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G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 156 bis 160 der G.F. Unger Sonder-Edition:
Folge 156: Der Weg aus der Falle
Folge 157: Kriegerweg
Folge 158: Der Wolf von Golden City
Folge 159: Stunde des Stolzes
Folge 160: Yellowstone John
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 956
Veröffentlichungsjahr: 2023
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2019 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2023 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Manuel Prieto/Norma
ISBN: 978-3-7517-5160-5
www.bastei.de
www.sinclair.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Sonder-Edition 156
Der Weg aus der Falle
G. F. Unger Sonder-Edition 157
Kriegerweg
G. F. Unger Sonder-Edition 158
Der Wolf von Golden City
G. F. Unger Sonder-Edition 159
Stunde des Stolzes
G. F. Unger Sonder-Edition 160
Yellowstone John
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Contents
Der Weg aus der Falle
Jim Uvalde will den Saloon verlassen, aber er kommt nur drei Schritte weit. Denn der Vormann sagt lässig: »Bleib hier, Jim Uvalde! Du hast doch schon längst bemerkt, dass du in der Falle sitzt. Es geht dir hier nicht anders als deinen Brüdern, die ebenfalls zum Sterben verdammt sind.«
Jim Uvalde bewegt sich nicht, aber seine Fingerspitzen berühren schon das glatte Holz des Revolverkolbens. Und er weiß, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als diesen Wölfen die Zähne zu zeigen …
Jim Uvalde hat es sich in dem hölzernen Badefass gerade so richtig bequem gemacht und ist dabei, in einer sechs Wochen alten Zeitung die längst schon überholten Neuigkeiten der Welt zu lesen, als er draußen die Stimmen zweier Männer hört.
»Er will nicht gestört werden«, warnt der Barbier, in dessen Badestube Jim Uvalde das große Vergnügen hat. »Und wenn er nicht gestört werden will, respektieren das nur Narren nicht – nur blöde Hammel!«
Jim Uvalde kennt die Stimme des Barbiers ganz genau.
Die andere Stimme aber kennt er nicht. Und diese Männerstimme sagt: »Der wird mir noch dankbar sein für die Störung. Der wird Ihnen den Kopf abbeißen, wenn Sie mich noch länger aufhalten. Lassen Sie mich jetzt rein zu ihm! Mann, ich bringe ihm Nachricht von seiner Familie. Verstanden?«
Jim Uvalde greift über den Rand des Badefasses hinweg und nimmt den Revolver, der dort in seiner Reichweite auf einem Hocker liegt neben Badeseife, einem Handtuch und duftendem Fliederwasser.
»Lass ihn rein, Quade!« Dies ruft er halblaut.
Einige Sekunden ist es still draußen. Dann öffnet sich die Tür.
Und dann kommt Jerry Campifer herein.
Jim Uvalde erkennt ihn sofort wieder, obwohl auch Jerry Campifer inzwischen ein Mann geworden ist. Jerrys Igelgesicht besteht fast nur aus Sommersprossen und zwei unwahrscheinlich blauen Augen. Aber in seinem kleinen Körper steckt eine vitale Energie. Dies sieht man sofort. Auf seinen krummen Beinen kommt er hereingewatschelt, schließt die Tür hinter sich und lehnt sich mit seinem Rücken dagegen.
Ein paar Atemzüge lang verharrt er so und betrachtet kritisch den Kopf des Mannes, der da aus dem Seifenschaum des Bades ragt.
»Hast du keine Angst, dass du im Wasser zusammenschrumpfst?«, fragt Jerry Campifer schließlich.
Aber Jim Uvalde grinst nur wortlos, betrachtet ihn jedoch scharf und legt langsam wieder den Revolver auf den Schemel.
»Das ist auch ein Leben … Mit ’nem Colt in die Badewanne gehen«, murmelt Jerry Campifer und kommt krummbeinig und sporenklirrend näher.
»Wir haben viel von dir gehört in all den Jahren«, spricht er weiter. »Hast du eigentlich nie daran gedacht, heimzukommen? Deine Mam – deine Brüder, sie alle hielten bei deinem Vater aus. Aber du …«
»Was willst du, Jerry?« Jim Uvalde fragt es sanft und nachsichtig. Und dabei bekommt er nun einen gewissen Duft in die Nase. Dieser Geruch ist streng und scharf und erweist sich für eine feine Nase stärker als der Duft des Fliederwassers und der schönen Badeseife.
Es ist der scharfe Geruch von Schafen.
Jim Uvalde erinnert sich wieder daran, dass dies auch einer der Gründe war, warum er damals seine Familie verließ und fortritt.
Ja, die Schafe. Er mochte sie nie, und ihr plärrendes »Bääääh« ist ihm zutiefst zuwider. Ihre Hilflosigkeit macht ihre Besitzer und Hirten zugleich auch zu ihren Sklaven. Und er wollte nie ein Mann sein, der zu Fuß durch den Staub wandern muss neben einer plärrenden Herde. – Solch ein hundert- oder gar tausendstimmiges Bääääh machte ihn verrückt.
»Na los, Jerry«, fordert er nun ungeduldig. »Du bist doch nicht gekommen, um mich im Badefass zu sehen!«
»Nein«, sagt Jerry Campifer. »Deine Familie schickt mich. Sie haben deinen Vater begraben. Er ist tot. Und nun wollen sie raus aus der Riesenfalle. Sie wollen ausbrechen. Mit zehntausend Schafen. Sie brauchen deine Hilfe. Denn sonst werden sie es schwer haben gegen Richard Slaterlee und dessen Mannschaft. Du sollst heimkommen, lassen sie dir sagen. Sie rechnen auf deine Hilfe. – Deshalb haben sie mich geschickt.«
Man sieht diesem Jerry Campifer an, dass er nun alles gesagt hat.
Jetzt starrt er fast gierig auf Jim Uvalde, den ältesten Sohn von Jack und Ann Uvalde im White Mountain County.
Was wird er nach dieser Nachricht tun, dieser Jim Uvalde?
Jerry Campifer fragt sich, ob er richtig darauf gewettet hat, dass Jim Uvalde heimkommen wird.
Jim Uvalde ist ein dunkelhaariger Mann mit grauen Augen. Als er sich nun im Badefass erhebt und sich einzuseifen beginnt, kann man sehen, wie gut er proportioniert ist. Er ist gewiss noch drei Fingerbreit über sechs Fuß und wiegt etwa neunzig Kilo.
Ja, er scheint körperlich ganz und gar der Mann zu sein, dem man all die Geschichten wahrhaftig zutrauen kann, die man sich über ihn erzählt – wilde und verwegene Geschichten, auch gewalttätige.
Aus dem mageren Jungen, der damals fortlief, wurde ein beachtlicher Mann.
Jerry Campifer verspürt so etwas wie Neid.
Aber er kann nicht länger auf seine Gefühle lauschen und seinen Gedanken nachgehen. Jim Uvalde fragt nun: »Wie war das mit meinem Vater? – Ich meine, wie starb er?«
»Einfach so«, sagt Jerry Campifer. »Er saß ja in letzter Zeit Tag und Nacht in seinem Sessel. Er ließ sich gar nicht mehr ins Bett heben. – Sie fanden ihn an einem Morgen ohne Leben. Zuerst glaubten sie, er schliefe noch. Sie freuten sich sogar darüber, dass er noch so lange schlief. Denn er konnte ja kaum schlafen. Er dachte nur immerzu nach. – Nun, er war also an einem Morgen tot.«
Jim Uvalde hat sich nun eingeseift. Er hockt sich nieder in das Badefass, taucht unter und kommt prustend wieder hoch.
Dann sitzt er eine Weile still, scheint ins Leere zu starren.
Aber Jerry Campifer weiß, dass Jim Uvalde nun die Bilder seiner Jugend wieder vor Augen hat, dass er noch einmal alles sieht, was gewesen war.
Da waren zwei Männer.
Einer kam mit Rindern und ein anderer mit Schafen in die White-Mountain-Täler gezogen. Beide hatten junge Familien, und beide wollten sie groß werden, der eine mit Rindern, der andere mit Schafen.
Eines Tages kämpften sie um die Weide, um ihre Grenzen und für das Größerwerden in der Zukunft.
Jack Uvalde verlor, obwohl auch er den Gegner ziemlich schlimm verwundete. Er war deshalb der Verlierer, weil die Kugel irgendeinen Nerv am Rückgrat verletzte und ihn somit für immer lähmte.
Seine Frau Ann zog sich mit ein paar Dutzend geretteten Schafen, ihren vier Söhnen und dem gelähmten Mann in ein Hochtal zurück. Es war ein großes Tal mit nur einem einzigen Zugangspaß, zu dem ein Canyon hochführte.
Und der Sieger des Kampfes, Richard Slaterlee, wurde bald wieder gesund und besetzte die Weide. Er hielt die Uvaldes mit ihren Schafen gewissermaßen in ihrem Tale gefangen.
Ja, das war die Vergangenheit, die Jim Uvalde sehen muss. Jerry Campifer sieht es ihm an. Er kann es leicht erkennen. Und er lässt ihn gewähren, stört ihn nicht.
Dann kommt Jim Uvaldes Blick wie aus weiter Ferne wieder zurück, richtet sich auf Jerry Campifer.
»Und was jetzt? – Ich meine, um was geht es jetzt, da Pa tot ist? Zum Begräbnis käme ich doch viel zu spät, nicht wahr?«
»Das war schon vor fünf Wochen«, erwidert Jerry Campifer. »Ich brauchte lange, um dich zu finden, obwohl wir zuletzt immer wussten, in welcher Gegend wir dich suchen müssten.«
»Warum wusstet ihr das immer?«
»Sie wollten dich schon zu deines Vaters Lebzeiten um Hilfe bitten. Denn sie müssen raus aus den Hochtälern. Die Schafe vermehrten sich in den Jahren wie die Mäuse. Die Herde ist zehntausend Tiere stark. Und es werden immer mehr. Wir haben das Hochtal, alle Nebentäler, die Canyons und Schluchten mit Schafen besetzt. Sie haben kaum noch Weide und klettern schon fast wie Gämsen. Deine Mutter und deine Brüder wollen raus. Aber es gibt nur einen Weg, nämlich den über Richard Slaterlees Rinderweide. Verstehst du nun alles?«
Jim Uvalde nickt.
»Diese verdammten Schafe«, sagt er. »Wie kann ein Mann nur Schafe züchten? – Und auch du stinkst nach ihnen, Jerry.«
»Sicher«, sagt dieser. »Ich lebe ja auch schon viele Jahre mit ihnen. Ich esse Schafskäse, trinke Schafsmilch und …«
Er verstummt jedoch nun und winkt nur lässig ab, so als wollte er sagen, dass es ja wohl sinnlos sei, sich darüber zu unterhalten. Dann sieht er zu, wie Jim Uvalde aus der Wanne steigt und sich abzutrocknen beginnt. Er sieht auch die Narben an Jim Uvaldes Körper und erinnert sich an die Geschichten von Revolverkämpfen.
»Was erwartet denn meine Familie von mir?«, fragt Jim Uvalde.
»Hilfe«, murmelt Jerry Campifer. »Sie wollen mit zehntausend Schafen raus aus der großen Falle. Und sie wollen in aller Ruhe aus dem Lande ziehen – irgendwohin nach Norden, wo es noch reichlich freie Weide gibt. Sie werden etwa zehn Tage brauchen. Zehn Tage Zeit, die Richard Slaterlee stillhalten muss. Mehr nicht! Denn sonst gibt es einen großen Krieg mit Blutvergießen und vielen Toten. Lass dir was einfallen, Jim! Du bist ja der ganz große Kämpfer. Du warst Sheriff, Marshal Scout. Du bist der große Kopfgeldjäger und Revolverkämpfer gewesen. Dich holte man überall zu Hilfe – für Geld. – Nun will deine Familie deine Hilfe. – Was soll ich ausrichten daheim?«
Der kleine, krummbeinige Jerry Campifer bebt und vibriert nun vor Energie und Ungeduld. Nun sieht man ihm an, dass er gewiss furchtlos und auch streitsüchtig ist wie ein Terrier.
Jim Uvalde nickt langsam.
»Ich werde kommen«, sagt er. »Du kannst heimreiten und ihnen sagen, dass sie ihre Chance zum Ausbruch aus der großen Falle bekommen werden. – Ich verschaffe ihnen zehn Tage Zeit.«
Jerry Campifer starrt ihn noch einmal misstrauisch an.
Dann nickt er und geht zur Tür.
Dort wendet er sich noch einmal. »Pass auf hier«, sagt er. »Jemand aus dem White-Mountain-Land kann mir gefolgt sein. Die wissen auch, dass deine Familie vielleicht den großen Tiger zu Hilfe ruft. Die haben vielleicht genauso nach dir gesucht wie ich. – Also.«
Damit geht er.
Und Jim Uvalde starrt dann auf die geschlossene Tür, so als hätte er einen Traum gehabt.
Doch es war kein Traum.
Diesmal muss er ohne Revolverlohn für etwas kämpfen. Seine Familie braucht Hilfe.
Und es wird ein böser Kampf werden. – Denn er kennt Richard Slaterlee gut genug. Er weiß zu gut, dass dieser Mann hassen kann bis in die Hölle und zurück und eine Niederlage niemals wird vergessen können.
Er wird sich einen Todfeind machen für das ganze Leben.
Aber wahrscheinlich ist er seiner Familie etwas schuldig.
Er lief damals einfach fort wie ein Deserteur.
Jetzt kann er einiges wiedergutmachen.
☆
Als er später dann die Spielhallen der »Fair Play Queen« betritt, hält er sich nicht unterwegs an den Spieltischen auf, sondern steuert geradewegs auf die Tür zu Nelly Slaughters Privaträumen los.
Er ist der einzige Mann, der ohne anzuklopfen eintreten darf. Nelly Slaughter – sie ist die Fair Play Queen – sitzt hinter ihrem Schreibtisch und macht Eintragungen in ihr Verbrauchsmittelbuch. Sie sagt ohne aufzublicken: »Wir haben in der vergangenen Woche zu viele Gläser verbraucht. Da muss jemand …«
Nun erst blickt sie auf und erkennt etwas an ihm, was sie sofort beunruhigt.
»Was ist?« So fragt sie, denn sie ist nicht nur eine schöne und reizvolle, sondern auch eine erfahrene und kluge Frau. Ihre feinen Nasenflügel vibrieren, wie wenn sie Witterung bekäme von beunruhigenden Dingen.
Er betrachtet sie eine Weile ernst.
Ja, er mag sie sehr. Als sie ihn damals als Beschützer unter Vertrag nahm, der zugleich auch ihre Barmänner, Kartenausteiler und Croupiers, Hauspolizisten, Rauswerfer und Gäste unter Kontrolle hielt, da kamen sie sich schnell menschlich nahe.
Nun kennt sie ihn schon fast so gut wie eine Ehefrau ihren Mann.
Deshalb wittert sie beunruhigende Dinge.
»Ich muss fort«, sagt er. »Auf der Stelle muss ich reiten. Such dir einen anderen Mann, Nelly. Auf mich kannst du nicht länger mehr zählen.«
Er sagt die letzten Worte hart, fast abweisend. Sie will sofort stolz und wütend reagieren. Doch dann begreift sie, dass ihm der Abschied schwergefallen und er deshalb so schroff ist.
Sie lehnt sich zurück zu ihrem kostbaren Sessel, schüttelt die langen roten Haare nach hinten.
»Erkläre es mir richtig«, sagt sie. »Damit ich es verstehen kann und mich nicht wie ins Gesicht geschlagen fühlen muss. Warum willst du weg von mir?«
»Ich will nicht – ich muss«, sagt er. »Meine Familie sitzt in der Klemme. Sie hat ein Recht auf meine Hilfe. – Und ich werde mir dabei einen mächtigen Mann zum Todfeind machen.«
Er setzt sich während seiner Worte rittlings auf einen Stuhl, verschränkt die Arme auf der Lehne und erklärt ihr die Situation mit wenigen Worten.
Als er fertig ist, sieht sie ihn fest an.
»Und du meinst, ich sollte nicht auf deine Rückkehr warten?«
»So ist es«, sagt er und sieht ebenfalls in ihre Augen hinein, die so grün sind wie ihr Kleid.
»Aber ich werde warten«, murmelt sie. »Ziemlich lange werde ich warten, Jim Uvalde. – Du bist der erste Mann in meinem Leben, auf den es sich zu warten lohnt.«
Er erhebt sich.
Und auch sie steht auf und kommt um ihren Schreibtisch herum bis zu ihm.
Aber sie wirft sich nicht in seine Arme.
Sie sieht ihn nur aus nächster Nähe an. Für eine Frau ist sie nur mittelgroß. Sie muss zu ihm aufsehen.
Er spürt alles, was von ihr ausgeht. Es ist ein starker Strom, und es hat ihn schon immer von Anfang an stark berührt.
»Dann küss mich zum Abschied und geh«, murmelt sie.
Er tut es. Sie küssen sich lange, sehr lange.
Und dann geht er, ohne sich noch einmal an der Tür umzusehen.
Sie kehrt hinter ihren Schreibtisch zurück und lässt sich im Sessel nieder, als wären ihr die Beine schwach geworden und brauchte sie einen Sitz.
Einen Moment sitzt sie so mit geschlossenen Augen.
Dann greift sie hinter sich an die Wand und zieht an einer Glockenschnur. Einer ihrer Barmänner kommt herein.
»Jemand soll hinaus zu Kilkenny reiten und ihn holen.«
»Das ist nicht nötig, Ma’am«, grinst der Barmann. »Kilkenny hat hier vorhin ein Bier getrunken. Jetzt macht er drüben im Store Einkäufe. – Ich lasse ihn sofort herüberholen. In fünf Minuten ist er bei Ihnen, Ma’am.«
Die fünf Minuten kommen ihr dann wie fünf Stunden vor, obwohl sie scheinbar beherrscht hinter dem Schreibtisch sitzt und nachdenkt.
Als Kilkenny dann eintritt, wird ihr Blick kritisch.
Kilkenny ist ein kleiner Mann, und sein langes Haar ist graugelb. Bei seinem Anblick muss man unwillkürlich an einen alten Falken denken. Und er wirkt hart, kühl und erfahren.
Aber seine Zeit als Scout und Revolverkämpfer ist schon fast vorbei.
Er hat sich schon vor Jahren auf eine kleine Pferderanch zurückgezogen.
»Ich brauche deine Hilfe, Kilkenny«, sagt sie.
»Die hast du immer, Nelly«, erwidert er mit seiner leisen, präzisen Stimme ruhig.
Sie sehen sich an, und es ist ein schweigendes Verständnis zwischen ihnen.
»Es geht um Jim Uvalde«, spricht sie nach einer Weile. »Er zieht in einen Kampf, um seiner Familie beizustehen – irgendwo in dem White-Mountain-Land. Er wird sich einen mächtigen Mann zum Todfeind machen. Ich möchte, dass er es überleben wird. Denn dann wird er zu mir zurückkommen. Verstehst du, Kilkenny?«
Der kleine Revolvermann und Indianerkämpfer nickt.
»Schick einen guten Mann zu meiner Pferderanch hinaus, Nelly«, sagt er nur. Dann hebt er leicht die Hand und geht wieder.
Nelly sieht dann noch eine Weile auf die Tür, die sich hinter ihm geschlossen hat. Und sie denkt an die geheimen Bindungen, die zwischen ihr und Kilkenny sind.
Ihr ist nun etwas leichter.
Denn wenn Jim Uvalde in höchste Not geraten sollte, so wird er Hilfe bekommen von Kilkenny.
☆
Es gibt nicht viele Wege in das White-Mountain-Land. Jim Uvalde kommt auf dem Wege von Süden her, und am vierten Tage muss sein Pferd immerzu bergauf.
In der Nacht zum fünften Tage erreicht er die Station im Tonto-War-Pass, und im gelben Lichtschein der Station hält er an.
Jemand sagt vom Haus herüber: »Wenn Sie Ihr Pferd versorgt haben, Fremder, können Sie Abendessen bekommen – wenn Sie wollen.«
»Ja, ich will«, erwidert Jim Uvalde und führt sein Pferd zum Wassertrog, der von einer Baumröhrenleitung ständig gespeist wird von einem nahen Wasserfall her.
Es ist still hier oben. Überall von den Felsen her kommt noch die Wärme der Sonne, von der die roten Steine aufgeheizt wurden. Ein leichter und milder Wind streicht von der Ebene herauf.
Jim Uvalde versorgt sein Pferd, nimmt ihm den Sattel und das wenige Gepäck ab und wäscht sich dann selbst am Wassertrog.
Sein anfängliches Misstrauen und die Wachsamkeit schwinden. Denn hier bei der Station ist alles ruhig, scheint alles friedlich und ohne jede Gefahr zu sein.
Und dennoch ist dies hier einer der wenigen Zugänge ins White-Mountain-Land.
Sollten ihn hier wirklich keine Männer von Richard Slaterlee erwarten?
Der Mann, welcher bisher zwischen zwei gelben Lichtbahnen im relativen Dunkel auf der Veranda saß, erhebt sich plötzlich.
»Das Essen ist jetzt fertig, Fremder«, sagt er. Und nach einer kleinen Pause fügt er hinzu: »Oder sind Sie kein Fremder? Kenne ich Sie vielleicht, oder sollte ich Sie kennen?«
»Nein, wir kennen uns nicht«, murmelt Jim Uvalde und betritt die Veranda.
Er sieht den Mann nun aus der Nähe. Es ist ein schon älterer Mann mit grauem Haar. Wahrscheinlich ist es der Stationsmann selbst.
»Es gibt Hammelbraten«, sagt der Mann. »Einer meiner Söhne ist ein erstklassiger Koch. – Wohin wollen Sie dann eigentlich? Jenseits des Passes liegt das White-Mountain-Land.«
In Jim Uvaldes Kern regt sich ein feines Signal. Es ist noch kein Alarmsignal nur ein erstes Zeichen von Misstrauen oder Wachsamkeit.
»Ja, ins White-Mountain-Land will ich auch«, murmelt er und tritt ein. Denn er sah schon, dass der Mann keine Waffe trägt. Drinnen ist ein langer Tisch gedeckt.
Und fünf Männer sitzen dort schon an diesem Tisch – fünf hartbeinig wirkende Burschen. Sie sehen dem eintretenden Jim Uvalde entgegen.
Einer sagt plötzlich: »Hallo, Jim!«
Und zu den anderen gewandt, spricht er wie beiläufig die Worte: »Das ist Jim Uvalde. – Das ist der Jim Uvalde. – Willst du zurück auf die Heimatweide, Jim Uvalde?«
Nun sind die Warnsignale in Jim Uvalde klar und scharf.
Er kennt den Mann aus jener Zeit, da Richard Slaterlee und Jack Uvalde sich gegenseitig von den Beinen schossen und die Uvaldes dann mit ihren Schafen in die Hochtäler flüchteten.
Dieser Mann gehörte damals schon zu Slaterlees Reitern und er war wohl der jüngste von ihnen.
Nun wurde er ein beachtlich wirkender Mann, ein harter Bursche.
Warum sitzt er hier?
Dies ist die Frage, die Jim Uvalde sich stellt.
Und die Antwort ist ganz leicht.
Sitzt er schon in der Falle? Sollte er nicht auf der Stelle umkehren und in der Nacht verschwinden? Dies fragt er sich bitter.
Er spürt, wie sie ihn anstarren, und fragt sich: Sind sie fünf Mann gegen mich?
Zugleich auch erinnert er sich an den anderen Mann hinter sich, den er für den Stationsmann – also für den Hausherrn hier – hielt.
Er blickt über die Schulter.
Der Mann steht noch außerhalb der Tür draußen.
Doch nun hält er eine Schrotflinte unter dem Arm, ein doppelläufiges Ding. Es muss irgendwo in Reichweite an der Wand gelehnt haben.
Ja, es ist eine Falle.
Aus dem Küchenanbau kommt nun ein weiterer Mann mit einem großen Tablett voll dampfender Schüsseln.
Es ist ein massiger Bursche mit einem gutmütigen, runden Gesicht.
»Es ist fertig, Leute«, sagt dieser Mann zufrieden. »Ich hab euch was gekocht, wie ihr es im Umkreis von hundert Meilen nicht besser bekommen würdet. Ich müsste eigentlich in einem noblen Restaurant kochen. Aber mein Vater hält nichts davon. Ich könnte berühmt werden, wenn mein Alter sich von hier trennen würde – von dieser verdammten Pass-Station. – Aaaah, hier ist der Arsch der Welt!«
Einer der Männer lacht leise.
Die anderen schweigen.
Jim Uvalde fällt nun auch der Name des Mannes ein, der ihn erkannt hat. Der Mann heißt Jesse Shesshiere. Damals war er auch nur ein junger Bursche wie Jim Uvalde. Doch auch er wurde ein beachtlicher Mann. Daran gibt es keinen Zweifel. Dies kann man mit zwei Blicken sehen – und auch spüren.
Er deutet auf die noch freien Plätze am großen Tisch, welcher ausreichen würde für mehr als ein Dutzend Gäste.
»Willkommen daheim, Jim Uvalde«, sagt er. »Willst du nicht Platz nehmen und die Kochkünste von Fat Cat bewundern?«
Jim bewegt sich endlich. Er geht zum anderen Ende des Tisches und setzt sich.
Die offene Tür nach draußen ist jetzt rechts von ihm.
Vor sich und links von sich hat er die fünf Männer.
Der Stationsmann kommt hinter ihm herein, stellt die Schrotflinte in die Ecke und kommt ebenfalls zum Tisch. Jim Uvalde blickt in die grauen Augen dieses schon grauköpfigen Mannes.
Er erkennt darin eine ruhige Entschlossenheit und weiß diese genau zu deuten.
Ja, er sitzt hier in der Falle.
Sie haben hier auf ihn gewartet.
Und sie spielen ein Spiel mit ihm. Anders kann man es nicht bezeichnen.
Sie wollen nur erst einmal das gute Abendbrot essen.
Vielleicht wollen sie ihn auch etwas nervös machen.
Er wartet geduldig, bis auch er an die Reihe kommt, sich den Teller zu füllen. Aber das Essen ist reichlich. Es ist genug Fleisch vorhanden. Dazu gibt es Reis, Kartoffeln, grüne Bohnen und Tomaten. Auch Kaffee ist reichlich da.
»Ja, er müsste wirklich der Chefkoch in einem großen Restaurant in San Francisco sein«, sagt einer der Männer. »Dort war ich noch vor einem Jahr. – In einem Restaurant kochte dort ein langbezopfter Chinese, der von einem Schiff weggelaufen war. – Aaaaah, der konnte fast noch besser kochen als Fat Cat.«
»Mir wäre eine junge Chinesin lieber als der beste China-Koch«, grinst einer der anderen Männer. »Wie war es denn damit in San Francisco, Curly?«
»Oha«, sagt dieser kauend. »Da glaubst du dich im Paradies, sage ich dir.«
Jim Uvalde hört dies alles, und er weiß, dass dieses nur ein lässiges Spiel dieser Männer ist.
Manchmal tauscht er mit Jesse Shesshiere einen Blick. Shesshiere hat hier gewiss das Kommando.
Aber wie soll und wird es nun weitergehen?
Das ist die fortwährende Frage in Jim Uvalde.
Er isst dennoch mit Appetit und wundert sich darüber, dass ein Mann mit seinen Sorgen jetzt noch Appetit entwickeln kann. Manchmal glaubt er in Jesse Shesshieres Augen einen nur schlecht verborgenen Ausdruck von Verwunderung und Staunen zu erkennen.
Endlich sind sie alle mit dem Essen fertig – auch mit dem Apfelkuchen-Nachtisch.
Jim Uvalde erhebt sich ruhig und will zur offenen Tür.
Aber er kommt nur drei Schritte weit.
Dann holt ihn Jesse Shesshieres lässige Stimme ein: »Wohin denn, Freund Jim?«
Er hält inne, wendet sich jedoch nur halb, dreht ihnen nur die rechte Seite zu und verdeckt so seine Linke, die seine Revolverhand ist.
»Ich habe meinen Tabak in der Jacke draußen bei meinem Gepäck«, sagt er ruhig.
»Bleib lieber, Jim Uvalde«, murmelt Shesshiere. »Du hast doch schon längst gemerkt, dass du in der Falle sitzt. Ich möchte deinen Colt haben. Und dann werden wir dich zu Richard Slaterlee bringen. Du wirst doch wohl nichts versuchen gegen unsere Übermacht? Also komm, gib schon her! Ich weiß, dass du einen großen Kriegsnamen hast. Den hat keiner von uns. Aber wir sind bestimmt nicht drittklassig. – Los jetzt!«
In seine Stimme kam nun scharfe Ungeduld.
Nun ist klar: Die Zeit des Herumtändelns und Herumspielens ist vorbei.
Jetzt wird es ernst.
Sie wollen ihn als Gefangenen zu Richard Slaterlee bringen.
Er bewegt sich nicht. Aber seine Fingerspitzen berühren schon das glatte Holz des Revolverkolbens.
Er sagt: »Zwei oder drei von euch nehme ich mit. Und aus eurem Vorhaben wird ganz bestimmt nichts. Ihr bringt mich nicht als Gefangenen zu Slaterlee, damit er dann meine Familie erpressen kann. Nein, das tue ich meiner Familie nicht an. Also, lasst mich gehen – oder kämpft es mit mir aus!«
In seiner Stimme ist ein ruhiger Klang, der ihnen deutlich sagt, wie wenig er blufft und wie sehr er es ernst meint.
Das können sie nicht glauben.
Sie wollen es auch nicht glauben. Denn wenn er nicht blufft, ist er zum Sterben bereit.
Nein, dies können und wollen sie nicht glauben. Alles in ihnen sträubt sich dagegen.
Und so beginnen sie alle zu grinsen. Ja, Jesse Shesshiere und ein anderer Mann lachen sogar leise.
»He, so verrückt bist du doch nicht, Jim Uvalde«, sagt Shesshiere dann wie ein Mann, der einen Bluff erkannt zu haben glaubt.
Aber Jim Uvalde sagt nichts. Er macht vielmehr einen weiteren Schritt seitwärts zur Tür, ist dieser jetzt schon so nahe, dass er mit einem langen Sprung draußen sein könnte.
Da ruft Shesshiere laut und scharf: »Jim Uvalde, wenn du noch einen einzigen Schritt machst – ja auch nur eine winzige Bewegung! –, dann bist du ein toter Mann! Dann geben wir es dir alle!«
Nun endlich ist in Shesshieres Stimme alles zu erkennen – alles, was er bisher verborgen hielt an mitleidloser Härte und eiskalter Gefährlichkeit. Nun zeigt er sehr deutlich, dass er wahrscheinlich ein Killer ist.
Eine Sekunde verharren sie dann so, vielleicht auch zwei.
Und der Atem von Gewalt weht im Raume.
Plötzlich wissen sie, dass Jim Uvalde kämpfen wird. Sie wissen es instinktiv. Es geht von ihm aus wie ein Strom. Sie können den Anprall dieses Stromes deutlich spüren. Es ist ein Stolz, ein fester Entschluss, eine wilde Verwegenheit, welche schonungslos ist gegen sich selbst.
Ja, sie begreifen es in diesen zwei Sekunden.
Und schon fragen sie sich, ob es auch unter ihnen Tote geben wird und wen von ihnen es erwischen könnte.
Doch dann kommt alles ganz anders.
Draußen kracht ein Gewehr – irgendwo dort draußen in der Nacht.
Die Kugel fliegt über Jim Uvaldes Schulter hinweg und schlägt in die Hängelampe über dem Tisch.
Jim Uvalde hechtet durch die Tür, dreht draußen auf der Veranda eine Rolle und wirft sich nach rechts. Er tut dies keinen Sekundenbruchteil zu früh. Im Gegenteil, es ist schon fast zu spät. Denn eine der Kugeln, die aus der Tür pfeifen, streift ihn am Rücken, indes er zur Seite rollt.
Er hält mit einem Ruck still und feuert mit seinem Colt auf die Tür und die Fenster. Drinnen erlosch das Licht. Die Lampe, welche von der Kugel getroffen wurde, fiel nieder auf den Tisch. Aber das auslaufende Öl fing kein Feuer. Deshalb ist es dunkel drinnen.
Aber es fallen auch keine Lichtbahnen mehr heraus.
Jim Uvalde kriecht von der Veranda. Er erreicht sein Pferd beim Wassertrog, reißt den Sattel von der Stange und beginnt das Tier zu satteln. Er vergisst auch all sein Gepäck nicht, auch nicht seine warme Jacke, die er hier draußen ließ.
Und indes er fieberhaft arbeitet und jeder Handgriff unwahrscheinlich schnell gelingt, kracht das Gewehr noch mehrmals in der Nacht.
Der ihm unbekannte Schütze feuert noch weitere sechs Kugeln auf die Station im Tonto-War-Pass ab, hält die Männer dort drinnen, nagelt sie gewissermaßen fest.
Wahrscheinlich glauben sie sogar, dass Jim Uvalde sich eine Mannschaft mitbrachte und sie nun eingeschlossen sind in dem Haus. Sie glauben jetzt zu wissen, warum er ihnen so furchtlos und entschlossen schien.
Ihrer Meinung nach hatte er Trümpfe im Ärmel, und sie werden sich nun eine Weile still verhalten, um herauszufinden, wie es weitergehen wird.
Das Spencergewehr des unbekannten Schützen verstummt, als Jim Uvalde fertig ist mit seinem Pferd. Als er sich in den Sattel schwingt, hört er den Hufschlag eines anderen Pferdes, welches über den Pass galoppiert. Er weiß, dass es das Tier des Mannes sein muss, der ihm so unverhofft aus der Klemme half und dem er wahrscheinlich sein Leben zu verdanken hat.
Er treibt sein Tier an und folgt dem Reiter. Er kann ihn nicht sehen. Die Nacht ist jetzt zu dunkel. Der Mond ist noch irgendwo verborgen, und der Himmel ist noch nicht klar genug, um das Licht der Sterne zur Erde sickern zu lassen.
Nach einer Weile begreift er, dass er den Mann nicht einholen kann. Sein Pferd stolpert manchmal über kleine Hindernisse am Boden.
Die Nacht ist zu schwarz, um hier wild und rau reiten zu können.
Wahrscheinlich ist das Pferd des anderen Mannes auch frischer. Denn Jim Uvaldes Tier hatte all die Tage einen schwergewichtigen Reiter tragen müssen.
Was Jim Uvalde nicht weiß, ist die Tatsache, dass der schon graue Falke Kilkenny – denn dieser war es wirklich, der ihm aus der ersten Klemme half – fast fünfzig Pfund weniger wiegt und ein besseres Pferd reitet, obwohl schon Jim Uvaldes Tier ein gutes Pferd ist.
Er kann seinen unbekannten »Retter« nicht einholen, um sich bei ihm zu bedanken. Als ihm dies klar wird, gibt er es auf. Es hat keinen Sinn, sein von einem Tagesritt müdes Pferd noch länger hinter einem Reiter herzujagen, der unbekannt bleiben will. Aber er fragt sich immer wieder, wer ihm wohl geholfen hat.
☆
Kurz vor Mitternacht hält er an und blickt auf das White-Mountain-Bassin nieder. Nun endlich leuchten Mond und Sterne. Die Nacht wurde klar und kühl.
Dort um dieses gewaltige Becken zu seinen Füßen hat sein Vater Jack Uvalde gegen Richard Slaterlee gekämpft.
Um diese Weide dort unten ging es.
Er sieht die Stadt Slaterlee, die nach Richard Slaterlee benannt wurde. Und ein paar Meilen weiter im Nordosten erkennt er die Lichter der großen Ranch.
Selbst in der Dunkelheit und auf die große Entfernung kann er in der klaren Nacht die Größe der Ranch erkennen.
Das dort ist das Hauptquartier eines Cattle-Kings.
Er hat auch davon gehört, wie groß Slaterlee geworden ist. Nachdem er lange genug hinunterblickte, zieht er sein Pferd noch einmal halb herum und wittert und lauscht den Weg zurück, den er geritten kam.
Aber von der Tonto-War-Station folgt ihm immer noch niemand.
Warum nicht?
Gab es dort Verwundete, Tote? Wollen Shesshiere und dessen Männer nicht in der Nacht in einen Hinterhalt reiten? Denn für solch einen Hinterhalt gibt es hier bis hinunter zum Bassin viele Möglichkeiten.
Jim Uvalde denkt nicht länger mehr darüber nach.
Er reitet weiter hinunter und bleibt auf dem Wege nach der kleinen Stadt Slaterlee.
Es ist Richard Slaterlees Stadt. Sie lebt in seinem Schatten, und sie hat hauptsächlich Einkünfte durch die Slaterlee-Reiter, durch einige kleine Minen in den Schluchten und Canyons und lebt auch vom Postkutschen- und Frachtverkehr der Ost-West-Route, die durch das Bassin führt nach Nevada hinüber und nach Kalifornien.
Dies alles reicht nur für zwei oder drei Dutzend Menschen. Größer kann Slaterlee nicht sein.
Die Ranch ist größer.
Als Jim Uvalde unten auf der Ebene des Bassins ist, hält er an und blickt noch einmal zurück.
Er sieht nichts, gar nichts. Immer noch folgt ihm niemand.
Doch plötzlich weiß er, warum dies so ist.
Jesse Shesshiere hat nur den Befehl, den Pass besetzt zu halten. Er darf ihn gar nicht verlassen. Doch er kann gewiss Signale geben von irgendeinem Punkt dort oben. Mit Feuerschein bei Nacht oder Spiegelblinken bei Tage kann er alles melden, was wichtig ist.
So wird es sein, denkt Jim Uvalde, lenkt sein Pferd vom Weg herunter und taucht unter in den Schatten der Nacht.
Er ist kaum zwischen einigen Felsen verschwunden, als er den Hufschlag einiger Pferde hört. Die Reiter haben es sehr eilig. Sie jagen an ihm vorbei und zum Pass hinauf.
»Aha«, murmelt er nur, wartet eine Weile und reitet dann weiter.
Doch nun meidet er den Weg und reitet querfeldein.
Zwei Stunden nach Mitternacht reitet er an der Stadt vorbei.
Und eine weitere Stunde später ist er der Slaterlee-Ranch sehr nahe.
Er verbirgt sein Pferd unter einem mächtigen Nussbaum und verharrt noch ein paar Minuten in dessen Schatten.
Noch einmal überlegt er und ruft sich alles in Erinnerung, was er über Richard Slaterlee weiß.
Dann macht er sich auf den Weg.
Die letzte Stunde der Nacht ist angebrochen. Hier auf der Ranch ist alles ruhig. Aber als er um die Corrals herumkommt und zwischen den Scheunen hindurch zur Hinterseite des Ranchhauses will, da springt ihn vollkommen lautlos ein großer Hund an, will ihm an die Kehle wie ein erfahrener Wolf.
Jim Uvaldes Reflexe sind nun fast noch schneller als vor einigen Stunden bei der Pass-Station, als er sich durch die Tür ins Freie hechtete.
Er schiebt seinen Unterarm in den zuschnappenden Fang hinein, und er tut es weit genug, sodass der Fang gar nicht mehr so sehr viel Kraft hat. Aber er kämpft nicht mit dem Tier. Der Ärmel seiner Lederjacke schützt ihn noch ziemlich gut.
Er sagt ganz ruhig: »He, Amigo, dies ist aber keine freundliche Begrüßung. Warum willst du mir an die Kehle, mein Junge? Sei lieber friedlich! Bevor du mir den Unterarm zerbeißt, hast du gleich mein Messer zwischen den Rippen. Also lass es bleiben, Hombre. – Na?«
Der Hund steht immer noch auf den Hinterbeinen, hat seine Pfoten gegen seine Brust gestemmt und hält seinen Arm mit dem Fang fest.
Aber er beißt nicht kräftiger zu, obwohl er dies könnte.
Er zögert noch.
Und da ist etwas in Jim Uvaldes Stimme – da geht auch etwas von ihm aus. Beides berührt den Hund, als wäre es eine Zauberkraft.
Aber es ist ganz einfach so, dass Jim Uvalde noch niemals in seinem Leben von einem Hund gebissen wurde. Alle Hunde, zu denen er spricht, werden schnell seine Freunde. Und er konnte schon bald das böseste Tier streicheln.
Warum das so ist, weiß er selber nicht zu sagen. Aber es ist so.
Auch dieser Hund tut ihm nichts, lässt bald schon von ihm ab und hockt sich zu seinen Füßen nieder, sieht nur aufmerksam zu ihm hoch.
»Na also, mein Bester«, sagt er leise zu dem Hund und legt ihm die Hand auf den Kopf und zwischen die Ohren. Das schwarze Tier lässt es geschehen. Es stößt sogar einen Schnurrton des Behagens aus.
»Nun, dann pass mal schön weiter auf, mein Junge«, murmelt Jim Uvalde. »Du bist wirklich ein braver Bursche. Geh und lauf um die Corrals. Vielleicht streicht dort ein Lobo umher. Geh schon, Amigo.«
Er macht während seiner Worte einige deutende Handbewegungen. Und das Tier gehorcht wirklich.
Jedem anderen Manne wäre es an die Kehle gegangen oder hätte ihm den Unterarm zerfetzt. Jim Uvalde schnauft erleichtert, dann geht er weiter. Er ließ seine Sporen am Sattelhorn seines Pferdes. Deshalb bewegt er sich so leise wie ein Schatten.
Es gibt auch hier auf der Rückseite des großen Ranchhauses eine Veranda. Rechts davon ist ein Fenster im oberen Stockwerk offen. Er kann es gut erkennen.
Und so zögert er nicht. Er versucht es gar nicht erst bei der Verandatür, sondern klettert an einem Weinspalier empor. Die Trauben zwischen dem Weinlaub sind schon fast reif. Jim Uvalde bringt es fertig, unwahrscheinlich leise zu sein und kaum irgendwelche Geräusche zu machen.
Auch dies ist fast Zauberei, kaum weniger als vorhin mit dem Hund.
Als er sich durch das offene Fenster in das Zimmer schwingt, atmet er kaum anders als zuvor.
Aber wenn er den Atem anhält, hört er das Atmen eines anderen Menschen.
Dort drüben in der Ecke muss ein Schläfer im Bett liegen.
Richard Slaterlee vielleicht?
Aber nein, dies wäre ein zu glücklicher Zufall. Dies ist gewiss nicht Slaterlees Zimmer. Solch ein großer Rancher will sein ganzes Reich sehen, wenn er auch nur die Nase aus dem Fenster schiebt. Plötzlich weiß Jim Uvalde, wem das Zimmer gehört.
Er riecht es.
Denn was er da wittern kann, ist der Duft einer Frau. Ja, es kann nur eine Frau sein.
Und da ist auch schon ein Name in seinem Gedächtnis wieder klar vorhanden.
Jennifer – Jennifer Slaterlee!
Slaterlees Tochter! Ist dies hier ihr Zimmer?
Jim Uvalde steht einige Atemzüge lang da. Er denkt an seine Familie, die mit zehntausend Schafen in einer großen Falle sitzt. Er denkt an seine Brüder, die gewiss kämpfen werden – und die man wahrscheinlich töten wird, weil Slaterlee eine Übermacht von Reitern besitzt.
Schließlich denkt er auch an seine Mutter, die mit ihren Söhnen und den Schafen in ein anderes Land will, in eine andere Zeit.
Oh, in dieser Minute, da er bewegungslos verharrt und noch einmal alles überdenken muss, da eilen seine Gedanken tausend Meilen in der Sekunde.
Dann entschließt er sich, und er weiß, dass es von jetzt an kein Zurück mehr geben kann und wird.
Als er sich entschließt, da verändert sich etwas in ihm; es wird hart und unversöhnlich.
Er tritt an das Bett der Schläferin und legt ihr die Hand auf Mund und Nase. Mit dem anderen Arm drückt er sie fest nieder.
Sie erwacht sofort, will kämpfen, sich wehren. Doch dann erkennt sie, dass der Mann sehr viel stärker ist. Sie entspannt sich wieder.
Er sagt flüsternd: »Das ist klug von dir, Jenny! Ich lasse dich jetzt los! Aber wenn du schreist, wird es schlimm. Verstehst du? Ich möchte kein Blut vergießen. Ich will auch nicht töten. Aber wenn es sein muss …«
Er verstummt bitter, und sie hört seiner Stimme an, wie ernst es ihm ist.
»Wer sind Sie, Sie Strolch?«, fragt sie, nachdem er sie freigab und sie einige Male tief durchatmete.
»Jim Uvalde«, sagt er ruhig.
Sie setzt sich nun auf im Bett und zieht die Bettdecke hoch bis unter das Kinn.
»Jim Uvalde«, wiederholt sie gedehnt seinen Namen. Und dabei erinnert sie sich gewiss an die Zeit, da sie noch ein kleines Mädchen war und Jim Uvalde bereits ein großer Junge.
»Was willst du hier bei mir, Jim Uvalde?«, fragt sie schlicht. Er muss ihre Lebenskraft bewundern. Denn diese sachliche Frage hat er nicht erwartet.
»Meine Familie will raus aus der Falle«, sagt er. »Dein Vater lässt es nicht zu. Soll es einen Kampf geben? – Sollen meine Brüder getötet werden und auch einige von euren Reitern sterben?«
Sie gibt ihm keine Antwort, sitzt nur starr im Bett und hält sich die Decke bis unter das Kinn.
Aber er will auch keine Antwort. Er sagt ihr leise, doch mit entschlossener Stimme, was er zu sagen hat.
»Steh auf«, sagt er. »Ziehe dich wie zu einem Ausritt an. Du darfst auch eine Reisetasche voller für dich notwendiger Dinge mitnehmen. Mehr nicht. Und dann wirst du deinem Vater einen Brief schreiben, dass ich dich entführt habe und er dich wiederbekommen wird, wenn die Uvaldes zehn Tage Zeit haben, mit ihren Schafen dorthin zu ziehen, wohin sie wollen – auch über Slaterlee-Weide. Schreibe auch, dass Slaterlee meiner Familie das Angebot selbst machen soll und dass der Bote diesen Brief, den du jetzt schreibst, zu den Uvaldes mitnimmt und ihnen zu lesen gibt. Hast du alles verstanden?«
»Genau«, sagt sie. »Und du glaubst, dass ich das tun werde?«
»Wenn es keine Toten geben und kein Blut fließen soll?«, fragt er hart zurück. »Verstehst du nicht? Ich will nur eine faire Chance für meine Familie, die dein Vater in der Falle festhält. Ihre Schafe vermehren sich wie die Kaninchen. Die Weide in den Hochtälern und Canyons ist kahl. Sie müssen raus aus der Falle – und sie werden kämpfen, wenn sie keinen anderen Weg mehr sehen. – Also muss ich ihnen helfen.«
»Und du würdest mich töten?«, fragt sie hart.
Er gibt ihr keine Antwort.
»Ich will es von dir hören«, sagt sie. »Ich will hören von dir, ob du mich umbringen würdest wie ein Mörder. – Sprich!«
»Ich weiß es nicht«, murmelt er schwerfällig und hat ein Würgen in der Kehle. »Ich weiß nur, dass ich deinen Vater mit einem Faustpfand vielleicht zum Nachgeben bringen kann.«
»Er wird dich töten oder töten lassen«, spricht sie schlicht und steigt aus dem Bett.
☆
Als im Osten das erste Grau über die Berge kommt, sind sie unterwegs.
Sie haben nur wenig Gepäck. Sie nehmen auch nur Jim Uvaldes Pferd, kein weiteres Tier von der Ranch. Und der Hund ist bei ihnen, schnüffelt nur an Jennifer und Jim.
Jim Uvalde hat Jennifer vor sich auf dem Pferd, welches sich etwas ausruhen konnte und nun wieder ruhig trabt.
Jim Uvalde reitet auf die Berge zu, die nach Norden vom großen Canyon-Maul durchbrochen werden.
Und durch den Canyon könnte man zu den Hochtälern des White-Mountain-Landes gelangen und damit auch zu den Uvaldes.
Einen Moment ist er versucht, diesen Weg einzuschlagen. Er denkt stark an seine Mutter, an die Brüder.
Ja, warum könnte er mit seinem »Faustpfand« nicht direkt zu ihnen reiten? Dann wären sie wieder alle beisammen.
Aber bald schon verwirft er seine Gedanken.
Nein, es ist gewiss besser, wenn er mit Jennifer zehn Tage unauffindbar ist für beide Seiten.
Als die Sonne schon so hoch ist, dass sie den Tag zu wärmen und den Tau von den Gräsern zu trocknen beginnt, da erreichen sie eine Weidehütte der Slaterlee-Ranch. Es ist eine kleine Grenz- und Wachhütte mit einem Corral und einem Schuppen.
Ein Mann arbeitet hier an einigen Corral-Pfählen, die er mit der Axt zuspitzt, um sie irgendwo mit einem Hammer in weichen Boden treiben zu können, ohne ein Loch graben zu müssen.
Der Mann sieht auf, späht wachsam.
Aber als er Jennifer erkennt, entspannt er sich wieder und grinst.
»Hallo, Miss Jennifer – haben Sie Ihr Pferd verloren?«
So fragt er.
Aber dann zeigt Jim Uvalde ihm den Colt.
»Lass deinen Gürtel mit der Waffe fallen und hau ab«, sagt er zu ihm. »Hast du gehört, Hombre? Du kannst ohne Waffe abhauen. Lauf heim zur Hauptranch! – Na, wird’s bald?«
Der Cowboy sieht auf Jennifer.
»Wer ist das? Wer ist dieses Großmaul? Der sieht fast wie einer der Uvaldes aus. Die wirken alle wie zu groß geratene Comanchen. – He?«
»Es ist Jim Uvalde – und er ist heimgekommen, um seiner Familie beizustehen«, erklärt ihm Jennifer. »Tun Sie, was er sagt, Frank. – Der hat mich in seiner Gewalt. Und Sie kennen ja wohl seinen Ruf als Revolverheld.«
»Richtig«, mischt sich Jim Uvalde wieder ein. »Und ich mache dir jetzt Beine, Bruderherz. – Gleich verlierst du Stiefel und Socken!«
Der Mann schluckt mühsam. Er ist ein stolzer Bursche. Schon allein die Tatsache, dass er ein Reiter der Slaterlee-Mannschaft ist, gibt ihm eine Menge Selbstbewusstsein.
Doch jetzt gehorcht er. Es sind nicht Jennifers Worte, die ihn zum Einlenken bringen – auch nicht Jim Uvaldes Worte sind das. – Nein, er hat eine Sekunde lang in Jim Uvaldes Augen gesehen und dort die unerbittliche Härte erkannt.
Er gehorcht.
Und als er einige Schritte getan hat, wendet er sich noch einmal um und ruft rückwärtsgehend dabei: »Uvalde, dies nimmt die Slaterlee-Mannschaft nicht hin. – Wir werden uns deinen Skalp holen. – Du kannst das gar nicht gewinnen.«
Nachdem er sich dieserart etwas Luft machen konnte, wandert er schneller, so als hätte er es eilig, zehn Meilen bis zur Ranch zu laufen.
Doch er wird bald zurückkommen, sollte er sehen, dass Jim Uvalde nicht alle drei Pferde mitnimmt, die sich im Corral befinden.
»Wir brauchen alles, was an Proviant dort drinnen zu finden ist«, sagt Jim.
Dann sitzt er endlich ab und hebt auch Jennifer vom Pferd.
Die ganze Zeit hat er ihre körperliche Nähe gespürt, hat ihren Duft gerochen, und auch die Wärme ihres geschmeidigen Körpers drang durch seine Kleidung.
Jennifer Slaterlee wurde eine begehrenswerte Frau in all den Jahren.
Sie stehen sich einige Atemzüge lang gegenüber.
»Bist du eigentlich schon verheiratet, Jenny?«, fragt er plötzlich.
Sie will heftig antworten. Er sieht es ihr an.
Aber dann hat sie sich schon unter Kontrolle. Sie lächelt sogar.
»Und wenn – was dann?« So fragt sie ein wenig schnippisch.
Da grinst er.
»Auf den Burschen wäre ich neugierig«, sagt er. »Denn ich meine, du müsstest einen ganz besonderen Mann bekommen – einen, der sich vom großen Rudel abhebt wie ein Schimmel. Denn du bist prächtig geworden, Jenny. Ich sah bisher nur wenige Frauen, die einen Vergleich mit dir aushalten würden – äußerlich.«
Sie steht bewegungslos vor ihm. Er sieht in ihre braunen Augen hinein. Ihr goldfarbenes Haar hat sie hinten mit einem Samtband zusammengebunden. Und sie trägt recht enge Hosen, eine Reitbluse und eine Lederjacke darüber.
Alles an ihr ist richtig – und für einen Moment geht von ihr ein Strom aus, den er deutlich spürt. Es ist plötzlich etwas zwischen ihnen, was ihnen beiden gefällt.
Aber dieser kurze Moment geht schnell vorbei.
»Pah«, macht sie, »für deine Komplimente kann ich mir wenig kaufen. Du bist ein schäbiger Strolch geworden, dem es nichts ausmacht, Frauen zu entführen. Dafür wird mein Vater dich aufhängen lassen. – Und ich werde zusehen.«
Er sagt nichts, indes sie sich abwendet und in die Hütte geht.
Aber er erwacht noch rechtzeitig aus seiner Starre und springt ihr nach. Er kommt gerade noch im richtigen Moment.
Denn sie hat das Gewehr des Cowboys, welches gleich neben der Tür an der Wand lehnte, schon in den Händen und will den Lauf senken, um ihn in die Mündung sehen zu lassen.
Er schlägt den Lauf wieder nach oben, nimmt ihr das Gewehr weg und entlädt es, indem er es immer wieder durchrepetiert, bis keine Kugel mehr herausfällt aus dem Verschluss.
»Du bist ja ein Biest«, sagt er. »Hättest du mich wahrhaftig erschießen wollen?«
»Sicher«, sagt sie heftig. »Das wäre besser für dich als das Hängen an einem Lasso – oder?«
Er sieht sie einen Moment schweigend an.
»Schade«, murmelt er.
»Was ist schade?«
»Dass wir Gegner sind, Jenny. – Das ist schade.«
Und dann denkt er an Nelly Slaughter, die schöne Besitzerin der Fair Play Queen, die er so plötzlich verließ, um seiner Familie beizustehen.
Nelly war ein Rasseweib, eine Frau, die sich unter Männern behaupten konnte, eine Tigerin, die schmiegsam wie ein Kätzchen sein konnte. Nelly und er passten gut zusammen.
Doch er verließ sie und sagte ihr, dass sie nicht auf ihn warten sollte.
Jennifer sah ihn die ganze Zeit fest an.
Plötzlich fragt sie: »Mit welcher Frau vergleichst du mich jetzt, Jim Uvalde?«
»Tue ich das?«
Sie betrachtet ihn kritisch, nagt dabei an ihrer Unterlippe.
Dann nickt sie. »Ich glaub schon«, sagt sie. »Dein Blick wurde abschätzend und nachdenklich – und dann kehrte er sich nach innen. Welche Frau musstest du verlassen, um herzukommen und gehängt zu werden?«
Er staunt über ihren Instinkt, ihre Einfühlungskraft und ihre Klugheit.
Oder war er so leicht zu durchschauen? Er glaubt es nicht. Es muss an ihrer Einfühlungskraft liegen.
Er nickt plötzlich.
»Ja«, sagt er, »ich verließ eine Frau, die nicht weniger schön war als du, Jenny. Und ich sagte ihr, dass sie nicht auf mich warten soll. – Verstehst du, ich nahm Abschied. – Ich verließ sie für immer. Ich brach alle Brücken hinter mir ab. Denn wenn dein Vater nicht vernünftig ist, wird dies ein großer Krieg. Dann wird es viele Tote geben. Auch mich wird es erwischen – vielleicht. – Nur auf eines kannst du wetten, Jenny. Hängen wird mich dein Vater nicht.«
Sie erwiderte nichts.
Aber sie steht da und sieht ihn seltsam an. Es ist etwas in ihrem Blick – und es strömt auch etwas von ihr zu ihm.
Er tritt plötzlich vor, fasst sie an den Oberarmen, zieht sie zu sich und küsst sie.
Einen Moment erwidert sie seinen Kuss; er spürt es deutlich, kann erkennen, was alles sie für einen Mann bereithält.
Dann aber drängt sie von ihm.
Ihr Atem geht etwas schneller.
»Warum tust du das, Jim Uvalde?«, fragt sie heftig.
Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß es nicht, Jenny – ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht war ich einen Moment verrückt. Doch du brauchst dich nicht zu fürchten, Jenny. Ich gebe dir mein Wort. Abgesehen davon, dass du meine Gefangene bist, wird dir nichts geschehen, was du nicht willst. – Gut so?«
Sie sieht ihn einige Atemzüge lang starr an.
Wieder nagt sie an ihrer Unterlippe. Ihre Nasenflügel vibrieren. Dann nickt sie.
»Küss mich nicht wieder«, sagt sie schließlich. »Es wäre dumm von uns beiden, wenn wir uns verlieben würden. Denn so wie ich es sehe, werden sich deine Brüder und unsere Reiter gegenseitig umbringen. Überdies bin ich verlobt.«
»Verlobt? – Mit wem?« In seiner Stimme ist Überraschung.
Er denkt unwillkürlich in diesem Moment an jenen Jesse Shesshiere, der ihn oben im Pass empfing. Aus Jesse Shesshiere wurde ein beachtlicher Bursche. Ob er Richard Slaterlees Schwiegersohn werden soll?
Aber dann hört er Jennifer sagen: »Du kennst ihn nicht. Er ist jetzt Vormann bei uns. Er wurde schon meines Vaters Vertrauter und rechte Hand. Es ist John McClellan. Ich lernte ihn vor einem Jahr in einem Hotel in El Paso kennen. Du wirst ihn kaum kennen.«
»Doch«, grinst Jim Uvalde da. »Den kenne ich. Er hat rote Haare, ist so groß und so schwer wie ich. Er trägt den Bart wie eine Sichel über den Mundwinkeln. Und er hat leuchtend blaue Augen und eine Narbe neben dem linken Mundwinkel. Ist er das?«
Sie nickt langsam und tritt einen Schritt zurück.
»Du kennst ihn. – Und?«
»Was?«
»Und? – Was hältst du von ihm?«
»Er ist ein Mann wie ich. – Er ist kein Wicht. – Einen richtigen Mann hast du also gefunden, Jenny.«
»Aber?« So fragt sie. »Es gibt doch ein Aber – oder?«
Er bewegt unschlüssig seinen Kopf, zuckt mit den Achseln.
»So gut kenne ich ihn auch wieder nicht«, murmelt er. »Ich spielte mit ihm drei Tage und drei Nächte Poker in einem Saloon zu Nogales.«
»Und wer gewann?«, fragt sie schnell.
»Er«, gibt Jim Uvalde zu und sieht ein zufriedenes Leuchten in ihren Augen. »Er war der bessere Spieler – und vielleicht wäre er auch der schnellere Schütze, der bessere Reiter und wer weiß noch was gewesen. Warum nicht? Er ist ein harter und entschlossener Bursche mit Schulbildung, ganz und gar einer von der Sorte wie dein Vater.«
»Und was ist das für eine Sorte?«
»Sie wird immer gieriger und hungriger, je mehr sie frisst. Es ist die Sorte der zweibeinigen Wölfe.«
»Und du? – Zu welcher Sorte gehörst du? Bist du kein zweibeiniger Wolf?«
Er wiegt seinen Kopf.
»Wohl nicht ganz«, murmelt er. »Denn ich …«
Er bricht ab, macht eine Handbewegung und meint: »Ach, ich will mich nicht loben. Vielleicht bin ich im Grunde auch nur ein Bursche, der einen kranken Hund mit dem Knüppel totschlägt, anstatt ihn zu pflegen. Machen wir, dass wir fortkommen. Pack alles ein, was wir in den nächsten zehn Tagen gebrauchen könnten, Jenny.«
Sie will etwas erwidern, will wütend reagieren und wahrscheinlich auch auf die Fortsetzung des Gespräches dringen.
Doch dann wendet sie sich zornig ab.
☆
Richard Slaterlee sitzt ganz ruhig beim Frühstück, so als wäre nichts geschehen. Und dennoch liegt der Brief, den Jennifer hinterließ, neben seinem Teller.
Indes er Eier mit Speck, dazu grobes Brot und eine Menge Kaffee vertilgt, wirft er immer wieder einen Blick auf die wenigen Zeilen.
Als John McClellan eintritt, hebt er nur kurz den Kopf. McClellan ist wirklich ein groß und beachtlich wirkender Bursche, ganz und gar ein Mann, der sich schon rein äußerlich von der Masse unterscheidet. Man hat ihn von den Corrals weggeholt, wo er noch vor dem Frühstück seinen ganz privaten Wettkampf mit einem Wildhengst, den bisher niemand von der Slaterlee-Mannschaft zu reiten vermochte, stattfinden ließ.
Und er konnte den Hengst reiten. Er blieb lange genug oben, sodass das bockende und wie verrückt springende Tier müde wurde.
Doch als es sich zu Boden warf und zu wälzen begann, musste er abspringen.
Morgen wird er es wieder versuchen – nein, er will es, denn er weiß ja noch nicht, dass er jetzt gleich eine ganze Menge anderer Dinge wird erledigen müssen.
Richard Slaterlee betrachtet ihn noch einmal prüfend. McClellan hält diesem Blick stand, und er kann es auch, denn er ist als Vormann absolute Spitze. Sein Boss und zukünftiger Schwiegervater hat nichts an ihm auszusetzen und wird sich eines Tages beruhigt auf sein Altenteil zurückziehen können. Denn ein eigener Sohn hätte kein besserer Nachfolger werden können als dieser Schwiegersohn, den die Tochter ihm brachte.
Wenigstens das hat mir eine Tochter eingebracht, denkt er manchmal.
Kauend schiebt er den Brief zu McClellan hinüber, der inzwischen Platz nahm und sich vom Chinesen den Teller füllen lässt. Als er den Brief gelesen hat, bleibt er ruhig sitzen und beginnt zu essen.
»Siehst du, das gefällt mir an dir«, knurrt Slaterlee kauend. »Du springst nicht auf wie von einer Nadel gestochen. Du bleibst erst mal ruhig und überlegst. Das ist richtig, mein Junge. Immer erst überlegen. Aber wenn gehandelt werden muss, dann …«
Er verstummt. Aber er lässt die Gabel los und stößt die geballte Rechte in den linken Handteller, dass es nur so klatscht.
»Ich kenne diesen Jim Uvalde«, sagt John McClellan nach einer Weile. »Mit dem habe ich in Nogales eine halbe Woche lang Poker gespielt – in einem Sitz, weißt du. Man muss mit einem Manne pokern – viele Stunden und Tage, lange Nächte –, um ihn gut genug kennen zu lernen. Dieser Jim Uvalde ist eine ganze Mannschaft wert. Das muss uns klar sein, Richard.«
Er sagt nicht Vater, Boss oder Dick – nein, er sagt auf eine achtungsvolle Art Richard. Und Richard Slaterlee nickt.
»Ja, er ist wahrscheinlich der einzige Uvalde, der etwas taugt, dieser Jim. Ich kann mich noch ganz gut an ihn erinnern. Kurz nach der großen Niederlage seines Vaters ritt er fort. Er musste über meine Weide. Ich traf ihn. Er war noch ein großer, magerer Junge von siebzehn. Ich fragte ihn, wohin er wolle. ›Weg, Mister, nichts als weg von hier. Diese Welt muss doch gewaltig groß sein. Deshalb kann ich nicht dort oben in den Hochtälern bei den Schafen bleiben. Aber vielleicht werde ich eines Tages wiederkommen, Sir.‹ – Ja, so sprach der Junge damals zu mir – und ich ahnte irgendwie, dass er ein besonderer Bursche werden würde. Ich traute ihm zu, dass er eines Tages zurück in mein Land kommen würde, um seinen Vater zu rächen. Jetzt ist er da. Und er hat dir deine Braut gestohlen. – Also suche ihn, und bringe das wieder in die Reihe. Ich stelle dich frei für diese eine Aufgabe.«
»Und du – und die Uvaldes? Was wird geschehen?«
»Ich schicke ihnen den Brief und lasse ihnen ausrichten, dass sie kommen können mit ihren stinkenden Schafen.«
Es ist etwas in Slaterlees flintsteinharten Augen, ein Funkeln, ein böser Glanz. McClellan erkennt es. Und so fragt er: »Und dann? Was wird dann sein, wenn sie aus der Riesenfalle herunter auf unsere Ebene kommen? Was wird sein, wenn sie mit ihren Schafen unsere Weide beschmutzen? Wo Schafe wanderten, da grast einige Jahre lang kein Rind. Zehntausend Schafe sollen es sein. Das sind zumindest ein halbes Dutzend Herden. Wenn die über unsere Ebene ziehen –«
»Schon gut, John«, unterbricht ihn Slaterlee. »Deine Aufgabe ist es, Jim Uvalde zu erledigen und deine Braut zu befreien. Mit den Uvaldes mache ich kurzen Prozess. Die sollen nur erst mal herauskommen aus ihrem großen Loch. Ich lasse mich nämlich von Jim Uvalde nicht erpressen. Auch nicht, wenn meine eigene und einzige Tochter in der Klemme sitzt. – Verstehst du? Ich werde die Uvaldes vernichten. Mit ihren Schafen. – Ich vertilge sie von dieser Erde. – Jetzt habe ich schon zehn Jahre darauf gewartet. Und nun kommen sie endlich aus dem Loch.«
John McClellan hat aufgehört mit dem Essen.
Er sieht Slaterlee seltsam an.
»Ich habe mich immer wieder über deinen Hass gewundert, Richard«, sagt er. »Du hegst einen Hass gegen die Uvaldes, den ich mir nicht erklären kann. Denn schließlich hast du sie doch von der Ebene gejagt. Du hast – so wie man es sehen muss – auch deinen Zweikampf gegen Jack Uvalde gewonnen. Er war nachher ein Krüppel. Du aber …«
Er verstummt, denn nun sieht er das Zucken in Slaterlees Gesicht. Er sieht ihm an, dass es ihn viel Nervenkraft kostet, sich zu beherrschen. Die Gabel in Slaterlees Hand verbiegt sich unter dem Druck der Finger. In seinen Augen ist das heiße Glitzern eines Hasses, der für McClellan unverständlich ist.
Eine Weile sitzt Richard Slaterlee so.
Dann bekommt er sich wieder unter Kontrolle.
Und fast müde fragt er: »Du meinst also, dass Jack Uvalde den Kampf verlor, weil er mich nicht so schlimm traf wie ich ihn?«
»So ist es doch wohl – oder?«
Als Richard Slaterlee nun aus der Kaffeetasse trinkt, zittert seine Hand.
Er wischt sich mit dem Handrücken den Kaffeerest aus dem Bart.
»Er traf mich schlimmer als ich ihn«, murmelt er dann. »Er machte mich als Mann gewissermaßen … Nun, ich hätte gerne noch ein paar Kinder gehabt, Söhne, vor allen Dingen. – Aber die Fleischwunde, die Jack Uvalde mir zufügte, war nicht einfach nur … – Aaaah, ich war als Mann eine Null geworden. Ich konnte nicht mehr Nachkommen zeugen und kann es immer noch nicht. – Verdammt, verstehst du jetzt, was es bedeutet, ein Riesen-Rinderreich zu schaffen, ein Cattle-King zu werden – und keinen einzigen Sohn zu haben, nur eine Tochter, die bald einen anderen Namen tragen wird? Ich werde Jack Uvaldes Söhne zur Hölle schicken. Und wenn du hier mein Nachfolger werden willst, dann sieh zu, dass du Jennifer aus den Händen von Jim Uvalde befreist. – Hast du mich verstanden?«
John McClellan erhebt sich langsam.
»Ja, ich habe dich verstanden«, murmelt er. »Dein Hass auf die Uvaldes ist mir nun endlich verständlich. Ja, ich werde Jennifer zurückholen und Jim Uvalde töten. Darauf kannst du dich verlassen.«
Er eilt sporenklirrend hinaus.
Denn nun kann er Richard Slaterlee nicht mehr gegenübersitzen. Der Hass dieses Mannes gegen eine Familie ist wie ein böses, großes, wildes Feuer, ein Feuer, welches Slaterlee von innen schon fast völlig zerfressen hat.
Richard Slaterlee aber erhebt sich.
Er sieht McClellan nicht nach. Nein, er tritt an das große Fenster und schaut hin zu den Bergen, dorthin, wo der Canyon in die Hochtäler der Uvaldes führt. Von dort müssen sie kommen.
Darauf hat er die ganze Zeit gewartet. Jetzt ist es bald soweit. Bald soll es auch keine männlichen Uvaldes mehr geben.
Das hat er sich immer gewünscht.
Denn dann erst wird er seinen Kampf gegen Jack Uvalde gewonnen haben.
Auch der Name Uvalde soll untergehen, so wie sein Name auch.
☆
Als John McClellan zu den Corrals geht, um sich ein besonderes Pferd zu holen, einen mausgrauen Wallach, der in den Bergen klettern kann wie eine Gämse und dafür auch besondere Eisen trägt, bringen zwei seiner Reiter einen kleinen, falkenäugigen Mann zu ihm, dessen graugelbes Haar bis fast auf die Schultern niederhängt.
»Der tauchte in der vergangenen Nacht in der Stadt auf«, sagt einer der Reiter lässig. »Er behauptet, ein Raubwildjäger zu sein, und wollte wissen, ob wir ein paar schlaue Wölfe oder Berglöwen auf der Weide hätten, mit denen wir nicht fertig würden. Wir dachten, Boss, dass wir ihn dir mal vorführen.«
John McClellan will zuerst ungeduldig abwinken, denn er hat ja wahrhaftig andere Sorgen.
Doch dann sieht er den kleinen Mann fest an.
Er spürt sofort, dass dieser schon verwitterte Bursche einiger Beachtung wert ist. »Wie ist dein Name? Wo kommst du her?«
So fragt er knapp und denkt: Das ist ja ein weißer Indianer. Ja, das ist ein typischer Jäger, und ich wette, dass er auch schon zweibeiniges Wild jagte. Dass er körperlich nicht groß ist, hat nichts zu sagen – gar nichts. Oha, ich sah noch nie einen Burschen, auf den der Begriff »Jäger« so sehr passt.
Indes hört er den kleinen Mann sagen: »Ich bin Kilkenny, mein Junge. Und ich kam von Osten. Ich bin überall, wo es Raubwild zu jagen gibt. Aber wenn ihr hier keine besonderen Probleme habt, dann kann ich ja weiter.«
John McClellan schüttelt leicht den Kopf.
Es stört ihn nicht, dass dieser alte sichelbärtige und schrägäugige Jäger ihn mit »mein Junge« anredete. Jeden anderen Mann hätte er zurechtgestutzt, doch diesen nicht. Es geht von diesem Jäger ein Strom der Ebenbürtigkeit aus.
»Wo sind deine Fallen, Kilkenny?«, fragt er vielmehr knapp. »Ein Raubwildjäger reitet doch zumeist mit zwei oder drei Packtieren voller Fallen und Campausrüstung.«
»Nicht ich«, erwiderte Kilkenny. »Ich jage Raubzeug, welches zu klug ist, um in Fallen zu tappen. Ich bin kein gewöhnlicher Raubwildjäger. Ich verfolge die frische Fährte meines Wildes, stelle es und nehme dann das Gewehr. Ich lege keine Wolfs- oder Pumafallen.«
John McClellan nickt zu diesen Worten. Ja, so ähnlich hat er es sich gedacht. Dieser Jäger ist stolz, und er jagt nur ganz besonderes Wild. Er macht diese Jagd zu einem persönlichen Zweikampf.
»Hast du auch schon zweibeiniges Raubwild gejagt, Kilkenny?« So fragt er ihn nun fast bedächtig.
Kilkenny sieht ihn drei Sekunden lang schweigend an. Dann nickt er.
»Ja, auch das.«