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Es war eine jämmerliche Heimkehr. Der Süden hatte den Krieg verloren. Am 9. April 1865 kapitulierte unser General Lee bei Appomattox Court House in Virginia, und wir streckten vor General Grant die Waffen.
Wir waren die Hauptarmee der Konföderierten, zählten aber nur noch achtundzwanzigtausend Mann, darunter viele Verwundete und Kranke. Ja, wir waren am Ende.
Ich gehörte zu den Verlierern und befand mich auf dem Heimweg. Es war inzwischen richtig Frühling geworden. Abseits der Kriegsschauplätze und der gnadenlosen Zerstörung erschien alles so frisch, so sauber und schön.
Herrgott im Himmel, warum hast du nur zugelassen, dass wir uns gegenseitig zu Tausenden und Abertausenden umbrachten! Das fragten sich die Menschen überall. Doch es gab keine Antwort.
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Spiel um Nancy
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Impressum
Spiel um Nancy
Es war eine jämmerliche Heimkehr. Der Süden hatte den Krieg verloren. Am 9. April 1865 kapitulierte unser General Lee bei Appomattox Court House in Virginia, und wir streckten vor General Grant die Waffen.
Wir waren die Hauptarmee der Konföderierten, zählten aber nur noch achtundzwanzigtausend Mann, darunter viele Verwundete und Kranke. Ja, wir waren am Ende.
Ich gehörte zu den Verlierern und befand mich auf dem Heimweg. Es war inzwischen richtig Frühling geworden. Abseits der Kriegsschauplätze und der gnadenlosen Zerstörung erschien alles so frisch, so sauber und schön.
Herrgott im Himmel, warum hast du nur zugelassen, dass wir uns gegenseitig zu Tausenden und Abertausenden umbrachten! Das fragten sich die Menschen überall. Doch es gab keine Antwort.
Manche faselten etwas von einem unerforschlichen Ratschluss des Schöpfers unserer Welt. Aber wer von uns vermochte diesen unerforschten Ratschluss schon zu begreifen? Er war wirklich unerforschlich.
Ich erreichte an einem Mittag die kleine Stadt Georgsville und wusste, dass ich drei Meilen weiter von der Straße auf einen Weg abbiegen musste und nach zwei weiteren Meilen die Claybrook-Plantage erreichen würde.
Das Haupthaus war schon aus größerer Entfernung zu erblicken. Denn es stand etwas erhöht, so dass man dort alle Baumwollfelder meilenweit sozusagen zu Füßen hatte.
So jedenfalls hatte es mir mein Kamerad, Captain Claybrook, beschrieben.
Er war am letzten Kriegstag von einer Kugel getroffen worden und eine Stunde später gestorben.
Nun war ich zu seiner Witwe unterwegs. Ich hatte sie auf dem Bild gesehen, welches er stets bei sich trug. Mit wenigen anderen Habseligkeiten brachte ich es seiner Witwe zurück. Wie würde sie die Nachricht aufnehmen? War sie in Wirklichkeit tatsächlich so schön wie auf dem Bild?
Ich hatte von der Claybrook-Plantage noch einen weiten Weg bis nach Haus zu meinen Eltern, und wer weiß, wie es daheim aussehen würde. Ich hatte schon ewig keinen Brief von ihnen mehr bekommen.
Also würde ich mich nicht lange bei Nancy Claybrook aufhalten.
Ich hatte ein gutes Pferd, und das wieder hing mit den ausgehandelten Kapitulationsbedingungen zusammen. Denn wir Konföderiertenkavalleristen mussten damals unsere eigenen Pferde mitbringen. Nur wenn diese getötet wurden, gab es neue.
Die Yankees mussten uns also auf unseren eigenen Pferden heimreiten lassen. Und ich ritt immer noch auf meinem grauen, narbigen Wallach, der damals, als ich mit ihm in den Krieg ritt, jung und ohne Narben gewesen war.
Auch ich hatte einige Narben, nicht nur am Körper, nein, auch tief in mir, sozusagen in meiner Seele. So ging es uns allen.
Es war dann etwas mehr als eine halbe Stunde später, als ich mich dem Haupthaus näherte. Es sah immer noch nobel aus, war nicht zerstört worden. Etwas rechts davon befanden sich die Schlafhäuser der einstigen Sklaven. Sie waren ein kleines Dorf, und es mochten gewiss an die vierhundert Seelen dort gelebt haben, also Männer, Frauen und Kinder. Sie waren als Sklaven ein sehr kostbarer Besitz gewesen. Und ein kluger Sklavenhalter hatte ihn nicht verkommen lassen, sondern sie möglichst gesund und arbeitsfähig gehalten.
Nun ging es ihnen nicht mehr so gut. Denn niemand kümmerte sich um sie. Aber dafür waren sie frei und mussten nicht arbeiten, wenn sie nicht wollten.
Als ich an ihrem Dorf vorbei ritt, da sah ich einige. Sie winkten mir johlend zu, zeigten mir auf diese Weise ihren Triumph. Ich trug ja noch die graue Uniform der Konföderierten mit dem Offiziershut. Ich war für sie ein Sklavenhalter, der besiegt wurde. Nun, ich beachtete die johlende Horde kaum. An der Art, wie sie herumtanzten, erkannte ich, dass sie mehr oder weniger betrunken waren. Vielleicht sollten sie mir sogar leidtun, denn niemand würde jetzt noch für sie sorgen, ihnen Arbeit geben, Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Sie würden bald hungern und verelenden.
Und der gute Präsident Lincoln war ja inzwischen tot. Er war am 14. April von dem fanatischen Südstaatler und Schauspieler Booth so schlimm angeschossen worden, dass er noch am gleichen Tage starb. Zumindest er konnte den Befreiten nicht mehr helfen. So würde die Befreiung nach dem Gesetz noch eine Weile auf sich warten lassen. Erst am 18. Dezember würde das 13. Amendement zur Verfassung in Kraft treten, also die Aufhebung der Sklaverei Gesetzeskraft erlangen.
Doch das wusste ich damals noch nicht. Ich wusste nur, dass wir den Krieg verloren hatten und vor aller Welt verdammte, besiegte Sklavenhalter waren.
Als ich das Haupthaus auf der kleinen Anhöhe erreichte, da standen vor der Veranda drei Sattelpferde angebunden.
Und auf einer Bank saß ein Mann mit einem Gewehr quer über den Oberschenkeln. Als ich vor der Veranda anhielt, da erhob er sich und hielt das Gewehr im Hüftanschlag mit der Mündung auf mich und meinen Wallach gerichtet.
So etwas mochte ich ganz und gar nicht. Und auch der ganze Kerl gefiel mir nicht. Ich kannte diese heruntergekommene Sorte. Sie gehörte zum Abschaum des Krieges. Die Kerle waren sogenannte Guerillas, raubten und plünderten, wo sie nur konnten, kämpften angeblich nur für eine Seite, in Wirklichkeit aber nur für Beute.
Ich beugte mich im Sattel etwas vor und stellte mich in den Steigbügel etwas hoch. Dabei sprach ich mit trügerischer Freundlichkeit: »Mein lieber Freund, Sie sollten nicht das Gewehr auf mich gerichtet halten.«
Er grinste zwischen seinem Bartgestrüpp und erwiderte: »He, Rebell, es ist mir wurst, ob dir das gefällt oder nicht. Was willst du überhaupt hier? Gehört die Frau da drinnen vielleicht sogar dir? Wenn das so ist, dann wird dir abermals etwas nicht gefallen. Am besten wäre für dich, wenn du für zwei Stunden von hier verschwinden und nicht stören würdest!«
Ich begriff nun alles.
Er hielt Wache, damit seine beiden Partner – es waren ja drei Sattelpferde vor der Veranda angebunden – nicht gestört wurden. Wahrscheinlich hatten sie ausgelost, wer zuerst den ganzen Spaß haben durfte.
Ich wollte es nun noch genauer wissen: »Da drinnen ist also eine Frau, ja? Und was macht ihr mit ihr?«
Abermals grinste er zwischen dem Bartgestrüpp und zeigte seine braunen Zähne. Er war ziemlich abgerissen und ungepflegt. Gewiss stank er auch. Diese Sorte stank immer.
Dann sagte er: »Sie hat uns ziemlich hochnäsig behandelt, als wir hier vor das Haus geritten kamen und um eine kleine Unterstützung baten, weil wir doch für die Sklavenhalter als Guerillas kämpften. Sie war nicht nett zu uns, beschimpfte uns als Strolche. Jetzt zahlt sie. Und du verschwindest hier und störst nicht länger. Oder ich mache dir Beine, Captain.«
Er hatte meine Rangabzeichen erkannt und grinste voller Hohn.
Ich aber wusste nun endgültig Bescheid. Und so nickte ich nur und zog mein Pferd herum, tat so, als hätte er mit seinem Gewehr die Oberhand.
Doch ich zog das Pferd so herum, dass mein Revolver auf der ihm abgewandten Seite von ihm nicht zu sehen war. Ich bekam die schwere Waffe blitzschnell heraus und schoss quer an meiner Brust vorbei unter dem linken Arm hindurch.
Er bekam die Kugel voll in den Bauch und hatte keine Chance mehr.
Zwar feuerte er noch das Gewehr ab, aber die Mündung zielte nicht mehr auf mich. Er schoss vor der Veranda in den Boden.
Verdammt, da war es wieder. Ich war auf dem Heimritt, kam aus dem Krieg und wollte nicht mehr töten müssen. Und dennoch blieb mir nichts anderes übrig. Denn es ging ja noch weiter. Es war noch nicht vorbei. Dort drinnen in dem schönen, großen und nobel wirkenden Haus war eine Frau in Not. Es war die Frau meines Kameraden und Freundes Captain Claybrook, der ich die letzten Grüße des Sterbenden bringen sollte.
Ich hörte sie drinnen um Hilfe rufen. Sie hatte die Schüsse gehört und daran erkennen können, dass hier draußen vor dem Herrenhaus etwas im Gange war. Und so rief sie verständlicherweise.
Ich kam schnell aus dem Sattel, sprang die Stufen zur Veranda hoch, über den sterbenden Ex-Guerilla hinweg und glitt durch den offenen Portalflügel – ja, der Eingang war mehr als nur eine Tür – in die Empfangshalle hinein.
Eine geschwungene Treppe führte nach oben. Von dort kamen die Hilferufe der Frau. Sie befand sich also nicht im Erdgeschoss.
Als ich auf der fünften oder sechsten Treppenstufe war, erschien oben am Geländer ein Bursche, der von jenem, den ich erledigt hatte, der Zwillingsbruder hätte sein können. Ja, sie glichen sich, die Drecksäcke.
Er brüllte einen wilden Fluch auf mich nieder und versuchte es dann mit einem sogenannten Schnappschuss.
Doch darauf verstand ich mich besser. Ich war gewiss nicht stolz auf diese Fähigkeit, blitzschnell schießen und töten zu können. Doch während des Krieges hatte sie mir viel geholfen und mich am Leben erhalten.
Und so war es auch jetzt wieder. Ich sah, wie meine Kugel ihn in den Kopf traf und wie sein Oberkörper nach hinten fiel, also hinter dem Treppengeländer unsichtbar wurde.
Ich hetzte weiter und oben den Gang entlang bis zu einer offenen Zimmertür, aus der die Stimme der Frau rief: »Hier! Hier bin ich!«
Und da sah ich sie.
Man hatte ihr die Kleider vom Leib gerissen, doch sie musste sich heftig gewehrt haben. Wahrscheinlich hatten die Kerle sie grün und blau geschlagen, was sich aber erst am nächsten Tag richtig zeigen würde.
Als sie mich sah, deutete sie auf das offene Fenster: »Da ist er hinausgesprungen! Da hinaus und hinunter!«
Ich war mit drei oder vier Sprüngen am Fenster und sah ihn unten. Er schwang sich in diesem Moment auf eines der drei Sattelpferde. Er wollte weg, nichts wie weg.
Ich gab ihm keine Chance. Dieser verdammte Hurensohn hatte eine Lady überfallen und mit Hilfe von Kumpanen vergewaltigen wollen. Er gehörte zum letzten Dreck der Menschheit. In jeder Stadt hätte man ihn am Hals hochgezogen, bis kein Leben mehr in ihm gewesen wäre. Als ihn meine Kugel vom Pferd holte, dem er die Sporen geben wollte, da erlitt er im Vergleich zum Hängen einen barmherzigen Tod.
Es konnte keine Gnade für ihn geben.
Wir alle in unserem Land waren durch den Krieg längst nicht mehr die lieben Christenmenschen. Wir hatten zu viel Tote und Blutvergießen gesehen. Und so machte es mir nicht allzu viel aus, Richter und Vollstrecker der Todesstrafe zu sein.
So war das nun mal. Der Krieg hatte uns alle verändert.
Ich wandte mich wieder ins Zimmer zurück.
Und da sah ich sie endlich richtig. Ich konnte mir ja jetzt Zeit nehmen. Es war alles vorbei.
Fast nackt stand sie vor mir, aber sie zeigte Stolz, so als wäre sie sich ihres Zustandes nicht bewusst. Sie sah mir gerade und fest in die Augen. Es waren schwarze Augen, und ich erkannte darinnen eine Frage.
Mein Hut saß immer noch fest auf meinem Kopfe, und so nahm ich ihn ab und verbeugte mich leicht, wobei ich sagte: »Ma'am, ich bin Jones McConnor, der Freund und Kriegskamerad Ihres Mannes. Ich kam zum Glück noch im letzten Moment und bin sehr froh darüber.«
Als ich verstummte, nickte sie. »Ich weiß über Sie Bescheid, Jones«, sprach sie. »Mein Mann hat Sie in seinen Briefen oft erwähnt. Wann kommt er endlich heim?«
Ich zögerte mit meiner Antwort. Sie tat mir leid. O verdammt, was tat sie mir leid! Sie hatte soeben Schlimmes überstanden, war haarscharf an noch Schlimmerem vorbeigekommen, und nun sollte oder musste ich ihr Schmerz zufügen, Seelenschmerz.
Ich zögerte. Sie sah mir an, warum ich zögerte. Und da begann sie es bereits zu ahnen. Heiser fragte sie: »Oder wird er nicht mehr heimkommen können?«
Ich nickte stumm. Dann sprach ich leise: »Ich war bei ihm, als er starb. Wir ritten mit unseren beiden Schwadronen einen letzten Angriff gegen die Kanonen der Unionstruppen. Wir wollten General Lee eine bessere Verhandlungsbasis verschaffen. Er bekam die Kugel in die Brust und starb eine Stunde später. Er wurde mit allen Ehren bestattet. Er bat mich in seiner letzten Stunde, auf meinem Heimweg bei Ihnen vorbeizureiten. Es ist kein großer Umweg für mich. Es tut mir so leid, Ma'am, dass ich Ihnen diese Nachricht bringen muss. Die amtliche Nachricht wird gewiss erst in einigen Wochen kommen. Wir hatten zu viele Tote damals am letzten Tage bei Appomattox, eine Menge Gefallene.«
Ich sprach immer langsamer.
Und sie stand mit geschlossenen Augen mitten im Zimmer, nur noch mit den Fetzen ihrer Kleidung am Körper. Ich sah, wie das Zittern ihren ganzen Körper durchlief.
Dann sah sie mich wieder an.
»Sagen Sie nicht immer Ma'am zu mir, Jones McConnor. Für Sie bin ich Nancy. Ich stehe in Ihrer Schuld. Aber leider kann ich Ihnen keine besondere Gastfreundschaft bieten. Unsere einstigen Sklaven nahmen mir alles weg, auch fast alle Kleidung. Ich wäre schon längst fort, hätte ich nicht auf die Heimkehr meines Mannes gewartet. Aber ich werde wohl noch etwas zum Anziehen finden in unserem großen Haus.«
Sie blickte an sich nieder.
Ich murmelte: »Sie sollten vor allen Dingen auch Ihr Gesicht mit Wasser kühlen. Es wird anschwellen und sich verfärben. Ich werde die Toten wegschaffen.«
Nach diesen Worten ging ich an ihr vorbei und vermied es, sie anzusehen. Denn sie war ja halbnackt. Ich wusste, jetzt würden ihr meine Blicke unangenehm sein. Sie hatte ihren ersten Schock überwunden.
Ich trug den Toten die Treppe hinunter nach draußen. Und dort lagen die beiden anderen. Ein paar Schwarze waren von ihrem Wohnort herübergekommen. Drüben war es nun still geworden. Selbst die Betrunkenen lärmten nicht mehr.
Die Schwarzen – ehemalige Sklaven – starrten mich an. Es waren ältere Männer, einige schon grauhaarig. Einer fragte höflich: »Sir, ist Mrs. Claybrook etwas zugestoßen?«
»Nein«, erwiderte ich. »Die drei Schufte lebten nicht lange genug. Schafft sie fort und verscharrt sie irgendwo. Oder wollt ihr nicht?«
Sie verharrten noch und starrten mich an. Ich erkannte die Aufsässigkeit in ihren Augen und spürte auch einen Anprall von Feindlichkeit.
Der Sprecher sagte: »Sir, wir sind keine Sklaven mehr. Niemand kann uns Befehle geben, niemand! Wahrscheinlich werden wir diese Baumwollplantage übernehmen und in dieses schöne Haus hier einziehen. Wir Alten können die Jungen dort drüben nicht mehr lange friedlich halten. Die Lady sollte fortgehen von hier. Wenn die nächsten Plünderer kommen, wiederholt sich alles. Wenn wir die drei Toten jetzt verscharren, dann tun wir das nur, weil wir dafür ihre Waffen, ihre Pferde und ihre ganzen Habseligkeiten behalten als Lohn für die Arbeit. Wir arbeiten nur noch für Lohn oder für uns selbst, wenn uns dies alles hier gehört. Wir wurden all die Jahre ausgebeutet. Dafür steht uns eine Entschädigung zu, nicht wahr?«
Er fragte es zuletzt mit einem Klang von Spott.
Ich grinste ihn an und erwiderte: »Mr. Black, ich kann euch ja so gut verstehen. Das war schon immer so, wenn die Entrechteten und Unterdrückten die Macht bekamen. Dann wurde erst einmal alles zerstört. Ich wünsche euch viel Glück als freie Bürger unseres Landes. Ihr könnt nun endlich für euch selbst sorgen und werdet auch nicht mehr ausgebeutet. Ja, das ist schon was. – Aber eines der Pferde bleibt hier. Wenn die Lady von hier fort soll und sie dies auch will, dann brauche ich das Tier.«
Sie starrten mich wieder aufsässig an. Doch dann wurden sie sich endlich bewusst, dass ich drei gefährliche Ex-Guerillas und Plünderer getötet hatte. Sie wussten, wie locker mein schwerer Revolver saß und wie gut ich damit umgehen konnte.
Und noch waren sie kein johlender Mob. Sie waren die Alten. Aber vielleicht würden die Jungen dort drüben bald die Oberhand bekommen.
Ja, es wurde Zeit, dass Nancy Claybrook hier verschwand. Ihr Mann konnte nicht mehr heimkommen. Sie war allein auf der Plantage.
Ich verharrte noch, bis sie die drei Toten auf zwei der Pferde luden und mit ihnen abzogen. Dann ging ich wieder ins Haus.
Nancy Claybrook hatte sich inzwischen wieder einigermaßen hergerichtet. Sie trug nun einen alten Reitrock und eine verschlissene Flanellbluse. Ihr rotblondes Haar war unter einem schwarzen Tuch verborgen. Obwohl ihr Gesicht von den Schlägen angeschwollen war, sah man immer noch ihre Schönheit.
Sie sah mich an und sagte: »Nehmen Sie mich mit, Jones. Ja, ich weiß, dass ich von hier weg muss. Es gibt ja auch keinen Grund mehr, hier auf etwas zu warten. Ich hörte im Haus, dass Sie dafür sorgten, dass für mich ein Pferd vorhanden ist. Ich bin in wenigen Minuten fertig zum Abreiten. Vielleicht können Sie schon mal die Steigbügel etwas kürzer schnallen. Die drei Kerle waren alle sehr groß mit langen Beinen.«
Ich sah sie staunend an und erkannte, wie kühl und beherrscht sie war. Ja, sie besaß offenbar eine starke Lebenskraft.
»Oder wollen Sie mich nicht mitnehmen, Jones?«, fragte sie, weil ich noch schwieg und sie staunend betrachtete.
»Aber sicher reiten wir zusammen von hier weg«, erwiderte ich. »Sie können ja später – wahrscheinlich in einigen Monaten – nach hier zurück. Irgendwann werden die Besatzungsbehörden dieses Land wieder...«
»Nein, ich werde nie wieder nach hier zurückwollen«, unterbrach sie mich. »Das hier ist vorbei. Dieses Jahr wird es keine Ernten geben. Doch die Steuern werden noch sein. Wer keine Steuern zahlt, dessen Besitz wird versteigert. Yankees werden diese Plantage für einen lächerlichen Preis ersteigern. Warten Sie draußen mit den Pferden auf mich. Ich habe nur noch eine Kleinigkeit zu erledigen.«
Ich nickte und ging wieder hinaus. Die Steigbügel des Pferdes waren tatsächlich für sie zu lang, obwohl sie für eine Frau etwas mehr als mittelgroß war.
Ich musste nicht lange warten, dann kam sie heraus. Sie hatte nur eine lederne Reisetasche bei sich, die sie ans Sattelhorn hängte.
Dann saß sie geschmeidig auf. Ich erkannte, dass sie eine gute Reiterin war, die auch im Herrensitz reiten konnte. Sie gehörte also nicht zu den vornehmen und sich so edel gebenden Ladys der Plantagenaristokratie des Südens, jener Kaste, der auch ich bis vor dem Krieg angehörte. Denn der Name oder Begriff »Aristokratie« kommt ja aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie »Herrschaft der Besten«.
Und die Südstaaten-Sklavenhalter und Baumwollpflanzer hielten sich nun mal für die Besten und lebten auch so mit ihrer ganzen Arroganz.
Ich hatte mich während des Krieges verändert.
Wir ritten also an. Nancy Claybrook sah nicht einmal zurück, starrte nur vorwärts.
Aber als ich mich nach einer Viertelmeile umwandte, da sah ich das stolze und noble Herrenhaus lichterloh brennen.
Sie hatte also alles hinter sich abgebrannt.
Vom Dorf der Ex-Sklaven kam böses Johlen und folgte uns.
✰
Wir ritten einige Meilen schweigend. Dann sank vor uns die Sonne, denn wir ritten nach Westen. Hinter uns nahten sich die Schatten der Nacht.
Wir befanden uns immer noch in Virginia. Da und dort sahen wir die Zerstörungen des Krieges. Auch die Straße war bedeckt mit Resten von Fahrzeugen und allerlei Gerümpel. Pferdegerippe lagen da und dort. Es wurde nirgendwo auf den Feldern und Äckern gearbeitet.
Nancy fragte plötzlich: »Jones, wohin wollen Sie eigentlich?«
»Nach Tennessee«, erwiderte ich. »Heim zu meinen Eltern will ich. Und wohin wollen Sie, Nancy?«
»Zum Mississippi, zum großen Strom, der Lebensader unseres Landes«, erwiderte sie. »Dann reiten wir ja wohl noch ein Stück zusammen. Wenn ich eine Möglichkeit mit einer Postkutsche bekomme, verkaufe ich das Pferd. Ich will zum Mississippi.«
»Ah«, machte ich nur und versuchte mein Staunen zu verbergen.
Aber sie sprach: »Nun, Jones, dann fragen Sie doch endlich, was ich am Mississippi will. Sonst platzen Sie vielleicht noch vor Neugier.«
Sie sprach ziemlich grimmig. Aber das war ja wohl kein Wunder, denn sie war eine Frau, die alles verloren hatte und völlig neu anfangen musste. So wie ihr, so ging es gewiss noch anderen Plantagenbesitzerwitwen. Sie waren plötzlich allein und mussten sich vor ihren einstigen Sklaven fürchten. Ihre Verwalter und sonstigen Helfer liefen zumeist fort, denn besonders sie waren ja manchmal ziemlich hart mit den Sklaven umgegangen. Da gab es Auspeitschungen und die Jagd auf geflüchtete Sklaven mit Bluthunden. Diese Verwalter und Vorarbeiter hatten also besonders die Rache der Leibeigenen zu fürchten und machten sich überall rechtzeitig aus dem Staub.
Nancy Claybrook hatte also alles verloren.
Der ganze Besitz war jetzt gewiss hochverschuldet. Das Südstaatengeld war wertlos geworden. Einzig die neuen Yankeedollars bildeten die neue Währung. Und die Steuereintreiber der Sieger kannten keine Gnade.
Die einst so reiche Plantage war verloren, zumal keine Ernte eingebracht wurde in diesem Jahr. Die Ex-Sklaven dachten ja nicht daran, noch hart zu arbeiten. Sie waren ja jetzt frei und ihre eigenen Herren.
Sie wollte also zum Mississippi.
Ich tat ihr endlich den Gefallen und fragte: »Nancy, was wollen Sie am Mississippi?«
»Na also«, stieß sie hervor. »Nun wollen Sie es doch gerne wissen, Jones McConnor. Aber das zu erklären, ist eine längere Geschichte. Hat Ihr Freund, der mein Mann war, Ihnen nichts über meine Vergangenheit erzählt? Hat er Ihnen nicht geschildert, wie und wo er mich aus einem dunklen Loch herausgezogen hat?«
»Nein«, erwiderte ich. »Er hat mir nur immer gesagt, dass er die schönste und beste Frau der Welt bekommen hätte, aber sein großes Glück erst nach dem Krieg genießen und auskosten können würde. Er sagte mir nur, dass sie beide nur die Hochzeitsnacht zusammen waren.«
»Ja, das war vor zwei Jahren«, erwiderte sie. »Danach bekam er keinen Urlaub mehr. Ich sah ihn vor zwei Jahren zum letzten Mal. Eine lange Nacht gaben wir uns alles, was ein Paar sich in einer so kurzen Zeit nur geben kann. Wir wussten, es musste lange reichen oder es konnte die letzte und einzige Nacht sein. Er war ein wirklicher Gentleman, dieser Blake Claybrook. Ich wäre ihm eine gute Frau gewesen nach seiner Heimkehr, eine Geliebte, Freundin, Partnerin – alles, was er sich gewünscht hätte. Und ich war ihm die ganzen zwei Jahre treu. Das schwöre ich. Doch jetzt...«
Sie brach ab und sprach nicht weiter.
Und so ritten wir schweigend, bis die Nacht uns eingeholt hatte und wir anhalten mussten. Wir verließen die staubige Straße, auf der vor nicht langer Zeit noch die Truppen zogen. Ein Stück abseits fanden wir einen geschützten Platz in einer Senke, welche von Büschen umgeben war.
Als wir absaßen, sagte ich: »Hier in dieser Senke können wir sogar ein Feuer unterhalten, weil es nicht in weiter Runde zu sehen ist. Diese Nacht wird ziemlich frisch oder gar kalt werden. Es ist noch längst nicht Sommer.«
Sie erwiderte nichts, aber sie begann Holz zu sammeln, indes ich mich um die Pferde kümmerte.
Als wir dann am Feuer saßen, hatten wir nicht viel zu essen, eigentlich nur meinen Proviant.
»Meine Ex-Sklaven hatten mir alles aus dem Haus geholt«, sprach sie einmal, als sie den Speck kaute und den harten Zwieback im Wasserbecher etwas aufweichte.