G. F. Unger Sonder-Edition 80 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 80 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

"Geh nicht, Jesse!", fleht die schöne Lily. "Sie werden dich töten. Du und der Sheriff, ihr bringt den Gefangenen nie nach Tucson. Kein Bandit des Landes wird zulassen, dass man Jake Roscoe den Strick um den Hals legt. Er allein kennt das Versteck der Lohngelder, hinter denen alle her sind."

Jesse Adams schüttelt langsam den Kopf. "O Lily, du verstehst wohl doch nicht so viel von Männern, wie ich glaubte. Sonst wüsstest du, dass ich zu der Sorte gehöre, die ihr Wort niemals bricht." Winkend hebt er die Hand und reitet an. Er weiß, es wird ein Ritt ohne Wiederkehr...

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Seitenzahl: 187

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Geh nicht, Jesse!

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-270-45

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Geh nicht, Jesse!

1

Als Jesse erwacht, ist draußen vor dem Fenster der graue Tag. Lily Behan, in deren Armen er die Nacht verbrachte, schläft tief und fest. Das ist Jesse Adams recht, und so gibt er sich Mühe, sie nicht zu wecken.

Er kleidet sich geräuschlos an und schnallt den Waffengurt mit dem schweren Colt um. Dann gleitet er durch die Tür hinaus. Auch als er die Treppe hinuntergeht, macht er kein Geräusch, und das ist geradezu ein Zauberkunststück. Denn Holztreppen knarren fast immer. Aber irgendwie bringt er es fertig, die Treppe nicht knarren zu lassen. Dabei ist er ein großer Mann mit mehr als fünfundachtzig Kilo Gewicht.

Dennoch bewegt er sich so leicht wie ein Wildkater. Auch als er das kleine Haus durch die Hintertür verlässt, macht er kein Geräusch und schließt die Tür völlig lautlos.

Aber als er den Stall betritt, da schnaubt sein brauner Wallach.

»Sei still, du Äpfelmacher«, zischt Jesse. »Es gibt keinen Grund zur Freude: Ganz im Gegenteil, verdammt!«

Er zündet die Stalllaterne an, die am Stützbalken des Daches hängt, und beginnt den Wallach zu satteln. Als er damit fertig ist und das Tier losbinden will, öffnet sich die kleine Tür im Stalltor. Lily Behan kommt herein, eine Petroleumlampe in der Hand.

Einen Moment verharrt sie. Und auch Jesse verharrt irgendwie verlegen und schuldbewusst, weil er sich davonstehlen wollte.

Sie stellt die Lampe auf ein Wandbrett und kommt zu ihm.

»Nein, so solltest du dich nach dieser Nacht nicht davonschleichen«, sagt sie kehlig. Dann drängt sie sich in seine Arme und bietet ihm den Mund zum Abschiedskuss.

Sie küssen sich lange. Über dem Nachthemd trägt sie nur ein Umschlagtuch. Er spürt ihren geschmeidigen Körper und erinnert sich wieder an die vergangenen Stunden in ihren Armen.

»Reite noch nicht weg«, flüstert sie dann dicht an seinem Mund. »Bleib wenigstens noch ein oder zwei Tage und Nächte. Es war so schön zwischen uns. Es soll noch nicht vorbei sein für wer weiß wie lange. Du kommst zu selten zu mir. Manchmal dauert es Monate, und dann wünsche ich mir, dich vergessen zu können. Aber ich kann dich nicht vergessen. Ich hab dich zu sehr in meinem Blut. Also bleib!«

»Nein, Lily«, murmelt er bedauernd, »es geht nicht. Der alte Rufus Stone braucht meine Hilfe. Ich versprach ihm …«

»Reite nicht, Jesse«, unterbricht sie ihn und löst sich aus seinen Armen, tritt langsam zurück. »Geh nicht, Jesse! Geh nicht weg von mir. Bleib!«

Aber er schüttelt den Kopf. »Es geht nicht, Lily«, wiederholt er bedauernd. »Du weißt genau, dass ich zu gerne bleiben würde. Du bist eine Frau nach meinem Herzen. Ich würde gerne eine ganze Woche mit dir im Bett bleiben, oha. Aber …«

Wieder kommt sie zu ihm, drängt sie ihren geschmeidigen und warmen Körper an ihn. Und abermals küssen sie sich.

Doch auch nach diesem langen Kuss, als sie wieder dicht an seinem Munde flüstert: »Geh nicht, Jesse, bleib«, erwidert er bedauernd: »Nein, es geht nicht. Der alte Rufus hat mein Wort.«

Nun tritt sie zornig von ihm zurück.

Und sie hält jetzt seinen schweren Colt in der Hand. Unbemerkt und unglaublich geschickt zog sie ihm die Waffe beim Zurücktreten aus dem Holster.

Drei Schritte weicht sie zurück. Sie hält den Colt in der Linken. Mit der Rechten ergreift sie die Lampe.

»Du wirst bleiben«, sagt sie. Ihre Stimme klingt spröde. »Ich lass dich dort draußen nicht von Jake Roscoes Freunden und Partnern abknallen. Denn dass dies so kommen wird, ist leicht auszurechnen. Du wirst bleiben, bis der alte Sheriff mit Jake Roscoe fort ist, weit genug fort ist, sodass du sie nicht mehr rechtzeitig einholen kannst. Das wird dir das Leben retten. Also sattle dein Pferd wieder ab. Und dann komm hinüber ins Haus. Es wird dir dort an nichts fehlen.«

In ihre Stimme kommt zuletzt wieder jenes viel versprechende Gurren.

Dieses Gurren und Schnurren gehört zu ihren Zärtlichkeiten, zu ihrem in seinen Armen so lebendigen und vibrierenden Körper.

Er verspürt ein tiefes Bedauern. Dabei schüttelt er langsam den Kopf.

Und er murmelt bedauernd: »Oh, Lily, du weißt wohl doch nicht so viel über Männer, wie ich bisher glaubte. Denn sonst würdest du wissen, dass ich zu jener Sorte gehöre, die Wort hält und sich zu nichts zwingen lässt. Gib auf, Lily. Es war schön diese Nacht bei dir. Lass nicht zu, dass ich eine andere Erinnerung mitnehmen muss. Woher weißt du denn überhaupt, dass ich mich in Gefahr begebe, wenn ich dem alten Sheriff dabei helfe, Jake Roscoe nach Tucson zu bringen?«

»Das weiß jeder Mensch hier in Mesa Springs«, erwidert sie. »Die ganze Sache ist zu einfach. Jake Roscoe hat vierzigtausend Dollar Lohngelder aus einer Postkutsche geholt. Als sein Pferd zu lahmen begann, da wusste er, dass die Verfolger ihn bald einholen würden. Und so versteckte er seine Beute irgendwo. Dann konnte er sich unbesorgt einfangen lassen, unbesorgt, weil er wusste, dass ihm Freunde und Partner helfen würden. Denn jeder, der ihm hilft, denkt natürlich an die vierzigtausend, die Roscoe mit ihm teilen muss. Der alte Sheriff hat keine Chance. Und du hättest auch keine. Ich will dich nicht tot sehen. Deshalb wirst du bleiben. Basta!«

Sie verstummt sehr energisch.

Er aber lächelt ernst und fast mitleidig.

Dann fragt er: »Haben sie dir eine Belohnung versprochen, wenn du mich in deinem Bett festhalten kannst? Oha, Lily, warum lässt du dich von ihnen so missbrauchen? Ich weiß ja, dass du einige Freunde hast, die zur Wilden Horde gehören. Auch Jake Roscoe …«

»Verdammt, sprich nicht so mit mir«, unterbricht sie ihn. »Du weißt ganz genau, dass ich jeden anderen Mann aus meinem Haus werfen würde, wenn du vor meiner Tür stehst. Sprich nicht so zu mir!«

Er nickt. Dann greift er in seine Hemdtasche und holt seinen Deputystern heraus. »Ich glaube nicht, dass du auf mich schießen könntest, Lily«, murmelt er und sieht sie im Schein der beiden Lampen fest an. »Du bist eine Frau, die dazu geboren wurde, Zärtlichkeit zu verschenken, aber nicht, um zu töten oder Blut zu vergießen. Nein, du gehörst zu der Sorte, über die einsame Burschen sich freuen können, wie über einen Stern in dunkler Nacht. Und jetzt gib mir den Colt zurück.«

Er streckt ruhig seine Hand aus, tritt dabei langsam einen Schritt näher.

Einen Moment lang ist alles unsicher.

Jesse grinst plötzlich. »Warum solltest du mich töten, wenn dies vielleicht andere tun? Oder wollen sie, dass du diese Arbeit für sie verrichtest? Dann sind es verdammt miese Burschen.«

»Ja, das sind sie«, murmelt Lily. »Das sind sie wirklich. Und vielleicht werden sie mein Haus anzünden, weil ich es nicht schaffen konnte, dich bei mir festzuhalten. Jesse, liegt dir denn am alten Rufus Stone mehr als an mir?«

»Mir liegt was an mir«, erwidert er. »Mir liegt was daran, dass ich mein gegebenes Wort halte, mein Versprechen, mit nach Tucson zu reiten. Und nun her mit meinem Colt, süße Lily.«

Sie lässt sich von ihm die Waffe abnehmen, macht keinen Versuch, sie auf ihn abzudrücken.

Doch nun rinnen Tränen über ihre Wangen.

»Oh, Jesse«, flüstert sie, »ich weiß, ich bin keine Frau von jener Sorte, die ein Mann heiraten will. Aber ich wünschte, wir könnten irgendwohin gehen, alles vergessen, was hinter uns liegt, und ganz neu anfangen. Ja, ich wünschte, es könnte so sein. Sie werden dich töten.«

Die letzten Worte spricht sie wieder hart und spröde.

Und dann wendet sie sich ab und geht durch die kleine Tür im Stalltor hinaus.

Er aber verharrt einen Moment, denkt nach, lauscht gewissermaßen mit seinem Instinkt nach draußen. Denn nun weiß er, dass dort draußen Gefahr auf ihn lauert – entweder hier in dem kleinen Ort Mesa Springs oder außerhalb.

Er löscht zuerst die Laterne am Stützpfosten.

Dann öffnet er das Stalltor.

Ruhig führt er sein Pferd hinaus und schließt das Tor wieder.

Er sitzt nicht auf, denn im grauen Morgen würde sich sein Oberkörper schon zu deutlich gegen den helleren Himmel abheben.

Er führt das Pferd am Zaumzeug, hält sich dicht neben dem Tier und hat seine Rechte eng am Revolverkolben.

***

Der kleine Ort liegt noch im Schlaf.

Nur ein einziges Licht brennt in einem Gebäude. Und dieses Gebäude ist das Stadthaus mit dem kleinen Gefängnis. Der Stadtschreiber ist hier zugleich auch Town Marshal und Gefängniswärter.

Mit dem Pferd geht Jesse Adams schräg über die Straße, bindet das Tier dann vor dem Stadthaus an und klopft wenig später an die Tür.

»Wer ist dort draußen?« Die krächzende Stimme des alten Town Marshals fragt es durch die Tür.

»Jesse Adams«, erwidert dieser und darf eintreten. Der alte Luke Wells hat seine abgesägte Schrotflinte unterm Arm.

Er starrt Jesse seltsam neugierig an. Dann murmelt er bissig: »Hast du bei Lily schon gefrühstückt, oder möchtest du meinen guten Kaffee schlürfen?«

Jesse Adams blickt durch den Raum. Der alte Sheriff Rufus Stone hockt am Tisch und tunkt eine Brotkruste in den Kaffee. Wahrscheinlich macht ihm das Kauen von hartem Brot große Mühe.

»In eurer Haut möchte ich nicht stecken«, sagt Luke Wells und stellt für Jesse eine Blechtasse auf den Tisch.

»Brot und Schinken kannst du dir selbst abschneiden, Jesse«, sagt er.

Das tut Jesse. Luke Wells gießt ihm die Blechtasse voll. Indes sie beide kauen und zwischendurch Kaffee schlürfen, sehen sich der alte Sheriff und sein junger Deputy immer wieder an.

Plötzlich sagt Rufus Stone: »Du kannst immer noch aussteigen, Jesse.«

»Nein«, sagt dieser kauend.

»Hast du es dir gut genug überlegt?«

»Hab ich, Sheriff.«

Nach diesem knappen Wortwechsel schweigen sie wieder eine Weile, kauen dabei und bekommen von Luke Wells noch einmal die Blechtassen voll geschenkt.

»Ihr könntet heute wirklich meinen Kaffee loben«, murrt Luke Wells. »Ich habe ein paar Bohnen mehr genommen als sonst, nur den Kaffee für Jake Roscoe habe ich dünner gemacht. Der verdient keinen guten Kaffee.«

Der graubärtige Rufus Stone und der indianerhafte Jesse Adams grinsen ihn an. Dann heben sie ihre Tassen und prosten ihm zu.

»Ein dreifaches Hoch auf deinen Kaffee, Luke«, sagt Rufus Stone ernst. »Der hebt auch einen schon drei Tage toten Indianer wieder in den Sattel.«

»Und eine Gewehrpatrone würde auf ihm schwimmen wie ein Holzpfropfen«, erklärt Jesse Adams ebenso ernst.

»Warum konntet ihr das nicht von selbst sagen, he?«

Luke Wells wendet sich beleidigt ab.

Auch Jesse erhebt sich.

»Ich werde also die Pferde holen«, murmelt er und leert stehend seine Tasse.

Bevor er geht, tritt er an den Gewehrständer und holt dort die abgesägte Schrotflinte heraus. Er überzeugt sich, dass der Doppellauf geladen ist. Dann geht er schweigend hinaus. Draußen wurde es inzwischen etwas heller. Doch die Sonne ist immer noch nicht hochgekommen, kündigt sich jedoch im Osten bereits durch Lichtexplosionen an.

Die Stadt schläft noch. Auf dem Plankengehsteig hallen seine Schritte. Er geht hinunter auf die Fahrbahn. Hier dämpft der Staub jedes Geräusch.

Er hat ein ungutes Gefühl, und er weiß das Zeichen seines Instinkts zu deuten. Die Schrotflinte mit den abgesägten Läufen trägt er in der Linken. Die Rechte hat er ständig dicht am Coltgriff. So geht er scheinbar lässig und locker seinem Ziele zu. Doch in Wirklichkeit ist er angespannt wie ein Wolf, der den Stahl einer verborgenen Falle wittert und bereit ist, den zuschnappenden Bügeln dieser Falle durch einen Sprung zu entkommen.

Aber es geschieht nichts. Noch nicht.

Dennoch weiß er, dass Gefahr droht. Lily Behan wollte ihn nicht gehen lassen. Wahrscheinlich hatte man von ihr verlangt, ihn bei sich in ihrem Bett zu halten.

Das aber hatte sie nicht geschafft.

Nun kann es sein, dass Jake Roscoes Partner und Freunde – oder jene Leute, die einen Anteil an seiner Beute haben wollten – sich etwas Anderes einfallen lassen werden.

Jesse Adams erreicht die Einfahrt zum Hof des Mietstalls.

Hier sind einige Wagen abgestellt. Der eine Flügel des Stalltors steht halb offen, weit genug, dass ein Mann bequem hindurchgehen kann.

Als Jesse Adams nur noch sechs Schritte von dem Tor entfernt ist, taucht ein Mann in der Öffnung auf.

Der Mann ist Ringo Spokane, und sie kennen sich gut genug. Zwar sind sie keine Freunde, doch respektierten sie einander, weil sie stets spürten, dass sie zur gleichen Sorte gehörten.

»Hallo, Jesse.« Ringo Spokane grinst, und schon dieses Grinsen lässt erkennen, dass er ein Bursche ist, der sich stets durch Verwegenheit behauptet.

»Hey, Ringo.« Jesse Adams nickt und hält inne.

Zwei Atemzüge lang betrachten sie sich. Dann sagt Ringo Spokane mit einem Klang des Bedauerns in der Stimme: »Jesse, du weißt, dass ich nie gegen dich war. Im Gegenteil, ich mochte dich stets. Und deshalb bitte ich dich jetzt in aller Freundschaft um einen Gefallen. Geh zu Lily zurück und bleib noch eine Weile bei ihr. Lily wird dir das Paradies bereiten. Sie wartet gewiss sehnsüchtig auf dich. Also erfüll mir diese Bitte, ja?«

»Nein, Ringo«, erwidert Jesse Adams. »Ich habe immer befürchtet, dass wir eines Tages auf verschiedenen Seiten stehen würden. Vielleicht wurden wir deshalb keine Freunde.«

»Ja, so ist es wohl.« Ringo Spokane nickt. »Das haben wir wohl immer gespürt. Aber warum nur genügt es dir, ein Dreißig-Dollar-Deputy zu sein? Das ist doch dumm. Also geh zu Lily zurück. Reite nicht mit dem alten Rufus Stone. Das ist der Rat eines Mannes, der fast dein Freund geworden wäre.«

»Nein, Ringo«, erwidert Jesse Adams zum zweiten Mal.

Da hört er hinter sich das leise Geräusch von Schritten. Er wendet leicht den Kopf und kann aus dem Augenwinkel einen Mann erkennen, der hinter einem Wagen hervorkam und nun schräg hinter ihm verhält, um nicht in die voraussichtliche Schusslinie von Ringo Spokanes Revolver zu geraten.

Ja, es gibt keine andere Deutung. Der Atem von bevorstehender Gewalttat weht im Hof des Mietstalles. Jesse Adams ist eingekeilt. Schon Ringo Spokane wäre ein ebenbürtiger Gegner gewesen. Doch der Mann schräg hinter Jesse lässt dessen Chancen ziemlich aussichtslos erscheinen.

»Tut mir Leid«, murmelt Ringo Spokane. »Ich wollte nie gegen dich kämpfen, Jesse. Aber wenn du mir meine Bitte nicht erfüllst, dann …« Er wird von einer Stimme unterbrochen, die von der Hofeinfahrt her ertönt.

Es ist die Stimme des alten Sheriffs Rufus Stone. Und sie ruft laut genug: »Jesse, du brauchst dich um den Hintermann nicht zu kümmern!«

Jesse Adams atmet langsam aus. Ringo Spokane indes saugt scharf die Luft ein.

Und dann murmelt Jesse Adams: »Ringo, du kannst immer noch aussteigen. Und vielleicht werden wir dann eines Tages doch noch Freunde.«

Aber Ringo Spokane ist entschlossen. Er schüttelt den Kopf.

Und dann zieht er seinen Colt. Er ist ein Narr, ein zwar verwegener Bursche, aber dennoch ein Narr. Er gleicht einem Spieler, der alles auf eine recht fragwürdige Karte setzt und genau weiß, dass er verlieren wird, wenn das Glück nicht hundertprozentig auf seiner Seite steht.

Doch Ringo Spokane hat immer schon Glück gehabt, mehr als jeder andere Bursche seiner Sorte. Er ist zu sehr an dieses Glück des Davonkommens gewöhnt.

Diesmal verlässt es ihn.

Denn er kämpft gegen eine Schrotflinte. Nein, Jesse versucht nicht, den Colt zu ziehen. Er gewährt Ringo nicht die Gunst eines Revolverduells. Er weiß zu gut, dass Ringo ihn dann zumindest verwunden würde. Denn Ringo Spokane ist ein erstklassiger Revolvermann, ein Großer mit dem Colt.

Jesse Adams möchte Rufus Stone nicht allein reiten lassen mit dem Gefangenen. Er kann also kein Risiko eingehen.

Und so hebt er die abgesägten Läufe der Schrotflinte und drückt ab.

Ringo Spokane bekommt beide Ladungen, ehe er selbst abdrücken kann. Denn so schnell er auch ist mit dem Colt, die Schrotflinte in Jesse Adams’ Hand ist schneller.

Auch hinter Jesse Adams krachen Schüsse.

Und dann ist es vorbei.

Er wirft einen Blick über die Schulter.

Der Mann schräg hinter ihm liegt im Staub. Der alte Sheriff kommt mit seinem Gewehr durch die Einfahrt in den Hof, hält das Gewehr noch im Hüftanschlag. Jesse wendet sich wieder Ringo Spokane zu, tritt zu ihm und kniet bei ihm nieder.

»Du bist schon ein harter Hurensohn«, sagt Ringo Spokane mühsam. »Ich hätte dir nicht die Chance eines Revolverduells geben dürfen. Du hast mich mit der verdammten Schrotflinte richtig betrogen.«

»Nein«, erwidert Jesse Adams, »nicht betrogen. Ich wollte für den alten Rufus nur nicht ausfallen. Der braucht mich zu sehr. Und deshalb pfeife ich auf Revolverehre. Sie soll verdammt sein!«

»Auch dein Glück geht eines Tages zu Ende, so wie meins«, flüstert Ringo Spokane noch mit letzter Kraft.

Dann stirbt er, und Jesse Adams streckt die Hand aus, um ihm die Augen zu schließen. Dabei verspürt er ein bitteres Bedauern. Denn wieder wird er sich bewusst, dass Ringo und er im Grunde doch zur selben Sorte gehörten und es vielleicht nur durch zufällige Umstände so kam, dass sie auf verschiedenen Seiten standen.

Der alte Sheriff kommt herbei.

»Willst du immer noch mitkommen, Jesse?«

»Immer noch«, erwidert dieser und erhebt sich dabei. »Warum habe ich wohl die Schrotflinte genommen und ihm verdammt wenig Chancen gelassen, wenn ich nicht mitreiten wollte? Sie wären verdammt allein auf dem Weg nach Tucson, Boss, zu allein.«

2

Als sie Jake Roscoe aus der Zelle holen, ihm Handschellen anlegen und zu den wartenden Pferden bringen, da scheint die Sonne. Jake Roscoe ist ein blendend aussehender Bursche, blond, mit blauen Augen und blitzenden Zähnen, ein Bursche, der fortwährend lachend durch die Welt geht.

Doch wer einmal richtig in seine Augen blickt, der verspürt die kalte Gnadenlosigkeit eines Raubtiers, das dazu bestimmt ist, Beute zu machen, um das Gleichgewicht der Natur zu erhalten.

Da Jake Roscoe jedoch ein Mensch ist und für Menschen andere Maßstäbe und Regeln gelten, ist er als menschliches Raubtier eine Fehlleistung der Schöpfung.

Er dehnt und reckt sich, indes sie zu den Pferden treten. Dann blickt er sich um und grinst in die Runde.

Die Schüsse haben die kleine Stadt aus dem Schlaf gerissen. Leute blicken aus Fenstern oder Türen, treten auch vor ihre Häuser und Läden.

Sie alle sind froh, dass man Jake Roscoe endlich fortbringt.

Neugierig starren sie auf die kleine Gruppe.

Sie sehen, wie der Bandit sich an die beiden Sheriffs wendet.

Jake Roscoe sagt: »Ich wette mit euch, dass ihr auf dem Weg nach Tucson zur Hölle fahren werdet – ihr, nicht ich. Oha, ihr könnt gar nicht gewinnen. Denn ich allein weiß, wo ich die Beute versteckt habe – nur ich allein! Und deshalb kann nur ich gewinnen.«

Er spricht die letzten Worte mit einem Ton der tiefsten Überzeugung.

Dann schwingt er sich in den Sattel. Obwohl seine Handgelenke durch Handschellen miteinander verbunden sind, kann er die Zügel des Pferdes selbst halten.

Auch die beiden Sheriffs sitzen auf. Sie reiten an, sind nun auf dem Weg nach Tucson. Es ist ein Weg von hundertzwanzig Meilen.

Als sie an Lily Behans kleinem Haus vorbeireiten, blickt Lily aus dem Fenster zu ihnen nieder.

»Hey, Lily; ich besuche dich bald wieder mal«, ruft Jake Roscoe zu ihr hinauf. Aber sie beachtet ihn nicht. Ihr Blick ist auf Jesse Adams gerichtet, und es ist ein Bedauern in diesem Blick, als Jesse den Kopf dreht und ihn erwidert.

Er spürt irgendwie, dass sie ihm Glück wünscht und eigentlich auf seiner Seite ist. Und doch wollte sie ihn zurückhalten und der Wilden Horde dieses Lands einen Dienst erweisen.

Oh, er weiß, dass sie eine Frau ist, die man als »Edelflittchen« bezeichnen könnte. Lily Behan lebt von Männern, die sie wie gute Freunde besuchen. Doch sie lässt sich nicht mit jedem Mann ein, so wie es Dirnen tun.

Er verspürt ein Bedauern, dass es außer ihm auch noch andere Besucher bei Lily gibt.

Aber hat sie nicht gesagt, dass sie jeden anderen aus ihrem Haus werfen würde, wenn er, Jesse, vor der Tür stünde?

Oder sagt sie das zu jedem Mann, der gerade bei ihr zu Gast ist?

Sie reiten schweigend aus der Stadt.

Der Tag ist noch jung und frisch. Die Sonne brennt noch nicht heiß. Doch der Weg nach Tucson ist sehr weit.

»Geh nicht, Jesse«, hat Lily Behan zu ihm gesagt.

Und auch Ringo Spokane drückte sinngemäß Ähnliches aus.

Jetzt ist Ringo tot.

In Tucson werden sie Jake Roscoe sicherlich hängen. Denn in Tucson leben Zeugen, die beeiden werden, dass er den bewaffneten Begleitmann der Postkutsche vom hohen Bock schoss. Die Jury wird ihn schuldig sprechen, und der Richter wird ihn zum Tod durch den Strang verurteilen.

Doch Jake Roscoe hat einen Vorteil auf seiner Seite, er hat die vierzigtausend Dollar versteckt, und er allein weiß, wo.

Deshalb sind seine Chancen nicht schlecht.

Als sie einige Meilen geritten sind, beginnt Jake Roscoe zu pfeifen, dann und wann sogar zu singen. Er gibt sich vergnügt.

Es ist dann am späten Vormittag, als sie an einem Creek halten, damit ihre Pferde etwas Wasser nehmen können. Sie haben etwa zehn Meilen zurückgelegt.

Jesse Adams blickt auf ihrer Fährte zurück, und da sieht er einen Reiter kommen.

Als der Reiter etwas näher ist, erkennt Jesse, dass es kein Reiter ist, sondern eine Reiterin.

Jake Roscoe, der ebenfalls zurückblickte, lacht nun auf.

»Hoi, da kommt ja meine süße, kleine Schwester! Mit der werdet ihr eure Freude haben, wartet nur ab! Sue ist ein Teufelsweib, das kann ich euch sagen!«

Rufus Stone und Jesse Adams staunen wortlos. Indes kommt die Reiterin näher. Sie reitet wie ein Cowgirl, also im Herrensitz in einem Cowboysattel. Ihr Pferd ist erstklassig. Im Sattelholster führt sie ein Gewehr mit sich und hinter dem Sattel eine so genannte Sattelrolle, in der sich alles befindet, was man zum Übernachten unter freiem Himmel benötigt.

Das letzte Stück reitet sie im Schritt.

Ja, sie ist zweifellos Jake Roscoes Schwester, die Ähnlichkeit ist unverkennbar, nur ist an Sue Roscoe alles weiblich, zart. Ihr blondes Haar hat sie unter einem schwarzen Stetson verborgen. Sie trägt Hosen, und ihre Augen haben im Gegensatz zu Jakes Augen eine dunkle Farbe. Es sind schwarze Augen, die zu ihrem weizengelben Haar, das unter dem Hut da und dort hervorquillt, einen reizvollen Kontrast bilden.

»Hallo, ich reite mit«, sagt sie. »Jake wird Ihnen wohl schon gesagt haben, dass ich seine Schwester bin. Ich reite mit, damit sicher ist, dass er auch lebend in Tucson ankommt. Sie werden doch nichts dagegen haben – oder?«

Der grauköpfige und seehundbärtige Rufus Stone grinst grimmig.