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G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 136 bis 140 der G.F. Unger Sonder-Edition:
Folge 136: Longhorn City
Folge 137: Mann im Blizzard
Folge 138: Verdammte Flagge
Folge 139: Gold King
Folge 140: Wiyan Wakan - Heilige Frau
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 890
Veröffentlichungsjahr: 2022
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Coverillustration: Manuel Prieto/Norma
ISBN 978-3-7517-2960-4
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Cover
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Sonder-Edition 136
Longhorn City
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
G. F. Unger Sonder-Edition 137
Mann im Blizzard
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
G. F. Unger Sonder-Edition 138
Verdammte Flagge
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
G. F. Unger Sonder-Edition 139
Gold King
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
G. F. Unger Sonder-Edition 140
Wiyan Wakan – Heilige Frau
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
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Contents
Longhorn City
1
Als der Zug mit kreischenden Bremsen anhält und das Scheppern der Wagen verklungen ist, herrscht einen Moment lang unwirkliche Stille.
Dann aber ruft draußen auf der Prärie eine heisere Stimme: »Longhorn City! Endstation! Ladys und Gentlemen, Sie sind in der jungen und fairen Stadt Longhorn City eingetroffen! Willkommen! Willkommen in Longhorn City!«
Es steigen knapp zwei Dutzend Menschen aus, und als sie sich auf der staubigen Kansas-Prärie umsehen, da bietet sich ihnen ein ziemlich trostloser und deprimierender Anblick.
Einer der männlichen Passagiere – wahrscheinlich ein Handelsvertreter – sagt mit bitter klingender Stimme: »O Vater im Himmel!«
Die anderen Passagiere stehen noch wortlos da und staunen.
Denn da drüben liegt die Stadt. Sie besteht aus einigen Dutzend Brettergebäuden und Hütten. Alles ist noch unfertig, eilig zusammengenagelt, primitiv. Einige Windräder drehen sich über Brunnen, aus denen sie mit Hilfe vom Pumpen ständig frisches Wasser heraufholen.
Wahrscheinlich wurde diese Stadt deshalb an dieser Stelle errichtet, weil es hier ein unterirdisches Quellensystem gibt, aus dem man unaufhörlich schöpfen kann.
Sicherlich wird Longhorn City bald schon eine grüne Stadt mit Gärten und Bäumen sein. Denn Wasser ist genug vorhanden, und es wird überall hingeleitet, auch zu zwei hölzernen Wassertürmen beim Bahnhof, aus denen die Lokomotiven versorgt werden.
Die Passagiere stehen immer noch wie angenagelt beim Eisenbahnzug auf der Prärie und sind dabei, ihre Enttäuschung zu überwinden.
Ein bullig und imposant wirkender Mann nähert sich ihnen. Es ist der Rufer von vorhin, der den Neuankömmlingen das freundliche »Willkommen in Longhorn City« entbot.
Nun verkündet er mit vertrauenerweckendem Lachen in der Kehle: »Es sieht nur auf den ersten Blick so trostlos aus. Man muss etwas Fantasie haben und sich vorstellen, wie das in einigen Wochen aussehen wird. Sobald hier genügend Geld im Umlauf ist, erblühen alle Knospen. Und Geld ist da! Viel Geld! In der Bank von Longhorn City liegen Hunderttausende von Dollars. Sie warten nur auf die Rinderherden. Stellt euch vor, Leute, was sein wird, wenn die ganzen Herdentreiber hier nach vielen Monaten Herdentreiben ihren Lohn ausgeben. Longhorn City wird einer Hafenstadt gleichen, zu der die Seeschiffe aus allen Erdteilen kommen, und die Besatzungen …«
»Schon gut, Sie brauchen uns nicht zu beschwatzen«, unterbricht ihn eine Stimme. »Uns interessiert nur, wann die Herden kommen mit ihren durstigen und nach all den menschlichen Sünden lechzenden Treibern. He, wann, Mister?«
»Mein Name ist Edward McCafferty«, sagt der so imposant wirkende Mann würdig und öffnet seine Jacke, damit man die schöne Brokatweste und die goldene Uhrkette bewundern kann, »Ich bin der Gründer dieser Stadt. Ladys und Gentlemen, ich werde dafür sorgen, dass diese Stadt für alle Bürger eine Goldgrube wird. Und nun zu Ihrer Frage, Mister. Blicken Sie mal nach Süden! Was sehen Sie dort über dieser wunderschönen Prärie, die wie ein Meer aus Gras vor Ihren Augen liegt? He, Leute, was ist da im Süden über den Bodenwellen zu erkennen?«
Sie alle wenden sich nach Süden.
Jemand sagt: »Staub! Da ist Staub, so wie man ihn vor wenigen Jahren noch sah, wenn die Büffelherden wanderten.«
»Longhorns!« Edward McCafferty ruft es triumphierend. »Die erste Longhornherde kommt! Morgen wird sie hier eintreffen. Und übermorgen verjubeln diese wilden, texanischen Cowboys ihren Lohn. Willkommen in Longhorn City, Ladys und Gentlemen. Ich bin für jeden Neubürger oder Gast in meinem Office zu sprechen.«
Er wendet sich nach diesen Worten um und geht zur Stadt hinüber.
Zwei Männer, die in einiger Entfernung warteten, schließen sich ihm an. Rechts und links einen Schritt hinter ihm flankieren sie ihn wie Leibwächter. Ja, es sind gewiss Leibwächter, Revolvermänner, die ihre Waffen in tief geschnallten Holstern tragen.
Die ausgestiegenen Passagiere setzen sich ebenfalls mit ihrem zumeist nur leichten Gepäck in Bewegung. Einige sind Handelsreisende, die hier auf gute Geschäftsabschlüsse hoffen für die verschiedensten Dinge, angefangen von Klavieren und anderen Musikinstrumenten bis zu Haushaltswaren und Waffen jeder Art.
Einige andere Passagiere – sie gehören zum sogenannten »Schwachen Geschlecht« – sehen so aus, als seien sie hergekommen, um hier das älteste Gewerbe der Welt auszuüben. Sie werden angeführt von einer dicken Frau wie eine Hühnerschar von einer fetten Ente.
Einige Männer sind offensichtlich Handwerker, die sich in der neugegründeten Stadt eine neue Existenz erhoffen. Sie haben ihre Frauen mit dabei. Sogar ein paar Kinder erkennt man unter den Neuankömmlingen.
Auch der Spieler Amos Scarlock kam nach Longhorn City, aber das ist mehr ein Zufall, weil er weiter im Osten auf den schon abfahrenden Zug springen musste, um einem Kampf aus dem Weg zu gehen. Sein Kartenglück war einigen Leuten, die zu der Sorte gehörten, die nicht verlieren kann, zu groß.
Amos Scarlock blickt zur Seite auf die schöne Jenna McGee, die bisher in einem anderen Wagen saß. Aber er sah sie mehrmals, wenn die Passagiere sich während der Aufenthalte auf den Bahnhöfen die Beine vertraten, beobachtete sie aus einiger Entfernung. Nein, er versuchte keine Annäherung.
Doch jetzt sagt er: »Nur Mut, Schwester, nur Mut! Diese armselige Stadt wird sich verdammt schnell verändern, so schnell wie …«
Er verstummt, so als würde ihm bewusst, dass er im Begriff ist, zu grob und zu unschicklich zu werden.
Aber die gelbhaarige Jenna McGee sieht ihm fest in die Augen und fordert: »Sprechen Sie den angefangenen Satz ruhig zu Ende, Mister. Ich bin sehr neugierig auf Ihre nächsten Worte. Gewiss sind sie ein treffender Vergleich. Also!«
»… wie aus einem Mädchen eine geldgierige und schamlose Dirne werden kann. Dies wäre ungefähr die zweite Hälfte meines angefangenen Satzes geworden, Schwester.«
Sie sieht ihn immer noch fest an.
Dann aber nickt sie leicht und erwidert: »Ja, so ist es wohl mit Städten dieser Art. Wir kennen uns aus, nicht wahr? Ich sah Sie in der kleinen Stadt in Missouri in letzter Sekunde diesen Zug erreichen. Es wirkte wie eine Flucht.«
Er grinst blinkend, und er ist ein dunkler, fast elegant wirkender, dennoch etwas indianerhaft aussehender Bursche mit grauen Augen.
»Es gibt immer Burschen, die nicht verlieren können«, sagt er dabei. »Ich hatte die Wahl.«
Er sagt nicht, was für eine Wahl er hatte; verzichtet auf jede Erklärung.
Aber sie weiß, was er meint. Er konnte bleiben und kämpfen – oder er musste die Flucht ergreifen. Und er tat Letzteres.
Doch sie glaubt nicht, dass er feige ist. Sie erkennt es in seinen Augen, spürt es mit ihrem untrüglichen Instinkt. Er wollte nicht töten, wollte kein Blut vergießen. Deshalb schwang er sich auf den abfahrenden Zug.
»Darf ich Ihr Gepäck tragen?« So fragt er und fügt hinzu: »Sie sehen ja, ich habe nicht einmal eine Tasche bei mir und werde mich hier erst einmal ganz neu ausrüsten müssen.«
»Ja, Ihr weißes Hemd ist schmutzig«, erwidert sie und wartet, bis er ihre beiden großen Reisekoffer aufgenommen hat.
»Vielleicht essen wir heute gemeinsam zu Abend«, spricht er an ihrer Seite auf sie nieder. Er ist sehr groß, sie aber für eine Frau nur mittelgroß. »Ich werde auch ein sauberes Hemd anhaben, Schwester. Mein Name ist Amos Scarlock. Und wie heißen Sie?«
Sie zögert einige Sekunden, und er weiß, dass sie jetzt darüber nachdenkt, ob sie ihm ihren richtigen oder einen falschen Namen sagen soll. Irgendwie spürt er, dass sie angefüllt ist mit Misstrauen gegen die ganze Welt.
Aber sein Instinkt sagt ihm, dass sie eine Glücksjägerin ist, wie er ein Glücksjäger und Spieler ist. Irgendwie gehören sie zur gleichen Sorte, sind nur unterschiedlichen Geschlechts. Und das gefällt ihm sehr. Er würde gern recht bald mit ihr im selben Bett liegen. Und er wird sich Mühe geben, diesen Zustand so schnell wie möglich herbeizuführen.
Sie sieht zu ihm auf und liest es in seinen Augen.
Aber sie ist daran gewöhnt, dass sie überall auf Männer trifft, die mit ihr etwas anfangen wollen. Es sind stets Männer mit außergewöhnlichem Selbstbewusstsein, niemals durchschnittliche Burschen. Letztere Sorte wagt sich gar nicht an sie heran. Und auch dieser Amos Scarlock ist kein nur durchschnittlicher Bursche. Sie spürt es. Und so denkt sie: Sicherlich ist es wieder einmal gut, wenn ich in solch einer Stadt einen Beschützer habe – zumindest für die ersten Tage.
Und so lächelt sie zu ihm empor und sagt: »Amos Scarlock, ich weiß, Sie wollen mich knacken, wie Sie schon viele Frauen geknackt haben. Aber das wird schwer sein. Denn ich lasse mich nicht mit jedem Burschen ein. Sie müssten sich schon als was ganz Besonderes erweisen.«
»Ich weiß.« Er grinst. »Oh, ich weiß. Ich steige ja auch nicht jeder Frau nach. Auch sie muss schon was Besonderes sein. Wir werden sehen, nicht wahr?«
»So ist es.« Sie lächelt. »Wir werden sehen.«
☆
Als sie nach dem Abendbrot beim Kaffee sind, kommt Edward McCafferty an ihren Tisch und setzt sich, ohne dazu aufgefordert oder eingeladen zu sein.
»Ich hätte sie auch in mein Office kommen lassen können«, beginnt er. »Doch bei einer so schönen Frau mache ich gerne eine Ausnahme. Davon profitieren jetzt auch Sie, mein Freund.«
Er sieht Amos Scarlock bei seinen letzten Worten an.
»Ich weiß es zu würdigen«, erwidert dieser lässig. »Und ich weiß inzwischen auch, wer der Boss in dieser Stadt ist, sozusagen der Bulle im Corral. Das ist fast überall so in einer Stadt wie dieser hier. Man muss den Königen Tribut zollen. Was also verlangen Sie, Mister McCafferty?«
Dieser grinst, doch in seinen gelben Augen ist keine Freundlichkeit, nur kalte Schlauheit und rücksichtslose Härte.
»Ein verständiger Bursche sind Sie, mein Freund«, murmelt er. »Ja, es ist meine Stadt. Hier ist der Endpunkt einer Nebenlinie. Ich habe mit der Eisenbahn einen Vertrag. Es geht darum, den anderen Verladestädten – zum Beispiel Dodge City und Abilene – möglichst viele Herden abzujagen. Deshalb muss diese Stadt den Herdentreibern etwas bieten. Verstehen Sie? All die wilden Burschen müssen hier die Sünden des Paradieses begehen können. Dann geben sie auch ihre Dollars hier aus. Ich habe in Longhorn City viel Geld investiert und muss an die Bosse und Eigentümer dieser Nebenlinie zahlen. Also muss ich nehmen, was ich bekommen kann. Und von Ihnen und dieser Lady nehme ich die Hälfte. Dafür bekommen Sie jeden Schutz in meiner Stadt, jeden! Verstanden? Ihr zwei habt Format. Ich kenne mich aus. Hier in Longhorn City zahlt jeder, der auf irgendeine Art Geld macht, die Hälfte seiner Einnahmen an mich. Ihr zwei könnt aber auch morgen schon wieder verschwinden. Ihr habt die Wahl.«
»Ich bleibe«, erwidert Amos Scarlock. »Ich wollte schon immer mal den Aufstieg einer jungen Stadt miterleben. Und ich weiß, dass Sie mein großer Gönner sind.«
»Ich bleibe ebenfalls«, spricht Jenna McGee ruhig.
Edward McCafferty starrt sie einige Atemzüge lang an. »Mit Ihrer Schönheit und unter meinem Schutz werden Sie bald die Königin dieser Stadt sein«, murmelt er. »Ich wette, Sie beherrschen nicht nur jedes Spiel mit Karten. Sie sind gewiss auch eine Frau, die auf der Bühne alle Zuschauer verzaubert. Ich sah es an Ihren Bewegungen und höre es an Ihrer Stimme. Sie sind Golden Jenna, nicht wahr?«
»Sie haben von mir gehört, Mister McCafferty?«
»In unserer Branche …«, beginnt er. Dann hält er inne und betrachtet sie abschätzend. »Sie sind weit weg von den beiden großen Strömen. Zuerst war der Mississippi zwischen New Orleans und Saint Louis Ihr Jagdrevier. Dann gewannen Sie ein Dampfboot und bevorzugten die Strecke zwischen Saint Louis und Kansas City. Ich sah Sie mal in Saint Louis in einer Kutsche vorbeifahren und fragte meinen Begleiter, wer die schöne Frau sei. Aber das ist schon drei Jahre her und war während des Krieges. Sie haben sich wenig verändert, Golden Jenna. Oh, Sie sind gewiss noch schöner geworden, aber doch wirken Sie irgendwie anders. Ich konnte Sie nicht sofort wiedererkennen. Sind Sie auf der Flucht?«
Es ist zuletzt eine ziemlich brutale Frage.
»Und wenn?« So fragte Jenna McGee zurück.
Da grinst McCafferty breit. »Was es auch ist, hier sind alle, die zu mir gehören und von denen ich profitiere, in Sicherheit. Sie werden das sicherlich bald zu schätzen wissen, Jenna. Ich darf sie doch Jenna nennen wie ein guter Freund? Und sagen Sie einfach nur Ed zu mir. Ich glaube, wir alle werden hier in Longhorn City eine schöne Zeit erleben.«
Nach diesen Worten erhebt er sich und blickt noch einmal auf Jenna McGee und Amos Scarlock nieder.
Und dann sagt er geradezu: »Jenna, ich glaube nicht, dass Sie mit ihm hier in dieser Stadt ins Bett gehen sollten. Ich würde es erfahren und eifersüchtig werden. Das wäre nicht gut.«
Nach diesen Worten wendet er sich ab und geht davon.
Sie blicken ihm schweigend nach und dann noch eine Weile auf die Tür, durch die er hinaus verschwand.
Dann murmelt Amos Scarlock: »Wir haben wohl beide einen Endpunkt erreicht, nicht wahr? Von hier aus geht es nur noch ins Indianer- und Büffelland. Die Frage ist: Wollen wir noch weiter flüchten oder uns stellen. Weil McCafferty sich eine Menge von uns verspricht, wird er uns beistehen. Doch das verpflichtet uns ihm gegenüber noch mehr. Wir stecken in einer Klemme, schöne Jenna. Oder sehe ich das falsch?«
Sie sieht ihn fest an, und er spürt, wie sehr ihr Instinkt an ihm tastet und in ihn einzudringen versucht. Ja, er spürt das fast wie eine körperliche Berührung.
»Sind Sie auch auf der Flucht?« So fragt sie schließlich.
Er hebt die Schultern, lässt sie lässig wieder sinken.
»Ja und nein«, erwidert er. »Es gibt da zwei Narren – Zwillingsbrüder –, die ich nicht töten möchte. Ich sagte es schon, Jenna, nicht wahr? Es gibt immer wieder Burschen, die nicht verlieren können. Und auch dieser McCafferty gehört zu dieser Sorte. Wollen Sie bleiben, Jenna?«
»Und wenn nicht?« Sie fragt es herausfordernd.
Er lächelt sie an.
»Dann ginge ich mit Ihnen, Jenna. Sie sind zu schön und zu reizvoll, um Sie allein zu lassen. Und auch hier in Longhorn City würde ich mich einen Teufel darum scheren, ob McCafferty eifersüchtig auf mich wird oder nicht.«
Sie betrachtet ihn ernst.
Und sie revidiert ihre anfängliche Einschätzung. Sie weiß plötzlich, dass er nicht aus Feigheit und Furcht in der kleinen Stadt am Missouri auf den Zug sprang, um in letzter Minute entkommen zu können.
Nein, es war keine Furcht. Er wollte nur nicht zwei Narren töten müssen.
Das glaubt sie ihm.
»Draußen ist eine linde und helle Nacht«, murmelt sie. »Machen wir einen Spaziergang durch Longhorn City und sehen wir uns die Stadt einmal im Mond- und Sternenschein an. Morgen kommt die erste Treibherde. Und übermorgen ist hier der Teufel los. Heute ist noch alles ruhig. Kommen Sie, Amos.«
Sie erheben sich und gehen hinaus.
Longhorn City wirkt friedlich und still. Überall sind Lichter, besonders beim Verladebahnhof.
Über der Kansas-Prärie wölbt sich der samtene Nachthimmel mit türkisfarbenen Sternen, überall darin verstreut.
Und der volle Mond ist eine blanke Silberscheibe.
Doch aus Texas sind jetzt viele Treibherden unterwegs.
Und deren Treibmannschaften haben vier oder fünf Monate nichts als Rinder getrieben durch alle sieben Höllen.
2
Es ist am nächsten Mittag, als von Osten her zwei Loks eine endlose Reihe leerer Viehwagen an die Verladerampen beim Bahnhof schieben.
Aber zu diesem Güterzug gehören auch zwei Personenwagen, die weitere Reisende nach Longhorn City bringen, Viehaufkäufer zum Beispiel, die fast alle bewaffnete Leibwächter bei sich haben, da sie stets viel Bargeld mitführen.
Denn alle Texas-Mannschaften wollen Bargeld sehen. Sie nehmen keine Schecks, weil es dort, von wo sie herkommen, keine Bankhäuser gibt, bei denen sie die Schecks einlösen könnten.
Es kommen aber auch noch andere Reisende. Und zwei dieser Reisende sind unverkennbar Zwillingsbrüder.
Amos Scarlock lehnt an einem Telegrafenmast, von dem aus die Leitung in das Bahnhofsgebäude geht.
Als die Parkinsonbrüder ihn erblicken, halten sie inne.
Einer sagt aus dem Mundwinkel zum anderen: »Da ist er ja.«
»Und er läuft nun nicht mehr weg. Der hat auf uns gewartet«, sagt der andere.
Sie verharren noch einige Sekunden.
Bisher fühlten sie sich als Jäger, die hinter einem flüchtigen Wild her sind. Nun aber spüren sie etwas anderes. Es ist der Atem von Gefahr, der gegen sie prallt und von diesem Scarlock ausgeht. Nun spüren sie ihn zum ersten Mal.
Oh, sie sind zwei harte Burschen, die sich vor nichts fürchten. Und weil sie Zwillinge sind, gehen sie alles gemeinsam an, was es auch ist.
Fast zur gleichen Zeit und auf die gleiche Art lecken sie sich über die Lippen und fahren mit ihren Händen über ihre Stoppelbärte.
Dann aber haben sie sich entschlossen und setzen sich wieder in Bewegung.
Etwa sechs Yards vor Scarlock halten sie an.
Und einer sagt heiser: »Jetzt haben wir dich, du Kartenhai. Unser kleiner Bruder hat sich eine Kugel durch das Hirn geschossen, nachdem er den Erlös für die Pferde an dich verlor – das ganze Geld, das er zur Bank bringen sollte, damit wir endlich schuldenfrei würden mit unserer Farm.«
»Er war alt genug«, erwidert Amos Scarlock. »Und ihr musstet ihn doch kennen, wenn ihr ihm euer Geld anvertraut habt. Er besaß also euer Vertrauen. Und auch ich hielt ihn für einen Burschen, der genau wusste, was er tat. Ich bin jetzt weit genug vor euch weggerannt. Haut ab! Kehrt heim!«
»Nein!« Sie zischen es beide zur gleichen Zeit, und es ist ihr gemeinsames Zeichen zum Ziehen.
Aber noch bevor sie ihre Revolverläufe hochschwingen und auf Scarlock richten können, schießt dieser zweimal. Er zog unwahrscheinlich schnell. Es war wie Zauberei. Die beiden Zwillingsbrüder kamen gar nicht mehr zum Schuss.
Einer dreht sich halb zur Seite, bevor er umfällt.
Der andere fällt auf die Knie, lässt dabei den Colt fallen und hält sich beide Hände gegen den Leib, so als könnte er dadurch verhindern, dass ihn das Leben verlässt.
Es ist still am Bahnhof.
Die Menschen, die eben noch in Bewegung waren, verhalten.
Amos Scarlock wartet, den rauchenden Colt in der Faust.
Edward McCafferty, der wie immer bei Ankunft eines Zuges am Bahnhof ist, um die ankommenden Reisenden zu begrüßen und sich eingehend anzusehen, kommt mit seinen beiden Leibwächtern heran. Er verhält nicht bei den Zwillingsbrüdern, die tot oder sterbend im Staub liegen, sondern kommt bis zu Scarlock. Ganz dicht tritt er an ihn heran und blickt aus nächster Nähe in dessen Augen.
»Ich habe es gesehen, Scarlock. Die hatten keine Chance.«
»Ich weiß«, erwidert Scarlock. »Deshalb lief ich ja auch vor ihnen weg, so weit mir dies möglich war. Passt Ihnen etwas nicht, McCafferty?«
Dieser tritt langsam zurück.
»Sie haben in meiner Stadt getötet«, sagt er. »Aber ich sehe ein, dass Sie dazu gezwungen wurden. Der Town Marshal wird ein Protokoll anfertigen müssen. Doch Sie können auf meine Zeugenaussage rechnen. Nur eines möchte ich Ihnen sagen, Scarlock.«
Er macht wieder eine kleine Pause und tritt noch einmal ganz nahe an ihn heran.
Und dann spricht er so leise, dass nur Scarlock es hören kann: »Benutzen Sie Ihren schnellen Colt nur nie gegen meine Interessen, mein Freund. Ich warne Sie! Denn sonst …«
Er spricht die Warnung oder Drohung nicht aus.
Doch Scarlock kann sie in McCaffertys Augen erkennen. McCafferty wartet nicht auf eine Antwort.
Er wendet sich ab und ruft einem Mann, der die Plakette eines Bahn-Marshals trägt, mit ruhiger Stimme zu: »Schafft sie weg! Ich will nicht, dass hier in Longhorn City tote Narren herumliegen. Schafft sie weg, Jennings!«
»Yes, Sir«, erwidert der Bahn-Marshal.
Scarlock wendet sich ebenfalls ab, schiebt dabei seinen Colt ins Holster und erblickt Jenna McGee. Sie sitzt auf einem Pferd, das sie sich offenbar für einen Ausritt aus dem Mietstall geholt hat. Er nähert sich ihr, und als er bei ihr verhält, da erkennt sie etwas in seinen Augen.
Impulsiv sagte sie: »Wenn Sie sich im Mietstall ein Pferd leihen, dann warte ich auf Sie. Oder wollen Sie jetzt allein sein, Amos Scarlock?«
Er schüttelt langsam den Kopf.
Dann sagt er: »Ja, ich leihe mir ein Pferd. Reiten Sie langsam voraus. Ich welche Richtung muss ich Ihnen folgen?«
»Nach Süden. Ich will die Treibherde sehen.
☆
Er trifft sie etwa zwei Meilen vor der Stadt auf dem Kamm einer Bodenwelle, von der aus man einen weiten Blick über die Prärie hat. Der Wind bewegt das von der Sonne ausgetrocknete Büffelgras. Man glaubt, inmitten eines unendlichen Ozeans zu sein, denn die Prärie reicht bis zum Horizont, und nur eine riesige Staubwolke bietet dem Auge Halt. Es ist Spätsommer, der bald in den Indianersommer übergehen wird, und es liegt bereits eine Ahnung des kommenden Herbstes in der Luft.
Jenna späht zur Treibherde hinüber, die da von Süden herangezogen kommt. An der Spitze fährt der Wagen des Kochs, dahinter noch ein zweiter Wagen, der die Ausrüstung, die Bettenrollen und andere Dinge der Mannschaft transportiert.
Ein Stück hinter den Wagen führen zwei Reiter den mächtigen Leitstier, einen richtigen Mossyhorn.
Und ihm folgt die Herde. Es ist ein gewaltiger Keil von knochigen Rücken und klappernden Hörnern. Sie kommen daher wie ein unaufhaltsames Element, flankiert von ihren Treibern.
»Sie kommen fünfzehnhundert Meilen von Texas herauf«, murmelt Jenna. »Was alles haben sie hinter sich gebracht und überwinden müssen. Bis die erst mal am Red River waren … Oh, und dann mussten sie durch das Indianerterritorium, durch den Canadian – nein, zuvor noch durch den Washita! – und schließlich durch den Cimarron. Amos, da kommen Ritter der Weide mit zehntausend Rindern und mehr als fünfhundert Pferden. Sehen Sie sich das an. Es ist gewaltig, einfach gewaltig. Zehntausend gehörnte Biester kommen fünfzehnhundert Meilen weit von Texas herauf durch alle sieben Höllen. Mein Gott, und wir werden diesen Reitern bald ihr hart verdientes Geld abnehmen.«
»So ist es«, erwidert er. »Wenn wir es nicht tun, dann tun es andere. Und jeder Mensch auf dieser Erde ist sein eigener Hüter. Was ist falsch daran?«
Sie gibt ihm keine Antwort, starrt nur hinüber.
Aber auch er spürt etwas, wird in seinem Innern irgendwie angerührt. Es kommt herüber von dieser Herde und deren Treibern. Er ahnt etwas vom Mut, von der Zähigkeit und dem harten, entbehrungsreichen Leben dieser Männer.
Und er begreift in dieser Minute erst so richtig, wie ausgehungert sie sein müssen nach allen Sünden, nach Spiel und Vergnügen, nach Feuerwasser und Frauen.
Das kann gar nicht anders sein.
Denn diese Reiter da gleichen Seefahrern, die nach endloser Reise durch Stürme und Todesnot endlich in einen Hafen kommen. Und immer wieder malten sie sich in Gedanken aus, was alles sie tun werden, wenn sie ihr Ziel erreicht haben, wenn sie die verdammten gehörnten Biester endlich los sind und die Hölle des Herdentreibens endlich überstanden ist.
»Ich wurde auf einer Rinderranch in Texas geboren«, spricht Jenna plötzlich heiser. »Texas war damals noch eine Republik und gehörte noch nicht zur Union. Zur Union kam es erst vor zweiundzwanzig Jahren. Rinder und Pferde, dies war damals mein Leben, bevor ich mit fünfzehn fortlief, weil man mich mit einem Mann verheiraten wollte, der mein Vater hätte sein können. Damals hasste ich Rinder und Pferde. Heute ist es anders.«
Sie erschrickt, so als hätte sie sich bei einem Selbstgespräch ertappt, das niemand hören sollte.
Sie sieht Amos an.
»Wir sind Spieler geworden, Glücksjäger, Abenteurer. Und du hast getötet, Amos. Hast du schon viele Männer getötet? Ich sah dich ziehen und schießen. Du könntest es mit den schnellsten Revolvermännern des Westens aufnehmen. Belastet dich der Tod deiner Gegner? Sag es mir! Sprich mit mir darüber, wenn es dich belasten sollte und du reden möchtest. Sprich mit mir wie zu einer Schwester. Oder lässt der Tod eines Menschen dich kalt? Das glaube ich nicht. Denn warum sonst wärest du vor diesen beiden Männern fortgelaufen?«
Er dreht den Kopf und sieht sie aus nächster Nähe an. Er kann in ihren Augen eine Menge Wissen erkennen – und Teilnahme.
»Es ist eine verdammte Sache«, hört er sich murmeln. »Ja, ich habe schon oft gekämpft und getötet, vor allen Dingen im Krieg – doch auch schon vorher, weil ich zu einer Sippe in Tennessee gehörte, die mit einer anderen Sippe in Fehde lag. Schon als halbwüchsige Jungen mussten wir kämpfen und töten in den Bergen von Tennessee. Und in den einsamen Nächten erscheinen mir besonders nach solch einem Kampf immer wieder die Gesichter der Getöteten. Es ist dann, als winkten sie mir aus der Hölle zu und sagten mir, dass ich bald bei ihnen sein würde.«
»Dann wirst du in der kommenden Nacht nicht allein sein«, erwidert sie, und er erkennt in ihren Augen, dass sie es ernst meint.
»Denn es wird die letzte Nacht sein«, spricht sie weiter, »die wir im Bett verbringen können. Die nächsten Nächte werden wir am Spieltisch verbringen. Oder fürchtest du dich, weil du Ed McCaffertys Warnung hörtest?«
»Zur Hölle mit ihm«, erwidert er.
Sie nickt.
Dann ziehen sie beide ihre Pferde mit den Nasen nach Norden und reiten zur Stadt zurück. Sie sprechen nicht viel. Manchmal halten sie an und blicken in die Runde.
Die Kansas-Prärie reicht überall bis zum Horizont.
Nur der Bahnhof, die langen Reihen der Viehwagen an den Laderampen und auf den Abstellgleisen und die Bretterstadt mit ihren Windradpumpen und den beiden Wassertürmen unterbrechen das eintönige Bild.
Longhorn City.
Es wird erst noch richtig zum Leben erwachen.
Und viele Schicksale werden sich nach dieser oder jener Richtung hin erfüllen.
Longhorn City wartet auf die blanken Dollars.
Und es wird alles tun, um sie auf irgendeine Art zu bekommen.
☆
In der Nacht, als Jenna in seinen Armen liegt und ihm all ihre Zärtlichkeit gibt, um ihn vergessen zu lassen, dass er wieder einmal töten musste, dringt von den Verladecorrals am Bahnhof das unablässige Brüllen der Rinder zu ihnen ins Zimmer.
Es ist, als lagerte ein gewaltiges Untier mit Tausenden von Mäulern dicht bei der Stadt. Im Morgengrauen beginnt dann das Verladen. Nun wird das Brüllen noch lauter. Dazwischen hört man das Geräusch der aneinanderstoßenden Wagen, wenn die Loks sie weiterschieben. Pfiffe gellen, Kommandos hallen, Treiber schreien, und alles ist ein ständiger Lärm.
Dieser Lärm wird erst wieder verklingen, wenn der Winter kommt und ein Durchqueren der Kansas-Prärie unmöglich macht.
Longhorn City selbst aber kam noch nicht in Gang.
Erst müssen die Rinder verladen und die Löhne ausgezahlt sein.
Doch dann …
Jenna denkt über den Mann nach, der sie in den Armen hält und dem sie Vergessen schenkt. Er ist ein unheimlich schneller Revolvermann. Wird er ihr helfen können, wenn sie Hilfe braucht? Und sie wird gewiss Hilfe brauchen, auch gegen Ed McCafferty. Denn dieser will sie haben.
Auch Amos Scarlock denkt in dieser Nacht nach über Jenna, die er in den Armen hält und die ihm das Paradies bereitet.
Warum kam sie nach Longhorn City, an das Ende eines Schienenstranges, der nur deshalb tief in die Kansas-Prärie hineingezogen wurde, um den Viehverladebahnhöfen von Dodge City und Abilene die Rinderherden wegzufangen, die von Texas her heraufgezogen kommen.
Bis nach Dodge City oder Abilene ist der Treibweg noch ein bis zwei Wochen länger. Longhorn City hat also die besseren Chancen.
Aber warum kam Golden Jenna hierher?
Überhaupt ihr Name … Golden Jenna! Was bedeutet er? Nannte man sie auf dem Mississippi so wegen ihres goldfarben glänzenden Haars? Oder bedeutet der Name Golden Jenna so etwas wie Goldelster? Ist sie eine Frau, die hinter funkelnden und kostbaren Dingen her ist wie eine diebische Elster? Ist sie scharf auf reiche Beute, auf Geld, Gold, Juwelen?
Und ist sie auf der Flucht?
Wenn Letzteres der Fall sein sollte, dann scheint sie hier eine sichere Zuflucht gefunden zu haben.
Denn Edward McCafferty, der Boss dieser Stadt, würde sie beschützen. Allerdings nur, wenn sie bereit ist, mit ihrem Körper den vollen Preis an ihn zu zahlen. Das ist sicher.
Denn McCafferty will sie haben. Das war von Anfang an klar.
Doch warum ließ sie sich in dieser Nacht mit ihm, Amos Scarlock, ein?
Wenn McCafferty das herausbekommt, wird er ihn dafür bestrafen. Denn er hat ihn gleich am Anfang gewarnt und die Regeln somit genau festgelegt.
Ließ Jenna sich mit ihm in dieser Nacht ein, weil er für sie eine Art »Rückversicherung« sein soll, weil sie ihn verpflichten will für spätere Hilfe?
Diese Fragen und Gedanken gehen ständig durch seinen Kopf.
Und er stellt sich die Frage, ob er ihr gegen Edward McCafferty helfen würde, falls sie eines Tages diese Hilfe brauchte
Denn darauf läuft es wohl letztlich hinaus.
Er versucht Klarheit in dieser Frage zu gewinnen. Doch er findet darauf keine ehrliche Antwort. Um für eine Frau zu kämpfen und gleichsam Kopf und Kragen für sie zu riskieren, muss sie ihm mehr geben als ihren Körper für eine Nacht.
Scarlock glaubt schon lange nicht mehr an das Gute im Menschen und schon gar nicht bei den Frauen.
Und deshalb kann er auch nicht glauben, dass Jenna ihn liebt. Das ist einfach undenkbar, in der kurzen Zeit, da sie sich kennen. Und wahrscheinlich kann eine Frau wie Jenna überhaupt nicht mehr mit dem Herzen lieben. Und für ihn gilt wohl dasselbe. Das Leben hat ihn in eine viel zu grausame Schule genommen.
Sie werden sich hier höchstens zusammentun wie ein jagendes Pärchen.
Damit folgen sie ihrem Instinkt, der ihnen sagt, dass sie zusammenhalten müssen. Diesem Instinkt gehorchen sie.
Und deshalb liegen sie diese Nacht zusammen im Bett und schenken sich Zärtlichkeiten.
Das ist es, nicht mehr und nicht weniger.
Liebe kann es nicht sein.
3
Als die Herde nur noch eine Meile von den Verladecorrals des Bahnhofs entfernt ist, reitet Vance Kellog – der Herdenboss – ein Stück voraus.
Bei den Corrals trifft er auf eine Gruppe von Männern, die sich wie seriöse Geschäftsleute gekleidet haben, aber allesamt hartgesottene und skrupellose Blutsauger sind. Als Vance Kellog sein staubiges Pferd von ihnen verhält, hebt einer der Männer die Hand und tritt einen Schritt vor.
»Sind Sie der Herdenboss?« So fragt er.
»Mein Name ist Vance Kellog. Ja, ich bin der Herdenboss. Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Daniels, Herb Daniels. Wir alle sind Viehaufkäufer für unsere Auftraggeber im Osten. Die Gentlemen haben mich zum Sprecher gewählt. Denn wir haben beschlossen, uns nicht gegenseitig zu überbieten, sondern Ihre Herde unter uns aufzuteilen. Es wird unter uns also keinen Konkurrenzkampf geben, Mister Kellog. Wir sind bereit, zehn Dollar für jedes Tier zu zahlen. Und zwanzig Dollar für jedes Pferd Ihrer großen Remuda. Wenn Sie unser Angebot nicht annehmen, müssen Sie weiter nach Norden bis Dodge City oder Abilene treiben.«
Vance Kellog ist ein hagerer, sehniger, fast weißblonder Texaner mit leuchtend blauen Augen. In seinem Gesicht sind einige Narben.
Und dieses Männergesicht verzieht sich nicht, zeigt keine Regung, gar nichts. Nur seine leuchtenden blauen Augen funkeln amüsiert.
»Na gut, Gentlemen«, spricht er vom Pferd herunter, »dann treibe ich eben weiter nach Dodge City. Wir sind schon vier Monate unterwegs. Da kommt es auf eine Woche mehr auch nicht an. Es hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Gentlemen.«
Er zieht sein Pferd herum und reitet den Weg zurück, den er gekommen ist.
Die Gruppe der Viehaufkäufer sieht ihm stumm nach.
»Der blufft doch nur«, grollt eine Stimme.
»Sicher, der blufft und will, dass wir ihn zurückrufen«, sagt eine andere.
Aber ein dritter Mann spricht bedächtig: »Wahrscheinlich nicht, Leute. Der Bursche ist ein hartgebrannter Texaner, ein Herdenboss. Der musste schon zu oft Farbe bekennen und hat sich deshalb das Bluffen abgewöhnen müssen. Der zieht mit seinen gehörnten Biestern an Longhorn City vorbei. Und wenn wir das zulassen, bekommen wir Ärger mit Mister McCafferty und all den anderen Geschäftsleuten dieser Stadt. Die warten darauf, dass die Kuhtreiber unser Geld bei ihnen ausgeben.«
Der Mann steckt nach diesen Worten zwei Finger in den Mund und stößt einen lauten Pfiff aus.
Vance Kellog aber reagiert nicht.
Und da beginnt die ganze Gruppe zu pfeifen und zu rufen.
Nun gebärden sie sich alle ziemlich wild, so als hätten sie plötzlich die Hosen voll, weil sie fürchten müssen, dass ihnen ein gutes Geschäft entgeht.
Vance Kellog ist schon einen Steinwurf weit entfernt, als er endlich anhält. Er zieht sein Pferd zur Seite, hält die linke Hand wie eine Muschel hinter das Ohr und ruft: »Was ist denn?«
»Elf Dollar!« So brüllt einer der Viehaufkäufer.
Vance Kellog will sein Pferd wieder der heranziehenden Herde zuwenden.
»Zwölf Dollar!« So brüllt eine andere Stimme.
Da hält Kellog in der Bewegung inne.
»Dreizehn!«, fordert er hart.
Da fluchen sie, heulen wie eine Horde Indianer oder Derwische. Alle Seriosität ist dahin. Trotz des ernsten und ehrenhaften Eindrucks, den sie vorhin in ihrer Kleidung machten, sind sie eben nur eine wilde Bande gieriger Kerle, die sich um ihren Profit gebracht fühlen.
Aber ihr Zorn ist schnell verraucht und ihr Sprecher Herb Daniels ruft: »Abgemacht! Dreizehn Dollar!«
»Und für jedes Pferd der Remuda fünfundzwanzig Dollar!«, kommt es von Vance Kellog zurück.
Wieder heulen sie auf, geraten sich gegenseitig in die Haare, sehen aber schließlich ein, dass Vance Kellog in der stärkeren Position ist. Zähneknirschend geben sie nach. 1)
Vance Kellog winkt zur Herde hin, die inzwischen näher kam, angeführt von den beiden Wagen und dem mächtigen Leitstier.
Die Männer verstehen sein Winken und erwidern es.
Die Herdenspitze ändert nur ein wenig ihre Richtung. Jetzt sieht es nicht mehr so aus, als würden zehntausend Tiere an der Stadt vorbeiziehen. Jetzt ziehen sie genau zu den Verladecorrals bei den Laderampen hinüber, in denen gefüllte Wassertröge auf die durstigen Tiere warten und wo auf dem Schienenstrang eine endlose Reihe leerer Viehwagen der Eisenbahn steht.
Kellog kommt zu den Viehaufkäufern zurückgeritten.
»Wir haben eine Verlade- und Zählmannschaft«, sagt Herb Daniels, und nun wirken sie alle wieder wie seriöse Geschäftsleute, die durch nichts aus der Ruhe zu bringen sind und niemals die Beherrschung verlieren. »Aber Ihre Treiber müssen unseren Männern natürlich beim Verladen helfen. Für unsere Verlade- und Zählmannschaft ist dies alles noch zu neu. Die Leute müssen sich erst einarbeiten.«
»Sicher, wir helfen.« Kellog grinst. »Für drei Dollar pro Mann und Tag helfen meine Männer und bringen es euren Leuten bei, wie man mit gehörnten Karnickeln umgehen muss.«
Nun starren sie ihn feindlich an. Und ihr Schweigen ist irgendwie knirschend, böse, drohend.
»Sie sind ein harter Bursche«, spricht Herb Daniels schließlich. »Sie machen wohl niemals irgendwelche Konzessionen?«
Vance Kellogs Gesicht bleibt unbeweglich.
»Ihr Yankees habt den Süden besiegt«, sagt er. »Und die Sieger kannten keine Gnade in Texas. Sie plündern uns immer noch aus. Wenn wir unseren Rindersegen nicht hätten, würden die Yanks bald mit Hilfe der Steuereintreiber ganz Texas aufkaufen. Weshalb sollte ich Konzessionen machen, wenn dies auch uns gegenüber niemand tut! Zahlt oder lasst es bleiben.«
Sie hören seine Worte und schlucken.
Und weil sie Yankees sind, keine Südstaatler also, beginnen sie ihn zu hassen, so wie die meisten Yankees die Rebellen der Südstaaten hassen.
☆
Doch müssen sie Geschäfte mit ihnen machen.
Vance Kellog will sein Pferd wenden, doch da kommt Edward McCafferty in einem leichten Zweirädrigen angefahren.
»Willkommen, Texas!«, ruft er salbungsvoll wie ein Prediger, der seine Gemeinde in der Kirche begrüßt. »Willkommen, ihr prächtigen Herdentreiber! Seht diese Stadt! Wir tauften sie Longhorn City. Denn diese Stadt lebt von den Longhornherden, die mutige Männer wie Sie, Mister, zu unserem Verladebahnhof treiben. Wir sind Partner, Mister, Geschäftspartner, die es bald zu großem Wohlstand bringen werden. Die Stadt empfängt jeden Texaner als Freund. Sie wird fair sein und euch jeden Wunsch erfüllen. Willkommen also!«
Vance Kellog betrachtet den massigen Mann in dem gut gefederten Wagen, der von zwei prächtigen Rappen gezogen wird.
»Wenn diese Stadt wirklich fair ist, wird es keinen Ärger geben«, spricht er ruhig. »Das alles wird sich noch zeigen.«
Er reitet davon. Denn er muss seiner Mannschaft noch eine Menge Befehle geben. Es wird seinen Männern wenig gefallen, dass sie der Verlade- und Zählmannschaft der Viehaufkäufer helfen müssen, weil es dieser Crew noch an Erfahrung mit halbwilden Longhorns fehlt.
Die Viehaufkäufer blicken ihm nach. Dann richten sich alle Augen auf Edward McCafferty. Herb Daniels, ihr Sprecher, sagt wie ein Mann mit böser Vorahnung: »McCafferty, wenn diese Texaner alle so sind, dann wird die Stadt ihnen gehören – oder sie machen sie klein.«
»Solange sie zahlen«, grinst McCafferty, »haben sie alle Freiheiten. Denn je mehr sie sich amüsieren, umso mehr spricht sich das unter den Treibmannschaften herum. Dann kommen sie mit ihren Herden zu uns. Und das wollen wir doch alle, nicht wahr?«
Er macht eine kleine Pause und hebt schon die Zügel. Dann aber fällt ihm noch etwas ein. Und so sagt er: »Und vergesst nicht, Gentlemen, eure Abgaben an mich zu entrichten. Ich bekomme für jedes von euch gekaufte Rind einen Dollar. Und meine Männer zählen genau. Wer nicht redlich zahlt, den jage ich aus meiner Stadt.«
Er fährt davon.
Sie starren ihm schweigend nach.
»Die Welt ist verdammt rau und wird immer schlimmer«, murmelt einer. »Zuerst dieser harte Texaner – und jetzt dieser geldgierige Städtegründer …«
»… der wiederum von der Bahngesellschaft gemolken wird«, vollendet ein anderer den Satz.
»Aber man kann sich wehren«, spricht ein dritter.
Wie auf Kommando wenden sie sich ihm zu.
»Wie denn, Spade, wie denn?« Jemand fragt es fast herausfordernd.
»Das müssten wir noch miteinander besprechen«, murmelt Spade. »Jedenfalls sollten wir schon mal in dem einen Punkt übereinstimmen, dass wir uns nicht einfach ausplündern lassen dürfen. Denn der Dollar, den wir McCafferty für jedes gekaufte Rind zahlen sollen, wird vermutlich genau der Dollar sein, den wir an der Sache verdienen. Denn wir können die hier gekauften Rinder unseren Auftraggebern im Osten nicht teurer weiterverkaufen als unsere Konkurrenz in Dodge City und Abilene. Das ist es, nicht wahr? Ihr wisst doch, wie knapp wir kalkulieren mussten, und wenn das ganze Rindergeschäft sich für uns zu guter Letzt als Zuschussunternehmen herausstellen sollte, dann bedanke ich mich dafür. Also müssen wir uns was einfallen lassen, nicht wahr!«
Sie sehen diesen Spade an, und sie sehen einen harten Mann, einen Burschen, der gewiss schon oft riskante Geschäfte machte und dabei – besonders während des Krieges – über Leichen ging.
Sie begreifen, dass ein Bursche wie Spade sich nicht so einfach rasieren lässt wie ein dämlicher Hammel.
Und plötzlich nicken sie alle. Denn sie alle wollen Gewinn machen.
»Ja, wir müssen uns was einfallen lassen«, sagt jemand.
☆
In dieser Nacht erhält die Stadt Longhorn City zum ersten Mal einen Vorgeschmack von dem, was ihr von jetzt an Tag und Nacht bis zum Winter bevorsteht.
Zehntausend Longhorns brüllen in den Corrals, auf den Laderampen und in den Viehwagen, die sich in einer schier endlos erscheinenden Schlange immer weiter in die Prärie hinausschieben. Staub wirbelt überall. Das Gebrüll der Rinder ist gewaltig.
Die Tiere gebärden sich in den engen Waggons wie verrückt, verletzen sich gegenseitig mit ihren spitzen Hörnern. Gewiss, sie wurden ausgiebig getränkt, doch der Hunger quält sie, und irgendwie spüren sie eine instinkthafte Angst.
Durch das orkanartige Brüllen tönen die Pfiffe der Loks, hört man das Stoßen und Scheppern der Wagen.
Dieser Lärm wird wie der Staub von nun an Tag und Nacht über der Stadt hängen. Sie alle hier werden damit leben müssen.
Und noch ein anderer Lärm wird bald sein, nämlich der Lärm der Herdentreiber, von denen sich nicht wenige genauso wild gebärden werden wie ihre Rinder.
Noch verharrt die Stadt, wartet auf das große Geschäft.
Am nächsten Tag werden die Rinder verladen sein und die Treiber ihren Lohn bekommen.
Und dann …
☆
Amos Scarlock rollt sich auf die Seite. Er findet keinen Schlaf mehr. Draußen dämmert der Morgen, und die Verlademannschaften haben mit dem Verladen der Rinder begonnen.
In der kommenden Nacht werden sie arbeiten.
Scarlock wird an einem Pokertisch auf Spieler warten.
Jenna wird im Longhorn Saloon auf der Bühne singen und sich dabei als schöne und begehrenswerte Frau zeigen. Den ganzen Tag über wird sie mit der Musikkapelle und mit einigen Tanzmädchen üben und ein Programm aufstellen.
Zwischen ihren Auftritten wird auch Jenna am Spieltisch sitzen. Gewiss werden sich viele Männer nach einem Spiel mit ihr drängen, weil sie so die Möglichkeit haben, in die Nähe der schönen Frau zu gelangen, die sie zuvor auf der Bühne bewundern konnten.
Ja, so wird alles sein.
Und die Hälfte ihres Gewinns müssen sie an Edward McCafferty abgeben. Denn er ist der Boss von Longhorn City.
Die Sonne scheint schon ins Zimmer, als auch Jenna neben ihm wach wird. Er merkt es an ihren veränderten Atemzügen. Langsam dreht sie ihm ihr Gesicht zu.
»Kannst du nicht schlafen?« Ihre Stimme klingt besorgt. »Warum kannst du nicht schlafen, Amos. Komm, sag es mir!«
»Ich weiß es nicht. Mir gehen wohl zu viele Gedanken durch den Kopf.«
»Ja, das wird es wohl sein. Auch ich habe in dieser Nacht lange wach gelegen und musste nachdenken.«
»Worüber musstest du nachdenken, Jenna? Ich wüsste es gerne!«
»Ich musste darüber nachdenken, wie entwürdigend es ist, sich von einem Burschen wie McCafferty derart ausbeuten zu lassen. Von jedem Dollar, den wir verdienen, fordert er die Hälfte. Wenn wir auf seine Forderung eingehen, machen wir uns zu seinen Sklaven. Ich könnte schäumen vor Wut, wenn ich nur daran denke!«
»Ich auch, Jenna.«
»Und du willst nichts dagegen tun, Amos?«
»Nicht sofort, Jenna, nicht sofort. Vielleicht später. Das hat noch Zeit. Lassen wir ihn doch erst einmal alles Geld in seinen Geldschrank stopfen. Dort ist es sogar viel sicherer als bei uns. Später können wir immer noch überlegen, wie wir uns unseren Anteil zurückholen. Mach dir keine Gedanken mehr, Jenna. Das erledigen wir irgendwann. Erzähl mir lieber, wovor du weggelaufen bist. Die Männer, die ich auf der Fährte hatte, sind gekommen. Es gibt sie nicht mehr. Aber welche Schatten folgen deiner Fährte?«
Er fragt es ernst.
Und weil er sie inzwischen in den Arm nahm, kann er spüren, dass sie zittert.
»Ein Mann mit Namen Squirre ist hinter mir her – ein Schiffseigner vom Mississippi, dem ich ein Messer in den Leib stieß, als er mich in seiner Kabine zu vergewaltigen versuchte. Ich habe ihn mit diesem Messerstich regelrecht entmannt. Deshalb will er sich nun an mir rächen. Er hat sein Schiff verkauft, um genug Geld für meine Verfolgung zu haben. Er hat mehrere Revolverschwinger angeworben, und ist schon seit vielen Wochen hinter mir her. Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Denn wohin könnte ich noch flüchten, falls er und seine Killer meine Fährte immer noch nicht verloren haben?«
Sie verstummt.
Er kann sich vorstellen, wie die Geschichte damals gewesen sein mag.
Jenna ist eine reizvolle Frau, und sie reiste als Spielerin an Bord eines noblen Saloonschiffes auf dem Mississippi. Der Kapitän und Eigner wollte sie haben. Als er sie freiwillig nicht bekam, versuchte er es mit Gewalt.
Doch Jenna kämpfte.
Wahrscheinlich war sie darauf vorbereitet und trug ein Messer bei sich. Sie konnte nicht ablehnen, ihm in seine Kabine zu folgen. Aber sie setzte sich zur Wehr. Ja, das traut er ihr zu.
»Wir werden sehen«, sagt er zu ihr, mehr nicht. Aber sie hört seiner Stimme an, dass sie mit seiner Hilfe rechnen kann. Darüber ist sie froh. Seine Hilfe ist ihr lieber als die von McCafferty. Denn mit dem würde sie nicht in einem Bett liegen wollen.
Aber das müsste sie.
Sie denkt also: Er wird mir beistehen, mich schützen. Denn er wird noch mehr solche Nächte erleben wollen.
Er aber denkt: Also das ist es. Sie geht nicht mit jedem Mann ins Bett. Ich werde ihr beistehen müssen. Denn sie hat mich McCafferty vorgezogen. Und das ist ja wohl ein Kompliment.
4
Es ist am späten Nachmittag, als der Herdenboss Vance Kellog in der Longhorn City Bank hundertvierunddreißigtausend und sechzehn Dollar für die Herde und die Pferde in Empfang nimmt.
Dazu kommt noch der Lohn für seine Mannschaft von drei Dollar pro Mann, die sie bei der Verladearbeit verdient hat.
Mit dem Koch und dessen Helfer sind es siebenundfünfzig Mann.
Mit zweiundsechzig brach er auf. Doch drei kamen bei einer Stampede um, wurden von den Rindern zertrampelt. Zwei wurden vom Blitz erschlagen, als der in die Herde fuhr und außer den beiden Treibern auch noch einige Dutzend Rinder tötete.
Vance Kellog hat seine beiden Vormänner bei sich, als er mit den beiden Geldsäcken die Bank verlässt und hinüber zum Longhorn Saloon geht, wo seine Männer bereits an der langen Bar stehen und auf Kredit trinken.
Hinter ihm bleibt es eine Weile still im Bankraum.
Edward McCafferty, dem die Bank gehört, wie ihm ja hier in Longhorn City fast alles gehört, grinst dann die Viehaufkäufer an und wedelt mit einem Stück Papier.
»Hier steht es«, sagt er. »Kellog hat euch neuntausendsiebenhundert und siebenundfünfzig Rinder und zweihundertsiebenundachtzig Pferde verkauft. Ich bekomme für jedes Tier einen Dollar. Ich denke, wir bringen das nun auf Ihren Konten sofort in Abbuchung. Sie brauchen nur diese Überweisung auf mein Konto zu unterschreiben. Denn das Geschäft mache ich, nicht die Bank. Also, Gentlemen, unterschreiben Sie.«
Sie stehen starr da, und der Groll geht wie eine Strömung von ihnen aus.
Herb Daniels sagt bitter: »Das nimmt uns jeden Verdienst, Mister. Sie sollten sich mit einem halben Dollar zufriedengeben.«
»Nein«, erwidert der massige McCafferty hart. »Ich halte euch hier in meiner Stadt jede weitere Konkurrenz von Leib. Ihr habt hier das Monopol. Das kostet etwas. Ich kann aber auch einem weiteren Dutzend Aufkäufern die Konzession erteilen, in meiner Stadt Rinder zu kaufen. Wie wollt ihr es haben?«
Sie schweigen, und dann unterschreiben sie Mann für Mann. Er hat sie in der Hand. Wenn sie in seiner Stadt bleiben und hier Geschäfte machen wollen, wenn sie sicher sein wollen, dass stets genug Viehzüge zur Verfügung stehen und der Abtransport nach dem Osten zügig abgewickelt wird, dann müssen sie sich ihm unterwerfen. Sie wissen, dass er mit den Bossen der Bahnlinie zusammenarbeitet und von diesen vielleicht ähnlich unter Druck gesetzt wird, wie sie von ihm.
Sie gehen dann schweigend hinaus. Erst draußen sagt einer: »Das ist eine beschissene Welt. Überall herrschen die Gesetze der Wildnis. Warum gibt es keine Redlichkeit mehr unter uns Menschen?«
»Weil der Mensch das gnadenloseste Raubtier auf dieser Erde ist«, erwidert ein anderer Mann mit bitterem Lachen in der Kehle. »Weil wir alle immer mehr haben wollen, und niemals genug bekommen!«
Sie wirken ein wenig betreten nach den Worten ihres Kollegen. Keiner von ihnen sagt ein Wort, aber als sie ankommen, bleiben sie stehen und sehen einander an.
»So kann das doch nicht weitergehen«, sagt einer von ihnen schließlich. »Wir stecken in der Klemme. Wenn wir uns nicht wehren, verdienen wir an all den vielen Rindern keinen einzigen Cent …«
Er wird unterbrochen, denn drüben aus dem Longhorn City Saloon tönt nun Gebrüll und Gejohle. Es ist ein wilder, vielstimmiger Ausbruch der Freude.
Die Aufkäufergruppe um Herb Daniels weiß, dass der Herdenboss Vance Kellog mit der Auszahlung der Löhne begonnen hat.
»Sie alle machen Gewinn«, murrt einer der Aufkäufer, »diese Texaner, unsere Auftraggeber, die Stadt – und vor allem dieser McCafferty. Nur wir sind die Dummen, es sei denn, in Dodge City und Abilene kaufen sie teurer ein als wir. Aber das tun sie gewiss nicht. Uns hat jedes Rind, das wir nach Osten schicken, vierzehn Dollar gekostet. Und das ist genau der Betrag, den unsere Auftraggeber uns zahlen! Verdammt, wie kommen wir nur zu einem Gewinn?«
☆
Als Vance Kellog den letzten Mann ausgezahlt hat, lehnt er sich zurück.
Seine beiden Vormänner lehnen rechts und links des Tisches an der Wand. Nun bewegen sie sich und setzen sich ebenfalls. Sie alle schenken sich aus der Flasche nochmals ihre Gläser voll und trinken sich zu.
»Wir müssen heim nach Texas mit dem Geld«, spricht Vance Kellog, nachdem sie die leeren Gläser absetzten. »Mehr als ein Dutzend Rancher haben mein Wort, dass ich ihre Rinder in Kansas gut verkaufe und ihnen dann so schnell wie möglich ihren Anteil bringe. Ich weiß, dass diese Rancher von den Steuereintreibern bedrängt werden und es zu Versteigerungen kommen wird, wenn ich ihnen nicht bald das erwartete Geld bringe. Ich kann hier nicht mit euch feiern. Ich muss heim mit dem Geld, heim nach San Antonio.«
Sie nicken ihm zu.
»Wir reiten mit«, spricht Ringo Duane.
»Rosy wartet auf mich schon viel zu lange«, murmelt Jeff Hacket. »Hinter der ist Bob Dillon her wie ein Fuchs, der ein Huhn fressen will. Nun ist Rosy zwar kein Huhn, eher eine Katze mit Krallen, aber wenn sie zu lange auf mich warten muss, wird sie vielleicht doch mal schwach. Auch ich reite mit. Von mir aus sofort.«
»Ich danke euch«, antwortet Vance Kellog. »Wenn ihr bereit seid, dann reiten wir noch diese Nacht. Ich habe mit euch gerechnet. Deshalb ließ ich einige Reservepferde bereitstellen. Sie wurden frisch beschlagen und warten im Mietstall. Wir müssen mit zwei Säcken voll Geld reiten. Nach Texas gehen von hier aus keine Postkutschen. Wir müssen fast den gleichen Weg zurück, auf dem wir unsere Herde trieben. Und es werden uns Dutzende von Herden entgegenkommen, die auf unserer Fährte trailen. Wir reiten in einer Stunde. Das erwartet gewiss niemand. Denn irgendwie traue ich dieser Stadt nicht, und ich werde den Gedanken nicht los, dass es jemand auf das Geld abgesehen hat.«
☆
Sie stehlen sich aus der Stadt so unauffällig und heimlich, wie es nur möglich ist. Jeder hat ein Reservepferd bei sich. Auf einem Packpferd sind die Geldsäcke und etwas Proviant und Lagergerät.
Sie sind drei harte Männer, schlau und erfahren, zäh und gefährlich.
Und sie können es mit jedem Revolverschwinger aufnehmen, denn mit den Colts sind sie so schnell wie Revolvermänner der ersten Klasse und ganz gewiss nicht zweitrangig.
Und so reiten sie mit viel Selbstvertrauen. Der Weg nach Texas ist weit. Sie werden länger als fünf Wochen unterwegs sein bis in das San-Antonio-Land.
Als sie drei Meilen weiter den fast völlig ausgetrockneten Kiowa Creek durchreiten, dessen sandige Furche sich von Ost nach Welt schlängelt, da bekommen sie es von vorn.
Ein halbes Dutzend Gewehre feuert vom Rand des jenseitigen Ufers in das sandige Bett hinunter.
Die Schützen haben gute Sicht, denn die Prärienacht ist mond- und sternenhell.
Vance Kellog und die beiden anderen Männer werden aus den Sätteln geschossen. Sie haben keine Chance. Sie fallen schwer in den Sand des Creekbetts und rühren sich nicht mehr.
Ihre Pferde – es sind ja gute Rinder- oder Cowboypferde – bleiben mit hängenden Zügeln stehen, so wie man es ihnen beigebracht hat.
Die hinterhältigen Schützen finden sich dann im Creekbett bei ihren Opfern ein.
Eine heisere Stimme ruft schrill und misstönig: »So, nun sind wir nicht mehr die Dummen. Nun haben auch wir Gewinn gemacht, nicht nur die anderen! Dieser Narr von Herdenboss hätte sich mit elf Dollar zufriedengeben sollen.«
☆
Es ist zwei Stunden nach Mitternacht – in der Stadt toben die betrunkenen Herdentreiber überall wie die Wilden – als sich die sechs Viehaufkäufer in Herb Daniels’ Hotelzimmer versammeln, um die Beute zu teilen.
Sie sickerten aus verschiedenen Richtungen in die Stadt ein und ließen die Pferde in den Corrals beim Bahnhof oder in den Seitengassen der Stadt. Denn überall stehen ja die Pferde der Treibmannschaft herum, auch im Hof des Mietstalles.
Die sechs Mörder – denn sie wurden Mörder in dieser Nacht – setzen sich an den runden Tisch. Daniels und Spade brachten die Geldsäcke.
Eine Weile schweigen sie. Dann spricht einer: »Ich glaube nicht, dass ich dies noch ein zweites Mal machen kann. Nein, nie wieder mache ich das!«
»Keiner von uns möchte oder könnte das noch einmal machen«, knurrt Daniels.
»Aber es blieb uns nichts anderes übrig«, sagt Spade leise, sodass man ihn kaum verstehen kann. »Wir steckten zu sehr in der Klemme. Wir mussten Gewinn machen, um …«
Er kommt nicht weiter, denn es klopft an die Tür.
Daniels fragt: »Wer ist da draußen?«
»Euer guter Freund McCafferty«, tönt es durch die Tür zu ihnen herein. »Macht nur auf, meine lieben Freunde. Ich möchte mit euch ein paar Worte reden. Und da die Stadt ja noch voll in Betrieb ist, lärmt und tobt, sodass ohnehin niemand schlafen kann, möchte ich mich in eure gemütliche Runde setzen. Macht auf!«
Sie sitzen wie erstarrt da.
Dann endlich bewegt sich Daniels. Er schiebt die beiden mit Geld gefüllten Ledersäcke unters Bett, geht dann zur Tür und dreht sich dort noch einmal zu den anderen um.
Sie sitzen still, wirken bewegungslos wie aus Holz geschnitzt. Doch im Lampenschein funkeln ihre Augen.
Sie sind bereit für alles. Das sieht er ihnen nicht nur an, nein, er spürt es auch deutlich.
Endlich öffnet er die Tür.
McCafferty steht massig draußen, grinst breit und hat zwei Flaschen mit allerbestem Bourbon in den Händen.
»Ich komme wirklich als Freund«, sagt er. »Und bei diesem guten Bourbon werden wir unsere Freundschaft besiegeln. So soll es sein.«
Er tritt ins Zimmer und stößt die Tür hinter sich mit dem Absatz zu.
So als wäre er wirklich ein guter Freund, der ganz selbstverständlich in diese Runde gehört, nimmt er Platz auf Daniels’ Stuhl. Er stellt die Flaschen auf den Tisch und beginnt Gläser aus seinen Taschen zu holen.
Wenig später schenkt er ein.
Und sie alle betrachten ihn wortlos.
Als er sie durch eine Kopfbewegung zum Trinken auffordert, bewegen sie sich nicht. Sie warten lauernd, wirken wachsam, böse und feindlich.
Er aber lacht kehlig, gibt sich alle Mühe, gemütlich zu wirken.
»Das habt ihr gut gemacht.« Er grinst. »Eigentlich hatte ich das erwartet. Denn ich hielt euch von Anfang an für eine Bande hartgesottener Dollarhaie. Ich spürte irgendwie, dass ihr versuchen würdet, auf andere Art Gewinn zu machen, nachdem der Herdenboss und ich euch ziemlich arg rasierten. Dieser Kellog war ein harter Mann. Er verlangte mehr als man in Dodge City und Abilene zahlen wird für einen Texasstier. Nun, reden wir nicht mehr darüber. Vielleicht verkaufen die anderen Herdenbosse billiger an euch. Dann verdient ihr schon an den nächsten Herden. Ich bin hier, um meinen Anteil an eurem großen Coup zu kassieren. Ich bekomme die Hälfte. Zählen wir das alles hier auf den Tisch, Dollar für Dollar, einen für euch und einen für mich. Trinken wir darauf. Vorwärts!«
Nun endlich wissen sie Bescheid.
Sie begreifen, dass er alles weiß, weil er sie von seinen Leuten beobachten ließ. Was sie auch taten, er war darüber informiert. Und vielleicht ist sogar ein Verräter unter ihnen.
Man sieht ihnen an, dass sie fast im gleichen Moment auf diesen Gedanken kommen. Denn sie starren sich plötzlich misstrauisch an. Jeder versucht herauszufinden, ob er unter den anderen den Verräter erkennen kann. Doch wenn es einen Verräter unter ihnen geben sollte, dann muss er ein verdammt guter Schauspieler sein.
Jeder käme dafür in Betracht. Denn sie kehrten einzeln in die Stadt zurück und trafen erst hier in Daniels’ Zimmer wieder zusammen.
Spade flucht plötzlich bitter, greift nach dem gefüllten Glas und stürzt den Inhalt mit einem heftigen Ruck hinunter.
»Oh, in was für ein Rattenloch sind wir hier geraten?« So fragt er bitter und starrt Edward McCafferty dabei an.
Aber dieser grinst nur breit.
»Und damit ihr nicht auf dumme Gedanken kommt«, verkündet er dann hart, »sage ich euch jetzt, was sein würde, wenn ihr glaubt, ich wäre in eurer Gewalt, weil ihr sechs gegen einen seid. Draußen im Gang sind meine Männer. Ihr kämt nicht lebend aus diesem Hotel. Und was meint ihr, was die wilden Herdentreiber mit euch anstellen, wenn sie erfahren, was ihr mit Vance Kellog und seinen beiden Begleitern gemacht habt?«
Sie denken über seine Worte nach.
Und sie sehen in seinen Augen, dass er nicht blufft. Er hat sie in der Hand. Sie könnten ihn töten. Ganz gewiss könnten sie das. Aber sie kämen nicht mehr aus dieser Falle heraus. Dafür hat er gesorgt. Daran gibt es keinen Zweifel. Er spielt ein hartes Spiel mit ihnen.
Und so beginnen auch die anderen zu fluchen und nach den Gläsern zu greifen. Denn jeder von ihnen verspürt den Wunsch, die bittere Enttäuschung herunterzuspülen.
Und als sie die Gläser absetzen, sagt McCafferty zu ihnen: »Nun, ich nehme ja nur die Hälfte. Die andere Hälfte gehört euch. Und vergesst nicht, dass ihr unter meinem Schutz steht. Das ist eine Menge wert. Nicht wahr?«
Sie starren ihn bitter an.
Und nun endlich wissen sie, was für ein Teufel dieser Mann ist.
Stöhnend holt Herb Daniels die Geldsäcke unter dem Bett hervor und kippt den Inhalt auf den Tisch.
5
Die drei zusammengeschossenen Männer liegen lange bewegungslos in dem fast trockenen Bachbett. Ihre treuen Pferde, deren Zügelenden ja am Boden liegen, bewegten sich nur wenige Schritte weiter, dorthin, wo einige Wasserpfützen im Creekbett sind und sie daraus trinken können.
Es wird grauer Tag, Nebel steigen.
Und dann kommt die Sonne im Osten über die Prärie und scheint in das Creekbett hinein.
Da endlich beginnt sich einer der drei Männer zu bewegen. Es ist Ringo Duane, ein dunkelhaariger Bursche, der zumindest zu einem Viertel Mexikaner ist.
Er bewegt sich also, stöhnt bitter und schmerzvoll und murmelt auch einige unverständliche Worte. Nach einer Weile beginnt er zu einer Wasserpfütze zu kriechen. Immer wieder schmerzvoll stöhnend erfrischt er sich. Und so geht es ihm nach einer Weile etwas besser.
Ihm fällt endlich wieder ein, was geschehen ist. Die Erkenntnis trifft ihn wie ein Schock und plötzlich ist er hellwach.
Er begreift, dass er nicht hier stöhnend herumliegen darf, sondern etwas tun muss.
Aber was?
Er ist böse angeschossen. Und als er vom Pferd fiel, schlug er mit dem Kopf auf einen Büffelschädel, verletzte sich am Horn wie an einer Lanzenspitze.
Dieser bleiche Büffelschädel liegt gewiss schon Jahre hier. Und ausgerechnet er musste mit dem Kopf auf das Horn fallen.
Die Wunde in der Schulter schmerzt höllisch. Doch die Kopfwunde ist wahrscheinlich schuld an seiner langen Bewusstlosigkeit.
Er stemmt sich mit den Armen hoch, blickt sich um.
Und da nun sieht er Vance Kellog und Jeff Hacket, die in der Nähe liegen. Sie bewegen sich nicht, und in Ringo Duane ist die jähe Furcht, dass sie nicht mehr am Leben sind.
Aber das muss er genau wissen.
Und so kriecht er zu ihnen. Es sind nur wenige Yards, aber sie kommen ihm wie Meilen vor.
Zuerst erreicht er Jeff Hacket.
Jeff Hacket ist tot. Drei Kugeln trafen ihn.
Ringo Duane schluckt mehrmals, und ein bitteres Stöhnen kommt aus seiner ausgetrockneten Kehle.
Er und Jeff waren Freunde, Sattelgefährten, Vormänner unter Vance Kellog. Und im nächsten Jahr wollte jeder mit einer eigenen Herde nach Kansas ziehen.
Nun ist Jeff Hacket tot.
Und was ist mit Vance Kellog?
Als Ringo Duane sich dies fragt, stößt er abermals einen bitteren Laut aus und kriecht weiter. Als er bei Vance Kellog ist, hält er ihn im ersten Moment auch für tot. Kellog liegt auf der Seite, sein fast weißblondes Haar ist voller Blut, das inzwischen schon dunkel geworden und verkrustet ist.
Ringo Duane legt die Hand auf Kellogs Schulter und schüttelt ihn sachte.
»He, Vance«, krächzt er, »he, bist du noch da?«