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Lance Scott arbeitet seit vielen Tagen hart an seinem Floß. Mit einem Frachtwagen kam er vor fast zwei Wochen hier an. Die kleine Siedlung am Fluss heißt Lost River Lodge. Eine Woche lang fällte Lance Scott auf den bewaldeten Hängen Bäume und zog sie dann mit seinem Maultiergespann abwärts bis zum Flussufer. Dann begann er das Floß zu bauen.
Nun ist es fast fertig.
Manchmal hält er inne und betrachtet sein Werk. Er ist ein großer blonder, hagerer Mann in Lederkleidung, der sich wunderbar leicht und geschmeidig bewegt und dem die Arbeit keinerlei Mühe bereitet, so schwer sie auch sein mag. Manchmal nimmt er seinen schwarzen Stetson ab, der so gar nicht zu seiner befransten Lederkleidung passt, und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
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Seitenzahl: 181
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Lost-River-Partner
Vorschau
Impressum
Lost-River-Partner
Lance Scott arbeitet seit vielen Tagen hart an seinem Floß. Mit einem Frachtwagen kam er vor fast zwei Wochen hier an. Die kleine Siedlung am Fluss heißt Lost River Lodge. Eine Woche lang fällte Lance Scott auf den bewaldeten Hängen Bäume und zog sie dann mit seinem Maultiergespann abwärts bis zum Flussufer. Dann begann er das Floß zu bauen.
Nun ist es fast fertig.
Manchmal hält er inne und betrachtet sein Werk. Er ist ein großer blonder, hagerer Mann in Lederkleidung, der sich wunderbar leicht und geschmeidig bewegt und dem die Arbeit keinerlei Mühe bereitet, so schwer sie auch sein mag. Manchmal nimmt er seinen schwarzen Stetson ab, der so gar nicht zu seiner befransten Lederkleidung passt, und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
Und dann schweift sein Blick auch den Uferhang hinauf bis zur Veranda des großen Blockhauses, in dem sich ein Store und ein Gasthaus befinden.
Auf der Veranda sitzen drei Männer. Das tun sie schon seit einigen Tagen. Es hat den Anschein als wären sie Müßiggänger, deren ganzer Lebenszweck oder -sinn es wäre, andere Menschen bei der Arbeit zu beobachten. Zumeist rauchen sie. Dann und wann holt einer Bier aus dem Gasthaus.
Es ist Spätsommer. Das Laub beginnt sich zu färben, und es tut wirklich gut, hier so dicht an diesem wilden Fluss auf der Veranda zu sitzen.
Als Lance Scott wieder einmal bei der Arbeit innehält und zu ihnen hinaufblickt, da sagt einer von ihnen zu den beiden anderen: »Das wird nicht einfach mit dem da. Der ist eine harte Nummer.«
»Das sind wir auch – jeder von uns«, erwidert ein anderer lässig.
Und der dritte Mann ihres Kleeblatts nickt dazu. Schließlich öffnet er doch seinen hartlippigen Mund und murmelt: »Und wir sind zu dritt. Er aber ist verdammt allein, nicht wahr?«
Da nickten sie alle drei, und es herrscht irgendwie ein grimmiges oder gnadenloses Einverständnis zwischen ihnen.
Wieder schweigen sie eine Weile und sehen dem Mann unten am Ufer zu, der nun wieder seine Arbeit aufgenommen hat.
Ja, sie sind drei harte Burschen, so hart wie dieses Land hier in den Bitter Roots des nordwestlichen Montanas, schon fast in Idaho.
Aus der Tür hinter ihnen tritt nun eine Frau.
Auch sie kam vor einigen Tagen hier an und fand Arbeit im Gasthaus, weil die Frau des Storehalters und Gasthauswirtes im neunten Monat schwanger ist und fast stündlich darauf wartet, dass es »losgeht«, wie sie manchmal sagt.
Es ist eine mehr als nur hübsche Frau, die vor einigen Tagen von irgendwoher auf einem Maultier angeritten kam.
Nun geht sie mit zwei Holzeimern zum Fluss hinunter, um dort Wasser zu holen.
Die drei Hartgesottenen sehen ihr nach, bis sie außer Hörweite ist. Dann murmelt einer: »Die hätte ich gerne einen langen Winter in meiner Hütte und unter meiner Decke. Die wäre mal was anderes als eine Squaw, nicht wahr? Ich wette mit euch, dass die da nur äußerlich so blond und kühl wirkt. Unter ihrer Oberfläche brennt sicher ein heißes Feuer, das nur mühsam von ihr niedergehalten wird. Ja, ich möchte...«
»Verkneif es dir«, unterbricht ihn einer der beiden anderen Kerle. »Wir wollen nicht noch Ärger mit dem Wirt und dessen Gehilfen. Wir werden schon genug Ärger mit dem da unten bekommen, wenn wir ihm klarmachen, dass er das schöne Floß allein für uns gebaut hat. Vielleicht schafft er sogar einen von uns.«
»Wir müssen ihn einkeilen«, spricht einer. »Wenn wir ihm klarmachen, dass er ohne Lohn nur für uns gearbeitet hat, dann müssen wir ihn vorher eingekeilt haben. Er darf keine Hoffnung mehr auf die kleinste Chance haben.«
Nun nicken sie alle drei, und sie sind ein aufeinander eingespieltes Kleeblatt.
Indes hat die Frau – nein, sie ist gewiss kein Mädchen mehr, obwohl noch jung an Jahren – mit den beiden Holzeimern den Wasserrand erreicht, nicht weit entfernt von dem arbeitenden Mann, der sich Lance Scott nennt.
Er hält inne mit der Axt in der Hand und sieht sie an. Seinen Blick erwidert sie fest und schenkt ihm eine etwas herbes Lächeln.
Dann spricht sie: »Die drei bösen Pilger dort oben wollen Ihr Floß.«
»Ich weiß.« Er lächelt. »Die sind zu faul und zu dumm, um ein Floß zu bauen, das diesen wilden Fluss besiegen kann. Die müssen versuchen, sich eines zu stehlen. Aber machen Sie sich keine Sorgen um mich, Ma'am.«
Sie erwidert nichts und füllt erst beide Holzeimer mit dem klaren, reinen Wasser des rauschenden Flusses, der wenig weiter zwischen zwei steilen Felswänden mit gewaltigem Druck wie durch eine enge Röhre abwärts schießt.
Ein Boot könnte sich in den wirbelnden Strudeln gewiss nicht halten. Doch ein breites und flaches Floß, dem es nichts ausmacht, wenn es über die Klippen rutscht, hat da sehr viel größere Chancen als ein Boot.
Bevor die junge Frau die beiden Holzeimer aufnimmt, spricht sie noch einmal einige Worte mit ruhiger Stimme: »Wenn Sie nur mit meiner Hilfe überleben und das Floß behalten können, dann wird uns das zu Partnern machen, Mister. Dann werden Sie mir was schuldig sein.«
Nach diesen Worten geht sie den mäßig ansteigenden Hang hinauf. Die beiden mit Wasser gefüllten Eimer, die gewiss nicht leicht sind, trägt sie mühelos. Dabei ist sie nur mittelgroß für eine Frau und wiegt wahrscheinlich nicht mehr als hundertzwanzig Pfund, eher etwas weniger.
Auf der Veranda grinsen die drei Kerle sie an.
»Schwesterchen«, sagt einer, »das hätten wir für Sie getan. Für ein Lächeln und ein freundliches Bitten würden wir sogar noch mehr als das tun. Und bisher waren alle Schönen dieser Erde mit uns sehr zufrieden. Haben wir denn gar keine Chancen bei Ihnen?«
Sie verhält kurz und sieht sie der Reihe nach an.
»Nein«, erwidert sie, »keiner von euch hat eine Chance.«
In ihrer Stimme ist ein Klang, der ihren Worten noch einen tieferen Sinn zu geben scheint, und den scheinen die drei Kerle nun plötzlich zu spüren.
Und so nehmen sie ihre Blicke von ihr und richten sie auf den Mann dort unten am Ufer, wo das Floß nun fertig ist. Es schwimmt im Fluss, ist festgemacht mit zwei Leinen, die hinauf zu zwei Bäumen reichen.
Der Mann beginnt den Frachtwagen zu entladen. Dieser Wagen steht dicht beim Floß, ebenfalls am Ufer. Lance Scott muss die Ladung nicht weit tragen. Er beginnt sie auf dem Floß zu verstauen und festzubinden. Das dauert länger als eine Stunde. Zum Schluss deckt er alles mit der Wagenplane zu und zurrt auch sie gründlich fest.
Den Wagen und auch das Gespann hat er schon vor Tagen dem Besitzer dieser Siedlung verkauft.
Man sieht ihm nun an, dass er fertig ist.
Er zieht sich die Handschuhe aus.
Die ganze Zeit trug er diese Handschuhe, so als legte er besonderen Wert darauf, seine Hände zu schonen und sie nicht von der schweren Arbeit zu hornig werden zu lassen.
Und stets hatte er sein Gewehr in Reichweite.
Nun nimmt er seinen Revolvergurt vom Fahrersitz des Wagens und wirft ihn sich mitsamt dem Colt im Holster um die Hüften.
Es ist eine lässige und doch so schnelle Bewegung.
Einer der drei Kerle auf der Veranda pfeift leise durch die Zähne.
»Habt ihr das gesehen?« So fragt er heiser.
Die beiden anderen nicken stumm.
Aber dann entschließen sie sich im stillschweigenden Einverständnis. Sie verlassen die Veranda und gehen Lance Scott entgegen. Genau in der Mitte zwischen Flussufer und Gasthaus treffen sie sich, halten an.
Die Entfernung zwischen ihnen beträgt kaum zehn Yard.
Einige Sekunden lang herrscht noch Schweigen.
Dann spricht einer der drei Hartgesottenen: »Du hast es gewiss schon geahnt, Bruderherz, nicht wahr? Wir wollen dein schönes Floß. So gut hätten wir es niemals zusammenzimmern können. Du verstehst wirklich eine ganze Menge vom Floßbau. Zimmere dir ein neues zusammen. Es kostet dich nur zwei Wochen.«
Nach diesen Worten weichen sie auseinander. Die beiden Partner des Sprechers rechts und links von diesem wollen Lance Scott umgehen. Und so wird er bald schon richtig eingekeilt sein, sie nicht mehr alle drei vor sich haben.
Er kann nicht mehr warten. Denn sonst muss er sich nach drei Seiten verteidigen.
Und so zieht er, gibt damit zugleich auch ihnen das Zeichen.
Sie brüllen auf und schnappen nach ihren Waffen.
Drei gegen einen sind sie, aber das war schon oft so auf ihren rauchigen Wegen und der ständigen Suche nach Beute.
Die Revolver beginnen zu krachen.
Lance Scott ist schnell, so schnell, wie ein Revolvermann nur sein kann. Ja, es wird in dieser Sekunde – dieser schwarzen Sekunde – klar, dass er ein Revolvermann ist.
Doch das sind die drei bösen Pilger ebenfalls, wenn auch gewiss von der schlechten und bösen Sorte, die man verächtlich Revolverschwinger nennt.
Lance Scott schafft zwei der drei Kerle.
Als er herumwirbelt, um seinen Revolver auf den dritten zu richten, da hört er bereits den Knall einer Schrotflinte.
Und er sieht, wie die Ladung, die aus beiden Läufen kommt, den dritten Mann ohne Gnade von den Beinen fegt.
Die Frau steht auf der Veranda, wird umweht vom Pulverdampf.
Es ist vorbei.
Er weiß, dass er den dritten Gegner gewiss nicht mehr geschafft hätte. Sie hat ihm diesen Gegner abgenommen.
Er verdankt ihr eine Menge. Ja, er ist ihr – so wie sie zuvor schon sagte – etwas schuldig.
Die Leute der Siedlung kommen da und dort zum Vorschein.
Luke Harris, der hier der Boss ist, tritt aus dem Store.
Er starrt zu Lance Scott herüber: »Das musste so kommen!«, ruft er bitter. »Darauf steuerte alles zu, verdammt!«
Er blickt zu der jungen Frau hin, welche immer noch auf der Veranda verharrt, die abgefeuerte Schrotflinte in den Händen.
»Sally, warum haben Sie sich da eingekauft?«, ruft er bitter.
»Weil er mich nun auf seinem verdammten Floß mitnehmen muss nach Lost River City« erwidert sie. »Weil er mir das nun schuldig ist.«
Es herrscht einige Sekunden lang Schweigen.
Die drei Hartgesottenen, die sich das Floß erobern wollten, liegen bewegungslos im Gras des Hanges.
Die Leute der Siedlung verharren noch.
Die Frau aber, welche der Storehalter und Wirt Sally nannte, spricht herb zu Lance Scott hin: »Ich hole mein Gepäck. Es dauert nur wenige Sekunden. Fahren Sie nicht ohne mich ab!«
Er verharrt, weiß noch nicht, was er tun soll.
Ja, er steht in ihrer Schuld.
Aber kann und soll er sie mitnehmen, diesen wilden Fluss hinunter, der sich irgendwo in den Bitter Roots verirrt, verliert?
Er blickt auf Luke Harris. »Zwischen uns ist wohl alles klar, Harris?« So fragt er.
Dieser nickt nur, deutet dann auf die drei leblosen Gestalten. »Wir werden sie beerdigen, so wie es Christenpflicht ist, obwohl sie gewiss keine Christen waren. Wir werden ihre Pferde und ihre Siebensachen als Entgelt für unsere Mühen betrachten. Viel Glück, Lance Scott. Auf diesem verdammten Fluss braucht man verdammt viel Glück.«
Lance Scott nickt nur und wendet sich seinem Floß zu.
Er hat schon eine Leine gelöst, als Sally mit ihrem wenigen Gepäck angelaufen kommt. Auch ein Gewehr ist dabei. Sie wirft alles auf das Floß und macht die zweite Leine los. Als sie aus dem flachen Wasser auf das Floß springt, da tut sie es mit einer geschmeidigen Bewegung.
Und sofort übernimmt sie das vordere Steuerruder.
Lance Scott steht hinten und drückt das Floß in die Strömung hinein, die es dann erfasst. Nun geht es flussabwärts in rasender Fahrt.
Sie haben beide sofort mit ihren Steuerrudern eine Menge zu tun, um das Floß um die Biegungen und zwischen den Klippen hindurch zu bringen. Es ist von Anfang an ein Kampf gegen den wilden Fluss.
Aber es ist der einzige Weg nach Lost River City.
✰
Sie arbeiten sofort von Anfang an wie ein gut aufeinander eingespieltes Paar, ganz so, als wären sie schon sehr lange Partner auf diesem wilden Fluss.
Ihre Steuerruder sind nichts anderes als etwa sechs Yard lange Stangen, an deren Ende schaufelartige Ruderblätter angebracht sind.
Sie müssen damit nicht rudern, um vorwärtszukommen. Das besorgt die starke Strömung für sie. Nein, es geht allein darum, dass sie ihr Floß auf Kurs halten und auch um Hindernisse herumlenken.
Mit den langen Stangen können sie eine Menge Druck ausüben, so wie es ja das Hebelgesetz, »Kraft mal Kraftarm« in ihrem Fall, ermöglicht. Mit diesen langen Steuerrudern arbeiten sie gewissermaßen wie mit Brechstangen.
Und diese junge und mehr als nur hübsche Frau versteht sich darauf. Er würde eine Menge darauf wetten, dass sie auf einem Fluss und unter Holzfällern und Flößern aufgewachsen ist.
Sie ist ihm also von Anfang an ein guter Partner.
Nun bedauert er es nicht mehr, dass er sie mitgenommen hat, weil er sich in ihrer Schuld fühlte.
Dennoch macht er sich einige Sorgen. Und so fragt er sich immer wieder: Verdammt, was will sie in Lost River City? Was will sie in dieser verdammten, bösen und erbarmungslosen Stadt, welche eigentlich nur ein großes, böses Camp ist? Ja, was will sie dort?
Das sind immer wieder in seinen Gedanken die Fragen, indes sie flussabwärts sausen. Manchmal schrammt das Floß über Klippen, die jedem Boot längst schwere Schäden zugefügt, es aufgeschlitzt haben würden. Dann wieder stoßen sie gegen Felsen, weil sie trotz ihrer Steuerruder nicht rechtzeitig um diese Hindernisse herumkommen. Es ist ein ständiger Kampf mit dem Fluss.
Das Floß aber hält alles aus. Es ist wahrhaftig solide und fest zusammengefügt.
Manchmal rufen sie sich etwas zu.
Aber erst nach etwa einer Stunde brüllt er die Frage: »He, Blondie, wie heißt du eigentlich? Willst du mir nicht endlich deinen Namen sagen?«
»Den müsstest du eigentlich längst wissen!«, ruft sie über die Schulter nach ihm zurück. »Schließlich lebten wir ja einige Tage und Nächte auf der Lost-River-Lodge-Station, nicht wahr? Hat es dich nie interessiert, wie ich heiße?«
»Nein!«, ruft er durch den Lärm des tosenden Flusses zurück. »Ich hatte genug mit dem Bau dieses Floßes zu tun und musste ständig die drei Strolche im Auge behalten. Ich interessierte mich nicht für Frauen!«
Er hört sie lachen. Dann ruft sie zurück: »Sally, Sally Brown ist mein Name, ein Allerweltsname, nicht wahr?«
»Ein schöner Name für eine schöne Frau«, erwidert er laut genug gegen den brüllenden Fluss. »Ich bin Lance, Lance Scott!«
»Ich weiß, ich weiß, weil ich im Store aufräumte, als du ihn Luke Harris nanntest, Partner. Ich jedenfalls interessierte mich von Anfang an für dich.«
Sie ruft es herausfordernd.
Er erwidert nichts.
Und sie haben ja auch genug zu tun, um sich mit ihrem Floß in diesem wilden Fluss behaupten zu können.
Nach fast drei Stunden gelangen sie in das sich drehende Wasser einer Bucht und schafften es auch tatsächlich, ihr Floß aus der Strömung in dieses ruhige Wasser zu zwingen.
Diese Bucht wird von einem Felsen geschaffen, der wie ein Turm am Rand des Ufers steht und die Strömung abprallen lässt.
Sie ruhen sich nun keuchend aus.
»Du bist ein tüchtiges Mädchen«, sagt er. »Wo hast du das alles gelernt?«
»Aaah«, erwidert sie, »wir haben in Kentucky auch ein paar wilde Flüsse. Und ich wurde auf einem Holzfloß geboren. Ich hab das alles im Blut.«
Sie blicken nun beide zum Ufer der Bucht hinüber. Dort gibt es einen sandigen Strand, an den eine Menge Treibholz angeschwemmt wurde.
Sie sehen eine Zweighütte und ein halbfertiges Floß.
Zwei Männer tauchen neben der Zweighütte auf und kommen zum Rand des Wassers. Einer hält einen Krug in die Höhe und ruft: »Brandy! Jede Menge Brandy! Kommt an Land und trinkt mit uns! Brandy, viele Krüge voller Brandy! Sie wurden angeschwemmt. Wir können sie gar nicht alle allein leersaufen! Kommt an Land zu uns! – He, wer ist die Schöne?«
Die beiden Männer sind offensichtlich ziemlich betrunken. Wahrscheinlich waren auch sie vor Tagen mit einem Floß unterwegs, welches auseinanderbrach. Dies aber geschieht auf diesem Fluss gewiss gar nicht so selten. Und so ist in den Buchten an seinen Ufern hinter den Landzungen stets Treibgut zu finden.
Lance Scott ruft zurück: »Wir sind an eurem Brandy nicht interessiert. Ich sehe, dass ihr ein Floß schon halb fertig habt. Besauft euch nicht, sondern arbeitet fleißig. Dann seid auch ihr bald wieder unterwegs.«
Sie heulen nun beide böse und tanzen wütend umher wie verrückte Derwische. Es ist nun klar, dass sie den vielen Brandy als Lockmittel benutzen wollten, um mit dem fremden Floß weiterfahren zu können.
Einer brüllt ihnen nach: »Wenn wir nach Lost River City kommen und euch dort treffen sollten, dann machen wir dich alle, du verdammter Hurensohn! Dann nehmen wir dir auch die schöne Hure weg!«
Sie rufen noch mehr solche Drohungen, doch Sally und Lance bringen das Floß wieder hinaus in die Strömung. Und der Kampf mit dem wilden Fluss und seinen Tücken beginnt wieder.
Sie bleiben bis zum Abend in der Strömung. Dann aber müssen sie hinter einer kleinen Landzunge in das ruhige Wasser. Sie machen das Floß zuverlässig fest und gehen an Land.
Er kann sehen, wie erschöpft sie ist. Beide sind sie nass bis auf die Haut.
Einige Atemzüge lang betrachtet er sie. Irgendwie verspürt er ein Gefühl von Mitleid, und er fragt sich, aus welchen Gründen sie dies wohl alles auf sich nimmt und warum sie unbedingt in die wilde Campstadt Lost River City will.
Was für ein Geheimnis gibt es im Zusammenhang mit ihr? Er ahnt irgendwie, dass es schwerwiegende Gründe sein müssen, die sie nach Los River City führen.
Denn er glaubt nicht, dass sie nur eine Glücksjägerin und Abenteuerin ist, die in der wilden Stadt Beute machen will wie eine Tigerkatze.
Nein, er kann das nicht glauben. Er hat schon viele Sorten von Frauen kennengelernt, doch diese Sally Brown lässt sich nirgendwo einordnen.
Er erhebt sich und sagt: »Gleich habe ich ein Feuer in Gang. Dann können wir uns trocknen. In einem der Fässer – es ist das linke – findest du Proviant und auch Kaffee. Du musst dich bewegen. So nass darfst du nicht rumstehen oder -sitzen.«
Sie nickte sofort und erhebt sich. Dabei murmelt sie: »Es ist Spätsommer, doch dieser Fluss ist so kalt, als wäre es kurz nach einem harten Winter. Was ist das für ein verdammter Fluss?«
»Ein Fluss, der sich verirrt, ein verlorener Fluss«, erwidert er. »Und so wie dieser Fluss hier in den Bitter Roots, so sind auch viele Menschen. Hast du schon mal darüber nachgedacht, Sally, wie sehr doch viele Menschen Flüssen gleichen? Manche sind sanft und gut. Andere sind wild, böse, voller Tücken und Überraschungen. Und...«
»He«, unterbricht sie ihn, »wolltest du ein Feuer machen oder möchtest du erst noch eine Weile über die Urgründe des Seins und wer weiß noch was philosophieren? Ich friere.«
Er lacht leise, aber mehr beeindruckt als amüsiert.
Dann macht er sich auf die Suche nach Holz.
Es ist schon ziemlich dunkel geworden, fast schon Nacht.
Aus der Felswand über ihnen beginnen Nachtvögel zu segeln auf der Suche nach Beute. Er hat das Feuer schnell in Gang.
Sie tritt hinzu und lädt allerlei Dinge ab, die sie aus dem Fass holte, in dem sie alle trocken blieben:
Dann verharrt sie am Feuer und dreht sich dort in der Wärme.
»Wenn ich mich ausziehe«, sagt sie, »was wird dann sein? Wird es dich verrückt machen, Lance Scott, so wie es fast alle Männer verrückt macht, wenn sie auch nur an eine nackte Frau denken?«
Er grinst sie im Feuerschein an.
»Dir wird nichts geschehen, was du nicht selbst haben möchtest«, erwidert er ruhig. »Du weißt überhaupt noch nichts über mich.«
»Und du nicht über mich«, erwidert sie und beginnt sich am Feuer zu entkleiden. Auch er tut es. Denn sie sind wirklich beide bis auf die Haut durchnässt vom wilden und kalten Fluss. Das Feuer wärmt. Viele Stunden kämpften sie auf ihrem Floß mit dem brüllenden Ungeheuer Fluss.
Nun sind sie wirkliche Partner, Lost-River-Partner.
Sie betrachten sich im Feuerschein. Dann hängen sie sich Decken um, die Sally ebenfalls trocken aus einem der Fässer holte.
»Du bist schön wie eine Göttin«, spricht er. »Willst du mir erzählen, was dich nach Lost River City treibt?«
»Zuerst will ich Kaffee kochen und Pfannkuchen mit Speck braten«, erwidert sie ruhig. »Und du solltest Holz sammeln für eine lange Nacht, nicht wahr?«
Er nickt und will sich zum Gehen abwenden. Denn noch ist die Nacht nicht völlig schwarz. Man kann noch etwas sehen.
Dennoch hält er nochmals inne.
»Die Schrotflinte...«, beginnt er.
Aber sie unterbricht ihn: »Die lag unter dem Schanktisch in der Gaststube. Es war sehr leicht, sie zu greifen und dir zu Hilfe zu kommen.«
Nun geht er endlich, um Holz zu sammeln.
✰
Irgendwann in der Nacht bricht das Gewitter los. Es wird ein tosendes Unwetter mit krachenden Donnerschlägen und grellen Blitzen. Und zwischen den engen Felswänden des tief eingeschnittenen Flussbettes kracht alles noch stärker.
Wahrscheinlich wird es am nächsten Tag nicht mehr Spätsommer sein, sondern Herbst.
Sally kommt unter der Zeltplane zu ihm gekrochen und schmiegt sich dicht an ihn. Sie flüstert zwischen zwei Donnerschlägen in sein Ohr: »Halte mich fest, Lance, ganz fest. Schon als kleines Kind habe ich mich vor Blitzen gefürchtet, seit mein Vater und meine Brüder mitten auf einem Fluss vom Blitz erschlagen wurden auf unserem Floß. Ich fürchte mich vor jedem Donner und jedem Blitz. Halte mich fest, Lance!« Er nimmt sie in den Arm.
Das Unwetter dauert fast drei Stunden, tobt und wütet, wie nur losgelassene Elemente toben und wüten können.
Dann wird es still.
Aber Sally bleibt in Lances Arm liegen.
Nach einer Weile flüstert sie: »Liebe mich, Lance, ja, liebe mich. Denn ich will diese Nacht bis zum Morgen nicht allein sein. Ich war zu lange allein und immer nur auf dieser verdammten Fährte. Es gefällt mir sehr in deinen Armen. Es ist ein gutes Gefühl, einmal für wenige Stunden nicht so einsam zu sein auf dieser verdammt dreckigen Welt. Lance, ich glaube, du bist ein Mann wie sonst keiner unter zehntausend anderen Männern.«