G. F. Unger Sonder-Edition 298 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 298 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Ringo Rock kennt dieses Land, denn er wurde hier in Wyoming geboren. Er kennt den Atem dieses Landes, und er hat einen feinen Instinkt, der auf geheimnisvolle Weise den Pulsschlag dieses Landes spürt.
Er kennt auch die Zeichen, die das Land ihm gibt - hundert verschiedene Arten von Zeichen sind es, und er weiß sie fast immer richtig zu deuten.
Deshalb lebt er noch.
Sein riesiger Minniconjou-Wallach steht unterhalb eines Hügelkammes. Der große Mann sitzt bewegungslos im Sattel und späht über den Kamm hinweg in die Runde. Er lässt sich Zeit, denn nichts ist in diesem Lande gefährlicher als Ungeduld und Hast.

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Seitenzahl: 209

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Powder River Trail

Vorschau

Impressum

Powder River Trail

Ringo Rock kennt dieses Land, denn er wurde hier in Wyoming geboren. Er kennt den Atem dieses Landes, und er hat einen feinen Instinkt, der auf geheimnisvolle Weise den Pulsschlag dieses Landes spürt.

Er kennt auch die Zeichen, die das Land ihm gibt – hundert verschiedene Arten von Zeichen sind es, und er weiß sie fast immer richtig zu deuten.

Deshalb lebt er noch.

Sein riesiger Minniconjou-Wallach steht unterhalb eines Hügelkammes. Der große Mann sitzt bewegungslos im Sattel und späht über den Kamm hinweg in die Runde. Er lässt sich Zeit, denn nichts ist in diesem Lande gefährlicher als Ungeduld und Hast.

Ringo Rock wittert wie ein misstrauischer Wolf. Nur manchmal wirft er einen Blick in die Senke hinunter. Dort sind die rauchenden Trümmer einiger Conestoga- und Mervile-Wagen zu sehen. Und einige mit Pfeilen gespickte Körper liegen im grünen Gras verstreut. Die Toten sind nackt und skalpiert.

Ringo Rock hat das alles schon einige Male gesehen. Es passiert immer wieder in diesem Lande, und je weiter man sich dem Powder River nähert, umso schlimmer wird es.

Ein anderer weißer Mann wäre an seiner Stelle sofort hinuntergeritten. Oder er hätte die Flucht ergriffen. Die Furcht wäre ihm in die Knochen gefahren.

Ringo Rock aber sitzt regungslos auf seinem narbigen Riesenwallach und lauscht auf den Atem, auf den Pulsschlag und auf die geheimnisvollen Signale des Landes.

Der Wind kommt von Norden.

Im Nordwesten entfernt sich eine Staubsäule.

Das sind Reiter.

Aber im Süden und Osten sind ebenfalls Staubfahnen.

Und hier im näheren Umkreis von zwei oder drei Meilen rührt sich nichts. Hier sind keinerlei Zeichen. Nur die Trümmer der Wagen qualmen dort unten in der Senke, durch die sich der Powder River Trail nach Norden zieht.

Hier sind keine Zeichen.

Gar nichts!

Als wenn das Land aufgehört hätte zu atmen. Als wenn der Puls aufgehört hätte zu schlagen.

Aber auch das ist für Ringo Rock ein Zeichen. Es ist das schlimmste Zeichen überhaupt.

Deshalb hält er sich in Deckung des Hügelkammes, bleibt regungslos im Sattel und versucht herauszufinden, wo die Kriegshorde sich versteckt hält.

Es kann nur ein kleiner Rest des großen Ungewitters sein, das über die Wagen dort unten hergefallen ist. Aber sie sind da.

Sie sind irgendwo versteckt.

Die Sonne sticht heiß hernieder. Ringo Rock schluckt trocken. Dann starrt er auf die Ohrenspitzen seines grauen Wallachs.

Sie zittern leise.

»Nun gut, Colonel«, sagt Ringo Rock sanft zu seinem Pferd, »nun gut, dann werden wir eben sehen, ob wir sie schlagen können, nicht wahr?«

Er macht eine leichte Körperbewegung, und das riesige Tier setzt sich sofort wieder wie eine geschmeidige Katze in Bewegung. Es wiegt sicherlich um die dreizehn Zentner. Durch sein zottiges Fell leuchten Narben. Aber es wirkt nicht schwergewichtig. Es besteht aus Muskeln, Sehnen und Knochen. Aber es läuft so leicht und mühelos wie ein langbeiniger Büffelwolf.

Der Mann ist in befranstes Leder gekleidet, aber er trägt einen Stetsonhut und Cowboystiefel, diese jedoch ohne Sporen. Er sitzt wie ein Indianer im Sattel – vorgeneigt und mit lang herniederhängenden Beinen. Er trägt zwei Colts im Kreuzgurt und hat eine gute Winchesterbüchse – das neueste Modell hier an der Grenze – griffbereit vor sich im Sattelschuh.

Unter der breiten Hutkrempe sitzen zwei rauchgraue und ziemlich weit auseinanderstehende Augen. Hohe Wangenknochen und eine kurze, gerade Nase werden von einem rötlichen Stoppelbart eingerahmt.

Das ist Ringo Rock. Einsneunzig groß, knapp zweihundert Pfund schwer, dreiunddreißig Jahre alt, von denen er zehn Jahre bei den Indianern lebte.

Er ist der Mann, der ein Frachtfuhrunternehmen gegründet hat und der nun vor der schwierigen Aufgabe steht, bis zum Winter einen Armeekontrakt zu erfüllen, der ihn entweder zum wohlhabenden Manne machen – oder ihm und seinen Leuten den Tod bringen kann.

Und jetzt reitet er, obwohl er mit Sicherheit weiß, dass Indianer in der Nähe sind, aus seiner Deckung hervor und zu den rauchenden Trümmern eines überfallenen Wagenzuges hinunter.

Es ist nicht sein Wagenzug. Seine eigenen Mannschaften sind nicht unterwegs. Sie sind alle in Laramie und warten auf seine Rückkehr.

Nein, das dort unten war ein Treck mit Siedlern.

Sein Wallach schnaubt unruhig, als er den ersten leblosen Körper passiert. Es ist eine Frau. Sie muss um ihr Leben gerannt sein. Ringo Rock blickt schnell wieder weg und schluckt schwer. Das, was er sieht, kann auch ein harter Mann, der sich fest in der Hand hat, kaum ertragen.

Er reitet näher an die Wagen heran, umkreist sie und findet auch das Dutzend toter Kavalleristen. Man hat ihnen die blauen Uniformen ausgezogen, aber Ringo Rock erkennt sie an dem roten Armeeunterzeug. Und Sergeant Pat Longfish kennt er sogar persönlich.

Aber jetzt ist Pat Longfish tot. Alle sind tot.

Hier ist kein Leben mehr.

Und das wollte Ringo Rock genau wissen. Es war seine Menschenpflicht, nachzusehen, ob vielleicht nicht doch ein armer Teufel noch am Leben blieb und Hilfe brauchte.

Der Mann starrt auf die bunt gefiederten Pfeile – und auf die abgeschlagenen Armstümpfe der Toten.

Cheyenne!, denkt er bitter. Das waren Black Dogs Hundesoldaten!

Dann sieht er sich um.

Und er erblickt sie sofort.

Sie kommen drüben über den Hügel und bilden auf dessen Rücken eine Kette. Es sind zwölf.

Und der dreizehnte Mann reitet ein Stück vor der Kette seiner Krieger. Er trägt ein schwarzes Hundefell und die drei Federn, an denen man die Hundesoldaten der Cheyenne gut erkennen kann.

Es ist Black Dog.

Ringo Rock sieht sich um. Er rechnet schon damit, dass rings um ihn weitere Indianer auftauchen, aber die Hügelkämme im Norden, Osten und Süden bleiben leer.

Ringo Rocks Zähne werden sichtbar, als er die Lippen zurückzieht. Es ist ein grimmiges Zähneblecken.

Er will sein Pferd herumziehen und sich auf den Weg machen, damit ihm die roten Gentlemen nicht zu dicht auf den Pelz kommen – da sieht er, wie Black Dog die Hand hebt. Seine Reiter bleiben zurück, und er selbst kommt langsam auf Ringo Rock zugeritten.

»Aha, er will mit mir reden«, murmelt Ringo und wartet.

Der Rote kommt langsam heran.

Sie kennen sich gut. Als Ringo Rock noch ein Knabe war und in den Zelten der Hunkpapa-Sioux leben musste, trafen sich die Stämme manchmal an den Ufern des Platte River. Auch Black Dog war damals noch ein Knabe.

Er grinst den Weißen an, als er dicht vor ihm sein scheckiges Pferd verhält.

»Hookahey, Big Fox«, sagt er freundlich. »Ich werde deinen Skalp schon noch bekommen.«

Ringo Rock grinst zurück und sagt noch freundlicher: »Ni'inaei, Black Dog – gute Jagd, Schwarzer Hund! Eines Tages werde ich dich in das Schattenreich schicken.«

Black Dog nickt freundlich und wünscht nun ebenfalls »Ni'inaei« – »Gute Jagd«.

Nachdem sie sich auf diese Art begrüßt haben, starren sich beide eine Weile an. Dann deutet der Indianer langsam auf die rauchenden Trümmer und die verstreut im Gras liegenden Toten.

»Das war ich!«

»Die Seelen dieser Menschen werden bald aus dem Schattenreich auf dich niederspucken«, murmelt Ringo Rock grimmig. »Und der Adler-Häuptling, der Colonel, wird mit vielen Pferdesoldaten kommen und dich an einen Baum hängen.«

Black Dog schüttelt unmerklich den Kopf. In seinen dunklen Augen beginnt es zu glühen.

»Es ist Krieg, es ist schon lange Krieg. Und der Krieg wird anhalten, solange weiße Männer in dieses Land kommen. Großer Fuchs, ich weiß viele Dinge. Ich weiß, dass du der Mann bist, der bis zum Winter genügend Proviant, Kleidung und andere wichtige Dinge zu den friedlichen Dörfern schaffen soll. Du willst viele Wagenzüge durch dieses Land führen, deren Ladungen für die Abtrünnigen unserer Stämme bestimmt sind. Der große Soldatenhäuptling hat versprochen, dass er alle zahmen Indianer beschützen wird, dass sie Proviant und Kleidung und viele andere Dinge erhalten, wenn sie friedlich in ihren Dörfern bleiben und sich nicht darum kümmern, dass die Weißen ihr Land in Besitz nehmen, die Büffel töten und überall Forts errichten. So ist es doch?«

Ringo Rock nickt.

»So ist es! Für alle friedlichen Indianer sorgt die Regierung der Vereinigten Staaten. Sie bekommen alles Notwendige, um in Ruhe leben zu können. Sie werden nicht hungern. Es wird ihnen im Winter gutgehen. Sie teilen mit uns ihr Land. Also teilen wir mit ihnen alles, was zum Leben notwendig ist. Aber du willst das nicht, Black Dog?«

»Wagh! Iho! Niemals! Wir sind die Herren! Wir wollen euch nicht. Immer haben eure großen Häuptlinge gelogen! Wir wollen Krieg, bis kein Weißer mehr in unserem Lande ist. Das will ich! Das will Rote Wolke! Das will Crazy Horse! Und das will Tatanka Yotanka, den ihr Sitting Bull nennt. Krieg!«

»Aber viele andere große Häuptlinge wollen Frieden«, murmelt Ringo Rock bitter.

»Auch sie werden den Krieg wollen, wenn sie erst erkennen, dass sie die versprochenen Wagenladungen nicht erhalten. Auch sie werden kämpfen, wenn sie sehen, dass ihr nicht stark genug seid, um eure Wagenzüge ans Ziel zu bringen. Sie werden ihre Dörfer abbrechen und sich mit uns vereinigen. Sie werden ausspucken und sagen, dass sie dumm waren, weil sie friedlich blieben und darauf warteten, dass ihr ihnen Proviant und Kleidung bringt. Ihre Frauen werden laut weinen, weil keine Wintervorräte vorhanden sind, da man sich auf das Wort und die Stärke der Weißen verlassen hatte. Dann werden sie bei uns Hilfe suchen. Wir werden sie ihnen geben. Und dann wird es kommen, dass zehnmal tausend Krieger vereint sind und wie ein Ungewitter auf euch herfallen. Das wollte ich dir sagen, Big Fox!«

»Vetter«, erwidert Ringo Rock grinsend, »was geschieht aber, wenn ich dich jetzt töte?«

»Das wirst du nicht tun, denn ich bin zu dir gekommen, um mit dir zu reden. Du sollst dem Soldatenhäuptling in Laramie berichten, was jedem Wagenzug droht, der in dieses Land zieht. Du sollst es ihm sagen. Wir wissen, dass er nicht so viele Soldaten zur Verfügung hat. Und wenn er welchen befiehlt, euch gegen uns zu beschützen, so reichen die anderen nicht mehr aus, um Crazy Horse und Red Cloud aufzuhalten. Bevor es Frühling wird, steht kein Fort mehr von Laramie bis zum Powder River. Und ich wollte dich warnen. Du verlierst deine Wagenzüge und deine Männer. Dann bist du wieder arm. Und eines Tages werde ich auch deinen Skalp bekommen. Heute nicht! Du bist der einzige Mann, dem der Soldatenhäuptling in Fort Laramie glauben wird, dass es aussichtslos ist, die friedlichen Dörfer versorgen zu wollen. Waste!«

Nach diesem letzten Wort – es bedeutet so viel wie »Es ist gut« – wendet der Rote sein Pferd. Seine drei Federn wippen. Ringo Rock erkennt an den Einschnitten in diesen Federn, dass Black Dog schon sehr viele Feinde skalpiert hat.

Aber das weiß er ohnehin schon.

Er verspürt das Verlangen, den Burschen vom Pferd zu schießen. Vielleicht würde es ihm dieses eine Mal nichts ausmachen, einen Menschen in den Rücken zu schießen.

Aber dann würden ihn die zwölf anderen Krieger jagen. Er hätte natürlich eine kümmerliche Chance, aber...

Er zögert noch und sieht sich schnell um.

Doch da erkennt er, wie schlau Black Dog ist. Ringsum auf den Hügelrücken sind jetzt rote Reiter aufgetaucht. Es sind nicht viele. Der größte Teil von Black Dogs Kriegshorde ist schon abgezogen. Aber die zurückgebliebenen Krieger reichen vollkommen aus, um ein prächtiges Kesseltreiben zu veranstalten, bei dem er nur die Chance hat, einige der Roten erschießen zu können und dann aber selbst getötet zu werden.

Black Dog hat seine Falle gut gestellt. Es ist ihm auch sicherlich von Herzen schwergefallen, auf Ringo Rocks rötlichen Skalp zu verzichten. Aber da dieser Indianer nicht nur teuflisch, sondern auch sehr klug ist, verzichtet er für heute auf Rocks Kopfhaar. Es ist ihm lieber, dass Rock um seine Wagenzüge Angst bekommt und um militärischen Schutz bittet. Dann muss die Armee ihre Truppe, die dabei ist, eine Kette von Forts zu errichten, schwächen. Und dann bekommen Crazy Horse, Rote Wolke und die anderen Häuptlinge der sieben Sioux-Stämme eine bessere Chance, mit den Forts und den Truppen fertig zu werden.

Es handelt sich also um einen sorgfältig ausgedachten Plan, den sicherlich nicht Black Dog, sondern Tashunka Witko und Makhpiy Luta, wie Crazy Horse und Rote Wolke auf Indianisch heißen, ausgeheckt haben. Black Dog ist nur ihr Helfer, der erstens Truppen auf sich ziehen und zweitens die Versorgung der friedlichen Indianerdörfer unterbinden soll.

Da Ringo Rock dies alles erkennt, beschließt er, lieber davonzureiten und sich die Kugel für Black Dog noch aufzuheben.

Er reitet nach Süden. Er kommt dicht an einigen Roten vorbei, die ihn sofort mit einigen unmissverständlichen Worten verhöhnen. Er grinst sie grimmig an und ruft zurück: »Sicher, wir treffen uns bald wieder, liebe Vettern! Wir bekommen noch viel Spaß, ihr Armabschneider!«

Armabschneider ist übrigens keine Beleidigung – denn das Wort Cheyenne bedeutet genau das und nichts anderes.

So reitet er auf seinem riesigen Wallach davon – wütend und verbittert. Und sie lassen ihn reiten.

Ihre Kriegshäuptlinge wollten es so.

Drei Stunden später erreicht Ringo Rock die Station am Wica Creek. Sie ist eine der vielen kleinen Stationen am Powder-River-Weg. Hier wechseln die Kuriere der Armee ihre Pferde, und hier schlagen auch die Wagentrecks ihr Camp auf.

Zu diesem kleinen Armeeposten, der meist mit einem Sergeanten und sechs Reitern besetzt ist, gehört auch ein kleiner Handelsstore, der Büffeljäger, Trapper und zahme Indianer versorgt.

Jetzt ist nichts mehr davon vorhanden.

Nur rauchende Trümmer sind da.

Ringo Rock wischt sich über das Gesicht. Er atmet langsam aus und späht in die Runde. Er sieht nichts, gar nichts. Es ist wie vor drei Stunden, als er bei den rauchenden Trümmern des Wagentrecks war. Dort wusste er auch, dass die Roten in der Nähe waren.

Genauso ist es hier.

Er weiß, dass ihn zumindest einige gut verborgene Späher beobachten. Aber sie haben Befehl, ihn unbehelligt reiten zu lassen. Er ist von Black Dog dazu ausersehen worden, die Kunde nach Laramie zu bringen.

Er schüttelt grimmig den Kopf und reitet weiter.

Sein großer Wallach trottet stetig und ohne Pause. Viele Stunden kann das Tier diesen Trott beibehalten.

Sie überqueren eine Ebene, tauchen zwischen Hügeln unter und erreichen dann den Fuß einer meilenlangen Felswand, die von einigen Schluchten durchbrochen wird.

Ringo Rock reitet auf die Mündung der Hauptschlucht zu, durch die der Powder-River-Weg führt.

Aber bevor er die Mündung erreicht, tauchen dort vier Cheyennekrieger auf. Sie versperren ihm den Weg. Einer hält ein nagelneues Gewehr im Anschlag. Die drei anderen halten ihre kurzen Kriegsbogen bereit.

Er reitet langsam näher.

Den langen Burschen mit dem neuen Winchestergewehr kennt er so gut wie Black Dog.

Das ist Kleines Pferd, ein Häuptling der Hundesoldaten, wie man die »Polizei« der Cheyenne nennt. Jede Indianernation hat ihre eigene »Militärpolizei«. Bei den Siouxstämmen sind es die Oglala-Bad-Faces.

Ringo Rock reitet dicht genug heran, um nicht zu laut rufen zu müssen. Wenn man in manchen Büchern liest, ein Indianergesicht bliebe immer ernst und ausdruckslos, so stimmt das nicht. Kleines Pferd grinst jedenfalls wie ein Mann, der sich einen prächtigen Spaß ausgedacht hat.

Dann sagt er mit hintergründiger Freundlichkeit: »Hau, hohahe, stinkender Fuchs. Es macht mir Freude, dich zu sehen! Dein Skalp sieht immer noch prächtig aus!«

Ringo Rock, den die Cheyenne und die Sioux Red Fox, Roter Fuchs nennen, grinst auf gleiche Art zurück. Und er erwidert die Begrüßung des Roten mit gleicher Freundlichkeit: »Hohahe, großes Maul. Ich sehe von hier aus die Läuse in deinem Skalp herumspazieren. Warum versperrst du mir den Weg?«

Das Grinsen des Roten verschwindet wie der Sonnenschein, wenn eine jagende Wolke sich vor die Sonne schiebt. Er blickt nach rechts und links und muss erkennen, dass sich seine drei roten Vettern mit Mühe ein Grinsen verkneifen. Das ärgert ihn sichtlich, aber er beherrscht sich und hebt nur die Gewehrmündung etwas.

»Wir dürfen dich noch nicht töten«, sagt er kehlig. »Black Dog will, dass du die Kriegsbotschaft zum Adlerhäuptling im Fort bringst. Doch du musst jetzt einen Umweg machen. Du musst den Weg durch eine andere Schlucht nehmen. Hopo! Geh!«

Ringo Rock hört es. Er starrt zum mächtigen Maul der Schluchtmündung hinüber, und er denkt schnell darüber nach, was die Roten für einen Grund haben könnten, ihn zu einem Umweg zu zwingen. Zugleich spürt er aber auch, wie die kalte Wut in ihm aufsteigt. Er hat die Toten des Wagentrecks gesehen – und dann die Leichen der verstümmelten Besatzung aus der kleinen Station.

Er beugt sich im Sattel vor.

»Habt ihr die Station am Wica Creek überfallen?«

»Das war ich«, erwidert Kleines Pferd grinsend.

Und das ist sein letztes Grinsen auf dieser Welt. Es nützt ihm gar nichts, dass er ein neues Winchestergewehr in der Hand hält und die Mündung auf Ringo Rock richtet.

Der Weiße zieht ganz plötzlich seinen rechten Colt. Die Waffe taucht so schnell in seiner Hand auf, dass es wie Zauberei wirkt.

Ringo Rock schießt.

Ein Pfeil fährt durch seine Hutkrone, und ein zweiter streift seine Schulterspitze.

Kleines Pferd liegt mit seiner neuen Winchesterbüchse am Boden. Einer seiner Vettern kann sich schwer angeschossen auf seinem Mustang halten und jagt schräg an Ringo Rock vorbei nach Norden.

Die beiden anderen Getreuen des Unterhäuptlings krümmen sich am Boden. Später, wenn sie ihre Verwundungen ausgeheilt haben, werden sie den Kiel einer ihrer Federn spalten können, was dann soviel bedeutet wie: »Der Träger dieser Feder ist von einem berühmten Gegner verwundet worden.«

Ringo Rock aber steckt den leergeschossenen Colt weg und nimmt die linke Waffe in die Hand.

Dann reitet er zu Kleines Pferd, beugt sich weit aus dem Sattel und nimmt das neue Gewehr des Roten vom Boden auf.

Er sieht auf die Verwundeten nieder und fragt: »Wie geht es euch?«

Sie bluten beide stark an den Schultern. Die Ausschusslöcher sind noch größer.

Aber sie grinsen zu dem Reiter hinauf. Einer sagt: »Es war uns eine Ehre, von dir, Red Fox, der du mit dem kleinen Gewehr zaubern kannst, verwundet zu werden. Unsere Vettern sind nicht weit. Wir werden leben. Aber du bist auch bald so tot wie Kleines Pferd.«

»Jeder tut, was er kann«, murmelt Ringo Rock bitter. »Grüßt Black Dog von mir. Sagt ihm, dass ich ihn bald ins Schattenreich schicken werde. Und wenn ich ihn vorher aus dem Kreis seiner drei Frauen und aus seinem Tipi holen muss. Sagt es ihm!«

»Das tun wir, Red Fox.«

Nach diesem kurzen Wortwechsel reitet Ringo Rock weiter. Er trabt vorsichtig in die Schlucht hinein – und als er sie zwei Meilen weiter verlässt, da sieht er sieben schaukelnde Conestoga-Schoner und einen schweren Mervile-Frachtwagen auf sich zukommen.

Jetzt begreift er, warum ihn Kleines Pferd und dessen drei Vettern überreden wollten, einen anderen Weg zu nehmen. Wäre er durch eine der anderen Schluchten geritten, so hätte er diesen Treck nicht zu Gesicht bekommen.

An der Spitze reitet ein hagerer Riese, dem ein Spitzbart wie ein Eiszapfen am Kinn hängt. Dieser Mann hebt seinen Arm, als Ringo Rock so plötzlich auftaucht, und die ganze Kolonne hält an.

Der Wind bläst den aufgewirbelten Staub nach vorn. Als die Sicht wieder besser ist, hält Ringo Rock seinen Riesenwallach dicht neben dem Führer des Trecks an.

»Mister«, sagt er trocken, »ihr habt euch eine schlechte Zeit ausgesucht. Wenn ihr jetzt sofort umkehrt, habt ihr noch ein paar kümmerliche Chancen, eure Skalps zu retten. Ich habe vor vier Stunden eine Menge Leute gesehen. Die eine Sorte war tot. Und die andere lebte. Das Schlimme ist nur, dass die Lebenden alle rothäutig waren. Kehrt um und macht schnell! Ihr habt ja nicht mal eine Soldatenabteilung bei euch!«

Er verstummt bitter und späht die Wagenschlange entlang. Es sind gute Fahrzeuge, mit prächtigen Maultiergespannen. Er sieht zwischen den Männern auch einige Frauen und Kinder. Es sind Siedler- und Pionierfamilien von echtem Schrot und Korn. Das sind keine Hungerleider aus den großen Städten, die nach einer Chance suchen. Nein, er erkennt, dass dies alles hier erfahrene Grenzer mit ihren Familien sind, denen es in ihrer bisherigen Heimat nicht mehr gefiel, weil sie zu dicht besiedelt wurde.

Diese Familien brauchen Weite um sich herum. Das ist die Sorte, die immer wieder aufbricht und ein Stück neues Land erobert.

Sie kommen jetzt alle nach vorn und bilden um Ringo und ihren Treckboss einen Halbkreis. Auch ein schlankes Mädchen kommt auf einer roten Stute herangeritten. Sie trägt Männerkleidung. Ringo Rock sah sie bei den halbwüchsigen Burschen, die drüben eine Pferderemuda und eine kleine Rinderherde bewachen.

Das Mädchen verhält hinter dem Halbkreis der Menschen ihre Stute und starrt über die Köpfe hinweg auf Ringo Rock. Sie ist so braun und dunkelhaarig wie eine Indianerin. Aber ihre Augen sind so blau wie Kornblumen.

Sie ist schön.

Inzwischen hat der graubärtige Führer des Trecks den Leuten bekanntgegeben, was Ringo Rock ihm sagte. Alle starren nun den großen Mann auf dem narbigen, grauen Riesenwallach an.

Eine Stimme fragt: »Wer sind Sie überhaupt, Mister? Wie können wir wissen, ob Sie überhaupt die Wahrheit sagen? Vielleicht wollen Sie sich nur wichtig tun. Oho, wir sind vierzehn Männer, und sogar unsere Jungens und die Frauen können gut schießen. Wir nehmen es mit hundert Indsmen auf!«

Ringo Rock zieht sein Pferd zur Seite und reitet auf den Sprecher zu.

»Mein Name ist Ringo Rock, Freund. Ich bin hier im Lande ziemlich bekannt. Und ich sage Ihnen noch mal: Kehren Sie um und halten Sie erst an, wenn Ihr Gespann nicht mehr ziehen kann. Wenn Sie es nicht tun, wird es höllisch. Das ist mein Rat. Ob ihr ihn befolgt, ist eure eigene Sache. Ich weiß nicht genau, wie viele Indianer vor euch sind. Ich habe aber Black Dog gesehen, den Häuptling der Hundesoldaten. Und ich habe Männer und Frauen gesehen, die skalpiert wurden und denen man die Unterarme abgeschlagen hat. Ich habe keine Lust, euch das noch länger einzuhämmern.«

Er drängt sein Pferd weiter und durch den Halbkreis der Menschen.

Als er an dem Mädchen vorbeikommt, hält er unwillkürlich an und greift an seinen Hut.

Sie lächelt ihn ernst an. Ihre Augen forschen. Jetzt erkennt er auch, dass sie für ein Mädchen ziemlich groß ist. Und obwohl ihr die Männerkleidung etwas zu weit ist, entdeckt er an gewissen Formen, dass alles an ihr richtig ist.

Sie trägt einen Waffengurt wie ein Mann, mit einem Colt im Holster. Im Sattelschuh steckt ein neuer Winchesterkarabiner. Hinter dem Sattel hat sie ein Bündel festgeschnallt. Dieses Bündel veranlasst Ringo Rock zu der Frage: »Gehören Sie zu keinem der Wagen, Miss?«

»Ich reite nur mit, weil ich zum Powder River will«, sagt sie und nennt ihren Namen nicht.

Er möchte sie gerne fragen, was sie dort am Powder River zu suchen hat, aber nun stimmen hinter ihm die Männer ab. Wahrscheinlich ist sein Name den meisten der Leute doch bekannt, denn bis auf zwei Männer sind alle dafür, umzukehren.

Ringo Rock wendet sein Pferd und betrachtet die beiden Männer, die weiterfahren wollen. Es sind bärtige Riesen, und er hat die beiden schon in Laramie gesehen. Das sind keine Siedler.

»Wir sind Händler. Uns tun die Roten nichts! Wir tauschen schon eine lange Zeit mit ihnen. Uns tun sie nichts. Sie wären ja Narren, wenn sie sich das Tauschgeschäft entgehen ließen. Ihr könnt ja umkehren, Leute. Aber wir fahren weiter!«

Der Sprecher wendet sich ab und zieht seinen Partner am Arme mit. Sie gehen zu dem schweren Mervile-Frachtwagen, vor dem sechs starke Maultiere angeschirrt sind.

Sie beachten Ringo Rock gar nicht. Sie tun so, als wäre er überhaupt nicht da.

Ringo wirft einen flüchtigen Blick auf das neue Winchestergewehr, das er vor einer guten Stunde erbeutet hat. Gewehre dieses Modells sind vorläufig hier an der Grenze so selten wie Schimmel unter einer Pferdeherde. Ringo Rock hat schon eine ganze Weile darüber nachgedacht, wie Kleines Pferd wohl in den Besitz einer solch kostbaren und modernen Waffe gelangt sein mag.

Jetzt denkt er wieder darüber nach – und weil er ein Mann ist, der jede sich nur bietende Möglichkeit nutzt, ein Rätsel zu lösen, denkt er auch über die beiden Burschen nach, die dort auf ihren schweren Frachtwagen klettern und langsam aus der Reihe ausscheren. Er kennt die Namen dieser beiden Männer nicht, aber er erinnert sich ganz gut, dass er sie dann und wann in Gesellschaft zweifelhafter Burschen in den Saloons gesehen hat.

Er treibt seinen Wallach plötzlich vorwärts und versperrt den Führungspferden des Gespanns den Weg.

»Einen kleinen Moment!«, ruft er scharf.

Der Fahrer zieht die Zügel an und beginnt zu fluchen. Sein Partner nimmt das Gewehr von den Knien und richtet wie beiläufig die Mündung über die Köpfe der Maultiere hinweg auf Ringo Rock.

»Aus dem Weg!«, ruft er. »Wir fahren weiter! Und kein großmäuliger Frachtfahrerboss kann uns verbieten, nach eigenem Ermessen zu handeln!«

Ringo Rock starrt in die Mündung des Gewehrs.

Und auch dieses Gewehr ist eine nagelneue Winchesterbüchse.

Nun ist sein Misstrauen geweckt. Er wittert jetzt regelrecht, dass hier vielleicht eine krumme Sache in Gang ist.

Er zieht sein Pferd herum und reitet an der Flanke des Gespanns entlang. Er legt den Lauf der erbeuteten Waffe über das Sattelhorn und richtet nun seinerseits die Mündung wie zufällig auf den Sprecher.

»Freund«, sagt er und verhält mit einer leichten Körperbewegung sein Pferd, »Freund, ich hätte noch eine kleine Frage!«

Die beiden bärtigen Kerle starren ihn an. Er sieht in ihre Augen hinein und erkennt dort den Ausdruck von Sorge, aber auch von böser Härte und Rücksichtslosigkeit.

»Was soll das für eine Frage sein?«, knurrt der Mann, der die Zügel in der Hand hält, und wirft seinem Partner einen schnellen Blick zu.

»Was habt ihr im Wagen? Was wollt ihr bei den Roten eintauschen?«