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G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 111 bis 115 der G.F. Unger Sonder-Edition:
Folge 111: Das Gold der Schwarzen Berge
Folge 112: Jagd auf Ringo
Folge 113: Cattle King
Folge 114: Gold-Lady
Folge 115: Fährte der Wölfe
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 930
Veröffentlichungsjahr: 2021
G. F. Unger
G. F. Unger Sonder-Edition Collection 23 - Western-Sammelband
Cover
Impressum
Das Gold der schwarzen Berge
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Vorschau
Das Gold der schwarzen Berge
1
Sergeant Jim Bailey wendet sich im Sattel und blickt zurück auf die haltenden Reiter der Patrouille. Er sieht in stoppelbärtige, von der Hitze und der Sonne gerötete Gesichter. Die Blicke der Männer kann er richtig deuten. Er weiß Wort für Wort, was sie ihm sagen würden, gäbe er ihnen Gelegenheit dazu, ihre Meinung laut zu äußern.
Aber das dürfen sie nicht. Denn sie sind Soldaten und stehen unter Befehl.
Bei ihm ist es etwas anders. Er ist Sergeant, und er wurde dem jungen Leutnant sozusagen als »Amme« mitgegeben. Doch mit den jungen Leutnants ist das immer wieder so eine Sache.
Und auch mit diesem ist es schlimm.
Dennoch versucht es Sergeant Jim Bailey. Er sagt: »Sir, es ist ein ganz einfacher Indianertrick. Die paar roten Jungens, die Ihnen vorhin von einem Hügel aus ihre nackten Hintern zeigten – was Sie ja mit Ihrem feinen Glas sehr deutlich studieren konnten –, sollen uns in diesen Canyon locken. Das genau war ihre Absicht.
Und dort drinnen warten alle ihre Freunde, Vettern und Brüder nur darauf, dass wir kommen. Wenn wir dort hineinreiten, sitzen wir in der Falle.«
»Sir«, sagt der junge Leutnant. »Sergeant, Sie vergaßen, mit Sir zu enden. Bitte wiederholen Sie den letzten Satz.«
Sergeant Jim Bailey bekommt ein Gesicht, als hätte er Essig getrunken.
Aber dann spricht er langsam und bedächtig: »Wenn wir dort hineinreiten, Sir, sitzen wir in der Falle, Sir.«
Der Leutnant nickt zufrieden, aber es ist kein Nicken des Einverständnisses bezüglich der vermuteten Falle, sondern es gilt dem nun gebrauchten »Sir«.
»Sergeant, Sie haben doch wohl nicht vor ein paar Dutzend Wilden Angst?«, fragt er, wendet sich im Sattel und wirft einen Blick über die hinter ihnen haltende Patrouille.
Auch er sieht die geröteten Augen der Männer und kann gleichfalls an diesen Gesichtern und an den Blicken spüren, was sie denken und was sie sagen würden, dürften sie es nur laut genug tun.
Er begreift, dass sie ihn allesamt für einen noch recht grünen Jungen halten, dem sie nur deshalb gehorchen müssen, weil die verdammte Armee dies so will. Sie trauen ihm nichts zu – gar nichts. Für sie ist er wie jeder junge Offizier hier im Indianerland eine absolute Null.
Einen Moment denkt er bedauernd daran, wie wenig er und sein ganzer Jahrgang doch auf West Point über Indianer und Indianer-Strategie erfahren hatten. Indianer, das waren Wilde, Halbaffen, die man mit dem blanken Säbel auseinander jagen konnte wie ein Rudel Hunde mit der Peitsche.
Über Indianer redete man in West Point nicht.
Aber jetzt hält er hier zu Pferde vor einem gähnenden Canyon-Maul, in das eine deutliche Fährte führt, und hätte gerne mehr über Indianer gewusst.
Er könnte den Sergeanten fragen.
Doch aus dessen Augen erkennt er den Widerwillen, die Verachtung und den Zorn der Ohnmächtigen, die unter Befehl stehen und Befehle ertragen und ausführen müssen.
Leutnant John Baker weiß inzwischen genau, was alle diese Soldaten von ihm halten und auch von der Armee, die solche Offiziere ins Indianerland schickt.
Er möchte den Sergeanten gern fragen.
Doch dann regt sich in ihm der Stolz.
Schließlich ist er ja kein Dummkopf. Und selbst wenn die Patrouille kämpfen müsste, so wäre dies auch nichts Außergewöhnliches. Es wäre überhaupt an der Zeit, dass auch er mal sein erstes Indianergefecht erlebt und selbst ein paar dieser roten Affen in die Hölle schickt. Dann würde er hier nicht länger mehr ein Greenhorn sein und im Kasino mitreden können. Und diese Soldaten würden ihn auch nicht länger mehr so mitleidig-geringschätzig mustern.
Er entschließt sich, weil er ein Junge ist, der noch glaubt, dass jeder Entschluss besser ist als unschlüssiges Zögern und zauderndes Überlegen.
»Vorwärts, Patrouille«, sagt er und reitet an.
Die Patrouille folgt ihm.
Die Fährte ist deutlich. Die Roten scheinen zahlenmäßig nicht stärker zu sein als zwei Dutzend Reiter. Sie haben selbst Verwundete bei sich, denn vor zwei Tagen überfielen sie einen kleinen Wagenzug. Wahrscheinlich haben sie zwei geraubte weiße Frauen oder Mädchen bei sich.
Und wahrscheinlich ist es ihre Absicht, mit diesen beiden weißen Gefangenen die Patrouille in eine Falle zu locken.
Der Sergeant treibt sein Pferd neben das Tier des Leutnants und sagt: »Sir, es wäre gut, wenn wir ein oder zwei Reiter als Vorhut reiten ließen.«
»Richtig, Sergeant! Übernehmen Sie das selbst. Nehmen Sie sich noch einen Mann mit.«
Sergeant Bailey schluckt bitter. Und er denkt: Heiliger Rauch, wie will dieser Junge ohne mich die Patrouille aus der Falle führen?
Aber er sagt, wobei er militärisch grüßt: »In Ordnung, Sir! Ich nehme Corporal Garret mit.«
Und dann ruft er auch schon über die Schulter nach hinten: »Corporal Garret nach vorn! Komm schon, komm schon!«
Er lässt sein Pferd schneller traben und entfernt sich voraus von der Kette der achtzehn Reiter.
Ben Garret hat ihn bald eingeholt, reitet nun Steigbügel an Steigbügel mit ihm und stößt einen Fluch aus.
Dann sagt er: »Du warst noch nie mein Gönner, Sergeant. Und du hättest noch siebzehn andere außer mir aussuchen können. Warum also mich?«
Jim Bailey ist ein weißblonder, hagerer Typ. Er sieht Garret aus schmalen Augen an. »Gewiss«, sagt er, »ich mochte dich nie besonders. Seit du mir damals in Laramie das Arapahoe-Mädel ausspanntest, konnte ich dich noch weniger leiden. Aber eins muss ich zugeben, nämlich, dass du ein harter Bursche bist – fast so hart wie ich. Du würdest mich nicht als Kindermädchen brauchen, sondern mir ein gleichwertiger Partner sein.«
»Partner? Wobei? Wofür?«
Corporal Ben Garret fragte es staunend.
Und da sagte es ihm der Sergeant: »Wir kommen hier nicht mehr raus, Garret. Die Patrouille ist verloren. Ich kenne den Canyon. Es ist ein Sack-Canyon. Die Indianer werden sich gut verbergen und uns wahrscheinlich vorbeilassen. Aber hinter uns fallen sie dann über die Patrouille her. Vielleicht wird es so sein.«
»Und dann?«, fragte Garret.
Der Sergeant grinste. »Neulich hörte ich dich einmal sagen, dass du bereit wärest, einen großen Haufen auf die Armee zu machen. Jetzt bin auch ich soweit. Ich hatte bisher nichts dagegen, die Amme für blutjunge und unerfahrene Leutnants zu spielen. Aber dieser da ist hier zum Untergang verurteilt. Ich kann ihm den Befehl über die Männer nicht entziehen. Aber ich kann meinen Skalp retten. Und du wirst das wohl auch wollen, nicht wahr?«
Da sagte Corporal Ben Garret nichts mehr.
Aber er blickte nun scharf in die Runde. Als er nach hinten späht, ist die Patrouille fast eine halbe Meile zurück.
Und die Fährte der Indianer ist immer noch klar zu erkennen. Sie führt weiter in den Canyon hinein und folgt dessen Windungen.
Am Anfang war der Canyon fast eine halbe Meile breit, der Länge nach geteilt von einem Creek. Das änderte sich jedoch bald schon nach der ersten Biegung. Die Canyonwände treten mehr und mehr zusammen. Neben dem Creek zu beiden Seiten sind Felsen, Büsche, Bäume. Am Fuße der steilen Hänge sind immer wieder Felsengruppen wie versteinerte Büffel- oder Elefantenherden.
Es gibt einige tiefe Bergfalten, Querschluchten.
Der Canyon wird immer wilder und unübersichtlicher.
Dass die deutliche Fährte nichts zu bedeuten hat, wissen die beiden Soldaten ganz genau. Überdies ist die Fährte auch bald nicht mehr so deutlich, weil der Boden härter und steiniger wird.
Es ist leicht möglich, dass die Indianer schon längst von den Tieren sprangen und sich irgendwo versteckten, während die Tiere von einem oder zwei Kriegern weitergetrieben wurden, um jene Fährte zu erzeugen, auf der die Patrouille in die Falle reiten soll.
Das Spiel ist so einfach, dass es jeder erfahrene Soldat durchschauen könnte.
Nur ein blutjunger Leutnant aus West Point, der hier ein Greenhorn ist und dennoch Befehle erteilt, kann das nicht.
Es geschieht dann schnell.
Als sie etwa fünf oder sechs Meilen tief im Canyon drinnen sind, bricht hinter den beiden Reitern der Vorhut die Hölle los.
Sogar der erfahrene Sergeant und der nicht minder erfahrene Corporal ritten an der Stelle vorbei, wo die Roten im Hinterhalt lagen.
Nun brechen sie aus einer Querschlucht, aus dem tiefen Creekbett, zwischen Bäumen und Büschen und hinter einer Felsengruppe hervor. Es sind Oglala-Sioux, und es sind erfahrene Krieger, die jetzt ihr »Spiel« zum Abschluss bringen, indem sie die »Trümpfe« auf den Tisch knallen. Es war leicht für die Indianer.
Denn sie bauten keine besonders schlaue und geschickte, sondern eine ganz einfache Falle, in die nur ein unerfahrener, arroganter und vielleicht auch unsicherer Leutnant seine Reiter führen konnte – ein Leutnant, der eine falsche Entscheidung traf, weil er glaubte, sich entscheiden zu müssen, ein Leutnant aus West Point, der berühmten Offiziers-Akademie, der zu dumm war, einen erfahrenen Sergeanten um Rat zu fragen und diesen Rat auch zu befolgen.
Als es losgeht mit Kriegsgeheul, da reißen der Corporal und der Sergeant ihre Pferde herum.
Denn sie sind ja keine Feiglinge. Sie haben schon überall gegen Indianer gekämpft und sind auch durch wildes und mordlustiges Kriegsgeheul nicht zu lähmen. Obwohl ihnen die Armee, in der sie dienen, zum Halse raushängt, sind sie doch Soldaten, die längst begriffen, dass sie nur gemeinsam mit den Kameraden überleben können.
Sie wollen zurück zur Patrouille, wollen diese verstärken, mit ihr gemeinsam gegen die starke Oglala-Kriegshorde kämpfen. Und besonders der Sergeant fühlt sich verantwortlich für die Soldaten.
Ja, er spürt wahrhaftig diese Gefühle. Die stecken einem alten Soldaten einfach in den Knochen. Da kann man auch mit dem Verstand nicht dagegen an.
Denn der Verstand sagt deutlich, dass sie alle verloren sind. Aber der Sergeant und der Corporal reiten nur ein kleines Stück zurück.
Sie sehen, wie die Roten von allen Seiten über die Patrouille herfallen und wie schon vorher fast die Hälfte der Kavalleristen aus den Sätteln fielen.
Der junge Leutnant aber konnte gar nichts mehr befehlen.
Es geht schnell. Die Patrouille wird zugedeckt von der fünffachen Übermacht der Roten wie ein im Schnee sitzender Elch von einem Wolfsrudel, das ihn bei lebendigem Leibe anzufressen beginnt.
Es gibt keine Chance für die Patrouille.
Und als Sergeant Jim Bailey das nach zwei Dutzend Pferdesprüngen erkennt, bremst er seinen schnaubenden Gaul auf der Hinterhand und reißt ihn wieder herum in die alte Richtung. Corporal Ben Garret folgt ihm.
Und dann ergreifen sie die Flucht. Dass dieser Canyon ein Sack-Canyon ist, wissen nun beide, denn der Sergeant sagte es dem Corporal. Aber das ist ihnen vorerst gleich. Sie wollen und müssen zuerst einmal weg, nichts wie weg.
Als sie sich nach zwanzig Pferdesprüngen umsehen, also wieder bei der Stelle sind, an der sie anhielten und umkehrten, um zur Patrouille zu gelangen, da blicken sie über die Schultern zurück.
Und sie sehen ein Dutzend Rote auf ihrer Fährte.
Jetzt wissen sie Bescheid.
Ein Dutzend Oglala-Krieger gegen zwei Soldaten.
Es ist nicht daran zu denken, dass sie sich zum Kampf stellen. Gewiss, sie haben jeder einen Hartford-Dragoon-Revolver vom Kaliber 44 mit einem neunzehn Zentimeter langen Lauf. Sie haben auch jeder einen Spencer-Karabiner am Sattelring hängen.
Doch in ein offenes Gefecht im Sattel können sie sich mit einem Dutzend Sioux nicht einlassen. Denn werden sie erst festnagelt an einem Platz, dann kommen sehr schnell noch weitere Krieger der Roten hinzu, sollte das nötig werden.
Nein, sie müssen erst einmal die Flucht ergreifen, die schamlose Flucht weiter in einen Canyon hinein, von dem sie genau wissen, dass er bald endet.
Ben Garret, der früher einmal im Süden Cowboy war, bevor er wegen einer Sippenfehde, die auf beiden Seiten viele Tote kostete, zur Armee ging, reitet fast noch besser als der Sergeant, obwohl dieser ein schnelleres Pferd hat.
Ben Garret flucht: »Höllenpest, diesmal stecken wir aber in der dicken Tinte! Und was tun wir, wenn wir das Ende des Canyons erreicht haben?«
»Vielleicht sind uns bis dann ein paar Flügel gewachsen, Junge!«, ruft der Sergeant. »Wir müssen von den Gäulen, Bruderherz! Und wir müssen hinauf in die Berge. Reite, Junge, reite! Damit unser Vorsprung groß genug ist für die Kletterpartie.«
Sie reiten das wichtigste und wohl schnellste Rennen ihres Lebens. Sie schaffen es auch, gegen die kleineren und leichteren Indianer-Mustangs einen Vorsprung herauszuholen.
Und als sie im endenden Canyon nicht mehr weiter hinaufreiten können, weil der Hang zu steil und zu gefährlich wird, da nehmen sie ihre Waffen und die Wasserflaschen, werfen sich die Satteltaschen über die Schultern und machen sich zu Fuß auf den Weg.
Der Sergeant erreicht auf dem steilen Hang als erster ein paar Felsen, hinter denen er Deckung findet. Er hat einen Spencer eine Sekunde später schussbereit und schießt die beiden ersten Indianer aus den Sätteln.
Das ist gar nicht so einfach, wie es sich hier liest. Denn die Indianer jagen in einem wilden Galopp heran, der deshalb so unregelmäßig ist, weil das Gelände einen geraden Ritt nicht mehr zulässt.
Die Roten liegen tief über den Pferdehälsen. Denn sie kennen die Gefahr.
Aber der Sergeant mit seinem Spencer schafft es wie durch Zauberei.
Und nachdem er zwei der Krieger erwischt hat, werfen sich die anderen von ihren Tieren und suchen Deckung.
Corporal Garret wirft sich keuchend neben dem Sergeanten in Deckung.
»Das hätten wir«, schnauft er. »Mann, du kannst ja wie ein Eichhörnchen springen. Wie machst du das?«
»Ich habe keine solchen krummen Beine wie du, Garret«, sagte der Sergeant grinsend und schießt auf einen Kopf, der hinter einem Felsen auftauchte. Er trifft jedoch nur eine Feder, deren weit größeres oberes Stück davonwirbelt.
Der Rote ruft wilde Verwünschungen herauf.
»Was brüllt er, Bailey?«, fragt Garret, denn es ist ihm bekannt, dass der Sergeant die Sprache der Sioux-Stämme einigermaßen versteht.
»Dass wir die Söhne von Ratten wären und sie uns schon noch erwischen würden«, erwiderte Bailey.
»Ich klettere jetzt weiter hinauf«, sagt er nach einer Weile. »Wir finden genügend Deckung. Und wenn wir oben sind, lassen wie eine feine Lawine niedergehen. Du sollst mal sehen, wie die Jungens dort unten weglaufen werden. Also gib mir Feuerschutz, Hombre aus dem Süden.«
»Dort war es besser«, erwidert Garret. »Mir haben die Mexikanerinnen stets besser gefallen als die Indianermädels. Und wenn ich hier herauskomme, gehe ich wieder nach dem Süden.«
Er beginnt zu schießen.
Und der Sergeant macht sich auf den Weg nach oben.
Etwa eine Stunde später – als die Dämmerung schon nicht mehr so fern ist –, da lösen sie oben eine Lawine von Steinen und Geröll aus. Sie donnert den langen Steilhang zum Canyon hinunter, und sie wird viele Hunderte von Tonnen schwer und wuchtet so mächtig nieder, dass die Erde zittert und bebt und das donnernde Grollen lange im Canyon hallt.
Staub füllt den Canyon und wird sich noch lange darinnen halten.
Der Sergeant erhebt sich, wirft sich die Satteltasche über die Schultern und nimmt den Spencer in die Rechte.
»Garret, gehen wir«, sagt er. »Gehen wir quer durch die Black Hills zum Belle Fourche River.«
»Und dann?«, fragt Garret.
»Das wird sich finden, mein Junge«, sagt Jim Bailey und grinst. Und er setzt hinzu: »Vergiss nur nicht, dass wir für die Armee wahrscheinlich tot sind. Umgekommen mit der total aufgeriebenen Patrouille des Leutnants John Baker. Für die Armee stehen wir nicht mehr auf der Liste.«
Da bekommt Ben Garret für einen Moment große Augen.
»Hey, richtig«, sagt er. »Wir sind von den Indianern erschlagen worden.«
Sie setzen sich in Bewegung und klettern und laufen weiter in die Berge hinauf. Es gibt hier keine Wege und Pfade von Menschen. Sie können höchstens irgendwelchen Wildpfaden folgen.
Als die Nacht anbricht, halten sie nur so lange an, bis der Mond und die Sterne hell genug leuchten. Sie setzen ihre Flucht fort und hoffen, dass sich die Indianer nicht auf ihre Fährte setzen.
Ben Garret sagt einmal: »Im Süden die Apachen, die würden uns auch zu Fuß überall in die Berge folgen. Doch diese Indianer der Hochprärie hier, diese Sioux, die verlassen wohl nicht so gern ihre Pferde. Wenn wir morgen keinen Indianer mehr sehen, dann sind wir diese roten Schufte wohl los, oder?«
»Ja, das denke ich auch«, erwidert Jim Bailey. »Aber ohne Pferde werden wir wahrscheinlich noch wochenlang unterwegs sein, bis wir aus dieser Klemme heraus sind. Es ist irgendwie eine verrückte Sache, dass gerade wir zwei Burschen nun zusammen unsere Haut retten müssen. Ich mochte dich nie besonders leiden, du verdammter Rebell aus dem Süden. Und dennoch hätte ich wohl von all den Jungens der Patrouille keinen besseren Partner aussuchen können. Versprich mir nur eines, Garret, ja? Spanne mir nie wieder ein Mädel aus.«
»Das verspreche ich«, sagt Garret und lacht. »Von jetzt an kannst du sogar immer meines haben.«
Auch der Sergeant lachte noch einmal laut auf. Sie lachen beide so laut, dass es ein Echo zwischen den Bergwänden gibt.
Ihr Lachen macht sie zu Freunden, zu Partnern. Und es ist das Lachen von Davongekommenen, die ihrem Glück dankbar sind.
Als sie am nächsten Tag keine Indianer sichten, sind sie davon überzeugt, es geschafft zu haben, also dem Tod entronnen zu sein.
***
Fünf Tage später schießt Sergeant Jim Bailey mit seinem unfehlbaren Spencer-Gewehr eine junge Gämse. Und als sie an einem kleinen Creek ein Feuer entzünden und noch etwas Holz brauchen, geht Jim Bailey einige Schritte weit zur Seite und reißt ein kleines, schon recht trockenes Bäumchen aus dem Erdreich. Dieses gewiss einst grüne Tannenbäumchen war aus irgendeinem Grunde abgestorben und hatte sich langsam braun gefärbt. Bei der geringsten Berührung fallen die Nadeln ab.
Jim Bailey will es über dem Knie zerbrechen, als ihm etwas auffällt.
Aus dem Wurzelballen fallen ein paar kleine Steinchen. Und eines davon fällt auf einen kopfgroßen, harten Stein am Boden.
Aber es macht dabei nicht »Klick« wie es zu erwarten war, wenn ein Kiesel auf einen harten anderen Kiesel fällt, sondern es macht sehr weich »Klack«.
Bailey erstarrt.
Dann lässt er den trockenen Baum fallen und bückt sich nach dem Klack-Steinchen.
Als er es zwischen die Finger nimmt, hält er den Atem an. Er weiß sofort, dass es kein Blei ist. Aber er kratzt dennoch mit dem Messer daran herum. Dann fällt er auf die Knie und arbeitet sich mit Hilfe des starken Bowie-Messers, das er aus dem Stiefelschaft holt, in den Boden hinein.
Ben Garret beobachtet ihn vom Feuer aus. Aber dann lässt er das bratende Fleisch allein und gesellt sich zu ihm.
»He, was ist los?«, fragt er. Der Sergeant gibt ihm keine Antwort, sondern arbeitet fieberhaft weiter.
Dann sieht es Ben Garret und begreift.
Dennoch fragt er: »Was ist das?«
Sergeant Bailey bricht nun ein starkes Stück davon aus dem Boden und wirft es ihm zu. »Da hast du es. Beiß mal hinein. Das ist Gold, pures Gold! Adergold! Junge dies ist eine Goldader! Alter Witwenmacher, die Indianer haben uns Glück gebracht. Oder glaubst du das nicht mehr?«
Der Corporal steht still und stumm da.
Dann schüttelt er den Kopf und murmelt heiser: »Das ist doch nicht wahr? Das gibt es doch nicht? So viel Glück ist doch für zwei Burschen von unserer Sorte gar nicht drin? Wir sind doch nur auf dieser verdammten Welt, um von einem Verdruss in den anderen zu geraten. Oder?«
Er erwartete jedoch keine Antwort, sondern beißt tatsächlich in den Goldbrocken mit seinen starken, scharfen Zähnen.
Und dann holte er auch sein Messer hervor, lässt sich neben Jim Bailey auf die Knie nieder und beginnt wie dieser wie ein Verrückter zu graben, kratzen, scharren und wühlen – bis auch er ein Stück von der Goldader freigelegt hat.
Sie brechen immer wieder Stücke heraus. Das Goldmetall ist ja ziemlich weich.
Und erst nach einer Weile halten sie keuchend inne. Am Feuer verbrennt ihr Gämsenbraten, doch sie merken es nicht.
Sie starren sich an und erkennen das Funkeln in ihren Augen. Sie wischen mit den Unterärmeln ihrer Kavallerie-Reithemden den Schweiß aus dem Gesicht und beginnen zu lachen.
Es wird ein wildes Gelächter, ein Lachkrampf, ein Geheul. Und dann springen sie auf, umtanzen sich, schlagen und boxen sich, lachen und brüllen – bis sie schließlich von ihrem Freudenausbruch restlos erschöpft sind.
Sie sinken nieder und ruhen keuchend aus.
»Verdammt noch mal, wir besitzen eine Goldader«, sagt Ben Garret. »Es ist eine Goldader wie ein erstarrter Blitz, der vom Himmel fiel und dann von Erde, Steinen und Staub verschüttet wurde. Ja, ein erstarrter goldener Blitz ist das. Wir sind reich, Junge, reich! Wir haben Gold! Gold haben wir! Gold!«
Er brüllt es schon wieder mit kräftiger Stimme.
Und das Echo hallt überall von den Bergen zurück. Aber Jim Bailey brüllt und lacht nicht mehr so verrückt mit.
Jim Bailey grinst zwar noch, doch man sieht ihm an, dass sein Verstand bereits wieder folgerichtig arbeitet.
Und da wird auch Ben Garret wieder nüchterner.
»Was ist los? Warum freust du dich nicht, Jim Bailey?«
»Ich freue mich«, sagt dieser. »Aber ich freue mich leise. Laut werde ich mich erst freuen, wenn wir dieses Gold aus der Wildnis herausgeschafft haben. Wir haben keine Pferde mehr, und wir können jeder nur ein oder zwei Kilo mitnehmen. Dann müssen wir uns irgendwo Packpferde und Ausrüstung besorgen und zurück in diese Berge und in dieses Loch. Wenn wir diese Goldader abgebaut haben, sind wir gewiss reich. Vielleicht liegt für hunderttausend oder gar eine halbe Million Dollar hier in diesem Boden. Aber das Problem ist, alles unbemerkt herauszubringen, nicht erwischt zu werden und … Ah, streng deine Einbildungskraft mal selbst etwas an, Ben Garret! Dann wird dir schnell klar sein, dass wir es noch längst nicht geschafft haben. Das Gold hier ist einen Dreck wert, solange wir es nicht dorthin befördern können, wo man es uns für Geld eintauscht. Und wenn wir damit auch nur in die Nähe der Menschen geraten, wird es bald schon welche geben, die es wittern können wie die Ratten frische Hühnereier oder eine Speisekammer. Und dann …«
Er winkt ab, denn er ist der Meinung, dass Ben Garret nicht weniger gut weiß, was dann alles sein wird.
Denn die Mehrzahl der Menschen ist nun mal so geartet, dass sie sich von jedem fetten Braten gerne eine Scheibe abschneidet und auch dort ernten möchte, wo sie gar nicht gesät hat.
Und Wölfe gibt es überall – auch unter den Zweibeinern.
Als auch Ben Garret sich dies alles überlegt und durchdenkt, da wird auch er ernst und grinst nur noch hart und ohne Freundlichkeit.
»Wir schaffen das schon«, sagt er. »Und jeden, der unserem Gold zu nahe rücken sollte, der handelt sich Blei ein.«
Er klopft dabei auf seinen Revolver.
Jim Bailey nickt leicht. Er weiß, dass Ben Garret gut mit einem Colt umgehen kann. Dieser Corporal war einst ein texanischer Revolvermann, der für seine Sippe einige Männer tötete, den die Sheriffs wahrscheinlich im Süden immer noch suchen und der auch bei der Armee das Schießen nicht verlernte.
»Richtig, Ben Garret«, sagt Jim Bailey und klopft dabei auf seinen Spencer, den er stets in Reichweite hat. »Du mit deinem Colt und ich mit meinem Spencer, wir werden uns damit schon durchbeißen. Doch nicht alles kann man mit einer Waffe erledigen, nicht alles.«
Sie haben sich inzwischen genug verschnauft und beginnen wieder mit ihrer Goldgräberei. Es ist eine merkwürdige Goldgräberei, denn es ist so leicht für sie, mit ihren Messern ein Stück der Goldader freizulegen und noch weitere Brocken herauszubrechen.
Sie füllen ihre Satteltaschen damit, in denen ohnehin nicht mehr viel Platz ist. Denn die wenigen Proviantvorräte und eisernen Rationen der Armee, die sie auf den Patrouillenritt als Verpflegung mitnahmen, sind jetzt wichtiger als Gold. Und dennoch wird jeder Gold für fast zweitausend Dollar auf den langen Weg mitnehmen.
Als sie später bei Anbruch der Nacht am Feuer hocken, fragt Ben Garret: »Du kennst dich in diesem verdammten Land besser aus als ich, Jim Bailey. Würdest du diesen Platz hier überhaupt wiederfinden? Ich meine, dass diese Berge, diese Schluchten und Canyons sich so ähnlich sind wie Hühnereier. Und was ist, wenn es dich unterwegs irgendwie erwischen sollte, dass du gleich tot bist oder auch langsamer stirbst, he, was ist dann? Dann bin ich zwar dein Erbe; aber ich finde vielleicht mein Erbe – unsere Goldader – nicht mehr wieder. He, wir müssen einen Plan zeichnen. Eine genaue Skizze muss es sein, mit Landmarken und Kreuzungslinien, sodass man die Lage der Goldader noch nach Jahren wiederfinden kann, auch wenn sich alles verändert hat. Ich könnte mir vorstellen, dass schon nach dem nächsten Winter hier alles anders aussieht. Der Creek dort tritt bei jeder Schneeschmelze aus dem Bett und rollt große Steine und viel Geröll zu Tal. Dieser Platz sieht bald völlig anders aus. Fertigen wir eine Skizze an, Bruderherz, nicht wahr?«
Der Sergeant denkt eine Weile nach.
Dann nickt er und holt sein Messer wieder hervor. Er schärft es eine Weile besonders an der Spitze auf einem kleinen Handschleifstein, den er aus der Satteltasche holte. Das tut er sonst nur vor dem Rasieren, denn er rasiert sich auch mit diesem Messer, so scharf ist es.
Als er es genug geschärft zu haben glaubt, nimmt er seinen Spencer und legt ihn mit dem Kolben vor sich auf den Oberschenkel.
Mit dem Messer beginnt er den Kolben einzuritzen, und er hat eine ziemliche Fläche zur Verfügung, denn dort, wo man den Gewehrkolben an die Wange nimmt, hat er die Fläche einer großen Männerhand.
Auf solch einer Fläche kann man mit einer scharfen Messerspitze ein schönes Bild einkerben, sozusagen ein Relief. Und der Sergeant versteht etwas davon, denn er fertigte solche Schnitzereien schon seit vielen Jahren zum Zeitvertreib an.
Allerdings ist das Material ziemlich hart, aber er kennt sich gut aus in der Technik, in hartes Holz etwas einzuprägen.
Ben Garret hockt sich neben ihn und sieht eine Weile stumm zu.
Dann sagt er: »Warum gräbst du den Plan zur Goldader ausgerechnet in den Gewehrkolben deines Spencer ein? Meinst du, dass dies gut ist?«
Da grinst Jim Bailey.
»Ich denke doch, Hombre aus dem Süden. Dieses Gewehr wäre der letzte Gegenstand meines ganzen Besitzes, den ich aufgeben würde. Diese Gun wäre mir wichtiger als mein Hemd oder meine Stiefel. Denn ich brauche sie zum Überleben in diesem Land. Also habe ich den Plan, solange ich lebe, klar? Überdies ist es auch eine sehr originelle Sache, nicht wahr? Wer würde schon an einem Gewehrkolben einen Plan zu einer Goldader suchen. Überdies werde ich dieses wunderschöne Bild nachher wieder mit dem Rest von Stiefelschmiere aus meiner Satteltasche zuschmieren und es mit genügend Staub oder rotem Sand auskitten. So schnell sieht man den Plan dann nicht. Und wenn ihn jemand sieht, wird er denken, ich hätte aus Zeitvertreib etwas herumgeschnippelt. Siehst du, Ben, ich habe hier alle wichtigen Landmarken der Umgebung eingeritzt – da, die Bergspitzen, die Passkerbe – und hier den Creek. Und nur du und ich wissen, dass wir uns von diesen vier Bergspitzen aus gerade Linien denken müssen und genau dort, wo sich diese beiden gedachten Linien kreuzen, die Goldader im Boden ist. Wir werden morgen unsere Spuren gut verwischen. Ist nun alles in Ordnung, Ben Garret? Wenn es mich erwischen sollte, brauchst du nur zuzusehen, mein Gewehr zu retten. Dieser Spencer-Karabiner ist jetzt sozusagen eine Golden Gun. Wer diesen Spencer besitzt, hat auch den Plan der Goldader. Sonst noch Fragen?«
Ben Garret grinst als Antwort, so zufrieden ist er.
Und dann sagt er nachdenklich: »Golden Gun! Ja, das ist ein treffender und richtiger Name. Golden Gun! Oha! Wer verfällt schon auf die Idee, dass der Plan zu einer reichen Goldader auf einem Gewehrkolben zu finden ist? Ja, das ist gut, Jim Bailey. Eigentlich frage ich mich, warum wir uns früher niemals besonders mochten. He, warum eigentlich nicht?«
»Das frage ich mich jetzt auch«, erwiderte Jim Bailey grinsend und schnitzt, kerbt und ritzt ruhig weiter.
Manchmal bläst er die feinen Spänchen und Teilchen weg.
Er ist wahrhaftig ein Künstler.
2
Fünf Tage später erreichen sie die östlichen Vorberge der Black Hills und blicken auf das Tal des Belle Fourche River. Die Black Hills sind die höchsten Berge Amerikas außerhalb der Rocky Mountains, und selbst von den Vorbergen ist es noch ein weiter Weg bis hinunter zum Fluss.
Der Sergeant sagt jedoch zufrieden: »Wenn wir am Fluss sind, werden wir vielleicht ein Kanu finden oder aus Treibholz ein Floß bauen. Wir müssen den Fluss bis zum Missouri hinunter. Wir müssen uns Zivilkleidung beschaffen. Und wenn wir unser Gold irgendwo in Geld umtauschen, müssen wir behaupten, dass wir aus Montana mit einem Flussdampfer heruntergekommen wären. Dass in Montana Gold gefunden wird, weiß jeder. Aber wir würden unseres Lebens nicht mehr froh werden, wenn die Leute erfahren, dass wir Gold in den Black Hills fanden. – Also los! Hopo!«
Er gebrauchte das Sioux-Wort: »Hopo«, das soviel wie »Gehen wir« bedeutet. Er weiß überhaupt eine Menge über die Sioux, dieser Sergeant.
Sie brauchen einen ganzen Tag, um hinunter bis zum Fluss zu gelangen. Ihre Uniformen sind schon recht mitgenommen und zerrissen. Ihre Stiefel eignen sich wenig zum Klettern, Wandern und Marschieren. Sie werfen sich mit ihren Oberkörpern ins Wasser, denn sie sind ausgetrocknet, verschwitzt und staubig bis hinauf in die Nasenlöcher.
Als sie sich endlich aufsetzen und sich im Mondlicht umsehen, da erkennen sie, dass sie nicht mehr allein sind.
Es kamen ein paar Reiter zu Besuch, und sie ritten auf leisen, unbeschlagenen Mustangs, die sich mit ihren roten Herren so leise wie Katzen näher schoben.
Ben Garret fluchte tonlos, indes seine Hand die Revolvertasche öffnete.
Jim Bailey aber greift nach dem Spencer-Karabiner und schwingt den Lauf herum, der bisher über den Fluss zeigte, nun aber mit der Mündung auf die Indianer gerichtet ist.
Einer der Indianer sagt kehlig: »Hohahe, Winkel-Soldaten! Hohahe, Wasicuns! Ihr habt lange gebraucht, um durch die Berge zu kommen – sehr lange! Ich bin Rothorn und wartete geduldig wie ein Fuchs vor dem Loch der Maus. Habt ihr noch einen letzten Wunsch?«
Seine Frage klingt spöttisch, und er kann sich diesen Spott leisten, denn alle seine Krieger zielen auf die beiden erschöpften Soldaten in den zerrissenen Uniformen.
Die Indianer hätten die beiden Soldaten längst töten können. Doch ihr Anführer will seinen Sieg auskosten. Er will erst noch ein paar Worte reden und den Abschluss seiner Arbeit – die mit der Vernichtung der Patrouille begann – in aller Ruhe erledigen. Denn diese beiden Soldaten sind die letzten der Patrouille.
Der Sergeant sagt nach einer Weile langsam: »Kola tahunsa he mani-mani«, und das heißt soviel wie »Verschwindet, Freunde.«
Doch die Indianer grinsen nur hinter ihren Gewehren. Man sieht es deutlich im Mondlicht. Man sieht auch, dass es zumeist Spencer-Karabiner sind, die sie vor mehr als einer Woche von der Patrouille erbeuteten.
Der Sergeant weiß, dass es keinen Sinn mehr hat, lange zu reden.
Er sagt aus dem Mundwinkel zu seinem Kameraden und Partner hinüber: »Jetzt können wir nur noch versuchen, ein paar dieser Schuft mitzunehmen – sonst ist nichts mehr drin, Junge!«
»Dann fahren wir eben mit Musik zur Hölle, Amigo«, erwidert der Corporal zischend.
Und dann holt er seinen Revolver heraus.
Aber der Spencer-Karabiner des Sergeanten lässt seine Stimme zuerst hören. Dies geschieht, indes der Sergeant selbst von einem halben Dutzend Kugeln getroffen wird. Aber da er ja ohnehin noch am Boden liegt, kann er nicht mehr umfallen. Er repetiert noch dreimal durch und schießt noch drei weitere Rote aus den Sätteln, bevor er selbst seinen Atem aushaucht.
Und auch Corporal Ben Garret vollbringt noch einmal sein letztes Kunststück. Er bekommt seinen Hartford-Dragoon frei, bevor sie ihn voll Blei füllen wie den Sergeanten. Und er feuert noch drei Kugeln ab, die auch alle treffen.
Vielleicht wären die beiden Soldaten jetzt von den Oglalas in Stücke geschossen, gehackt und gerissen worden. Vielleicht wären sie bis zur Unkenntlichkeit kleingemacht worden – denn die Bande gerät wegen ihrer unerwarteten Verluste in böse und geradezu irrsinnige Wut. Sie wollten einen sicheren Sieg schon vorher auskosten und stießen auf zwei eisenharte Männer, die auch dann noch schießen konnten, nachdem sie nach menschlichem Ermessen längst hätten tot sein müssen.
Aber da geschieht etwas, was selbst den irrsinnigsten der Krieger sehr schnell wieder zum normalen Denken zwingt.
Es ist ein schmetternder Ton, ein Hornsignal der Kavallerie, das zum Angriff bläst.
Sie reißen ihre Pferde herum und verschwinden in der Nacht.
Nur der Häuptling treibt sein Pferd noch zwischen die beiden am Boden liegenden Soldaten. Er beugt sich weit aus dem Sattel nieder und greift das Spencer-Gewehr des Sergeanten vom Boden.
Er schwingt es hoch in die Luft, denn es erscheint ihm als der kostbarste Besitz. Noch niemals hat er ein Gewehr so treffsicher schießen sehen – selbst dann noch, als der Besitzer von vielen Kugeln getroffen war. Dieses Gewehr hat unter den Kriegern mehr Tote gefordert als jede andere Waffe.
Es muss ein Zaubergewehr sein, dies glaubt Rothorn fest.
Corporal Garret öffnet noch einmal die Augen und sieht zu, wie der Häuptling die Waffe an sich bringt und sie über den Kopf schwingt.
Aber er kann ihn nicht daran hindern, seinen Kriegern zu folgen. Garret ist zu schwach, um den Colt noch einmal abfeuern zu können.
Er hört jedoch noch das schmetternde Tönen des Horns. Und er denkt: Aaah, die Jungens von der Kavallerie werden diese roten Schufte in Stücke fetzen. Sie werden diese Bastarde …
Er denkt nicht weiter in dieser Richtung, denn es hält ein Reiter neben ihm und wirft sich aus dem Sattel, kniet neben ihm nieder.
Er erkennt Chat Lorette, einen Scout aus Fort Lincoln. Und er hat diesem Lorette schon einmal das Leben verdankt. Er freut sich, Lorette zu sehen und denkt: Ich muss ihm was von der Golden Gun erzählen. Denn … Dann setzen seine Gedanken für eine Weile aus – für eine Minute vielleicht, indes das Blut aus seinen Wunden läuft. Aber Lorette hat schon begriffen, dass der Corporal noch lebt. Lorette hält ihm die Flasche an die Lippen und gießt ihm den Mund voll.
Das holt den Corporal noch einmal für eine Minute auf diese Welt zurück.
Und er flüstert: »Rotdorn war es. Er hat die Golden Gun des Sergeanten. Golden Gun … Plan auf dem Kolben … Goldader … Hol dir die Golden Gun, Lorette!«
***
Chattanooga Lorette versteht jedes Wort.
Aber dann ist die Kavallerie-Abteilung bei ihm, der er vor ausgeritten war, als sie die Schüsse hörten und sich ausrechnen konnten, dass Rotdorn und dessen Kriegshorden jemanden angegriffen haben mussten.
Der Captain verhält sein Pferd nur unmerklich, als er mit der Abteilung vorbeidonnert. Er stößt jedoch einen Schrei aus, der den Scout auffordert, mitzukommen.
Das tut Chattanooga Lorette. Er wirft sich mit einem katzengeschmeidigen Sprung auf sein graues Pferd und holt die galoppierende Abteilung wieder ein.
Zwei Mann der Abteilung, davon einer ein Sanitäter, bleiben zurück. Lorette sieht es noch. Aber er glaubt nicht, dass man für Corporal Garret noch etwas tun kann. Und Sergeant Bailey ist ganz bestimmt tot.
Der Captain brüllt dem Scout durch den klirrenden Galopp zu: »Waren das die beiden fehlenden Soldaten der Cheyenne-River-Patrouille des Leutnants John Baker?«
»Ja, das waren Sergeant Bailey und Corporal Garret! Und vor uns haben wir Rotdorn, Sir!«
Er hat kaum ausgesprochen, als sie die letzten der flüchtenden Indianer vor sich in Sicht bekommen. Die kleine Ebene vor ihnen ist vom Mondlicht überflutet. Drüben am anderen Ende steigen die Vorberge der Black Hills an. Dort sind die schwarzen Mäuler der Schluchten und Hügellücken. Wenn die Indianer dort erst verschwunden sind, haben sie sich dem Zugriff der Kavallerie-Abteilung entzogen. Aber ihr Vorsprung ist nicht mehr so groß. Die kräftigeren Kavalleriepferde holen gegen die Mustangs unheimlich auf. Die Ebene ist keine drei Meilen breit. Und dann sind noch mehr als eine Meile aufsteigende Hänge.
Auf vier Meilen also muss sich alles entscheiden.
Der Scout Chat Lorette denkt ständig an das, was ihm der wahrscheinlich sterbende Corporal Garret sagte.
Eine Golden Gun? Aaah, das kann nur die Spencerbüchse des Sergeanten sein. Und in ihrem Kolben soll ein Plan eingeritzt sein, der zu einer Goldader führt? Aber jetzt hat Rotdorn das Gewehr.
Lorette begriff das alles schnell.
Die paar Worte des Corporal hatten genügt.
Chat Lorette bedauert, dass er nicht in den Taschen der beiden Soldaten nachsehen konnte. Es war keine Zeit mehr dafür gewesen. Aber er glaubte ziemlich sicher, dass er in den Taschen ihrer Kleidung und auch in ihren Satteltaschen, die neben ihnen am Flussufer lagen, Gold gefunden hätte.
Gold! Chat Lorette denkt immer wieder dieses Wort, während sein Blick auf die flüchtenden Sioux gerichtet ist und er sein galoppierendes Pferd immer wieder antreibt.
Gold! Was für ein magisches Wort, was für ein Begriff! Gold! Das ist etwas, nach was die Menschen streben und für dessen Besitz sie alles tun. Auch er, Chattanooga Lorette, wünscht einen Haufen Gold. Denn auch er ist nur ein wilder Bursche der Indianergrenze, ein Scout, Jäger und Bergläufer.
Ja, auch er weiß, dass es auf dieser Welt eine Menge Dinge gibt, die man sich mit Gold kaufen kann.
Ja, er hält es für möglich, dass die beiden Soldaten irgendwo in den Bergen durch Zufall auf Gold gestoßen sind. Solche Zufälle gibt es. Fast alle Goldfunde zwischen Arizona und Montana wurden mehr oder weniger durch Zufall gemacht. Erst nach diesen ersten Zufallsfunden setzte die gezielte Suche nach weiteren Goldvorkommen ein und war dann im selben Gebiet vielfach erfolgreich.
Chat Lorette spürt plötzlich eine wilde Gier, einen heißen Wunsch. Er möchte so schnell wie möglich an die Indianer herankommen – aber nicht, um die verlorengegangene Patrouille des jungen Leutnants John Baker und einen überfallenen Wagenzug zu rächen, bei dem zwei Frauen unter den Toten fehlten. Nein, er möchte von Rothorn die Golden Gun erbeuten, den Spencer-Karabiner des Sergeanten.
Und so vergisst er kurz sogar das Gold und richtet all seine Energie darauf aus, an die Indianer heranzukommen.
Der Captain hält sich neben ihm, denn auch die Kavallerie hat keine schlechten Pferde. Ausreitende Patrouillen mit Sonderaufträgen erhalten besonders gute Tiere.
Und diese Kavalleriepferde, die sämtlich über zehn Zentner wiegen, holen gegen die Siebenhundertpfund-Mustangs der Roten mächtig auf. Auf kurze Distanz können die Mustangs nicht gewinnen. Erst ab fünfzig Meilen würde sich ihre Zähigkeit bemerkbar machen.
Die galoppierende Abteilung holt die ersten Indianer eine halbe Meile vor dem nördlichen Rande der Ebene ein. Als sie merken, dass sie nicht entfliehen können, wenden sich diese zurückgebliebenen Krieger gegen die Soldaten. Denn sie wollen ehrenvoll im Kampf sterben und nicht niedergemetzelt werden wie flüchtende Kaninchen.
Aber sie haben keine Chance. Die Kavalleristen haben ihre Hartford-Dragoons schussbereit, und sie schießen mit ihren Revolvern auf kurze Entfernung besser als die Indianer mit den erbeuteten Gewehren. Ein paar der Roten haben natürlich ebenfalls erbeutete Revolver. Doch mit diesen Dingern sind sie noch ungeübter. Indianer konnten noch nie besonders gut mit Revolvern umgehen.
Die galoppierende Abteilung hat die Masse der Kriegshorde nun immer dichter vor sich. Die mond- und sternenhelle Nacht ist fast so hell wie der Tag. Rothorn, der immer noch an der Spitze der Horde reitet, hält auf ein großes Canyon-Maul zu. Sein Plan ist völlig klar.
Aus diesem dunklen Canyon werden den Verfolgern Schüsse entgegenkrachen. Und in der Dunkelheit dieses Canyons wollen sich die Indianer den Soldaten stellen – müssen es sogar. Dieser Canyon ist das Ziel. Dort wird der große Kampf stattfinden.
Und die Entfernung dorthin wird immer kürzer.
Nur wenige Indianer auf schwächeren Pferden werden von der Abteilung noch eingeholt, stellen sich, werden niedergemacht. Die Hauptmacht hält jetzt das Tempo und behält auch einen wahrscheinlich ausreichenden Vorsprung.
Der lange Hang, der vom Rande der Ebene aufsteigt zum Maul des Canyons, der fordert noch einmal das Letzte von den Pferden. Aber die kurzbeinigen Mustangs sind jetzt auf diesem Hang im Vorteil.
Und dann taucht das dunkle, schwarze und geheimnisvoll anmutende Canyon-Maul vor den Reitern auf. Hier fällt kein Mondlicht hinein. Hier werfen Bergspitzen und aufragende Felswände tiefe Schatten.
Die Soldaten sind einen Moment im Nachteil, denn sie gelangen später in den Schatten des Canyons. Ihre Augen brauchen einen Moment, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Es ist fast, als trete man aus einem erhellten Raum hinaus in die dunkle Nacht.
Und in diesen Sekunden erleidet die Abteilung von den Roten die meisten Verluste. Die Oglalas haben sich nämlich gut verteilt und empfangen die nachdrängenden Soldaten mit einem Kugelregen.
Dann aber beginnt der Kampf Mann gegen Mann. Das wilde Kriegsgeheul der Roten und das Brüllen und Fluchen der Soldaten hallt zwischen den Felswänden. Dazwischen erklingt das Wiehern der Pferde. Und solch ein Todeswiehern eines armen Tieres ist schrecklich zu hören.
All dieser Lärm wird immer wieder übertönt vom Krachen der Revolver und Gewehre.
Der Scout Chat Lorette kämpft sich durch das Durcheinander der Kämpfer. Immer wieder wird er angegriffen von heulenden Kriegern – und immer wieder kämpft er sich den Weg frei. Er lässt rechts und links Tote hinter sich und wird selbst nur zweimal leicht von Kugeln gestreift.
Er sucht nach Rothorn, dem Häuptling. Denn Rothorn soll das Gewehr haben, von dem Corporal Garret sprach und das er eine »Golden Gun« nannte.
Chat Lorette will das Gewehr und sonst nichts anders auf dieser Welt. Denn dieses Gewehr könnte ihm den Weg zu einem völlig anderen Leben öffnen.
Daran glaubt er.
Und deshalb kämpft er in diesem dunklen Canyon so schrecklich wie noch niemals zuvor in seinem ganzen Leben – das eigentlich in diesem Lande stets ein Leben voller Kämpfe war.
Aber er findet Rothorn in diesem höllischen Durcheinander sich einander umbringender Männer nicht sofort. Er muss sich immer wieder den Weg freischießen, sich Angreifern erwehren. Und als sein Colt dann leergeschossen ist, hat er keine Zeit mehr, seine Waffe nachzuladen.
Als er auch sein Gewehr leergeschossen hat, greift er sich einen Dragoner-Säbel vom Boden, der einem Soldaten entfiel. Und so kämpft er nun mit dem Säbel weiter.
Und endlich entdeckt er Rothorn, der soeben den Captain aus dem Sattel schießt. Er greift ihn sofort an.
Doch Rothorn hat offenbar die vorhin erbeutete Spencer Büchse nachgeladen. Denn sein Mündungsfeuer stößt Chat Lorette entgegen. Und die Kugel wirft den Scout wie eine Keule vom Pferd.
Dann weiß Chat Lorette nichts mehr.
Zuerst spürt er starke Schmerzen und möchte sich erbrechen. Aber diese Übelkeit geht vorüber. Die Schmerzen im Kopf jedoch bleiben, und sie hämmern mit dem Pulsschlag.
Er kommt allmählich richtig zur Besinnung. Er gleicht irgendwie einem Schwimmer, der aus der dunklen Tiefe eines Sees zu Luft und Licht möchte – und der verzweifelt kämpft, dieses Ziel zu erreichen.
Endlich nimmt er auch wahr, dass sich jemand um ihn kümmert. Er hört eine Stimme dicht bei ihm sagen: »Lorette ist nicht tot! Lorette lebt noch. Dem haben sie nur eine tiefe Schramme über den Kopf gezogen, drei Finger breit über dem linken Ohr. Das Blut an seinem Kopf ist nur von der Schramme. Lorette lebt noch. Er wird bald aufwachen. Lege ihm einen nassen Lappen auf die Birne, Charly. Los, ich habe noch mehr zu tun!«
Lorette erkennt die Stimme.
Sie gehört dem Sanitäter, der zuerst beim Corporal Ben Garret und Sergeant Jim Bailey zurückgeblieben war.
Jetzt ist er hier im Canyon. Er war also schnell nachgekommen, um hier die Verwundeten zu versorgen.
Bedeutete das, dass Corporal Garret seine Hilfe nicht mehr benötigte, weil er schnell starb? Oder hatte er Garret noch versorgt?
Diese Fragen sind in Lorettes schmerzendem Schädel.
Aber dann hört er all die anderen Stimmen. Da ist das Stöhnen und Winseln der Verwundeten, das Fluchen der Soldaten und das Schnauben der Pferde. Befehle klingen. Die Abteilung hat hier im Canyon ein Camp bezogen, um die Verwundeten zu versorgen und auszuruhen nach dem blutigen Kampf.
Lorette denkt wieder an Sergeant Baileys Gewehr, an die Golden Gun, auf dessen Kolben wahrscheinlich der eingeritzte Plan zu einer Goldader ist.
Er denkt daran, dass die Kugel, die seinen Kopf fast in Stücke sprengte, wahrscheinlich aus diesem Gewehr stammte.
Und plötzlich möchte er wissen, was aus Rothorn wurde.
Er öffnet die Augen, und er kann dennoch nichts sehen, weil der Soldat, der neben ihm hockt, ihm ein nasses Handtuch gegen den Kopf hält, das auch die Augen bedeckt.
Deshalb grollt Lorette: »Nimm endlich das Ding weg, Junge! Weg damit!«
Er stößt mit seiner Hand die Hände und das Handtuch weg.
Er sieht den Reiter Fred Roberts und fragt ihn, obwohl ihm dabei der Kopf zu zerspringen droht: »Rothorn? Was ist mit Rothorn??«
»Er ist weg«, sagt Fred Roberts. »Wir haben sie fast alle erwischt bis auf Rothorn und drei oder vier andere. Aber wir sind selbst sehr böse dran. Wir konnten sie nicht mehr verfolgen. Unsere Verwundeten gingen vor. Das war schon kein Kampf mehr, eher ein furchtbares Gemetzel. Wir werden die beiden geraubten Frauen des Wagenzuges wohl nicht retten können. Und wenn man bedenkt, wie groß unsere Verluste sind, dann haben wir nicht mal Leutnant John Bakers verlorene Patrouille gerächt. Der Preis war zu hoch, viel zu hoch. Dieser Rothorn hat uns genau in jenen Sekunden erwischt, als wir hier in den Canyon-Schatten ritten. Seine roten Jungens sahen schon besser als wir und trafen sofort. Das gab den Ausschlag.«
Chat Lorette sagt nichts mehr. Er nimmt Fred Roberts das nasse Handtuch aus der Hand und drückt es sich selbst gegen die schmerzende Wunde und den so böse hämmernden Schädel.
Er streckt sich lang aus und versucht, sich zu entspannen. Er versucht mit zunehmendem Erfolg, den hämmernden Schmerz mit Gelassenheit zu ertragen.
Das hat er von den Indianern gelernt, zu denen eine seiner beiden Großmütter gehörte.
Als der Tag hochkommt im Osten und die Sonne von dorther ihre ersten Strahlen in die Canyonöffnung wirft, erwacht Lorette.
Als er sich aufsetzt, will sein Kopf wieder explodieren, aber es ist längst nicht so schlimm wie in der vergangenen Nacht, nachdem er aus seiner Besinnungslosigkeit erwachte.
Er blickt sich langsam um. Nach einer Weile erhebt er sich und steht schwankend da wie ein Betrunkener. Dann geht er zu dem Feuer, an dem der rotbärtige Sergeant Pat O’Hara hockt und Kaffee schlürft.
Es hocken noch ein paar andere Soldaten herum. Fast alle sind sie zumindest leicht verwundet.
Lorette erhält einen Becher Kaffee, den er wortlos leer schlürft. Danach fühlt er sich etwas besser und sieht den Sergeanten an.
»Warum hockt ihr hier herum? Was ist mit dem Captain?«
Der rothaarige und rotbärtige Sergeant starrt zu ihm empor – bitter und vorwurfsvoll.
»Du hast auch schon mal einen besseren Scout abgegeben, Lorette«, sagt er. »Konntest du dem Captain unterwegs nicht klarmachen, dass wir hier im dunklen Canyon den Indianern ins offene Messer rennen würden? Oder hast du dir das etwa gar nicht mal ausrechnen können?«
Jetzt blicken alle Soldaten auf Lorette.
Dieser erwidert nichts. Er sieht in die Runde, und er erblickt ein Dutzend Tote und zählt ein weiteres Dutzend Verwundeter. Die toten Indianer liegen auf der anderen Seite. Es sind viele – mehr als zwei Dutzend.
Der Captain liegt drüben bei seinen toten Soldaten.
Lorette denkt nach.
Er begreift, dass er Rothorn und das Gewehr haben wollte, jene Golden Gun, von der Garret sprach. Dieses Wollen hatte ihn selbst wohl blind gemacht.
Aber dass sich die Roten im Canyon stellen würden, war nicht mit Sicherheit vorauszusehen.
Deshalb sagt er langsam: »Pat, hast du schon mal einen Indianer einigermaßen ausrechnen können? Es war nicht sicher, dass sie sich stellen würden. Und der Captain wollte den Kampf. Er wollte es austragen. Er hatte den Befehl, Rothorn und dessen Bande unter Einsatz aller Mittel und ohne Schonung seiner Abteilung zu vernichten. Auf was wartet ihr noch?«
Da grinst der Sergeant grimmig. »Ich habe jetzt das Kommando«, sagt er. »Nicht du, Lorette. Und ich schickte zwei Mann weg, damit sie eine Anzahl langer Stangen herbeischaffen. Wir brauchen Schleppschlitten für die Toten und Verwundeten. Es ist ja wohl klar, dass wir umkehren.«
»Sicher, für euch ist das klar, Sergeant«, sagt der Scout und grinst schief und ohne jede Freundlichkeit. »Aber nicht für mich. Ich halte mich an den Befehl, an den Auftrag. Ich reite weiter hinter Rothorn her, bis ich ihn erwischt habe. Und wenn nur noch wenige Krieger bei ihm sind – vielleicht sogar verwundet –, dann erwische ich ihn auch.«
Nachdem er dies gesagt hat, sehen ihn alle an. Und das Staunen ist in ihren Gesichtern.
Heiliger Rauch, sie sehen ihn da stehen, mit einer von trockenem Blut bedeckten Gesichtshälfte, angeschossen und auch ziemlich erledigt. Die Kugel muss ihn wie ein Keulenhieb am Kopf getroffen haben. Er ist auch noch an zwei anderen Stellen leicht verwundet.
Aber er hat noch nicht genug. Er will weiterkämpfen. Und darüber staunen sie. Sie begreifen wieder einmal mehr, dass er ein Mann aus anderem Holz ist.
Sergeant Pat O’Hara nickt nach einer Weile.
»Von mir aus – ich habe nur noch die Aufgabe, alles heil heimzubringen nach Fort Lincoln. Nichts anderes kann jetzt noch meine Aufgabe sein. Also reite, wenn du es nicht lassen kannst. Wir kennen den Heimweg.«
Lorette nickt. Er lässt den leeren Kaffeebecher fallen und geht zu den Pferden hinüber, die nach Kavallerieart an einem ausgespannten Seil festgebunden sind. Sein graues Pferd steht ganz am Ende, denn es verträgt sich schlecht mit anderen Tieren.
Bei den Verwundeten richtet sich der Sanitäter auf. Lorette tritt zu ihm.
»Warum hast du meinen Kopf nicht verbunden? Was ist mit meiner Wunde?«
»Ach, ich brauche das Verbandszeug für andere Fälle. Wir haben zwei Bauchschüsse. Deine Kopfschramme blutet nicht mehr. Lass sie von der Luft austrocknen. Du hast eine Gehirnerschütterung, Lorette. Weißt du das?«
»Ha, das habe ich noch gar nicht gemerkt«, knirscht der Scout. Und dann stellt er die Frage, die ihm am meisten auf der Zunge brennt: »He, was ist mit Corporal Garret und dem Sergeanten Bailey, die wir vorher am Fluss fanden?«
»Vielleicht lebt Garret noch«, sagt der Sanitäter. »Aber ob er den Transport ins Fort überstehen wird …«
»Schon gut«, unterbricht ihn Lorette und geht weiter zu seinem Pferd.
Obwohl er sich davor fürchtet, in den Sattel zu steigen und zu reiten, zögert er nicht eine Sekunde. Die Pferde sind noch gesattelt. Man hält sie bereit für den Fall, dass Rothorn mit Verstärkungen zurückkehren sollte.
Der Pferdewächter nähert sich Lorette und betrachtet den großen, sehnigen und so indianerhaften Scout, an dem nur die hellgrauen Augen das einzige Helle sind.
»He, willst du reiten, Lorette?«, fragt er erstaunt. »Du wirst bei jedem Pferdeschritt das Gefühl haben, der Kopf müsste dir platzen. Ich kenne das. Mir haben die Roten schon mal eine Kriegskeule auf die Birne geknallt.«
»Ich muss reiten«, sagt Lorette. »Ich muss Rothorn erwischen. Denn die Chance dafür war noch nie so groß wie jetzt. Und hoffentlich sind er und seine restlichen Begleiter angekratzt und können nicht so schnell. Ihre Pferde brauchten bestimmt ein wenig Ruhe.«
Er wartet, bis sein Pferd ausgeatmet hat, und zieht ihm mit einem Ruck den Sattelgurt stramm.
Dann steigt er vorsichtig hinauf.
Der Pferdewächter tritt näher.
»Dieser Rothorn hätte mich fast getötet«, sagt er. »Der ist gut mit seinem Gewehr. Er hat einen Spencer, mit dem er umgehen kann wie ein Chinese mit den Ess-Stäbchen. Der hat mit diesem Spencer ein paar von uns aus den Sätteln geholt. Doch als er auf mich abdrückte, war keine Kugel mehr drinnen. Da habe ich aber Glück gehabt. Ich hatte mich schon vorher leergeschossen. Als ich gegen ihn prallte, schlug er mich mit dem Gewehrlauf aus dem Sattel. Der ist ein Teufel. Aber ich glaube, er ist verwundet worden.«
»Na schön«, sagt Lorette und reitet langsam davon. Er schwankt zuerst im Sattel. Die Soldaten beobachten ihn wortlos.
Dann ruft der Sergeant: »He, Lorette, das schaffst du nicht! Keine drei Meilen hältst du das durch.«
Aber Chat Lorette gibt ihm keine Antwort, er reitet in den Canyon hinein und verschwindet dann um die Biegung. Schon hinter der ersten Canyon-Biegung möchte er anhalten, absitzen und sich der Länge nach irgendwo ausstrecken, wo er ruhig liegen und sich entspannen kann.
Aber er bleibt im Sattel und hält durch. Meile um Meile hält er durch. Nur manchmal sagt er heiser und gepresst zu seinem Pferd: »Geh vorsichtig, du Ziegenbock! Gehe wie auf rohen Eiern, sonst platzt mir mein Kürbis. Junge, hab doch ein wenig Mitleid mit meiner Birne.«
Sein grauer Wallach spitzt die Ohren wie ein schlauer Hund und schnaubt auch willig, als verstünde er den Reiter genau. Aber er ist ohnehin eines jener Tiere, die auf jedem Gelände eine besonders ruhige und geschmeidige Gangart haben. Auf fast jedem anderen Pferd wäre Chat Lorette schlimmer dran.
Und so arbeitet er sich also im Verlauf dieses Tages auf der Fährte der flüchtenden Indianer Meile um Meile weiter. Er findet da und dort Spuren, die ihm einigen Aufschluss über Rothorn und den Rest seiner einst so stolzen und siegreichen Kriegshorde geben.
Rothorn hatte einen Wagenzug überfallen, ausgeraubt und abgebrannt. Er hatte dort zwei Frauen geraubt und war dann von Leutnant Bakers Patrouille verfolgt worden. Diese Patrouille vernichtete er restlos. Aber dann begann der Spiegel-Telegraf der Armee zu arbeiten. Und schnelle Meldereiter brachten Meldungen von einem Punkt zum anderen.
Bald war eine starke Abteilung hinter Rothorn her, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, auch die beiden letzten Soldaten von Leutnant Bakers Patrouille zu erledigen, und deshalb die Berge umritt.
So passierte das alles.
Aber jetzt ist nur noch der Armee-Scout Chat Lorette hinter Rothorn her, um dessen geraubtes Gewehr in die Hand zu bekommen, die Golden Gun, wie Corporal Ben Garret diesen Spencer nannte.
Rothorn hat noch drei Krieger bei sich. Das findet Lorette im Verlaufe des Tages mühelos heraus. Alle vier Indianer sind mehr oder weniger schwer verwundet. Er erkennt es bei einer Wasserstelle an den unmissverständlichen Spuren. Er findet Blut und weggeworfene blutige Verbände. Schon allein die Tatsache, dass die vier Roten ihre Fluchtfährte kaum verbergen, deutet darauf hin, dass sie ihre Energie dafür nicht mehr verschwenden können, sondern sie allein nur noch auf das Vorwärtskommen ausgerichtet haben.
Als es Mittag wird, kann Lorette nicht mehr. Er bleibt zwei Stunden im Schatten einer von Felsen und viel Grün umgebenen Creekquelle und kühlt seinen Kopf. Manchmal stöhnt er. Der Wunsch, aufzugeben, wird immer stärker. Vielleicht hätte er diesem Wunsch nachgegeben, wenn er nicht für eine gute Stunde eingeschlafen und dann mit einem weniger schmerzenden Schädel wieder aufgewacht wäre.
Das gibt ihm Mut. Denn wenn zwei Stunden Ruhe genügten, die bösen Schmerzen im Kopf zu lindern, dann kann es doch wohl nicht so schlimm sein mit ihm, so denkt er.
Bevor er sich erhebt, ruft er sich noch einmal Corporal Garrets Worte ins Gedächtnis. Er hört ihn noch einmal sagen: »Rothorn war es. Er hat die Golden Gun des Sergeanten. Golden Gun – Plan auf dem Kolben – Goldader – hol dir die Golden Gun, Lorette!«
Das waren die Worte. Er wird sie nie wieder vergessen. Sie sind für immer in seinem Gedächtnis.
Und ihre Bedeutung ist ihm völlig klar. Er kann zwei und zwei zusammenzählen, denn nicht schwerer ist es.
Die beiden Soldaten waren irgendwo auf ihrem tagelangen Wege durch die Berge auf eine Goldader gestoßen und hatten – um sie später wiederfinden zu können – einen genauen Plan in den Gewehrkolben geritzt.
Ja, so einfach war es.
Und einen Plan braucht man. In den Bergen könnte sich eine Armee verstecken. Und eine gut verborgene Goldader würde vielleicht in hundert Jahren nicht gefunden.
Ja, er braucht das Gewehr mit dem Plan.
Jeder Kampf lohnt sich dafür, jedes Durchhalten, jedes Opfer und jede Quälerei des eigenen Körpers.
Und so ist er bald wieder bereit, keine Schonung gegen sich selbst zu üben, sondern trotz aller Schmerzen durchzuhalten.
Bisher hatte er noch keinen Hunger gespürt, nur immerzu Durst. Aber als er endlich aufsteht, tritt er an sein Pferd und holt aus seiner linken Satteltasche etwas Armee-Proviant hervor – Zwieback und getrocknetes Fleisch. Er beginnt zu essen und freut sich, dass es ihm schmeckt.
Dann trinkt er noch mal kräftig, lässt auch sein Pferd noch einmal Wasser saufen und reitet dann wieder auf der Fährte.
Jetzt geht es ihm etwas besser. Doch er weiß, dass er sich mit jeder Meile oder Stunde bald wieder schlechter fühlen wird.
Die Fährte führt am Nachmittag in eine Richtung, die darauf schließen lässt, dass Rothorns Dorf sich irgendwo am Südfork des Cheyenne River befinden muss.
3
Zwei Tage später sieht er das Dorf. Es liegt gut verborgen an einem Nebenfluss des Cheyenne River. Es ist ein schmaler Nebenfluss, kaum mehr als ein Bach.
Chat Lorette kennt den Namen des Creeks. Es ist der Wica Kanaska Creek. Er hat nur diesen indianischen Namen, benannt nach den roten Beerensträuchern, die überall am Creek wachsen. Aus diesen Beeren bereiten die Indianer seit Urzeiten roten Saft zum Färben und Malen.
Rothorns Dorf zählt etwa fünfzig Zelte. Nach der Faustregel kommen fünf Personen auf ein Zelt. Es leben also etwa zweihundertfünfzig Menschen dort in diesem Dorf, Frauen und Kinder natürlich eingerechnet.
Doch die Kriegerzahl hat sich ganz sicherlich arg dezimiert. Rothorn hat insgesamt gewiss an die vier Dutzend Krieger verloren.
Er kann auch noch nicht lange in seinem Dorf sein, denn die Totenklagen der Frauen tönen noch kräftig. Die ganze Totenfeier wird in der nun bald anbrechenden Nacht richtig stattfinden.