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Eines Tages hatten wir unseren letzten Kaffeesatz zum dritten Male gekocht und auch keinen Tabak mehr. Meinem Bruder Jack war das recht. Er grinste, und in seinen braunen Augen war ein Funkeln. Er sagte: "Nun muss wohl doch endlich mal jemand von uns im nächsten Store einkaufen, nicht wahr? Dafür bin ich der richtige Bursche. Kein Mensch kann so gut und so preiswert einkaufen wie ich. Carlos kannst du nicht schicken, Großer. Der ist unter weißen Christenmenschen verloren. Also müssen wir zwei es unter uns auslosen." Er holte unser letztes Centstück hervor und warf es Carlos zu.
Carlos war ein Vollblutapache mit Missionsschulbildung. Er war auch richtiger Christ geworden und hasste deshalb das Töten. Deshalb zog er nicht mit seinen wilden Brüdern umher. Aber unter weißen Christenmenschen konnte er sich auch nicht so richtig wohl fühlen.
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Seitenzahl: 209
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Ein Tag zum Sterben
Vorschau
Impressum
Ein Tag zum Sterben
Eines Tages hatten wir unseren letzten Kaffeesatz zum dritten Male gekocht und auch keinen Tabak mehr. Meinem Bruder Jack war das recht. Er grinste, und in seinen braunen Augen war ein Funkeln. Er sagte: »Nun muss wohl doch endlich mal jemand von uns im nächsten Store einkaufen, nicht wahr? Dafür bin ich der richtige Bursche. Kein Mensch kann so gut und so preiswert einkaufen wie ich. Carlos kannst du nicht schicken, Großer. Der ist unter weißen Christenmenschen verloren. Also müssen wir zwei es unter uns auslosen.« Er holte unser letztes Centstück hervor und warf es Carlos zu.
Carlos war ein Vollblutapache mit Missionsschulbildung. Er war auch richtiger Christ geworden und hasste deshalb das Töten. Deshalb zog er nicht mit seinen wilden Brüdern umher. Aber unter weißen Christenmenschen konnte er sich auch nicht so richtig wohl fühlen.
Und überdies zahlten viele Städte hier im Südwesten zu beiden Seiten der Grenze für Apachenskalpe Prämien. Es gab nicht wenige Skalpjäger, die alles umlegten, was Skalpe trug, die wie Apachenskalpe aussahen.
Oha, es war schon eine verdammte Zeit.
Carlos grinste, als er das Centstück fing. Ich wählte die Zahl – und dann verlor ich auch schon an Jack, nachdem die Münze am Boden landete.
Ich sah meinen Bruder Jack an. Er war ein hübscher Bursche, blond und braunäugig. Er hatte ein kühngeschnittenes Gesicht und eine kleine Narbe an der linken Wange. Jack war damals dreiundzwanzig Jahre, einsachtundachtzig groß und neunzig Kilo schwer. Während des Krieges hatte er es in der Konföderierten-Armee zum Fähnrich gebracht, und das war erst drei Jahre her.
Ich sah ihn nicht ohne Sorgen an, denn er war ein Bursche, der sich durch Kühnheit behauptete, stets eine Menge wagen musste und immer an seinen Sieg glaubte.
Ich sagte: »Die nächste Stadt ist Red Mesa, und das sind stramme fünfzig Meilen durch zumeist raues Land. Nimm die drei zugerittenen Pferde mit und pass auf, dass du unterwegs nicht wie ein blöder Hammel die Wolle verlierst. Und wenn du in Red Mesa bist, dann denke daran, dass es dort in dieser miesen Stadt genug Hombres gibt, die nur darauf warten, dass sie jemanden rasieren können. Verkaufe die Pferde so schnell du kannst und halte dich dann in Red Mesa nur solange auf, wie du brauchst, um einzukaufen für uns. Keinen Whisky, keine Spiele, keine Mädchen. Hast du verstanden?«
Er nickte und grinste, und ich wusste, dass er von den sechzig Dollar, die er wahrscheinlich für die drei zugerittenen Wildpferde bekommen würde, zumindest fünf bis zehn auf den »Kopf hauen« musste. Ja, musste! Denn es würde ihn zu sehr jucken.
Aber eigentlich war er ein Bursche, der für sich sorgen konnte und meiner Ratschläge nicht bedurfte.
Zehn Minuten später verließ er unser Camp. Wir hatten hier ein Rudel Wildpferde in einer Schlucht, die wie ein natürlicher Corral war. Ein paar erst hatten wir zureiten können. Die drei besten davon nahm er mit.
Er winkte uns noch einmal zurück.
Dann war er fort.
Und ich sah Carlos – unseren Helfer – an.
Carlos grinste.
»Der kommt schon wieder«, sagte er, und er sprach die englische Sprache ausgezeichnet und konnte sich besser ausdrücken als so mancher Weiße in diesem Lande. »Jack wird ein wenig Spaß mitnehmen – so für eine Nacht. Aber dann wird er zurückgeritten kommen. Bestimmt.«
Ich nickte. Denn das glaubte ich auch.
Und dann nahm ich mein Lasso und ging in die Schlucht, um ein neues Wildpferd herauszufangen. Diese Biester ritten sich nicht selber zu. Da musste man schon seine Knochen riskieren.
Auch Carlos ging wieder an die Arbeit.
Übrigens – mein Name ist Spain, Ben Spain, und Jack, den wir nach Red Mesa schickten, war mein kleiner Bruder.
Ich hätte damals lieber selbst nach Red Mesa reiten sollen.
Dann wäre das alles nicht gekommen, und...
✰
Wir hatten noch mehr als fünfzig Wildpferde in der Schlucht und arbeiteten immer wieder mit jedem Tier. Denn wir brachten die Biester nicht nur grob ein, sondern ritten sie richtig zu, sodass später fast jeder Reiter mit ihnen zurechtkommen konnte. Vor allen Dingen brachten wir den Tieren bei, dass sie nicht fortlaufen durften, sobald die Zügelenden am Boden lagen. Das war wichtig in diesem Lande. Ein Pferd durfte nicht fortlaufen. Für abgerichtete Pferde dieser Art bekam man einen besseren Preis, und eigentlich verdiente man letztlich an solcher Arbeit mehr als beim Wildpferdfang.
Wir arbeiteten hart in diesen Tagen von früh bis spät und blieben allein in der Einsamkeit des Wildpferdlandes – einsam, was Menschen betraf. Und das war ein Glück, denn es gab wilde Apachen, für die Carlos ein Abtrünniger war und die uns gerne die Pferde abgenommen hätten. Es kamen auch immer wieder mexikanische Banditen über die Grenze, und es gab auch Geächtete und all die anderen zweibeinigen Wölfe diesseits der Grenze, für die eine fast schon zugerittene Wildpferdherde etwas war, wofür man ein paar Kugeln riskieren konnte.
Als der fünfte Tag dem Ende entgegenging, da erwarteten wir, Jack jeden Moment vom großen Canyon her auftauchen zu sehen.
Wir hatten jetzt nicht nur keinen Kaffee und keinen Tabak mehr, sondern auch kein Salz, keinen Pfeffer – nichts mehr.
Aber Jack kam nicht. Ich fluchte einmal und sagte zu Carlos: »Wenn der sich in Red Mesa beim Whisky, beim Spiel und bei einer Chita vergessen hat und uns deshalb hier warten lässt, dann...«
»Er hat sich bestimmt nicht vergessen«, sagte Carlos, denn er mochte Jack gern und verstand sich gut mit ihm. »Vielleicht hat er die Pferde nicht so schnell verkaufen können. Oder vielleicht begann auf dem Rückweg sein eigenes Tier zu hinken. Es gibt doch so sehr viele Möglichkeiten, warum ein Mann in diesem Lande sich verspäten kann, nicht wahr?«
Ich nickte und machte mir weiter Sorgen. Nun sagte mir schon mein Instinkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich bekam mehr und mehr eine unheilvolle Ahnung.
Dann rechnete ich mir immer wieder aus: Hinweg mit den ledigen Pferden eineinhalb bis zwei Tage. Einen Tag für den Pferdeverkauf und die Einkäufe im Store. Einen Tag und eine Nacht etwas Spaß im Saloon. Und dann einen langen Tag für den Rückritt.
Das machte fünf Tage.
Verdammt noch mal, warum kam Jack nicht?
Als er auch am sechsten Tage nicht kam, war alles klar für uns. Nun wussten wir, dass etwas passiert sein musste.
Aber da gab es viele Möglichkeiten. Ihm konnte schon auf dem Hinweg etwas zugestoßen sein. Er war vielleicht in eine Apachenbande geritten.
Und dann war es möglich, dass er in Red Mesa Verdruss bekam oder auf dem Rückweg Ärger hatte.
Als die Nacht anbrach, sagte ich zu Carlos: »Wenn er in dieser Nacht nicht kommen sollte, reite ich morgen los.«
Er nickte nur – und dann legten wir uns in unserer Zweighütte zur Ruhe.
Es war eine geräumige Zweighütte an einer Wasserstelle. Unsere Hütte hielt etwas die Morgenkühle und den Tau ab. Und bei Tage schützte sie um die Mittagszeit vor den erbarmungslosen Sonnenstrahlen.
Ja, in diesem Lande war alles irgendwie erbarmungslos – sogar die Sonne, wenn sie so richtig brannte. Es gab hier in diesem Lande eigentlich nur Jäger und Gejagte unter allen Lebewesen. Aber es war auch ein schönes Land mit prächtigen Sonnenauf- und -untergängen, mit leuchtenden Farben und gewaltiger Erhabenheit.
Es war eben Arizona, und selbst der Nachthimmel schien hier prächtiger und strahlender zu sein als anderswo. Aber es gab hier Klapperschlangen und Skorpione, Apachen und erbarmungslos kalte Nächte nach sengend heißen Tagen.
Nun, wir legten uns also auch in der sechsten Nacht wie immer in unserer Zweighütte zur Ruhe. Ich erwachte mehrmals in der Nacht und lauschte. Ich dachte an meinen Bruder und hoffte, ihn zu später Nachtstunde noch kommen zu hören.
Doch er kam nicht.
Als ich dann kurz vor Morgengrauen die merkwürdigen Geräusche hörte und alle anderen gewohnten Geräusche ausblieben – zum Beispiel die Schreie der jagenden Nachtfalken und das Rascheln des Kleingetiers –, da wusste ich, dass jemand gekommen und dicht in der Nähe war. Aber es war nicht mein Bruder Jack. Denn dieser würde sich durch einen Ruf oder Pfiff angemeldet haben.
Ich flüsterte leise: »Carlos, heh, Carlos.«
»Ja, ich weiß«, sagte dieser ebenso leise. »Da ist Besuch in der Nähe. Sie haben uns eingekreist und warten auf das erste graue Tageslicht – und dass wir aus der Hütte kommen.«
Ich schwieg, denn er hatte alles gesagt, und er wusste es schon besser als ich. Einem erfahrenen Apachen – und dem besten Wildpferdjäger, den ich kannte – konnte ich nichts vormachen in dieser Hinsicht.
Ich dachte nach und wurde mir darüber klar, dass man unser Camp genau gekannt hatte. Also waren wir entweder schon bei Tage beobachtet worden – oder jemand hatte die genaue Lage unseres Camps beschrieben.
Ich nahm meinen Colt und mein Remington-Revolving-Carbine-Gewehr. Dann kroch ich hinaus. Carlos folgte mir, und wir brauchten uns nicht erst zu verständigen. Da wir die Umgebung unseres Camps so gut kannten, dass wir uns in dunkelster Nacht zurechtfinden konnten, wussten wir auch, wo für uns die besten Deckungen und Möglichkeiten zum Überleben waren.
Ich kroch etwa zwanzig Schritte weit auf die Schlucht zu. So war ich zwischen unseren dort eingesperrten Pferden und jedem Angreifer. Ich fand gute Deckung zwischen ein paar Felsbrocken und Büschen.
Und dann wartete ich.
Der graue Morgen kam langsam, doch er kam.
Und dann sah ich die Hombres.
Es waren drei zu sehen, und es waren Weiße, keine Apachen also. Es waren auch keine mexikanischen Banditen oder gar Bandoleros.
Nein, es waren Burschen angloamerikanischer Abstammung. Dies erkannte ich schon an ihren Hüten, ihrer Kleidung. Sie waren im Dreieck um unsere Hütte verteilt, etwa so vierzig Schritte entfernt. Sie hatten sich gute Positionen ausgewählt und standen etwas erhöht, sodass sie freies Schussfeld für ihre Gewehre hatten.
So warteten sie, dass jemand aus der Hütte kommen würde, und sie waren bereit, ihre Gewehre hochzureißen und zu schießen.
Oha, sie hielten sich für erfahrene Hombres, die mit anderen Hombres Katze und Maus spielen konnten.
Aber bei uns waren sie nicht richtig.
Ich wusste, dass auch Carlos alles sah und bereit war. Und so wartete ich. Denn die drei schussbereiten Hombres mussten doch mal ungeduldig werden.
Der graue Morgen wandelte sich zum Tage. Die Sonne war im Westen noch hinter all den vielen Mesas verborgen. Sie schleuderte nur ein paar Strahlen gen Himmel – oder zumindest das Blitzen eines Widerscheines davon.
Die drei uns aus irgendeinem Grunde so feindlich gesinnten Besucher warteten nun nicht länger mehr. Wahrscheinlich hielten sie uns für Langschläfer, die erst aus ihren Decken krochen, wenn die Sonne schon schön wärmte.
Einer hob seine Waffe, und da die anderen ihn sehen konnten, taten es auch sie. Dann begannen sie zu schießen.
Oh, sie waren gut bewaffnet. Sie hatten die gleichen Waffen wie wir, nämlich 44er-Revolving-Carbine-Gewehre von der Firma Remington.
Damit konnte man auf diese Entfernung eine Postkutsche in Fetzen schießen, und durch eine Zweighütte mit zwei Segeltuchplanen pfiffen die Bleikugeln wie Steine durch ein Gebüsch, nur mit mehr Durchschlagskraft.
Die drei Hombres konnten sich ausrechnen, dass wir in dieser Hütte nicht viel Spielraum haben konnten. Es war für drei Killer also eine scheinbar einfache Sache.
Aber nicht mehr lange. Denn nachdem sie etwa ein Dutzend Kugeln herausgepfeffert hatten, machten wir mit. Denn das wurde jetzt Zeit. Sie mussten jetzt endlich merken, dass sie auf eine leere Hütte feuerten. Und deshalb würden sie sich im nächsten Moment schon in Deckung werfen.
Ich erwischte zwei – und Carlos einen.
Dann gingen wir nachsehen.
Einer – es war jener, den ich zuerst von seinem Felsen holte, von dem er so schön auf unsere Hütte schießen konnte – lebte noch.
Er sah mich bitter an. Und ich sagte: »Amigo, das war gar keine gute Idee von euch. Und warum eigentlich? Warum wolltet ihr uns zur Hölle schicken?«
Er grinste verzerrt, und es ging ihm nicht gut. Deshalb kniete ich bei ihm nieder, um nach seiner Wunde zu sehen. Carlos ging einen Moment fort. Er brachte in seinem Hut Wasser von der Quelle, und er brachte es schnell.
Als ich dem Manne die Jacke öffnete – denn er hatte sie zugeknöpft, weil es ja noch recht kalt war an diesem grauen Morgen –, da sah ich den Sheriffs-Stern.
Deputy
Red Mesa
Das stand auf dem Stern zu lesen. Es war kein besonderer Stern, sondern solch ein Ding, welches ein Waffenschmied aus dem Boden einer Konservendose schneiden konnte. Die Buchstaben waren etwas unordentlich eingepunzt.
Aber es blieb dennoch die Tatsache, dass der Mann ein Hilfs-Sheriff aus Red Mesa war.
Wir ließen ihn trinken, obwohl er einen Bauchschuss hatte. Aber ihm war nicht mehr zu helfen, so weit von einem Arzt entfernt in der Wildnis. Ich kannte das aus dem Kriege. Er würde binnen einer Stunde tot sein.
Aber wenn er ein Hilfs-Sheriff war, warum hatte er uns dann mit den beiden anderen Burschen in der Hütte zusammenschießen wollen? Das machte ein Gesetzesmann doch nicht – oder?
Als er getrunken hatte, grinste er immer noch – doch jetzt nicht mehr ganz so verzerrt.
»Da staunst du wohl, Ben Spain«, sagte er. »Bevor sie in Red Mesa deinen kleinen Bruder hängten und er noch daran glaubte, seine Unschuld beweisen zu können, verriet er uns genau, wo wir dich finden könnten. Aber jetzt ist er tot. Und Johnny Quade, dem er so ähnlich sah – fast wie ein Zwilling – lebt noch. Heh, Ben Spain, bleib fort von Red Mesa. Geh nicht dorthin. Oder...«
Er kam nicht mehr weiter.
Er starb von einem Atemzug zum anderen.
Und ich war ihm dankbar bei aller Bitterkeit, und obwohl er Carlos und mich hatte killen wollen.
Ich war ihm dankbar, obwohl er mir die Nachricht vom Tode meines Bruders brachte. Denn er hatte mich wenigstens gewarnt. Er hatte mir auch einen Namen genannt.
Da gab es einen Johnny Quade, dem mein Bruder Jack ähnlich sah wie ein Zwilling. Aber meinen Bruder hatten sie gehängt, und er wollte offenbar seine Unschuld dadurch beweisen, dass er mich als Zeugen angab und deshalb die Lage unseres Camps verriet. Aber sie hatten ihn dennoch gehängt. Und sie waren nicht hergekommen, um mit uns zu reden – sondern um uns zu töten.
Heiliger Rauch, was war da in Red Mesa passiert?
Und jetzt erst traf es mich wie ein Schlag, dass mein Bruder tot war.
Oh, er war nicht im Kampf gestorben – auch nicht, weil er von einem Pferdebiest fiel und sich das Genick brach. Auch in die Hände von Apachen fiel er nicht.
Er war nur in die Stadt Red Mesa geritten und war dort aus irgendeinem Grunde vom Gesetz verurteilt und gehängt worden.
Ja, es traf mich wie ein Hammer.
Und ich konnte eine Weile überhaupt nicht denken.
✰
Noch bevor die Sonne richtig heiß wurde, ritt ich los. Wir hatten in den vergangenen Tagen ein Dutzend Pferde zugeritten. Ich teilte sie mit Carlos und sagte dann zu ihm: »Jetzt trennen sich unsere Wege, Amigo. Denn ich ziehe in den Krieg gegen eine verdammte Bande weißer Hombres. Und dabei kann ein Apache selbst dann nicht gewinnen, wenn er auf der Siegerseite kämpft. Mein Kampf ist nicht deiner, Carlos. Nimm deinen Anteil an den Pferden und reite irgendwohin, nur nicht mit mir. Und bleib nicht hier, um die anderen Wildpferde zuzureiten. Bleib nicht an diesem Ort. Denn die bösen Town-Wölfe von Red Mesa werden nachsehen kommen, wo ihre drei Hombres blieben. Die kommen bestimmt hier nachsehen. Wenn sie dann hier einen Apachen erwischen...«
Ich brauchte ihm die Sache gar nicht weiter auszumalen. Er nickte, und er wusste auch, dass er als Apache ohnehin so gut wie vogelfrei war. Er konnte sich nicht in meinen Verdruss einkaufen.
»Ich mochte Jack gern«, sagte er. »Und ich würde ihn gerne rächen helfen. Aber wenn du mit mir in die Nähe von Red Mesa kommst, wissen die Leute dort schnell Bescheid. Und einem Weißen, der mit einem Apachen reitet, traut man nicht. Ich werde mit meinen Pferden nach Mexiko hinüber reiten. Den Rest der Herde lassen wir frei.«
Wir gaben uns dann die Hand. Und dann ritt ich also davon und hatte ein halbes Dutzend unserer prächtigsten Pferde an der Leine.
Sie waren mein einziges Kapital, und ich musste sie erst verkaufen, wollte ich nach Red Mesa. Ohne Geld war ich dort nur ein Tramp.
✰
Ich kam erst zehn Tage später nach Red Mesa. Das hatte seinen Grund, denn ich musste meine Fährte verwischen und meine sechs zugerittenen Wildpferde weiter entfernt verkaufen. Ich fand in Santa Rosa einen Käufer, und das war hundertfünfzig Meilen von Red Mesa entfernt. Weiter wollte ich nicht reiten – und vielleicht war das ein Fehler und nicht weit genug.
Aber es zog mich mit Ungeduld nach Red Mesa, wie man sich gewiss denken kann. Obwohl ich meinen armen Bruder dort nicht mehr lebendig machen konnte, wollte ich doch brennend gerne die Einzelheiten über seinen Tod erfahren.
Und dann würden die Leute dort in Red Mesa noch an mich denken.
Ich war kein kleiner Pintscher. Das war schon mein kleiner Bruder Jack nicht gewesen, doch ich war zumindest eine ganze Nummer besser – etwa so besser, wie ein älterer und erfahrenerer Wolf eben besser ist als ein junger, der erst noch ein paar Lektionen lernen muss, die nur das Leben erteilt.
Für die sechs Pferde hatte ich hundertundfünfzig Dollar erhalten. Jedes Tier brachte also fünfundzwanzig Dollar ein. Das war viel Geld in dieser Zeit so kurz nach dem Kriege. Ein Cowboy konnte froh sein, zwanzig Dollar im Monat zu verdienen. Ein Dollar war wirklich in dieser miesen Zeit fast so groß wie ein Wagenrad.
Also war ich mit meinen hundertfünfzig Böcken gar kein so armer Bursche.
Red Mesa lag im Licht der Abendsonne recht friedlich vor mir. Der rote Tafelberg, nach dem die kleine Stadt ihren Namen hatte, erhob sich im Osten des Ortes gen Himmel. Es war eine mächtige Mesa mit aufsteigenden Terrassen, auf denen Grün wuchs zwischen roten Felsen. Ein paar Schluchten durchbrachen diesen gewaltigen Tafelberg – und sie waren nur winzige Risse in diesem Klotz. Es gab noch weitere Mesas in weiter Runde, so an die zehn, fünfzehn oder gar zwanzig Meilen entfernt. Sie lagen zerstreut auf einer Ebene mit Senken, Canyons und tausend unübersichtlichen Winkeln. Aber keine dieser anderen Mesas war so mächtig und so schön.
Im Scheine der Abendsonne wirkte dieser Klotz wie mit Purpurfarbe angemalt oder gar mit Ochsenblut.
Wenn man die Stadt so friedlich und nett unter diesem Klotz liegen sah, da erhielt man irgendwie den Eindruck, dass dort bescheidene, friedliche und gottesfürchtige Menschen leben mussten. Denn sie hatten doch ständig einen erhabenen Anblick im Osten der Stadt – diesen gewaltigen Klotz, der ihnen immerzu gegenwärtig sein ließ, wie klein sie doch waren in dieser Welt, und wie dankbar und ehrfürchtig sie die Gnade zu empfangen hatten, leben zu dürfen.
Aber sie hatten dort meinen Bruder gehängt.
Und anstatt bei uns im Camp sein Alibi nachzuprüfen, waren sie gekommen, um uns in der Hütte in Fetzen zu schießen. Oha, diese Stadt dort musste böse sein.
Ich konnte von meinem noch etwas erhöhten Haltepunkt über die Stadt hinwegsehen und erkannte auch noch all die Wege und Pfade, die von ihr ausgingen wie die Fäden eines Spinnennetzes, welches an vielen Stellen aufgehängt wurde von einer großen und erfahrenen Spinne.
Ich ritt weiter und dachte über die Menschen nach, die im Umkreis dieser Stadt lebten. Und immer war mir der Name gegenwärtig, den der sterbende Deputy genannt hatte: Johnny Quade!
Diesem Johnny Quade hatte mein Bruder so ähnlich gesehen wie ein Zwilling dem anderen.
Nun, ich würde ihn mir ansehen, diesen Johnny Quade.
Und dann würde ich schon irgendwie herausbekommen, warum man meinen Bruder für ihn gehängt hatte. Die Jury, die meinen Bruder für schuldig sprach, und der Richter, der das Todesurteil fällte – und schließlich der Henker, sie alle würden schon noch herausfinden, dass sie einen Tiger am Schwanze packten und die Sache nicht zu Ende war, sondern jetzt erst richtig begann.
Eine halbe Stunde später – es war schon in der frühen Dämmerung – zeigte mir das Schicksal wieder einmal mehr, zu welchen Späßen es manchmal fähig war. Wir Menschen nannten das dann stets Zufall.
Ich kam auf einem Seitenpfad zur Post- und Wagenstraße und erreichte eine Brücke. Sie führte über einen Creek, der sich tief in den Boden gefressen hatte.
Und drüben lag die Stadt, in deren Häusern schon die ersten Lampen brannten.
Hinter mir waren plötzlich Reiter. Sie kamen schnell aus der Dämmerung. Sie ritten rau und verwegen, ganz und gar wie ein wildes Rudel, welches Wetten darauf abschloss, wer zuerst an der Bar stehen wird.
Das kannte ich. Auch ich war in jüngeren Jahren mit anderen wilden Jungens aus ähnlichen Gründen um die Wette geritten.
Als ich den ersten Reiter in der Dämmerung erkannte, spürte ich einen heftigen Schock.
Denn ich glaubte wahrhaftig, dass dieser Bursche mein Bruder Jack war.
Die Ähnlichkeit war unheimlich.
Für einen Sekundenbruchteil war die Hoffnung in mir, dass dies wirklich Jack wäre und er gar nicht gehängt wurde. Es war ein wilder, jäher und zugleich freudiger Schrecken.
Aber er währte nur einen Sekundenbruchteil.
Dann erkannte ich, dass es nicht Jack war.
Überdies erkannte mich der Bursche nicht. Im Gegenteil, er schrie heiser: »Platz da, du Hammel!«
Und dann schlug er mit den langen Zügelenden zur Seite. Vielleicht wollte er nur mein Pferd treffen, damit es erschreckt einen Seitensprung machte – aber es war ihm wahrscheinlich ganz egal, was er traf.
Er traf mich mit einem Zügelende auf die Wange – und das andere, welches etwas kürzer war, traf meinen Handrücken. An den Enden dieser langen Zügel waren Metallspitzen. Manche Reiter liebten das. Wenn sie dann diese Zügelenden nach rechts und links hinter sich schlugen, trafen sie Schenkel und Flanken des Pferdes schmerzvoll. Dann dienten die Zügelenden als Peitschenersatz.
Mein Pferd machte einen Sprung zur Seite.
Und die Reiter drängten über die Brücke. Die Hufe donnerten auf den starken Balken. Es waren fünf Reiter, und sie fegten drüben in die Stadt und wirbelten den Staub auf. Sie stießen wilde und verrückte Schreie aus, sodass man fast meinen konnte, sie wären eine angreifende Apachenhorde.
Ich aber hielt immer noch vor der Brücke und strich mit den Fingerspitzen über die Wange. Das Metallende der Zügelleine hatte meine stoppelbärtige Wange aufgeschlitzt; ich spürte das klebrige Blut.
Und ich fühlte in mir den bösen, wilden und heißen Zorn. Ich bekam ihn schnell unter Kontrolle, aber er blieb in mir. Er legte sich nicht. Er wurde nur kalt und unversöhnlich.
Das war also dieser Johnny Quade. Kein anderer konnte es sein. Denn es gab auf dieser Welt gewiss nicht noch einen dritten Mann dieses Aussehens. Es war Johnny Quade, von dem ich vermutete nach den Worten des sterbenden Deputy-Sheriffs, dass mein Bruder an seiner Stelle gehängt wurde.
Dieser Johnny Quade hatte mich geschlagen, sodass mir das Blut über die Wange lief.
Ich ritt auf die Brücke.
Und ich ritt langsam.
Dieser Johnny Quade und ich, wir waren füreinander bestimmt. Der konnte mir gar nicht entkommen. Ich wusste, dass ich ihn an der Whiskytränke oder an einem Spieltisch finden würde.
Denn dieser Bursche war nach Red Mesa gekommen, um sich zu amüsieren.
Anders konnte es nicht sein.
Ich ritt bei zunehmender Dunkelheit in den Hof des Mietstalles und kam vor das offene Doppeltor des Gebäudes. Drinnen brannten Laternen, und als ich mein müdes Pferd in den Vorraum führte, da kam ein alter und krummer Bursche zum Vorschein, dem man ein langes Leben im Sattel ansah und der nun wohl nicht mehr reiten konnte, weil sein Rückgrat schon zu schlimm gestaucht wurde und sein Rheuma selbst hier im warmen Südwesten nicht besser geworden war.
Aber er hatte noch zwei falkenscharfe, helle und kluge Augen. Mochte ein langes Reiten und Leben in Wind und Wetter ihm auch den Körper ruiniert haben, sein Auge und sein Verstand waren noch in Ordnung.
Er nickte und warf einen Blick auf das Brandzeichen meines Pferdes. Aber das war neutral. Ich war nicht so dumm, um auf einem Pferd zu kommen, welches das gleiche Brandzeichen wie das Pferd meines Bruders trug.
Er stellte keine Fragen. Ein Blick auf mein Pferd genügte ihm. Denn ich ritt ohne Sporen.
»Das Beste, was dieser Stall zu bieten hat«, sagte ich und nahm meine Sattelrolle und die Satteltaschen herunter.
Er nickte und sah auf meine immer noch blutende Wange.
Vielleicht konnte er außer der Platzwunde auch noch eine Strieme erkennen wie von einem Peitschenhieb.
»Ich werde eine Weile bleiben«, sagte ich. »In welchem Hotel kommt man gut unter?«
»Im kleinsten«, sagte er. »Bei Jennifer Cannon hat man es am besten – wenn man aufgenommen wird. Sie hat einen Blick dafür, wen sie aufnehmen kann und wen nicht. Versuchen Sie es mal. Ich wette, Sie werden aufgenommen.«
»Und warum würden Sie wetten?«
»Ich bin Frank Lorne, und ich mag Reiter, die ohne Sporen reiten.«
Er nahm mein Pferd am Halfter und wollte es wegführen.
Aber ich sagte: »Da kamen soeben ein paar brüllende Hombres in die Stadt. Wer war das?«
Er sah mich wieder auf seine scharfe und kluge Art an, und ich spürte, dass er jetzt schon erriet, woher die blutende Wunde an meiner Wange war.
»Das war Little Johnny mit seinen Spielgefährten«, sagte er. »Das war Big Jim Quades einziger Sohn. Gehen Sie dem nur aus dem Wege wie einem Skorpion. Das ist ein guter Rat, Mister.«