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Verzweifelt sucht Sheriff McGillen nach einer Chance für seine gelähmte Frau. Nur eine Operation könnte ihr Hilfe bringen, und dazu braucht er viertausend Dollar. Aber in der Stadt, für die er immer wieder sein Leben riskiert hatte, stößt er auf taube Ohren.
In einer wilden Anwandlung von Zorn und Enttäuschung wirft McGillen den Stadtvätern den Stern vor die Füße. Von jetzt ab wird er seinen Revolver nur noch für einen Viertausend-Dollar-Job vermieten. Es ist ein folgenschwerer Entschluss. Er treibt McGillen auf einen Weg, der unaufhaltsam ins Verderben führt ...
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Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
McGillens Weg
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2885-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
McGillens Weg
1
»Es tut mir leid, Pat, dir nichts Besseres sagen zu können«, murmelt der alte Doc und füllt zwei Wassergläser mit Whisky. »Trink erst mal, Pat. Ich fand längst heraus, dass man manche Dinge auf dieser Welt mit etwas Feuerwasser im Bauch leichter ertragen kann.«
»Hör auf mit dem Geschwafel, Doc«, grollt Patrick McGillen, und in seinen rauchgrauen Augen funkelt es. »Sag mir lieber, was ich tun kann, anstatt mir Schnaps einzugießen. Man muss doch etwas tun können – oder?«
Der Doc trinkt erst sein Glas aus. Dann wischt er sich über den graugelben Seehundsbart. In seine alten Säuferaugen, die ein verwaschenes Blau haben, kommt ein mitleidiger Ausdruck.
»Sicher, man könnte ihr vielleicht helfen«, überlegte er. »Doch das kostet ein Schweinegeld. Da musst du erst mal dreitausend Dollar hinlegen und dann jeden Monat nicht weniger als zweihundert Dollar berappen. Hast du so viel Geld? Wenn ich mich nicht irre, bekommst du als Sheriff sechzig Dollar im Monat und ein paar Spesen, freie Wohnung, freien Mietstall – und eine kostenlose Beerdigung. Na?«
Patrick McGillen nickt langsam.
»Sicher«, sagt er, »ich bekomme sechzig Dollar im Monat und ein paar Vergünstigungen. Das erschien mir viel. Es gestattete mir, Nancy zu heiraten und einen Hausstand zu gründen. Als Cowboy hätte ich es nicht gekonnt. Die Zeiten nach dem Krieg sind zu schlecht. Es gibt keine Absatzmärkte für den großen Rindersegen. Ein Cowboy kann froh sein, wenn er außer Unterkunft und Verpflegung alle zwei Monate mal zehn Dollar erhält. Und ein Vormann bekommt nicht viel mehr. Ja, ich war dankbar für diesen Job. Und ich verdiente mir mein Geld redlich – oder?«
Der alte Doc betrachtet ihn traurig.
»Ohne dich«, sagt er dann, »wäre es dieser Stadt schon längst verdammt dreckig ergangen. Ohne dich … Man sollte dir ein Denkmal setzen. Fast ein halbes Dutzend unserer Bürger verdankt dir ihr Leben, die Erhaltung ihres Eigentums und … Ach, was rede ich darüber. Das ist doch alles so klar, Pat McGillen.«
»Na also«, sagt McGillen. »Ich habe eine Menge Freunde in dieser Stadt. Ich habe nie jemanden ohne Hilfe gelassen. Nun brauche ich Hilfe. Meine Freunde lassen mich nicht im Stich. Du wirst es sehen. Ich fange gleich damit an. Und wohin muss ich Nancy bringen, wenn ich das Geld zusammenbekommen habe?«
»Ich gebe dir einen Brief mit«, sagte der Doc. »Nach Boston muss sie. Dort gibt es einen berühmten Chirurgen, der Nancy helfen kann. Ich bin nur ein alter, versoffener Wald- und Wiesendoc, spezialisiert auf Schusswunden, Knochenbrüche und Geburten. Ich las durch Zufall in einer alten Zeitung von der Möglichkeit einer solchen Operation. Du musst Nancy hinbringen und zahlen. Dann bekommt ihr Hilfe. Nichts auf dieser Erde ist umsonst. Man muss nur den Preis zahlen.«
Patrick McGillen starrt den alten Doc an.
»Was mag dich nur in deinen jüngeren Jahren so verbittert und zum Säufer gemacht haben, Doc?«, fragt er. Dann greift er nach dem Glas, leert es mit einem Ruck und geht.
Es ist früher Mittag.
Die kleine Stadt Spanish Springs wirkt friedlich und freundlich. Der Tag ist schön und nicht zu warm. Von der Schmiede klingen Hammerschläge, und in der Hauslücke zwischen Store und Corbins Waffenhandlung und Büchsenmacherei spielen Kinder.
Patrick McGillen kann sich noch an eine Zeit erinnern, da man die Kinder tagelang in den Häusern hielt und die meisten Bürger aus Furcht selbst in ihren Häusern blieben.
Patrick McGillen ist groß, hager und dunkel. Seine langen Beine sind leicht gekrümmt. Er bewegt sich scheinbar lässig, aber in dieser Lässigkeit ist eine Geschmeidigkeit verborgen, die unheimlich schnell reagieren kann.
Vor sechs Jahren ritt Patrick McGillen als junger Cowboy in den Krieg.
Und als Kriegsheld des Südens kehrte er vor einem Jahr zurück.
Spanish Springs war damals ein wildes Nest, in dem sich der Abschaum der Grenze und das Strandgut des Krieges sammelten.
Jetzt können Kinder wieder arglos auf der Straße spielen.
Pat McGillen betritt die kleine Bank. Er nickt Roswells Angestelltem zu und öffnet die Schranke.
»Er ist doch drinnen?«, fragt er dabei. Der Angestellte nickt. McGillen klopft kurz an und tritt ein.
Roswell sitzt bullig hinter seinem Schreibtisch. Durch das Fenster hatte er den Sheriff schon kommen sehen.
»Hallo, Patrick!«, sagt er herzlich. »Wollen Sie eine Zigarre? Einen Drink? Als ich Sie über die Fahrbahn kommen sah, dachte ich, welch ein Glück es war, dass diese Stadt Sie damals zum Sheriff machte. Ein wirkliches Glück! Ich hörte, dass es Ihrer Frau nicht gut geht? Vielleicht sollten Sie mal mit ihr nach Santa Fé reisen. Dort gibt es gewiss bessere Ärzte. Auch die Armeeärzte konnten während des Krieges genug Erfahrungen sammeln. Wenn Sie mich fragen, ich würde es in Santa Fé bei einem Armeearzt versuchen, dem auch der Colonel seine Frau anvertraut. Oder?«
McGillen sieht ihn schweigend an und setzt sich. Dann sagt er ernst: »Roswell, ich brauche eine Menge Geld. Ich muss meine Frau zu einem Spezialisten nach Boston bringen. Und selbst nach der Operation wird sie noch einige Monate in dieser teuren Klinik bleiben müssen. Roswell, ich brauche etwa viertausend Dollar. Und ich bin sicher, dass Sie mir dieses Darlehen günstig geben werden.«
Er verstummt. Er wirkt sicher und ruhig. Der Blick seiner hellgrauen Augen ist fest auf den Bankier gerichtet.
Aber dieser hält dem Blick nicht lange stand. Er greift vielmehr in die Zigarrenkiste und beschäftigt sich umständlich damit, einer Zigarre die Spitze abzuschneiden und sich wenig später in Rauchwolken einzuhüllen. Aber McGillen wartet geduldig und schweigt.
Roswell sagt nach einer Weile: »Wenn ich selbst viertausend Dollar Bargeld besitzen würde – Patrick, ich schwöre es Ihnen –, so würden Sie diese von mir bekommen. Aber ich besitze so viel Bargeld nicht. Und die Bank kann Ihnen keine viertausend Dollar leihen. Sie haben keine Sicherheiten, Patrick. Was Sie und Ihre Frau besitzen, ist ein paar Hunderter wert – mehr nicht. Und schon ein rachsüchtiger Revolverschwinger kann Sie aus dem Hinterhalt abknallen. Ich kann Ihnen wirklich nicht viertausend Dollar Bankgelder anvertrauen. Dieses Geld gehört mir ja nicht. Es wurde mir von Kunden anvertraut, die von mir dafür Zinsen haben wollen. Es tut mir leid, McGillen.«
Nach diesen Worten pafft er wieder an seiner Zigarre. McGillen beugt sich vor.
»Diese Bank«, sagt er, »wurde zweimal überfallen und ausgeraubt. Die Banditen kamen einmal nicht aus der Stadt – und einmal keine dreißig Meilen weit. Ich musste töten und Blut vergießen. Aber ich brachte einmal siebzehntausend und ein anderes Mal dreiundzwanzigtausend Dollar zurück. Diese Bank wäre schon pleite ohne mich. Wenn es in dieser Stadt und in diesem Distrikt eine Sicherheit gibt, dann bin ich diese Sicherheit. Oder?«
Auch Roswell beugt sich vor.
»Ich kann Ihnen keine viertausend Dollar geben«, sagt er. »Sie sind ein guter Sheriff. Diese Bank, diese Stadt und fast alle Menschen hier verdanken Ihnen sehr viel. Aber Sie schufen sich Feinde. Sie müssen ständig mit einer Kugel aus dem Hinterhalt rechnen. Patrick, Sie sind einer Bank nicht sicher genug. Und halten Sie sich bitte nicht für unentbehrlich. Wir würden in dieser schlechten Situation schnell einen Ersatz für Sie finden.«
Patrick McGillen erhebt sich langsam. Er geht wortlos zur Tür und sagt nichts mehr.
Sein Weg führt zum General Store. Er ist der größte Store im Umkreis von fast hundert Meilen. Er besitzt eine eigene Frachtlinie und versorgt einige entlegene Minen, die mit Gold zahlen.
Dwight Abbot ist glatzköpfig und hager. Er steht neben seiner jungen mexikanischen Frau hinter dem Ladentisch und betrachtet die grüne Seide, die sich die Frau über Schulter und Brust geschickt zurechtlegte.
Sie lächelt ihn dabei an.
Aber dann nimmt Abbot doch seinen Blick von ihr und nickt dem Sheriff zu.
»Was kann ich für Sie tun, Sheriff?«
McGillen sieht sich um. Außer ihnen ist niemand im Laden. Da wiederholt er seine Bitte, die er schon Roswell vortrug.
Die Augen des Storehalters hinter der Nickelbrille sind fast wimpernlos und wirken starr.
»Sie waren schon bei Roswell, nicht wahr?«, fragt er.
»Ich bin ihm nicht sicher genug«, sagt McGillen. »Der Sheriff von Spanish Springs ist der Bank nicht sicher genug. Sind auch Sie dieser Meinung, Dwight? Oder …«
»Wie wollen Sie das Geld jemals zurückzahlen, selbst wenn Ihnen in den nächsten zehn Jahren nichts zustoßen sollte? Patrick, wie wollen Sie viertausend Dollar zurückzahlen?«
McGillen schweigt. Er nagt an seiner Unterlippe. Sein dunkles Gesicht wirkt hart und fast ein wenig piratenhaft. Aber der Blick seiner grauen Augen ist zuverlässig. In seinem Gesicht sind ein paar Narben. Sein Nasenbein wurde irgendwann einmal gebrochen. Der Stern an seiner Weste gibt seinem harten Aussehen eine eindeutige Bedeutung. Man glaubt ihm den ruhigen, zuverlässigen, aber auch harten und gefährlichen Gesetzesvertreter.
»Ich weiß nicht, wie ich das Geld zurückzahlen kann«, murmelt er schließlich. »Aber ich dachte mir, dass ich hier Freunde hätte. Ich habe für diese Stadt eine Menge getan. Und damals, als …«
»Schon gut, Patrick«, unterbricht ihn Abbot. »Ich weiß genau, was Sie auch für mich taten, als mich die Haggertys erschießen wollten, nur weil ich ihnen keinen Kredit mehr geben wollte. Sie waren betrunken und kamen in der Nacht zurück, um mich auszurauben. Sie wollten mich erschießen, wenn ich ihnen meinen Geldschrank nicht öffnen würde. Da kamen Sie, Sheriff. Aber das war Ihre Pflicht. Sie waren der Sheriff und sind es immer noch. Es ist ein Job, den man ausfüllen muss. Man kann ihn sich nicht mit viertausend Dollar bezahlen lassen. Es geht nicht.«
Patrick McGillen starrt ihn eine Weile an.
Dann geht er.
Hinter ihm sagt die junge Mexikanerin: »Er liebt seine Frau sehr. Seitdem sie von der Leiter fiel und gelähmt ist, will sie nicht mehr leben. Es muss für ihn schlimm sein, ihr nicht helfen zu können. Diese Stadt sollte sich zusammentun und viertausend Dollar auftreiben. Denn solch einen Sheriff bekommt sie nicht wieder.«
»Das mag sein«, sagt Abbot. »Doch jetzt, so kurz nach dem Krieg, ist ein einziger Dollar so groß wie ein Wagenrad. Die Leute trennen sich nicht gerne von ihrem Geld. Die Zeiten sind zu schlecht. Und er hat keine Sicherheiten zu bieten. Schon heute bei seiner Nachtrunde kann ihn ein wilder Bursche aus dem Hinterhalt abknallen. Dann ist er tot und …«
***
Patrick McGillen geht weiter durch die Stadt. Er geht in beide Saloons und trifft dort außer den Saloonbesitzern auch drei Besitzer von guten Gold- und Silberminen, die es sich leisten könnten, viertausend Dollar zu verleihen.
Seit langer Zeit überfällt man in diesem Distrikt keine Gold- und Silbertransporte mehr. Auch die Lohngelder für die Minen kommen unbehelligt durch. Aber es hat eine Menge rücksichtslosen Einsatzes gekostet, als Begleitmann mitzufahren und immer wieder zu kämpfen. Er wurde zweimal verwundet und tötete wilde Burschen, die an ihr Glück glaubten.
Nun geht er durch die Stadt und sucht nach einer Chance für seine gelähmte Frau. Viertausend Dollar braucht er.
Am Nachmittag weiß er endlich, dass er sie in ganz Spanish Springs nicht bekommen wird. Nicht mal ein paar kleine Summen bekommt er zusammen.
Überall sagt man ihm, wie sehr man ihn als Sheriff schätzt und wie dankbar man ihm ist. Aber er kann keine Sicherheiten bieten. Er könnte zu schnell tot sein. Und wer sollte dann seine Schulden zurückzahlen? Selbst wenn er das Glück hätte, noch zehn Jahre lang als Sheriff am Leben zu bleiben, so würde sein Gehalt nicht ausreichen, eine solche Menge Geld zurückzuzahlen.
Mit dieser Erkenntnis macht er sich am Nachmittag auf den Heimweg. Er geht an seinem Office vorbei und betritt das kleine Haus daneben, das er mit seiner Frau bewohnt. Es ist kaum mehr als eine Holzhütte, die früher einem Erzprüfer als Büro und Labor diente.
Von dem Zimmer, das sie als Schlafzimmer benutzen, geht eine Tür auf eine zum Garten gelegene Veranda. Es ist kein großer Garten, aber er bietet Nancy eine kleine Welt mit engen Grenzen. Sie sitzt in einem Rollstuhl und ist dabei, für Mrs Roswell einen Umhang zu häkeln. Sie wendet den Kopf und hebt das Gesicht, um Patrick McGillen ansehen zu können.
Doch er kniet bei ihr nieder.
Sie küssen sich.
Als sie ihn danach eine Weile betrachtet hat, sagt sie: »Du hattest Ärger, Patrick. Erzähl mir, welchen Ärger du hattest.«
Er zögert, aber er weiß längst, dass er sie an seinen Problemen teilnehmen lassen muss, mögen sie gut oder schlecht sein. Er kann sie nicht ausschließen. Sie ist ohnehin schon ausgeschlossen genug.
Die Zeit, die sie mit ihm um die Wette ritt, leichtfüßig laufen, tanzen und springen konnte, ist noch frisch in seiner Erinnerung. Es ist noch nicht lange her.
Mit einem Mal war sie von allem ausgeschlossen und dazu verurteilt, hilflos zu warten. Aber sie möchte nicht von seinem Tageslauf ausgeschlossen sein. Jetzt noch weniger als früher, als sie noch für zwanzig Dollar Gehalt im Monat die Kinder von Spanish Springs unterrichtete.
Er küsst sie wieder, diesmal auf beide Augen, Nase und Mund.
Dann erhebt er sich und tritt an den kleinen Tisch. Er schenkt sich aus dem Tonkrug etwas Limonade ein und trinkt sie langsam. Dabei ertappt er sich, dass er Zeit gewinnen will, während sie auf eine Antwort wartet.
Gleichzeitig weiß er, dass sie jetzt unwiderruflich vor einer Entscheidung stehen.
Er setzt den Becher ab und sieht Nancy an.
»Ich gebe meinen Posten auf, Nancy. Ich muss mir einen anderen Job suchen, der besser bezahlt wird. Der Doc hat sich noch einmal informiert. Er hat eine alte Fachzeitschrift gefunden, die ihm vor einigen Monaten jemand von der Ostküste sandte. Er hatte sich schwach daran erinnert, dass darin etwas stand, was für dich wichtig ist. Gestern hat er den Artikel noch einmal gelesen und danach in seinen Büchern nachgeschlagen. Er war sogar seit mehr als zwanzig Stunden nicht betrunken. Nancy, er meint, dass es für dich eine Chance gibt, wenn ich dich nach Boston zu einem bestimmten Arzt bringen kann. Aber ich brauche für den Anfang viertausend Dollar. Und niemand in dieser Stadt ist bereit, sie mir zu borgen. Das sind die Dinge, die mich beschäftigen. Ich gab mir Mühe, damit du es mir nicht ansehen konntest. Aber du kannst bis in mein Inneres sehen, Nancy.«
Sie nickt und sieht ihn immer noch fest an.
»Es wäre schön«, murmelt sie dann, »wenn es eine Chance für mich gäbe. Ich bin erst vierundzwanzig Jahre alt, und wir hatten uns Kinder gewünscht. Wir wollten eine Ranch haben. Was kann ein Mann mit solch einer Frau anfangen? – Oh, Patrick, es wäre schön, wenn ich eine Chance hätte. Doch woher wollen wir viertausend Dollar nehmen? Ebenso könntest du versuchen, mir den Mond vom Himmel zu holen. Du kannst niemals auf ehrliche und redliche Art viertausend Dollar verdienen. Das geht nicht so schnell. Patrick, was willst du tun?«
»Mach dir keine Sorgen«, sagt er. »Ich weiß noch nicht genau, was ich tun werde und wie ich es tun soll. Aber ich werde etwas tun. Nancy, ich würde sogar alles tun, alles! Ich verspreche dir, dass wir bald nach Boston zu jenem berühmten Professor fahren können. Auch Geld werden wir dann genug haben. Und noch eines verspreche ich dir, Nancy. Es wird kein gestohlenes oder geraubtes Geld sein. Ich werde immer innerhalb des Gesetzes bleiben. Aber vielleicht muss ich einige Tage fort. Ich sage dann Dolores Rodriges Bescheid, dass sie sich mehr als sonst um dich kümmert.«
Wieder blickt ihn Nancy fast starr an. Und er fühlt, dass von ihr etwas ausgeht, das tief in ihn eindringt.
Dann sagt sie: »Patrick, würdest du vielleicht doch etwas tun, was böse und unredlich wäre, nur um das Geld zu beschaffen? – Ehrlich, Patrick!«
Da nickt er.
»Ich würde ein Dutzend Morde begehen!«, sagt er, und es bricht wild aus ihm heraus. »Ich habe während der vergangenen Monate einige Männer getötet und Blut vergossen, um die Guten vor den Bösen zu schützen. Ich habe für Recht und Frieden gesorgt und den Besitz der Redlichen geschützt. Ich habe für die menschliche Gemeinschaft, die mir den Stern gab, Blut vergossen und getötet. Warum soll ich nicht auch mal töten, damit meine Frau wieder gesund werden kann?«
Er erkennt in ihren Augen eine Mischung von Schrecken und Hoffnung, von Sorge und Freude. Es sind zwei Kräfte, zwei Strömungen, zweierlei Gefühle, die Nancy bewegen.
Aber der Wille, die kleinste Chance zu nutzen und alles zu wagen, ist plötzlich riesengroß in ihr.
Sie legt die Häkelarbeit wieder zur Seite.
»Ich möchte wieder gehen können, reiten, springen, laufen, schwimmen. Ich möchte später mit unseren Kindern einen Wiesenhang hinuntertollen. Ich möchte wieder leben, Patrick! Ich war eine schöne Frau. Wenn ich ging, sah man mir nach und …«
»Ich weiß«, sagt er rau. »Dein Gang war vollkommen. Du warst das Vollkommenste, wenn man dich gehen sah. Keine Frau hatte solche einen Gang wie du. Und selbst dort, wo andere Frauen stolperten, konntest du noch harmonisch schreiten. Ja, ich weiß, Nancy. Und ich will dich wieder so sehen. Ich beschaffe mehr als nur viertausend Dollar. Wenn es sein muss viel mehr. Und wenn es hunderttausend Dollar kosten würde, an mir wird es nicht liegen.«
Er tritt wieder zu ihr, kniet nieder und küsst sie. Ihre Arme sind weich, geschmeidig und voller zärtlicher Kraft. Sie umfasst seinen Nacken und klammert sich an seine Schultern.«
»Ja, Patrick«, sagt sie, »du wirst es schon schaffen. Das Leben wäre so schön. Ich will arm sein und barfuß gehen, wenn ich nur wieder laufen kann. Ja, verschaff mir eine Chance. Doch pass auf dich auf! Achte auf dich! Was nützt es mir, vielleicht wieder gesund zu sein, wenn ich um dich weinen müsste?«
2
Wie immer füllte sich die kleine Stadt Spanish Springs gegen Abend. Reiter von entlegenen Ranches oder Siedlungen kommen herein. Erzwagen – mit durstigen Minenarbeitern beladen – kommen von den Minen her. Aus verborgenen Camps in den wilden Hügeln treffen Reiter ein. Ruhelose, Streuner und Tramps, die nach irgendwelchen Chancen suchen wie hungrige Wölfe, tauchen in Spanish Springs auf.
Denn hier sind Wärme und Licht. Hier gibt es Whisky, Karten und Mädchen. Hier kann man Freunde treffen, von denen man außer einem Drink auch einen Tipp erhalten kann.
Patrick McGillen betritt nach Anbruch der Nacht den Alamo Saloon. Die drei Stadträte und Wahlmänner von Spanish Springs sitzen am Stammtisch. Es sind der Bankier Roswell, der Storebesitzer Dwight Abbot und der Besitzer des Alamo Saloons. Mit jedem hat er heute im Laufe des Tages wegen des Darlehens verhandelt.
Es sitzen noch drei andere Männer am Tisch, auch einer der drei reichen Minenbesitzer, die McGillen um Geld bat.
Sie sind wie immer an diesem Samstag beim Poker.
Als er zu ihnen an den runden Tisch tritt, sehen sie ihn an. Sein Stern blinkt matt im Lampenlicht, und unter seiner Hutkrempe glitzern seine rauchgrauen Augen. Er schiebt den Hut weit zurück, und nun können sie erkennen, wie hart sein dunkles, festgefügtes, piratenhaftes Gesicht ist.
»Hallo, Sheriff!«, sagte einer von ihnen, aber es klingt etwas verlegen.
Im Saloon wurde es still.
Man hat hier ein feines Gefühl für besondere Strömungen. Und jetzt spürt man eine Strömung wie einen kalten Hauch.
Der Sheriff sieht die Tischrunde an, die ihm einst im Auftrag der Bürgerschaft den Stern gab.
Dann wirft er den Stern auf den Tisch – mitten auf die Pokerkarten und zwischen das Geld.
»Hier habt ihr euren Stern zurück«, sagt er.
Mehr nicht.
Er wendet sich um und macht drei Schritte.
Da holt ihn die Stimme des Bankiers ein, Roswell sagt scharf: »McGillen, das können Sie doch nicht tun!«
Pat McGillen blickt über die Schulter zurück.
»Das kann ich«, sagt er. »Diese lausige Stadt bietet mir nicht genug Sicherheiten. Ich denke nicht mehr daran, noch länger für ein lumpiges Gehalt die Guten vor den Bösen zu beschützen und aus diesem Grund Blut zu vergießen. Nicht mehr!«
Nach diesen Worten geht er endgültig.
Im Saloon bleibt es still.
Aber jeder Mann, der nüchtern genug war, um zuzuhören, weiß nun, dass Spanish Springs und der dazugehörige Distrikt ohne Sheriff sind.
Aber das ist noch nicht alles.
Patrick McGillen war ein Revolver-Sheriff, ein Revolverkämpfer, der zu der Gilde der ganz Großen gehört. Sein Mut und seine Kühnheit befähigten ihn dazu, sich auch dann noch zu behaupten, wenn andere Männer aufgaben.
Für McGillen gibt es keinen Ersatz.
Die Bösen werden wieder Oberhand gewinnen.
Es sind genügend Böse im Saloon. Sie begreifen in der nächsten Minute, dass alles schlagartig anders wurde. Nun brauchen sie sich nicht mehr zurückzuhalten. Sie haben keinen Revolver-Sheriff mehr zu fürchten. Sie können jetzt wie früher über die Stränge schlagen. Dass Spanish Springs wieder frei ist, wird sich in Windeseile bis in die verborgenen Camps herumsprechen, wo die Geächteten leben mit ihrem Hass gegen das Gesetz und die menschliche Gemeinschaft.
Nun werden sie wieder nach Spanish Springs kommen.
Denn wovor sollten sie sich fürchten?
Einen neuen Sheriff von gleicher Art wird es so bald nicht wieder geben. Vielleicht nie wieder.
Während Patrick McGillen im Office ein paar Sachen packt und im Dienstbuch die letzte Eintragung macht, dass er hiermit seinen Dienst beendet, jagen Reiter durch die Nacht.
Denn diese Neuigkeit ist wichtig.
***
Drei Tage vergehen, und mit jeder Nacht wird Spanish Springs wilder. Jede Nacht verlöschen die Lichter in den Häusern früher, und man verrammelt Türen und Fenster.
Nur in den Saloons geht es wild zu.
Schlägereien sind nicht mehr selten. Die irischen Minenarbeiter, die von den Minen her in die Stadt kommen, lassen sich auch von Vieh- und Pferdedieben, von Straßenräubern und revolverschwingenden Satteltramps nicht einschüchtern.
Selbst die friedlichsten Typen unter den Weidereitern werden in diesen Tagen wilder.
Die Saloonwirte verdienen. Sie finden bei den berufsmäßigen Spielern Unterstützung, und sie werben sich einige Revolverhelden und Schläger als Rauswerfer und Hauspolizisten an.
Es ist erstaunlich, wie schnell Spanish Springs eine wilde Stadt wird, in der allein die Stärkeren bestimmen und sich mehr und mehr eine wilde Horde bildet.
Vom ehemaligen Sheriff sieht man nicht viel. Patrick McGillen lebt mit seiner Frau in dem kleinen Holzhaus. Bisher zahlte die Stadt die Miete an die Witwe Dolores Rodriges. Nun zahlt McGillen die zehn Dollar selbst.
Man sieht ihn oft mit dem leichten zweirädrigen Wagen vorfahren, seine Frau heraustragen und in den Wagen heben. Dann fahren sie zum nahen Creek hinüber. Dort gibt es einen schönen Platz unter schattigen Bäumen. McGillen angelt dort. Nancy sitzt mit einer Handarbeit dabei. Sie verbringen herrliche Tage im Freien.
Aber jeder weiß, dass ihre Mittel bald erschöpft sein müssen. Viele Wochen oder gar Monate halten sie dieses Leben nicht durch.
Es ist klar, dass Patrick McGillen auf etwas wartet. Darüber beginnen sich einige Leute den Kopf zu zerbrechen. Es sind Männer, die langsam begreifen, dass die Zeit für McGillen arbeitet.
Am vierten Tag besucht der Bankier Roswell die McGillens am Creek. Es ist in der Mittagszeit, als die Bank geschlossen ist. Mit seinem Pferd brauchte der Bankier etwa fünf Minuten.
Nancy McGillen sitzt in einem bequemen Sessel aus Weidengeflecht im Schatten eines Baumes. Der Creek macht hier einen scharfen Knick, und Nancy hat eine gute Übersicht.
Nancy liest aus einem Buch vor. McGillen liegt neben ihr ausgestreckt im Gras.
Nancy unterbricht sich, als Roswell absitzt, und McGillen richtet sich auf.
Roswell sagt: »Ich bin befugt, Ihnen ein gutes Angebot zu machen, McGillen. Wir verdreifachen Ihr Gehalt. Hundertachtzig Dollar im Monat und alles andere frei. Aber Sie müssen sofort wieder die alte Ordnung schaffen.«
»Nein«, sagt McGillen und beginnt, sich eine Zigarette zu drehen.
Roswell schnauft, geht zu einem Stein, setzt sich und betrachtet Nancy. Sie erwidert seinen Blick fest.
Roswell nickt ihr zu.
»Ich kann verstehen, Madam«, sagt er, »dass Sie nach jeder Chance greifen, die sich plötzlich ergibt. Dieser alte Säufer von einem Doc hat euch einen Floh ins Ohr gesetzt. Aber ich sage Ihnen, Madam, dass McGillen dabei schnell zur Hölle sausen könnte. Es ist, als würde er wegen eines augenblicklichen Vorteils seine Seele dem Teufel verschreiben. McGillen, Sie wissen nicht genau, ob der berühmte Professor in Boston Ihrer Frau helfen kann. Diese Stadt aber bietet Ihnen …«
»Keine Sicherheit«, sagt McGillen hart. »Geben Sie es auf, Roswell.«
Der Bankier seufzt.