.

Er nimmt seine Treiberpeitsche vom Sattelhorn und reitet von der Seite her auf die Herde zu. Es gilt jetzt, die Herdenspitze durch den Fluss zu treiben. Die ersten Tiere dürfen nicht am Rande verhalten und zu trinken beginnen. Sie müssen gleich weiter. Sonst stauen sich die hinteren Tiere, und jede Stauung dieser Art ist gefährlich. Diese halbwilden Texas-Rinder sind unberechenbar. Wenn sie sich erst stauen und zu drängen beginnen, gibt es immer Verletzungen, die sie sich mit ihren spitzen Hörnern einander zufügen. Diese Hörner sind so spitz und scharf, dass sie sich üble Wunden beibringen. Und dann gibt es stets mit Sicherheit eine Stampede.

Big Jim und Chris beobachten nun, wie Morg Shannon und die anderen Reiter, die hier an der Spitze der Herde sind, ziemlich hart und rau vorgehen.

Sie sorgen dafür, dass die Leitstiere nicht weit hinter dem riesigen Mooshorn zurückbleiben, der von dem hünenhaften Negercowboy Sam Washington am Nasenring in den Fluss gezerrt wird.

Der Schwarze Sam Washington ist der größte Mann der Lone-Star-Mannschaft. Doch er ist nicht der stärkste Mann. Stärker noch als er ist Chinok Bradley.

Nun, es geht alles recht gut. Die Männer bringen die Tiere der Herdenspitze gut ins Wasser, treiben sie weiter und stoßen zufriedene Rufe aus, als die Texas-Rinder zu schwimmen beginnen und von der Strömung abgetrieben werden.

Nun kann die Herde folgen. Es ist alles in Bewegung und in Gang gekommen. Nun, da die Leitstiere sich hinter dem gewaltigen Mooshorn und Sam Washington bemühen, das andere Ufer zu erreichen, ist eigentlich das erste Problem schon gelöst.

Denn die brüllende und sich schon am Ufer drängende Herde wird nun auf jeden Fall den Leitstieren folgen. Das ist so, und es ist gut so. Sonst könnte man keine Rinder durch das wilde und raue Land treiben.

Doch die Rinder drängen sich am Ufer schon ziemlich schlimm. Die nachdrängenden Tiere sind nun doch etwas zu schnell. Nun nimmt auch Big Jim seine Rinderpeitsche vom Sattelhorn und reitet hinüber, um der Mannschaft zu helfen. Oh, er schont sich nie, wenn jeder Mann benötigt wird. Und vielleicht ist er deshalb mehr als nur ein Boss für diese Ritter der Texasweide.

Chris beobachtet dies alles aufmerksam. Doch es ist nichts Besonderes für sie. Seit sie vor fast sechs Monaten Texas verließen, haben sie viele Flüsse durchschwommen.

Sie sieht sich nun nach Ben um, und sie sieht ihn weiter unterhalb am Ufer auftauchen, dort etwa, wo der Leitstier mit Sam Washington ans Ufer kommen wird. Er wird mit Sam die Spitze der Herde aus dem Fluss und zum Ufer hinauftreiben. Es darf auch hier keinen Stillstand geben. Denn sonst können die nachdrängenden Rinder nicht aus dem Fluss.

Chris blickt sich nach den Wagen um. Die gehen etwas oberhalb über den Fluss. Doch die schweren Frachtwagen müssen erst leichter gemacht werden. Sie schwimmen ja zwar fast wie ungefüge Kähne, doch man muss an ihren Seiten erst noch Baumstämme und entleerte Wasserfässer befestigen, die den Auftrieb verstärken.

Nur der Küchenwagen, der völlig wasserdicht und nicht so schwer ist, wird nun von Pancake-Shmit ins Wasser gefahren. Der Koch sitzt steif auf dem Fahrersitz und zieht sich nur die Melone fester auf den Kopf.

Chris Quartermane entschließt sich nun ebenfalls zur Durchfurtung des Flusses. Sie weiß, dass Pancake-Shmit eine knappe Meile vom Fluss entfernt ein Camp aufschlagen wird. Und er wird ihre Hilfe benötigen, da es schon spät ist und die hungrige Mannschaft in nur wenig mehr als einer Stunde mit der Herde drüben sein wird.

Sie lenkt ihr braunes Pferd ins Wasser, und einen Moment hat sie ein ungutes Gefühl. Doch dieser Fluss kommt ihr nicht gefährlicher vor als andere Flüsse, die sie durchschwamm oder auf einem Wagen überquerte.

Sie treibt ihr Pferd ins Wasser, und wenig später macht sie es wie Ben Campifer. Sie liegt nun flach und bis zum Halse im Wasser, glitt vom Pferderücken und hält sich am Schwanz des Tieres fest.

Sie werden abgetrieben. Doch da auch die Herde abgetrieben wird, bleibt der Abstand gleich. Der Küchenwagen ist etwas weiter oberhalb von ihr und dem jenseitigen Ufer schon zwanzig Yard näher.

Plötzlich sieht das Mädchen doch eine Gefahr auf sich zukommen. Es ist ein besonders großer Baum, der nun mit dem Wurzelwerk zuerst talwärts kommt. Er hakt mit dem Astwerk immer wieder im Flussgrund fest. Dann staut sich das Wasser an ihm und stößt ihn immer wieder mit einem Ruck weiter.

Chris und ihr Pferd müssen sich nun beeilen, wenn sie aus der Reichweite des Baumes kommen wollen. Sie können sich nicht stromab treiben lassen, weil sie dann zwischen die Rinder geraten würden. Sie müssen wie die Rinder auch schräg gegen die Strömung schwimmen. Dabei werden sie zwar abgetrieben, doch zugleich treibt diese Strömung sie auch zum anderen Ufer hinüber.

Auch das Pferd des Mädchens hat die Gefahr erkannt; es hat den Kopf herumgeworfen und sieht den Baum. Es ist ein mächtiger Baumriese, der wohl vom Fluss unterspült worden und dann mitsamt einem Uferstück in den Fluss gefallen war. Sein Wurzelwerk wirkt wie die Fangarme eines Polypen – eines besonders riesigen Polypen.

Das Pferd schnaubt erregt und verdoppelt seine Anstrengungen, aus der Gefahrenzone zu kommen. Chris hilft dem Tier, so gut sie kann. Doch sie ist keine besonders gute Schwimmerin. Daheim in Texas gab es keine Möglichkeiten zum Schwimmen. Man musste sechzig Meilen weit reiten, um an einen See zu kommen, wo man schwimmen konnte. Und deshalb fehlt dem Mädchen ganz einfach die Übung. Chris kann sich über Wasser halten und auch einen Fluss durchschwimmen. Doch besondere Kunststücke oder gar Tauchen kann sie nicht.

Und so wird sie natürlich nervös, als diese Gefahr auf sie zu geschwommen kommt. Ein geschickter Schwimmer würde vor diesem Baum keine Angst haben, obwohl der Baumriese immerzu rollt, sich mit seinem Wurzelwerk dreht und gefährlich wirkt.

Chris Quartermanes Pferd bekommt nun sogar Grund unter den Hufen und stößt sich mächtig ab.

Doch dann geschieht es! Das Unglück ist da! Mit dem rechten Hinterhuf sitzt das Tier irgendwie fest, kann sich nicht befreien. Es muss zwischen Felsen eingeklemmt worden oder mit dem Huf in eine Spalte geraten sein. Vielleicht liegt auch ein alter, vollgesogener Baumstumpf im Wasser, der gespalten ist oder eine Astgabel hat, in die sich der Hinterhuf verklemmte.

Chris spürt sofort, wie das Tier kämpft, wie es zappelt und reißt, um freizukommen. Aber es kommt nicht los und taucht schon unter.

Die Strömung reißt es nun herum und drückt es stromab, und das arme Tier kämpft verzweifelt. Doch es sitzt mit dem Huf so übel fest und kommt nicht frei, dass es abermals unter Wasser gerät.

Chris lässt sich nun aus der Nähe des Tieres gleiten. Sie kann ihrem Pferd nicht helfen, denn sie selbst hat alle Mühe, sich über Wasser zu halten. Ihre Kleidung ist nun nass und schwer, und selbst ein geübter Schwimmer hätte nun einige Mühe.

Es waren inzwischen Sekunden vergangen. Chris versucht nun wieder schräg gegen die Strömung zu schwimmen, um ein zu starkes Abtreiben zu vermeiden und von der Strömung unterstützt zu werden.

Doch nun fällt ihr der treibende Baum wieder ein, und sie sieht auch nun das Wurzelwerk dicht vor sich und über sich. Nun wird sie von einer Panik erfasst, wirft sich auf den Rücken und versucht stromabwärts zu entkommen.

Der Baum dreht sich auch wieder einmal mit einem scharfen Ruck um fast neunzig Grad seiner Längsachse, und dort, wo Chris soeben noch im Wasser schwamm, peitscht eine starke Wurzel wie eine Riesenschlange. Nun wird das Mädchen natürlich noch nervöser. Sie wirft sich nun von der Rückenlage in die Bauch- oder Brustlage und schwimmt nun verzweifelt nach links. Aber es ist zu spät.

Chris gerät zwischen die ersten Rinder. Sie wurde zu weit abgetrieben und schwamm ja sogar noch stromab.

Sie gerät nun zwischen Longhorns, die bereits die auf sie zukommenden Gefahr erkannten und ebenfalls in Panik geraten. Der Baum bleibt mit dem Astwerk, welches er hinter sich herschleift wie einen Schleierschwanz, für einige Sekunden am Flussgrund hängen. Er hat das Pferd längst unter Wasser gedrückt, und sicherlich ist das arme Tier das Hindernis, welches ihn einige Sekunden aufhält.

Doch dann kommt er mit einem heftigen Ruck frei und stößt mitten in die Rinder, die wie verrückt zu kämpfen beginnen. Das Mädchen befindet sich nun mitten in diesem Durcheinander, und für einige Sekunden ist sogar nichts mehr von Chris zu sehen.

Morg Shannon hatte Chris immer wieder beobachtet, obwohl er mit den Rindern hier am Rande des Flusses wahrhaftig alle Hände voll zu tun hatte.

Doch nun, da er Chris auf die schwimmenden Longhorns zutreiben sieht und sich ausrechnen kann, dass auch der treibende Riesenbaum wenige Sekunden später in dieses Durcheinander hineinstoßen wird, vergisst er die Rinder, die er in den Fluss jagt.

Er vergisst auch die anderen Reiter der Mannschaft. Er vergisst alles und starrt nur noch auf den Fluss, auf Chris, auf die Rinder, auf den treibenden Baum.

Und er weiß genau, dass er nun hineinmuss in dieses Durcheinander. Obwohl es für Chris kaum noch eine Rettung geben kann, weil die Rinder und der Baum gleich ein schlimmes Durcheinander bilden werden, muss er, Morgan Shannon, doch zumindest den Versuch machen, zu helfen, zu retten. Es gehört sich einfach für einen Mann in diesem Lande, dass er kämpft und nicht aufgibt, solange auch nur der Schatten einer Chance vorhanden ist. Das ist ganz einfach das Gesetz des Westens: Kämpfen! Niemals aufgeben! Durchhalten!

Aber Morg Shannon zögert. Er stellt sich in den Steigbügeln auf und brüllt Chris eine Warnung zu. Er ruft ihr zu, dass sie nach dem Baum schwimmen und sich an eine seiner Wurzeln klammern solle. Doch sein Gebrüll ist in dem Lärm, den die Herde macht, gar nicht zu verstehen. Er nimmt sein Lasso vom Sattelhorn, lenkt sein Pferd bis zur Brust ins Wasser hinein und schwingt das Lasso. Noch bevor er es wirft, begreift er, dass es vollkommen dumm und nutzlos ist. Denn die Entfernung zu Chris ist doppelt so weit, wie das Lasso lang ist.

Als er es nutzlos und viel zu kurz ins Wasser fallen sieht, wird er sich darüber klar, dass er Furcht hat; ja, er fürchtet sich davor, durch den Fluss und zu Chris zu schwimmen. Er fürchtet sich vor den brüllenden Rindern, die schon jetzt ein Durcheinander bilden und die ihn damals vor zwei Monaten verletzt und auf den Grund des Flusses getrampelt hatten – damals am Saline River. Und er hatte mit dem Leben abgeschlossen gehabt, hatte gespürt, wie er Wasser schluckte und ertrank. An dies alles erinnert er sich nun wieder, und da die ganze Situation ähnlich ist – was den Fluss und die Rinder betrifft –, ist diese Erinnerung besonders deutlich und greifbar vor seinen Augen. Ja, er hat Furcht, und er lässt nun das Lassoende einfach fallen.

Oh, wenn das die Reiter der Mannschaft sahen, wie ich mit einem viel zu kurzen Lasso nach Chris werfen wollte... Diese Gedanken schießen ihm schamvoll durch den Kopf.

Und es sind erst wenige Sekunden vergangen.

Chris treibt nun gegen die ersten Rinder und schwingt sich auf den Rücken eines dieser brüllenden Tiere. Doch es ist kein besonders großes Tier. Es geht unter ihrem Gewicht fast unter, und andere Tiere drängen dagegen, versuchen, es unter sich zu bekommen. Sie sind wie Ertrinkende, die sich an ihrem Retter so festhalten, dass er Befreiungsgriffe anwenden muss.

Morg Shannon starrt auf den Baum.

Und er weiß, er muss jetzt hinein. Er muss seine Furcht besiegen und hinein.

Es ist ein schlimmer Kampf.

Und einige Reiter der Mannschaft, die zu weit entfernt sind, um eingreifen zu können, sehen gewiss zu und beobachten ihn.

Chris ist seine Braut. Sie soll seine Frau werden. Und er ist damit zu Big Jim Quartermanes Nachfolger bestimmt. Nicht zuletzt für seinen Nachfolger und für seine Enkel unternimmt Big Jim Quartermane das große Wagnis, sich in Dakota ein neues Rinderreich zu schaffen.

Dies alles spürt, fühlt und erkennt Morg Shannon in diesen Sekundenbruchteilen. Denn seine Gedanken hetzen tausend Meilen in der Sekunde.

Und dann endlich, als Chris von dem Rind, auf dem sie reitet, wieder ins Wasser geworfen wird und zwischen den Rindern verschwindet, als der Baum in das Durcheinander stößt und dieses gefährliche Wirrwarr stromab getrieben wird, siegt sein Wille über seine Furcht. Er treibt sein schwarzes Pferd mit einem schrillen Schrei vorwärts. Und nun endlich ist er bereit, gegen den Fluss, gegen die Rinder und um Chris' Leben zu kämpfen.

Sein Pferd schwimmt dann auch bald. Doch er entlastet es nicht dadurch, dass er sich der Länge nach flach auf den Rücken des Tieres legt. Er bleibt im Sattel sitzen, und als das Tier dann keinen Boden mehr unter die Hufe bekommt, kommt es nur schwer vorwärts und hat Mühe, den Kopf über der Oberfläche zu behalten.

Morg Shannon muss immer noch gegen die Furcht ankämpfen. Sie wird nun, da er auf dem Pferde sich langsam dem Hexenkessel nähert, durch nichts abgelenkt. Oh, er sieht das Durcheinander der Rinder. Das Wasser dort färbt sich schon rot, da viele Tiere sich einander mit den Hörnern verletzen. Und sie drücken sich einander unter die Oberfläche oder werden von dem Baum unter Wasser gedrückt. Es herrscht ein unbeschreiblicher Lärm.

Einige Male sieht er Chris zwischen den Rindern. Das Mädchen kämpft verzweifelt. Es gelingt ihr auch, wieder auf den Rücken eines der Tiere zu kommen. Diesmal hat sie einen starken Bullen erwischt, der sie besser tragen kann.

Morg Shannon fragt sich, wie er wohl bis zu ihr gelangen und sie dann aus diesem Hexenkessel retten kann.

Es erscheint ihm unmöglich. Denn er hatte sich ja damals am Saline River, als er wie Chris unter die Rinder geraten war, nicht einmal selber helfen können.

Ben Campifer hatte ihn gerettet. Und als er nun an Ben Campifer denkt, sieht er sich mit einem raschen Blick nach ihm um. Er weiß ja, dass Ben Campifer auf der anderen Seite sein muss.