G. F. Unger Sonder-Edition 302 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 302 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Es war in Nogales, als ich meinen Zwillingsbruder nach zwanzigjähriger Trennung wiedertraf. Ich hatte ihn längst für tot gehalten. Auf dem Weg nach Oregon war unser Treck von Indianern überfallen worden. Meine Eltern fanden bei dem Überfall den Tod. Mein Bruder war seitdem verschollen, nur ich wurde mit wenigen Überlebenden von einer Armeepatrouille gerettet. Ich wuchs dann in einer Offiziersfamilie auf, wurde selbst Soldat und hatte es zum First Lieutenant gebracht. Mein Bruder aber saß im Jail und wartete auf den Abtransport nach Yuma, als ich ihn wiedersah...

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Seitenzahl: 175

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Stirb schnell, Bruder!

Vorschau

Impressum

Stirb schnell, Bruder!

Es war in Nogales, als ich wieder einmal daran erinnert wurde, dass ich einen Zwillingsbruder hatte. In den vergangenen zwanzig Jahren dachte ich manchmal an ihn, wenn auch immer seltener. Und immer, wenn ich an ihn dachte, erlebte ich aufs Neue, wie ich ihn verlor.

Damals waren wir beide sechs Jahre alt gewesen, und wir glichen uns wie ein Ei dem anderen. Selbst unsere Eltern konnten uns kaum unterscheiden. Deshalb ließen sie uns auch den Anfangsbuchstaben unseres jeweiligen Vornamens auf den linken Unterarm tätowieren. Bei mir war es ein J für John und bei meinem Bruder ein R für Ray.

Unsere Eltern wollten mit uns nach Oregon. Wir gehörten zu einem Wagenzug, der schon fast ein Jahr unterwegs war. Denn Oregon, dies war zu jener Zeit für viele Menschen im Osten das Gelobte Land.

Unterwegs, auf der Laramie-Prärie, wurde unser Wagenzug von Indianern angegriffen, die aus irgendeinem Grund böse und wütend geworden waren.

Während unsere Wagen sich in wilder Flucht befanden, gejagt von den heulenden Verfolgern, da fiel mein Bruder aus dem Wagen, als dieser über einen großen Stein holperte und einen Riesensprung machte.

Wir hatten beide hinten gekauert und den näher kommenden Indianern entgegengesehen. Dabei hatten wir vor Angst gekreischt und gefaucht wie zwei kleine Kater.

Doch wie gesagt, mein Bruder Ray fiel aus dem Wagen.

Ich konnte noch sehen, wie einer der Roten sich aus dem Sattel beugte und ihn zu sich auf das gescheckte Pferd riss. Dann begann unser Wagenzug sich an einem Creek zu einer Wagenburg zu formieren. Wir konnten den ersten Angriff abwehren, und dann kämpften wir drei Tage und drei Nächte und erlitten große Verluste.

Auch unsere Eltern starben bei diesem Kampf, denn die Frauen und größeren Kinder kämpften wie die Männer.

Von meinem Bruder sah ich nie mehr etwas.

Und so hielt ich ihn für tot. Nur dann und wann kam das Bild vor meine Augen, wie er aus dem Wagen fiel und der Indianer ihn zu sich auf das Pferd riss.

Unser Wagenzug wurde damals von einer kleinen Armeeabteilung gerettet, welche einige Landvermesser und Kartographen beschützte, welche Landkarten herstellen sollten von diesem noch mehr oder weniger unbekannten Land. Sie hatten auch zahlreiche Scouts vom Stamme der Crows bei sich, die ihnen halfen.

So blieb ich als Waise am Leben.

Aber, lieber Leser meiner Geschichte, ich kam wohl vom Thema ab.

Denn ich wollte ja eigentlich erklären, warum ich damals in Nogales wieder daran erinnert wurde, dass ich einen Bruder hatte.

Und das kann leicht erklärt werden.

Mich sprach eine junge und mehr als nur hübsche Frau an – mitten auf der Straße von Nogales, die ja eigentlich nur eine staubige Fahrbahn war. Sie wollte nach links hinüber, ich nach rechts.

Und in der Fahrbahnmitte begegneten wir uns. Sie hielt mit einem Ruck inne und sagte: »Ray, was tust du hier in Uniform in Nogales? Träume ich? Bist du irgendwie freigekommen?«

Sie stieß diese Worte irgendwie fassungslos hervor und starrte mich an wie einen Geist. Dabei betrachtete ich sie neugierig, denn sie gefiel mir mächtig. O ja, sie besaß eine Menge Rasse, hatte goldfarbenes Haar und grünblaue Augen.

Man konnte sie fast für eine Lady halten, aber irgendwie spürte ich, dass sie zu einer anderen Sorte gehörte.

Wahrscheinlich war sie eine zweibeinige Tigerkatze, eine Abenteuerin und Glücksjägerin, der auf dieser Erde kaum noch etwas fremd war.

Ich erkannte das an einigen Linien um ihre Mundwinkel und am sich schnell verändernden Blick ihrer Augen.

»Komm, Ray«, sprach sie, »das musst du mir erklären. Komm mit ins Hotel.«

Ich ging mit ihr, angefüllt von Neugierde und natürlich auch verblüfft. Wir konnten ja auch nicht mitten auf der staubigen Fahrbahn stehenbleiben. An uns ritten Reiter und fuhren auch Wagen vorbei, die uns in Staub einhüllten. Meine blaue Uniform der US-Kavallerie war jedoch schon vom langen Reiten staubig geworden.

Ich ging also an ihrer Seite. Sie schritt leicht und geschmeidig und bewegte sich wie eine ausgebildete Tänzerin.

Heiliger Rauch, dachte ich, was ist das für ein Rasseweib. Die kommt mir gerade richtig.

Ja, ich trug Uniform, denn ich war ein Pferdesoldat im Range eines Premierlieutenants, was ja so viel wie Oberleutnant ist.

Während des Krieges war ich Captain gewesen. Doch als die Kriegsarmee reorganisiert wurde, stufte man auch mich wie fast alle Offiziere zurück.

Wir gingen in das noble Nogales-Hotel, setzten uns ins Restaurant und bestellten uns erst einmal Kaffee.

Sie sah mich fortwährend wie witternd an. Ich spürte ihren Instinkt. Ja, sie prüfte mich. Irgendwie sagte ihr Instinkt etwas zu ihr, aber sie wollte und konnte es nicht glauben.

Und so erlöste ich sie endlich mit den Worten: »Sie verwechseln mich wahrscheinlich, Lady. Da Sie vorhin den Namen Ray nannten, kann es sich nur um meinen Zwillingsbruder handeln, den ich vor mehr als zwanzig Jahren verlor und von dem ich nie wieder etwas hörte. – Wo ist er? Wo finde ich ihn? Sagen Sie es mir schnell, Ma'am.«

Ja, ich war begierig, so schnell wie nur möglich alles zu erfahren.

Sie staunte mich an, und ich konnte erkennen, wie in ihrem wunderschönen Kopf die Gedanken jetzt tausend Meilen in der Sekunde eilten, schneller noch als Blitze gewiss.

»O Himmel«, flüsterte sie dann, »das gibt es doch nicht. Ray hat mir nie etwas von einem Zwillingsbruder erzählt. Übrigens, mein Name ist Jessica Blaine. Und Sie, Lieutenant, müssen also auch Caine heißen wie Ray.«

»John Caine«, murmelte ich. »Das ist mein Name, John Caine. Wo ist Ray?«

»Er kommt irgendwann nach Nogales«, erwiderte sie. »Doch so genau weiß ich das leider nicht. Sind Sie hier stationiert, Lieutenant? Wenn ja, dann müssen Sie nur einige Tage warten. Dann wird Ray herkommen. Also, was tun Sie hier in Nogales, so dicht an der Grenze?«

»Ach«, erwiderte ich, »es gibt hier rings um Nogales einige Gold- und Silberminen, die – aus welchen Gründen auch immer – der Regierung der Vereinigten Staaten gehören. Diese Minen fördern eine Menge Gold und Silber, welches von US-Deputy Marshals transportiert wird. Ich beschütze mit meiner Abteilung diese Transporte über Fort Grant, Fort Thomas bis nach Fort Apache. Von dort aus gehen die Transporte weiter bis nach Santa Fé, von da nach Kansas City und dann mit der Bahn nach der Hauptstadt. Zufrieden, Miss Jessica?«

Sie lächelte.

»Und wann müssen Sie denn wieder fort, John Caine?«

»In einigen Tagen.«

»Dann werden Sie gewiss ein Wiedersehen feiern können mit Ihrem Bruder«, sprach sie und lächelte immer noch.

Doch in ihren Augen bemerkte ich jetzt einen Ausdruck, der mir nicht gefiel. Und so fragte ich: »Und wie stehen Sie zu meinem Bruder?«

»Ach«, erwiderte sie, »der taugt nicht viel. Er ist ein Revolverheld und Spieler, ein Bandit. Er kommt mit einem Gefängniswagen hier durch, auf dem Wege nach Yuma. Dort in der Strafanstalt soll er zehn Jahre schmoren. Vielleicht kommt der Gefängniswagen schon morgen von Silver City nach Nogales. Dann geht es an der Grenze entlang durch die Gilawüste nach Norden, nach Yuma, wo noch nie jemand entkommen konnte, weil die Papagos jeden Flüchtling für Prämien jagen. Ihr Bruder ist verloren. Ich hatte mal ein Verhältnis mit ihm, aber er taugt nichts, ich sagte es schon. Sind Sie anders, John Caine?«

Ich grinste sie an.

Dann erwiderte ich: »Probieren wir es doch mal aus, schöne Jessica.«

Ihre Augenwimpern, die sehr viel dunkler waren als ihr goldenes Haar, senkten sich und verbargen den Ausdruck in ihren Augen.

»Nein«, sprach sie. »Ein Reinfall mit einem Caine genügt mir.«

Nach diesen Worten erhob sie sich rasch und ging.

Ich saß noch eine Weile da und trank den Rest Kaffee.

Und ich dachte fortwährend an meinen Bruder Ray.

Er lebte also und saß mächtig in der Klemme. Ja, ich hatte schon von Yuma gehört.

Es war die härteste Strafanstalt, die man sich denken konnte. Dorthin kamen nur die ganz üblen Burschen, die anderswo schon mehrmals ausgebrochen waren.

Ich sah wieder das Bild, wie mein Bruder, damals sechsjährig, aus dem Wagen fiel und von dem Indianer aufgegriffen wurde.

Wie war wohl sein Lebensweg verlaufen?

Wie mochte er zum Banditen geworden sein?

O verdammt, da hatte ich meinen totgeglaubten Bruder wiedergefunden, und er saß schlimm in der Klemme.

War er wirklich schlecht?

Konnte ich ihm helfen? Und wenn ja, wie?

Ich wusste, ich würde keine Ruhe mehr finden.

Auf jeden Fall sahen wir uns so ähnlich, dass sich sogar diese Jessica, die ihn gewiss sehr genau kannte, täuschen ließ.

Was würde sein?

Ich ahnte, dass da etwas auf mich zukam wie die dunklen Wolken eines Unwetters, aus denen schon die ersten Blitze zuckten.

Verdammt!

Ich hatte meinen Männern Urlaub gegeben. Unser Grenzposten, dessen Kommandant ich war, befand sich eine Viertelmeile außerhalb der Stadt in einigen alten Adobegebäuden, die schon vorhanden waren, als hier noch die Mexikaner herrschten.

Ich ging in die Badeanstalt neben dem Barbierladen, und indes ich im heißen Wasser eines großen Badefasses hockte, wurde meine Uniform gereinigt.

Ich aber dachte fortwährend über meinen Bruder nach.

Ray lebte also.

Und er war ein Bandit geworden.

O verdammt!

Und die schöne Jessica Blaine hatte ihm offenbar ganz und gar gehört, bis er sie enttäuschte.

Wir mussten uns wirklich immer noch sehr ähnlich sehen.

Ich musste ihn unbedingt wiedersehen.

Und dann?

Ja, was würde dann sein?

Wenn er ein Bandit war, der seine Strafe zu Recht erhalten hatte, würde ich ihm dann helfen, ihn vielleicht sogar befreien und ihm die Flucht nach Mexiko ermöglichen?

Oder ließ das meine Offiziersehre nicht zu?

Denn ich hatte ja schließlich einen Eid geleistet, als man mich in West Point zum Offizier gemacht hatte.

Ja, ich hatte die Offiziersakademie West Point besucht.

Denn der Mann, der mich als kleinen Jungen zu sich und seiner Familie nahm und großzog, war ein Colonel gewesen.

Ihm zuliebe wurde ich Kadett und dann auch Offizier.

So war das also.

Ich hatte Glück gehabt und gute Pflegeeltern gefunden.

Mein Bruder aber war bei Indianern gelandet.

Vielleicht war ich ihm als der glücklichere Bruder etwas schuldig.

Oder nicht?

Ich saß lange in der Badewanne und dachte immerzu nach.

Und die ganze Zeit hatte ich das untrügliche Gefühl, dass da etwas auf mich zukam. Ich konnte nicht wissen, was es war, aber ich verspürte ein Unbehagen.

Lag es daran, dass mein Bruder ein Bandit war, der zehn Jahre nach Yuma sollte?

Oder ließ mein Instinkt mich einen gewaltigen Verdruss wittern?

Doch verdammt noch mal, ich war der Premierlieutenant John Caine.

Wer konnte mir im Zusammenhang mit meinem Bruder schon was anhaben?

Es hing doch letztlich gewiss alles von mir selbst ab.

Und für mich hatte ich stets den richtigen Weg gefunden.

Als es Abend war, ging ich ins Hotelrestaurant zum Abendessen. Unterwegs begegnete ich meinem Sergeanten Bill Murphy, bei dessen Anblick man unwillkürlich an ein störrisches Maultier denken musste. Er hatte ein mexikanisches Mädchen im Arm und war schon ziemlich angetrunken.

Aber er grüßte vorschriftsmäßig, wobei er das Mädchen tatsächlich losließ.

Ich dankte nur wortlos und ging weiter, denn es wäre sinnlos gewesen, einem alten Sergeanten zu sagen, dass er sich nicht zu schlimm betrinken solle. Für mich zählte nur, dass ich mich dort draußen in diesem verdammten Land, welches so kurz nach dem Krieg noch teilweise von Apachen beherrscht wurde, auf ihn verlassen konnte.

Im Restaurant war jeder Tisch besetzt. Doch in der Ecke entdeckte ich jene Jessica Blaine an einem kleinen Tisch, an dem noch Platz war für mich. Und so ging ich hin und fragte, ob ich mich zu ihr setzen dürfe.

Sie sah sich erst um und erkannte, dass dieser Platz an ihrem Tisch tatsächlich der einzig noch frei war. Und so durfte ich. Sie lächelte sogar und sprach dann etwas herausfordernd: »Nun sehen Sie nicht mehr so struppig aus, Lieutenant. Haben Sie sich meinetwegen so schön gemacht? Sie duften nach Fliederwasser. Ich denke, dass Sie sogar gebadet haben.«

»Sie denken richtig, schöne Jessica.« Ich grinste sie an. »Ich machte mich für Sie so schön und wohlriechend. Denn es könnte ja sein, dass wir miteinander ein paar wunderbare Stunden verbringen – oder?«

Sie lächelte mich an und fragte: »Im Bett?«

»Warum nicht?« So fragte ich grinsend zurück.

Einen Moment sah es so aus, als wollte sie mir den Inhalt des Weinglases ins Gesicht schütten, anstatt zu trinken.

Dann aber fragte sie spöttisch: »Sie halten sich wohl für einen besonders harten und erfahrenen Burschen – auch was Frauen betrifft?«

»Ich war fünf Jahre im Krieg«, erwiderte ich. »Und es gab auch immer wieder Frauen. Zwei oder drei davon waren von Ihrer Sorte, schöne Jessica.«

»Und was für eine Sorte wäre das, Pferdesoldat?«

»Oh«, erwiderte ich. »Es sind wunderbare Frauen, keine Hühner. Es sind Raubkatzen sozusagen. Sie lieben das Leben, das Abenteuer und sind ständig auf der Jagd nach Beute. Ich mag diese Sorte, obwohl man gut aufpassen muss, dass sie einem nicht das Fell über die Ohren zieht. Habe ich es einigermaßen treffend gesagt, schöne Jessica Blaine?«

Ihre Augenwimpern senkten sich. Sie wollte nichts erkennen lassen.

Dann sah sie mich wieder an und sprach: »Dann passen Sie nur gut auf, Lieutenant, dass ich Ihnen nicht doch das Fell über die Ohren ziehe.«

»O ja«, sagte ich und grinste wieder, »auf der Hut bin ich immer. Bleiben wir also beisammen bis morgen früh?«

Wieder senkten sich ihre Wimpern.

Dann sah sie mich wieder an. »Ich habe hier in Nogales ein kleines Haus gemietet«, sprach sie, »kaum mehr als eine Hütte. Ich will Ihnen ehrlich sagen, dass ich hier auf den Tag warte, an dem der Gefängniswagen mit Ihrem Bruder eintrifft. Ray taugte zwar nichts – und er hat mich betrogen und belogen –, aber ich will ihn dennoch noch einmal sehen und ihn fragen, was ich für ihn tun kann. Der Marshal wird mich gewiss mit ihm reden lassen. Wir könnten also zusammen auf Ihren Bruder warten, John Caine.«

»He, jetzt haben Sie weder Pferdesoldat noch Lieutenant zu mir gesagt«, grinste ich. »Wir machen also Fortschritte.«

Nun, lieber Leser meiner Geschichte, es kam so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sie nahm mich mit in ihr kleines, gemietetes Haus. Es war nur eine dreiräumige Adobehütte, aber in einem der drei Räume stand ein breites Bett.

Es war in der zweiten Nachthälfte, als wir durch starkes Klopfen geweckt wurden. Ja, wir wurden geweckt, denn es lagen schon einige Stunden der Liebe hinter uns – oder was man so Liebe nennt.

Sie war eine feurige Flamme, eine Frau, die viel gab und viel verlangte von einem Mann. Und so waren wir erst nach Mitternacht erschöpft eingeschlafen. Noch niemals hatte ich in den Armen einer solchen Frau gelegen, dies war mir vor dem Einschlafen noch bewusst gewesen.

Doch nun weckte uns ein starkes Klopfen am Fensterladen.

Jessica stand auf, öffnete den Laden und das Fenster. Ein Mann stand draußen und flüsterte einige Worte, die ich nicht verstand.

Dann kam Jessica zurück zum Fußende des Bettes. Sie warf sich einen Morgenmantel über und zündete die Lampe an.

Ich fragte schlaftrunken: »Was ist los?«

Sie erwiderte ruhig: »Der Gefängniswagen mit deinem Bruder ist gekommen. Sie haben ihn ins Gefängnis gebracht. Der Wagen wurde im Hof abgestellt. Ich kenne den Nachtmarshal. Er wird mich zu Ray lassen.«

»Ich komme mit«, sprach ich und wollte aus dem Bett.

»Nein«, widersprach sie. »Das muss ich erst mit dem Nachtmarshal bereden. Ich weiß noch nicht, ob der US-Deputy vom Gefängniswagen mit dem Fahrer noch im Stadtgefängnis ist oder ob sie schon ins Hurenhaus gingen. Das tun sie zumeist, bevor sie von hier aus weiter nach Yuma fahren. Denn zwischen hier und Yuma gibt es keinen Spaß mehr. Ich sage dir aber Bescheid. Ja, ich hole dich, wenn der Nachtmarshal damit einverstanden ist.«

Sie begann sich anzukleiden. Das tat ich auch.

Und als sie gegangen war, wartete ich länger als eine halbe Stunde und dachte fortwährend an meinen Bruder. Dann wurde ich wütend.

»Zum Teufel«, knurrte ich, »warum warte ich hier, verdammt? Ich bin ein Premierlieutenant der Vereinigten Staaten. Ich kann in jedes Gefängnis gehen, um dort einen Gefangenen zu besichtigen. Und kein verdammter Marshal wird mich daran hindern.«

Ich ging also.

Die Straßen und Gassen von Nogales waren jetzt kurz vor Morgengrauen leer und wie tot. Nur da und dort war noch etwas Licht in den Häusern. Die Lokale hatten fast alle schon geschlossen.

Doch dann hörte ich irgendwo in einer Gasse einen Betrunkenen grölen. Er sang ein zotiges Lied.

Als ich das Gefängnis erreichte, da trat Jessica Blaine heraus.

»Ach, da bist du ja«, sagte sie schnell. »Ich wollte dich eben holen. Du kannst deinen Bruder besuchen. Der Nachtmarshal hat nichts dagegen. Auch dein Bruder möchte dich sehen, bevor sie ihn morgen...«

Ich hörte nicht länger zu und trat ein.

Der Nachtmarshal – er war ein Deputy Marshal der Stadt und nur für das Gefängnis zuständig – hatte es sich vorn im Office bequem gemacht und die Füße auf dem narbigen Schreibtisch liegen.

Er deutete mit dem Daumen über die Schulter auf die Tür, welche in den Zellenraum führte.

»Da geht's lang«, grinste er. »Lieutenant, der da drinnen ist wohl das schwarze Schaf in der Familie. Aber dafür habe ich volles Verständnis. In jeder Familie gibt es Abfall.«

Ich erwiderte nichts. O ja, ich kannte ihn flüchtig. Für mich war er ein Säufer und Strolch, der es verstanden hatte, dass man ihm einen Blechstern ansteckte.

Ich trat in den Zellenraum.

Jessica Blaine folgte mir.

Nur eine einzige Zelle war belegt. Und der Gefangene stand an der Gittertür und sah mich durch die Gitter an.

Ja, er musste mein Zwillingsbruder sein. Dies erkannte ich sofort im Lampenschein. Wir sahen uns so ähnlich wie zwei Dollarstücke.

»Heiliger Rauch«, murmelte ich, »du kannst nur Ray sein.«

Er grinste mich an und erwiderte: »Aber du hast ganz offensichtlich die besseren Karten von uns gehabt in diesem Scheißspiel des Lebens.«

Mehr hörte ich nicht.

Denn nun traf mich ein harter Schlag am Kopf wie von einer Eisenstange. Ich begriff noch, dass es nur Jessica Blaine gewesen sein konnte. Denn sie allein war mir gefolgt und stand hinter mir.

Aber nach diesem Begreifen war es mit mir auch schon vorbei.

Ich fiel. Und für eine Weile wusste ich nichts mehr von dieser hinterhältigen Welt.

Schmerz brachte mich zum Bewusstsein zurück. Es war ein doppelter Schmerz. Er hämmerte in meinem Kopf mit dem Pulsschlag.

Aber da war noch ein anderer Schmerz. Er war in meinem Arm. Diese Sorte Schmerz kannte ich. Es war der Schmerz einer Brandwunde.

Und so machte ich endlich meine Augen auf.

Verdammt, was war geschehen? Was hatte sich verändert?

Ich wurde mir bewusst, dass ich auf einer harten Schlafpritsche lag.

Und dann sah ich die Gitterstäbe.

Aber ich befand mich nicht außerhalb der Zelle, sondern lag in ihr auf der harten Schlafpritsche.

Langsam setzte ich mich auf.

Und dann sah ich mich – nein, ich glaubte staunend, mich dort auf der anderen Seite der Gitterstäbe zu sehen.

Denn da stand ich in meiner Uniform. Ja, da stand der Premierlieutenant John Caine. Aber das konnte ja wohl nicht sein, denn ich war ja hier in dieser Zelle, und ich trug keine Uniform.

Das stellte ich nämlich fest, als ich mich aufsetzte und an mir hinuntersah.

Ich trug die Kleidung, die ich vorhin an meinem Bruder gesehen hatte.

Und mein schmerzender Arm...?

Ich hob ihn und sah ihn mir an.

Dort, wo meine Eltern mir einst als Kind das J eintätowieren ließen, damit sie uns Zwillinge müheloser unterscheiden konnte, da war eine Brandwunde. Jemand hatte offenbar das glühende Ende einer Zigarre auf dem J ausgedrückt.

Ich sah wieder den Mann in meiner Uniform auf der anderen Seite der Gitterstäbe an. Neben diesem Mann wurde nun Jessica sichtbar. Auch sie sah zu mir in die Zelle. Und dann sprach sie mit einem Klang ehrlichen Bedauerns: »Du tust mir wirklich leid. Aber so ist nun mal das Leben. Das Schicksal wollte es so. Weißt du, ich kam her, um Rays Befreiung zu organisieren. Ich wusste ja, dass dieser Gefängniswagen nach Nogales kommen würde. Nogales war der beste Ort für meinen Plan. Denn von hier aus wären wir in wenigen Minuten über die Grenze nach Mexiko gelangt. – Doch als ich dich dann sah... Oh, ich glaubte wirklich, dass du Ray wärest, dem es auch ohne meine Hilfe gelungen war zu entkommen und der sich irgendwie diese Uniform beschafft hatte. – Aber als ich dann mit dir sprach, da erinnerte ich mich wieder daran, dass Ray mir mal etwas von einem Zwillingsbruder erzählt hatte, der ihn damals als Kind aus dem Wagen gestoßen hatte. Und so änderte ich meinen Plan. – Tut mir leid um dich, John, aber ich gehöre nun mal zu Ray und nicht zu dir. – Ray wird nun große Beute machen, bevor wir nach Mexiko verschwinden, riesengroße Beute.«

Sie verschwand nach diesen Worten aus meinem Blickfeld. Wahrscheinlich ging sie nun aus dem Zellenraum nach vorn ins Marshal' Office, wo der grinsende Deputy gesessen hatte.

Sie musste ihn für ihren Plan gewonnen haben, irgendwie. Vielleicht sollte er am Anfang meinem Bruder nur die Flucht ermöglichen. Und vielleicht war sie mit diesem Deputy sogar ins Bett gegangen deshalb.

Sie war eine schöne Frau. Und sie tat offenbar wie eine Hure alles für meinen Bruder wie für einen Zuhälter. Sie musste ihm verfallen sein. Und sie war schlecht.