1,99 €
Irgendwann macht jeder Mann mal einen Fehler, und auch ich hatte im Verlaufe meines Lebens dann und wann welche gemacht - ich, Johnny Laredo.
Stets war ich heil davongekommen, sah man von wenigen Schrammen ab. Diesmal jedoch sah ich keine Chance. Sie hatten mich in der Klemme. Mein Gegner stand drei Schritte hinter mir und hielt eine Schrotflinte bereit.
Ich wusste, mit diesem Ding konnte er mich in zwei Hälften schießen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 225
Veröffentlichungsjahr: 2014
Cover
Impressum
Die Jagd auf mich
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-8387-5825-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Jagd auf mich
1
Irgendwann macht jeder Mann mal einen Fehler, und auch ich hatte im Verlaufe meines Lebens dann und wann welche gemacht – ich, Johnny Laredo. Aber ich war stets heil davongekommen, sah man von wenigen Schrammen und ähnlichen Zeichen ab.
Diesmal jedoch sah ich keine Chance. Sie hatten mich in der Klemme. Mein Fehler war es, dass ich nicht weit genug geritten war und mein Lager nicht sorgfältig genug gewählt hatte. Und überdies hatte der Hombre, mit dem ich eine lange Nacht und den darauf folgenden Tag spielte, einen Indianer bei sich. Es war ein zivilisierter Pima, der sich wie ein Cowboy kleidete. Er war gewiss mal in einer Missionsschule erzogen worden. Dennoch hatte er gelernt, wie man in dunkler Nacht einen Mann in einem verborgenen Camp findet.
Nun stand er drei Schritte hinter mir und hielt eine Schrotflinte bereit. Mit diesem Ding konnte er mich in zwei Hälften schießen.
Ich wusste das. Und deshalb versuchte ich keinen Trick. Ich ließ meine Finger von meinem Colt, der neben mir im Grase lag.
Im grauen Morgenlicht sah ich den anderen Mann an. Ich erkannte ihn sofort, denn er gehörte zu jener Sorte, an die man sich auch dann erinnert, wenn man sie zuvor nur flüchtig sah.
Denn dieser Bursche sah so prächtig aus wie ein junger Gott, der sich auf unserer armseligen Erde mal ein wenig umsehen wollte. Ich hatte diesem Hombre länger als zwanzig Stunden am Spieltisch gegenübergesessen und hatte ihn sorgfältig beobachtet und studiert.
Der Junge war äußerlich eine Augenweide; er erschien einem Betrachter makellos und ohne den geringsten Fehler. An ihm war alles richtig – äußerlich.
Aber er konnte nicht verlieren. Das wurde jetzt völlig klar. Denn er holte sich zuerst schweigsam meinen Colt und durchsuchte dann mein weniges Gepäck. Als er das Geld fand, knurrte er zufrieden.
Ich sagte sanft: »Amigo, ich hatte selbst etwas mehr als dreitausend Dollar bei mir, bevor wir unser Spiel begannen. Wenn du schon nicht verlieren kannst und dir dein Geld auf diese Art wiederholen möchtest, dann nimm gefälligst nur dieses Geld und nicht meins. Oder bist du am Ende gar nur ein Straßenräuber?«
Ich sagte es sitzend. Denn mehr als mich aufsetzen durfte ich nicht.
Er schnaufte zu meinen Worten und trat mich vor die Brust, sodass ich nach hinten fiel und meine Beine hochwarf. Ich versuchte, den Lauf der Schrotflinte hinter mir auf diese Art zu treffen, doch es gelang mir nicht. Der Indianer glitt rechtzeitig zurück und schlug mir dann den schweren Doppellauf über die Waden. Da wurde ich wieder friedlich.
Er aber sagte: »Du bist ein Falschspieler. Nur deshalb konntest du mir das Geld abgewinnen. Doch ich lasse mich nicht von einem Falschspieler ausnehmen. Strafe muss sein. Deshalb nehme ich alles. Steh auf, ich weiß, dass du auch noch einen Geldgürtel trägst!«
Ich gehorchte, denn es wäre dumm gewesen, es nicht zu tun. Er war noch eine Idee größer als ich, auch gewiss sieben oder acht Kilo schwerer. Als er mir das Hemd aufriss und den Gürtel abnahm, traf mich sein Atem ins Gesicht.
Aber er wich meinem Blick aus. Mit meinem Geldgürtel und meiner Satteltasche, die beide mit Geld gefüllt waren – zusammen mit fast siebentausend Dollar oder guten Silberpesos – trat er zurück.
»Ich gehe zu unseren Pferden, Juarez«, sagte er. »Erledige ihn, sobald ich vom Wagenwege her pfeife. Wir können dann sicher sein, dass nicht gerade jemand vorbeireitet und etwas hört. Also!«
Nun sah er mich im grauen Morgen an. Sein Blick war wild und kalt zugleich.
Dann ging er. Ich sagte hinter ihm her: »Was bist du doch für ein Drecksack. Ich werde aus der Hölle auf dich spucken und dir in allen Träumen erscheinen.«
Aber er gab keine Antwort. Er sah sich nicht mal mehr um. Er ging eilig davon. Es wirkte fast wie eine Flucht. Aber weil er so prächtig und verwegen aussah, so männlich und kühn, da hielt ich es nur für Eile.
Ich wandte mich dem Indianer zu. Dieser stand vier Schritte entfernt und ließ mich in die Doppelmündung der Schrotflinte blicken. Er hatte die beiden Hähne gespannt und brauchte nur abzudrücken. Nicht die Spur von einer Chance war für mich vorhanden.
Ich sah diesen Juarez an. Und ich sagte: »Dein Name ist Juarez? Vor einigen Wochen ritt ich noch für einen Mann, der so heißt wie du. Sein Vorname ist Benito. Weißt du, wen ich meine?«
Er nickte. »Benito Juarez, Präsident und Diktator von Mexiko«, sagte er. »Er ist Indianer wie ich – und er ließ Kaiser Maximilian erschießen. Es gibt viele Indianer, die Juarez heißen.«
Ich nickte. »Und ich war ihm treu«, sagte ich. »Ich glaubte an ihn, war überzeugt, dass er der rechte Mann für Mexiko wäre.«
Da grinste er. »Ay, Hombre, du warst doch nur einer von diesem Gringo-Pack, welches man kaufen kann. Du gehörtest doch auch nur zu all den Revolverschwingern, die bei jeder Revolution mitreiten, weil sie rauben und plündern wollen, töten und zerstören. Um dich ist es nicht schade. Du bist jetzt nur an der Reihe, wie vor dir viele andere Burschen an der Reihe waren. Irgendwann erwischt es jeden – so oder so.«
Da schüttelte ich heftig den Kopf. »Nimm meinen Hut«, sagte ich. »Darin findest du meine ehrenhafte Entlassung – von Benito Juarez unterzeichnet. Ich half ihm, weil er ein Mann des Volkes war. Ich half einem Indianer dabei, Präsident zu werden. Und nun soll ich von einem anderen Indianer, der zufällig ebenfalls Juarez heißt, umgelegt werden? Warum dienst du diesem Drecksack, welcher nicht in einem ehrlichen Spiel verlieren kann, wie ein Hund!«
Der graue Morgen war nun etwas hellgrau geworden. Und jener Juarez sah mich seltsam an.
Aber dann trat er zur Seite, hob meinen Hut vom Boden auf und fand dort die Entlassung, die ich zusammengefaltet hinter dem Schweißband verwahrte.
Selbst als er las, konnte ich ihn nicht überrumpeln. Er brauchte die Schrotflinte nur abzudrücken, gar nicht zu zielen.
Als er gelesen hatte, tönte vom Wagenweg her der Pfiff. Nun musste es sich entscheiden. Würde er abdrücken oder mich am Leben lassen?
In seinem dunklen, breitknochigen Gesicht regte sich nichts. Und auch seine schrägen Augen waren fast geschlossen und ließen nichts erkennen.
Mir aber ging es so wie schon einmal, als mich die Franzosen bereits an die Wand gestellt hatten und schon die Gewehre anlegten, um mich zu erschießen und die Juarez-Reiter mich im letzten Moment retteten. Gab es auch jetzt solch ein Wunder?
Das fragte ich mich, und ich hielt meinen Atem an. Mein Leben zog blitzschnell an mir vorbei. Ach, was für ein wildes und dabei doch armseliges Leben war es gewesen!
Und ausgerechnet jetzt sollte es mich endgültig erwischen, jetzt, da ich mit meinen Ersparnissen heimwärts wollte, um mir eine kleine Ranch zu schaffen.
Juarez sagte plötzlich: »Schwöre, dass du uns nicht folgen und auch nicht nach uns forschen wirst. Schwöre es bei allem, was dir heilig ist!«
Das war die Chance. Und er meinte es ernst. Er war sogar bereit, meinem Wort zu glauben.
»Ich schwöre es«, sagte ich heiser. »Ich weiß zu gut, Compadre, dass du sonst selbst in eine böse Lage geraten würdest. Ich schwöre, dass ich euch nicht folgen und auch sonst nicht nach euch forschen werde.«
Er sah mich noch einmal an. Es strömte etwas von ihm zu mir über. Es versuchte spürbar, tief in mich einzudringen, mich zu ergründen, zu erforschen. Es war sein untrüglicher Instinkt.
Er murmelte: »Du dientest einem Indianer treu – und ich diene einem Weißen auf die gleiche Art. Unsere Motive sind gar nicht so sehr verschieden. Aber hüte dich.«
Und dann hob er die Schrotflinte und schoss beide Läufe in die Luft ab. Er wandte sich und lief davon.
Ich aber atmete auf und sah im Osten die ersten Licht-Explosionen der aufsteigenden Sonne. Noch war sie verborgen und kündigte sich nur mit dem ersten Licht an.
Ich lebte. Noch einmal war ich davongekommen. Und die Zukunft lag wieder einmal unklar vor mir. Wieder einmal war ich ein Satteltramp ohne Geld.
Der Traum von einer eigenen Ranch lag wieder in weiter Ferne. Aber ich lebte, ich, Johnny Laredo, den man vor fast dreißig Jahren als Baby unter einem brennenden Planwagen hervorzog – als einzigen Überlebenden eines Wagenzuges.
Man brachte mich in die alte spanische Siedlung Laredo. Nach ihr erhielt ich meinen Namen. Weil ich ein Kind anglo-amerikanischer Abstammung war, nannte man mich Johnny. Aber der Nachname wurde Laredo. Die Zeiten aber machten mich zu einem Revolvermann.
Vielleicht hätten eine Menge Männer an meiner Stelle damals anders gehandelt und sich alsbald schon daran gemacht, die Verfolgung aufzunehmen.
Denn ich besaß ja noch mein Pferd und auch mein Gewehr. Nur mein Geld und meinen Revolver hatte jener blonde, blauäugige und so prächtig aussehende Bursche mir mit Hilfe seines Indianers abgenommen. Und natürlich juckte es mich mächtig.
Denn ich hatte es stets wie der einstige römische Feldherr Sulla gehalten, der folgenden Ausspruch der Nachwelt ließ: »Kein Mensch tat mir jemals etwas Gutes oder Böses, ohne dass ich es ihm voll zurückgezahlt hätte.«
Nach diesem Spruch also hatte ich stets gelebt. Aber nun war ich in einer Klemme. Der Indianer hatte mein Wort. Und er ließ mich leben, weil er meinem Wort vertraute.
Natürlich wäre es sogar moralisch vertretbar gewesen, wenn ich mich nicht an das Wort gehalten hätte. Denn ich gab es ja sozusagen in Notwehr. Es ging darum, nicht ermordet zu werden. Jede Täuschung des Gegners war entschuldbar.
Ich hätte gewiss nach den Regeln der menschlichen Gemeinschaft das Recht gehabt, die Banditen zu verfolgen und mir mein Geld zurückzuholen.
Aber dennoch tat ich es nicht. Ich ließ siebentausend Dollars und Silberpesos sausen. Denn ich hatte mit dem Indianer Juarez einen Vertrag geschlossen, der mir wahrhaftig heilig war. Und ich ahnte schon damals, dass der rote Bursche sehr viel mehr riskiert hatte, als man glauben konnte.
Ich witterte damals schon ein Geheimnis. Und so verzichtete ich darauf, mir die verlorenen Haare wiederzuholen.
Natürlich brauchte ich viele Tage und Wochen, bis sich in mir alles beruhigt hatte. Ich erlebte oft einen Widerstreit von Gefühlen, und manchmal war ich schon ganz dicht davor, die Fährte aufzunehmen.
Oh, ich hatte noch niemals eine Fährte verloren. Und ich wusste, dass ich einen solch bemerkenswerten Burschen, der von einem Indianer begleitet wurde, ganz gewiss irgendwo im Südwesten aufgespürt hätte. In irgendeinem Ort mussten sie damals aufgetaucht sein. Diese Fährte hätte ich gewiss dann nicht mehr verloren. Aber ich ließ es.
Oh, es ging mir damals eine Weile sehr schlecht. Ich war ein Satteltramp – und ich stahl damals Rinder und Pferde, ritt in schlechter Gesellschaft und half sogar dabei, einem Steuereintreiber der Union das Geld wieder abzunehmen. Aber wir gaben das meiste Geld den Leuten zurück, denen er es abgenommen hatte. Wir retteten sie vor dem Untergang.
Ich war damals auf dem besten Wege, endgültig ein Bandit zu werden.
Natürlich hatte ich damals auch ein paar Revolverkämpfe, denn ich gehörte zu jener Sorte, die für jeden Wild Bill sofort vom ersten Augenblick an eine Herausforderung war. Ich war überall einer jener Bullen, die von anderen Bullen angegangen wurden, weil ein Sieg über sie den größten Ruhm einbrachte.
Ich war ja nicht irgendein Johnny Laredo – sondern der Johnny Laredo. Man kannte mich noch aus der Zeit vor meinem Abstecher nach Mexiko.
Nun, ich war damals in jener miesen Zeit nach dem Verlust meines Geldes auch noch Rauswerfer in wilden Saloons, Leibwächter eines üblen Geschäftemachers und sogar Transportbegleiter der Aurora-Mine.
Aber dann schloss ich mich einer der ersten Treibherden an, die damals von Texas nach Kansas aufbrachen und Jesse Chisholms Trail folgten.
Nun, ich könnte über dieses Treiben eine lange Geschichte erzählen, die gewiss nicht weniger spannend wäre als jene, die ich erzählen möchte. Aber diese Geschichte hätte fast gar nichts mit jenem äußerlich so prächtig anzusehenden Burschen zu tun, der nicht im Spiel verlieren konnte und der mich dann von seinem ihm treu ergebenen Indianer ermorden lassen wollte.
Aber durch das Rindertreiben kam ich nach Abilene in Kansas. Und in Abilene sah ich ihn wieder.
Auch der Indianer war wieder bei ihm.
2
Es war ein Zufall, wie er dann und wann im Leben vorkommt. An einem schönen Vormittag ging ich in ein Restaurant, und ich hatte mich schon neu eingekleidet, war gebadet, rasiert und hatte meine Haare frisch geschnitten.
In meiner Tasche klingelten dreihundert Dollar Treiblohn, denn ich war einer der Vorleute der großen Treibmannschaft gewesen. Der Boss hatte sich nicht lumpen lassen.
Als ich ins Restaurant trat, brauchte ich einen Moment, bis sich meine Augen daran gewöhnt hatten, dass es drinnen nicht so hell war wie draußen im Sonnenlicht.
Deshalb erkannte ich den Burschen nicht sogleich. Er aber erkannte mich früher. Und er sprang auf, zog und schoss.
Die Kugel riss mir Fleisch von einer Rippe. Dann schoss ich, denn nachdem ich erst begriffen hatte, war ich schnell wie ein geölter Blitz. Ich ließ ihn nicht nochmals abdrücken. Ich wollte am Leben bleiben. Und so traf ich mit dem ersten Schuss gleich richtig.
Da setzte er sich mit einer merkwürdig ruhig anmutenden Bewegung in den Sessel zurück, aus dem er aufgesprungen war und dann fiel er mit dem Oberkörper über den Tisch.
Ich aber zielte auf den Indianer Juarez, der mit ihm am gleichen Tisch gesessen hatte. Auch er war aufgesprungen.
Alle Gäste sonst waren entweder aufgesprungen oder hatten sich unter die Tische in Deckung gleiten lassen. Man war in Abilene an Schießereien gewöhnt. Diese gab es fast jeden Tag. Denn Abilene war ein Babylon der Prärie, ein Sodom, und es wurde jeden Tag und jede Nacht schlimmer.
Ich sagte zu Juarez: »Er hatte den ersten Schuss, bevor ich ihn erkannte, nicht wahr? Das musst du zugeben, wenn du fair bist oder?«
Er nickte langsam. »Es war so«, sagte er. »Doch jetzt sollten Sie sich auf ein schnelles Pferd werfen und tausend Meilen reiten, bevor Sie auch nur mal richtig ausruhen. Schnell, Mister!«
Aber ich schüttelte den Kopf. Jetzt war ich stur. »Ich denke nicht daran«, sagte ich.
»Das braucht er auch nicht«, meldete sich eine andere Stimme. Sie war rau und gewichtig. Es war die Stimme eines der Herdenbosse – eines Mannes Stimme also, der mit einer mächtigen Rinderherde und einer rauen Mannschaft von Texas her den Treibweg heraufgekommen war.
»Er hat ihn in nackter Selbstverteidigung erledigt«, sagte dieser Treibherdenführer. »Ich bin Jesse Logan aus San Angelo. Ich sage das jedem Marshal. Und jetzt geh schnell zum Doc, Bruder, damit nicht zu viel Saft aus dir laufen kann.«
Er meinte mich. Ich spürte, wie das Blut mir das nagelneue Unterzeug und das hellblaue Reithemd tränkte. Die Wunde begann nun böse zu schmerzen. Wahrscheinlich war die Kugel von meiner Rippe abgeprallt, hatte diese geknickt und hatte mir das Fleisch abgefetzt.
Ich ging, und ich fand auch bald schon einen Doc schräg gegenüber, der sich meiner mit schweigsamer Routine annahm und dann zwanzig Dollar verlangte. Aber dafür hatte er meine Wunde gereinigt, zusammengenäht und die angebrochene Rippe mit einem breiten Pflaster geschient. Er hatte gute, saubere und schnelle Arbeit geleistet.
Ich zahlte und ging in mein Hotelzimmer zurück. Denn ich musste mich jetzt langlegen. Auf der Treppe traf ich den schwarzen Hotelburschen und gab ihm noch einige Aufträge, die Feuerwasser, ein Frühstück und einige andere Kleinigkeiten betrafen.
Dann war es endlich soweit, dass ich mich auf einem Bett ausstrecken konnte. Und das tat gut.
In mir war nicht nur der Schmerz der Wunde – und war auch nicht nur das dankbare Glücksgefühl, noch einmal davongekommen zu sein, überlebt zu haben. Nein, da war auch noch Bitterkeit.
Denn ich hatte einen Narren töten müssen – einen verdammt blöden Narren, der es gar nicht nötig hatte, sterben zu müssen. Ich hätte ihm vielleicht das Geld wieder abverlangt, welches er mir einst raubte. Aber sonst …
Ja, es war Bitterkeit in mir. Ich durchlebte jetzt mehrmals den so kurzen Kampf – und ich wusste stets zuvor schon den Ausgang. Dann dachte ich an den Indianer, der nicht nur so zivilisiert aussah, sondern ein gutes Englisch sprach. Dieser rote Bursche hatte mich gewarnt. Ich konnte plötzlich wittern, dass etwas auf mich zukam – eine Gefahr, Unheil, Verdruss.
Ja, da war etwas Drohendes. Nun spürte ich es. Und ich fragte mich, wer wohl jener so prächtig anzusehende Bursche war, der sich zum zweiten Male mit mir anlegte – und der nun tot war.
Damals, als wir miteinander pokerten, war sein Name nicht wichtig. Niemand von unserer Pokerrunde damals in jenem primitiven Saloon in einem kleinen Nest hatte sich vorgestellt.
Auch später erfuhr ich nur den Namen des Indianers. Und jetzt ahnte ich, dass es sicherlich wichtig war, zu wissen, wen ich getötet hatte.
Ich erfuhr es bald schon, denn es kam ein Deputy des Stadt-Marshals, der meine Aussage und auch meinen Namen für die Leichenschau brauchte. Die Zeugenaussagen hatte er schon, und er sagte: »Du hattest Glück, Johnny Laredo. Du konntest nicht nur überleben, sondern den anderen Hombre auch noch in einwandfreier Selbstverteidigung erledigen. Es war sozusagen ein klassisches Beispiel von Selbstverteidigung, mit guten Zeugen. Diese Stadt macht dir keine Schwierigkeiten, zumal du nicht als Revolverheld oder Spieler, sondern als Vormann einer Treibmannschaft hergekommen bist. Dein Boss stellte dir ein gutes Zeugnis aus. Und das wunderte uns ein wenig, weil du doch im Südwesten eine tolle Nummer mit der Kanone bist. Es ist selten, dass Revolvermänner harte Arbeit verrichten. Na schön, wie ist deine Aussage?«
Ich machte sie, und er saß am Tisch in meinem Zimmer und schrieb. Dann setzte ich meinen Namen unter das Protokoll – und dabei las ich, wen ich umgelegt hatte.
Der Bursche hieß Bill Palestine.
Und da begann es endlich in meinem Kopf zu funktionieren.
Es gab damals nur wenige »Große« im Südwesten, ich meine große Rinderzüchter. Aber diese wenigen Großen glichen Fürsten, Königen. Sie regierten sehr selbstherrlich in ihren Gebieten; ihre Macht war absolut.
Und solch ein Bursche war jener Palestine – aber nicht jener, den ich getötet hatte. Nein! Ich ahnte, dass ich wahrscheinlich den Sohn von Big Bill Palestine getötet hatte.
»Heh«, sagte ich zum Deputy, »hier steht Bill Palestine. Ist das vielleicht ein Verwandter von Big Bill Palestine, der zwischen dem Pecos und dem Rio Grande sein Königreich hat?«
Der Deputy sah mich staunend an. »Das wusstest du nicht?« So fragte er. Und dann kam eine Spur von Mitleid in seine kühlen Augen. »Das war ’Wild-Bill’ Palestine«, sagte er. »Das war der Sohn von Big Bill persönlich. Er hatte seinen Jungen mit einer Treibherde losgeschickt, um ihn sozusagen das Meisterstück machen zu lassen. Er hat diese Treibherde auch mit Hilfe eines guten Vormannes und einer erstklassigen Mannschaft gut hergebracht und nicht weniger gut verkauft. Ich habe gehört, dass die Mannschaft eine Express-Sonderpostkutsche gemietet hat, um den Toten heimbringen zu können. Diese Post wird Tag und Nacht fahren und nur zum Gespannwechsel anhalten. Zum Glück ist jetzt auch schon der Herbst bald vorbei. Sonst – bei der Hitze – wäre es wohl nicht so einfach …«
Er brach ab und ging zur Tür.
Von dort sagte er: »Wir haben der Palestine-Mannschaft unmissverständlich klargemacht, dass sie dich in Frieden lassen soll. Und da sie es eilig hat, mit dem Toten abzufahren, werden sie sich gewiss nicht mit dir aufhalten. Aber du kannst dir alles sonst allein ausrechnen. Du bist doch kein kleiner Pinscher, kein Anfänger, kein Dummkopf. Du bist doch Johnny Laredo, von dem man sich selbst hier in Kansas ein paar Geschichten erzählt. Stimmt es, dass du drüben in Mexiko bei Juarez Major gewesen bist?«
Ich grinste nur bitter. Denn das alles war längst vorbei, und es nützte mir nichts mehr. Ich wusste nun mit Sicherheit, dass ich es wahrscheinlich mit einem der mächtigsten Männer des ganzen Südwestens zu tun bekommen würde.
Denn ich hatte seinen Sohn getötet.
Und wenn ich mich nicht irrte, besaß dieser Big Bill Palestine nur diesen einen Sohn. Jetzt besaß er keinen mehr.
Deshalb konnte es leicht sein, dass ich für ihn der Bursche war, der sein ganzes Lebenswerk, den Sinn seines Lebens zerstört hatte. Ich hatte einem Cattleking den Kronprinzen genommen – ich, der Revolvermann Johnny Laredo.
Nun überlegte ich, wann ich reiten konnte. Denn es war wahrhaftig besser, schnell tausend Meilen hinter mich zu bringen und die Fährte sorgfältig zu verwischen. Ich gehörte jetzt zu jenen Burschen, die fortwährend über die Schulter blicken mussten, weil sie Schatten auf ihren Fährten hatten – gefährliche, lautlose und erfahrene Kopfjäger.
Es hatte wohl wenig Sinn, sich darauf zu verlassen, dass dieser Big Bill Palestine die Sache objektiv sehen konnte und mir das Recht auf Selbstverteidigung zubilligte. Nein!
Und ich fragte mich, warum mir der einzige Sohn des mächtigen Big Bill Palestine nach Straßenräuberart das Geld nahm?
Aber das würde mir sein großer Vater sicherlich nicht glauben. Ich beschloss, mich nach Anbruch der Dunkelheit aus dem Staub zu machen.
Freunde hatte ich keine in Abilene. Die Treibmannschaft, mit der ich gekommen war, hatte sich längst zerstreut. Zum Teil waren die Reiter mit ihrem Boss schon heimwärts unterwegs. Ich war mit ihnen gut ausgekommen, weil sie mich respektiert hatten. Aber einen Freund hatte ich nicht gewonnen. Ich wollte es auch gar nicht. Bisher war ich früher oder später stets von Freunden enttäuscht worden. Das gehörte zum Leben, zu all den Höhen und Tiefen, Freuden und Enttäuschungen. Das war das Leben.
Aber ich wollte keine Freunde mehr. Ich war ein einsamer Wolf. Und deshalb war ich auch jetzt allein. Aber das war mir recht. Auf mich konnte ich mich immer verlassen.
***
Der Hausneger versorgte mich gut, aber er verdiente sich ja auch ein gutes Trinkgeld dabei. Ich trank, aß und ruhte mich aus. Die Schmerzen in meiner Seite wurden erträglich. Aber ich wusste, dass ich im Sattel eine kleine Hölle bekommen würde, bevor ich auch nur dreißig Meilen geritten war.
Wahrscheinlich würde sich dann auch Wundfieber einstellen und konnte es auch möglich sein, dass die Wunde sich entzündete.
Es war zwei Stunden vor Mitternacht, als ich das Hotel durch das Fenster einer kleinen Kammer verließ, welches in eine Seitengasse führte. Ich hatte nur ein kleines Bündel bei mir.
Den Mietstall betrat ich durch die kleine Pforte des hinteren Tores. Sie befand sich im linken Torflügel und quietschte nicht mal. Aber mein Pferd befand sich nicht in der Box, die ich gemietet hatte.
Vorne im Vorraum war die Beleuchtung besser. Dort vorne hatte auch der Stallmann sein Büro und den Schlafverschlag. Und dort vorne stand auch ein Pferd. Es war gesattelt und wartete auf seinen Besitzer. Es kam oft vor, dass der Stallmann zu einer bestimmten Zeit ein Pferd sattelte und dann im Vorraum auf den Besitzer warten ließ.
Ich ging den halbdunklen Stallgang entlang nach vorn und erkannte, dass es mein Pferd war. Solch einen verrückt gefleckten Schecken gab es nicht zweimal. Und auch meinen Sattel kannte ich gut genug.
Ja, mein Pferd war fertig zum Abritt und wartete auf mich. So sah es aus. Aber wer hatte es bereitstellen lassen? Vom Stallmann war nichts zu sehen. Vielleicht war er in seinem Verschlag oder dem Büro.
Ich schnappte meinen Revolver heraus.
Aber es war niemand da – auch nicht hinter mir auf dem Heuboden, zu dem ich hochspähte, indes ich mich meinem Pferd näherte.
Das große Tor zum Hof stand offen – beide Flügel.
Draußen waren eine Menge Wagen und Sattelpferde abgestellt. Vielleicht war auch der Stallmann dort draußen.
Ich nahm mein Pferd und führte es hinaus, nachdem ich mein Bündel hinter dem Sattel festgezurrt hatte.
Als ich neben dem Tier ins Freie trat, da hatten sie mich auch schon.
Oben vom Dach des Mietstalles sprang jemand auf mich nieder. Er brach mir fast die Schultern und das Rückgrat. Diese harten Jungens verstanden ihr Geschäft. Sie hatten gewiss auch mit Trinkgeldern nicht gespart, damit wir unter uns waren.
Mein Colt nützte mir nichts – gar nichts. Denn ich brach unter dem auf mich niederwuchtenden Mann zusammen, bekam überdies auch noch ein Ding auf den Hut und hatte zusätzlich noch das Gefühl, von einem Pferd in die verwundete Seite getreten worden zu sein.
Ich begriff nur noch, dass sie mich erwischt hatten.
Sie würden gewiss nicht nur den toten Wild-Bill Palestine heimbringen. Das war klar.
3
Zwei Meilen südlich der Stadt kam ich wieder zum Bewusstsein. Ich lag quer über meinem Sattel, und die Schmerzen machten mich halb verrückt.
Ich machte mich verständlich und sagte den Schuften, was ich von ihnen hielt. Ich durfte mich richtig in den Sattel setzen. Die Lichter der Stadt waren noch nahe – aber ich selbst war schon wie tausend Meilen weit von Freundlichkeit, Sicherheit und Wärme entfernt.
Kein Deputy konnte mir helfen. Es gab in Abilene auch keine Freunde. Ich war Gefangener und allein.
Sie ließen mich verschnaufen, warteten geduldig, bis sich die Schmerzen in meiner Seite beruhigt hatten. Sie ließen mich sogar aus der Wasserflasche trinken, die an meinem Sattelhorn hing.
Und sie waren ein Dutzend Reiter. Es war jener Teil der Palestine-Stammmannschaft, die nicht mit dem toten Wild-Bill in der Sonder-Express-Post heimwärts fahren konnte – sozusagen als »Ehrenwache« des Kronprinzen. Sie mussten heimreiten und hatten die Aufgabe übernommen, mich dem King vor die Füße zu legen.
Ich sagte zu ihnen: »Ihr müsst ihn doch gekannt haben. Der war doch so falsch wie ein Korb voll Klapperschlangen. Und ihr müsst doch auch gehört haben, dass er den ersten Schuss hatte. Sollte ich mich von ihm töten lassen?«
Sie dachten über meine Worte nach – schweigend. Und ich hatte das Gefühl, dass sich einige sogar schämten und deshalb so ruhig blieben.
Aber dann sagte einer: »Junge, es gibt auf dieser Welt immer wieder Unterschiede. Wenn du zum Beispiel einen räudigen Indianerhund abschießt, verliert niemand darüber ein Wort. Aber wenn du den Fehler machst, einem King den einzigen Erben und Nachfolger abzuknallen, dann …«
Er verstummte, und seine Stimme klang bitter. Was er sagte, machte ihm wenig Freude. Aber es war dennoch eine abweisende Härte in seiner Stimme.
»Weißt du, Johnny Laredo«, sagte er, »dieser Big Bill Palestine ist unser Vater. Wir gehören zu ihm wie seine Hände – wie alles, was Palestine-Ranch ist. Deshalb müssen wir dich zu ihm bringen. Ihm allein steht die Entscheidung zu, was mit dir geschehen soll. Wir wären ihm schlechte Reiter, würden wir ihm nicht den Mann bringen, der seinen Sohn von dieser Erde jagte. Das musst du verstehen, Bruder. Denn wir sind Palestine-Reiter. Und alles, was Palestine ist, kommt zuerst. Du hast die Wahl, ob du friedlich und vernünftig mit uns reiten willst, oder wir dich quer über den Sattel mitnehmen. Ich denke, dass wir es in zwanzig Tagen schaffen können. Also, wie willst du es haben?«
Ich schnaufte bitter.