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Eigentlich jagt US-Marshal Pernel Wittacker einen flüchtigen Armee-Zahlmeister. Doch der Blizzard dauert nun schon drei Nächte und drei Tage - und fast ebenso lange pokert Marshal Wittacker im Golden Hole Saloon.
Was sollte er sonst auch tun? Sein Pferd konnte er unterbringen in einer großen Höhle, die als Mietstall eingerichtet ist. Doch schlafen wollte er dort nicht. Es stank ihm dort zu sehr, und die Ratten belästigten die Schläfer. Sonst gab es in diesem Goldgräbercamp in der Golden Hole Gulch kein Quartier. Deshalb sitzt er nun schon drei Nächte und fast drei Tage im Saloon und pokert.
Golden Hole in der Golden Hole Gulch ist kaum mehr als ein Camp - und ein übles dazu.
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Seitenzahl: 194
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Stunde der Vernichtung
Vorschau
Impressum
Stunde derVernichtung
Der Blizzard dauert nun schon drei Nächte und drei Tage – und fast ebenso lange pokert Pernel Wittacker im Golden-Hole-Saloon.
Was sollte er sonst auch tun? Sein Pferd konnte er unterbringen in einer großen Höhle, die als Mietstall eingerichtet ist. Doch schlafen wollte er dort nicht. Es stank ihm zu sehr, und die Ratten belästigten die Schläfer. Sonst gab es in diesem Goldgräbercamp in der Golden Hole Gulch kein Quartier. Deshalb sitzt er nun schon drei Nächte und fast drei Tage im Saloon und pokert.
Golden Hole in der Golden Hole Gulch ist kaum mehr als ein Camp – und ein übles dazu.
Die Männer, mit denen Pernel Wittacker pokert, gehören zu den verschiedensten Sorten. Es sind Minen- oder Claimbesitzer, der Boss einer Fracht- und Postlinie, ein Rindermann, der mit seinen Reitern eine Treibherde ins Goldland brachte und gut verkaufte – und ein Bursche, dem Pernel zutraut, dass er seinen Lebensunterhalt nur mit glücklichem Kartenspiel bestreitet.
Es sind alles Pokerexperten, mit denen Wittacker spielt, und es ist auch kein irres Spiel mit Rieseneinsätzen – nein, es ist ein Spiel unter vernünftigen Männern, die sich die Zeit vertreiben wollen, auf das Ende des tobenden Blizzards warten und denen der Saloon dazu gerade gut genug ist.
Denn hier ist Wärme, gibt es Getränke und auch immer wieder Steaks, die von den Rindern des Herdenbosses stammen.
Die Einsätze sind limitiert. Es darf nur bis zu zwanzig Dollar erhöht werden. Und wenn eine Runde lang nicht erhöht, sondern nur gehalten wird, müssen die Karten aufgedeckt werden. Es ist also ein seriöses Spiel – allerdings eines für Spieler mit genügend Geld.
Und dennoch erwischt der Mann, den sie alle für einen Berufsspieler halten, eine Pechsträhne. Ja, es ist eine wirkliche Pechserie, denn er hat stets gute Karten, auf die auch jeder der anderen Männer bis in die Hölle und zurück halten und erhöhen würde, um den »Pott« in der Tischmitte möglichst hochzutreiben.
Denn wer Poker spielt, der will Geld gewinnen, möglichst viel Geld. Gepokert wird nicht um die Ehre des Gewinnens – nein, beim Pokern versucht jeder mit möglichst guten Karten noch besser zu bluffen als die Mitspieler. Und so versucht auch jeder den Pott hochzutreiben, damit es sich richtig lohnt.
Und das versucht der berufsmäßige Spieler einige Male mit eiskalter und gelassener Überzeugung. Er blufft nicht.
Denn er hat stets gute Karten.
Und dennoch verliert er immer wieder.
Hat er eine »Straße«, so schlägt ihn ein kleiner »Flush«, hat er ein »Full House«, so verliert er an einen »Vierling« – und sogar als er einen »Straight Flush« hat, wird er mit einem »Royal Flush« geschlagen und verliert eine irre Menge Geld.
Nun muss man wissen, dass ein Straight Flush die zweithöchste Pokerkarte überhaupt ist, die nur von einem Royal Flush geschlagen werden kann.
Mathematiker haben errechnet, dass es einen Royal Flush nur alle sechs- oder siebenhunderttausend Spiele einmal gibt. Und dennoch hat der texanische Rindermann ausgerechnet einen in der Hand, als sich der Berufsspieler mit seinem Straight schon als Gewinner fühlt.
Aber er gibt nicht auf, dieser Spieler.
Sie beobachten ihn aufmerksam, und sie alle sind hartgesottene Spieler. Denn sie alle haben irgendwann und irgendwo schon mal »Haare lassen« müssen und dabei die Erbarmungslosigkeit dieses Spiels erfahren.
Und einen berufsmäßigen Spieler klein zu machen – nun, dies bereitet jedem von ihnen im innersten Kern Freude. Doch sie zeigen nichts von ihren Gefühlen.
Als sie das nächste Spiel machen, steigen die vier anderen Mitspieler nach und nach aus. Nur jener Spieler, der schon so sehr viel verlor, und Pernel Wittacker bleiben im Spiel. Sie erhöhen abwechselnd.
Dann hat der Spieler kein Geld mehr.
Er hat kein Geld mehr, um zu halten und erst recht keines mehr, um zu erhöhen. Nach den Regeln muss er passen, aufgeben.
Er ist aus dem Spiel.
Pernel Wittacker wartet noch. Er sieht den Mann ruhig an. Dabei fragt er sich, ob der Spieler noch irgendwelche »Reserven« hat. Viele Spieler haben irgendwo in ihrer Kleidung eine letzte Reserve, einen Notpfennig.
Der Mann sieht über den Tisch hinweg auf Pernel Wittacker.
»Sie wollen weiterspielen, Mister?«, fragt er höflich in seinem Südstaatler-Tonfall. Sie alle hier am Spieltisch halten ihn für einen einstigen Konföderierten-Offizier, den der verlorene Krieg zum Spieler machte, weil es sonst keine andere Chance für ihn gab, sich »standesgemäß« zu ernähren und wie ein Gentleman zu leben.
Er trägt auch hier in diesem armseligen und miesen Camp einen maßgeschneiderten Anzug und ein feines Seidenhemd. Er ließ sich am Spieltisch jeden Morgen und jeden Abend rasieren, wenn sie alle mal eine Pause einlegten, um zu essen oder sich die Beine zu vertreten.
»Sicher.« Pernel Wittacker nickt. »Ich spiele weiter auf meine Karte. Sie können halten oder aufhören. Sie können sogar steigern, sodass ich mir überlegen muss, ob ich noch halten und mitgehen soll. Das ist Poker, Mister. So sind die Regeln, nicht wahr?«
Der Spieler nickt.
Dann greift er zum noch halb vollen Glas und leert es mit drei Zügen.
Es ist barbarischer Handelswhisky, also übles Zeug, in dem ein toter Hund gelegen haben muss.
Aber der Spieler verzieht keine Miene.
Er fragt: »Mister, wie viel Geld müsste ich denn auf den Tisch bringen, bis auch Sie nicht mehr können, sodass wir uns zum Aufdecken entschließen könnten?«
Pernel Wittacker ist ein großer, hagerer, indianerhafter Bursche mit hellgrauen Augen. Er grinst leicht. Dann zählt er das Geld, das er noch vor sich liegen hat und zum Einsatz bringen könnte.
»Noch siebenhundertachtzig Dollar«, sagt er. »Die müssten Sie noch bringen.«
Es ist still im verräucherten Raum, der gar kein richtiger Saloon ist, sondern nur eine primitive Kneipe, in der man auch ein Essen bekommen kann und sogar einige Zimmer vermietet werden.
Die Gesellschaft der übrigen Gäste ist bunt zusammengewürfelt. Es sind Goldgräber, Minenarbeiter, Frachtfahrer, Tramps – und vielleicht auch Banditen, dazu alle nur möglichen Sorten, die nicht so leicht zu erkennen sind – weggelaufene Lehrer zum Beispiel oder auch Buchhalter, die irgendwo mit der Kasse ins Goldland türmten. Ehemänner, die es mit der »Kneifzange« daheim nicht mehr aushielten – vielleicht auch einstige Prediger.
Der Spieler hat nun lange genug überlegt. Er hat seine fünf Pokerkarten vor sich auf dem Tisch liegen.
Nun bringt er mit einer raschen Bewegung ein Messer zum Vorschein. Es ist ein spitzer Dolch. Er stößt ihn auf das kleine Kartenhäufchen nieder und heftet es auf dem Tisch fest.
Denn es ist eine Regel des Pokerspiels, dass keiner der Spieler sich mit seinen Karten während des Spiels vom Tisch entfernen darf.
Nun erhebt sich der Mann. Er deutet vor Pernel Wittacker eine Verbeugung an.
»Wenn Sie noch einen Moment warten möchten ...«, sagt er. »Ich hole etwas, auf das Sie mir gewiss Kredit geben werden – hier im Goldland mitten in der Wildnis, denke ich. Einen Moment, Mister! Ich muss nur auf mein Zimmer.«
Nach diesen Worten geht er davon. Drüben in der anderen Ecke des Raumes führt eine recht primitive Treppe nach oben.
Sie alle sehen ihm nach.
Man kann über diese Treppe nach oben zu den wenigen Gastzimmern, die aber nur sehr primitive Kammern sind. Natürlich kann man auch über eine Außentreppe hinauf. Aber wer täte das schon in diesem orgelnden Blizzard?
Als er oben verschwunden ist, sagte eine Stimme heiser: »Was für Schätze hat der denn dort oben im Zimmer? Hat der vielleicht 'ne Goldkiste oben?«
Der Sprecher verstummt mit einem Lachen.
Doch eine andere Stimme meldet sich mit den Worten: »Ich weiß nur, dass er eine einmalig hübsche Honeybee dort oben bei sich hat, der keine andere im Umkreis von hundert oder noch mehr Meilen das Wasser reichen kann. Vielleicht sitzt sie auf seiner Geldkiste! Denn wer ließe hier in diesem Laden schon sein Vermögen unbewacht auf dem Zimmer?«
Sie lachen durcheinander.
Dann meldet sich die Stimme des Wirtes, der massig hinter dem Schanktisch steht.
»Richtig, Jungs – hier ist jeder sein eigener Hüter. Für abhandengekommene Dinge übernimmt das Haus keine Verantwortung.«
Wieder ertönt brüllendes Gelächter.
Und dann warten sie alle.
Denn fast alle hier im Saloon sind sie an dem Ausgang des Pokerspiels interessiert. Es war ja für sie alle der Zeitvertreib, indes draußen der Blizzard tobte.
Und das ist immer noch so.
Sie sind jetzt sogar noch interessierter.
Auch Pernel Wittacker ist es. Denn er fragt sich, was dieser Spieler aus seinem Zimmer holen wird.
Hat er dort vielleicht eine goldene und mit Edelsteinen besetzte Uhr, anderen Schmuck – oder gar Geld?
Er ruft sich noch einmal die Worte des Mannes in Erinnerung.
Der Spieler hatte gesagt: »Ich hole etwas, auf das Sie mir gewiss Kredit geben werden – hier im Goldland mitten in der Wildnis, denke ich.«
Pernel Wittacker bekommt eine leise Ahnung. Es ist wie ein Wittern, ein deutliches Spüren. Doch dann sagt ihm sein Verstand, dass so etwas gar nicht möglich ist, selbst hier nicht, mitten in der Wildnis der Black Hills, mitten im Indianerland und in einem solch primitiven Camp ohne Gesetz und Ordnung.
Wie die anderen Männer am Pokertisch starrt auch er auf die Karten, die mit dem spitzen Dolch auf die Tischplatte geheftet sind, versucht auch er das Blatt zu erraten.
Es muss ein sehr gutes Blatt sein, ein überragendes sogar. Denn sonst würde dieser Spieler nicht mit allen Mitteln im Spiel bleiben wollen. Gewiss hängt seine ganze Existenz davon ab, diesen Pott zu gewinnen. Eine Menge Geld liegt da mitten auf dem Tisch. Denn bevor die anderen Mitspieler passten, versuchten sie es erst mit Bluff und boten und steigerten einige Runden mit.
Der Spieler, dessen Namen Pernel Wittacker immer noch nicht kennt, obwohl sie nun schon fast eine halbe Woche miteinander pokern, wird wahrscheinlich mittellos sein, wenn er dieses Spiel verliert.
Und ein Spieler völlig mittellos im Winter und mitten im Goldland – nun, der kann eigentlich nur noch Bandit werden, denn Arbeit gibt es kaum um diese Jahreszeit.
»Da kommt er! Oha, wen bringt er denn da mit?« Eine Stimme ruft es.
Alle Köpfe wenden sich der Treppe zu, und alle Augen blicken nach oben.
Ja, da kommt der Spieler.
Doch er ist nicht allein.
Er hat eine Frau bei sich.
Jemand stößt einen scharfen Pfiff aus.
Und eine heisere Stimme ruft: »Hoiii, Jungs – und die hat er die ganze Zeit auf dem Zimmer versteckt! Seht euch das an! Die ist von keiner anderen zu schlagen!«
Der Rufer bekommt Beifall. Es tönen weitere Pfiffe. Rufe klingen durcheinander. Füße trampeln.
Für die Gäste ist das alles ein riesiger Spaß, eine Abwechslung.
Und der Blizzard draußen tobt und orgelt immer noch. Pernel Wittacker sieht auf das Mädchen, das der Spieler bringt. Er hat ihr am Fuß der Treppe seinen Arm angeboten wie ein Gentleman. Sie hat ihre Hand leicht auf diesem Arm liegen und nähert sich mit erhobenem Kopf.
Im Lampenschein leuchtet ihr Haar wie poliertes Rotgold.
Und ihre Augen leuchten grün. Es sind leicht schräg gestellte Katzenaugen. Sie ist mittelgroß, trägt einen geteilten Rehlederrock und über der grünen Hemdbluse eine rehlederne Weste.
Für dieses Land hier ist sie sehr zweckmäßig gekleidet.
Der Spieler führt sie an den Pokertisch.
Er sieht Pernel Wittacker an und sagt: »Dies ist Mary Stone. Sie gehört mir. Denn sie ist mir sehr verpflichtet. Ich habe einen Vertrag mit ihr, der sie dazu verpflichtet, alles zu tun, was ich von ihr verlange. Sie würde von mir zu Ihnen überwechseln, Mister, wenn ich diesen Vertrag für siebenhundertundachtzig Dollar an Sie verkaufe. Sind Sie interessiert?«
Das ist es also.
Alle hören es. Und alle halten sie den Atem an.
Denn wahrscheinlich können sie es noch nicht glauben – sie alle, die diesen Saloon füllen.
Und dennoch gibt es keinen Irrtum. Ein Spieler, dem das Geld ausging und der immer noch an seine Karten glaubt, setzt eine Frau, die er offenbar als seine Sklavin betrachtet. Das ist ungeheuerlich. Und es ist wahrscheinlich nur im Goldland mitten in den Black Hills möglich. Denn hier ist alles anders. Hier veränderten sich alle Maßstäbe der Moral. Hier verkaufen sich Frauen für ein paar Dollar – und warum sollte es diese da nicht für siebenhundertundachtzig Dollar tun? Denn siebenhundertachtzig Dollar sind eine Menge Geld.
So denkt Pernel Wittacker.
Dabei sieht er diese Mary Stone an.
Und dabei wird ihm klar, dass die junge Frau gewiss nicht zu jener Sorte gehört, die man für ein paar Dollar kaufen kann.
Nein, ihre Abhängigkeit muss andere Ursachen haben. Ihr Vertrag mit dem Spieler hat gewiss eine andere Basis.
Im Saloon ist es still. Es ist fast so, als hielten sie alle den Atem an.
Und noch etwas wurde anders, obwohl sie es hier im Saloon vielleicht noch gar nicht begreifen.
Es ist der Blizzard.
Soeben orgelte und pfiff der Schneesturm noch, brüllte und tobte, lud Schnee oder taubeneigroße Hagelkörner ab.
Jetzt ist es still, völlig still.
Es ist, als gäbe es keine Geräusche mehr auf dieser Erde.
Was geschah plötzlich mit dem Blizzard? Ist er gestorben? Oder holt er nur Atem wie ein grimmiger Winterriese, um sogleich aufs Neue loszubrüllen mit stärkerer Wildheit noch als zuvor?
Pernel Wittacker sagt in die atemlose Stille: »Schwester, hat das alles seine Richtigkeit? Sind Sie tatsächlich ein Wertobjekt, das er ...«
»Ja, es hat seine Richtigkeit«, unterbricht sie ihn. Ihre Stimme klingt ruhig und fest, ganz und gar kontrolliert. Es ist eine dunkle Stimme mit einem besonderen Timbre, das ganz und gar zu ihrer katzenhaften Rassigkeit passt. Sie ist eine Südstaatlerin, wahrscheinlich eine Texanerin. Dies hört man ein wenig.
»Ich bin Mr. John Jennison verpflichtet«, spricht sie weiter und deutet dabei auf den Spieler. »Meine Schuld trage ich jeden Tag mit zehn Dollar ab. Sie war soeben noch höher als siebenhundertachtzig Dollar, sehr viel höher. Ich mache also ein gutes Geschäft, wenn ich Ihnen, Mister, nur noch achtundsiebzig Tage zur Verfügung stehen müsste, sollten Sie die besseren Karten haben, was noch sehr zweifelhaft sein dürfte. Und damit es kein Missverständnis gibt! Mr. John Jennison half mir in der Not. Ich schloss den Vertrag mit ihm aus freien Stücken. Ich bat ihn um diesen Vertrag. Nun?«
Sie hat alles gesagt. Wahrscheinlich bat der Spieler John Jennison sie oben in ihrem Zimmer darum.
Es bleibt immer noch still.
Und immer noch richten sich alle Blicke auf Pernel Wittacker.
Wird er annehmen?
Jeder dieser Männer würde den Einsatz annehmen. In diesem Lande kommt auf mehr als hundert Männer vielleicht gerade eine Frau. Frauen sind hier fast so selten wie Rosen im Schnee. Und wenn diese Frau da ihren Vertrag einhalten sollte, so könnte der Gewinner sie achtundsiebzig Tage lang bei sich haben.
Heiliger Rauch! Manchem dieser Burschen wird ganz schwindlig bei dem Gedanken, denn manchmal denken sie Tag und Nacht an nichts anderes als an Frauen, die sie in der Einsamkeit der Berge auf ihren Claims oder in ihren Minen so sehr vermissen.
Die Spannung im Raum löst sich, als sie Pernel Wittacker sagen hören: »Na gut, Ihr Einsatz gilt, John Jennison. Das war doch Ihr Name, ja? John Jennison?«
Der Spieler nickt.
Er nimmt wieder auf seinem Stuhl Platz.
Auch Pernel Wittacker setzt sich. Die anderen Mitspieler am Tisch sind nur stumme Zeugen.
Und um den Pokertisch bildet sich jetzt ein dichter Kreis. Keinen der anderen Gäste hält es noch auf seinem Platz. Sie drängen sich heran. Denn die Karten werden gleich aufgedeckt.
Das Spiel wurde ausgereizt. Jeder der beiden Spieler hat eingesetzt, was er einsetzen konnte. Jeder glaubt an seine Karte.
Wer wird die bessere Kombination haben?
»Ich hab also gebracht«, murmelt John Jennison. »Wenn Sie weiter im Spiel bleiben wollen, dann erhöhen Sie. Aber das wäre gegen unsere Abmachung. Also zeigen Sie, was Sie haben.«
Er verstummt herausfordernd. Es ist, als müsste er sich Mut machen oder als glaubte er, auf diese Weise die Karten beeinflussen zu können.
Er zieht mit einem Ruck den Dolch aus dem Kartenhäufchen, hält es jedoch mit zwei Fingern der anderen Hand auf dem Tisch fest. Er deckt nicht auf, sondern sieht fordernd auf Pernel Wittacker.
Der dreht vier Könige und ein Ass um.
Aber solch ein Vierling mit Ass ist zu schlagen. Es gibt noch einige bessere Kartenkombinationen.
Alle Blicke richten sich auf den Spieler John Jennison.
Was wird er für ein Blatt zeigen?
Hat er einen Straight Flush oder gar einen Royal Flush? Wird an diesem Pokertisch vielleicht noch einmal ein Royal Flush aufgedeckt?
Das wäre eine Sensation, aber solche Launen des Schicksals soll es ja geben.
Der Spieler muss eine erstklassige Karte haben. Sonst hätte er nicht die Frau als Einsatz ins Spiel gebracht.
Doch er starrt nur auf Pernel Wittackers vier Könige. Dabei schluckt er einmal mühsam, als müsste er einen Stein herunterwürgen.
Er deckt nicht auf.
Er erhebt sich und nickt Mary Stone zu.
»Das wär's«, sagt er. »Ich habe dich an ihn verloren. Viel Glück, Mary.«
Nach diesen Worten geht er zur Treppe. Sie alle sehen ihm nach.
Er braucht seine Karten gar nicht aufzudecken. Sie wissen, dass er verloren hat. Auf der vierten Treppenstufe hält er inne und spricht zu Mary Stone nieder: »Ich hole nur meine Siebensachen aus dem Zimmer. Es dauert nicht lange. Einen Moment nur, Mary.«
Nach diesen Worten geht er weiter die Treppe hinauf.
Die Blicke der Gäste richten sich wieder auf Mary Stone, auf Pernel Wittacker und auf das immer noch nicht aufgedeckte Kartenhäufchen.
Jemand sagt: »He, was für ein Blatt hat er? Auf welches Blatt hat er alles gesetzt, was ein Mann nur setzen konnte?«
Die Stimme verstummt gierig.
Pernel Wittacker beugt sich über den Tisch. Er streckt die Hand aus und nimmt die fünf Karten.
Aber er zeigt sie nicht. Er zerreißt sie in kleine Stückchen und wirft sie in die Luft. Sie fallen wie bunte Schneeflocken.
Ein Stöhnen geht durch die Zuschauer.
Jemand sagt in die Stille: »Hoiii, da seht ihr den letzten Gentleman! Der will uns nicht zeigen, wie sehr sein Gegenspieler ein Narr war. Verdammt, diese Honeybee hätte ich nur gesetzt, wenn ich einen Royal Flush in der Hand gehabt hätte – nur mit einem Royal Flush in der Hand. Und er konnte nicht mal vier Kings schlagen. He, was für ein Narr!«
Der Sprecher bekommt Beifallsgemurmel. Die Spannung löst sich.
Und endlich wird sich jemand der Tatsache bewusst, dass draußen nicht mehr das Orgeln und Brüllen des Blizzards zu hören ist.
Eine Stimme ruft: »Hört ihr noch was?«
Sie lauschen.
Dann brüllen sie durcheinander vor Freude und Erleichterung.
»Der Blizzard ist tot!«
Und dann drängen sie hinaus aus dem verräucherten Saloon, in dem die schlechte Luft zum Schneiden dick ist. Sie drängen hinaus wie Eingesperrte aus einem Kerker.
Viele von ihnen wollen heim zu ihren Hütten, ihren Claims und Minen. Sie sind ja hier alle gewissermaßen vom Blizzard überrascht worden.
Auch die anderen Pokerspieler, die mit Pernel Wittacker am Tisch saßen, drängen hinaus.
Die Dunkelheit, die draußen herrschte, wurde heller. Nun sieht man, dass es noch keine Nacht war, sondern erst Abenddämmerung.
Pernel Wittacker und Mary Stone sehen sich an.
Sie sind allein. Niemand kümmert sich im Moment um sie.
Die Tatsache, dass der Blizzard vorbei ist, beschäftigt die Leute jetzt vorrangig.
✰
Sie betrachten sich forschend.
Wittacker deutet auf einen Stuhl.
»Wollen Sie sich nicht setzen, Mary Stone?«
Er hat sich vorhin schon erhoben, als er die Spielkarten zerriss und die winzigen Schnipsel zerstreute. Er wartet, bis sie sich gesetzt hat.
»Ich glaube«, murmelt er, »wir müssen wohl erst mal Klarheit schaffen zwischen uns, nicht wahr?«
Sie nickt leicht und sieht ihn fest an. Ihr Blick irritiert ihn etwas, denn er ist sehr fest und ruhig, nicht so, als machte sie sich irgendwelche Sorgen.
»Mein Name ist Wittacker«, sagt er, »Pernel Wittacker. Ich glaube, wir sind beide aus Texas.«
»Ja«, nickt sie, »das glaube ich auch. Auch John Jennison stammt aus Texas.«
Wieder schweigen sie.
Dann beugt er sich vor.
»Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?« Er fragt es zögernd. »Ich meine – hat er Sie gekauft als ... ich meine, gehörten Sie ihm ganz und gar? Konnte er von Ihnen verlangen, was er wollte ... ich meine – alles?«
Um ihren vollen, vitalen Mund spielt ein Lächeln, ein weises und nachsichtig wirkendes Lächeln, so, als wäre ihr nichts mehr fremd auf dieser Erde und als würde sie sich über seine Frage sogar auf eine etwas bittere Art amüsieren.
»Alles«, nickt sie dann. »Er hat mich mit Haut und Haaren gekauft, Pernel Wittacker, jawohl. Und ich bot mich ihm sogar an. Er kaufte mich für viertausend Dollar. Dreitausend gab ich ihm in bar – und zweihundertzwanzig Dollar arbeitete ich bei ihm inzwischen ab. Sie haben mich mit allen Rechten und Pflichten übernommen, Pernel Wittacker.«
In ihm »klingelt« plötzlich ein Alarmsignal.
»Pflichten?«
Ihre Augen werden schmal.
Dann nickt sie. »Was denn sonst? Oder glauben Sie, ich zahlte einem Mann wie John Jennison dreitausend Dollar in bar und tausend Dollar in ›Naturalien‹ dafür, dass er mich beglückt? Zum Teufel, hat er Ihnen nicht gesagt, dass er mich nach Lucky Ben bringen soll? Das war unser Vertrag. Und das möchte ich doch gleich mal klären.«
Sie erhebt sich mit einer raschen Bewegung und eilt davon. Mit hoch gerafften Röcken springt sie zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf. Er staunt, wie kraftvoll und geschmeidig sie sich bewegt, und er weiß schon jetzt, dass sie ganz gewiss wie ein Cowgirl reiten kann.
Oben verschwindet sie.
Er folgt ihr etwas langsamer, nachdem er seinen Spielgewinn einsteckte.
Oben hört er sie nach John Jennison rufen – und dann bitter fluchen. Er trifft sie auf dem Gang, der zur Außentür und der Außentreppe führt. Von diesem Gang führen ein halbes Dutzend Zimmertüren in die primitiven Schlafkammern.
Aber Mary Stone ist jetzt bei der Hintertür. Sie öffnet diese und läuft hinaus auf den Treppenabsatz. Sie ruft in die hereinbrechende Nacht: »Jennison! Komm zurück, Jennison! Hörst du mich? Komm zurück, denn wir müssen noch etwas klären!«
Aber sie erhält keine Antwort.
John Jennison ist verschwunden.
Langsam kommt sie in den Gang zurück und schließt hinter sich die Tür.
Pernel Wittacker erwartet sie an der offenen Zimmertür. Drinnen brennt eine Öllampe. Die Kammer ist jämmerlich klein. Es gibt nur ein Bett, einen Hocker und einen kleinen Tisch. Für die Kleidungsstücke sind einige Nägel in die Bretterwand geschlagen. Das Fenster ist kaum groß genug, um einen Kopf nach außen schieben zu können. Jetzt ist es dick mit Eis gepanzert. Denn es ist kalt hier oben.
Sie geht hinein und setzt sich auf den Schemel, faltet die Hände auf ihrem Schoß. Pernel Wittacker tritt hinter ihr ein und schließt die Tür. Er lehnt sich von innen dagegen und wartet.
»Ich muss nach Lucky Ben«, sagt sie zu ihm. »So war der Vertrag zwischen ihm und mir. Wenn Sie mich nicht nach Lucky Ben bringen wollen, Pernel – dann werden Sie vertragsbrüchig. Dann können Sie von mir nichts bekommen, gar nichts.«
Er nickt leicht. Und er fragt sich, was diese Mary Stone so dringend in Lucky Ben zu suchen hat, dass sie dafür einen so mächtig hohen Preis zahlte und immer noch zahlen will. Ja, es muss etwas außergewöhnlich Wichtiges sein.
Denn nur aus solch einem Grund wäre seiner Meinung nach ihr Handeln verständlich. Sie braucht einen Mann, der sie mitten im Winter durch die Berge nach Lucky Ben bringt. Dafür zahlte sie mit Geld und mit sich selbst.
Der Spieler John Jennison schien ihr der richtige Mann zu sein.
Doch sie gehört ihm nicht mehr. Er ist ihr deshalb auch nicht mehr verpflichtet. Sie gehört nun Pernel Wittacker, der jedoch mit seinen Rechten auch Pflichten übernahm, ohne Letzteres zu wissen.