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Als Van Larrabee den Arapahoe Creek durchfurten will, sieht er drüben auf der anderen Seite ein halbes Dutzend Indianer auftauchen. Er hält jedoch nur drei Sekunden an, reitet dann weiter. Denn er macht sich keine Sorgen wegen einiger Cheyenne-Krieger, zumal diese offensichtlich von Regenbeißer angeführt werden. Er winkt ihnen zu und reitet durch den Creek - oder will es vielmehr tun.
Als er mit seinen beiden Packtieren in der Mitte ist, tauchen auch hinter ihm einige Cheyenne-Krieger auf. Und nun wittert Larrabee den Verdruss. Aber er mag es doch nicht glauben, denn schließlich hatten Regenbeißer und er dieselbe indianische Amme, gingen einst zusammen in die Missionsschule von Pater de Smet und erlegten zusammen den ersten Grizzly, als sie kaum älter als zwölf Jahre waren.
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Larrabees Ritt
Vorschau
Impressum
Larrabees Ritt
Als Van Larrabee den Arapahoe Creek durchfurten will, sieht er drüben auf der anderen Seite ein halbes Dutzend Indianer auftauchen. Er hält jedoch nur drei Sekunden an, reitet dann weiter. Denn er macht sich keine Sorgen wegen einiger Cheyenne-Krieger, zumal diese offensichtlich von Regenbeißer angeführt werden. Er winkt ihnen zu und reitet durch den Creek – oder will es vielmehr tun.
Als er mit seinen beiden Packtieren in der Mitte ist, tauchen auch hinter ihm einige Cheyenne-Krieger auf. Und nun wittert Larrabee den Verdruss. Aber er mag es doch nicht glauben, denn schließlich hatten Regenbeißer und er dieselbe indianische Amme, gingen einst zusammen in die Missionsschule von Pater de Smet und erlegten zusammen den ersten Grizzly, als sie kaum älter als zwölf Jahre waren.
Nein, er kann den Verdruss, den er instinktiv wittert, einfach noch nicht glauben.
Und so sagt er höflich hinüber: »Ich sehe dich, Regenbeißer. Hattest du eine gute Jagd?«
Regenbeißer ist ein prächtig aussehender Cheyenne. Und er grinst zurück und erwidert: »Meine Jagd ist immer noch gut. Die alten Zeiten sind vorbei. Und deine Haut ist hell. Eigentlich müssten wir dich töten.«
»Nanu«, macht Van Larrabee nur staunend. »He, Regenbeißer, was ist anders geworden zwischen uns beiden?«
»Alles, Larrabee, alles. Der Bozeman-Weg ist gesperrt. Und kein weißer Jäger, Frachtfahrer, Goldsucher oder gar ein Soldat darf sich jetzt noch im Indianerland aufhalten. Wir jagen sie alle zum Teufel oder töten sie. Es ist Krieg. Die Weißen haben wieder einmal einen Vertrag gebrochen. Sie wollen eine Kette von Forts am Bozeman-Weg errichten und haben damit schon begonnen. Aber das weißt du doch sicherlich alles.«
Van Larrabee nickt.
Er selbst hatte in Laramie die Soldaten gesehen, welche unter Colonel Henry B. Carrington ausrückten, um am Piney Creek, dicht unter dem Massiv der Big-Horn-Berge, ein Fort zu errichten, welches Fort Phil Kearny heißen sollte.*
Er zuckt nun mit den Achseln.
»Was kann ich dafür, Regenbeißer?« Er fragt es bitter und setzt dann nach einigen Atemzügen hinzu: »Ich bin nur ein Jäger. Und ich will zu meinem Jagdrevier im Yellowstone-Land, dorthin, wo die heißen Quellen sind, in denen wir einst als Knaben badeten. Lass mich meines Weges reiten, Regenbeißer.«
Aber der schüttelt den Kopf.
Sein Englisch ist nicht schlechter als das, welches Larrabee spricht. Aber sie besuchten ja auch die gleiche Missionsschule. Regenbeißer spricht auch die französische Sprache fließend. Und sie hätten sich auch in Cheyenne unterhalten können, weil Larrabee diese Sprache so gut spricht wie ein Cheyenne.
»Wenn du nicht Larrabee wärest«, sagt Regenbeißer nach dem Kopfschütteln, »dann wärest du schon tot. Aber ich lasse dich reiten – nur dieses eine Mal noch. Ich lasse dich noch einmal reiten. Kehr um! Und komm nicht wieder in dieses Land.«
»Es ist auch mein Land«, widerspricht Larrabee. »Ich wurde in diesem Land geboren wie du.«
»Dann komm zu uns Cheyenne und lebe unter uns. Dann reite mit uns, so wie du es einst als Knabe tatest. Und dann kämpfe mit uns gegen die Soldaten! Dann bist du einer von uns. Und dann hast du ein Recht, in diesem Lande zu leben. Also?«
Es ist die glasharte Forderung, sich zu entscheiden.
Larrabee atmet langsam aus. Und die Bitterkeit steigt in ihm auf.
Nun ist der Frieden also dahin, denkt er, und es gibt keine Neutralen mehr, nur noch Feinde. Denn im Zweifel entscheidet die Hautfarbe. Und ich bin ein Weißer. Dass mein Vater sein ganzes Leben lang mit den Indianern Handel trieb, verdammt, das zählt nicht mehr. Das Gold in Montana hat die Weißen verrückt gemacht.
Er seufzt noch einmal. Dann will er umkehren. Er muss dazu um seine beiden Packtiere herumreiten, und sie werden dann dem Zug der Leine folgen und ebenfalls umkehren.
Aber als die Leine schon ihre Köpfe herumzuziehen beginnt, da sagt Regenbeißer hart: »Lass sie hier!«
Larrabee hält an und blickt über die Schulter zurück.
»Sie tragen alles, was ich besitze«, sagt er.
»Es sind Vorräte bis zum Frühjahr. Dafür gab ich meinen letzten Dollar. Ich könnte in Laramie ohne Geld nicht überwintern.«
»Du kannst auf deinem Pferd fortreiten und dein Leben mitnehmen – oder du kannst kämpfen«, erwidert Regenbeißer schlicht.
Larrabee schielt auf die beiden schwer- und hochbeladenen Packtiere.
Allein dreihundert Schuss Munition für seinen Spencer-Karabiner und seine schwere Sharps sind in den Packlasten, und er fragt sich, wie viele Weiße die Indianer damit töten werden.
Aber er hat gar keine andere Wahl, will er am Leben bleiben.
Gewiss, er traut sich zu, mit seinem Colt noch einige Rote von den Pferden zu schießen, denn er ist schnell und sicher mit dem Colt. Seine Reflexe sind die eines Wildkaters.
Aber zuletzt würden sie ihn töten.
Und so seufzt er zum dritten Male, lässt die Leine fallen und reitet ohne seine beiden Packtiere aus dem Creek.
Die Roten am Ufer lassen ihn zwischen sich durch. Er kennt sie fast alle, zumindest vom Sehen, einige sogar beim Namen.
Jetzt spürt er ihre feindliche Strömung, welche ihn wie ein Atem anweht.
Und er weiß, dass er es wahrhaftig den alten Zeiten mit Regenbeißer zu verdanken hat, wenn er jetzt mit dem Leben davonkommt.
Er reitet langsam im Schritt und hofft sehr, dass alle Krieger Regenbeißers Entscheidung respektieren.
Regenbeißer ist kein großer Häuptling, aber er ist ein Krieger, der immer wieder zum Anführer gewählt wird, wenn ein Trupp auszieht, um zu jagen oder in den Kampf zu reiten.
Doch niemand schießt ihm in den Rücken.
Sie lassen ihn reiten.
Erst nach einer halben Meile lässt er sein Pferd traben.
Vor ihm liegen die vielen Radfurchen des Bozeman Trails. Er reitet darüber hinweg und benutzt eine Abkürzung durch die Hügel.
In ihm sind immer noch Bitterkeit und Zorn im Widerstreit.
Einige Male ist er versucht, umzukehren und sich seine beiden Packtiere mitsamt der Lasten wiederzuholen.
Aber seine Chance wäre zu gering.
Und so fragt er sich, wie er wohl durch diesen Winter kommen wird.
✰
Etwa drei Stunden später stößt er wieder auf den Wagenweg. An den frischen Spuren und vor allem an den Pferdeäpfeln kann er erkennen, dass vor weniger als zwei Stunden hier ein Wagenzug nach Norden fuhr.
Einen Moment lang ist er versucht, diesem Wagenzug nachzureiten und ihn zu warnen. Denn er ist sicher, dass die Indianer schon auf diesen Wagenzug warten.
Doch er ist nicht der Hüter von Wagenzügen.
Auch würde er solch einen Wagenzug gewiss nicht zur Umkehr bewegen können.
Auf diese Frachtwagenzüge wartet im Goldland von Montana tausendprozentiger Gewinn. Und für Gewinn wagen die Menschen alles, einfach alles.
Er setzt also seinen Weg fort.
Als es dann Nacht wird, erreicht er den Laramie-Fork und sieht die Lichter des Forts und nicht weit davon die Lichter der Grenzstadt.
Er denkt an die Zeit, als Fort Laramie noch ein Handelsfort war, also den weißen Händlern gehörte, und Frieden war zwischen Roten und Weißen.
Aber dann wurde in Montana Gold gefunden. Und auf der Kansas-Prärie begann man mit dem Abschlachten der riesigen Büffelherden.
Vom Missouri her – von Omaha –, plante man den Bau einer Eisenbahn nach Westen.
Und nach dem beendeten Krieg zwischen den Nord- und Südstaaten strömten die Siedler nach Westen ins Indianerland.
Das alles machte die Indianer misstrauisch. Sie wollten einen neuen Vertrag abschließen, der ihnen ihre Gebiete garantierte.
Doch mitten in die Verhandlungen platzte Colonel Carrington mit seinen siebenhundert Mann, Wagenzüge und Baugerät.
Als sich herausstellte, dass er am Bozeman Trail ein Fort errichten sollte – also mitten im Indianerland –, da war für die großen Häuptlinge die Verhandlung beendet.
Und seitdem ist Krieg.
Van Larrabee seufzt bei dem Gedanken, dass nun alles vorbei ist.
Eine halbe Stunde später hat er Laramie erreicht und betritt bald darauf das Office des Handelsagenten.
Dieser hockt hinter seinem narbigen Schreibtisch und betastet seinen verbundenen Kopf. Dann knurrt er: »Raus hier. Ich will allein sein. Raus hier!«
Erst als Van Larrabee in den Lichtkreis der Lampe tritt, erkennt ihn der Mann. »Nanu, du bist wieder hier, Larrabee? Du bist doch erst gestern...«
Larrabee geht sattelmüde und steif ein wenig im Raume umher und schenkt sich zwischendurch aus einer Flasche ein Glas ein. Der Agent hält sich den verbundenen Kopf und beobachtet ihn fast teilnahmslos.
Erst als ihm Larrabee seine ganze Geschichte erzählt hat und fragt, wo er wohl Kredit bekommen könnte für neue Einkäufe, kommt Ausdruck und Leben in des Agenten Blick.
Er knurrt: »Du kommst mir gerade richtig, Larrabee. Was kannst du verdienen in einem Jagdwinter, wenn die Jagd gut ist?«
»Etwa zweitausend Dollar netto, wenn du mir die Felle fair bezahlst«, erwidert Larrabee.
Der Agent nickt. »Du kannst zehn Prozent von hunderttausend Dollar verdienen«, sagt er schließlich, »wenn du mir diese hunderttausend Dollar zurückbringst.«
»Heee«, macht Larrabee nur und setzt nach einigen Atemzügen hinzu: »Warum sollte ich hunderttausend Dollar zurückbringen, wenn ich sie habe und dann nur zehntausend dafür bekomme?«
Der Agent lässt ein Grollen hören.
»Weil du ein ehrlicher Bursche bist«, sagt er dann.
Er deutet auf den Tresor in der Ecke des Raumes.
»Der stand offen, und ich war mit meinem Gehilfen beim Geldzählen, weil Geld gekommen war für den Pelzkauf im Frühjahr. Da kam ein Maskierter herein und hielt mir den Revolver unter die Nase. Wir mussten das Geld in zwei Segeltuch-Postsäcke packen. Der Kerl verlangte dann, dass wir uns umdrehten, und gab mir was auf den Kopf. Als ich erwachte, lebte mein Gehilfe noch. Er konnte mir noch sagen, dass er dem Banditen die Maske abgerissen und den Mann erkannt hatte. Der Kerl gehört zum Wagenzug, welcher heute Morgen abfuhr. Aber er konnte mir den Kerl nicht mehr beschreiben. Der Bursche hatte ihn im Handgemenge niedergeschossen. Mein Gehilfe starb, nachdem er mir das gesagt hatte, was nun auch du weißt. Hol mir das Geld, Larrabee. Wenn's einer schafft, dann du. Zehn Prozent geb' ich dir davon ab. Na, willst du? Du brauchst nur dem Wagenzug nachzureiten und herauszufinden, wer der verdammte Hurensohn war. Und in einem der Wagen wird auch das Geld sein. Es ist völlig sicher, dass es einer der Männer im Wagenzug war, vielleicht sogar ein Bursche mit Familie. Du wirst Zeit brauchen. Vielleicht musst du mit bis nach Montana. Dort wird der Kerl das Geld sicherlich ausgeben. Es sind nagelneue Banknoten. Ganz frisch mit Banderolen von der Kansas-Bank. Also?«
Van Larrabee staunt.
»Ja, das mache ich«, sagt er schließlich langsam. »Aber sei nur nicht so sicher, Haggerty, dass ich dir das Geld bringe, wenn ich es habe.«
»Da bin ich verdammt sicher«, stöhnt der Agent. »Wann reitest du?«
»Morgen vor Tagesanbruch.«
✰
Am dritten Tage ist Larrabee ziemlich sicher, dass er noch vor Nachtanbruch den Wagenzug einholen wird.
Er ritt die ganze Zeit vorsichtig, denn er möchte sich nicht noch einmal von Regenbeißer und dessen Kriegerschar erwischen lassen.
Es ist am Nachmittag, als er einen Wagen rechts vom Wagenweg am Ufer eines kleinen Creeks stehen sieht, ziemlich gut verdeckt von Gebüsch und Bäumen.
Doch es gibt um diese Jahreszeit kaum noch Laub an den Zweigen. Nur die Nadelbäume sind noch grün.
Deshalb leuchtet die helle Wagenplane zwischen dem fast kahlen Geäst und Gezweig. Es ist ein kleiner Wagen, kein Frachtwagen, nur eine Art Reisewagen.
Solch ein Wagen ist mit zwei Zugtieren ausreichend bespannt.
Aber es ist nicht so sehr der Wagen, auf den sich Van Larrabees Aufmerksamkeit richtet. Nein, da ist noch etwas anderes zu beachten.
Es sind einige Cheyenne-Krieger.
Er zählt fünf, und sie hocken im Halbkreis um den Wagen am Boden. Ihre Pferde verharren hinter ihnen, so wie sie es als gut geschulte Kriegspferde zu tun haben, wenn ihre Reiter – aus welchen Gründen auch immer – abgesessen sind.
Van Larrabee staunt. Er wird sich sofort darüber klar, dass dort drüben eine sehr außergewöhnliche Sache stattfindet.
Denn warum hocken die fünf Cheyennekrieger so wartend am Boden?
Was ist mit dem Wagen?
Er erkennt nun, dass nur noch ein einziges Zugtier angespannt ist.
Wo ist das zweite Zugtier?
Dies fragt er sich.
Es gibt keinen Zweifel für ihn, dass dieser Wagen zum Wagenzug gehörte. Vielleicht fuhr er als letzter, denn er ist kein Frachtwagen. Die Leute dieses Wagens schlossen sich vielleicht nur dem Frachtwagenzug an, um einigermaßen sicher reisen zu können.
Und aus irgendeinem Grunde verließen sie den Wagenweg und suchten eine Deckung zwischen den Bäumen und Büschen am Creek.
Und dann spannte einer von ihnen eines der beiden Zugtiere aus und ritt dem Wagenzug nach.
Ja, so könnte es gewesen sein.
Aber warum hocken dort die fünf Cheyenne-Krieger wartend am Boden?
Van Larrabee verharrt mit seinem Pferd hinter einigen Tannen. Er hat also eine gute Deckung. Er könnte umkehren und einen großen Bogen schlagen. Fast ist er schon versucht, dies zu tun.
Doch dann hört er etwas.
Er ist ja nur einen Steinwurf weit vom Wagen entfernt. Es ist still. Auch die Pferde machen keinerlei Geräusche. Weil im Moment kein Wind weht, raschelt auch nicht das trockene Laub unter den Bäumen am Creek.
Und so kann er es hören, wie es auch die fünf Indianer hören können, sie sogar noch deutlicher, weil sie sehr viel näher beim Wagen sind.
Es ist ein krähendes Stimmchen.
Solches Krähen kennt Larrabee. Es ist überall gleich, wenn ein Kind geboren wird, mag es gelb, schwarz, braun, rot oder weiß sein – oder gemischt. Auf der ganzen Erde lassen Neugeborene solche Töne hören, melden sich auf diese Weise an unter den Lebenden auf dieser Erde.
Larrabee schluckt trocken.
Denn er begreift, dass dort in diesem Wagen eine Frau sein muss, welche soeben ein Kind gebar.
Heiliger Rauch, denkt er, ob sie dort drinnen im Wagen allein ist? Oder ist jemand bei ihr?
Und warum fehlt das zweite Gespanntier?
Er begreift jetzt auch, warum die fünf Indianer so bewegungslos am Boden hocken und noch nichts unternahmen.
Er kennt die Roten gut genug, diese sogenannten »Wilden«. Er lebte lange genug mit ihnen und unter ihnen. Sein Vater war ein Händler und gehörte zu jenen weißen Händlern, welche einst Fort Laramie errichteten.
Larrabee weiß, dass Indianer das Leben achten, dass sie mit dem Herzen lieben können und das Wunder der Schöpfung verehren.
Und so ein Neugeborenes ist die reine Unschuld, ist das sich ständig wiederholende Wunder.
Was werden sie tun?
Diese Frage ist für Larrabee recht einfach zu beantworten.
Sie werden die Mutter mit ihrem Baby mitnehmen in ihr Dorf. Wahrscheinlich retten sie damit Mutter und Kind das Leben.
Aber sie werden aus dem Baby einen Indianer machen.
Als er mit seinen Gedanken so weit ist, reitet er aus der Deckung hervor und nähert sich den Indianern und dem Wagen.
Er wird sehr schnell bemerkt, denn der Hufschlag seines Pferdes ist sofort zu hören, kaum dass er um die Tannen herumgeritten ist und nicht mehr die weichen Nadeln unter den Hufen des Tieres sind.
Die fünf Krieger erheben sich geschmeidig, wenden sich dabei und erwarten ihn lauernd.
Zwei ältere Krieger kennt er. Einer heißt Gelbvogel, der andere Rothorn.
Früher hätten sie ihn freundlich begrüßt. Jetzt aber starren sie ihn feindlich an. Dann sagt Rothorn unfreundlich in der Sprache seines Volkes: »Hau ab! Die alten Zeiten sind vorbei. Du bist ein Wasicun. Hau ab!«
Aber Larrabee schüttelt den Kopf. »Wollt ihr mit mir kämpfen?«, fragt er schlicht. »Wollt ihr verhindern, dass ich mich um die Frau und das Neugeborene kümmere? Wenn es eine weiße Frau ist, dann steht mir das zu – nicht euch. Oder?«
Er spricht ebenfalls in der Cheyenne-Sprache und unterstreicht seine Worte nach Indianerart mit Handbewegungen.
Dann herrscht wieder einige Atemzüge lang Schweigen.
Aus dem Wagen aber klingt nun wieder das so sehr lebendige Krähen des Neugeborenen.
Und dann tönt die Stimme der Frau. Es ist eine gepresst und sehr herb klingende Stimme, und das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, was diese Frau hinter sich hat und in welcher Situation sie sich befindet.
Sie ruft: »Ich habe hier eine doppelläufige Schrotflinte. Und ich werde mitschießen, Mister, wenn Sie mir helfen sollten. Sie sind nicht allein gegen die fünf Roten. Zwei von ihnen nehme ich auf mich.«
Wenn Larrabee bis jetzt in seinem Kern noch etwas unschlüssig war, jetzt entschließt er sich endgültig.
Verdammt, denkt er, was für eine Frau muss das sein! Sie hat soeben ohne fremde Hilfe ein Kind geboren – und dennoch ist sie bereit zum Kämpfen. Was ist das für eine Frau! So eine Frau kann man nicht im Stich lassen. Niemals!
Er erwidert: »Ich helfe Ihnen, Schwester! Schießen Sie auf die beiden Krieger rechts von Ihnen, wenn's losgehen sollte!«
»All right!«, tönt es zurück.
Und dann ist wieder eine Stille.
Die fünf Cheyenne-Krieger zögern, überlegen noch.
Gäbe es nicht die Frau mit dem Neugeborenen, so hätten sie wahrscheinlich schon angegriffen.
Doch die Roten achten das neugeborene Leben.
Rothorn sagt plötzlich: »Hopo, reiten wir!«
Sie sitzen auf und wenden die Nasen ihrer Pferde nach Norden. Ohne sich umzusehen, reiten sie davon. Sie folgen dem Wagenzug.
Van Larrabee atmet langsam aus. Er entspannt sich aus seiner lauernden Bereitschaft zum gewalttätigen Ausbruch.
Und bevor er anreitet, murmelt er: »Du lieber Vater im Himmel, was hast du mir da aufgebürdet?«
Aber weil ihm der Vater im Himmel keine Antwort gibt auf seine Frage, reitet er vorwärts, um nachzusehen.
Als er nahe genug ist, sagt er laut genug: »Die Indianer sind weg. Ich bin allein, Schwester. Schießen Sie nur nicht auf...«
Die Wagenplane wird etwas weiter geöffnet.
Hinter der Doppelmündung sieht er das Gesicht einer jungen Mutter. Es ist noch jung. Obwohl diese Frau in den letzten Stunden eine Menge mitmachte und durchlebte, kann er erkennen, dass sie hübsch ist. Ihr dunkles Haar ist verklebt von Schweiß.
Er greift an die Hutkrempe: »Was muss ich zuerst tun, Ma'am?«, fragt er schlicht.
»Machen Sie ein Feuer«, verlangt sie. »Und machen Sie die große Wanne voll heißes Wasser. Es gibt ein eisernes Dreibein mit einem großen Kessel. Ich brauche zuerst heißes Wasser.«
»Sicher«, sagt er ruhig und gleitet vom Pferde.
Er tritt noch etwas näher heran, und nun sind ihre Gesichter nur noch einen Yard voneinander entfernt.
Er blickt in ihre leuchtend blauen Augen und sagt: »Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen, Schwester.«
Ihr Blick prüft ihn fest.
»Ja, das glaube ich«, erwidert sie.
Er macht sich an die Arbeit.
Und es gibt eine Menge mehr zu tun für ihn, als nur heißes Wasser zu machen.
Er kocht später auch ein Abendessen. Und er wäscht einiges Zeug, welches sie aus dem Wagen wirft. Manchmal hört er das Stimmchen des Säuglings. Einmal fragt er halblaut: »Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
»Ein Junge«, erwidert sie.
»Und wie soll er heißen?«
Eine Weile schweigt sie. Doch als er schon glaubt, dass sie ihm keine Antwort geben will, fragt sie: »Wie heißen Sie denn, Bruder?«
»Van«, sagt er, »Van Larrabee.«
»Dann wird er Van heißen«, sagt sie schlicht.
Er staunt.
»Und was ist mit seinem Vater? Ich meine, dass ein Sohn auch wie sein Vater heißen sollte – oder?«
Wieder muss er eine Weile auf eine Antwort warten.
Dann hört er sie noch herber als zuvor sagen: »Sein Vater ergriff die Flucht, als die Indianer auftauchten. Er schnitt ein Pferd aus dem Gespann, schwang sich hinauf und sauste los. Nein, ich glaube nicht, dass er den Namen seines Vaters tragen sollte. Und wenn ich ihm später etwas über seinen Vater erzählen sollte, dann werde ich lügen müssen. Van ist ein guter Name für einen Jungen, der einmal ein Mann werden soll.«
Van Larrabee nickt langsam.
Und nun weiß er alles.
In diesem Wagen hier reiste ein Paar nach Norden. Wahrscheinlich wollten sie ins Goldland von Montana. Und die Frau war hochschwanger. Wahrscheinlich kam das Baby auch zu früh. So etwas soll es ja geben. Eine tage- oder wochenlange Fahrt in einem schwankenden, stoßenden und rumpelnden Wagen konnte durchaus eine Frühgeburt verursachen.
Als die Frau ihre Wehen bekam, scherte der Wagen aus, fuhr zum Creek, weil dies der beste Platz war.
Aber dann tauchten Indianer auf. Und der Mann verlor die Nerven und ergriff die Flucht. Vielleicht sagte er, dass er vom Wagenzug Hilfe holen wollte. Ja, wahrscheinlich benutzte er diese Ausrede.
Van Larrabee kann sich das alles sehr gut vorstellen, und er weiß, dass es solche Männer gibt, die ihr Davonkommen über alles stellen.
Er will sich abwenden, doch dann hört er sie aus dem Wagen sagen: »Wahrscheinlich haben sie ihn eingeholt und ihn getötet. Denn es waren etwa ein Dutzend. Nur diese fünf Krieger blieben hier. Die anderen folgten ihm. Aaah, sein Glück war eigentlich schon eine Weile zu Ende gegangen – schon vor einiger Zeit. Und eigentlich wusste ich schon lange, dass er nicht viel taugte.«
»Aber Sie liebten ihn?« Larrabee fragt es ernst.
Da schiebt sie die Wagenplane zur Seite. Und wieder sieht er ihr Gesicht. Diesmal ist es vom Feuerschein beleuchtet. Drinnen im Wagen brennt eine Laterne.
Sie sieht nun besser aus als vor zwei Stunden.
Die Furcht wich von ihr. Auch konnte sie sich waschen und überhaupt einigermaßen in Ordnung bringen. Ja, sie sieht jetzt viel erholter aus, nicht mehr so verzweifelt und angespannt, nicht mehr so erschöpft und krank.
»Ja, ich wollte noch einmal an ihn glauben«, erwidert sie. »In Montana wollten wir noch einmal neu anfangen. Ich erhoffte, dass mein Glaube an ihn ihm bei dem neuen Anfang helfen konnte. Und auch das Kind sollte aus ihm einen verantwortungsbewussten Mann machen. Aber...«
Sie verstummt heiser.
»Schon gut«, murmelt Van Larrabee. »Ich verstehe alles. Schlafen Sie. Wie geht es dem Kleinen?«
»Er schläft«, erwidert sie. »Hoffentlich wird er alles überstehen. Wissen Sie, Van Larrabee, auch ich wurde unterwegs auf einem Treck in einem Planwagen geboren. Meine Eltern zogen damals nach Texas. Vielleicht hat mein Sohn das gleiche Glück wie ich.«
»Sicher, er wird es schaffen«, spricht er voll Überzeugung. »Bei der Mutter muss er es ganz einfach schaffen.«
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