G. F. Unger Sonder-Edition 8 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 8 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Einsam und verbittert kommt Jake Leerock aus der Hölle des Bürgerkrieges in die kleine Grenzstadt San Pablo, um drüben in Mexiko auf dem rauen Trail der Gesetzlosen zu reiten. Aber dann führt ihn das Schicksal nach dreizehn langen Jahren mit seiner Jugendliebe Lily Boston und seinem Sohn Little Jake zusammen. Die Stadt an der Rio-Grande-Furt könnte zu einem neuen Anfang für Jake Leerock werden - wenn es gelingt, den Terror Barton Monyhans zu brechen, der immer wieder riesige Rinderherden in das umliegende Siedlerland treibt. Monyhans nächster Schlag zielt ins Herz des Countys - die Main Street von San Pablo. Es wäre der Todesstoß für die Stadt. Monyhan sieht sich am Ziel. Er ahnt ja nicht, welche Hölle ein Mann wie Jake Leerock entfesseln kann...

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Inhalt

Cover

Impressum

Main Street

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-4455-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Main Street

1

Als er in San Pablo aus der Postkutsche klettert, bietet er keinen beachtlichen Anblick, obwohl er sehr groß ist. Er wirkt zu mager. Etwa so wie ein Mann, der nach langer Krankheit erst einige Tage wieder auf den Beinen ist. Er bewegt sich vorsichtig. Und als er sich mit seiner alten Reisetasche in der Hand in Bewegung setzt, da hinkt er mit dem rechten Bein. In seinem hageren Gesicht, das fast so dunkel ist wie das eines Comanchen, sind zwei rauchgraue Augen. Und der alte Colt an seiner linken Seite wirkt nicht besonders auffällig oder gar herausfordernd.

Als er den Plankengehsteig erreicht, steigt er hinauf und verharrt, um sich umzusehen. Zu seiner Linken führt die Main Street von San Pablo nach Norden. Zu seiner Rechten führt sie zum Rio Grande hinunter. Drüben auf der anderen Seite liegt Mexiko.

Es ist später Nachmittag. Die Hitze flimmert über dem Ort. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel nieder.

Er denkt: Einen halben Dollar habe ich noch in der Tasche. Damit muss ich den Rest des Tages verbringen. Denn erst in der Nacht werde ich ein Pferd stehlen können, um hinüber nach Mexiko zu reiten. Dabei wäre diese Stadt hier ein Ort, um eine Weile zu bleiben. Es ist eine hübsche Stadt, schon von den Spaniern gegründet, als deren Padres hier die Mission errichteten, um die Heiden zu bekehren. Und jetzt ist diese Stadt wohl ein großer Warenumschlagplatz. Das muss so sein. Sonst gäbe es hier nicht einen solch großen Wagenhof mit vielen Corrals und Lagerhäusern. Ja, es ist gewiss eine Stadt, in der ein Mann wie ich gut leben könnte wenn, ja wenn er etwas Geld in den Taschen hätte. O ja, Geld …

Drüben auf der anderen Seite sieht er einen großen Saloon, in den unter der Arkaden drei Eingänge führen, wahrscheinlich deshalb, weil zu diesem Saloon auch eine Fonda – also ein Gasthaus zum Übernachten und eine Bodega – also eine Weinstube – gehören, so wie die Leute mexikanischer Abstammung sie mögen.

Er fragt sich, ob er in den Saloon gehen und seinen letzten Halbdollar ausgeben soll. Er könnte sich nämlich auch im Store, der sich gleich neben ihm befindet, einen Beutel Tabak kaufen und seinen Hunger mit einigen Schlucken Wasser aus einem der Brunnen stillen.

Indes er noch zu einer Entscheidung zu kommen versucht, tritt eine Frau aus dem Store und will über die Fahrbahn.

Sie sehen sich beide eine Sekunde lang an.

Dann sagt die junge Frau: »Jake, bist du das? O ja, du musst es sein. Nicht wahr, du bist Jake Leerock?«

Er sieht sie staunend an.

»Lily Boston«, spricht er dann. »Mein Gott, Lily Boston. Und du bist noch schöner geworden seit damals, als …«

Er verstummt, so als scheute er sich, von etwas zu sprechen, was längst vorbei und vergessen ist.

Aber sie lacht, und es ist ein sehr melodisches und dabei selbstsicheres Lachen, das Lachen einer selbstbewussten und selbstständigen Frau.

»Als wir uns im Heu von meines Vaters Scheune liebten«, vollendet sie seinen angefangenen Satz. »Und dann jagte mein Vater dich zum Teufel. Du warst ja noch ein Junge. Gerade siebzehn, nicht wahr?«

Jake Leerock nickt.

»Aber er war der letzte Mann, der mich verprügelt hat«, murmelt er. »Alle, die es nach ihm versuchten, schafften das nicht mehr. Ja, es war schön damals mit dir im Heu. Wie lange ist das schon her, zehn Jahre?«

»Zwölf«, verbessert sie ihn. »Zwölf Jahre, Jake Leerock. Und du siehst nicht so aus, als hättest du dir diese Welt erobern können.«

»Nein.« Er grinst und zeigt zwei weiße Zahnreihen, die sein dunkles Gesicht jungenhafter erscheinen lassen. »Ich habe nur einen halben Dollar in der Tasche, schöne Lily. Und in der kommenden Nacht will ich ein Pferd stehlen und drüben in Mexiko jemandem sein Geld wegnehmen. Hoffentlich hat schon der erste Mann, dem ich meinen Colt unter die Nase halte, genug bei sich. Und dann werde ich das gestohlene Pferd gegen ein anderes Tier eintauschen und wieder auf diese Seite des Rio Grande zurückkommen. Nun weißt du genau über mich Bescheid, Grünauge. Wie geht es dir? Hast du einen reichen Mann bekommen?«

Sie blickt von der Seite her zu ihm empor. Und sie spürt seine Bitterkeit.

»Du musst aber mächtig Pech gehabt haben«, sagt sie und lächelt. »Du trägst ja auch noch die Stiefel und die Hosen der Konföderierten-Armee. Warst du lange Soldat?«

»Fünf Jahre.«

»Und welchen Rang hattest du zuletzt?«

Captain – aber was war schon ein verdammter Rebellen-Captain der Texas-Brigade?«

»Und du wurdest verwundet?«

»Am letzten Kriegstag. – Und dann schleppte ich die Kugel zwei Jahre mit mir herum, bis ich endlich einen Chirurgen fand, der es wagte, sie mir herauszuholen, ohne einen wichtigen Nervenstrang zu zerstören.«

»Aber er schaffte es, Jake, nicht wahr?«

Er nickt langsam.

Wieder lächelt sie zu ihm empor.

»Ich lade dich zum Essen ein, Jake«, spricht sie. »Und ich habe auch eine Badewanne, die groß genug für dich ist. Und die Kleidung meines Mannes wird dir zwar noch ein wenig zu weit sein, doch gewiss in einigen Wochen recht gut passen. Komm, Jake.«

Sie will vom Gehsteig hinunter in den Staub der Fahrbahn treten.

Doch da krachen ein Stück weiter die Main Street hinauf, beim nördlichen Stadtende, einige schnell aufeinander folgende Schüsse.

Gellende Stimmen klingen durch das Wiehern von Pferden. Hufschlag wird laut. Und immer noch krachen Schüsse.

Drei Reiter kommen die Main Street heruntergejagt und streben dem südlichen Stadtausgang zu, der zur Rio-Grande-Furt führt.

»Sie müssen die Bank überfallen haben«, sagt Lily Boston neben Jake Leerock. »Ja, es kann nicht anders sein. Sie überfallen immer wieder unsere Bank.«

Die Reiter jagen nun vorbei. Es sind drei. Und sie schießen auf alles, was ihnen den Fluchtweg versperren könnte.

Jake Leerock zieht Lily Boston hinter einen Pfeiler der Arkaden und verharrt mit ihr, bis die drei Reiter vorbeigejagt sind und sich nur noch der Staub hinter ihnen als dichte Wolke eine Weile zwischen den Häusern hält.

In der Stadt wird es laut. Überall auf der Main Street kommen die Menschen aus den Geschäften, Häusern und Werkstätten. Fenster werden aufgerissen. Die Neugierigen beugen sich weit heraus.

Und dann endlich verkündet eine gellende Stimme, was geschehen ist: »Die Bank! Sie haben die Bank ausgeraubt! Der Kassierer und der Marshal wurden erschossen! Sie selbst, diese Hurensöhne von Banditen, verloren ebenfalls zwei Mann. Sie haben unsere Bank ausgeraubt!«

Jake Leerock gibt Lily Boston frei.

Diese sagt bitter: »Wenn sie den Marshal niedergeschossen haben, ist niemand da, der ein Aufgebot zusammenstellen und die Verfolgung aufnehmen wird. Sie werden glatt entkommen können jenseits des Rio Grande.«

»Ja, so sieht es aus«, murmelt er.

Sie sieht ihn mit ihren grünen Katzenaugen an, als wollte sie herausfinden, was hinter seinen mit gleichgültig klingender Stimme gesprochenen Worten steckt. Doch er lächelt wieder auf seine blinkende Art und sagt: »Gilt die Einladung zum Essen noch? Wagst du es, mich deinem Mann vorzustellen?«

»Das ist kein Wagnis«, erwidert sie. »Denn er ist seit zwei Jahren tot. Gehen wir also, Jake Leerock.«

Sie setzt sich in Bewegung, während er ihr den Korb abnimmt, in dem sich ihre Einkäufe aus dem Store befinden. Es sind leichte Dinge, wahrscheinlich Stoff, Leinenzeug und Wäsche.

Sie gehen genau auf den Saloon zu.

Als sie hinein will, fragt er staunend: »Hier?«

»Ja, ich bin die Besitzerin«, erwidert sie. »Saloon, Bodega und Fonda gehören mir. Ich beschäftige drei Dutzend Menschen. Ich bin die Patrona oder Chefin.«

Er folgt ihr staunend.

Und er denkt: Oooh, was ist aus ihr geworden! Sie ist die Chefin von drei Dutzend Menschen hier. Aber wahrscheinlich hat ihr Mann ihr dies alles hinterlassen. Ja, so wird es sein.

Sie treten hinein in den Saloon. Hinter der langen Bar stehen zwei Keeper. Es ist noch nicht viel Betrieb. Doch die Billardtische sind besetzt. An der Bar lehnen ein paar durstige Kehlen. Und einige Animiermädchen streichen herum oder stehen bei den Gästen an der Bar.

Lily Boston winkt einem der Barkeeper zu. »Yank soll ein Steak in die Pfanne legen. Für einen guten Freund. Sag es ihm, damit er sich besondere Mühe gibt.«

»Ay, ay, Chefin«, erwidert der Barmann und verschwindet durch eine Tür, die offenbar in die Küche der Bodega oder Fonda nebenan führt.

Lily und Jake aber setzten sich an einen Tisch in der Ecke neben dem Barende, der überdies auch noch halb von der geschwungenen nach oben führenden Treppe verdeckt wird.

Es ist offensichtlich ihr ganz privater Tisch, von dem aus sie alles gut beobachten kann und an dem sie gewiss auch besondere Gäste empfängt.

Sie setzten sich, und sie schenkt ihm roten Wein ein aus einem Krug, der hier stets bereitzustehen scheint. Dann lächelt sie ihn an.

»Es muss eine Fügung des Schicksals sein«, murmelt sie. »Oder siehst du das anders, Jake?«

Er schüttelt leicht den Kopf.

»Ich fühle mich nicht besonders wohl in meiner Haut«, murmelt er. »Ich bin ein verdammt heruntergekommener Bursche und besitze nicht mal ein Pferd. Der Doc nahm tausend Dollar für die Operation. Das war eine Menge Geld. Wenn ich ein Pferd hätte …«

Er bricht ab. Aber sie kann in seinen rauchgrauen Augen etwas erkennen. Und weil sie eine sehr erfahrene Frau ist, beginnt sie etwas zu wittern.

»Und wenn du ein Pferd hättest?« So fragt sie ernst.

Er grinst.

»Mit einem Steak im Magen und einem guten Pferd unter dem Hintern würde ich den drei Banditen nachreiten und ihnen das Geld wieder abnehmen. Es würde sich lohnen, nehme ich an.«

»Und zurückbringen?« So fragt sie fast lauernd.

Da grinst er schief.

»Zurückbringen?« So fragt er staunend. »Wem? He, Grünauge, weißt du, was ein Fregattvogel ist?«

Sie staunt. »Ein tropischer Seevogel«, erwidert sie schließlich, »der beste Flieger unter allen Meeresvögeln, ein Ruderfüßler. Mehr weiß ich nicht.«

Wieder grinst er.

»Er stiehlt allen anderen großen Vögeln die Beute. Er kann besser fliegen als sie. Er stiehlt allen fliegenden Jägern die Beute. Und er fragt nicht, woher die Beute kommt.«

Sie nickt zu seinen Worten.

»Du musst sehr verbittert sein und diese Welt verdammt verachten«, murmelt sie schließlich.

Dann sehen sie sich wortlos an. Aber sie wissen beide, dass sie an dasselbe denken, nämlich an jene Stunde damals im Heu. Sie war fünfzehn, er siebzehn, und sie glaubten, sich zu lieben.

Plötzlich sagt sie: »Du bekommst gleich das Steak. Und dann gebe ich dir das Pferd meines Mannes. Ich gab es nicht weg, obwohl ich es nicht reite, sondern mein eigenes Pferd habe, eine hübsche Stute. Ja, du wirst ein Steak im Magen und ein gutes Pferd unter dem Hintern haben. Und dann will ich sehen, ob du wieder nach San Pablo zurückkommst.«

Immer noch sehen sie sich an, und ihre Gedanken eilen zwölf lange Jahre zurück bis zu jener Nacht im Heu von Lily Bostons Vaters Scheune, als ihr Vater mit dem Knüppel kam, weil er nicht wollte, dass ein dummer Junge, den er als Farmhelfer anstellte, seine einzige Tochter schwängerte.

So war das damals.

Und jetzt ist sie eine junge und sehr wohlhabende Witwe, er aber ein mittelloser Tramp, der bereit ist, nach jeder Chance zu greifen, die sich ihm bietet, um nicht vollends unterzugehen.

Sie öffnet einige Male den Mund, holt Atem und will offensichtlich etwas sagen. Doch sie presst die Lippen dann wieder zusammen und schluckt etwas herunter, so als würgte es ihr im Halse.

Doch dabei denkt sie: O Jake, wenn du wüsstest, welchen Weg ich gehen musste, als mein Vater dich davonjagte wie einen Hund. Wenn du wüsstest, was neun Monate später war …

Aber sie sagt es nicht.

Sie fragt nach einer Weile: »Dann hast du es jetzt wohl eilig und es wird nichts mit der Badewanne? Dann möchtest du jetzt das Pferd und einige andere notwendige Dinge, zum Beispiel etwas Proviant, ein Gewehr und Munition?«

Er nickt stumm und hält ihrem Blick stand.

Ein Mann kommt von der Straße durch die Schwingtür in den Saloon und ruft laut: »Fünfundzwanzigtausend Dollar! Sie haben fünfundzwanzigtausend Dollar mitgehen lassen, einen ganzen Sack voll Geld. Und ihr hier kümmert euch nicht darum. Ihr spielt hier Billard oder nehmt Drinks, so als ginge euch das nichts an. Dabei hat es vier Tote gegeben. Oh, was ist das für eine Welt!«

Der Mann eilt wieder hinaus.

Im Saloon bleibt es still. Dann lacht eins der Mädchen und ruft kichernd: »Oooh, fünfundzwanzigtausend Dollar! Ich wäre gerne dort, wo sie es ausgeben, diese harten Jungs!«

Nun lachen auch einige Männerstimmen durcheinander. Es werden Witze gerissen. Und eins ist klar, es gibt unter diesen Leuten kein Mitleid mit den vier Toten, auch nicht mit der beraubten Bank.

Diese Stadt ist hart.

Dies weiß Jake Leerock in diesen Sekunden.

Er nickt Lily zu.

»Ja, gib mir das Pferd, Proviant und ein Gewehr mit Munition.«

Sie erhebt sich sofort.

Zehn Minuten später nehmen sie im Stall hinter dem Saloon Abschied.

»Wenn du zurück nach San Pablo kommen solltest«, murmelt sie, »habe ich eine Überraschung für dich. Aber die Chancen sind wohl drei zu eins gegen dich, nicht wahr?«

Er zeigt ihr wieder sein blinkendes Lächeln.

Dann aber fragt er schlicht: »Soll ich wieder herkommen?«

Ihre grünen Katzenaugen werden schmal, und sie scheint tief in sich hineinzulauschen.

»Das musst du selbst herausfinden«, erwidert sie. »Und du musst bedenken, dass ich verdammt wenig von dir weiß. Gewiss, du warst zuletzt ein Captain der stolzen Texas-Brigade unter ›Stonewall‹ Jackson, gewiss, gewiss – aber was bedeutet das schon? Was wurdest du für ein Mensch in den vergangenen zwölf Jahren? Und auch du wirst dich fragen, was ich für eine Frau wurde. Wenn du wieder herkommen solltest, würden wir erst einmal eine Menge über uns herausfinden müssen. Nun, dann reite also!«

Sie tritt zurück, so als befürchte sie, dass er nach ihr greifen und sie in die Arme nehmen wollte.

Doch er versucht es nicht. Er sitzt auf und reitet aus dem Stall.

Es ist jetzt fast schon Nacht geworden. Die Banditen haben einen Vorsprung von mehr als einer Stunde. Es wird eine helle Nacht werden, denn am Himmel beginnen die Gestirne immer klarer zu leuchten, so dass man meint, sich unter einem riesigen, mit Edelsteinen geschmückten Baldachin aus blauem Samt zu befinden.

Er reitet im ruhigen Trab durch die Furt des Rio Grande nach Mexiko hinüber. Es gibt hier keinerlei Grenzüberwachung. Wenn man nicht wüsste, dass hier der Rio Grande die Grenze bildet, wüsste man nicht, ob man sich in Texas oder Mexiko befindet.

2

Das Pferd unter ihm ist ein zäher Wallach, hager und dennoch stark genug, einen schwergewichtigen Mann endlose Meilen weit zu tragen.

Doch weil Jake Leerock ja noch eine Menge an Gewicht fehlt, hat es der graue und narbige Wallach leichter als unter seinem ehemaligen Herrn.

Es tut gut, wieder reiten zu können.

Immer wieder wird sich Jake Leerock dieses Gefühls bewusst.

Er versucht sich vorzustellen, wie die drei Banditen sich verhalten werden.

Als sie schießend die Main Street hinuntergaloppierten, da konnte er sie hinter dem Arkadenpfeiler hervor, welcher Lily und ihm als Deckung diente, gut beobachten und sich ihr Aussehen merken. Selbst die drei Pferde würde er wiedererkennen an ihrer Farbe, ihrer Zeichnung und ihrer Gestalt.

Da sie den Marshal niederschossen, können sie nun ziemlich sicher sein, dass ihnen kein Aufgebot folgen wird, schon gar nicht nach Mexiko hinüber. Doch sie werden gewiss bei Tagesanbruch ihre Fährte von einem guten Aussichtspunkt beobachten.

Einen einzelnen Reiter werden sie nicht für einen Verfolger halten, schon gar nicht einen so abgerissen wirkenden.

Es ist wahrscheinlich, dass die drei Banditen auf dem Wagenweg bleiben werden. Denn hier verlieren sich die Spuren ihrer Pferde in all den vielen anderen Hufspuren. Jake Leerock ist ziemlich sicher, dass sie in der nächsten Stadt anhalten werden, um sich zu amüsieren. Burschen ihrer Sorten wollen nach einem so großen Coup stets eine Feier veranstalten und alle Sünden begehen, die man mit Hilfe von Geld begehen kann.

Ja, sie werden feiern mit Feuerwasser, Frauen und all den falschen Freunden, die man leicht findet, wenn man Geld wie Heu hat.

Jake Leerock reitet stetig die ganze Nacht, und er erinnert sich in diesen Stunden an all die vielen anderen Ritte im Laufe seines Lebens.

Gegen Ende der Nacht durchquert er eine Ebene von etwa acht Meilen, bleibt dabei immer auf dem staubigen Wagenweg, die Davis Mountains jenseits des Rio Grande in seinem Rücken, den die Mexikaner Rio Bravo nennen.

Am südlichen Rand der Ebene trifft er auf ein kleines Dorf, das sich um eine alte Missionskirche gebildet hat, in deren Turm eine lächerlich winzige Glocke hängt, kaum größer als die Bimmel eines Ladens.

Aber wahrscheinlich würde hier eine größere Glocke von den Bandoleros, den mexikanischen Straßenräubern, gestohlen werden, die einfach alles gebrauchen können.

Ein kleiner Creek durchfließt das armselige Dorf, nimmt aus den Adobehütten den Unrat auf und trägt ihn fort in die Ebene.

Jake Leerock reitet zwischen den Hütten, die rechts und links des Wagenwegs stehen, wie durch eine Gasse hindurch und erreicht das andere Ende der kleinen Siedlung. Und hier – wo der Creek sauber ist und noch keinen Unrat und keine Fäkalien aufgenommen hat – da sieht er die drei Banditen.

Es gibt keinen Zweifel. Er hat sich ihr Aussehen und ihre Kleidung gut gemerkt. Auch die Farbe ihrer Pferde stimmt. Ja, er ist sicher, dass es die Bankräuber und Mörder sind, die er einzuholen bestrebt war.

Er hat sie also eingeholt.

Und nun?

Er macht sich keine Illusionen: Allein gegen drei Gegner zurechtzukommen, obwohl er sehr schnell ist mit dem Colt, traut er sich nicht zu. Einer von ihnen wäre mit Sicherheit zu viel für ihn.

Sie haben am Creek, der hier einen kleinen See bildet, ihre Pferde getränkt und sich mit den Tieren ausgeruht. Zumindest eine ganze Stunde kamen sie vor ihm hier an. Von diesem Platz aus haben sie einen weiten Blick über die Ebene. Sie können am kleinen Dorf und der winzigen Missionskirche vorbei nach Norden sehen und ihre Fährte gut beobachten. Sie sahen ihn gewiss auch kommen – einen einzelnen Reiter.

Nun hält er an, nickt ihnen zu und sitzt ab. Hinkend geht er zum See und kniet nieder, um sich zu erfrischen. Sein graues Pferd taucht die Nase neben ihm ins Wasser. Die drei Banditen beobachten ihn schweigend. Sie hocken lässig am Boden. Offenbar ließen sie sich aus einer der Hütten ein Frühstück bringen. Denn das leere Geschirr steht noch zwischen ihnen am Boden.

Als Jake Leerock sich erhebt und seinen Proviant aus einer der Satteltaschen holt – es ist ein Brot und Räucherspeck –, da sagt einer der drei Banditen: »Dort in der Hütte macht dir die Frau für einen Viertelpeso ein gutes Frühstück. Wir haben es probiert.«

»Ich habe keinen Viertelpeso.« Jake Leerock grinst. »Ich habe nur einen halben Dollar, und den möchte ich noch behalten. Vielleicht brauche ich ihn dringender für andere Dinge.«

Wieder schweigen sie eine Weile, indes sie ihn beobachten. Ihr wachsames Misstrauen strömt zu ihm herüber.

Einer fragt: »He, woher kommst du?«

»Aus San Pablo«, sagt Jake Leerock und grinst wieder.

Er sieht, wie sie leicht zusammenzucken und sofort in lauernder Bereitschaft sind. Und so grinst er stärker noch und fügt hinzu: »Aber ihr habt doch nicht etwa Angst vor mir?«

Nun grinsen sie stärker.

Dann aber hebt einer von ihnen die Hand und deutet mit dem Zeigefinger auf ihn.

»Jetzt weiß ich es! Oho, jetzt erkenne ich ihn wieder.« Seine beiden Nachbarn starren Jake Leerock an.

»Ich nicht«, knurrt dann einer. »Ich auch nicht«, murrt der andere. »Woher kennst du ihn, Ringo?«

»Ich sah ihn aus der Postkutsche klettern, kurz bevor ihr schießend aus der Bank kamt. Ich hielt ja vor der Bank die Pferde und musste den Marshal abknallen. Zuvor kam die Postkutsche, wirbelte Staub auf und hielt ein Stück von mir entfernt. Als sie wieder anfuhr, stand der da im Staube der Fahrbahn. Ja, der kam in der gleichen Minute, in der wir unseren Coup landeten, nach San Pablo. Mit der Postkutsche. Ohne Pferd. He, Bruder, woher hast du den Wallach? Das ist ein Dreihundert-Dollar-Pferd. Dieser prächtige Wallach passt doch gar nicht zu einem Hombre in abgerissenen Armeehosen.«

Abermals grinst Jake Leerock blinkend.

»Ich holte ihn aus dem Stall hinter dem Saloon, indes vorne auf der Main Street alles in Aufregung war. Ihr werdet mir das sicherlich nicht übel nehmen – oder? Ich nehme euch euren Raub doch auch nicht übel.« Nun beginnen auch sie zu grinsen.

»He, der ist ja ein echter Komiker«, sagt einer.

»Ein Komiker und Pferdedieb«, kichert einer der beiden anderen Kerle.

»Und wenn er wirklich nur einen halben Dollar in der Tasche hat, sollten wir ihm vielleicht ein paar Dollars schenken. So einem armen Hund. He, Langer, darf ich deine Taschen durchsuchen, ob du wirklich nur einen halben Dollar darin hast?«

»Sicher«, sagt Jake Leerock freundlich. »Und mein Colt ist nicht schussfähig. Mir fehlen die Zündhütchen. Und vier Kammern der Trommeln sind leer. Ihr braucht wirklich keine Angst vor mir zu haben. Mit dem Gewehr, das ich mitgehen ließ, weil es im Sattelschuh steckte, wäre ich wohl nicht schnell genug gegen eure Colts. Komm nur, Freund, durchsuche meine Taschen. Für eine kleine Spende lasse ich das zu.«

Der scharfgesichtige Bursche erhebt sich tatsächlich und tritt zu ihm, beginnt ihn dann zu durchsuchen. Er findet tatsächlich nur einen halben Dollar und den Entlassungsschein aus der Kriegsgefangenschaft, welcher nun schon mehr als zwei Jahre alt ist, denn jetzt schreibt man den August des Jahres 1867.

»Der heißt Jake Leerock und war Captain in der Texas-Brigade«, verkündet der Bursche dann seinen beiden Kumpanen. »Und er sieht gar nicht gut aus, so dünn und halb verhungert. Wir sollten ihm wirklich was spenden. Hier!«

Er greift in seine Tasche und holt ein paar Dollars heraus.

»Die sind hier in Mexiko fast so groß wie Wagenräder. Spendiert ihr ihm auch was, ihr Witwentröster?«

Die beiden anderen haben sich indes ebenfalls erhoben. Auch sie greifen in die Taschen und holen Geld hervor, werfen es Jake Leerock zu.

Dieser bedankt sich mit freundlichem Grinsen und sieht dann zu, wie sie aufsitzen und weiter nach Süden reiten.