G. F. Unger Sonder-Edition 82 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 82 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

In dieser Nacht erlebt Bac Chishum die Hölle. Im flammenden Inferno des gewaltigen Präriebrandes sieht er die Banditen auf sich zujagen. Es sind die Killer, die ihn schon seit vielen Tagen hetzen. Er zieht sein Gewehr aus dem Scabbard, sitzt ab und beginnt zu schießen. Er darf diese Halunken nicht schonen. Er ist gezwungen, sie zu vernichten.

Voller Bitterkeit denkt er daran, dass er sich hier zum Richter und zum Henker macht. Aber ihm bleibt keine andere Wahl. Was diese Männer getan habe, war zu schrecklich ...

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Seitenzahl: 201

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Killer auf der Fährte

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2787-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Killer auf der Fährte

1

Bac Chishum blickt zur Seite, als die Reiter rechts und links neben seinem Wagen auftauchen. Einer der Reiter hebt seine Hand und ruft: »He, halten Sie mal an, Büffelkiller! Anhalten!«

Bac Chishum nickt leicht. Er hält wahrhaftig den schweren Wagen an, führt also folgsam den Befehl aus, obwohl er gewiss nicht der Mann ist, der sich von anderen Männern Befehle erteilen lässt.

Doch er hat sofort erkannt, dass die Reiter zu jener Sorte gehören, die man als hartbeinig und hartgesotten bezeichnet. Es sind Revolverschwinger, Burschen also, die irgendwann herausfanden, dass sie mit ihren Colts mehr verdienen konnten als mit anderer Arbeit.

Hinter Bac Chishum fährt sein Partner Ambrose Staget den zweiten Wagen. Auch er hält an – und hinter ihnen liegt Kansas City, welches sie heute vor Sonnenaufgang verließen.

»Was soll’s denn sein?« Dies fragt Bac Chishum die Reiter kühl vom Fahrersitz herüber. Er sitzt noch höher als sie, denn es handelt sich um einen großen und schweren Wagen, den man mit einer Riesenmenge Büffelhäute beladen kann.

Es sind vier Reiter, und einer, der besonders hartbeinig und gefährlich wirkt, sagt trocken, wobei seine Augen schmale Schlitze werden: »Wir werden die Wagen durchsuchen, Freund Büffelkiller.«

Bac Chishum zog indes die Bremse an und wickelte nun die Zügelenden des Vierergespanns um die Bremskurbel.

»Ach ja«, sagt er dabei fast freundlich, »ihr wollt die Wagen durchsuchen? Und warum, wenn ich fragen darf, meine lieben Freunde? – Warum? Wurde irgendwo eine goldene Uhr gestohlen? – Hat man uns in Verdacht? Seid ihr ein Sheriffs-Aufgebot, also Gesetzesmänner? – Na, Freunde, wie wär’s denn mit einer Erklärung?«

Sie starren zu ihm herüber. Denn sie halten rechts und links des Wagens. Sie reiten erstklassige Pferde, die ihnen auf Schenkeldruck gehorchen. Und sie strömen eine arrogante Überlegenheit aus, die sie ihrer Meinung nach einem Büffeljäger gegenüber besitzen.

Doch da sie ihn nun lange genug betrachten konnten und ihn auch sprechen hörten, beginnen sie zu spüren, dass er wahrscheinlich doch nicht der typische Büffelkiller ist, also einer von dieser Sorte, die jetzt dabei ist, auf der Kansas-Prärie die letzte große Büffelherde zu vernichten. Es ist eine Riesenherde, und sie zieht nun nach Norden, ist schon in Nebraska zu finden und wird im Verlaufe des Sommers bis weit nach Wyoming hinein wandern.

Es sind Hunderttausende Büffel, mehr als ein Dutzend Herden, die zusammen diese letzte große Riesenherde ergeben.

Bac Chishum ist ein hagerer, indianerhafter Bursche, dunkelhaarig, tief gebräunt und dabei aber helläugig. Er trägt seinen Colt im Hosenbund – und dies täuscht die Reiter. Sie halten ihn zwar für einen harten Burschen, doch gewiss nicht für einen Revolverkünstler.

Dennoch sagt ihnen ihr Instinkt, dass sie sich besser nicht mit ihm anlegen sollten. Überdies ist ja auch noch sein Partner vorhanden, der die Nasen seiner Führungspferde ziemlich dicht an den Vorderwagen fuhr.

Der Sprecher sagt nun: »Wir suchen nur einen Dieb. Es ist ein Junge von sechzehn oder siebzehn – ein zartes Kerlchen. Er trägt Kleidung, die ihm zu groß ist. Er hat mehr als nur eine goldene Uhr gestohlen. Wir folgten ihm von der Schiffslandestelle in die Stadt, von da aus …«

»Na gut«, unterbricht ihn Bac Chishum. »Was also hat er gestohlen?«

»Er wollte stehlen. Doch als er dabei erwischt wurde, erstach er einen Mann, den Mann nämlich, der ihn festhalten wollte und nach der Polizei brüllte. Jetzt werden wir nachsehen, ob er vielleicht in einem eurer beiden Wagen versteckt ist. Er verschwand in einem Büffeljäger-Camp, nachdem er zwischen die stinkenden Häutestapel gekrochen war, wo wir ihn jedoch aufspürten. Es kann sein, dass er in einen Wagen gekrochen ist, besonders in einen Wagen, der gerade abfuhr oder für die Abfahrt angespannt wurde. Also …«

»Freund, ich werde nachsehen«, unterbricht ihn Bac Chishum. »Ich werde selbst in unseren Wagen nachsehen. Verstanden?«

Er fragt es ruhig, sehr kühl – und dennoch begreifen sie jetzt erst richtig, an was für einen Mann sie geraten sind.

Plötzlich unterschätzen sie auch nicht mehr den Colt in seinem Hosenbund. Und weil das so ist, werfen sie auch schnelle Blicke auf den Mann, der den zweiten Wagen lenkte und fuhr. Dieser Mann ist schon äußerlich einer dieser rothaarigen und blauäugigen stets rebellisch wirkenden Iren.

Nun hat er ein Gewehr über den Knien.

Es ist kein einschüssiges Büffelgewehr, nein, es handelt sich um einen vierundvierziger Remington Revolving Carbine, ein Ding also, welches die Funktion eines Colts hat, jedoch einen Gewehrkolben und einen langen Lauf besitzt und insgesamt etwa einen Yard lang ist.

Die vier Reiter begreifen, dass ihre Überzahl keinen besonderen Eindruck auf die Büffeljäger macht – und sie spüren die absolute Konsequenz, die von diesen beiden Büffeljägern ausgeht. Nein, sie glauben nicht, dass die beiden Büffeljäger kneifen werden, wenn es wirklich hart auf hart gehen sollte.

Sie möchten das nicht hinnehmen, diesen beiden Büffeljägern eine Lektion erteilen, rau werden, sie zurechtstutzen, klein machen- aber letztlich zögern sie. Ihr Instinkt warnt sie. Denn in dieser Hinsicht sind sie mit Wölfen zu vergleichen, deren Instinkt ja auch fast jede Gefahr auf wunderbare Weise zu wittern vermag.

»Na gut, Büffelkiller«, sagt der Sprecher.

Und dann warten sie.

Bac Chishum nickt ruhig. Dann klettert er in den großen Wagen hinein, verschwindet unter der schmutzigen Plane. Es riecht drinnen im Wagen nach Büffelhäuten. Es ist schon mehr ein Gestank. Und auch die Plane stinkt. Die ist schmutzig, schmierig, ja sogar oftmals blutgetränkt da und dort.

Im Wagen ist nur wenige Ladung. Es ist nur das übliche Campgerät da, einige Werkzeuge, ein Reserverad, zwei Wasserfässer, zwei Kisten, die Deckenrolle und einige Säcke voller Holzpflöcke, mit deren Hilfe man die Büffelhäute auf dem Boden ausspannen kann zum ersten Trocknen. Im Halbdunkel des Wageninnern erkennt Bac Chishum dann auch die zusammengekrümmte Gestalt des Flüchtlings: Er hockt zwischen den Säcken dicht neben den Wasserfässern. Man könnte ihn fast ebenfalls für einen Sack halten, so gut hat er sich mit einem leeren Sack bedeckt und getarnt.

Als Bac Chishum diesen leeren Sack wegnimmt, sieht er in ein erschrockenes Gesicht mit übergroßen Augen.

Diese Augen bitten und betteln.

Und der Junge muss auch noch sehr jung sein, offenbar auch sehr zart.

Der ist ja fast so zart wie ein Mädchen, denkt Bac Chishum.

Sie betrachten sich wortlos im Halbdunkel des Wageninnerens drei Sekunden lang.

Dann klettert Bac Chishum wieder nach vorn auf den Fahrersitz. Er bleibt jedoch vor dem Sitz aufrecht stehen und blickt auf die Reiter nieder.

»In diesem Wagen ist niemand«, sagt er kühl. Dann wendet er leicht den Kopf und ruft zurück: »Hoiii, Ambrose! Sieh nach, ob in deinem Wagen ein Junge ist, der sich versteckt hat! Sieh nach und sag mir dann Bescheid!«

»Sicher, Bac, sicher«, erwidert Ambrose. Er behält das Gewehr in seiner Hand, als er in den Wagen klettert und unter der Plane unsichtbar wird.

Die Reiter starren auf Bac Chishum. Sie sind im Vorteil, weil sie zu beiden Seiten des Wagens in Höhe der Vorderräder halten. Ganz gleich, nach welcher Seite sich Chishum wendet – er hat dann stets zwei der Burschen hinter sich. Sie sind erfahren in ihrem »Geschäft«. Das Einkeilen eines eventuellen Gegners gehört zu den primitivsten Grundregeln dieses »Geschäftes«.

Ihr Anführer sagt nun: »Büffelkiller, wir werden selbst nachsehen.«

Und er macht den Ansatz zu einer Bewegung, so als wollte er absitzen.

Aber Bac Chishum sagt: »Nein, mein Freund, nein. Daraus wird nichts.«

Chishums Stimme klingt ganz ruhig, und es ist dennoch etwas in ihr, was die vier Revolverschwinger verharren und gewissermaßen »lauschen« lässt. Ja, sie lauschen in sich hinein; sie lauschen auf ihren Instinkt, versuchen die Warnsignale richtig zu deuten, die ihnen dieser Instinkt vermittelt.

Von hinten klingt Ambrose Stagets Stimme nach vorn: »Bac, es ist nichts in meinem Wagen, was nicht zu uns gehört – auch kein Junge.«

»Ihr habt es gehört, mein Freund«, spricht Bac Chishum zum Wortführer der vier Revolverschwinger. »Und jetzt verschwindet. Oder ich muss euch für Wegelagerer halten.«

»Und dann?« So fragt der Sprecher wütend. »He, was wäre dann?«

»Dann mache ich euch Beine, ihr Strolche«, erwidert Bac Chishum ganz ruhig, fast sanft. Aber er fügt sofort hinzu: »Freund, ich habe auch nach hinten Augen – man sieht sie nur nicht. Wenn diese beiden Pilger da auf der anderen Seite hinter mir auch nur eine schnelle Bewegung machen, putze ich euch aus den Sätteln, bevor sie mich treffen. Ihr seid dem Tode jetzt im Moment verdammt nahe. Habt ihr verstanden, ihr Strolche?«

Sie wollen heftig reagieren. Ja, sie sind versucht, ihn für ein bluffendes Großmaul zu halten.

Aber ihr Instinkt warnt sie plötzlich scharf.

Sie beginnen zu begreifen, dass er mehr ist als nur einer der vielen Büffeljäger. Sie lassen sich auch nicht mehr dadurch täuschen, dass er seinen Colt im Hosenbund trägt wie ein Farmer.

Überdies denken sie auch noch an den zweiten Mann auf dem anderen Wagen, der mit seinem Revolvergewehr mitmachen würde.

Ihr Sprecher und Anführer schluckt. Sein Blick wird für einen Moment stumpf, denn er schämt sich vor sich selbst, dass er kneifen wird. Er möchte nicht kneifen. Er ist heiß vor Wut, kann sich kaum beherrschen.

Doch sein Instinkt warnt ihn zu sehr, und er weiß, dass er ein Narr ist, wenn er auf diese ungute Ahnung nicht hört.

Er wendet wortlos sein Pferd und reitet davon.

Sein Nachbar folgt ihm sofort – denn er und der andere Mann sahen Bac Chishum lange genug in die hellen Augen.

Die beiden anderen Männer hinter Chishum taten das nicht. Sie konnten es nicht, weil er ihnen nur seinen Rücken zukehrte. Als er sich nun ihnen zuwendet, um auch ihnen zu sagen, dass sie verschwinden sollen, da macht einer von ihnen den großen Fehler.

Denn er flucht plötzlich los und schnappt nach dem Colt.

Er kann nicht kneifen, kann es nicht ertragen, klein beizugeben, obwohl sie in der Überzahl sind. Er lässt sich wohl auch nicht gerne einen Strolch nennen, obwohl er sicherlich einer ist.

Er zieht also, denn er glaubt, dass er einen Mann, der den Colt im Hosenbund trägt, leicht schlagen kann.

Aber er kann es nicht. Bac Chishum schießt ihn aus dem Sattel, bevor er überhaupt den Revolverlauf richtig hochschwingen kann. Und er war schnell mit dem Colt, sehr schnell, auch wenn er ihn stehend in den Steigbügeln ziehen musste.

Doch Bac Chishum zieht noch schneller aus dem Hosenbund.

Auch der andere Mann schnappte nach der Waffe – nur etwas später. Und nun verharrt er, staunt erschrocken mit aufgerissenen Augen.

»Helft ihm wieder aufs Pferd und haut endlich ab«, sagt Bac Chishum mit dem rauchenden Colt in der Hand. »Der ist nur an der Schulter verwundet.«

Die beiden anderen Reiter hatten angehalten. Aber sie kommen nicht zurück. Sie verharren nur einige Sekunden.

Ambrose Staget ruft ihnen vom zweiten Wagen aus zu: »Wollt ihr noch was?«

Sie geben ihm keine Antwort, sondern reiten weiter. Wenig später folgt ihnen der andere Mann mit dem stöhnenden Verwundeten, dem er erst auf das Pferd helfen musste.

Ambrose Staget kommt nach vorn. Er blickt zu Chishum empor, und er ist ein typischer Ire, nicht groß, dafür drahtig und von der Sorte, die einen um mehr als einen Kopf größeren und fünfzig Pfund schwereren Mann mit einem einzigen Hieb von den Beinen schlagen kann.

»He, was war das, Bac?« So fragt er. »In meinem Wagen ist kein Junge. In deinem etwa? Oder warum durften sie nicht reinsehen? – Nur weil sie Sattelstrolche sind?«

»Es ist ein verdammt zarter Junge mit Augen so groß wie Untertassen«, sagt Bac Chishum. »Der hat sich vor Angst gewiss in die Hosen gemacht. Sieh ihn dir mal an und sage mir, ob du solch einen Milchknaben diesen vier harten Pilgern überlassen hättest. Ihre Geschichte gefiel mir gar nicht. Ich möchte deshalb erst mal die Geschichte des Milchknaben hören. Na, sieh ihn dir an, Red!«

Der rotköpfige Ambrose staunt ihn sekundenlang an.

»He, das ist ja eine völlig neue Seite von dir«, murmelt er. »Die kenne ich ja noch gar nicht. Du legst dich mit vier Hartgesottenen an und schießt sogar auf einen, um einen Ausreißer vor ihnen zu schützen. Ooooh, den muss ich mir wahrhaftig ansehen.«

Er klettert zu Chishum auf den Wagen und blickt bald darauf hinein.

»He«, sagte er nach einer Weile, »dieser Junge hat wirklich Augen fast so groß wie Untertassen. He, mein Junge, wir fressen dich nicht. Bestimmt nicht! Wir sind gute Onkels. Wie heißt du denn, mein Kleiner?«

»Mein Name ist Burt«, hören sie beide den »blinden Passagier« antworten. Seine Stimme klingt etwas spröde, fast heiser – und man könnte sie für eine kratzige Mädchenstimme halten.

»Ich danke Ihnen«, sagt diese Stimme weiter, »dass Sie mich vor diesen Schuften beschützt haben. Ich möchte weiter nach Norden. Bitte nehmen Sie mich mit. Schicken Sie mich bitte nicht nach Kansas City zurück. Dann würde ich diesen Kerlen wieder in die Hände fallen. Ich will nichts anderes als nach Norden, nur nach Norden. Und ich kann mich bestimmt nützlich machen. Ich kann kochen und auch einen Wagen fahren. Ich versorge die Pferde und …«

Die spröde und kratzige Stimme des Jungen versagt irgendwie. Er muss heftig husten, so als hätte er sich plötzlich verschluckt.

»Warum sind sie hinter dir her, Burt?« Bac Chishum fragt es ernst. »Sag es mir offen und ehrlich, mein Junge. Ich bin bereit, dir zu glauben. Aber lüge mich nicht an. Das zahlt sich nicht aus. Also?«

Der Junge schweigt einen Moment.

Dann sagt er schlicht: »Ich wurde Zeuge eines Mordes. Ich erkannte den Mörder. Er schickte diese Männer hinter mir her.«

Die beiden Männer denken über diese Worte nach.

»Das scheint mir sehr einleuchtend zu sein«, murmelt Ambrose Staget schließlich.

Bac Chishum nickt.

»Bleib im Wagen – den ganzen Tag«, sagt er. »Wir fahren weiter. Es kann sein, dass die Reiter uns beobachten. Bleib nur im Wagen, Junge.«

Nach diesen Worten nickt er Ambrose Staget zu. Dieser springt hinunter. Chishum fährt an.

Die Sonne beginnt schon zu wärmen.

Dem Jungen im stinkenden Wagen und unter der schmutzigen und von Büffelblut besudelten Plane wird es noch mächtig heiß werden.

***

Je höher die Sonne steigt, umso belebter wird der nur durch Radfurchen und Hufspuren gekennzeichnete Weg. Immer wieder kommen hoch beladene Wagen den beiden nach Norden fahrenden Fahrzeugen entgegen. All diese Wagen haben nur eine einzige Ladung: Büffelhäute, stinkende, zusammengepresste Büffelhäute. Und ihre Fahrer sind raue Burschen, ungepflegt und ebenfalls stinkend wie die Häute, die sie nach Kansas City transportieren.

Manchmal rufen sie Bac Chishum und Ambrose Staget ein paar Worte im Vorbeifahren zu. Das hört sich dann etwa so an: »He, wie sind die Weiber in Kansas City? Sind es jetzt schon mehr geworden? – Oder muss man sich immer noch anstellen, bis man an die Reihe kommt? – He, beeilt euch nur! Die knallen die Büffel schneller ab, als wir sie abhäuten und die Häute transportieren können. Die machen dort im Norden verdammt schnell die letzte große Herde alle!«

Ja, so etwa hört sich an, was da so gerufen wird.

Eines wird daraus klar: Diese Büffeljäger, Abhäuter und Häutefahrer haben nur zwei Dinge im Kopf, nämlich Büffel und Weiber.

Die Büffel sind im Norden. Dort muss man sie töten. Die Frauen sind in Kansas City in den Tingeltangels und Freudenhäusern. Und dazwischen liegt ein Stück Kansas- und Nebraska-Prärie.

Chishum und Staget fahren den ganzen Tag ohne Pause. Ihre Gespanne sind zäh und ausdauernd. Als es Abend wird, erreichen sie einen kleinen Creek. Sie haben unterwegs einige Wagenzüge überholt, wurden aber auch selbst von Reitern und schnelleren Wagen zurückgelassen.

Am Creek sind mehr als ein Dutzend Camps. Sie selbst schlagen ihr Camp noch weiter abseits auf, nachdem sie den Creek durchfurteten.

Es wurde inzwischen dunkel. Die Feuer leuchten in den Camps. An einigen Wagen hängen auch Laternen.

Chishum sagt ruhig: »Heh, Burt, du kannst jetzt herauskommen. Indes wir unsere Gespanne versorgen und die Wagenachsen abschmieren, könntest du mal zeigen, ob du wirklich kochen kannst. Es ist alles in den beiden Kisten. Wasser holst du aus dem Creek. Auch das Wasserfass muss nachgefüllt werden. Schaffst du das alles, mein Junge?«

»Sicher, Boss«, erwidert die helle und nur ein wenig kratzige Jungenstimme.

Dann kommt der Junge heraus. Er bewegt sich am Anfang noch etwas steif und ungeschickt, wird aber zunehmend sicherer und auch leichter in seinen Bewegungen.

Die beiden Männer kümmern sich nicht mehr um ihn. Sie schirren ihre Vierergespanne aus und verschwinden damit in Richtung zum Creek.

Der Junge verharrt einen Moment. Er schluckt mühsam. Doch dann bewegt er sich.

Er hat begriffen, dass er zuerst ein Feuer anmachen muss, um Glut zu bekommen – und auch etwas Licht.

Als die beiden Männer mit den Pferden vom Creek zurück ins Camp kommen, hockt der Junge am Feuer und brät Pfannkuchen mit Speck. Es duftet auch schon nach Kaffee.

»He, der kann ja wirklich kochen«, sagt Ambrose Staget zufrieden. »Wo hast du das denn gelernt, mein Söhnchen?«

Im Feuerschein betrachten sie ihn. An einem der Wagen hängt nun auch eine Laterne und verbreitet ebenfalls etwas Helligkeit. Der Junge hat immer noch den Hut auf dem Kopf. Wie auch die Kleidung, ist der Hut etwas zu groß für ihn; er sitzt ihm gewissermaßen auf den Ohren. Die Kleidung hängt ihm am Körper, verbirgt eigentlich ganz und gar, ob der Junge mager oder kräftig ist. Doch dem kleinen Gesicht nach muss er mager sein, zumindest zart. Die kleinen Hände verraten das ja schon.

Ambrose Stagets Frage hängt gewissermaßen noch über dem Camp.

Der Junge leckt sich über die Lippen.

»Ach«, sagt er, »ich half da und dort schon in den Küchen. Für andere Arbeit hielt man mich für zu schwächlich. In den Speiseküchen von Restaurants, auf den Schiffen des Mississippi oder auf den großen Ranches im Süden, da konnte man immer einen Küchenjungen gebrauchen. Aber ich lerne schnell. Ich werde auch hier bei Ihnen schnell lernen, Gentlemen, wenn ich mit Ihnen weiter nach Norden kann. Und vielleicht könnte ich mir dann auch ein paar Dollar verdienen. Geht das wohl? Immerhin brauchten Sie sich beide nicht mehr um die Camparbeit zu kümmern und könnten sich voll der Büffeljagd widmen oder?«

Chishum und sein Freund und Partner Staget sehen sich an. »Wir können dich wohl nicht mehr nach Kansas City schicken«, brummt Chishum dann halb ärgerlich und halb freundlich. »Hast du denn keine Angehörigen?«

»Nein, nicht mehr«, sagt der Junge, »nur noch einen Freund meines Onkels. Der lebt weiter im Norden – ich meine den Freund, denn mein Onkel ist tot. Ich will nach Norden zum Freund. Ich kann also mit, ja?«

Sie nicken, und dann machen sie sich daran, die Achsen ihrer Wagen abzuschmieren und sonst noch allerlei Arbeiten zu verrichten.

Als sie sich dann später essend am Feuer gegenüberhocken, fragt Ambrose: »Warum trägst du Kleidung, die dir fast zwei Nummern zu groß ist, Junge? Du verschwindest darin ja fast wie eine Nadel im Heuhaufen. Wie groß bist du eigentlich? Und wie viel Kilo wiegst du?«

Der Junge hält seinen Kopf etwas gesenkt, sodass die Hutkrempe sein Gesicht beschattet. »Ich bin einssechzig«, sagt er. »Und ich wiege bestimmt über hundert Pfund ohne Kleidung. Überdies wachse ich ja noch und nehme gewiss auch noch an Gewicht zu. Ich bekam in letzter Zeit nicht besonders viel und gut zu essen. Aber es gibt auch noch kleinere und leichtere Burschen meines Alters.«

»Und wie alt bist du, Burt?«

Bac Chishum fragt es gedehnt.

»Ich werde siebzehn«, erwidert Burt kauend. Er muss wahrhaftig in letzter Zeit gehungert haben, denn er haut kräftig rein.

»Aber deine Stimme ist noch sehr hell«, spricht Chishum weiter. »Bist du vielleicht doch jünger?«

»Nein. In unserer Familie haben alle Männer helle Stimmen – väterlicherseits. Sie waren zumeist auch alle gute Sänger. Das ist mir vererbt. Sind Sie beide richtige Büffeljäger?«

Die Frage kommt plötzlich und unerwartet, so als wollte der Junge selbst keine weiteren Fragen mehr beantworten und lieber selbst welche stellen.

»Warum nicht?« Dies fragt Ambrose zurück.

»Ich weiß nicht«, sagt der Junge kauend und nachdenklich, fügte dann hinzu: »Wissen Sie, ich komme aus dem Süden. Ich bin im Süden geboren – in Texas. Und ich erkenne Rindermänner auf den ersten Blick. Sie aber sind nicht nur ehemalige Rinderleute – nein, Sie sind auch Zauberer mit dem Colt. Ich sah es durch einen engen Spalt in der Wagenplane. Ich habe Sie noch gar nicht nach den Namen gefragt. Vielleicht kenne ich diese Namen?«

Bac Chishum und Ambrose Staget staunen. Dann grinsen sie.

»Wir sind Bac Chishum und Ambrose Staget«, brummt Bac schließlich. »Und es könnte schon sein, dass selbst ein kleiner Junge vor Jahren unsere Namen im Süden schon mal gehört hat. Aber jetzt sind wir wirklich Büffeljäger. Ist die Fragestunde beendet, Burt?«

»Fast«, erwidert dieser. »Ich würde nur noch gerne wissen, ob Bac die Abkürzung für Bacchus ist. Ja?«

Ambrose Staget stößt ein leises Winseln aus, welches wie ein mühsam unterdrücktes Lachen klingt. Bac Chishum aber runzelt die Stirn und brummt ärgerlich: »Und wenn das so wäre?«

»Oh, nichts«, erwidert der Junge und macht unter der Hutkrempe große, unschuldige Augen, die ihn wieder so sehr mädchenhaft erscheinen lassen.

»Gegen Bacchus ist nichts zu sagen«, erklärt er. »Das ist doch der Name des römischen Weingottes. Nach ihm nennt man auch ausschweifende Gelage ›Bacchanalien‹, nicht wahr? – Und solche Bacchanalien waren ursprünglich die Bacchus-Feiern im alten Rom. Auf Griechisch heißt Bacchus übrigens Dionysos. Bacchus ist lateinisch.«

Als er verstummt, sich einen neuen Pfannkuchen zusammenrollt und wie eine Wurst zu essen beginnt, staunen die beiden Männer eine Weile.

»Heiliger Rauch«, sagt Ambrose, »wen haben wir denn da in unsere Mitte genommen? Pass auf, der kann uns sogar sagen, warum die Menschen Haare auf den Köpfen und nicht an den Hintern haben.«

Bac Chishums Gesicht wirkt im Feuerschein noch dunkler als zuvor. Er muss seinen Bissen sichtlich mühsam herunterwürgen.

Dann aber murmelt er: »Nun, Burt, da du ja offensichtlich sehr gebildet bist, wirst du uns wohl so richtig verständlich deine Geschichte erzählen können. Warum und wie wurdest du Augenzeuge eines Mordes? Wer waren der oder die Mörder? Und warum schickten sie Killer hinter dir her. Erkläre es uns mal so richtig, ja?«

Nun scheint der Junge Mühe zu haben, seinen im Munde befindlichen Bissen zu verschlucken.

Aber er reißt sich sichtlich zusammen. »Yes, Sir«, sagt er. »Da ich unter Ihrem Schutz stehe und mit Ihnen ein Stück Weges nach Norden ziehen darf, haben Sie natürlich auch ein Recht auf meine Geschichte. Nun, ich war Kabinenjunge auf einem Schiff, welches den Missouri zwischen Saint Louis und Westport befuhr, also die Schiffslandestelle bei Kansas City anlief. Einer unserer Fahrgäste war ein schon recht alter Mann, der überdies auch sehr krank war und der besonderen Pflege bedurfte. Ich kümmerte mich deshalb besonders um ihn. In einer Nacht auf dem Fluss wurde er in seiner Kabine überfallen. Ich sah seinen Mörder mit dem blutigen Messer über ihm, der im Bett lag. Koje sagt man ja an Bord. Der Mörder hatte soeben das blutige Messer herausgezogen. Ich schrie sofort los, kreischte – und der Mörder lief hinter mir her, versuchte mich zu erwischen. Das schaffte er nicht. Mein kreischendes Brüllen hatte auch andere Passagiere und Leute der Besatzung alarmiert. Der Mörder sprang in der Nacht über Bord. Die Schiffslandestelle bei Kansas City war schon sehr nahe. Als ich von Bord ging, spürte ich bald schon, dass man mich beobachtete. Ich machte beim Hafen-Marshal meine Aussage, denn es wurde ja eine Leichenschau abgehalten. Ich beschrieb den Mörder. Aber dann machte ich mich auf den Weg nach Norden, indem ich in Ihren Wagen kroch, Mister Chishum. Ich will zum alten Freund meines Onkels. Dort werde ich in Sicherheit sein vor den Killern der Flusspiraten. Denn der Mörder gehörte gewiss zu den so genannten ›Flusspiraten‹. Sie haben Angst, dass man ihn fassen könnte, ich ihn vor der Jury als den Täter wiedererkenne und er sie dann alle verrät, um sich als Kronzeuge vor dem Galgen zu retten. So ist das, Gentlemen. Ich fürchte mich sehr, denn diese Flusspiraten sind vielleicht mächtiger als das Gesetz.«