G. F. Unger Sonder-Edition 63 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 63 E-Book

G. F. Unger

4,8
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Bronco Ringloke dem Freund das Pferd stiehlt und ihn in die Gewalt der Verfolger fallen lässt, beginnt für ihn äußerlich ein schwindelnder Aufstieg. Auf der Heimatweide angekommen, erzählt er Jennifer Claymaster, dass Chance Jones, ihr Verlobter, auf der Flucht aus der Gefangenschaft getötet wurde. Jennifer heiratet Bronco, und er wird der Schwiegersohn des mächtigsten Ranchers im Land. Innerlich jedoch wird er zu einem Verlorenen, der immer neue Verbrechen begeht, um sein Lügengebäude vor dem Einsturz zu bewahren. Aber so skrupellos er ist und so mächtig er wurde, als Chance heimkehrt, hat Bronco ausgespielt. Denn in der kleinen Stadt Concho, die zum Einflussbereich der Claymaster Ranch gehört, trägt Chances Bruder Gil den Sheriffstern. Und gemeinsam sind die Jones-Brüder unbesiegbar ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 215

Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Die Jones-Brüder

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1546-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Jones-Brüder

1

Die Wasserstelle befindet sich gleich hinter der Passenge. Eine dünne Quelle ist es, die aus einer der Felsspalten kommt – und diese Quelle hier oben, so hoch am Pass, ist ein Wunder.

Bronco Ringlokes Pferd bricht einen Schritt vor der Quelle tot zusammen. Bronco Ringloke flucht heiser. Dann wirft er sich beim Wasser zwischen die Steine und schlürft gierig.

Inzwischen führt Chance Jones sein Tier herbei und lässt es zum Wasser. Er nimmt ebenfalls einige Schlucke und wäscht sich das mit einer schweißigen Staubschicht bedeckte Gesicht. Dann betrachtet er Bronco Ringloke. »Hör auf«, sagt er, »dir den Bauch mit Wasser zu füllen. Jedes Tier weiß, wie schädlich das in einem solchen Zustand der Erschöpfung ist.«

Bronco Ringloke richtet sich auf, lehnt sich hockend an einen großen Stein und betrachtet Chance Jones’ Tier. Heiser sagt er: »Es war von Anfang an besser als mein Bock. Aber wird es durchhalten und uns beide tragen können?«

Chance Jones’ Lider werden schmal. Er erkennt das unruhige Flackern in Bronco Ringlokes Augen. Es sind helle Augen, sehr hell und hart. Jetzt aber sind sie entzündet, gerötet. Und es ist ein wildes Funkeln in ihnen.

»Unsere Pferde waren gleichwertig«, erwidert Chance Jones. »Es sind Pferde der Unions-Kavallerie. Die sind stets gleichwertig. Das weißt du so gut wie ich. Doch du hast dein Tier nicht schonend geritten. Du hast ihm nicht genug von deinem Wasser abgegeben, sondern es lieber selbst getrunken. Und du bist auch nur halb soviel zu Fuß gelaufen, wie ich. Kein Wunder, dass dein Gaul verreckt ist. Du warst nicht anständig zu dem Tier. Der Wallach war dir ein guter Kamerad. Er hat dich bis zum Schluss getragen. Bronco, du verlangst stets mehr von denen, die dich lieben, als du selbst zu geben bereit bist.«

»So, verlange ich das, Chance?«, fragt Bronco gedehnt, und in seinen hellen Augen funkelt es wieder.

Er deutet auf die Passenge.

»Wie groß ist unser Vorsprung?«

Chance Jones hebt müde die Schultern. Es sind muskulöse Schultern, die das verblichene Unterhemd fast zu sprengen drohen. Vor wenigen Tagen noch trug er über diesem Unterhemd den Rock der Konföderierten Armee des Südens. Doch gestern deckte er damit einen Sterbenden zu, den sie auf der Flucht zurücklassen mussten. Es war Shorty Lane, der mit ihnen und weiteren sechs verwegenen Burschen aus dem Gefangenenlager am Red Rock ausgebrochen war.

Shorty und die sechs anderen Ausbrecher waren inzwischen tot oder wurden verwundet wieder eingefangen.

Doch Bronco Ringloke und Chance Jones konnten die Verfolger noch nicht einholen.

Chance Jones überlegt noch eine Weile und sagt dann: »Sieben oder acht Meilen, denke ich, haben wir Vorsprung. Besäßen wir noch beide Pferde, hätten wir gewonnen. Denn die Nacht kommt bald. Bis die Verfolger hier eintreffen, hätten sich die Tiere etwas ausruhen können. Unser Vorsprung könnte schon morgen eine ganze Nacht betragen. Zwanzig Meilen von hier liegt eine kleine Stadt. Dort könnten wir frische Pferde … Aaah, vielleicht schaffen wir die zwanzig Meilen auf einem Pferd! Wir werden abwechselnd zu Fuß laufen.«

»Das schaffen wir nicht«, erwidert Bronco Ringloke bitter. »Unsere Verfolger wissen genau, dass dort in der kleinen Stadt für uns frische Pferde zu bekommen sind. Zusammen auf einem Pferd haben wir keine Chance. Und laufen kann ich nicht. Ich habe es doch versucht. Meine Füße sind wund und blutig. Nein, so schaffen wir es nicht.«

Chance Jones betrachtet ihn aufmerksam.

»Wie denn?«, fragt er.

Bronco gibt noch keine Antwort, sondern beugt sich erst noch einmal zum Wasser nieder, um sich ausgiebig zu erfrischen. Er schnauft danach vor Wohlbehagen.

»Aah, ich hätte nie gedacht, dass ich Wasser mal für das Köstlichste auf der Welt halten könnten. Bisher war …«

»Komm zur Sache, Amigo«, sagt Chance Jones knapp.

Bronco grinst verwegen, und er hat einen Ausdruck in seinen Augen, den Chance Jones gut kennt. Bronco war stets ein Bursche, der alles auf eine Karte setzte.

Daran erinnert sich Chance Jones bei dem Ausdruck in Bronco Ringlokes Augen.

Er ist ein verdammter Spieler, denkt er.

»Es gibt nur eine reelle Chance für einen von uns. Das ist doch klar«, sagt Bronco Ringloke nun knapp und trocken. »Also lass uns auslosen, wer das Pferd nehmen und damit verschwinden und wer diese Passenge noch eine Weile dicht halten wird. Ist das ein fairer Vorschlag?«

Chance Jones grinst schief.

»Fair?«, fragt er mit grimmigem Sarkasmus. »Wir hatten beide ein gleichwertiges Pferd. Ich gab meinem Tier das meiste von meinem Wasser. Ich rieb und massierte es während unserer Rastpausen. Und ich lief immer wieder eine Meile zu Fuß, um es zu entlasten. Ich weiß genau, warum mein Gaul noch auf den Hufen steht und deiner tot ist. Hättest du dein Tier auf die gleiche Weise geschont und fit gehalten so …«

»Aber ich bin kein so zäher Indianer wie du«, unterbricht ihn Bronco Ringloke. »Ich hatte keine indianische Großmutter, von der ich etwas erben konnte, was man von weißen Eltern nicht erben kann. Verstehst du, Amigo? Und ich konnte nicht auf blutigen Füßen laufen! Diese Stiefel werde ich mir mit dem Messer von den Füßen schneiden müssen, glaube es mir. Von den Schmerzen, die ich ständig spüre, wollen wir gar nicht reden. Ja, es ist fair, wenn wir nach meinem Vorschlag losen. Denn bevor sie uns beide erwischen und in dieses höllische Lager zurückbringen oder gar erschießen, soll doch zumindest einer von uns die Chance haben, zu entkommen. Oder? Diese verdammten Yankees sollen wenigstens von einem der Ausbrecher geschlagen werden. Also, wie losen wir aus?«

Chance Jones erwidert noch nichts. Erst erfrischt auch er sich, und als er sich über die Wasserstelle beugt, sieht er in dem klaren Wasser sein Spiegelbild – einen dunklen, bärtigen, indianerhaften Burschen, hager bis auf die muskulösen Schultern und ganz und gar nicht hübsch. Bronco Ringloke sieht besser aus. Er ist blond, gut proportioniert, obwohl er an Gewicht verlor und in Lumpen gekleidet ist, helläugig und auf eine verwegene Art hübsch. Er ist ein Bursche, der stets alle Blicke auf sich zieht und dem man von Anfang an Sympathie entgegenbringen muss, weil man gar nicht anders kann.

Und er gewinnt zumeist, denkt Chance Jones.

Aber er muss eine Antwort geben. Er muss sich entscheiden.

»Na gut«, sagt er. »Losen wir also aus. Ich denke, wir machen es auf eine Weise, die keinen Trick zulässt.«

»Glaubst du, ich würde einen schmutzigen Trick anwenden?«, fragt Bronco Ringloke bitter und vorwurfsvoll.

Chance Jones geht nicht darauf ein.

Er deutet hinüber zu einem Stein. »Siehst du die Maus dort drüben unter dem Stein? Sie holt Beeren von dem Busch. Doch sie kommt niemals aus dem gleichen Loch. Rings um den Stein sind viele Löcher. Ich kann fünf erkennen. Du auch?«

»Ja«, grinst Bronco Ringloke, »fünf Mauselöcher. Und die Maus kam aus dem Loch, das am weitesten rechts ist, heraus. Ich wette, dass sie es noch mal tun wird. Jetzt gleich beim nächsten Male. Und was wettest du?«

»Ich setze auf das mittlere«, entscheidet sich Chance Jones ruhig.

Dann warten sie und beobachten.

Nach einer Weile kommt die Maus und huscht blitzschnell zum Beerenbusch hinüber.

»Mich kann keiner schlagen, wenn es darum geht, auf die richtige Karte zu setzen«, sagt Bronco Ringloke, »doch bei Mäusen habe ich offenbar kein Glück. Du hast gewonnen, Freund Chance. Und du bekommst auch deine Chance. Deine Eltern gaben dir den richtigen Namen. Na gut, versorg dein Pferd. Knete und massiere es durch, damit sich seine Muskeln lockern und es sich schneller erholen kann. Dann wirst du bis nach Anbruch der Dunkelheit schlafen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich lasse bis morgen Früh keinen unserer Verfolger durch den Pass kommen. Dann erst stelle ich mich. Also mach’s gut. Du warst nun mal der Glücklichere! Und da ich ein Spieler bin, nehme ich es hin, wie schlechte Karten.«

Er zieht das Gewehr aus dem Scabbard des toten Pferdes. Es ist ein Armeegewehr, und das Tier ist auch ein Armeepferd. Sie hatten sich diese Pferde von der Haltestange vor der Kommandantur des Gefangenenlagers weggeholt. Bronco Ringloke hatte den Wächter niedergeschlagen. Auf diese Weise erbeuteten sie sämtliche in Bereitschaft stehenden Pferde der Lagerwache – neun Pferde, denn sie waren damals neun Mann. Da das Lager sehr groß war und die Wache Gelegenheit haben musste, schnellstens das gesamte Lager zu umreiten, standen vor der Kommandantur stets neun gesattelte Tiere bereit.

Deshalb waren auch neun Gefangene ausgebrochen, nicht einer mehr oder weniger. Bronco Ringloke lacht leise, als er das Gewehr überprüft.

»Das war eine verwegene Sache – ich meine, wie wir den Yanks vor der Kommandantur die Pferde klauten. Das ganze Lager wird gelacht haben. Und die Wache hat bestimmt Strafdienst bekommen. Hey, alles geht mal zu Ende! Auch der beste Spaß! Viel Glück, Chance!«

Er geht davon und blickt sich nicht mehr um. Es ist, als könnte er den glücklichen Gewinner nicht mehr sehen und brächte es auch nicht über das Herz, ihm zum Abschied die Hand zu schütteln. Dabei waren sie während des Krieges vier Jahre als Sergeanten in einer Einheit, und schon von Kindheit an waren sie gute Freunde.

Ihre Eltern lebten bereits in Texas, als dieses noch zu Mexiko gehörte, und ihre Väter fielen unter General Houston gegen die Mexikaner. Aber diese Väter hatten sie nicht mehr gekannt, Chance und Bronco waren damals noch Babys.

Und jetzt geht Bronco Ringloke einfach davon. Chance lässt ihn gehen, versucht nicht, irgendwelche Abschiedsworte zu finden.

Aber es ist ein Gefühl der Freude in ihm, ein zwar bitteres und betrübtes, doch unverkennbares Triumphgefühl. Denn schließlich ist er der einzige von neun verwegenen Burschen, dem es gelingen wird, zu entkommen.

Er braucht nicht zu Captain Brown zurück, der jeden wieder eingefangenen Ausbrecher grausam bestrafen und die Gefangenen überhaupt wie Verbrecher behandeln lässt. Dieser Captain Brown kann ihn nicht schinden lassen!1)

Chance Jones gesteht sich ein, dass er Angst hätte, wenn er in das Lager und zu Captain Brown zurück müsste.

Er beginnt an seinem Pferd zu arbeiten. Er wäscht es, massiert und reibt es, lässt es mehrmals ein wenig Wasser trinken und führt es eine Weile herum.

Dann sieht er zufrieden zu, wie das Tier an den grünen Gräsern zupft, die hier bei der Quelle wachsen.

Wenn Bronco sein Pferd so geschont hätte wie ich, denkt er bitter. Auch meine Füße sind wund. Auch ich wäre lieber geritten. Aaah, was bin ich erledigt. Bronco ist frischer als ich. Er hat sich auf Kosten seines Pferdes geschont. Ich glaube, er hätte mich von den Beinen schlagen und mir das Pferd nehmen können …

Er legt sich der Länge nach nieder; denn er vertraut Bronco Ringloke. Sie sind ja schließlich nicht nur seit ihrer Kindheit Freunde, nicht nur Kameraden, Soldaten, Ex-Sergeanten, sondern sie sind auch Texaner. Und wenn ein Texaner dem anderen nicht trauen könnte … oha, so etwas gibt es einfach nicht.

Bevor Chance Jones vor Erschöpfung einschläft, denkt er an Jennifer Claymaster. Er wird heimkehren, er wird Jenny sehen! Im Bemühen um Jennifer Claymasters Zuneigung war Bronco sein ärgster Rivale. Doch Jenny konnte sich nicht entscheiden. Aber nun …

Er schläft plötzlich ein, und sein Bewusstsein gleicht einem Stein, der in bodenlose Tiefen fällt.

Denn sein Freund, sein Kamerad Bronco Ringloke, wacht.

Deshalb glaubt Chance Jones, unbesorgt schlafen zu können.

Warum sollte er das auch nicht glauben?

***

Sein Erwachen ist grausam. Er träumt, unter eine Stampede geraten zu sein. Überall spürt er Schmerzen.

Es dauert dann eine Weile, bis ihm bewusst wird, dass er zusammengekrümmt am Boden liegt. Doch es geht keine Rinderstampede über ihn hinweg.

Ein Dutzend keuchender Männer umgibt ihn, und zwei oder drei von ihnen treten ihn immer wieder und verlangen, er solle aufwachen.

»Steh auf, du verdammter Rebell!«, sagt eine heisere Stimme. Chance Jones kennt diese Stimme gut genug. Sie gehört dem Sergeanten Mike O’Patrick, dem schlimmsten Schinder in Captain Browns Kommando.

Unter den Fußtritten kommt Chance Jones hoch.

Sie haben Bronco überrannt und unschädlich gemacht, denkt er. Und ich Narr habe wie ein Bewusstloser hier am Boden gelegen und …

Ein Zündholz wird angerissen. Sergeant O’Patrick hält es so dicht an Chances Gesicht, dass die Bartstoppeln ansengen.

»Aaah, Mister Jones«, knurrt O’Patrick heiser. »Da ist uns nur dieser Ringloke entkommen. Habt ihr das letzte Pferd ausgelost – oder hat er es sich genommen, weil er noch rüstiger war als du?«

Jones antwortet nicht. Doch da bekommt er O’Patricks riesige Faust ins Gesicht.

»Antworte, verdammter Südstaatenrebell! Wenn ich etwas frage, will ich schnell eine Antwort. Schließlich bin ich nun schon fast zweihundert Meilen hinter euch her und nicht mehr bei guter Laune. Außerdem bin ich Master Sergeant Mike O’Patrick, und du bist ein Rebell. Und schließlich hat einer von euch die Pferdewache mit dem Messer erstochen. Ich glaube, dass wir dich aufhängen werden, Jones. Drei von euch haben wir lebend. Ihr werdet hängen. Nur dieser Ringloke ist ein Glückspilz. Er konnte entkommen. Unsere Pferde können nicht mehr. Ringlokes Gaul wird sich erholt haben und noch die zwanzig Meilen bis zu jener kleinen Stadt schaffen, die ein einstiges Rebellennest ist. Er wird dort einen frischen Gaul bekommen. Nun, wir werden ihn wegen Mordes suchen lassen.«

Für Chance Jones bricht alles zusammen.

Bronco Ringloke hat ihn reingelegt. Er hätte sich auf Bronco nicht verlassen dürfen, denn er hielt sich nicht an die Entscheidung durch das Los. Bronco hatte gewiss nur gewartet, bis Chances Schlaf tief genug war.

Außerdem hatte er den Pferdewächter vor der Kommandantur offenbar nicht niedergeschlagen, sondern niedergestochen. Und das ist ein großer Unterschied.

Chance Jones glaubt, dass Captain Brown ihn aufhängen lässt.

Nur Bronco Ringloke wird nach Concho heimkehren.

Und solange noch Krieg ist und Concho nicht von feindlichen Truppen besetzt werden kann, wird er dort friedlich leben.

Wahrscheinlich wird man ihn bewundern. Er wird bei Jennifer keine Konkurrenz mehr haben.

»Wir losten das letzte Pferd aus, Sir«, murmelt Jones.

»Und du hast Pech gehabt!«, sagt O’Patrick. Es ist keine Frage, sondern eine trockene Feststellung.

»Yes, Sir!«, erwidert Chance Jones.

Ha, Pech gehabt!, denkt er. Dieser Bastard von Bronco hat mich reingelegt.

Er betrog mich wie ein Falschspieler, wie ein Pferdedieb, und wenn ich am Leben bleiben und ihn jemals wieder zu Gesicht bekommen sollte, dann werde ich ihn töten.

***

Es ist der 9. April 1865 – genau acht Monate nach jenem für Chance Jones so unglücklichen Tag, als die Hauptarmee der Konföderierten unter General Lee – nur noch achtundzwanzigtausend Mann stark – die Waffen streckt. General Lee unterschreibt in Appomattox Court House in Virginia die Kapitulation, und General Grant gestattet großzügig, dass alle Soldaten der Südarmee, die auf eigenen Pferden sitzen, die Tiere mit nach Hause nehmen können, weil – wie er meint – die meisten Männer Farmer wären und die Pferde daheim zum Pflügen brauchten.

Der Unionsgeneral Chamberlain, der General Grant bei der Übergabe vertritt, berichtet über deren Verlauf:

 

… und da rückten sie an mit ihrem alten, schwingenden Marschtritt und den wehenden Kriegsfahnen der Konföderation: das große weiße Feld, das in der oberen Ecke ein sternenbesetztes blaues Kreuz auf rotem Grund trägt. Dann folgten die Regimentsfahnen mit den gleichen Zeichen dicht hintereinander, denn die Regimenter sind klein geworden, die Reihen der Tapferen haben sich gelichtet. Das Rot der Fahnen verdeckte die zerlumpten Gestalten.

Die Bedeutung dieses Augenblickes beeindruckte mich tief.

Ich beschloss, ihn durch irgendeine Anerkennung unsererseits zu würdigen, und das konnte nur ein Salutieren mit den Waffen sein.

Denn vor uns – stolz in ihrer Demütigung – stand die verkörperte Tapferkeit. Männer, die nicht Anstrengungen und Leiden, nicht die Aussicht auf den Tod noch Unglück oder Hoffnungslosigkeit gebeugt hatten. Sie standen abgezehrt, ausgehungert und zerlumpt, aber aufrecht vor uns, und ihre Augen blickten gerade in die unseren und weckten Erinnerungen, die uns mehr verbanden, als jedes andere Band es könnte. Waren es solche Männer nicht wert, wieder in die Union aufgenommen zu werden?

Ich gab meine Befehle, als die Spitze der ersten Division unsere Gruppe erreichte. Der Hornist blies das Signal, und sofort präsentierte die ganze Linie, von rechts nach links, ein Regiment nach dem anderen, das Gewehr.

Gordon, der mit gesenktem Kopf an der Spitze seiner Kolonne ritt, hörte das Knallen der Griffe und, den Sinn verstehend, riss sein Pferd den Kopf hoch, und Gordon senkte mit stolzem Gruß den Säbel auf die Stiefelspitze. Darauf wandte er sich zu seinen Soldaten und gab Befehl, gleichfalls die Gewehre zu präsentieren – Ehre gegen Ehre. Auf unserer Seite kein Trompetenstoß und kein Trommelwirbel mehr, kein Hochruf, kein Wort, keine Bewegung – eine feierliche Stille, alles hielt den Atem an, als zöge ein Trauerzug vorbei.

Jede nachfolgende Division machte auf unserer Höhe halt. Jeder Captain bemühte sich, seine Kompanie sorgfältig auszurichten, mochten sie alle noch so abgerissen und verhungert aussehen. Die höheren Offiziere und ihre Adjutanten gliederten sich zwischen den einzelnen Regimentern ein, und am Schluss jeder Brigade kam der General. Die Soldaten warfen nacheinander die Waffen auf einen Haufen, dann nahmen sie – zögernd – die Patronentaschen ab. Endlich falteten sie, langsam und voller Trauer, die Kriegsfahnen, im Kampf zerrissen und zerschlissen und voller Blutflecken, zusammen und legten sie nieder. Einige liefen aus ihren Reihen, knieten sich davor und drückten die Fahnen an ihre Lippen.

Nur noch die Fahne der Union grüßte den Himmel.

 

Während der nächsten Wochen und Monate leerten sich überall die Gefangenenlager. Es wurden Amnestien erlassen, die unter vieles einen Strich ziehen sollten.

Einer solchen Begnadigung hat es im August 1865 auch Chance Jones zu verdanken, dass er freigelassen wird, obwohl er zu drei Jahren Strafarbeit verurteilt worden war, weil einer der Ausbrecher, zu denen er gehörte, dem Wachposten ein Messer in den Rücken stach. Das Lagergericht, dessen Vorsitz Captain Brown führte, sah das als Mord an, und wenn Chance Jones auch nicht der Mörder war, so gehörte er doch zu den Ausbrechern.

Er wird also im August 1865 freigelassen und macht sich auf den Heimweg nach Concho in Texas.

2

Die Stadt hat sich kaum verändert. Sie ist nicht viel größer geworden. Nur alle Gebäude wurden älter. Die Adobehütten des Mexikanerviertels leuchten weiß herüber, wie immer schon, wenn man von den Hügeln auf Concho niederblickte.

Es war ein langer Heimweg für Chance Jones. Im August war er entlassen worden, am 13. August 1865. Einen Tag später wurde er dreißig Jahre alt. Und dann war er von Illinois aus fünf Wochen unterwegs.

Es waren schlimme und sehr abenteuerliche fünf Wochen. Doch wenn er nicht gerade einem Freund wie Bronco Ringloke vertraut, ist Chance Jones ein Mann, der überall für sich sorgen kann.

Das merkt auch ein Bursche, der Chances Pferd haben will. Chance behält sein Pferd und bekommt sogar noch den Colt des Wegelagerers. Es ist eine gute Waffe.

Und sie ist außer dem Pferd, einer alten Konföderierten-Uniform und einem noch älteren Sattel Chance Jones’ einziger Besitz.

Lange hält er auf dem letzten Hügel und starrt auf die Stadt nieder. Fragen sind in ihm, viele Fragen.

Wird er dort unten Bronco Ringloke finden?

Wird Jennifer Claymaster noch frei sein?

Ist Tilburn Claymaster immer noch der große Mann im Lande – oder ist er noch größer geworden?

Und was wurde aus Bruder Gil?

Gilbert Jones, Chances älterer Bruder, war vor dem Krieg dort unten Sheriff. Aber auch er stellte sich der Sache des Südens zur Verfügung wie jeder Texaner, der stolz darauf war, Texaner zu sein.

Die beiden Brüder sahen sich jedoch während des ganzen Krieges nicht.

Hat Gil den Krieg überlebt? Dann und wann hat Chance von seinem Bruder gehört. Einmal stahl Gil mit einem Haufen Freiwilliger der Nordarmee eine große Pferdeherde. Fast dreitausend Tiere sollen es gewesen sein. Das war ein empfindlicher Schlag für die Unions-Kavallerie. Die Tiere waren in einem Tal von einem unionstreuen Rancher gezüchtet worden. Doch bevor das Kommando der Union angerückt kam, war Gil Jones mit seinen Männern da. Sie hatten die blauen Uniformen der Union getragen, und so war der große Coup gelungen, über den der ganze Süden lachte.

Die Konföderierten konnten mit den Pferden zwei Regimenter beritten machen.

Ob Gil schon daheim ist und wieder den Sheriffstern trägt?

Diese Frage interessiert Chance besonders.

Denn wenn Gil dort unten wieder Sheriff ist, muss er ihn, Chance, daran hindern, Bronco Ringloke zu töten.

Chance drängt sein Pferd heftig vorwärts.

Es sind viele Fragen in ihm.

Und nur dort unten gibt es Antworten.

Plötzlich hat er es eilig. Erst dicht vor der Stadt zügelt und bezwingt er seine Ungeduld. Er reitet wieder langsam, und irgendwie gleicht er jetzt einem wachsamen Wolf, der sich zwischen Schafcorrals wagt und genau weiß, dass dort die Gefahr auf ihn lauert.

Vor der Stadt liegt der Frachtwagenhof, dicht daneben der Mietstall. Die Schmiede schließt sich an, doch Paul Henderson, der alte Schmied, sitzt vor dem Wohnhaus in der Abendsonne. Vor dem Krieg hat er um diese Zeit noch gearbeitet.

Aber in Texas lässt der Aufschwung noch auf sich warten. Das Bargeld fehlt im Lande. Chance Jones sah unterwegs viele Rinder, denen die Brandzeichen fehlten. Texas ist vollgestopft mit Rindern. Die Tiere haben sich während des Krieges wie Kaninchen vermehrt. Doch weil es noch keine Absatzmärkte für sie gibt, sind sie nicht einmal den Preis ihrer Häute wert. Die Transportkosten der Häute sind höher als die Preise, die man dafür erhält.

So ist das in Texas.

Als Chance schon fast vorbei ist, erkennt ihn der Schmied endlich und winkt ihm zu.

»Du bist der letzte von unseren Jungens, Chance!«, ruft Paul Henderson über den Hof.

Chance grinst nur grimmig und reitet weiter. Er kommt an dem Lone Star Saloon vorbei und sieht auf der anderen Seite Willows Saat- und Futtermittelhandlung, die einen baufälligen Eindruck macht.

Es folgen der Barbiersaloon und die Sattlerei. Doch auch hier ist kein Geschäftsbetrieb.

Auf der anderen Seite liegt das Gefängnis. Dann kommt der Concho-Store, gegenüber von Martinez’ Hotel und dem Post-Office mit der Haltestelle der Überlandkutschen.

Drüben neben dem Store, schon dicht beim Fluss, wo sich die Straße zu einer Plaza öffnet, liegt der Rio Saloon.

Eine Fähre am Fluss ist die Verbindung nach Mexiko hinüber.

Das also ist Concho. Einige Gassen führen von der einzigen Hauptstraße zu den Adobehütten der Mexikaner.

Als Chance Jones in Höhe des Gefängnisses ist, verhält er sein müdes Pferd und späht scharf durch das Fenster. Doch er kann drinnen nichts erkennen. Einen Moment verspürt er den Wunsch, anzuhalten, abzusitzen und nach dem Bruder zu sehen oder zu fragen – doch er reitet weiter bis zum Rio Saloon am Fluss.

Hier stehen viele Sattelpferde an der Haltestange.

Während seines Rittes quer durch die Stadt wird Chance Jones nur vom Schmied und zwei oder drei weiteren Leuten erkannt. Sie winken ihm kaum zu. Es geht Bitterkeit von ihnen aus, und sie wirken müde und lustlos.

Doch das ist typisch für dieses Nachkriegs-Texas.

Von den Pferden vor dem Saloon tragen einige den Warbow-Brand der mächtigen Claymaster Ranch. Das C gleicht einem gespannten Kriegsbogen, und da das T nicht steht, sondern liegt, sieht es aus wie ein aufgelegter Pfeil. Der Saloon, der Concho-Store, die große Ranch und noch eine Menge mehr im County gehören Tilburn Claymaster. Er ist Jennifers Vater.

Chance tritt langsam in den Saloon.

Hinter der Bar steht Rex Hays, der schon vor dem Krieg für Claymaster diesen Saloon führte. Auch er ist also wieder heimgekehrt und hat seinen alten Job wieder übernommen.

An der langen Bar stehen mehr als ein Dutzend Gäste. Sie sind um einen Mann gruppiert, dem sie mit frisch gefüllten Gläsern zuprosten. Als Chance durch die Schwingtür kommt, hört er einen der Männer rufen: »Also, auf euer Glück, Bronco! Du bist der größte Glückspilz im ganzen Land. Möge dein Glück weiterhin anhalten!«

Chance hört diese Worte und erkennt auch den Mann inmitten der Gäste, der offenbar den Drink spendierte, weil er einen Grund hat, etwas zu feiern oder alten Freunden einen auszugeben.

Chance Jones sieht den Mann, an den er acht Monate lang jeden Tag und jede Nacht dachte, besonders dann, wenn er die Quälereien von Captain Brown und dessen Handlangern ertragen musste.

Scharf und heiser tönt Chances Stimme durch den Raum: »Sein Glück ist schon vorbei! Bronco, wie wär’s mit einer neuen Wette zwischen uns?«

Bronco zuckt zusammen, während Chance spricht. Er erkannt Chance endlich trotz des Bartes. Und er lässt das Glas fallen, aus dem er trinken wollte.

Doch Bronco war schon immer ein Mann, der selbst eine böse Überraschung schnell überwand – und dann stets den Stier bei den Hörnern zu packen versuchte.

Auch jetzt überspielt er geschickt sein anfängliches Erschrecken, wandelt es in den Anschein freudiger Überraschung. Mit ausgestreckten Händen nähert er sich Chance Jones und ruft: »Hey, endlich ist auch Chance wieder daheim! Endlich, Chance. Oha, ich weiß genau, warum du glaubst, dass mein Glück jetzt beendet wäre. Doch ich muss dich enttäuschen: Jennifer und ich, wir heirateten vor drei Tagen. Sie ist meine Frau. Du kommst zu spät, Chance. Mein Glück hält weiter an. Oder nicht?«

Er beugt sich lauernd vor. Sein Lächeln ist für die Zuschauer freundlich. Doch seine Augen, die nur Chance sehen kann, drücken viele Gefühle aus – nicht zuletzt eine Mischung von Sorge und Triumph.

Seine Worte treffen Chance Jones wie ein Hammerschlag mitten auf den Kopf.

Bronco hat Jenny geheiratet! Jenny ist seine Frau! Wenn ich ihn töte, wird sie nach drei Tagen Ehe eine Witwe! Diese Gedanken sind es, die in Chance Jones aufsteigen.

Dann atmet er langsam aus und denkt: Er hat mich schon wieder reingelegt, dieser Bastard. Oha, er weiß genau, dass ich Jennifer Claymaster vor jedem Schaden behüten würde. Bronco hat es irgendwie fertigbekommen, dass sie seine Frau wurde und nicht mehr an mich dachte. Ich kann ihr doch nicht den Mann nehmen, dem sie erst drei Tage gehört und …