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Es war an einem Spätnachmittag, als ich die beiden Weaver-Brüder beim County Sheriff ablieferte. Sie waren die letzten Mistkerle einer Bande, hinter der ich länger als ein halbes Jahr hergewesen war. Denn sie hatten sich getrennt. Ich musste sie Mann für Mann aufspüren. Nur die Weaver-Brüder waren beisammen geblieben. Ich hatte sie anschießen müssen, aber sie hatten noch reiten können. Sonst hätte ich sie quer über den Sätteln transportieren müssen. Aber das hätte mir nichts ausgemacht, denn sie waren Mörder, hatten meine Familie ausgelöscht, und nur weil ich sie hängen sehen wollte, lieferte ich sie lebendig ab. Wir hockten noch in den Sätteln vor dem Office des County Sheriffs. Die beiden Weavers fluchten. Sie verwünschten mich, wie man einen Mann nur verwünschen konnte, der einen zum Henker brachte.
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Aufgebot des Teufels
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Impressum
Aufgebot des Teufels
Es war an einem Spätnachmittag, als ich die beiden Weaver-Brüder beim County Sheriff ablieferte. Sie waren die letzten Mistkerle einer Bande, hinter der ich länger als ein halbes Jahr hergewesen war. Denn sie hatten sich getrennt. Ich musste sie Mann für Mann aufspüren.
Nur die Weaver-Brüder waren beisammen geblieben. Ich hatte sie anschießen müssen, aber sie hatten noch reiten können. Sonst hätte ich sie quer über den Sätteln transportieren müssen. Aber das hätte mir nichts ausgemacht, denn sie waren Mörder, hatten meine Familie ausgelöscht, und nur weil ich sie hängen sehen wollte, lieferte ich sie lebendig ab.
Wir hockten noch in den Sätteln vor dem Office des County Sheriffs. Die beiden Weavers fluchten. Sie verwünschten mich, wie man einen Mann nur verwünschen konnte, der einen zum Henker brachte.
Bill Weaver sagte heiser: »Wenn wir im Jenseits sind, werden wir nicht nur auf dich spucken, sondern auch auf dich warten. Eines Tages wirst auch du in der Hölle landen. Darauf kannst du dich verlassen. Dein Hass wird dich in die Hölle bringen.«
Sein Bruder Jim aber sagte: »So wird es kommen, Bruder Bill, so wird es kommen. Der ist von seinem Hass vergiftet. Das bringt ihn eines Tages um.«
Indes hatten sich einige Neugierige versammelt.
Und der County Sheriff Jedson Ballard trat aus dem Office.
Er warf einen Blick auf die beiden Weavers und sah dann zu mir hoch. »Das sind die letzten der Bande, nicht wahr, Noah Hall?«
So fragte er mich. Und Noah Hall, dies war der Name, den ich trug.
Ich nickte stumm und ließ die Enden der beiden Leinen fallen, an denen ich die Pferde der Weavers mitgezogen hatte.
Dann setzte ich mein Pferd in Richtung Mietstall in Bewegung. Mein Wallach und ich, wir waren müde und ausgebrannt. Ich hatte drei Tage und drei Nächte kaum ein Auge zugemacht. Das wäre zu gefährlich gewesen, obwohl ich die Weaver-Brüder hätte fesseln können mit ihren eigenen Lassos.
Aber sie waren zu gefährlich. Irgendwie hätten sie vielleicht doch – indes ich fest schlief – ihre Fesseln lösen können. Ich traute ihnen alles zu.
Nein, ich hatte nicht richtig schlafen können.
Aber gleich würde ich es können.
In mir war eine bittere Genugtuung. Gewiss, ich hatte meine Frau und meine beiden Söhne nicht lebendig machen können durch die Vernichtung der Bande. Doch auch die beiden letzten dieser Mörder würden nun baumeln.
Das war gut. Ich war auf bittere Art und Weise zufrieden. Mein Hass würde sich legen. Er würde sich abbauen. Und so würde ich eines Tages gewiss wieder ein normaler Mensch werden.
Der Stallmann nahm mir wortlos das Pferd ab. Als ich ging, murmelte er hinter mir her: »Gut gemacht, Mr. Hall, gut gemacht.«
Ich wandte mich nicht um, ging aus dem Hof des Mietstalls und erreichte nach etwa hundert Schritten das Hotel.
Sarah Dillinger stand hinter dem Anmeldepult. Sie hatte auf mich gewartet, reichte mir wortlos den Schlüssel zu einem Zimmer.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Noah?«, fragte sie ruhig. Ihre Stimme hatte einen kehligen Klang. Sie war eine rassige Frau in meinem Alter, die das Leben kannte, und immer wenn ich in ihre Augen sah, erkannte ich, dass ich sie hätte haben können, wenn ich es nur gewollt hätte.
Doch sie hatte sich nie angeboten, zumal sie ja auch wusste, dass ich meine Frau liebte und zwei Söhne hatte. Nein, sie hatte sich niemals hineindrängen wollen.
Doch stets hatte ich gespürt, dass ich ein Mann nach ihrem Herzen war.
»Nichts, Sarah, nichts können Sie jetzt für mich tun«, murmelte ich über die Schulter zu ihr zurück, indes ich die Treppe nach oben stieg. »Ich muss hundert Jahre schlafen.«
»Gut, Noah, gut«, hörte ich sie leise hinter mir sagen. »Schlafen Sie lange, Noah. Und dann beginnen Sie Ihr Leben neu.«
Aber ich gab ihr keine Antwort, erreichte das Zimmer mit der Nummer fünf und trat ein. Nach drei Schritten erreichte ich das Bett und ließ mich, so wie ich war, bäuchlings darauf fallen.
Und indes ich in bodenlose Tiefen fiel, hörte ich noch einmal ihre Worte: »Schlafen Sie lange, Noah. Und dann beginnen Sie Ihr Leben neu.«
Aber würde ich das können?
Nun, ich fiel also in bodenlose Tiefen.
✰
Als ich erwachte, fiel die Morgensonne schräg durch das Fenster in mein Zimmer. Es musste etwa acht Uhr sein. Also hatte ich fünfzehn Stunden geschlafen.
Ich erinnerte mich, dass ich mitten in der Nacht mal wach wurde und mich im Halbschlaf noch auskleidete, um es bequemer zu haben.
Nun lag ich im Unterzeug im Bett.
Sarah Dillinger kam herein, trug ein Tablett mit dem Frühstück vor sich her und setzte es auf dem Tisch ab.
»Ich dachte mir, Noah«, sprach sie, »dass Sie jetzt wach sein müssten. Denn kein Mann kann hundert Jahre schlafen. Stehen Sie auf. Frühstücken wir zusammen.«
Sie sagte es sehr entschlossen.
Doch ich erwiderte: »Sarah, ich stinke gen Himmel. Ich kam eine Woche lang nicht aus meinem Zeug heraus. Ich stinke auch nach Pferd. Warum wollen Sie das ertragen?«
Sie lachte leise. »Ja, Sie riechen wie ein Mann, der von einer langen Fährte endlich heimgekommen ist. Das ist natürlich. Es kann gar nicht anders sein. Aber für mich stinken Sie nicht. Sie riechen wie ein Mann nach einem langen Reiten. Stehen Sie auf. Ich habe hier Kaffee, frische Biskuits, Eier mit Speck, Ahornsirup. Oder haben Sie keinen Hunger?«
Ich setzte mich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Dann hielt ich inne und sah auf Sarah.
»Was wollen Sie?«, fragte ich.
Sie ließ mich einige Atemzüge lang auf ihre Antwort warten.
Doch dann erwiderte sie: »Ich will dir helfen, Noah, dein Leben neu zu beginnen. Es muss immer mal ein Ende und einen neuen Anfang geben. Ich will dir helfen. Oder willst du mich nicht? Du kannst mich haben, ohne mir danach etwas schuldig zu sein. Du hast immer gewusst oder zumindest gespürt, dass du mich haben konntest. Doch das konnte nicht geschehen, weil du deine Frau liebtest. Doch jetzt ist sie tot. Du hast sie und deine Söhne gerächt. Es ist vorbei. Fange neu an! Ich will dir beim Vergessen helfen. Also?«
Sie fragte es zuletzt hart.
Ich erhob mich endlich vom Bettrand und stand in meinem roten Unterzeug vor ihr. Sie betrachtete mich fest und ließ erkennen, dass mein Anblick ihr nichts ausmachte. Sie wollte mich tatsächlich, so wie ich war. Und da begriff ich, dass sie mir wirklich helfen wollte bei einem Neubeginn.
Was vorbei war, war vorbei.
Und so trat ich an den Tisch und setzte mich auf den zweiten Stuhl.
Nun spürte ich beim Anblick des Frühstücks auch meinen gewaltigen Hunger.
Sarah goss mir Kaffee ein. Sie hatte grüne Augen und schwarze Haare. Auf ihrer Nase und den hohen Wangenknochen gab es ein paar Sommersprossen. Ihr Mund war voll und lebendig. Dieser Mund konnte viele Empfindungen ausdrücken oder erkennen lassen. Sie war prächtig gewachsen. Ja, sie war eine Frau, von der fast alle Männer träumten.
Und ich würde sie bekommen.
Sie einfach war das plötzlich.
✰
Es war fast schon Nachmittag, als ich das Hotel der Sarah Dillinger verließ und mich auf dem Weg zum County Sheriff Jedson Ballard machte. Denn ich wusste, ich hatte noch ein Protokoll zu unterschreiben. Und auch ein Kopfgeld konnte ich kassieren. Dieses Kopfgeld war auf die Bande schon vor langer Zeit ausgesetzt worden, also noch vor dem Tag, da sie meine Ranch überfielen während meiner Abwesenheit und meine Familie umbrachten, nachdem sie zuvor meine Frau vergewaltigten.
Dieses Kopfgeld hatte ich mir verdient. Und ich würde es nehmen.
Ich hatte die Bande ein halbes Jahr gejagt und zuvor meine kleine Ranch unter Wert verkauft, um frei zu sein für eine lange Jagd.
Ja, ich hatte ein Recht auf die Prämie.
Als ich eintrat ins Office, saß der Sheriff hinter seinem narbigen Schreibtisch. Sein alter Deputy stand an einem Tisch in der Ecke und reinigte die Gewehre, von denen ein ganzes Dutzend in einem Regal stand. Es waren Gewehre jeder Sorte – also Schrotflinten, Spencer- und Winchester-Karabiner, Sharps und sogar ein Rollblockgewehr.
Der Sheriff deutete auf den Stuhl und sprach ruhig: »Da sind Sie ja, Noah Hall. Ich habe das Protokoll bezüglich der Einlieferung schon fertig. Sie können unterschreiben. Wollen Sie die ausgesetzten Prämien?«
»Sicher, die will ich«, erwiderte ich ruhig. »Ich hatte ein halbes Jahr kein Einkommen, nur Ausgaben. Allein fünf Pferde verlor ich unterwegs. Ja, ich will das Geld.«
Er nickte stumm.
Als ich unterschrieben hatte, schob er mir fünfhundert Dollar über den Tisch. Ich musste den Erhalt quittieren.
»Für die drei anderen Burschen der Bande haben Sie auch kassiert«, sprach er. »Ein armer Teufel sind Sie nicht.«
Er sah mir dann an, was mir auf der Zunge lag.
Und da hob er die Hände, zeigte mir seine Handflächen.
»Vergeben Sie mir, Noah Hall«, murmelte er. »Ich weiß, Sie haben mehr verloren, als man mit Geld aufwiegen kann. Meine Worte waren unklug. Ich sprach sie jedoch aus einem anderen Gedanken heraus. Männer wie Sie, die alles verloren und deshalb angefüllt sind mit Hass, werden Kopfgeldjäger. Sie verdienen dabei eine Menge Geld und können überdies auch noch Rache ausüben. Oder hassen Sie nicht all diese Burschen, die so sind wie die Weaver-Bande?«
Ich nickte stumm und steckte das Geld ein, wollte mich erheben, um zu gehen.
Er aber sagte: »Bleiben Sie noch sitzen, Noah Hall.«
Ich gehorchte und sah ihn fest an.
Und da sprach er Wort für Wort langsam: »Noah Hall, ich habe einen Job für Sie.«
Ich schwieg und sah ihn wartend an. Und da sagte er es mir ganz ruhig: »Ich habe keinen Deputy mehr im Clearwater-Land. Man hat ihn dort erschossen – von hinten. Wollen Sie den Job? Er bringt nur achtzig Dollar ein im Monat. Und Sie bekämen eine Menge Ärger. Aber Sie können als Gesetzesmann aufräumen und wären kein Kopfgeldjäger.«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Clearwater, das ist an die hundert Meilen weit von hier. Ich wäre verdammt allein, nicht wahr? Auf Sie könnte ich wohl nicht groß zählen?«
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe hier am Pecos alle Hände voll zu tun. Ich kann nicht noch hundert Meilen von hier das Gesetz vertreten. Das müssten Sie tun. Der Distrikt gehört zu meinem County. Ich ließe Ihnen freie Hand. Wollen Sie?«
Er griff in die Schublade seines Schreibtisches und brachte einen Stern zum Vorschein, auf dem man die eingestanzten Worte lesen konnte:
1. DEPUTY SHERIFF
CLEARWATER DISTR.
Das war es also.
Und er sagte: »Das ist etwas anderes als Kopfgeldjäger. Noah Hall, ich rette Ihre Seele, versuche es zumindest.«
Ich starrte in seine Augen und erkannte in seinem Blick, dass er es wirklich so meinte. Denn ich wusste, wie man im Südwesten über Kopfgeldjäger dachte. Sie waren für viele Menschen bezahlte Killer – oder Killer, die sich bezahlen ließen für die Menschenjagd.
Wollte er wirklich meine Seele retten?
Ich glaubte es ihm plötzlich.
Und so nahm ich den Stern, betrachtete ihn nochmals eingehend und steckte ihn mir an.
Dann erhoben wir uns. Denn ich musste nun den Eid schwören.
Eigentlich war alles ganz einfach. Jedenfalls sah es hier und jetzt so aus.
Aber ich wusste längst, dass die scheinbar so einfachen Dinge mitunter gar nicht so einfach sind.
Aber vielleicht brauchte ich solch eine Herausforderung.
Und ich würde nicht hier in Pecos Bend bei Sarah Dillinger bleiben.
✰
Am nächsten Morgen saß ich noch einmal mit Sarah beim Frühstück. Noch einmal hatten wir die Nacht miteinander verbracht und uns gegenseitig mit allen Zärtlichkeiten beschenkt. Dann war sie in meinem Arm eingeschlafen, hatte sich am Morgen jedoch davongeschlichen und das Frühstück heraufgeholt. Sie ließ die Gäste unten von ihrer Wirtschafterin versorgen, war noch einmal ganz für mich da.
Das Frühstück war prächtig, und dennoch schmeckte es mir nicht.
Sie las den Grund in meinen Augen und lächelte, wie eine erfahrene Frau nur nachsichtig lächeln kann. Dann sagte sie: »Ich habe mich dir gern geschenkt. Ja, ich wollte es, weil ich spürte, dass du dein Leben neu beginnen willst. Und da war ich gewiss richtig für dich. Du bist mir nichts schuldig und kannst nun deines Weges reiten. Ich war einige Stunden glücklich in deinen Armen. Vielleicht sehen wir uns mal wieder.«
Nach diesen Worten erhob sie sich und ging hinaus.
Ich aber verspürte ein starkes Bedauern in mir und dachte einen Moment daran, bei ihr zu bleiben. Doch im nächsten Moment wurde mir klar, dass dies nicht meinem Charakter entsprochen hätte. Ich hätte mich wie eine Art Kuckuck in einem warmen Nest gefühlt.
Nein, ich konnte nicht bleiben. Ich musste zu meinem neuen Job reiten.
Und so beendete ich das Frühstück allein und packte meine Siebensachen zusammen. Ich hatte mich am Vortag schon neu eingekleidet, mir auch vom Barbier in der Badeanstalt die Haare schneiden lassen.
Eigentlich sah ich recht ordentlich aus, einem Sheriff angemessen.
Als ich mit meinem Gepäck – zwei vollen Satteltaschen und einer Sattelrolle – das Hotel verließ, da war Sarah unten nicht zu sehen.
Ich ging zum Mietstall.
Und dann ritt ich aus Pecos Bend nach Westen.
Ein Wagenweg führte zu den Sacramento Mountains hin. Und irgendwo in diesen Bergen lag Clearwater am Clearwater Creek.
Die knapp hundert Meilen konnte ich in zwei Tagen schaffen, wenn ich zäh genug ritt und jeden Tag zwölf Stunden im Sattel zu bleiben vermochte.
Aber daran war ich gewöhnt, ebenso auch mein Wallach.
Was würde mich in Clearwater erwarten? Ich verspürte eine gelassene Neugierde. Und es gefiel mir, dass ich zu einem neuen Anfang unterwegs war. Dieser Anfang hatte schon in Sarahs Armen begonnen.
Ich befand mich nun westlich des Pecos, und der Fluss war zu dieser Zeit noch die Grenze von Recht und Ordnung. Denn westlich des Pecos herrschte das Gesetz des Stärkeren. Und so kam es darauf an, ob ich mit meinem Stern stark genug sein würde.
Denn war ich das nicht, dann würde dieser Stern nur ein Stück wertloses Blech sein.
Der County Sheriff Jedson Ballard hatte mich sozusagen zu einem »Himmelfahrtskommando« losgeschickt. Aber das war mir recht. Ich konnte aufräumen unter den Bösen – und das nicht als Kopfgeldjäger, sondern als Sheriff.
Es gab noch zu viele Böse im Land.
Nun, ich ritt den ganzen Tag und machte nur alle zwei Stunden eine kurze Rast, zumeist an Wasserstellen, wo mein Wallach auch etwas grasen konnte.
Als es Abend wurde, erreichte ich einen kleinen Creek, der an einigen Stellen nur noch aus Tümpeln bestand, in denen einige Forellen gefangen waren. Ich fing sie heraus, denn Forellengreifen hatte ich schon als Junge gelernt. Das musste jeder Texasjunge einfach können.
Als ich dann die Forellen an Stecken über der Glut meines Feuers briet, da kamen zwei Reiter und hielten bei mir an. Sie waren nicht auf dem Weg gekommen, sondern tauchten plötzlich zwischen den Bäumen auf.
Im Sattel verharrend sahen sie auf mich nieder. Sie gefielen mir von Anfang an nicht, denn ich sah ihnen an und spürte auch instinktiv, zu welcher Sorte sie gehörten.
Einer sagte: »Freund, Sie könnten uns zum Abendessen einladen.«
Aber ich schüttelte den Kopf. »Dies ist nur eine Mahlzeit für eine Person«, antwortete ich dann. »Ihr solltet euch selbst Fische fangen. Es ist noch hell genug.«
Sie grinsten böse. Dann sagte der Sprecher von vorhin: »Mann, Sie sind sehr unfreundlich. Haben Sie was gegen uns?«
Nun wusste ich es genau. Sie waren auf mehr als nur Streit aus. Abgerissen wie sie waren, konnten sie alles gebrauchen – einfach alles, was sie an mir sahen. Gewiss gefiel ihnen auch mein Wallach besser als ihre eigenen Pferde.
Sie wollten nun absitzen, doch ich erhob mich schnell aus der Hocke. In der Linken hielt ich den Stecken mit dem gebratenen Fisch, meine Rechte aber hing dicht beim Revolverkolben.
Indes ich mich erhob, sagte ich: »Bleibt oben!«
Sie verharrten.
»Und wenn nicht?« So fragte ihr Sprecher böse.
»Dann seid ihr verdammte Narren«, erwiderte ich ruhig. »Haut lieber ab. Hier gibt es nichts zu holen.«
Sie verharrten immer noch und wogen ihre Chancen ab. Ja, ich konnte ihnen ansehen, wie sehr sie ihren Instinkt befragten. Längst hatten sie gespürt, dass ich gefährlich war, kein Hammel, sondern eher ein Wolf.
Doch sie gehörten zu jener wilden Sorte, die jede Herausforderung annahm und sich immer wieder beweisen musste, dass sie sich überall behaupten konnte.
Und sie waren ja auch zu zweit, wollen eine Pechsträhne beenden.
Sie tauschten dann einen Blick aus und zogen ihre Pferde herum, ritten an, so als wollten sie sich wirklich entfernen.
Doch nach einigen Yards rissen sie ihre Pferde herum und ihre Revolver dabei heraus. Als sie auf mich schießen wollten, da bekamen sie es von mir. Ja, ich schoss sie aus den Sätteln.
Was hätte ich anderes tun können? Ich hatte keine Wahl. Sonst hätten sie gegen mich gewonnen.
Sie fielen aus den Sätteln und lagen stöhnend am Boden. Nach einer Weile setzten sie sich auf. Ja, sie bluteten und hatten Schmerzen. Doch sie würden überleben, und zum Glück für uns alle wollten sie nicht weitermachen. Denn dann hätte ich sie töten müssen.
Einer sagte: »Verdammt, warum hast du uns nicht gesagt, wie schnell du bist?«
Und der andere stöhnte: »Ich verblute. Ich habe die Kugel noch in der Schulter. Ich verliere Blut.«
»Ihr seid zwei Narren«, erwiderte ich. »Und nun haut ab. Kommt mir nicht mehr unter die Augen. Haut ab!«
Sie kamen taumelnd auf die Füße und wandten sich ihren Pferden zu, welche nur wenig weggetanzt waren. Aber es waren Pferde, die an Revolverfeuer gewöhnt waren.
Die beiden stöhnenden und fluchenden Kerle kamen endlich in die Sättel. Der eine schaffte es erst beim dritten Versuch.
Langsam ritten sie davon. Ihre Revolver lagen noch am Boden. Ich hob sie auf und warf sie in die Büsche.
Dann aß ich meine gebratenen Fische und dachte über dieses Land nach.
Sheriff Jedson Ballard hatte mir da etwas aufs Auge gedrückt, verdammt! Und er musste gewusst haben, dass ich nicht kneifen würde.
Es wurde Nacht. Mein Feuer war nun ein rotes Auge in der Dunkelheit. Ich konnte in meinem Camp nicht bleiben. Die beiden angeschossenen Satteltramps hatten vielleicht Kumpane in der Nähe. Auch konnten die Schüsse meilenweit gehört worden sein und andere Reiter neugierig gemacht haben.
Ich musste mein Camp zumindest um eine Meile verlegen.
✰
Am nächsten Morgen ritt ich weiter und kam durch ein wunderschönes Land. Unterwegs begegnete ich einem Wagenzug und zwei Packtierkolonnen. Die Peitschen der Maultiertreiber knallten fast so laut wie Gewehrschüsse.
Da und dort sah ich Rinder, auch kleine Ranches oder Siedlerstätten. Zweimal erblickte ich Schafherden. Das Land war also nicht menschenleer. Doch es war ein Land mit tausend verborgenen Winkeln. Ich sah viele Fährten.
Verdammt, warum hatte mich der County Sheriff Jedson Ballard in dieses Land gesandt? War er zu feige, selbst hier nach dem Rechten zu sehen? Gewiss, sein County war riesengroß. Er konnte nicht überall sein, musste sich auf seine Deputies in den Distrikten verlassen. Und ein County Sheriff war eigentlich mehr ein Politiker als ein Sheriff. Solche Sheriffs strebten zumeist politische Ämter an bis zum Gouverneur. Zumindest wollten sie in den Kongress gewählt werden, also in Washington ihr Land vertreten. County Sheriffs ließen stets die Deputies die Drecksarbeit machen und heimsten selber die Ehren ein. Das nannte man »delegieren«, also den richtigen Mann für den betreffenden Job einsetzen.
Doch dieses Delegieren ist die große Kunst der Macher.
Und mich hatte er ja auch für Clearwater eingesetzt.
Aber wird nicht die ganze Welt so regiert?
Nun, ich machte mir unterwegs so meine Gedanken, und je länger ich nachdachte, umso schlauer fühlte ich mich in der Betrachtung der Dinge.
Es war dann fast schon Abend, als ich Clearwater endlich zu sehen bekam.
Der Ort lag in einem schönen Tal, in das aus allen Himmelsrichtungen Schluchten ihre Mäuler öffneten, also Zugänge waren.
Und der Clearwater Creek durchfloss das Tal. Er kam aus einer Schlucht und verließ das Tal durch eine andere.
Alles war schön zu sehen im letzten Sonnenschein.
Ich verhielt auf dem Passsattel eine Weile und sah mir von oben alles an. Es sah schön und friedlich aus. Auf einigen Feldern machten sie Feierabend. Das konnte ich gut erkennen. Reiter strebten auf Wegen der kleinen Stadt zu. Das Tal war fast kreisrund. Der Durchmesser mochte an die zehn Meilen betragen.
Ich würde erst in etwa einer Stunde unten sein können. Dann war die Sonne längst hinter den Bergen verschwunden. Die Lichter der kleinen Stadt würden mir den Weg weisen.
Was erwartete mich dort unten?
Das fragte ich mich jetzt.
Meinen Vorgänger hatte man von hinten erschossen. So viel wenigstens sagte mir der County Sheriff. Aber sonst hatte er mir nicht viel gesagt.
Ich zögerte immer noch, wollte nicht anreiten.
Mein Instinkt warnte mich. Vielleicht sollte ich umkehren, dachte ich plötzlich.
Doch dann regte sich in mir der Trotz.
Ich hatte noch niemals gekniffen, war niemals weggelaufen, wenn es mulmig zu werden schien. Denn ich hatte längst schon begriffen, dass ein Wegläufer immer wieder weglaufen würde. Und das konnte kein Leben sein für einen Mann mit Stolz.
Und Stolz besaß ich, verdammt ja, den besaß ich. Den hatte noch niemand zerbrochen.
Würde es dort unten geschehen?
Nun, ich wollte es herausfinden.
Und so ritt ich an.
Als ich eine halbe Stunde später schon halb unten war, da stieß von rechts ein schmaler Reitweg – mehr ein Pfad – auf den Wagenweg, der mich abwärts führte.
Eine Reiterschar kam in der Dämmerung herangejagt. Sie tauchte plötzlich um eine Felsengruppe herum auf. Sie ritten offensichtlich um die Wette und stießen scharfe Schreie und Pfiffe aus.
Vielleicht ging es darum, wer dort unten in der Stadt zuerst an der Bar stand.
Ich wusste, unter rauen Mannschaften wurden manchmal in Stadt- oder Saloonnähe solche Wettritte ausgetragen.
Damals als junger Cowboy am Brazos River in Texas, da hatte auch ich solche Wettritte mitgemacht.