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"Nun gut, Artie", murmelt Daniel Lane und zieht den Dollar aus der Tasche. Es ist der letzte Dollar, den er und sein Partner besitzen, und er wirft ihn in die Luft, sodass das gelbe Metall in der Abendsonne blitzt und funkelt. Denn es ist ein sehr blanker Dollar.
Als er dann zu Boden fällt, treten sie beide hinzu und blicken nieder. Artie Crow verzieht sein hübsches, verwegenes Gesicht zu einem Grinsen. "Ich habe gewonnen, Dan! Ich treibe unsere Rinder nach Clay City, nicht wahr?"
Daniel Lane betrachtet seinen um drei Jahre jüngeren Freund nachdenklich und mit deutlich erkennbarem Zweifel.
Artie Crow ist groß und prächtig gewachsen. Er ist wild und verwegen. Immer wieder treibt ihn etwas dazu an, das Glück herauszufordern. Ja, Artie Crow gehört zu jener Sorte, die vor nichts auf der Welt Respekt hat.
Aber darin liegt die Gefahr.
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Seitenzahl: 205
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Die wilde Stadt
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Impressum
Die wilde Stadt
»Nun gut, Artie«, murmelt Daniel Lane und zieht den Dollar aus der Tasche. Es ist der letzte Dollar, den er und sein Partner besitzen, und er wirft ihn in die Luft, sodass das gelbe Metall in der Abendsonne blitzt und funkelt. Denn es ist ein sehr blanker Dollar.
Als er dann zu Boden fällt, treten sie beide hinzu und blicken nieder. Artie Crow verzieht sein hübsches, verwegenes Gesicht zu einem Grinsen. »Ich habe gewonnen, Dan! Ich treibe unsere Rinder nach Clay City, nicht wahr?«
Daniel Lane betrachtet seinen um drei Jahre jüngeren Freund nachdenklich und mit deutlich erkennbarem Zweifel.
Artie Crow ist groß und prächtig gewachsen. Er ist wild und verwegen. Immer wieder treibt ihn etwas dazu an, das Glück herauszufordern. Ja, Artie Crow gehört zu jener Sorte, die vor nichts auf der Welt Respekt hat.
Aber darin liegt die Gefahr.
»Nun gut, Artie«, murmelt Daniel Lane und zieht den Dollar aus der Tasche. Es ist der letzte Dollar, den er und sein Partner besitzen, und er wirft ihn in die Luft, sodass das gelbe Metall in der Abendsonne blitzt und funkelt. Denn es ist ein sehr blanker Dollar.
Als er dann zu Boden fällt, treten sie beide hinzu und blicken nieder. Artie Crow verzieht sein hübsches, verwegenes Gesicht zu einem Grinsen. »Ich habe gewonnen, Dan! Ich treibe unsere Rinder nach Clay City, nicht wahr?«
Daniel Lane betrachtet seinen um drei Jahre jüngeren Freund nachdenklich und mit deutlich erkennbarem Zweifel.
Artie Crow ist groß und prächtig gewachsen. Er ist wild und verwegen. Immer wieder treibt ihn etwas dazu an, das Glück herauszufordern. Ja, Artie Crow gehört zu jener Sorte, die vor nichts auf der Welt Respekt hat.
Aber darin liegt die Gefahr.
Eines Tages – das weiß Daniel Lane – wird Artie Crow einmal geschlagen werden. Erst dann wird er die Grenzen seiner Fähigkeiten klar erkennen. Vielleicht wird Artie Crow dann endlich ein besonnener Mann werden.
Er nickt leicht: »All right, Artie, du hast gewonnen«, murmelt er.
»Mache dir nur gar keine Sorgen, Heldenvater«, sagt Artie grinsend. »Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und so weise wie eine alte Eule, die in einem Märchen auftritt. Ich werde alles richtigmachen. Daniel, ich schwöre dir, dass ich...«
»Schwöre nicht, Artie«, unterbricht er ihn trocken. »Du weißt selbst, was schlecht für dich ist.«
Nach diesen Worten wendet er sich um und geht auf die zweiräumige Blockhütte zu, die das Hauptgebäude ihrer kleinen und noch sehr jungen Rinderranch ist. Daniel Lane ist nur einen einzigen Zoll kleiner als Artie Crow, aber gut zwanzig Pfund schwerer. Er ist dunkelhaarig und hat ein ruhiges und dunkles Gesicht. Auch seine rauchgrauen Augen blicken stets ruhig und nachdenklich.
Nein, er wirkt nicht so hübsch und verwegen wie Artie Crow.
Aber in seinem Gesicht sind einige Zeichen von Kämpfen.
Und obwohl er erst achtundzwanzig Jahre ist, zeigt sein blauschwarzes Haar an den Schläfen schon einen grauen Schimmer.
Artie Crow trägt zwei Colts auf eine ziemlich herausfordernde Art. Überhaupt ist alles an Artie Crow herausfordernd. Seine ganze Erscheinung drückt immer wieder aus: »Hoi, hier bin ich, Artie Crow vom Brazos River in Texas! Wer will sein Glück gegen mich probieren?«
Ja, genau das drückt Artie Crows ganze Erscheinung aus. Es ist eine spielerische Herausforderung, die nicht böse gemeint ist.
Daniel Lane ist anders.
Und da man hier in diesem Land einen Mann auch danach beurteilt, wie und ob er einen Colt trägt, so muss gesagt werden, dass Daniel Lane keine Waffe trägt – jetzt nicht!
✰
Am anderen Morgen, bevor die Sonne aufgeht, setzen sie beide die kleine Herde in Marsch. Es sind siebenundfünfzig Tiere. Sie sind der erste Ertrag ihrer kleinen Rinderranch.
Wenn Artie in Clay City für jedes Tier zehn Dollar bekommt, werden sie beide von den fünfhundertsiebzig Dollar länger als ein Jahr leben können. Im nächsten Jahr werden sie mehr als hundert Tiere zum Verkauf treiben können.
Sie treiben die kleine Herde an diesem Tage etwa zwölf Meilen weit. Am anderen Tage schaffen sie nochmals zwölf Meilen. Und als sie dann ihr Abendessen eingenommen haben und die Sterne klar am Himmel stehen, da erhebt sich Daniel Lane und sattelt wieder sein Pferd.
Er sitzt auf und sagt zu Artie, der am Feuer auf den Absätzen hockt: »All right, mein Junge! Du kannst in drei Wochen in Clay City sein, aber ich gebe dir vier Wochen. Eine Woche gebe ich dir für den Aufenthalt in der Stadt und eine Woche für den Heimritt. Wenn du in sechs Wochen nicht zurück bist, lasse ich unsere Ranch ohne Aufsicht und komme nach Clay City. Hast du mich verstanden, Freund?«
»Genau«, erwiderte Artie. »Und du wirst lernen, dass ich schon in fünf Wochen bei dir bin und dir ein paar neue Hosen und ein prächtiges Hemd mitbringe. Mache dir nur keine Sorgen um den guten Artie. Der wird sich nicht betrinken, in keine Spielhalle gehen und sich auch nicht in ein Mädchen verlieben. Der gute Artie ist ein reifer und besonnener Mann, der sich ganz bescheiden und vernünftig benehmen wird, so, als hätte er eine Frau und sieben hungrige Kinderchen daheim, die sehnsüchtig auf seine Rückkehr warten.«
Er hebt die Hand und macht damit eine leichte Bewegung.
Daniel Lane erwidert diese lässige Geste.
Dann reitet er davon. Er wird vor Tagesanbruch wieder auf der Ranch sein. Vierundzwanzig Meilen sind für einen Reiter nicht viel.
Für eine so große Rinderherde sind es aber zwei Tagesstrecks, zumal die Rinder nicht an Gewicht verlieren dürfen.
✰
Und dann vergehen sechs Wochen, die für Daniel Lane mit harter Arbeit ausgefüllt sind.
Er braucht neue Corrals, bricht einige Wildpferde ein und kontrolliert immer wieder die Rinder auf seiner Weide.
Als es dann Nacht wird, sitzt er bis Mitternacht auf der Bank vor dem Blockhaus und wartet auf Artie Crows Heimkehr.
Am anderen Tage packt Daniel Lane sein Bündel und sattelt seinen narbigen Rappen.
Er blickt noch einmal in die Runde und atmet dann tief ein.
Bis zum nächsten Nachbarn sind es fünfundzwanzig Meilen. Als er vor das kleine Ranchhaus reitet, ruft Mary Brown ihren Mann und die beiden Söhne gerade zum Mittagessen.
Sie sieht Daniel Lane kurz an, schenkt ihm ein freundliches Lächeln und sagt: »Sie kommen richtig, Dan. Steigen Sie ab und sehen Sie zu, dass Ihnen meine Männer nicht alles wegessen.«
Er zieht den Hut, bleibt aber im Sattel. »Danke, Mary Brown. Aber ich habe es eilig. Vielen Dank!«
Dann sieht er John Brown und seine Söhne an, die inzwischen aus drei verschiedenen Richtungen aufgetaucht sind und ihn umgeben.
»Artie ist vor sechs Wochen mit einer Herde nach Clay City aufgebrochen«, sagt er ruhig. »Er ist nicht heimgekommen, und ich muss nun nachsehen, was ihn aufgehalten hat.«
John Brown ist ein untersetzter und ruhiger Mann. Er betrachtet Daniel Lane eine Sekunde lang und blickt dann auch auf den Colt, der jetzt an Daniels Seite hängt. Es ist eine alte und abgegriffene Waffe. John Brown sieht sie zum ersten Male.
Dann sagt er ruhig: »Sicher, Clay City soll ziemlich wild sein. Manchmal kommen Fremde hier vorbei, die von dieser Stadt erzählen. Ein Junge wie Artie kann dort sehr schnell Verdruss bekommen. Es wäre gut, Dan, wenn du nachsehen gehst. Meine Jungens werden später abwechselnd zu dir hinüberreiten und nach deinen Rindern sehen.«
»Danke, John«, murmelt Daniel Lane ernst und wendet sein Pferd.
Die Browns sehen ihm nach. Auch die Frau ist wieder aus dem Haus getreten.
Als er zwischen den Hügeln verschwindet, wischt John Brown sich über die Augen und sagt dann langsam: »Ich habe mich immer gewundert, warum er nie einen Colt trug. Er ritt immer nur mit einem Gewehr im Sattelschuh. Heute trug er einen Colt. Ich habe gesehen, wie er ihn trug. Jetzt weiß ich alles über unseren Nachbarn.«
»Was?«, fragt Fred, sein ältester Sohn. »Es war doch ein alter Colt, nicht wahr? Dan Lane hat sicherlich viele Stunden daran putzen müssen, um ihn vom Rost zu befreien.«
»Falsch, mein Junge!«, brummt John Brown. »Diese Waffe war niemals rostig. Dieser alte Colt wurde schon Jahre Tag für Tag sorgfältig gepflegt und in Ordnung gehalten. Ihr wisst, dass ich mir ein genaues Urteil darüber erlauben kann, weil ich ja gelernter Waffenschmied und Büchsenmacher bin. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen so gepflegten alten Colt gesehen.«
»Dann hältst du Daniel Lane für einen Revolvermann, der irgendwo einen bekannten Namen hat und hier auf dieser einsamen Weide eine kleine Ranch gründete, um in Vergessenheit zu geraten?«
»Ich habe ihn schon immer für einen Mann gehalten, der durch schlimme Kämpfe gegangen ist. In seinem Gesicht gibt es einige Zeichen. Einmal ritt ich zu ihm. Er wusch sich vor seiner Hütte den entblößten Oberkörper. Ich erkannte zwei Kugelnarben. Aber ich war mir immer im Zweifel, ob er diese Wunden im Kriege erhalten hatte oder bei anderen Kämpfen. Heute habe ich seinen Colt gesehen und die Art, wie er ihn trug. Jetzt weiß ich Bescheid.«
»Aber es ist ein guter Mann«, sagt Mary Brown von der Tür her. »Ich glaube nicht, dass er früher einer jener berüchtigten Revolverhelden und Banditen war. Eine Frau spürt das.«
John Brown zuckt mit den breiten Schultern.
»Er ist unser nächster Nachbar, und er war die beiden Jahre ein guter Nachbar. Auch Artie Crow war in Ordnung. Wir werden auf seine Rinder achten. Aber wenn diesem Artie Crow in der wilden Stadt Clay City etwas zugestoßen sein sollte, so wird es wohl für einige Leute dort bald einigen Kummer geben.«
✰
Bis nach Clay City sind es etwa dreihundert Meilen, die manchmal durch raues Land führen.
Daniel reitet diese dreihundert Meilen in sechs Tagen.
Als die letzte Nacht anbricht, erreicht er den Schienenstrang, folgt diesem und sieht dann bald die Lichter der Stadt.
Es ist etwa eine Stunde vor Mitternacht, als er die Verladecorrals erreicht. Vor der Stadt lagern einige Rinderherden. Die Verladecorrals sind mit brüllenden Stieren gefüllt.
Langsam reitet Daniel Lane am Verladebahnhof vorbei und erreicht die ersten Häuser.
Die Mainstreet ist ziemlich breit und mit knöcheltiefem Staub bedeckt. Alle Häuser sind aus Holz gebaut. Ihre oberen Stockwerke überdachen zumeist die Plankengehsteige. An den Haltebalken stehen viele Sattelpferde, besonders von den Saloons und Amüsierlokalen.
Und die ganze Stadt summt wie ein Bienenhaus. Dieses Summen setzt sich aus tausend verschiedenen Geräuschen zusammen.
Daniel Lane kennt das alles. Er war schon in Dutzenden solcher Städte: in Tombstone, Sante Fé, San Antonio, Hays City, Wichita, Abilene und Dodge City, um nur die größten und bekanntesten dieser wilden Städte zu nennen.
Ja, er kennt sich aus, und er weiß von all den Lastern, Leidenschaften und Schicksalen in diesen Städten.
Nun, Clay City ist noch nicht so groß wie Tombstone oder Dodge City, die durch die Rinderherden schnell zu Wohlstand kamen und zu Sündenhöllen wurden. Doch in Dodge City schafft jetzt der berühmte Marshal Wyatt Earp Ordnung.
Eines Tages wird er die Stadt gebändigt haben und dann mit seinen Brüdern und Doc Holliday nach Tombstone gehen. Das alles liegt noch in der fernen Zukunft.
Daniel Lane reitet also langsam die Mainstreet hinunter, und er erinnert sich wieder bitter an jene Zeit, da er in solchen Städten den Colt trug und sich damit seinen Lohn verdiente.
Mit kundigem Blick erkennt er bald, dass Clay City wild, zügellos und ungebändigt ist.
Cowboys ziehen in Gruppen von Lokal zu Lokal. Sie singen, sind laut und toben sich überall aus. Fast alle sind schon sehr betrunken. Manchmal werden Colts gegen den Sternenhimmel abgeschossen. Scharfe Schreie erklingen.
Vor einem Saloon prügeln sich einige Männer. Ein bunt gekleidetes Mädchen steht unter einer Laterne und schreit immer wieder schrill: »Jimmy! Jimmy, gib es ihnen nur richtig!«
Daniel Lane reitet ruhig weiter. Manchmal weicht er Fahrzeugen oder Reitergruppen aus und lenkt sein Pferd um betrunkene Männer, die auf die andere Seite der Fahrbahn wollen. Überall brennen Laternen, und vor den größten Amüsierhallen stehen sogar brennende Teerfässer.
Aus den Vergnügungshallen erklingt Lärm. Musik ist zu hören.
Daniel Lane bemerkt aber auch jene ruhigen Gestalten, die da und dort im Schatten der überdachten Gehsteige stehen oder an den Hauswänden lehnen.
Auch viele Geschäfte sind noch geöffnet.
Dies ist eine Stadt, in der es keine Sperrstunde gibt. Hier rollt der Dollar.
Hier gibt es Treibherdenboys, Viehaufkäufer, Satteltramps, Kartenhaie, Tanzmädchen, Revolverhelden, Banditen, Eisenbahner und geldgierige Geschäftsleute.
Vom Bahnhof her schrillt der Pfiff einer Lok. Dann fährt ein Zug ab, dessen Waggons mit brüllenden Rindern gefüllt sind.
Ja, hier rollt der Dollar. Hier geben die harten und wilden Burschen den tausendköpfigen Treibherden ihre schwer verdienten Dollars aus.
Diese Herdentreiber kamen zumeist von Texas herauf und waren mit ihren Longhorn-Rindern mehr als hundert Tage unterwegs. Texas ist immer noch voll von wilden Rindern, die jedes Jahr zu Hunderttausenden nach Norden getrieben werden, über den Brazos River, über den Wichita, über den Red River durch das Büffelland und das Indianergebiet, über den Canadian River und über den Cimarron River nach Kansas hinein.
All diese wilden Jungens, die hier ihren Lohn ausgezahlt bekommen, haben unterwegs oft dem Tode ins Auge sehen müssen.
Aber sie haben nicht nur gegen Indianer und Banditen gekämpft.
Sie erlebten Stampeden, Hochwasser, Trockenheit, Staub und Hitze, sie trieben ihre Herden durch Wüsten, über Gebirge.
Hier aber ist ihr Ziel.
Hier toben sie sich aus.
Sicher, sie sind wild, rau und hart.
Aber eine andere Sorte von Männern könnte wilde Longhorn-Herden nicht tausend Meilen durch raues Land bringen und Tag für Tag erneut ihr Leben riskieren.
Daniel Lane findet endlich den Mietstall. Als er durch das offene Tor in den Stall reitet und absitzt, beobachtet ihn der Stallmann, bleibt jedoch ruhig auf der Futterkiste sitzen. Es ist ein alter, grauer und falkenäugiger Mann.
»Sind Sie der Besitzer?«, fragt Daniel Lane.
»Genau! Ich bin Ike Monk. Was soll's denn sein, Fremder?«
Daniel Lane deutet auf das Brandzeichen seines Pferdes. »Haben Sie vor etwa drei Wochen einen Schecken mit diesem Brand in Ihrem Stall gehabt, Mister?«, fragt er sanft.
Der Alte betrachtet ihn eine Weile und blickt auch auf Daniels alten Colt. Dann sieht er Daniel ins Gesicht und erwidert: »Ich habe diese Frage erwartet, als ich das Brandzeichen Ihres Rappen sah, Fremder. Yeah, ich hatte das Pferd hier noch eine Weile im Stall. Vor drei Tagen verkaufte ich das Tier mit Sattel. Es fraß hier Futter, das niemand bezahlte.«
»Und der Besitzer? Ich meine den großen, blonden Mann, der dieses Tier bei Ihnen einstellte? Was ist mit ihm?«
Der Stallmann zögert und kaut an seinem breiten Schnurrbart.
»War das Ihr Freund, Fremder?«
»Und mein Partner! Er musste mit einer kleinen Rinderherde hier angekommen sein.«
»Und er war ein ziemlich wilder Junge, der dem Teufel gern einige Haare aus dem Schwanz riss?«, fragte Ike Monk.
»Yeah.«
»Das hat er auch hier in unserer lieben Stadt getan«, murmelt Ike Monk. »Er nannte sich Artie Crow, nicht wahr? Dieser Name steht auf dem Totenschein, den der Doc ausstellte.«
Als Daniel Lane diese Worte hört, senkt er den Kopf.
Sein starker Körper erzittert unmerklich. So steht er eine Weile neben seinem großen, staubigen und müden Pferd.
Der alte Ike beobachtet ihn genau, und weil er schon viele harte Männer gesehen hat, weiß er einige Zeichen gut zu deuten.
✰
Daniel Lane denkt in diesen kurzen Sekunden an Artie Crow. Sie hatten sich vor Jahren am Brazos River in einem wilden Camp kennengelernt. Artie steckte damals in einer Klemme, weil er eine Royal Flush in der Hand hatte und seine Spielpartner diesen Royal Flush nicht anerkennen wollten, da im Pokerpott mehr als tausend Dollar lagen.
Artie hätte gegen die vier wilden Jungens keine Chance gehabt, wenn Daniel Lane sich nicht eingemischt hätte.
Und seit diesem Tage blieben sie zusammen. Artie blieb immer der leichtsinnige und verwegene Junge, auf den Daniel Lane aufpassen musste wie auf einen kleinen Bruder.
Und jetzt soll er tot sein.
»Warum habe ich Narr ihn reiten lassen?«, murmelt Daniel bitter. »Ich hätte wissen müssen, dass ihn die zwei Jahre auf der einsamen Weide nicht verändert hatten.«
Er hebt den Kopf und blickt Ike Monk an.
»Wollen Sie mir die Geschichte nicht genauer erzählen?«
Ike Monk betrachtet ihn nun nochmals. »Warum nicht«, murmelt er. »Fast alle Leute in Clay City könnten Ihnen diese Geschichte erzählen. In meinem Alter wird ein Mann zumeist geschwätzig und hört sich gerne reden. Aber versorgen Sie lieber erst Ihr Pferd. Es hat ein Recht darauf. Der linke Vorderhuf muss sicherlich beschlagen werden.«
»Ich habe keinen einzigen Cent in der Tasche«, erwidert Daniel.
»Das macht nichts. Ich habe das Pferd und den Sattel Ihres Freundes verkauft. Abzüglich der Summe, die Artie Crow mir schuldig war, bekommen Sie noch achtundfünfzig Dollar heraus.«
Da nickt Daniel und folgt dem Stallmann mit dem Rappen bis zu einer leeren Box. Beide versorgen sie dann schweigend das müde Tier. Dann kehren sie zu dem Vorraum zurück und nehmen auf der Futterkiste Platz.
»Yeah, Artie Crow kam mit einer Herde und verkaufte sie«, murmelt Ike Monk dann sanft. »Er kam jeden Tag in den Stall, um nach seinem Pferd zu sehen. Und jedes Mal sagte er mir, dass es ihm in dieser Stadt gefiele, und er leider schon morgen heimreiten müsste. Das sagte er mir jeden Tag, und so vergingen zehn Tage. Er hatte auch Glück im Spiel und trug mehr als zweitausend Dollar in seinen Taschen herum. Er war ein tüchtiger Junge. Am elften Tag erkannte er wohl das größte Geschäft seines Lebens.«
Hier macht der Alte eine Pause und betrachtet Daniel von der Seite her, als müsste er ihn nochmals abschätzen.
»Hier in unserer Stadt war der Whisky alle«, sagte er dann. »Ein Zug war entgleist, und der Waggon mit der Whiskyladung wurde restlos zertrümmert. Diese Stadt war ohne Schnaps. Und das war schlimm für alle durstigen Jungens. Artie Crow erkannte seine Chance. Er telefonierte schon mit Kansas City, bevor die Saloonwirte hier richtig Bescheid wussten. So kam es, dass Artie Crow hier plötzlich zum Zwischenhändler von Schnaps, Wein und Bier wurde. Ich weiß nicht, wie er es fertiggebracht hatte, aber jeder Tropfen Feuerwasser, der nach Clay City kam, gehörte ihm. Alle Sendungen waren an ihn gerichtet. Die Wirte hier in unserer Stadt und sogar der große Darren McMahon mussten sich an Artie wenden, wenn sie ihre durstigen Gäste zufriedenstellen wollten. Binnen weniger Tage hatte Artie Crow mehr als zehntausend Dollar verdient.«
»Und dann tötete ihn jemand?«, fragt Daniel Lane rau.
»Yeah, man fand ihn in einer Gasse.«
»Ausgeplündert?«
»Nun, er hatte drei Dollar in der Tasche. Das ist alles, Fremder. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Es wäre gut, wenn Sie mich jetzt nicht danach fragen würden, wer Ihren Freund getötet haben könnte.«
»Aha, es gibt also irgendwelche Vermutungen?«
»Wenn Sie lange genug in dieser Stadt sind, werden Sie schnell herausfinden, welchen Mann Artie Crow sich zum Gegner gemacht hatte. Aber das geht mich nichts an. Das müssen Sie selbst herausfinden. Wollen Sie einen kostenlosen Rat von mir, Fremder?«
»Yeah. Mein Name ist Daniel Lane.«
»Well, Dan Lane, mein Rat lautet: Reiten Sie schnell wieder fort. Es wird nicht lange dauern, dann wird jemand herausfinden, dass Ihr Pferd den gleichen Brand wie Artie Crows Tier trägt, und dann bekommen Sie eine Menge Verdruss, junger Freund. Sie können Artie Crow nicht mehr lebendig machen.«
Daniel Lane erwidert nichts.
Er nimmt wortlos sein Bündel auf und will den Stall verlassen.
»He, Sie bekommen noch das Geld für Artie Crows Pferd«, sagt der Alte hinter ihm.
Daniel hält inne. »Geben Sie mir fünfzig Dollar, und behalten Sie den Rest als Vorschuss für Futtergeld und Stallmiete.«
Der Stallmann schlurft zu seinem Büroverschlag in der Ecke.
Er zündet dort drinnen eine Lampe an. Durch das Fenster kann Daniel sehen, wie Ike Monk seine Geldkassette öffnet.
Als Daniel den Kopf wieder wendet, sieht er im offenen Stalltor einen Mann stehen, der ihn aufmerksam betrachtet. Der Mann trägt einen Prinz-Albert-Rock, ein weißes Hemd, eine Samtschleife und einen breiten Hut mit sehr flacher Krone. Er kommt in den Stall hinein, sieht Daniel scharf an und geht den Gang entlang. Als er die Box erreicht, in der Daniels Rappe steht, hält er an, wirft einen Blick auf das Brandzeichen und kehrt wieder um.
»Willkommen in unserer Stadt, Mr. Lane«, sagt er sanft. »Ich bin Rick Bakalyan und habe hier ein Anwaltsbüro. Artie Crow hat meine Dienste in Anspruch genommen. Ich glaube, wir waren in der kurzen Zeit ziemlich gute Freunde geworden. Er hat mir viel von Ihnen erzählt, Mr. Lane.«
Daniel betrachtet den Mann eingehend.
Ike Monk kommt aus seinem Büroverschlag geschlurft und drückt ihm fünfzig Dollar in die Hand. Dabei sagt er: »Ihr Artie Crow hat wohl immer sehr schnell Freundschaften geschlossen, Daniel Lane?«
»Das hat er. Er war ein großes Kind«, erwidert Daniel und betrachtet den Anwalt immer noch aufmerksam. Er kann wirklich nicht sagen, dass ihm dieser Rick Bakalyan gefällt. Der Anwalt wirkt eher wie ein Kartenhai aus einem Spielsaloon. Er hat ein langes Pferdegesicht und zu kurze Lippen, die seine gelben Zähne sehen lassen, sodass es aussieht, als grinste er ständig. Er hat zwei kleine schwarze Augen, die ständig nach allen Seiten blicken und so unruhig sind wie die eines misstrauischen Bastardhundes.
»Wozu brauchte Artie Crow Ihre Hilfe?«, fragt Daniel ruhig.
»Selbst der tüchtigste Geschäftsmann braucht die Hilfe eines guten Anwalts«, erklärt Rick Bakalyan milde. »Und Artie Crow war einige Tage sehr erfolgreich.«
»Kennen Sie seinen Mörder?«, fragt Daniel plötzlich, und er sieht, wie der Mann leicht zusammenzuckt und einen halben Schritt zurückweicht.
»Oh, Sie reiten sehr schnelle Pferde, Mister!«, erwidert der Anwalt scharf. Er reißt sich dann jedoch zusammen und sagt ruhiger: »Es wird nicht schwer für Sie sein, herauszufinden, wer Interesse daran hatte, dass Artie Crow keine Geschäfte mehr machen konnte.«
Nach diesen Worten greift er an die Hutkrempe und geht hinaus.
Daniel sieht den Stallmann an.
Doch der wendet sich plötzlich ab und geht in seinen Verschlag zurück.
Daniel atmet aus, schwingt sich sein Bündel über die Schulter und verlässt den Stall.
Er betritt den Plankengehsteig auf der Straße und geht darauf entlang, bis er zum Eingang eines Hotels kommt.
Imperial Hotel
Besitzer D. McMahon
Das steht auf dem Schild. Ein Mann tritt aus der Dunkelheit einer Nische. Seine Glieder knacken. Es ist der Anwalt Rick Bakalyan. Er geht an Daniel vorbei und sagt: »Die ganze Stadt gehört ihm, und er musste von Artie Crow teuren Whisky kaufen.«
Dann ist der Anwalt vorbei. Daniel Lane aber blickt nochmals auf den Namen.
D. McMahon.
Daniel liest diesen Namen und denkt dabei an Rick Bakalyans Worte. Und da weiß er auch schon Bescheid. Plötzlich kennt er sich aus, denn er begreift, dass auch diese Stadt ihren großen Mann hat. Das ist fast überall so. Dieses Schema ändert sich nie. Überall gibt es einen Big Boss, gegen den alle anderen nur Wichte sind. Manchmal ist dieser Big Boss ein guter Mann, manchmal gehört er jedoch zu jener Sorte, die ewig hungrig ist und umso hungriger wird, je weiter sie kommt und je größer sie wird.
Ja, Daniel hat seine Erfahrungen.
Er fragt sich, ob dieser Darren McMahon ein guter oder schlechter Mann ist.
Nachdenklich betritt er das Hotel. Hinter dem Anmeldepult sitzt ein alter Mann. Dieser alte Mann wirkt sehr verschlafen, aber er wird ganz plötzlich hellwach, so, als wäre ihm ein Schrecken in die Glieder gefahren.
Er starrt den späten Gast an wie einen Geist. Dabei schnappt er nach Luft und keucht: »Oh, was ist das?«
Daniel Lane betrachtet Hank Bennett ernst. Ja, er kennt ihn, und er weiß auch und ist darauf vorbereitet, dass es in dieser wilden Stadt hier mehr als einen Mann geben wird, dem er bekannt ist.
Wilde Städte wie Clay City gleichen gewissermaßen Sammelplätzen, zu denen bestimmte Sorten von Männern streben, die nichts anderes als Hechte in Karpfenteichen sind.
Auch hier in Clay City sind solche Männer.
Daniel Lane, der seiner Vergangenheit entkam und mehr als zwei Jahre auf einer einsamen Weide lebte, hat nun einen Schritt getan, der ihn wieder aus der Vergangenheit treten ließ.
Er sagt zu Hank Bennett: »Nun, Bennett, wir kennen uns gut, nicht wahr?«
»Ich dachte, Sie wären tot«, krächzt der alte Mann. »Zum Teufel, Sie leben wohl länger als sieben Katzen?«
Daniel Lane grinst. Er dreht das Anmeldebuch herum und trägt sich darin ein.
Daniel Lane, LC-Ranch, Osage Creek, Kansas.
Dann streckt er die Hand aus und murmelt: »Zimmerschlüssel, Bennett.«
Der gehorcht. Als Daniel Lane die Treppe hinaufgegangen ist und oben die Tür klappt, setzt Hank Bennett sich in Bewegung. Er verlässt das Hotel und betritt wenige Minuten später durch die Hintertür ein bestimmtes Haus.
In einem Raum, der halb als Büro und halb als Wohnzimmer eingerichtet ist, sitzen einige Männer beim Pokerspiel.