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Die Schüsse waren verhallt. Ich blickte auf Ellen Scott, die unbeweglich neben ihrem toten Bruder kauerte. Das Gesicht der schönen Frau war zu einer Maske der Trauer und des Hasses erstarrt. Endlich blickte sie zu mir auf und sagte mit tonloser Stimme: "Ty Everett, wir hatten ein Recht auf unsere Rache. Jetzt hast du meinen Bruder getötet, weil du mehr an das Gesetz glaubst als an uns. Aber ich werde einen Mann finden, der es dir heimzahlt. Glaub mir, Ty Everett, du bist schon so gut wie tot. So tot wie mein Bruder..."
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Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Die Waycross-Fehde
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2703-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Waycross-Fehde
1
Als ich gegen Abend mit meiner kleinen Herde die Brücke erreichte, sah ich das Mädchen zum ersten Male – jedenfalls sah sie auf den ersten Blick wie ein Mädchen aus. Aber nach dem zweiten Blick glaubte ich, dass sie eine junge Frau war, die hier an der Brücke ihren Mann vertrat. Es war eine Zollbrücke. Die Schranke sagte es mir, als meine Rinder sich davor anstauten.
Die Herde war klein, genau siebenundfünfzig magere Tiere. Ich hatte zwei Jahre dafür gearbeitet. Unfreiwillig gewissermaßen, denn eigentlich hätte ich lieber Geld genommen, Bargeld. Es ließ sich leichter transportieren als Rinder. Aber mein Boss hatte nach seinem Tode nicht genügend Geld hinterlassen. Und so hatte ich mich mit den Rindern begnügen müssen.
Aber ich wollte ja von der Frau erzählen, die ich dort bei der Zollbrücke zum ersten Male sah.
Ich ritt an meinen Rindern vorbei nach vorn und sah die junge Frau dabei an, und je näher ich ihr kam, umso mehr gefiel sie mir. Als ich vor ihr hielt und an meinen Hut griff, da wusste ich schon, dass ich noch eine Weile an sie denken und vielleicht sogar von ihr träumen würde.
Denn sie glich genau jenem Wunschbild, welches ich mir irgendwann an einem Campfeuer, während langer Herdenwachen und anderer einsamer Stunden, zurechtgemalt hatte.
Sie sagte zu mir: »Zehn Cent für jedes Tier.«
Aber ich verstand erst gar nicht ihre Worte. Ich lauschte nur auf den Klang ihrer Stimme. Ja, ich war irgendwie in Bann geschlagen wie ein Mondkalb. Diese Frau gefiel mir halt so sehr wie bisher zuvor nicht eine.
Das war vielleicht verrückt, aber ich war gewissermaßen wie von einem Blitz getroffen worden. Aber dann brachte sie mich in die Wirklichkeit zurück, als sie nun ihre Forderung wiederholte.
Und da fiel mir endlich ein, dass ich nur noch zwei Dollar und zwanzig Cent besaß. Ich konnte also für meine kleine Herde und mich den Brückenzoll nicht bezahlen.
»Ma’am«, sagte ich und griff noch einmal an den Hut, »ich bin Ty Everett und würde recht gern zahlen. Doch es geht nicht. Diese mageren Rinder und zwei Dollar und zwanzig Cent sind mein ganzer Besitz. Könnten Sie mir nicht einen kleinen Kredit einräumen? – Oder genügt nicht vielleicht ausnahmsweise ein Dollar? – Wissen Sie, dann hätte ich noch einen Dollar und zwanzig Cent Betriebskapital.«
Ich sagte es ernst. Doch ich wusste genau, dass um meine Augen jetzt ein paar winzige Falten waren, die mein dunkles Indianergesicht jetzt – was den scheinbaren Ernst betraf – nicht wirklich so ernst aussehen ließen.
Sie betrachtete die Rinder mit einem kundigen Blick. »Wo wollen Sie damit hin?«
Ich deutete nach Norden. »Über den Pass. Ich habe gehört, dass man Rinder dort im Norden verkaufen kann in den Minenstädten. Dann werde ich ziemlich reich sein, Ma’am.«
Nun lächelte sie, und dieses Lächeln machte sie für mich noch reizvoller.
Oh, sie hatte dunkles Haar und blaue Augen. Auf ihrer kleinen Nase waren ein paar Sommersprossen. Sie war kaum mittelgroß, aber sie hielt sich sehr gerade und hatte ihr Kinn gewiss auch sonst recht hoch, nicht nur wie jetzt, da sie zu mir aufsehen musste. Ihre Lippen waren lebendig; dieser Mund konnte gewiss stets eine Menge ausdrücken. Wenn man auch sonst sagte, dass die Augen der Spiegel der Seele wären, so war bei ihr auch noch der Mund mit seiner starken Ausdruckskraft ein zweiter Spiegel.
Sie nickte plötzlich und ging zur Schranke. Dort drückte sie auf das Gewicht und hob den Schlagbaum. Ich ritt hinter die Rinder und schwang meinen staubigen Hut.
Dabei rief ich: »Hoiiiiyaaaa! Es geht weiter, ihr dürren Tanten! – Lauft schon, ihr Karnickel! Bald kommt ihr auf eine schöne Weide und habt es gut! Hoiiiyaaah, Braaah! Braaah! Hoiiiiyaaah!«
Ich rief noch ähnliches Zeug, denn es kam ja gar nicht auf die Worte an. Die Rinder mussten meine scharfe, antreibende und scheuchende Stimme hören und dann und wann was mit dem Lassoende bekommen.
Die Holzplanken der Brücke dröhnten unter ihren Hufen. Es war eine starke Brücke über einen Fluss, der sich zu tief in den Boden gefressen hatte. Es gab nur Steilufer zu beiden Seiten, und dort, wo sich viele Meilen weit stromauf- und stromabwärts die Steilufer senkten und man meinte, man könnte den Fluss leicht durchfurten, da war gemeiner und tückischer Treibsand.
Diese Brücke hier war also notwendig. Wer sie auch gebaut haben mochte, er verstand nicht nur etwas vom Brückenbau, sondern hatte auch noch eine gute Nase für Rendite. Die Brücke war eine gute Einnahme-Quelle.
Es gab auch eine kleine Stadt, die ich mit meiner kleinen Herde im Halbkreis umgangen hatte. Nun lag diese Stadt hinter mir. Sie hieß Waycross.
Das war einfach zu verstehen. Ein Wagenweg kam am Fluss entlang von Osten nach Westen. Und jener andere Weg führte von Süden her nach Norden über die Brücke.
Ich jagte das letzte Rind hinüber und zog vor der jungen Schönen meinen Hut.
»Zumindest schicke ich Ihnen das Geld«, rief ich ihr zu. »Und an wen darf ich die Anweisung richten?«
Sie erwiderte: »Ich bin Ellen Scott.«
»Miss oder Mrs. Ellen Scott?«
Da lachte sie nur, schloss die Schranke und ging zu dem kleinen Haus zurück.
Ich hätte sie gewiss bedrängt, mir noch mehr zu sagen über sich. Doch meine siebenundfünfzig Rinder wollten mir jenseits der Brücke drüben auf der anderen Seite nach allen möglichen Richtungen auseinander laufen. Sie hatten Durst, rochen den Fluss und waren zu dumm, um die Gefahren zu erkennen.
Ich musste mich beeilen, damit mir nicht ein paar über den Rand des Steilufers fielen. Aber so sehr ich mich beeilte, ich schaffte es nicht. Eines der Tiere fiel hinunter. Es platschte fünf oder sechs Yard tiefer in den Fluss, kam wieder hoch, blökte jämmerlich blöd und wurde von der heftigen Strömung stromabwärts getrieben.
Es war verloren für mich. Um es zu retten, hätte ich sicherlich viele Meilen flussabwärts reiten müssen. Und meine sechsundfünfzig anderen Tiere würden sich dann zerstreut haben wie ein Sack voll ausgeschütteter Flöhe.
Ich konnte nur fluchen und meine sechsundfünfzig anderen Biester vom Ufer fortreiben. Für einen einzigen Mann war die Herde zu groß. Ich hatte es auf gerader Strecke schon schwer genug.
Aber einen Helfer wollte ich nicht. Denn als Rindermann war ich eigentlich ein Ass. Schließlich war ich Vormann gewesen auf einer recht großen Ranch. Wenn mein Rancher nicht ständig beim Poker Geld verloren hätte, wäre er mit meiner Hilfe ein reicher Mann geworden.
Die Rinder trugen den T-im-Kreis-Brand, und ich hatte eine Bescheinigung vom Nachlassverwalter in der Tasche, dass sie mir ordnungsgemäß gehörten.
Das war wichtig. Denn es wurden überall Rinder gestohlen zwischen Mexico und Colorado. Und ein Mann wie ich, der mit einer kleinen Herde durch das Land zog, der musste nachweisen können, dass ihm die Tiere auch wirklich gehörten. Sonst konnte er schnell einen langen Hals bekommen. Aber als rechtmäßiger Besitzer hatte er auch das Recht, mit allen Mitteln für seine Herde zu kämpfen.
Nun, ich zog an diesem Abend noch etwa zwei Meilen weiter und hielt mich auf der Wagenstraße. Denn ich wollte mit keinem Menschen Verdruss bekommen.
Aber als ich dann eine kleine Senke fand, in der sogar ein Wassertümpel war, da ließ ich meine Rinder hinunter.
Dieser Platz dort war wie ein natürlicher Corral. Die Rinder waren den ganzen Tag gewandert. Dort bei der Wasserstelle war saftiges Gras und – natürlich – das Wasser. Ich würde wahrscheinlich ein paar Stunden schlafen können.
Oh, Schlaf hatte ich nötig – so nötig wie eine ältliche Jungfer einen Freier.
***
In der Nacht träumte ich von Ellen Scott, aber auch von meinen Rindern, deren Wohl mir ja schon viele Tage lang so sehr am Herzen lag, weil es mit meinem eigenen Wohl so sehr verknüpft war.
Und als ich deshalb irgendwie im Unterbewusstsein etwas von einer Stampede spürte, weckte mich das gar nicht auf. Auch Rindergebrüll konnte mich noch nicht aus meinem Schlaf wecken.
Als ich dann endlich erwachte, war es schon zu spät.
Es war nicht meine Herde, sondern eine andere, die viel größer war, und sie kam über den Rand der Senke, durchquerte sie und nahm meine Rinder mit, verschwand mit ihnen über den anderen Rand der Senke.
Ich hatte mein Pferd abgesattelt, obwohl dies natürlich recht ungünstig war. Doch mein einziges Pferd musste auch mal ein paar Stunden ohne Sattel sein. Und dieser Platz in der Senke war mir im Mond- und Sternenschein so außerordentlich günstig erschienen.
Jetzt verlor ich eine kostbare Minute.
Als ich aufsaß, kamen die Reiter. Sie folgten der durchgegangenen Herde und stießen nun auf mich. Sie hörten mich auf sie fluchen, und einige umringten mich. Jemand warf mir ein Lasso von hinten über den Oberkörper. Ich wurde aus dem Sattel gerissen und ein Stück geschleift. Es waren etwa so an die hundert Yard. Danach sah ich ziemlich übel aus, denn der Boden war steinig zwischen Gras und Dornengestrüpp dort, wo sie mich erwischten.
Als ich mich keuchend aufrichtete und diese verdammten Bastarde verfluchte, da riss mich der Bursche wieder um, als wäre ich nur ein zappelndes Kalb.
Ich wusste danach, dass ich vorerst mal mein Maul halten musste. Sonst ging es mir sehr schlecht. Also stand ich schließlich keuchend da, schwankte nur leicht und versuchte das Lasso abzustreifen.
Sie ließen es auch zu.
Doch sie umringten mich eng mit ihren Pferden. Ich tastete nach meinem Revolver, doch diesen hatte ich verloren. Ich war waffenlos.
Und ich wartete nun.
»Jetzt hat er kapiert«, sagte eine heisere Stimme. »Jetzt brüllt er nicht mehr wie ein Affe. Aber ich kenne ihn nicht. Der ist fremd hier im Lande.«
Sie schwiegen wieder, betrachteten mich. Es war eine helle Nacht mit Vollmond und irrsinnig vielen Sternen. Wir konnten uns fast so gut betrachten wie bei Tageslicht. Und ich kannte mich aus. Vor einigen Wochen war ich selbst Vormann gewesen von einer rauen Mannschaft, welche ständig Krieg führen musste gegen Rustler.
Und diese Mannschaft hier schien mir noch härter zu sein – zumindest rauer, unduldsamer, böser. Ich spürte den Anprall einer mitleidlosen Strömung; sie ging von diesen Reitern aus wie etwas Animalisches.
Oha, ich war einem bösen Rudel in die Hände gefallen. Vielleicht konnte man aber dennoch vernünftig mit ihnen reden.
Das war meine ganze Hoffnung.
Und so nahm ich mich zusammen und fragte: »Warum macht ihr das mit mir? Warum schindet ihr mich so, nachdem ich ohnehin schon den Schaden habe, dass eure Herde über mein Camp raste und meine kleinere Herde einfach mitriss? Warum, verdammt noch mal, seid ihr so gemein zu mir?«
Sie schwiegen immer noch und ließen ihre böse Härte ausströmen und gegen mich prallen wie einen kalten Atem.
Ich sah im Mond- und Sternenlicht, dass sie alle Tiere mit den gleichen Brandzeichen ritten. Dieses Brandzeichen war ein Bar-CC, also zwei große Cs und ein Strich darüber. Dass sie alle die gleichen Brandzeichen an den Tieren hatten, war der beste Beweis dafür, eine Ranchmannschaft vor mir zu haben.
Endlich sagte eine Stimme: »Boss, er sagt, dass er eine Herde hatte, die mit unseren Tieren mitgelaufen wäre.«
»Sechsundfünfzig T-im-Kreis-Brand-Rinder«, sagte ich, und ich spürte am ganzen Körper die Hautabschürfungen, die Dornen und Risse.
»Ich kann das beweisen«, sprach ich weiter. »Ich kam damit kurz vor Abend über die Brücke. Und ich habe eine Eigentumsbescheinigung. Jetzt möchte ich endlich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Wer seid ihr?«
Wieder prallte ihr Schweigen gegen mich, und ich spürte ihre böse Härte.
Dann kam endlich einer der Reiter noch etwas näher heran. Er war ein großer klotziger Mann, der ein besonders starkes Pferd ritt, welches aber dennoch geschmeidig wie ein Berglöwe war.
Dies da war ein vier- oder fünfhundert Dollar teures Tier, und wenn man bedenkt, dass man hier in diesem Lande schon für zwanzig Dollar ein brauchbares Tier bekommen konnte, da wird der Leser dieser Geschichte wohl wissen, was dies da für ein Pferd war, welches zweihundertzwanzig Pfund und noch einen Sattel mühelos trug.
Der Mann wirkte auf mich wie ein roter Bulle, so angriffslustig, so gesund und von seiner Kraft und Größe überzeugt.
Er sagte: »Dies ist mein Land, meine Weide. Wer sich hier darauf herumtreibt, macht dies auf eigene Gefahr. Hau ab, du Dummkopf, hau ab! Schleich dich!«
Und dann riss er das Pferd herum, gab ihm die Sporen und ließ es aus dem Stand anspringen. Sein Rudel tat es ihm gleich.
Ich befand mich zwischen ihnen – ein zerschundener Mann zwischen sieben oder acht Reitern, die ihre Pferde absichtlich rau herumrissen. Ich wurde von Pferden gestoßen und von den Füßen der Reiter getreten. Ich bekam es auch mit Lasso- und Zügelenden. Sie ritten mich nieder. Obwohl die Tiere sich Mühe gaben, mich nicht zu treten, konnten sie es in dem Durcheinander gar nicht anders. Ich wurde einige Male schlimm erwischt von den Hufen.
Als die Reiter weg waren, blieb ich erst einmal eine Weile liegen und wartete bis meine Schmerzen nachließen.
Und dabei dachte ich immer wieder: Den bringe ich um! – Diesen Bullen bringe ich um. Das schwöre ich. Den schicke ich zur Hölle!
Diese Rachegedanken gaben mir Trost – und vielleicht linderten sie auch meine bösen Schmerzen. Aber ich war ja selbst ein harter Bursche, und deshalb sagte mir mein Verstand nach einer Weile, dass ich nicht hier ewig herumliegen und auf ein Wunder warten konnte.
Denn Wunder gab es ganz gewiss nicht. Ein Mann wie ich, der musste sich selber helfen, und eigentlich hatte ich das schon immer getan.
Also kam ich endlich auf die Beine, stand schwankend da und hielt mir die angebrochenen Rippen. Ich sah mich nach meinem Pferd um, ja, ich rief und pfiff sogar nach dem Tier, obwohl mir besonders Letzteres sehr viel Mühe und auch Schmerzen bereitete. Ich konnte nur noch flach atmen. Mein Tier kam nicht.
Wahrscheinlich hatten es die Reiter der Bar-CC-Mannschaft weggejagt mit Schlägen, so dass es sinnlos war, nach ihm zu suchen.
Ich musste mich auf den Weg machen.
Wohin?
Nun, zur Stadt, die ich mit der Herde umgangen hatte. Dort in der Stadt musste es gewiss einen Sheriff geben. Denn der Weg zum Sheriff war wohl für einen Mann wie mich der einzig mögliche. Ich war kein Bursche, der das Recht in die eigenen Hände nahm, solange es noch andere Möglichkeiten gab.
Bis zur Brücke waren es etwa zwei Meilen.
Oha, sie würden für mich schlimm sein. Aber ich musste sie schaffen. Denn hinter der Brücke lag die Stadt.
Die ersten Schritte waren schlimm.
Und wenn ich an den Mann dachte, der das starke, kostbare Pferd ritt und der gesagt hatte, dass ich auf seinem Land und seiner Weide war, dann wollte ich ihn nicht mehr umbringen, wie ich zuvor in meiner wilden Wut geschworen hatte.
Aber er sollte mir Genugtuung geben.
Diese wollte ich haben – bis in die Hölle und zurück wollte ich sie haben.
2
Es war ein schlimmer Weg, denn ich war ein kranker Mann. Dieser Weg kam mir endlos vor, und die Nacht schien kein Ende nehmen zu wollen, schien mir tausend Stunden lang zu sein.
Aber dann erreichte ich endlich doch die Brücke. Im Osten kam schon das erste Grau des Tages herauf. Der Mond verschwand hinter Nebelschwaden, und die Sterne wurden blass.
Ich stolperte mit letzter Kraft über die Brücke und hielt mich am Geländer fest. Als ich drüben bei der Schranke war, legte ich mich erst einmal darüber und verschnaufte, so gut es ging.
Und dann kam diese Ellen Scott heraus. Wahrscheinlich schlief sie bei offenem Fenster und hörte jeden Passanten, der über die Brücke kam. Die Bohlen hallten laut genug unter jedem Tritt und Schritt. Man hätte schon wie ein Indianer auf Strümpfen oder Mokassins schleichen müssen, um auf der Brücke nicht gehört zu werden.
Sie sah mich mit den Armen über der Schranke hängen und hörte mich auch schnaufen und vor Schmerz stöhnen.
Langsam trat sie dicht zu mir. Einige Atemzüge lang verhielt sie.
Ich sagte mühsam: »Sie müssen mir den Brückenzoll noch einmal stunden, Ellen Scott. Und ich will Sie hier auch gar nicht aufhalten – nur etwas verschnaufen muss ich, bevor ich weiter zur Stadt marschiere. Aber sagen Sie mir eines. Wer ist dieser große Bulle? – Wer ist dieser Bursche, der den Bar-CC-Brand führt und …«
Die Stimme versagte mir. Ich hatte zu viel geredet. Nun musste ich husten, und dabei schmerzten meine Rippen besonders schlimm.
Aber ich hörte Ellen Scott sagen: »Sie sind gewiss Casy Cannon in die Quere gekommen. Dem hat man schon so viel Rinder gestohlen, dass er nun Amok läuft wie ein Wilder. Ja, Sie müssen Casy Cannon in die Quere gekommen sein.«
Ich schnaufte.
»Casy Cannon«, knirschte ich. »Das ist also sein Name. Nun …«
Ich wollte mich nun unter der Schranke hindurchbücken. Doch als ich mit den Schulterblättern schon unter ihr war, verlor ich das Gleichgewicht wie ein Betrunkener und fiel nach vorn. Ich konnte zwar meinen Sturz noch mit den Händen und Armen auffangen und mildern, doch war es so noch schlimm genug, dass ich stöhnend im Staub liegen blieb. Für einen Moment schwanden mir sogar die Sinne, und als ich wieder zu mir kam, kniete jene Ellen Scott neben mir.
»Ich helfe Ihnen«, sagte sie. »Ich stemme meine Schulter unter Ihre Achsel, sobald Sie hoch genug sind.«
Ich unterstützte sie und quälte mich hoch.
Aber wie sie mich in die Scheune brachte, nahm ich nicht mehr richtig wahr. Es waren kaum mehr als zwanzig Schritte, dann fiel ich wieder – aber in weiches Stroh. Ich rollte mich auf den Rücken und stöhnte erleichtert.
***
Ich erwachte, weil ich Pferde und Männerstimmen hörte. Dann erklang auch die Stimme von Ellen Scott. Ich begriff, dass Reiter an der Brücke waren.
Obwohl die Pferde schnaubten und stampften, erkannte ich die eine Stimme gut genug wieder, um keinem Irrtum zu unterliegen.
Sie gehörte dem großen Bullen, der mir eine Menge schuldig war.
Und ich hörte ihn sagen: »Von jetzt an wird diese, Brücke bewacht. Ich lasse zwei meiner Reiter hier – Tag und Nacht! – Wenn du mir nicht sagen kannst oder willst, wer alles über diese Brücke reitet, lasse …«
»Nicht auf meinem Land und meiner Brücke, Casy Cannon! Nicht hier zu beiden Seiten des Flusses. Du kennst meine Grenzen genau. Halte dich außerhalb. Und wenn du über diese Brücke willst, dann halte dich hier nicht auf. Zahle den Preis dort in die Büchse am Pfahl und reite ohne jeden Aufenthalt. Wenn dir das nicht passt, dann baue dir eine eigene Brücke. Basta!«
Ich freute mich, sie so reden zu hören. Eine Freundin von diesem großen Bullen war sie gewiss nicht.
Da hörte ich ihn lachen und dann sagen: »Ich brauche mir keine Brücke zu bauen. Denn wenn ich dich heirate, wird mir diese Brücke gehören wie dir. Und ich heirate dich! Zwei Mann bleiben hier. Basta!«
Nach diesen Worten ritt er an. Einige Reiter folgten ihm. Aber zwei blieben. Ich hörte es an den Geräuschen der Pferde. Und als die Männer absaßen, knarrten die Sättel und klirrten die Sporen.
Einer sagte: »Miss Ellen, wir werden uns mit unseren Pferden in der Scheune aufhalten. Es braucht niemand zu merken, dass die Brücke von uns bewacht wird. Wir werden uns ganz still und ruhig verhalten. Aber wenn Sie für uns …«
»Nichts werde ich für euch«, sagte sie herb. »Und beim Sheriff werde ich Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstatten. Ihr seid widerrechtlich und gegen meinen Willen hier.«
Da lachten sie leise und kamen herüber.
Sie zogen ihre Pferde hinter sich her und tauchten nun vor meinen Blicken in der ziemlich leeren Scheune auf. Einer sagte: »Der Sheriff wird nichts gegen den Boss und uns unternehmen, gar nichts in dem Sinne dieser Kratzbürste. Ich wette sogar, dass der Boss sie eines Tages zur Frau bekommt. Der bekommt alles, was er will. Und was er zuvor einbrechen muss, ist ihm danach besonders lieb. Also …«
Der Sprecher verstummte, denn nun sahen sie mich im Stroh liegen.
Sie ließen die Zügelenden ihrer Pferde fallen und kamen zu mir in die Ecke. Eine Weile betrachteten sie mich. Dann hockten sie sich dicht bei mir auf die Absätze. Ihre Augen funkelten. Ihr Grinsen war kalt und unduldsam, ja sogar böse und gemein.
»Da ist ja das Großmaul von der vergangenen Nacht«, sagte einer und nahm einen langen Strohhalm. Mit diesem langen Strohhalm berührte er meine Nase. Er kitzelte mich und wartete auf meine Reaktion.
Ich sah ihn mir genau an. Denn ich war noch nie einem Menschen etwas schuldig geblieben. Auch diesem würde ich alles mit Zinsen zurückzahlen.
Er versuchte es mit dem langen Strohhalm nun in meinem linken Ohr. Und da bewegte ich nur leicht den Kopf.
»Ihr seid zwei großartige und tüchtige Burschen«, sagte ich. »Ihr würdet auch einen kleinen Hund vorher anbinden und dann erst prügeln. Ihr seid prächtig.«
Da grinsten sie nicht mehr.
Sie starrten mich nun böse an.
Dann endlich sagte jener, der mich mit dem Strohhalm ärgern wollte: »Bruder, ich will dir etwas sagen. Auf dieser Weide ist das Gute verflogen wie Nebel in der Sonne, wie Rauch im Winde. Ich selbst habe vor fünf Nächten meinen besten Freund verloren. Die Rustler hatten ihn aus dem Sattel geschossen, als sie die zusammengetriebene Herde in Stampede versetzten. Auch diese Nacht war es so ähnlich – nur war es diesmal nicht mein bester Freund, sondern Shorty, bei dem ich siebenundzwanzig Dollar Schulden hatte. Und weil das so ist, mögen wir keine hartbeinig wirkenden Fremden auf unserer Weide, nicht mal welche, die behaupten, selbst eine kleine Herde besessen zu haben. Mann, wir gehen auf alles los, was sich bei uns blicken lässt! Auf alles, verstehst du? – Dass du noch am Leben bist, dies ist reines Glück. Und nun erzähle uns mal mehr über dich. Vielleicht warst du wirklich mit einer kleinen Herde unterwegs – mit einer gestohlenen. Also …«
Ich sah auf das offene Scheunentor.
Dort tauchte Ellen Scott auf. Sie kam um die Pferde herum und hatte eine Schrotflinte unter dem Arm, deren Kolben sie fest gegen die Hüfte drückte.
Die Hähne waren gespannt.
»Raus hier«, sagte sie. »Raus hier!«
Sie erhoben sich aus ihrer hockenden Haltung.
Und dann erkannten sie, dass diese Ellen Scott nicht bluffte, sondern entschlossen war. Auch ich erkannte das, und es erschreckte mich, denn es ließ mich jetzt erstmalig etwas von dem Hass ahnen, der auf dieser Weide war.
Sie nahmen ihre Pferde, führten sie hinaus, saßen draußen auf und ritten über die Brücke zurück – und die ganze Zeit wurden sie von Ellen Scott mit der schussbereiten Schrotflinte bewacht. Oh, sie waren harte Burschen, wahrscheinlich richtige Revolvermänner, die nicht nur für die Weidearbeit angeworben waren. Wäre Ellen Scott ein Mann gewesen, so hätten sie gewiss etwas versucht. Doch sie war eine Frau, und selbst das raueste Rudel konnte hier in diesem Lande nicht mit einer Frau so umspringen wie mit einem Mann.
Überdies war Ellen Scott ja auch die Frau, die dieser Casy Cannon heiraten wollte.
Wahrscheinlich hieß er mit Vornamen Casymir oder so ähnlich.
Nun, er würde sich auch noch meinen Namen merken und nie wieder vergessen.
Sie kam nach einer Weile zurück.
Ihre Schrotflinte hatte sie nun entspannt. Sie betrachtete mich ernst.
»Es geht mir schon besser«, sagte ich. »Noch vor dem Abend werde ich mich auf den Weg zum Sheriff machen und …«
Ich verstummte, weil sie den Kopf schüttelte.
Sie sagte: »Ihr Pferd kam heute im Laufe des Tages zur Brücke. Ich habe es im Corral hinter der Scheune. Wenn Sie es brauchen, dann rufen Sie mich. Es wäre sehr gut für Sie, wenn Sie bald fortreiten würden. Was war denn passiert?«
»Eine Stampede von Bar-CC-Rindern riss meine kleine Herde mit«, sagte ich. »Und dann kam dieser Casy Cannon mit seinen Reitern. Sie behandelten mich wie einen Viehdieb. Aber das bin ich nicht. Ich war nicht mit gestohlenen, sondern mit eigenen Rindern unterwegs. Ich will diese Rinder wiederhaben. Das ist doch klar. Und ich bin nicht der Mann, der sich etwas wegnehmen und dann auch noch herumstoßen lässt. Was ist hier los in diesem Land? Was für ein Hass ist auf dieser Weide?«
Sie sah zuerst so aus, als wollte sie mir keine Antwort geben. Sie ging zu einer Futterkiste und setzte sich.