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5 spannende Westernromane von G. F. Unger lesen, nur 4 bezahlen!
G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 171 bis 175 der G.F. Unger Sonder-Edition:
Folge 171: Das Million-Cliffs-Land
Folge 172: Die letzte Stadt
Folge 173: Willamette-Saga
Folge 174: Zeit zum Kämpfen
Folge 175: Star Valley
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Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2019 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Manuel Prieto/Norma
ISBN: 978-3-7517-6490-2
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https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Sonder-Edition 171
Das Million-Cliffs-Land
G. F. Unger Sonder-Edition 172
Die letzte Stadt
G. F. Unger Sonder-Edition 173
Die Willamette-Saga
G. F. Unger Sonder-Edition 174
Zeit zum Kämpfen
G. F. Unger Sonder-Edition 175
Star Valley
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Contents
Das Million-Cliffs-Land
Barton Kellys Weg war rau und hart. Und er kam oft in Not und musste kämpfen. Er kam sogar so sehr in Not, dass er ins Million-Cliffs-Land, ins Land der Banditen, flüchten musste. Doch er verlor nie den Glauben an sich selbst. Er wusste auch stets ganz genau, wo die Grenze liegt, die ein Mann nicht überschreiten darf, wenn er nicht die Selbstachtung verlieren will.
Und weil das so war, musste Barton Kelly eines Tages wieder den Weg nach oben und zu einer besseren Zeit finden. Das konnte nicht ausbleiben.
Dies ist eine Geschichte aus einer Zeit, die längst vorbei ist. Und dennoch gilt auch heute in unserer Zeit noch eines: Ein Mann darf sich nicht aufgeben! Barton Kelly, dessen Weg damals so sehr viel schwerer war, als es heute in unserer zivilisierten Zeit sein könnte, soll ein Beispiel dafür sein.
G.F. Unger
Tob White betrachtet seinen Schützling wohlgefällig, denn er kann an Barton Kelly all das erkennen, was ihm damals fehlte – damals, als er so jung wie Barton Kelly war und sich einen Namen als Preisboxer gemacht hatte.
Doch dann stieß er auf Ben Conelly, den man den »Stier von Kentucky« nannte. Oh, Conelly war nicht der Mann, vor dem Tob White sich hätte fürchten müssen. Das wussten fast alle Leute. Und deshalb standen die Wetten damals hoch für ihn, Tob White.
Aber dann verlor er doch gegen Ben Conelly. Er verlor, weil ihn einige Burschen dazu »überredet« hatten, überredet mit massiven Drohungen. Und er hatte damals Furcht verspürt und sich erpressen lassen. Hunderte von Männern, die auf ihn gewettet hatten, wurden so enttäuscht und betrogen. Und jene wenigen Wetter, die auf Ben Conelly wetteten, bekamen jeden Dollar zehnfach zurück.
Tob White denkt wieder daran, als er Barton Kelly betrachtet. Und er fragt sich, was Bart wohl tun würde, wenn man auch ihn auf diese Art zu einem Betrug erpressen wollte? Ja, was würde Bart tun?
Tob White gibt sich sofort die Antwort; denn er kennt Bart wie einen eigenen Sohn. Er weiß, wie sehr Barton Kelly ein Kämpfer ist. Und weil ihm dies so sehr klar ist, hat er keinen Zweifel daran, dass Barton sich nicht erpressen ließe.
Doch da würden sie ihm umbringen! Dies denkt er erschrocken, und etwas von diesem Schrecken muss sich wohl in seinem Gesicht ausdrücken, denn Barton Kelly, der seine Hände in einer Schüssel badet, die mit einer grünlichen Flüssigkeit gefüllt ist, betrachtet ihn und sagt: »Tob, welcher Kummer quält dich jetzt? Dein Gesicht ist jetzt so faltig wie ein alter Apfel, den man im Keller vergessen hat. Und deine Augen blicken so erschrocken wie die von Tante Mayflower, als sie beim Ball am Unabhängigkeitstag den falschen Zopf verlor. Was ist mit dir, Tobias?«
Tob White grinst sofort. Er hebt die Hand und wischt sich über das faltige Gesicht, welches wie aus Baumrinde gemacht wirkt. Seine zerschlagenen Boxerohren bewegen sich seltsam, denn er grinst nun breit. Und dann murmelt er: »Ach, was! Ich dachte nur an alte Zeiten, als ich noch so jung war wie du. Ich wurde damals von Ben Conelly geschlagen – das heißt, ich ließ mich schlagen. Alle Leute wussten es. Und ich war nachher erledigt. Ich überlegte mir gerade, was du wohl an meiner Stelle …«
Er kommt nicht weiter, denn die Tür wird geöffnet.
Zwei Männer schieben sich in den Raum. Der eine Besucher ist nicht sehr groß, und er verfügt auch sicherlich über keine besondere körperliche Stärke. Doch er wirkt zäh und drahtig. Es ist nichts besonders Auffälliges an ihm, so meint man, bis man in seine Augen blickt. Und dann erschrickt man irgendwie oder wird zumindest vorsichtig und wachsam. Und dieser kleine Mann erscheint einem gar nicht mehr so unscheinbar. Er wirkt plötzlich sehr viel beachtlicher als der breite und riesenstarke Kerl, der hinter ihm in den Raum kommt und sich von innen gegen die Tür lehnt, ein langes, dolchartiges Messer zum Vorschein bringt und damit seine Fingernägel zu säubern beginnt.
Barton Kelly nimmt seine Hände aus der Badeflüssigkeit. Es ist ein besonderer Saft, den Tob White nach einem Geheimrezept herstellt. Er macht die Haut hart und fest und verhindert das Aufschlagen der Handknöchel.
Denn man schreibt ja das Jahr 1870, und die Preisboxer kämpfen noch ohne Handschuhe. Boxhandschuhe werden erst im Jahre 1892 eingeführt, als James J. Corbett, genannt »Gentleman-Jim«, den Weltmeister Sullivan nach den erstmals geltenden Queensberry-Regeln in der 21. Runde entscheidend besiegt.
Man kämpft also ohne Handschuhe und mit der blanken Faust, und deshalb muss ein Boxer wie Barton Kelly etwas dafür tun, dass seine Hände sich nicht so schnell aufschlagen und zu bluten beginnen.
Er nimmt also seine Hände aus der Flüssigkeit und betrachtet die beiden Besucher ruhig.
Barton Kelly ist ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren. Er gehört nicht zu den boxenden Riesen, und er ist auch kein superschwergewichtiger Muskelberg. Barton Kelly ist ein junger Athlet von etwa einsachtzig, und er wiegt nicht viel mehr als hundertsiebzig Pfund.
Das ist für einen Preisboxer nicht besonders beachtlich. Denn es gibt ja noch keine Gewichtsklassen. Barton Kelly hat schon mit Männern gekämpft, die sechzig Pfund mehr wogen, und das waren sechzig Pfund mehr Masse, mehr Muskeln, mehr Knochen.
Doch er schlug sie. Und das ist das Besondere an ihm.
Er scheint aus einer besonderen Substanz gefertigt zu sein, die mehr aushalten und mehr leisten kann.
Er ist prächtig gebaut, und sein Gesicht ist fast hübsch. Er ist einer der vielen Kellys, die aus Irland in die neue Welt kamen, und so ist auch sein Haar gekräuselt und rot. Er hat eine Menge Sommersprossen und zwei scharfe, grünblaue Augen, die tief geschützt in ihren Höhlen liegen und weit auseinander stehen. Dass er Preisboxer ist, sieht man ihm angekleidet bestimmt nicht an. Er konnte bisher sein Gesicht vor all den schlimmen Zeichen bewahren. Und selbst seine Ohren sind noch weit davon entfernt, »Blumenkohlohren« zu sein – ein Ausdruck, den die Boxer gebrauchen.
Er lächelt leicht und sagt: »Wenn dies ein Besuch sein soll, dann ist es sicherlich kein freundlicher, nicht wahr?«
»Nein, nicht sehr, nur rein geschäftlich«, sagt der kleine Mann. Er macht eine schnelle Bewegung und hat plötzlich einen Revolver in der Hand. Es wirkt wie eine Zauberei und ganz so, als hätte er diesen Revolver aus der Luft gegriffen.
»Mein Name ist Mallone«, sagt er fast sanft. »Duff Mallone bin ich. Und dieser Gent an der Tür ist mein lieber Bruder Bill. Wir arbeiten schon eine ganze Weile in Geschäften der Überredung. Und wir sind noch keinem Menschen begegnet, der sich von uns nicht zu seinem Vorteil überreden ließ.«
Er lächelt auf eine Art, die an einen Terrier erinnert, der gerne Ratten jagt und voller Vorfreude seine Zähne zeigt.
Aber Barton Kelly ist keine Ratte. Er bleibt ruhig und fragt sanft: »Und nun möchten Sie mich zu einer Handlungsweise überreden, die überdies auch noch zu meinem Vorteil sein soll? Ja?«
»Für einen Preiskämpfer, der doch gewiss immer wieder harte Fäuste gegen den Kopf bekommt und deshalb nach einer gewissen Anzahl von Kämpfen nicht mehr ganz richtig im Kopf sein kann, begreifen Sie ziemlich gut und schnell, mein Freund von Irlands grüner Insel«, erwidert Duff Mallone. Er macht dann wieder eine leichte Handbewegung, die selbst für Barton Kellys gutes Boxerauge nicht ganz in ihrem Ablauf zu erkennen ist. Sein Revolver ist verschwunden, und an seinem kleinsten Finger funkelt nun ein Brillantring, der zuvor, als die Hand die Waffe hielt, nicht zur Geltung kam.
Überhaupt sind die beiden so ungleichen Brüder sehr teuer gekleidet, und das will hier in Saint Louis etwas heißen, denn hier gibt es eine ganze Anzahl guter Schneider, und mit den Saloon-Schiffen kommen genügend Gentlemen oder Dandys den Mississippi herauf, die nach der neuesten Mode gekleidet sind oder sich hier entsprechend einkleiden.
Aber wenn hier geschrieben wird, dass die beiden Mallone-Brüder teuer gekleidet sind, so ist damit nicht gemeint, dass sie elegant wirken. Duff Mallone wirkt zu sehr nur äußerlich nobel.
Und sein Bruder Bill wirkt wie ein Tanzbär, den man verkleidet hat. Ein Bär aber ist gefährlich. Er ist sogar gefährlicher und vor allen Dingen unberechenbarer als jedes andere Raubtier. Und daran ändern auch irgendwelche lustigen oder gar noblen Verkleidungen nichts.
Barton Kelly hört seinen guten, alten Tob leise, doch unverkennbar bitter seufzen. Und in die Stille hört er ihn gepresst flüstern: »Das ist es wohl. Ich musste soeben so sehr daran denken, wie es mir damals erging. Und es wiederholen sich wohl manche Dinge im Leben.«
Er kommt zu Barton Kelly, legt seine Hand auf dessen Arm und murmelt bitter: »Diese Mallones sind schlimm. Jeder weiß das. Vielleicht weißt du über sie nicht so richtig Bescheid, Bart, mein Junge. Doch …«
»Ich wüsste Bescheid, auch wenn ich zuvor noch nichts über sie gehört hätte«, erwidert Barton Kelly.
Und dann sieht er Duff Mallone an. »Was soll es sein?«, fragt er.
»Das ist vernünftig«, lächelt der kleine Bandit – ja, er ist ein Bandit, dieser Duff Mallone. Das ist es, was man spürt, wenn man in seine harten und hellen Augen blickt und darin die unversöhnliche Mitleidlosigkeit erkennt, jene Kälte und Härte, die so gefühllos ist, dass man meint, seine Augen wären Eis, nichts anderes.
»Sie werden sich von Ihrem Gegner verprügeln lassen, Barton Kelly«, spricht er dann präzise und leidenschaftslos. »Sie werden einen Schaukampf veranstalten und sich in der fünften oder sechsten Runde auf die Bretter legen. Es muss echt aussehen, wenn Ed Adamson gegen Sie gewinnt. Und wenn er nicht gewinnen sollte …«
Er verstummt ganz lässig und gedehnt. Doch sein Revolver liegt wieder in seiner Hand. Und sein Bruder wirft plötzlich das dolchartige Wurfmesser, mit dem er an den Fingernägeln kratzte. Das Messer fährt in den Wandkalender. Die Blätter dieses Kalenders sind nicht größer als eine Hand. Denn es ist ein Abreißkalender. Die Klinge bohrt sich tief in alle Blätter und heftet sie mitsamt dem Papprücken fest gegen das Holz der Wand.
Das oberste Blatt zeigt den genauen Tag an.
Es ist der 23. Juni 1870 in Saint Louis, und in den Zeitungen kann man lesen, dass am Nachmittag die beiden Preiskämpfer Barton Kelly und Ed Adamson kämpfen.
Man kann auch sehen, dass die Wetten sieben zu eins für Barton Kelly stehen. Und das ist es ja wohl auch, was die Besucher hier zu Barton Kelly führt. Denn stünden die Wetten zu Ed Adamsons Gunsten, so würden sich die beiden Mallones wohl bei diesem eingefunden haben, um ihn zu etwas zu überreden, was nichts anderes als ein Wettbetrug sein kann. Der bullige Mallone bewegt sich nun durch das Zimmer und holt sich sein Messer. Er bewegt sich sehr leicht, lässt das Messer in seiner Kleidung verschwinden und starrt Barton Kelly an.
»Wir sind sehr zuverlässig«, sagt er kehlig. »Was wir versprechen, halten wir. Dies sind wir unserem Ruf schuldig. Wir haben versprochen, dafür zu sorgen, dass Ed Adamson den Kampf gewinnen wird. Wir gaben gewissermaßen unser Wort darauf. Und wenn ihr uns wortbrüchig machen solltet, dann bekommt ihr was von uns, was euch nicht schmecken wird. Ihr werdet es nicht verdauen können. Bestimmt nicht!«
Nach diesen Worten geht er zur Tür. Und sein Bruder Duff, der ihn reden ließ und lächelnd zuhörte, so als freute er sich darüber, dass der bullige Bruder einige zusammenhängende Worte sprechen kann, nickt nun und fügt nur noch hinzu: »Das wär’s also, Gentlemen!«
Als er es gesagt hat, folgt er Bill, der ihm die Tür aufhält und dann hinter ihnen schließt.
Es ist dann still im Zimmer. In diese Stille tönt Tob Whites Seufzen und kommen gepresst seine Worte: »Das ist es! Jawohl! Bart, mein Junge, sie machen es mit dir genauso wie damals mit mir. Damals kamen drei Burschen zu mir, ein Revolvermann und zwei Schläger. Und als sie gingen, da wusste ich, dass sie mich irgendwie aus dem Hinterhalt erwischen und töten würden, wenn ich nicht das tun würde, was sie von mir verlangten.«
Er verstummt heiser, räuspert sich und wischt sich übers Gesicht.
Dann kommt er zu Barton, legt diesem die Hand auf die Schulter und sagt: »Bart, du weißt, ich bin dein alter, guter Tob. Du weißt, dass ich glücklich sein würde, wenn du all das erreichen könntest, was ich damals nicht schaffen konnte. Doch ich muss dich warnen. Diese beiden Mallones bluffen nicht. Sie werden versuchen, dich zu töten, wenn du den Kampf gewinnen solltest.«
Bart betrachtet ihn seltsam ernst. »Ich weiß«, murmelt er. »Ich habe schon dann und wann mal etwas von den beiden Mallones gehört. Vor zwei Monaten brachten sie einen Kapitän dazu, dass er seinen großen Flussdampfer an eine Schifffahrtsgesellschaft verkaufte, die frisch gegründet worden war. Und dann …«
Er bricht ab und winkt mit der Hand ab. »Ich kenne sie den Gerüchten nach«, wiederholt er. Dann stellt er Tob die Frage: »Willst du, Tob, dass ich mich ihnen unterwerfe und tue, was sie von mir verlangen?«
Tob White bekommt wieder seinen besonders faltigen Gesichtsausdruck, wie immer, wenn er Kummer spürt. Er geht von Barton Kelly fort und tritt ans Fenster ihres Hotelzimmers. Er kann zum Flusshafen blicken, auf all die vielen Landebrücken und die daran festgemachten Schiffe. Er sieht das bewegte Treiben, und all die tausend Geräusche vermischen sich zu einem Summen.
Ein großes Bienenhaus ist dieser Hafen mit seiner Stadt, denkt Tob White. Er kann auch den Platz sehen, wo der Kampf stattfinden wird. Es ist eine große Plattform auf dem Fluss. Sie schwimmt gut gesichert zwischen zwei Landebrücken, an denen einige Flussdampfer im »Päckchen« festgemacht haben, also je mehrere Schiffe nebeneinander. Zur Strommitte hin sind einige große Flachboote verankert. Und auch das Flussufer zwischen den Landebrücken wird einige hundert Zuschauer aufnehmen können.
Ja, dort auf der Plattform wird Barton Kelly kämpfen, und am Ufer, auf den vielen ankernden Schiffen und auf den Flachbooten werden die Zuschauer eine vieltausendköpfige und brüllende Meute sein. Fast alle diese Männer und noch sehr viele Leute im Lande und in dieser Stadt werden gewettet haben. Für einige hunderttausend Dollar Wettgelder stehen auf dem Spiel. Und die Wetten stehen sieben zu eins für Barton Kelly. Wenn Ed Adamson gewinnen sollte, werden Wetter, die auf ihn zum Beispiel tausend Dollar gesetzt haben, siebentausend Dollar gewinnen. Und wer zehntausend Dollar setzte, wird siebzigtausend bekommen.
Tob White weiß das alles. Und so wie jetzt, so war es damals vor mehr als einem Dutzend Jahren, als er noch ein berühmter Preiskämpfer war. Er verlor damals, und er wäre von den enttäuschten Wettern fast gelyncht worden. Er war nachher als Boxer ein erledigter Mann. Er bekam keine Kämpfe mehr, die etwas Geld brachten. Er arbeitete auf Jahrmärkten, ging später nach dem Westen und wurde Rauswerfer in Saloons und Amüsierhallen.
Und jetzt sieht er alles noch einmal neu vor Augen.
Jetzt droht es Barton Kelly, den er wie einen kleinen Bruder liebt.
Er wendet sich ihm zu und sagt: »Die Entscheidung kann nur bei dir liegen, Bart. Wenn du gewinnst, werden sie versuchen, dich zu töten. Dies sind die Mallones ihrem Ruf schuldig. Sie würden schon bei ihrer nächsten Erpressung und Nötigung Schwierigkeiten haben, wenn sie dich davonkommen ließen. Niemand würde sie mehr so fürchten. Also, sie werden es wahrhaftig versuchen, dich zu töten. Und sie werden es sehr klug und raffiniert anstellen, darauf kannst du dich verlassen. Sie werden ein gutes Alibi haben und es so tun, dass es keine Zeugen gibt. Sie haben Erfahrung.«
Wieder schweigt er. Aber dann sprudelt er hervor, so als könnte er die Worte nicht länger zurückhalten: »Aber es war ein Hundeleben nachher, lass dir das von mir sagen, Bart. Ich verachtete mich selbst, und ich hatte jeden Glauben an mich verloren. Ich brauchte Jahre, um mich wieder etwas besser zu fühlen. Und mein Glück begann erst wieder, als ich dich traf und dir dabei helfen konnte, ein berühmter Boxer zu werden. Überleg dir das alles …«
»Vielleicht ist dieser Ed Adamson tatsächlich besser als ich, und ich werde von Adamson ehrlich geschlagen. Wir werden sehen. Ich kann noch nicht sagen, was ich tun werde. Vielleicht wäre es klug, wenn ich mich schlagen lasse. Vielleicht rettete das unser Leben. Aber es wäre nachher ein Hundeleben, wie du selbst weißt, Tob. Und deshalb sollte ich vielleicht doch ehrlich kämpfen, mit dem Bemühen, zu siegen. Vielleicht wäre es besser, wenn wir der Gefahr dann ins Auge sähen. Was wäre dir lieber, Tob? Was würdest du tun, wenn du die Zeit noch einmal zurückdrehen könntest?«
Tob White leckt sich über seine trockenen Lippen. »Zum Teufel, ich würde kämpfen«, sagt er. »Ich würde kämpfen, um zu siegen. Denn ich habe viele Menschen betrogen, und ich musste später für ein Mittagessen und einen Drink in einer Schaubude kämpfen. Und es kamen Burschen auf die Bühne, die sich hundert Dollar verdienen wollten, indem sie mich schlugen. Ich musste mich mit jedem Rowdy herumprügeln. Es waren schlechte Zeiten. Es gab keine Arbeit für einen Mann, der keinen festen Wohnsitz hatte. Denn ich besaß kein Geld. Mein Manager war mit unserem Geld durchgebrannt. Und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln, hatte er doch große Hoffnungen in mich gesetzt, die ich dann zerstörte. Nun, Bart, da bist du besser dran. Wenn du aufhören wolltest, so wärest du nicht mittellos. Du hast eine hübsche Summe auf der Bank. Und du hast einen richtigen Beruf erlernt. Du bist ein guter Cowboy. Du könntest zu jeder Zeit in den Westen gehen und eine Ranch aufbauen. Du hast Geld und besitzt Kenntnisse. Ich aber hatte nichts anderes gelernt als zu kämpfen. Mein Manager hatte mich aus einer Horde von Bengeln geholt, mit denen ich mich prügelte. Und dann tat ich all die Jahre nichts, als mich darauf vorzubereiten, ein Preisboxer zu werden. Ich zog mit meinem Manager und den anderen Boxern, die er unter Vertrag hatte, durch die Welt. Und eines Tages war ich dann groß genug. Aber dann war es schnell vorbei. Bart, wenn du aufhören willst, dann hör auf. Aber kämpfe ehrlich! Und lass dich nicht erpressen und zu einem Wettbetrug nötigen, mag da kommen, was da wolle. So denke ich. Und wenn ich meine Zeit noch einmal zurückdrehen könnte, nun, diesmal hätte ich keine Furcht. Denn was nachher kommt, wenn ein Mann sich gefürchtet hat, wenn er sich vor sich selbst schämt und wenn er den Glauben an sich verloren hat, das ist schlimmer. Und ich kenne dich, Bart! Ich kenne dich gut! Dein Stolz ist groß. Du könntest es nie vergessen, dass du vor zwei Schuften gekniffen hast.«
Er verstummt, und nun wirkt er fast erschrocken. »Hab Dank für deine Worte, Tob«, murmelt Barton Kelly und blickt auf die Uhr.
»Wir müssen uns fertigmachen, nicht wahr?«
Tob blickt aus dem Fenster. »Sicher, die Zuschauer strömen jetzt mehr und mehr herbei. Und die Musik beginnt nun gleich zu spielen. Sie haben eine zwölf Mann starke Kapelle auf das Sturmdeck der ›Rose of Mississippi‹ gesetzt.«
Als er verstummt, beginnt die Kapelle zu spielen. Barton Kelly aber beginnt sich zu entkleiden. Er schlüpft in eine enge Wolltrikothose. Um seine Hüften wickelt er eine seidene Schärpe von leuchtend blauer Farbe.
Und sein Oberkörper bleibt bloß.
So wird er kämpfen. Und er denkt unwillkürlich daran, dass der Faustkampf schon im Jahre sechshundertachtundachtzig vor Christi erstmalig im olympischen Programm stand. Das las er einmal in einem Buch. Und Abbildungen von alten Vasen zeigten in diesem Buch, dass die Faustkämpfer damals nicht viel anders aussahen als er, Barton Kelly, ein Texaner, dessen Vater noch ein echter Ire war. Und er selbst wurde noch in Irland geboren, kam aber schon im Alter von drei Jahren in die Neue Welt.
☆
Eine halbe Stunde später tritt er gegen Ed Adamson an, und ringsumher brüllt die Zuschauermenge. Er hört sie wie aus weiter Ferne, denn er hat sich ganz auf den Gegner konzentriert, und das Wort, welches später einmal geprägt wurde und welches sagt: »Im Ring ist der Boxer der einsamste Mensch auf der Welt«, hat schon eine gewisse Wahrheit und Richtigkeit in sich.
Ed Adamson ist groß, breit, massig und gelbhaarig. Er sieht sehr gewaltig aus, und man glaubt, dass dort, wo er hinschlägt, kein Gras mehr wachsen kann, wie man so bezeichnend im Volksmund sagt.
Er ist auch sicherlich ein durchschnittlich guter Preiskämpfer. Doch er ist zu langsam. Er ist einer von den Burschen, die eine Menge Schläge hinnehmen und einstecken, um selbst schlagen und treffen zu können, und die dann das größere Stehvermögen haben. Er ist einer der Boxer, die gerne Fuß bei Fuß kämpfen, keilen, einstecken und austeilen.
Er kommt mit Barton Kelly nicht zurecht, denn dieser geht ständig um ihn herum und erkennt mit seinem guten Auge alle Schläge schon im Ansatz, weicht aus, nimmt den Kopf weg, blockiert und kontert dann so fürchterlich hart und trocken, schnell und präzise.
Schon in der dritten Runde glaubt Ed Adamson nicht mehr daran, dass er gegen diesen um fast vierzig Pfund leichteren Mann gewinnen kann. Er spürt schon jetzt die Wirkungen einiger Treffer, und als er zum Ende der dritten Runde dann auch noch einen knallenden Leberhaken nehmen muss, werden ihm die Knie weich.
Die Menge brüllt enttäuscht auf, als die Runde beendet ist, und Barton Kelly, der in seiner Ecke von Tob das Handtuch nimmt und sich den Schweiß aus dem Gesicht wischt, hört Tob sagen: »Du kannst ihn schlagen, wie du willst, mein Junge. Das sieht schon jeder halbwegs normale Mann. Er ist mächtig groß und sehr viel schwerer, doch er ist gegen dich ein aufgeblasener Frosch. Man kann sehen, dass deine Schläge sehr viel schneller und härter sind. Jeder erwartet nun, dass du ihn bald von den Beinen schlägst. Aber wirst du es tun, Bart, mein Junge?«
»Hast du Angst vor den Mallones, Tob?«
»Ich? Nein! Ich habe einen Revolver in der Tasche. Und wenn ich diesem Duff Mallone nahe genug bin, dann reicht mein Schlag noch aus, um ihn drei Yards weit von den Beinen zu stoßen, dass er sich am Boden überschlägt. Ich fürchte mich nicht, Bart! Überdies habe ich tausend Dollar auf dich gewettet, die ich verlieren würde – und das Siebentel für den Sieg dazu.«
»Also gut«, murmelt Barton, und dann beginnt die vierte Runde. Die Kämpfer begegnen sich in der Mitte der schwimmenden Plattform. Es gibt kein Seilgeviert, wie man es heute kennt, und auch die ganze Boxtechnik ist sehr viel einfacher und primitiver.
Deshalb ist eine genaue Schilderung des Kampfes für den Leser nicht sehr von Interesse.
Gleich am Anfang trifft Barton Kelly den Mann auf Kinnwinkel und Ohr. Ed Adamson hockt dann eine Weile auf den Knien am Boden und seufzt hörbar. Er steht dann wieder auf und stellt sich. Doch er ist angeschlagen und benommen. Er geht dann wieder zu Boden und verdaut einen Magenhaken. Als er sich erhoben hat und vorgeneigt gegen Barton taumelt, gibt ihm dieser einen Aufwärtshaken, der den Mann fast ins Wasser wirft, so weit taumelt er aus dem Kreidekreis und bis zum Rand der Plattform. Dann fällt er auf die Knie, legt sich auf die Seite, rollt auf den Rücken und streckt Arme und Beine von sich.
Und dort liegt er nun wie tot – ein geschlagener Preiskämpfer. Barton Kelly blickt auf ihn nieder, und indes der Ringrichter zählt, spürt Barton Kelly wieder einmal mehr, dass dies eigentlich keine Sache ist, auf die er stolz sein könnte.
Er hat für Geld gekämpft. Er hat seine Fäuste immer wieder gegen den Kopf und auf die empfindlichen Körperstellen des Gegners geschlagen, bis dieser kampfunfähig wurde.
Und jetzt gilt er als Sieger. Man hat auf ihn gewettet wie bei einem Pferderennen auf ein besonders schnelles Tier oder wie beim Hahnenkampf auf einen besonders streitbaren Gockel.
Es sind nur wenige Sekunden, die Barton Kelly so steht und wartet und während derer er deutlich spürt, wie wenig ihn dieses Leben als Preiskämpfer befriedigt und wie noch weniger etwas an dieser Tätigkeit ist, auf was er stolz sein könnte.
Er blickt sich um, als die Masse der Menschen ringsum aufbrüllt, ihm zujubelt und die Musik auf dem Achterschiff der Rose of Mississippi einen Tusch spielt.
Ja, Ed Adamson liegt nun schon weit über die Zeit auf den Brettern der schwimmenden Plattform, auf der morgen ein wanderndes Theater aus Boston ein Schauspiel zum Besten geben wird.
Tob White ist nun bei Barton und hängt einen Mantel über seine Schultern. Dann gehen sie über den Laufsteg an Land, finden einen Weg durch die Gasse der Menschen und haben es nicht sehr weit bis zum Hafenhotel, in dem der Veranstalter dieses Kampfes ihnen zwei Zimmer reservieren ließ.
Es ist sehr später Nachmittag, fast schon Abend. Die Sonne steht tief im Westen, und der Strom und alle Schiffe liegen schon längst im Schatten. Der Himmel glüht, und die Gassen der Stadt werden dunkel und geheimnisvoll.
Barton Kelly bekam tausend Dollar für diesen Kampf, und er hat den Scheck für die Summe in Empfang genommen, bevor er die Plattform betrat.
Vor dem Hotel trennen sie sich. Denn Tob White will den Scheck jetzt sofort bei der Bank einlösen. Er sagt: »Besser ist besser, obwohl John Trevor als Veranstalter einen guten Namen hat. Aber wenn wir schnell aus dem Land wollen, ist es gut, viel Bargeld zu haben.«
Damit geht er davon. Barton Kelly aber beeilt sich in seinem Zimmer. Er wäscht sich rasch und kleidet sich noch rascher an. Weil Tob immer noch nicht zurück ist und es inzwischen Abend und damit dunkel geworden ist, verlässt er das Zimmer, um Tob entgegen zu gehen. Zur Hafenbank ist es nicht weit, nur wenig mehr als hundert Schritte. Diese kleine Bankfiliale ist vor allen Dingen für die Flussschiffer und den Frachtverkehr gedacht.
Überall in den Häusern brennen nun die Lampen, und gelbe Lichtbahnen fallen über die Hafenstraße. Da und dort tönt Musik aus den Saloons, und auch auf den großen Amüsierdampfern, die hier festgemacht haben und auf denen man sich mit viel Geld fast alle Sünden und fragwürdigen Freuden kaufen kann, beginnt der Nachtbetrieb.
Auf der Uferstraße ist viel Leben. Eine Menge schiebt sich stromauf und stromab. Es wird eine warme, sternklare und betriebsame Nacht. Barton Kelly erreicht den Eingang der Bankfiliale, als Tob White daraus zum Vorschein kommt.
»Es ist gut«, murmelt Tob. »Ich habe auch schon mein Wettgeld einkassiert. Wir sollten unsere Sachen packen und verschwinden. Unseren nächsten Kampf haben wir in Kansas City. Dort wartet Buffalo Jack auf dich. Die Abendpost nach Kansas ist noch nicht abgefahren. Wir könnten sicherlich zwei Fahrkarten bekommen und hätten noch Zeit, unsere Siebensachen aus dem Hotel zu holen. Und vielleicht kommen wir davon, ohne die Mallones zu Gesicht zu bekommen.«
Die letzten Worte spricht er zweifelnd. Seine Hand hält er unter dem Rock verborgen, denn in seinem Hosenbund steckt ein Revolver, den er am Griff gefasst hält. Sein Kopf bewegt sich ständig, und seine Augen prüfen die vorbeiziehenden Menschengruppen.
Natürlich werden sie immer wieder erkannt. Man ruft Barton Kelly immer wieder anerkennende Worte zu.
»Nun gut«, sagt Barton. »Gehen wir zur Kansas-Post und fragen wir, ob noch zwei Plätze nach Westen frei sind.«
Sie setzen sich in Bewegung, und sie müssen die Uferstraße weiter hinunter bis an die Ecke der Allen Street. Hier hat die Kansas Overland Line ihr Büro, und gleich nebenan, vor dem Kansas-Hotel, da fahren die Kutschen ab.
Sie bekommen noch zwei Fahrkarten, kehren eilig in ihr Hotel zurück und regeln unten die Rechnungen – das heißt, sie brauchen keine Rechnung zu bezahlen, sondern nur ihre Unterschrift zu geben. Denn der Veranstalter des Kampfes gewährte ihnen freien Aufenthalt für drei Tage.
Der Hotelmann, der sie hinter dem Anmeldepult bedient, ist sehr wortkarg und zurückhaltend. Sein Blick ist irgendwie vorsichtig und unpersönlich.
»Sie verlassen uns sehr plötzlich und unvorhergesehen«, murmelt er schließlich, als Barton und Tob sich zur Treppe wenden. Doch die beiden Männer geben ihm keine Antwort. Sie eilen hinauf und betreten bald darauf ihre Zimmer.
Barton Kellys Koffer ist schon gepackt. Er nimmt nun seine große Reisetasche aus dem Schrank, um auch sie mit dem Rest seiner mitgeführten Habe zu füllen.
Doch die Tasche ist ziemlich schwer.
Und sie ist auch nicht leer.
Barton Kelly holt einen großen Beutel hervor, der mit schweren Goldstücken und einigen dicken Packen Papiergeld gefüllt ist. Und der Beutel trägt den Aufdruck: »Riverstreet-Bank, Tensslip & Co.« Es ist aber alles mehr oder weniger nur Kleingeld, keine großen Stücke oder Scheine. Barton wendet den Kopf, als sich die Tür von Tobs Zimmer öffnet und Tob mit einem gleichen Beutel in der Hand zum Vorschein kommt.
»Was ist das?«, fragt Tob heiser und gepresst.
Barton Kelly ahnt es in dieser Sekunde. Es ist wie das Aufblitzen eines Lichtstrahles, so jäh kommt ihm die Erkenntnis. Doch er müsste viele Worte sprechen, um es genau zu erklären.
Aber es kann auch mit einem einzigen Wort gesagt werden. Barton Kelly sagt es: »Mallones!«
Tob White begreift es nun ebenfalls, und sein faltiges Gesicht wird bleich unter der braunen Haut. Er lässt den Beutel fallen, so als verbrenne der seine Finger.
»Aaah!« Mehr sagt er nicht.
Und dann geht es sehr schnell. Draußen auf dem Gang sind plötzlich viele Männer, die leise bis vor die Tür gekommen waren. Jemand tritt die Tür mit einem kräftigen Tritt auf und kommt mit zwei schussbereiten Revolvern herein.
Es ist einer der Hilfsmarshals der Stadt, und er hat außer seinen beiden Revolvern noch einige Helfer mitgebracht, von denen einer eine gefährlich wirkende Schrotflinte, deren Läufe abgesägt wurden, in den Händen hält.
»Nur ruhig, sonst knallt es!«, sagt der noch ziemlich junge Hilfsmarshal. Er ist einer von der Sorte, die sich gerne einen Ruf als harter Bursche und schneller Schießer erwerben will.
Er und seine Begleiter kommen ins Zimmer. Es ist dann nur noch eine Frage von Sekunden, und dann haben sie auch schon die beiden Geldbeutel entdeckt.
»Man hat euch aus der Bank kommen sehen«, sagt der Hilfsmarshal dann gewollt kühl. »Ihr werdet dem Richter und einer Jury erklären müssen, wie ihr in den Besitz dieser zwei mit Geld gefüllten Beutel kommt, und wie es sein konnte, dass man nach eurem Weggang den Filialleiter erschlagen vor dem noch offenen Geldschrank fand, den er offensichtlich gerade schließen wollte. Ihr werdet es erklären müssen. Und zu diesem Zweck verhafte ich euch hiermit.«
Er hat ein noch junges und schon so hartes und kaltes Gesicht. In seinen Augen ist ein Leuchten, so wie wenn Stahl im Mondlicht glänzt.
Er wird schießen, dieser junge Marshalgehilfe.
Und auch der Mann mit der Schrotflinte und die drei oder vier anderen Männer werden schießen.
»Nun gut«, sagt Barton Kelly und hebt die Hände. »Man hat uns ziemlich übel reingelegt. Doch ich glaube daran, dass sich unsere Schuldlosigkeit herausstellen wird.«
☆
Fünf Tage später wissen er und Tob White ganz genau, wie es ist, wenn man reingelegt wird und darauf hofft, dass sich von selbst herausstellt, wie unschuldig man ist.
Barton und Tob haben gar keine Chance.
Es gilt als erwiesen, dass sie zuletzt in der Bank waren. Der Bankkassierer, der zugleich auch Filialleiter war, wurde überdies durch einen Faustschlag getötet. Dies sagt der Arzt aus, und es ist gewiss keine Lüge. Die Jury aber wertet diese Aussage als weiteren Beweis. Denn ist Barton Kelly nicht ein Boxer, der sehr wohl einen Mann mit einem einzigen Fausthieb töten kann, wenn er das Opfer unglücklich trifft und wenn es sich bei dem Opfer um einen nicht besonders kräftigen, sondern eher schwächlichen Mann handelt?
Als Hauptbeweis dient natürlich, dass man zwei Beutel mit dem gestohlenen Geld bei den Verdächtigen fand. Es fehlt nur ein Paket mit besonders hohen Banknoten, deren Nummern, wie es sich herausstellt, von der Bank sogar notiert wurden.
Es gelingt dem Gericht nicht, von den beiden Angeklagten zu erfahren, wo dieses besonders wertvolle Geldpaket geblieben ist. Und auch dies wird dann als belastend gewertet.
Barton Kelly und Tobias White hören dann auch, nachdem die Jury ihr »schuldig« gesprochen hat, das Urteil. Sie hören es stehend und gefasst, denn sie erkannten inzwischen schon, dass sie keine Chance haben und so schlimm reingelegt wurden, wie es Männer nur werden können.
Sie hören, dass sie wegen Bankraubes und Mordes zum Tode durch Erhängen verurteilt werden.
Denn die Jury hält ihre Schuld für erwiesen.
Und sie hören, dass das Urteil in der kommenden Woche an einem Morgen vollstreckt werden wird. Man wird es ihnen vierundzwanzig Stunden vorher bekannt geben.
Und die Zeitungen sind voll davon, dass der bekannte und berühmte Boxer Barton Kelly und sein Betreuer, der Exboxer Tobias White, Banditen und Mörder wurden bei dem Versuch, noch schneller zu Geld zu kommen. Und eine Zeitung schreibt davon, dass ja Preisboxer ohnehin nichts anderes als Rowdys wären, die keiner geregelten Arbeit nachgehen wollen und somit in sich alle Anlagen trügen, die ein Abrutschen und Versagen nur begünstigen.
Barton Kelly und Tob White bekommen die Todeszellen nebeneinander. Sie können sich durch die Gitterstäbe betrachten und auch Gespräche führen. Sie werden Tag und Nacht bewacht, und sie denken auch Tag und Nacht an die Mallones, die der Gerichtsverhandlung als Zuschauer beiwohnten. Barton und Tob ist es vollkommen klar, dass die Mallones ihre Drohung wieder einmal wahr gemacht haben. Und einige Eingeweihte wissen dies sicherlich auch.
Doch man könnte den Mallones nichts nachweisen.
Und würde man sie öffentlich irgendwie beschuldigen, so würden sie wahrscheinlich wegen übler Nachrede Anzeige erstatten.
Ja, so sind die Mallones.
Und einige Leute, die viel Geld verloren haben, weil Barton Kelly den Kampf gewann, obwohl die Mallones diesen Leuten versprochen hatten, dass dies nicht der Fall sein würde – diese Leute also werden wieder einmal mehr begreifen, wie sehr es falsch und gefährlich ist, den Mallones nicht gehorsam zu sein.
☆
Es ist die dritte Nacht nach dem Urteil. Barton Kelly liegt auf der Pritsche und raucht. Ja, sie dürfen rauchen, trinken und sich aus dem Restaurant alle guten Dinge kommen lassen. Denn sie wurden ja zum Tode verurteilt und besitzen Geld, mit dem sie bezahlen können.
Barton Kelly raucht also, und er denkt: Dies ist etwas, was ich mir zuvor nicht gestattete. Und nun kann ich es tun. Du lieber Gott, ich hätte nicht gedacht, dass ich so früh schon sterben müsste. Ich dachte immer, dass mein Leben noch wie ein großes und unentdecktes Land vor mir läge. Ich wurde Preiskämpfer, weil ich mir so schnell wie nur möglich Geld für eine Ranch verdienen wollte. Aber bald schon wollte ich aufhören. Ich hätte fast schon genug gehabt. Und dann …
Er bricht seine Gedanken ab, schließt die Augen und träumt. Er sieht wieder einmal all jene Dinge, die er sich wünscht, jenes Ranchhaus in den Hügeln an einem Creek. Er sieht sich als junger Rancher und Boss einer kleinen, aber erstklassigen Mannschaft, und er sieht seine Rinder und Pferde. Er erlebt Sommer und Winter, Regen und Trockenheit und all die guten und schlechten Dinge, die es für einen Rancher gibt.
Oh, er kennt sich aus. Er wurde in Texas auf einer Rinderranch geboren. Er konnte mit dem Lasso umgehen, bevor er zur Schule ging, und seine Boxerlaufbahn war für ihn stets nur ein Übergang, ein notwendiges Kapitel in seinem Leben, mit dem Zweck, das Anfangskapital für eine Ranch zu schaffen.
Doch jetzt ist er erledigt. Aus!
Er öffnet die Augen wieder und wendet den Kopf. Tobias White wandert in der benachbarten Zelle umher, murmelt leise irgendwelche Worte, schüttelt immer wieder den Kopf, so als wären irgendwelche Dinge auf dieser Welt unfassbar für ihn, schnauft ständig und wischt sich immer wieder mit seiner großen und narbigen Hand über das faltige und einst so oft zerschlagene und wieder verheilt aus wilden Schlachten hervorgegangene Boxergesicht.
Als er entdeckt, dass Barton ihn beobachtet, kommt er an die Gitterstäbe, ergreift zwei davon, so als wollte er sie knicken, und spricht zwischen zwei Stäben hindurch: »Um mich ist es ja nicht schlimm, ich habe längst meine beste Zeit vertan und bin viel zu ausgebrannt, um etwas auf die Beine zu bringen. Ich war und bin zu nichts mehr nützlich auf dieser Welt. Aber du, du, mein Junge, du …«
Die Stimme versagt ihm, und er senkt den Kopf, bis sein Kinn die breite Brust berührt.
»Nein, nein, nein, dass es so was gibt auf dieser verdrehten Welt, dass es solche Dinge gibt, das ist – ja, das ist …«
»Es wurde schon vor unserer Zeit in einem großen Buch aufgeschrieben«, sagt Barton Kelly hart. »Und als dann die Seite aufgeschlagen war, da kamen wir an die Reihe. Es hilft kein Klagen und kein Bedauern, alter, guter Tob. Spucken wir diesen Dummköpfen, die es nicht anders wollen und können und die so froh waren, dass sie so schnell einige Schuldige finden konnten, vor die Füße. Was bleibt uns anderes übrig?«
Kaum dass er es gesagt hatte, tönt von draußen ein lauter Knall, der sich wie eine Detonation oder eine Sprengung anhört.
Sehr bald darauf wird es laut in der Stadt, vor allen Dingen hier am Flusshafen. Bald darauf tutet das Feuerhorn.
Der Wächter, der vor den Zellen an einem Tisch saß und in einem Katalog blätterte, hat sich längst erhoben und ist in den Durchgang zum vorderen Zellenraum getreten.
Selbst Barton und Tob hören seine Stimme von der Straße in das Gefängnis rufen: »Die Rose of Mississippi ist geplatzt! Ja geplatzt! Sie hatte schon Dampf drauf, um beim ersten Tageslicht ablegen zu können. Und da ist ihr Kessel geplatzt wie eine Papiertüte, in die man Luft bläst. Das halbe Schiff ist auseinander geflogen. Und nun brennt es! Es wird die anderen Schiffe in Brand setzen, denn dieser verteufelte Wind bläst hinein wie ein Blasebalg ins Schmiedefeuer!«
Dann wird es still. Und der Wächter kommt in den hinteren Zellenraum zurück.
»Das wird eine schlimme Nacht«, sagt er zu den Gefangenen. »Es stürmt draußen, ohne dass Regen niedergeht. Und in diesem Sturm brennt jetzt auch noch die Rose of Mississippi, die als letztes Schiff eines Dreier-Päckchens liegt. Sie wollte bei Morgengrauen ablegen und hatte schon Dampf drauf. Oh, es ist ja nur noch eine knappe Stunde bis zur Morgendämmerung. Wenn man das Schiff nicht zeitig löschen oder von dem Päckchen an den anderen Schiffen losmachen kann, wird es wieder einmal einen schlimmen Brand geben. Doch das interessiert euch wohl nicht besonders, was?«
Er fragt es mit einem Lächeln, welches spöttisch und mitleidlos zugleich ist.
»Nein, es interessiert uns nicht sehr, wir haben andere Sorgen. Diese Stadt, in der eine solch große Menge Dummköpfe leben, interessiert uns nicht«, erwidert Tob White.
Und dann schweigen sie.
Draußen tobt der Sturm immer lauter und wilder. In der Ferne dröhnt und grollt lang anhaltender Donner. Es ist ein nächtliches Sommergewitter. Die Nacht war zuvor sehr schwül und fast windstill.
Und vom Hafen her kann man, wenn der Gewittersturm einmal aussetzt, um Atem zu holen, all den Lärm vernehmen.
Einer der Marshalgehilfen kommt von vorn in den hinteren Zellenraum, »Wir müssen alle zum Hafen«, sagt der Mann zum Wächter. »Du bist allein. Der Begleitmann von der Morgenpost kommt dann herein, um die Dienstpost nach Kansas abzuholen.«
Damit verschwindet der Sprecher. Der Wächter folgt ihm brummend, um hinter ihm die Vordertür abzuriegeln.
Und indes dies geschieht, fällt ein kleiner Gegenstand in Barton Kellys Zelle. Er blickt zu dem kleinen Fenster auf, welches dort hoch oben und schon fast an der Decke ist. Dieses Fenster ist so klein, dass nur eine Katze durchschlüpfen könnte, und es dient auch mehr als Luftabzug, denn als Fenster.
Der Gegenstand, der vor Bartons Füße fiel, ist ein Steinchen.
Und nun sieht er, dass dort oben hinter dem hohen Fensterchen jemand ist. Wahrscheinlich steht dieser Unbekannte auf einer Leiter, die an die Rückwand des Gefängnisses gelehnt wurde.
Barton, der also durch das Steinchen aufmerksam gemacht worden ist, bewegt schnell seine Hände und fängt einen Revolver auf, den der Unbekannte nun durch das kleine Rechteck hält und fallen lässt.
Tob schnauft in der benachbarten Zelle. Und als er die Luft anhält, hört er ebenfalls den Unbekannten draußen flüstern: »Viel Glück, Jungens! Mehr kann ich nicht für euch tun. Ich weiß, dass euch die Mallones so reinlegten, und ich will nicht, dass ihr unschuldig sterben müsst. Auch die Explosion auf der Rose of Mississippi ist ein Werk der Mallones. Denn der Schiffseigner weigerte sich, seine Rose an diese verteufelte Schiffsgesellschaft zu verkaufen, die ein Monopol in die Hand bekommen will. Viel Glück!«
Und dann ist es still.
Der Wächter kommt von der Vordertür zurück, durchquert all die Räume und gelangt wieder in den hintersten Zellenraum. Er setzt sich wieder hinter den Tisch und sagt dabei: »Das Gewitter wird sicherlich bald richtig losbrechen. Und wenn es einen Wolkenbruch gibt, so löscht der besser als alle Feuerspritzen. Na, was steht ihr denn beide so in euren Zellen herum, als wartetet ihr auf die Postkutsche nach Kansas, hahaha?«
Als er sein Lachen beendet hat, nimmt Barton seine Hände, die er hinter dem Rücken verborgen hielt, nach vorn und zeigt ihm den Revolver. »Er ist geladen«, sagt er, obwohl er dies nicht genau weiß. »Und wir haben nichts zu verlieren, mein Freund und ich, nicht wahr?«
Der Wächter ist hinter dem Tisch erstarrt. Und nun flüstert er: »Nein, ihr habt wirklich nichts zu verlieren. Sie können euch nur einmal hängen. Und ihr würdet mich umbringen, nicht wahr?«
»Wir möchten gern am Leben bleiben, denn wir sind unschuldig«, sagt nun Tob White heiser. »Wir sind so unschuldig wie du. Und du würdest es wohl sehr ungerecht finden, wenn wir dich töten. Nun, dann komm her und schließ auf! Komm her!«
Der Wächter gehorcht. Er holt sich den Schlüssel. »Jemand muss über die Friedhofsmauer geklettert sein und euch mit Hilfe einer Leiter den Revolver durch das Luftfenster geworfen haben. Das Fenster ist draußen sehr hoch, über vier Yards. Ihr habt mächtig viel Glück. Aber man kennt euch genau. Man wird die Steckbriefe in alle Staaten und Territorien schicken. Ihr werdet gehetzt und gejagt werden. Vielleicht bekommt ihr die Hölle nun erst richtig und wünscht euch noch mal, dass ihr …«
»Oh, halt doch deinen Mund und schließe auf!« Tob White sagt es grob. Und er ist dann auch wenig später mit Barton Kelly frei. Sie sperren den Wächter ein. Als sie dann durch den vorderen Zellenraum gehen, in dem all die Taschendiebe, Falschspieler, Trunkenbolde und kleinen Schufte gesperrt sind, die in einer solch betriebsamen Stadt wie dieser immer wieder im Stadtgefängnis landen, da wird es in diesen Zellen laut. Und all diese eingesperrten Strolche verlangen, dass die beiden Freigekommenen sie ebenfalls herauslassen.
Doch dies tun Barton und Tob nicht. Dass sie aus begreiflichen Gründen ihre Freiheit haben und ihr Leben retten möchten, dies bedeutet nicht, dass sie nun dabei behilflich sind, einige mehr oder weniger große Schurken in Freiheit zu setzen, damit die menschliche Gemeinschaft wieder betrogen und bestohlen wird.
Doch Barton und Tob gehören ja nicht mehr zu dieser menschlichen Gemeinschaft. Sie sind Ausgestoßene, und man wird sie nun jagen und hetzen. Sie werden irgendwo Zuflucht suchen müssen.
Und Zuflucht – die gibt es für sie wahrscheinlich nur dort, wo es noch kein Gesetz gibt.
Aber erst einmal müssen sie aus dieser Stadt entkommen.
Als sie das Büro des Gefängnisses erreichen, halten sie lange genug an, um ihre Habseligkeiten aus einem der Regale zu nehmen. An ihr Geld kommen sie jedoch nicht heran, denn dieses ist im Geldschrank eingeschlossen. Sie bewaffnen sich jedoch.
Und dann öffnen sie die Tür und gleiten auf die Straße.
Hinter ihnen toben die anderen Gefangenen in den Zellen. Und der Lärm dringt bis auf die Straße.
Allerdings ist die Straße leer bis auf einen einzigen Mann. Alle anderen Leute, die zu so früher Morgenstunde – oder später Nachtstunde – auf den Beinen waren oder aus ihren Häusern kamen, liefen durch die Seitengassen zum Hafen hinunter.
Aber ein einzelner Mann wollte zum Stadtgefängnis, in dem sich ja auch das Marshal’s Office befindet.
Und dieser Mann will die Dienstpost für die Morgenpostkutsche nach Kansas City holen. Barton und Tob sehen ihn zu spät. Und die Laterne über der Tür beleuchtet sie gut.
»He!« Dieser Ruf warnt sie. Und dann sehen sie den Mann, der es gerufen hat. Er ist noch etwa zwanzig Schritte entfernt. Und sicherlich trägt er eine Waffe.
Barton und Tob laufen los. Sie verschwinden um die Ecke in einer Gasse, die zum Hafen hinunterführt.
Und hinter ihnen brüllt der Mann, so laut er kann. Er folgt ihnen bis zur Gassenmündung, bleibt an der Ecke stehen und leert seinen Revolver in die sehr dunkle Gasse hinein.
Und indes Barton Kelly und Tob White laufen, so schnell sie können, indes die nachgesandten Revolverkugeln sie umpfeifen und wie durch ein Wunder nicht treffen, da hören sie den Mann gellend brüllen: »Alarm! Alarm! Die Mörder sind frei! Leute! Leute, hört doch! Die beiden Boxer, diese Bankräuber und Mörder, sie sind frei!«
Sein gellendes Geschrei holt ganz gewiss noch einige Menschen aus den Betten, die sich um das Feuer am Fluss nicht kümmerten. Doch diese Menschen sind auch nicht an einigen entwichenen Gefangenen interessiert. Überdies bricht draußen nun, nachdem für einige Augenblicke eine Windstille eingetreten ist, das Gewitter los.
Das Wasser fällt so dicht aus den Wolken, dass Barton und Tob, die durch diesen Wolkenbruch laufen, nach Luft schnappen, so als wären sie in einem See oder Fluss unter die Wasseroberfläche geraten.
Als sie dann das Ufer mit all den Landebrücken und Schiffen erreichen, stoßen sie auf Menschen, die in die Stadt zurücklaufen. Und sie sehen auch, wie das niederfallende Wasser zusehends die leuchtenden Flammen eines Schiffsbrandes löscht, so als würde dieses Feuer mit einer riesigen Decke zugedeckt.
Barton Kelly und Tob White wissen, dass solch ein Wolkenbruch nicht sehr lange anhält. Daraus wird bald schon ein normales Gewitter werden. Und man wird überall nach ihnen suchen. Man wird die Bürgerwehr alarmieren und noch Hunderte von anderen freiwilligen Helfern haben. Man wird eine Belohnung aussetzen und eine umfassende Suche mit anschließender Hetzjagd organisieren.
☆
Die Chancen der beiden Flüchtlinge sind gering. Alle Landwege werden überwacht, und Aufgebote werden das Land durchstreifen. Man wird sicherlich auch alle Schiffe durchsuchen.
Barton Kelly und Tob White arbeiten sich zum Fluss hinunter, und sie finden bald darauf ein an Land gezogenes und mit dem Kiel nach oben liegendes Boot. Sie drehen es um und schieben es in den Fluss. Der Regen füllt das Boot schnell, sodass es ein ziemlich fragwürdiger Untersatz wird. Sie bemühen sich verzweifelt, rudernd das andere Ufer zu erreichen, doch sie schaffen es nur bis zur Strommitte. Dann sind sie sich darüber klar, dass es nicht nur der ungewöhnlich starke Gewitterregen ist, der das Boot füllt, sondern dass sie ein Boot erwischt haben, welches ein Leck besitzt. Es lag wohl deshalb am Ufer, weil es abgedichtet werden sollte.
Bootsrand und Wasserlinie sind bald eins, und als der Sturm über den aufgewühlten Strom fegt, kippen Barton und Tob mit ihrem mit Wasser gefüllten Boot einfach um. Sie schwimmen nun, und die starke Strömung trägt sie auf ein großes Dampfboot zu, welches wohl soeben abgelegt hat und die Fahrt stromauf beginnt. Es ist einer dieser breiten und nicht sehr tief gehenden Raddampfer, die sehr große Laderäume und einige Decks besitzen, deren Schornsteine nebeneinanderstehen und die ihr breites Schaufelrad hinten am Heck haben.
Solche Dampfer können tausend Passagiere befördern. Und die Laderäume sind groß genug für fünfhundert Rinder, für viele Frachtwagen oder für Zehntausende von Büffelhäuten.
Solch ein großes Dampfboot geht also stromauf.
Barton und Tob erwischen das Beiboot, welches an der Steuerbordseite mitgezogen wird und noch nicht an Bord genommen wurde. Sie schwingen sich hinein. Dann hocken sie keuchend beieinander und überlegen. Barton sagt dann entschlossen in Tobs Ohr: »Wir gehen an Bord und verstecken uns. Besser und schneller können wir nicht fortkommen. Wir können heute Nacht, wenn wir hundert oder noch mehr Meilen stromauf sind, über Bord springen. Also los, solange der Regen noch andauert!«
Sie verlassen das Boot, welches ebenfalls schon mit Regenwasser angefüllt ist, schwingen sich hinauf auf das Schiff und wenig später über die Reling des Hauptdecks. Sie weichen sofort zur Seite und ducken sich zwischen hohe Brennholzstapel. Denn einige Männer nähern sich. Eine Stimme sagt heiser: »Bei diesem Regen wird uns noch das Beiboot absaufen. Also holt es an Bord. Aaah, wir haben noch nicht genügend Dampf, weil wir vorzeitig wegen des Feuers von der Landebrücke ablegen mussten. Ein Wunder, dass wir gegen die Strömung ankommen.«
Barton und Tob kriechen hinter den Brennholzstapeln weiter, und sie wissen, dass sie wahrscheinlich die Stimme des Bootsmannes hörten. Sie kommen zu den Aufbauten, und hier führte eine Treppe zum Texasdeck hinauf, von dem aus man dann noch zum Sturmdeck gelangen kann, von dem aus man dann das Steuerhaus erreicht, welches sich zwischen den beiden Schornsteinen befindet.
Sie gleiten die Treppe hinauf und dann auf dem Promenadengang an Backbordseite an der Reihe der Kabinentüren entlang. Der Sturm rüttelt an den Türen und auch an den Fensterläden der Kabinen. Eine dieser Türen war wohl schlecht geschlossen, denn sie springt nun auf. Und weil das fast wie eine Einladung wirkt, kommt Barton auf eine Idee. Er sagt sich, dass sie in einer leeren Erste-Klasse-Kabine vielleicht für einige Zeit am besten aufgehoben wären. Denn wer von dem Personal sieht schon in einer Kabine nach, die vorerst leer ist und nicht benutzt wird?
Barton beantwortet sich diese Frage in einem für sich und für Tob günstigen Sinne. Und so sieht er nach, ob jemand in dieser Kabine wohnt. Doch schon ein Blick auf die beiden Betten sagt ihm, dass die Kabine unbewohnt ist. Denn die Betten in dieser Doppelkabine sind nicht überzogen.
Barton und Tob gleiten hinein in die Kabine, riegeln von innen ab und atmen langsam aus. Sie können hören, wie das Gewitter in einen stetigen Regen übergeht, wie der Sturm sich beruhigt und wie das Schiff immer mehr Dampf bekommt und sein mächtiges Schaufelrad sich kräftiger zu drehen beginnt.
»Ich glaube, wir können uns sogar ausziehen und unsere Sachen trocknen«, sagt Barton nach einer Weile.
Und das tun sie auch.
Dann legen sie sich auf die Schlafstätten und ruhen aus. Eine jähe Müdigkeit und Erschöpfung überfällt sie. Und diese Reaktion ist ja nur natürlich. Schon während der Tage, da gegen sie verhandelt wurde, konnten sie kaum schlafen, sondern dachten Tag und Nacht nur daran, sich von der furchtbaren Anklage freizubekommen.
Und dann, als man sie wegen Bankraubes und Mordes zum Tode verurteilt hatte, konnten sie noch viel weniger Ruhe finden und schlafen. Was mit ihnen geschehen war, war zu schlimm, zu ungeheuerlich.
Jetzt aber sind sie frei. Sie konnten entkommen, und die Flucht hat ihnen nochmals viel abverlangt.
Der Regen rauscht draußen hernieder. Das Schiff fährt gegen den Strom. Man merkt ständig ein leises Vibrieren, welches von dem sich drehenden Schaufelrad erzeugt wird.
Diese Geräusche werden mehr und mehr monoton und schläfern ein. Tob White sagt einmal aus tiefstem Herzen: »Dem Unbekannten sei gedankt, der uns den Revolver durch das Fenster warf. Wer mag es nur gewesen sein? Es hörte sich so an, als ob der Mann über die Mallones ganz genau Bescheid wüsste. Vielleicht gehört er sogar zu den Pechvögeln, die von den Mallones im Auftrag von deren Hintermännern erpresst und genötigt wurden. Vielleicht verhalf er uns zur Freiheit, damit wir den Mallones die Köpfe von den Schultern schlagen. Und dazu hätte ich große Lust. Ich bin alt geworden, doch mit diesem Bill Mallone, der so gut sein Messer werfen kann, würde ich es mit den Fäusten schon noch aufnehmen. Diesem Bullen würde die letzte Härte fehlen, denke ich.«
Seine letzten Worte kamen immer leiser und langsamer. Als er dann geendet hat, da dauert es auch nicht mehr lange, bis Barton die tiefen Atemzüge des alten Freundes hört und daran erkennt, dass dieser eingeschlafen ist.
Er kämpft selbst noch eine Weile gegen die Erschöpfung an, und er erkennt jetzt so richtig, wie ausgebrannt ihn die letzten Tage haben und wie dringend er einige Stunden festen Schlaf nötig hat. Sein Verstand will ihm immer wieder sagen, dass es besser wäre, wenn zumindest einer von ihnen wachen würde. Doch diese Empfehlung des Verstandes wird immer mehr überwunden von der Erschöpfung und Müdigkeit. Er steht deshalb nicht auf und wandert in der Kabine umher, was die einzige Möglichkeit wäre, um wach zu bleiben, sondern er schließt die Augen und fällt sofort in die schier unendliche Tiefe eines Erschöpfungsschlafes.
☆
Sie können sehr lange ungestört schlafen.
Doch dann werden sie sehr unsanft geweckt.
Denn obwohl sie die Kabinentür abriegelten, kann man von draußen mit dem Schlüssel aufschließen und zugleich auch entriegeln.
Das Schiff hat irgendwo gegen Mittag angelegt und einige Reiter mitsamt ihren Pferden an Bord genommen. Und für diese Reiter wurden dann später einige der Kabinen aufgeschlossen.
Als Barton Kelly erwacht, hört er eine Stimme sagen: »Ja, es gibt keinen Irrtum. Dies ist der Preisboxer Barton Kelly, der gestern noch wegen Bankraubes und Mordes im Stadtgefängnis von Saint Louis saß. Und dies ist sein Betreuer. Sie müssen irgendwie entwichen und an Bord unserer Riverqueen gekommen sein.«
Dann wird es still.
Barton öffnet die Augen und setzt sich auf. Und dann sieht er zu, wie einer der Männer zu Tob White tritt und ihm die Faust ziemlich heftig in die Seite stößt.
Tob knurrt böse und wälzt sich auf die andere Seite.
Dann sagt er ziemlich gut verständlich im Schlaf: »Nur nicht drängeln! Nicht so drängeln! Jeder kann die Lady ohne Unterleib sehen. Sie kann gar nicht fortlaufen. Nur nicht so drängeln an der Kasse. Wenn Sie mich noch einmal in die Seite knuffen, dann werde ich Ihnen die Ohren lang ziehen und Knoten in sie machen.«
Er beginnt dann zu schnarchen. Und da packt ihn einer der drei Männer bei den Füßen und zieht ihn mit einem kräftigen Ruck von der breiten Kabinenkoje, sodass er ziemlich unsanft auf dem Boden landet, der an Bord eines Schiffes ja bekanntlich »Deck« heißt.
Von dort springt er, jäh erwachend und begreifend, dass Gefahr vorhanden ist, knurrend auf. Denn sicherlich fiel ihm jäh ein, dass er ja als ein entwichener Mörder gilt, und zugleich begriff er wohl auch, dass es gilt, die Freiheit zu verteidigen.
Er hätte einen Kampf angefangen.
Doch Barton Kelly sagt schnell und scharf: »Lass es sein, Tob! Sie haben unsere Waffen schon und werden uns erschießen!«
Da wacht Tob richtig auf und sieht sich an, wer da gekommen ist. Barton Kelly aber hat längst Zeit dazu gehabt, sich die drei Männer anzusehen. Er ahnt schon, dass es die drei wichtigsten Männer an Bord dieses Schiffes sind, nämlich: der Kapitän, der Erste Steuermann und der Bootsmann. Außer ihnen ist nur noch der Erste Maschinist an Bord von besonderer Wichtigkeit.
»Wie kommt ihr hier an Bord?«, fragt einer der Männer, und er fragt es auf eine Art, die daran gewöhnt ist, Befehle zu erteilen und auf die geringste Frage sofort Antwort zu bekommen.
Barton Kelly hat schon von Red Brian McLane und dessen Riverqueen gehört, und nun weiß er, dass er diesen Flusskapitän vor sich sieht. McLane ist ein riesiger und grobknochiger Mann, mit einem roten Bart und einem lederhäutigen Gesicht, welches so grob wirkt, als wäre es mit einer Axt aus dunklem Holz gehauen.
Über diesen Kapitän gibt es einige Gerüchte, die nicht erfreulich oder gar achtbar sind.
»Unser Boot war leck, und so mussten wir schwimmen«, sagt Barton. »Wir kamen über das angehängte Beiboot an Bord. Und wir befinden uns jetzt in Ihrer Hand, Kapitän. Wenn Sie uns ausliefern, bekommen Sie vielleicht sogar eine hohe Belohnung.«
Brian McLane grinst breit, als er diese Worte vernimmt.
»Ich habe dich damals kämpfen gesehen, mein Junge«, sagt er langsam und bedächtig, und dabei betrachtet er Barton genau. Barton steht vollkommen nackt vor den Männern. Tob übrigens auch. Denn sie haben ja ihre Sachen zum Trocknen aufgehängt. Genügend Bügel waren im Kleiderschrank.
»Du hast rote Haare wie ich«, sagt Brian McLane. »Und du kannst kämpfen wie ich, mein Junge. Nur dumm bist du, sehr dumm! Denn ihr hattet es doch nicht nötig, eine Bank auszurauben. Und dann auch noch den Kassierer zu erschlagen. Pah, das war dumm! Solch eine Dummheit muss bestraft werden! Ich denke, wir werden euch über Bord springen lassen, so wie ihr jetzt seid. Dann könnt ihr auch besser schwimmen. Also vorwärts!«
Er und die beiden anderen Männer grinsten. Sein Steuermann ist ein indianerhafter, dunkler und geschmeidiger Bursche, der nur ein schmales Bärtchen über der Oberlippe trägt, keinen Vollbart wie sein Kapitän.
Und der Bootsmann ist ein untersetzter Klotz von mehr als zwei Zentnern, an dem alles quadratisch zu sein scheint.
»Nackt wollt ihr uns über Bord jagen?«, fragt Tob staunend. »Aber wenn wir an Land zufällig auf eine Frau stoßen, die könnte sich doch zu Tode erschrecken. Wir …«
»Ihr werdet auf keine Frauen stoßen, denn wir befinden uns schon auf dem Missouri, und das Land zu beiden Seiten ist nicht besiedelt. Ihr werdet ganz unter euch sein.«
Die Männer geben nun den Weg zur Tür frei.
Barton Kelly aber wagt es mit einer Bitte. Er ist nicht zu stolz dazu. Und was bleibt ihm und Tob auch anderes übrig. Sie sind auf diesen rotbärtigen Schiffskapitän angewiesen, der wie einer der Bukaniere wirkt, die damals von Jamaika aus ihr Unwesen trieben und den spanischen Schiffen das Leben schwer machten.
»Kapitän«, spricht Barton, »wir wurden von den beiden Mallones reingelegt, weil ich den Kampf verlieren sollte. Da ich ihn nicht verlor, verloren die Auftraggeber der Mallones eine Menge Geld. Und …«
Barton berichtet schnell und knapp alles, so wie er es schon einmal der Jury und dem Richter mitteilte. Und indes er spricht, da erinnert er sich wieder daran, wie das Gericht die beiden Mallone-Brüder kommen ließ und wie diese alles empört abstritten und wegen böser Verleumdung Gegenklage erhoben.
Nein, es war den Mallone-Brüdern nichts anzuhaben.
Was Barton und Tob beteuerten und sogar beschwören wollten, wurde vom Richter und der Jury für einen schlechten Versuch gehalten, durch Lügengeschichten den Hals zu retten.
Barton hat nicht viel Hoffnung, dass dieser Kapitän ihm glauben und dann deshalb helfen wird. Er verstummt dann auch etwas resigniert mit den Worten: »Wenn Sie also zwei unschuldigen Flüchtlingen helfen wollten, Kapitän, dann könnten wir unseren Dank nur dadurch abstatten, dass wir hier an Bord gute Arbeit verrichten und unser Essen verdienen. Da dieses Schiff nicht mehr den Mississippi befährt, sondern auf dem Missouri ist, so könnten Sie uns doch so weit nach Norden mitnehmen, wie dieses Schiff geht. Wir könnten uns dann im Indianerland eine Zuflucht suchen. Viele Geächtete leben dort. Und eines Tages vergisst man sie vielleicht. Helfen Sie uns, Kapitän.«
Der wirkt nun sehr nachdenklich. Und plötzlich sagt er: »Ich glaube dir jedes Wort, mein Junge. Und …«
Von draußen kommt noch ein vierter Mann herein. Es ist einer jener Reiter, die an Bord genommen worden sind. Barton weiß das noch nicht. Doch er wundert sich, einen Mann zu treffen, der abgenutzte Weidekleidung und Sporen trägt, hier an Bord. Und der Mann riecht sogar noch nach frischem Pferdeschweiß.
»Ich kann Männer gebrauchen«, sagt dieser Mann, »wenn sie reiten und Rinder treiben können.« Er macht eine kleine Pause und fügt mit einem blitzenden Lächeln hinzu: »Es würde mich nicht stören, dass sie vom Gesetz verfolgt werden.«
Er wendet sich an Barton: »Könnt ihr reiten und Rinder treiben?«
Barton lächelt seltsam. Er hebt wortlos seine Hände und weist seine Handrücken vor. Und auf diesen Handrücken kann ein erfahrener Rindermann alles sehen, was überzeugender wirkt als viele Worte – ja alles! Denn auf diesen Handrücken sind Narben von besonderer Art. Es sind Narben, die entstehen, wenn eine Lassoleine, die um die Hand geschlungen wurde, zu rutschen beginnt, weil ein wilder Stier daran zu heftig zerrt, und wenn solch eine Leine rutscht – was unvermeidlich ist –, dann erzeugt sie solche Narben, brennendheiß und schmerzvoll. Jeder richtige Cowboy und Rindermann, der auf eine besondere Art mit dem Lasso arbeitet, bekommt im Verlauf der Jahre solche Narben. Sie sind ein Zeichen seines Berufes.