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G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 176 bis 180 der G.F. Unger Sonder-Edition:
Folge 176: Und alle jagten Kellahan
Folge 177: Lass ihn laufen, Hondo!
Folge 178: Verraten am Missouri
Folge 179: Die Jagd
Folge 180: Wannagan muss kämpfen
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 985
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2019/2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Manuel Prieto/Norma
ISBN: 978-3-7517-6491-9
https://www.bastei.de
https://www.sinclair.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Sonder-Edition 176
Und alle jagten Kellahan
G. F. Unger Sonder-Edition 177
Lass ihn laufen, Hondo!
G. F. Unger Sonder-Edition 178
Verraten am Missouri
G. F. Unger Sonder-Edition 179
Die Jagd
G. F. Unger Sonder-Edition 180
Wannagan muss kämpfen
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Contents
Und alle jagten Kellahan
Ben Kellahan zieht unheimlich schnell. Aber seine Gegner halten ihre schussbereiten Revolver schon in den Händen. Er wird zweimal getroffen. Schwankend feuert er zurück und erwischt den kleineren der beiden Revolverschwinger. Er sieht, wie der Mann zusammenbricht.
Dann zuckt das Mündungsfeuer des zweiten Killers auf ihn zu. Wieder spürt er den Einschlag einer Kugel. Es wird dunkel vor seinen Augen. In seinem Körper ist ein dumpfer Schmerz, und bevor er die Besinnung verliert, denkt er mühsam: Das also ist das Sterben …
Es sind vier gute Pferde, die Ben Kellahan in Toril verkauft, aber er erhält dennoch nur hundert Dollar vom Agenten der Postlinie dafür – und auch nur deshalb, weil die Apachen wieder einmal eine der wenigen Postkutschen überfallen haben und dringend Ersatzpferde gebraucht werden.
Doch hundert Dollar sind in dieser miesen Zeit so kurz nach dem Krieg fast so groß wie hundert Wagenräder.
Toril, so heißt der kleine Ort dicht bei der Sonora-Grenze, und Toril bedeutet soviel wie »Stier-Zwinger« oder »Stier-Corral«.
Als Ben Kellahan mit dem Geld in der Tasche aus der Hofeinfahrt des Wagenhofes der Post- und Frachtlinie tritt, trifft er auf zwei hartgesichtige Burschen.
Man sieht ihnen noch an, dass sie mal Cowboys waren wie er – doch das ist gewiss schon eine lange Zeit her.
Jetzt gehören sie zu einer anderen Sorte, und diese Sorte ist übel.
Einer sagt zu ihm: »Zwanzig Dollar, mein Bester. Gib sie her.«
Er streckt nicht die Hand verlangend aus – nein, er wartet wachsam. Er und sein Partner haben ein hartes Funkeln in ihren Augen. Ben Kellahan lässt sich Zeit.
Er hat die Rechte in der Hosentasche, und er hält dort die fünf Zwanzigdollarstücke fest – fünf Goldstücke, die der Postagent seufzend aus einem Tresor geholt hat.
»Ich bin euch nichts schuldig«, sagt Ben Kellahan endlich.
Er ist ein großer, sehniger und hagerer Bursche, und auf eine dunkle Art wirkt er still und zurückhaltend, aber doch wie ein fertiger Mann, der längst seine Lektionen lernen musste.
Sie grinsen zu seinen Worten, aber es ist nicht die geringste Spur von Freundlichkeit in ihrem Grinsen – eher schon eine unverhüllte Drohung.
»Du bist fremd hier, Hombre«, sagt der Sprecher. »Deshalb will ich es dir genau erklären. Dies ist ein schlechtes Land mit bösen Menschen. Und selbst in dieser Stadt ist man nicht sicher vor ihnen, besonders wenn man so allein und fremd ist und hundert Dollar in der Tasche trägt. Dann kann einem eine Menge passieren. Siehst du, Bruder, das alles wäre schlimm, wenn wir nicht unsere gemeinnützige Vereinigung gegründet hätten, die all denen Schutz gibt, die eines solchen auch bedürfen. Du bist solch ein Fall. Aber das kostet natürlich einen winzigen Betrag. Denn wir haben Unkosten. Wenn man bedenkt, was dir alles passieren kann, wenn du dich nicht von uns beschützen lässt, dann sind zwanzig Dollar geradezu lächerlich. Hast du jetzt alles genau begriffen, Pferdejäger?«
Er fragt es mit scheinheiliger Geduld.
Aber Ben Kellahan hat schon längst begriffen.
Dies hier sind Townwölfe, die in Toril an jedem Geschäft beteiligt sind, weil sie diese Stadt und vielleicht auch das ganze Land im weiten Umkreis beherrschen.
Hier muss jeder Mensch eine Art »Umsatzsteuer« an sie entrichten.
Hundert Dollar sind fünf Monatslöhne eines guten Cowboys.
Ben Kellahan hatte die vier Pferde unter einem drei Dutzend Köpfe zählenden Wildpferd-Rudel ausgesucht, zugeritten und auch an das Ziehen eines Wagens gewöhnt. Das alles war eine viele Wochen lang dauernde harte Arbeit.
Und ein Fünftel des Erlöses soll er nun aufgeben?
Er schüttelt den Kopf.
»Haut ab«, sagt er. »Ich brauche keinen Schutz von euch. Schleicht euch! Platz da!«
Er tritt auf sie zu, steigt ihnen fast auf die Füße. Er ist darauf vorbereitet, dass sie ihn anfallen. Sie sind fast so groß und so schwer wie er, gewiss auch erfahren in vielen Kämpfen, und wären sie das nicht, so hätte man sie nicht mit der Aufgabe des »Steuereintreibens« betraut.
Doch sie weichen auseinander, lassen ihn zwischen sich durch. Sie fallen ihn nicht an. Wortlos lassen sie ihn gehen.
Er sieht sich nicht nach ihnen um, ist aber bereit, sich blitzschnell zu ducken und herumzuwirbeln mit der Schnelligkeit eines Wildkaters.
Als er schräg über die Straße – sie ist nicht mehr als eine staubige und von Radfurchen geprägte Fahrbahn – geht, sieht er weiter in die kleine Grenzstadt hinein. Es wirkt alles so friedlich, freundlich und gut.
Überall wird gearbeitet. Aus der Schmiede klingen Hammerschläge. Eine Säge ist weiter entfernt zu hören. Vor dem Store wird ein großer Frachtwagen entladen.
Kinder spielen mit einem Hund. Ein Hahn kräht irgendwo. Oben aus dem Hotelfenster werden Kissen oder Decken ausgeschüttelt.
Alles wirkt so friedlich und freundlich.
Ben Kellahan spürt Hunger. Er hatte sich eigentlich beim Barbier die Haare stutzen lassen wollen. Er hätte auch ein neues Hemd und eine neue Hose gebraucht. Und natürlich wollte er im Hotel-Restaurant essen.
In den vergangenen Tagen hatte er sich immer stärker auf all diese bescheidenen Dinge gefreut.
Jetzt aber sagt sein Verstand ihm, dass es besser für ihn ist, ohne jeden weiteren Aufenthalt zu verschwinden, will er überhaupt ohne Verdruss davonkommen können.
Nicht mal in den Store will er noch gehen, um Tabak und Proviant für die nächsten zwei oder drei Tage zu kaufen.
Sein Ziel ist geradewegs der Mietstall neben der Schmiede.
Dort hat er sein Pferd untergebracht.
Er geht hinein und ruft nach dem Stallmann.
Am anderen Ende des Stalles klappt eine kleine Tür. Aber es ist nicht der Stallmann, der hereingekommen ist – nein, es muss jemand hinausgegangen sein.
Ben Kellahan ruft nochmals, sieht auch im Schlafverschlag des Stallmannes nach, in dem sich zugleich auch das Stall-Büro befindet. Doch auch hier ist kein Stallmann.
Da will Ben Kellahan schon mal sein Pferd satteln und aus der Box nach draußen bringen.
Es ist die dritte Box rechts vom Stallgang.
Als er sie erreicht, hört er sein Pferd noch einmal leise röcheln. Es klingt fast wie bei einem sterbenden Menschen.
Die Pferde in den anderen Boxen sind seltsam erregt und nervös. Sie bewegen sich unruhig, wiehern schrill, schnauben.
Dann riecht auch Ben Kellahan das Blut. Sein Pferd liegt im Stroh der Box.
Und als er es sich ansieht, ist ihm alles klar.
Jemand hat dem Tier vor einer knappen Minute die Kehle durchgeschnitten.
Dieser Pferdemörder ist hinten durch die kleine Tür hinaus, als Ben Kellahan hier vorne nach dem Stallmann rief.
Er verharrt einen Moment, und der heiße, wilde und nach Gewalttat verlangende Zorn steigt in ihm hoch.
Er weiß jetzt genau, in welche Stadt er geraten ist und wie sehr er jetzt in der Klemme sitzt. Diese harten Burschen hier stutzen zahlungsunwillige Leute nicht einfach nur zurecht – nein, sie statuieren dann gewiss jeweils ein Exempel und machen allen anderen Menschen klar, wie dumm es doch ist, sich ihnen widersetzen zu wollen.
Ben Kellahans Pferd war mehr als nur zwanzig Dollar wert.
Es war ein erstklassiges Tier, welches er für hundert Dollar nicht hergegeben hätte. Dieses Tier war abgerichtet als Rinderpferd und für den Wildpferdfang. Mit diesem Tier konnte ein Reiter gute Lassoarbeit leisten.
Jetzt bekam es einfach die Kehle durchgeschnitten.
Ben Kellahan bekommt seinen heißen Zorn schnell unter Kontrolle. Sein Verstand ist nicht der eines Hitzkopfes.
Ich muss weg hier – nichts wie weg, denkt er. Und wenn ich, ohne weitere Haare zu lassen, von hier fortkommen kann, dann muss ich dies noch als Glück ansehen.
Als er mit seinen Gedanken so weit ist, nimmt er seinen Sattel, die Deckenrolle und die Satteltaschen von der Stange. Hier hatte er alles aufbewahrt, wie es jeder Reiter im Mietstall tut, der noch kein Quartier fand.
Er legt alles auf die Futterkiste und setzt sich auf die Ecke.
Als der Stallmann hereinkommt, sieht er ihm ruhig entgegen. Dieser Stallmann ist ein schiefbeiniger und leicht hinkender Ex-Cowboy, der gewiss froh ist, hier einen Job gefunden zu haben. Er trägt nur ein Unterhemd zur Hose und Armee-Hosenträger darüber. Nun schiebt er seine Daumen in Brusthöhe darunter und lässt die Hosenträger schnappen.
»Ich brauche ein neues Pferd«, sagt Ben Kellahan zu ihm. »Ich will ein Pferd kaufen. Meinem hat jemand die Kehle durchgeschnitten. Aber Sie wissen gewiss nicht, wer das gemacht haben könnte?«
»Ich kenne nicht Ihre Feinde«, sagt der Stallmann. »Doch Sie haben gewiss welche. Und ein Pferd kann ich Ihnen nicht verkaufen. Es geht nicht. Für das Fortschaffen des toten Gaules nehme ich einen Dollar. Einen weiteren Dollar sind Sie mir für das Futter und die Unterkunft schuldig, die der Gaul bis jetzt genossen hat. Also zwei Dollar, Fremder!«
Er hält ihm die Hand hin, und er ist ein schon alter und verbrauchter Bursche, der nur Befehle ausführt und sich mit niemandem anlegen möchte.
Ben Kellahan gibt ihm die beiden Dollar – er hatte ja noch etwas Kleingeld in der Tasche außer den Goldstücken – und nimmt seine Siebensachen.
Er geht hinüber rum Wagenhof der Post- und Frachtlinie.
Dort in der Hofeinfahrt stehen immer noch die beiden hartgesottenen Townwölfe.
Schweigend lassen sie Kellahan passieren – und auch er schenkt ihnen nur einen schrägen Blick.
Der Post- und Frachtagent ist noch bei den Corrals und bespricht sich gerade mit einem seiner Helfer, wie sie die vier neuen Pferde an das Ziehen im Sechsergespann einer Überlandpost gewöhnen können.
Als Kellahan zu ihm tritt und sagt, dass er eins der vier Pferde gerne zurückkaufen würde, da schüttelt der Mann sofort den Kopf.
In seinem wissenden Blick ist eine schlecht verborgene Spur von Mitleid.
»Sie bekommen hier in Toril nirgendwo ein Pferd – es sei denn, Sie stehlen es. Und dann würde man Sie bald aufhängen. Nein, Sie müssen zu Fuß weg. Das ist nun mal so.«
Ben Kellahan steht mit all seinem Gepäck einen Moment still da.
Dann wirft er es ab.
Er zieht das Spencer-Gewehr aus dem Sattelschuh, nimmt die Wasserflasche und füllt sie am Brunnen. Schließlich holt er sich noch seine beiden Satteltaschen und wirft sie sich über die Schultern, so dass nun eine der Satteltaschen vor ihm und eine hinter ihm hängt.
Wortlos verlässt er die Corrals, den Sattel, seine Deckenrolle und auch die Satteldecke dabei zurücklassend.
Als er die Hofausfahrt erreicht, stehen die beiden hartgesottenen Hombres immer noch dort und rauchen.
»Na, mein Bester«, sagt der Sprecher von vorhin, »jetzt ist dir wohl klargeworden, dass man hier Freunde braucht? Aber jetzt ist es zu spät. Selbst wenn du uns jetzt auf den Knien bitten würdest, wollten wir nicht mehr. Der nächste Ort ist siebzehn Meilen von hier weg. Vielleicht bekommst du dort einen Gaul. Das wird ein langer Weg, nicht wahr?«
Ben Kellahan steht da, und er kämpft tief in seinem Kern mit sich.
Er möchte gerne diese beiden Hombres klein machen. Aber er weiß, dass dies seine Probleme nicht lösen würde.
Wer immer in diesem Lande auch durch seine harten Burschen »Steuern« oder auch »Schutzbeträge« kassieren lässt – er hat mehr als nur diese beiden Hartgesottenen zur Verfügung.
Ben Kellahans Vernunft sagt ihm, dass er sich mit einem ganzen System einlassen würde, mit einem Big Boss, für den er ein kleiner Pinscher ist.
Nein, er fühlt sich wirklich nicht groß genug, um ein Big-Boss-Killer zu sein.
Denn das allein hätte einen Sinn.
Sich an diesen zwei Hartgesottenen auszulassen, dies wäre dumm.
Deshalb sagt er nichts mehr.
Er wendet sich ab und marschiert aus der Stadt hinaus nach Norden.
Und er kann nur hoffen, dass sie ihn ziehen lassen und nicht noch ein Exempel an ihm statuieren wollen.
Denn immerhin hat er ja noch hundert Dollar. Dies ist in diesem Lande ein kleines Vermögen. Er dreht sich nicht mehr um.
Doch er denkt mit Bitterkeit und Verachtung an die Stadt Toril zurück.
Einmal regt sich in ihm trotz der wilden Wut eine Neugierde. Wer mag der Big Boss sein? Es muss einen geben.
Aber wahrscheinlich ist es besser, dies nie zu erfahren und nichts als fortzulaufen.
Er empfindet es als Schmach. Sein Stolz ist tief im Kern verletzt.
Noch nie war er so davongeschlichen.
Aber noch nie war er so davon überzeugt, dass ein Gegenkämpfen keinen Sinn hätte und seine Chancen nicht größer wären als die eines Schneeballes in der Hölle.
Er will nicht wieder einmal kämpfen müssen. Das hat er oft genug schon getan auf seiner Zickzackfährte. Und wenn dann Blut geflossen war, da hatte er den Kampf stets bedauert und den Grund dumm und nichtig gefunden.
Ein Mann sollte wegen zwanzig Dollar oder einem Pferd keinen Kampf anfangen, bei dem er nur verlieren kann und es dennoch Tote und Blutvergießen geben würde.
Nein, er will nicht mehr kämpfen und töten – nicht mehr aus solchen Gründen.
Und so marschiert er mit seinen wenigen Habseligkeiten aus der kleinen Stadt Toril, die einst einmal von den Spaniern bei einem Stier-Corral gegründet worden war – jedenfalls lässt der Name darauf schließen.
Für einen Mann, der im Sattel lebt, ist Ben Kellahan gut zu Fuß. Er geht mit langen, ruhigen Schritten. Als es fast schon Abend ist, holt ein Wagen ihn ein. Er tritt an den Rand der von Radfurchen geprägten Straße. Da er inzwischen etwa fünf Meilen lief, hat er nichts dagegen, von einem freundlichen Menschen mitgenommen zu werden.
Der Wagen hält auch wirklich. Es ist ein einfacher leichter Wagen mit einem kleinen Ladekasten hinter dem Vordersitz. Solche Wagen benutzen die Rancher und auch Farmer, wenn sie nicht allzu viel zu transportieren haben oder aus einer Stadt ein paar notwendige Dinge holen.
Der Mann auf dem Wagen wirkt schon ein wenig verwittert, doch zugleich auch hart und knorrig. Er hält an und betrachtet Ben Kellahan in der Dämmerung.
»Was hätten Sie denn zahlen sollen?« So fragt der Mann plötzlich.
»Zwanzig Dollar«, erwidert Kellahan.
»Und was war Ihr Pferd wert, welches der Stallmann tot aus dem Stall schleifte und zum Abdecker brachte?«
»Hundert Dollar etwa«, sagt Kellahan mit fast tonloser Stimme.
Der Mann auf dem Wagen nickt. »Steigen Sie ein«, sagt er. »Ich nehme Sie ein Stück mit. Meine Ranch ist zehn Meilen weiter dicht am Fuße der Hügel dort vor uns im Norden.«
Ben Kellahan steigt wortlos ein, und als sie eine Weile gefahren sind, fragt er: »Mister, Sie wissen sehr gut Bescheid. Die ganze Stadt wusste wohl bestens Bescheid über das, was man mit mir machte?«
»Sicher«, sagt der Mann und schnalzt den beiden Pferden zu. »Lauft, ihr dicken Tanten«, sagt er dann und sieht Ben Kellahan schließlich in der zunehmenden Dämmerung prüfend an.
»In Toril bleibt nichts verborgen«, sagt er. »Und dass Sie nicht zahlten, war dumm. Wenn Sie jedoch gekämpft hätten, wäre es noch dümmer gewesen. In diesem Lande zahlt man und schweigt. Denn sonst …«
Er verstummt wieder und schlägt die Zügel so aus dem Handgelenk, dass sie auf die Hinterteile der Pferde schnappen.
»Was ist sonst?« So fragt Kellahan.
»Ach, wer nicht zahlt, dem stößt ein Unglück zu – oder seiner Familie – oder seinem Besitz. Na, Sie sind eigentlich noch glimpflich davongekommen, junger Mann.«
Sie schweigen nun beide für eine lange Meile.
»Wer steckt dahinter?« So fragt Kellahan schließlich. »Ich meine, wer lässt auf diese Art ›Steuern‹ eintreiben oder macht sich auf diese Art zum Partner bei jedem Geschäft? – Wer ist der Big Boss?«
»Das kann keiner beweisen. Vermuten oder gar wissen tun es viele Leute. Doch es ist gefährlich, darüber zu reden. Mein Name ist Mullbow, David Mullbow. Ich bin es bestimmt nicht.«
»Ich bin Kellahan, Ben Kellahan«, sagt dieser. »Kann ich von Ihnen ein Pferd mit einem Sattel kaufen?«
Mullbow gibt nicht sogleich eine Antwort. Dann aber nickt er. »Ja, das können Sie. Sogar was zu essen bekommen Sie. Und in der Scheune können Sie übernachten. Aber morgen bei Sonnenaufgang sind Sie verschwunden.«
»In Ordnung«, murmelte Kellahan. »In diesem Lande hält mich ohnehin nichts, wie Sie sich gut denken können. Aber interessieren würde mich schon, wer hier der Big Boss ist, der kassieren lässt und so hart zuschlägt. Wer?«
Aber David Mullbow gibt ihm keine Antwort. Er beschäftigt sich intensiv mit seinem Gespann, redet zu diesem, schnalzt mit der Zunge und ist offensichtlich nicht geneigt, Antwort zu geben.
☆
Als sie vor das Haus fahren, ist die am Anfang recht dunkle Nacht längst schon erhellt vom bleichen Licht des Mondes und der Sterne.
Es ist so hell, dass man gute Sicht hat. Alle Dinge werfen wie bei Sonnenschein ihre Schatten.
Im Haus brennt eine Lampe. Ihr gelbes Licht wirkt sehr viel wärmer und freundlicher als das kalte Licht der Gestirne.
Und dann tritt eine Frau aus der Tür – nein, es ist sicherlich nicht David Mullbows Frau, eher seine Tochter. Sie kann noch nicht älter als zwanzig Jahre sein.
»Stelle einen Teller mehr auf den Tisch, Su«, sagt David Mullbow. »Ich habe Ben Kellahan mitgebracht. Er reitet bei Sonnenaufgang wieder fort. Ben, dies ist meine Tochter Suzanne. Su, wo ist denn Pedro?«
»Hinüber ins Dorf zu seiner Teresa.«
»Dann müssen wir selbst abspannen und ausladen«, brummt Mullbow.
Ben Kellahan sitzt noch bewegungslos neben ihm und blickt auf das Mädchen.
Im Lampenschein wirkt sie besonders schön auf ihn. Aber vielleicht ist das nur so, weil er ja schon viele Wochen mit keiner Frau zusammenkam.
Er hilft Mullbow beim Ausladen und Ausspannen. Dabei wird er sich bewusst, dass die Farm recht klein ist und wahrscheinlich nur diesen einen Helfer nötig hat, der in einem nahen Dorf bei einer Teresa sein soll.
Kellahan ist etwas enttäuscht. Denn er hätte diesem David Mullbow einen größeren und beachtlicheren Besitz zugetraut. Dieser Mullbow schien ihm nicht der Typ eines kleinen Farmers zu sein.
Sie waschen sich an einem Wassertrog.
Dann sagt Mullbow: »Im Corral, den Schecken, den können Sie morgen haben. Ich gebe ihn für zwanzig Dollar her. Und für weitere zehn Dollar können Sie sich den besten Sattel aussuchen, den Sie auf der Stange im Schuppen finden. Ich bekomme also dreißig Dollar.« Nach diesen Worten geht er auf das Haus zu.
Kellahan folgt ihm, und er ist neugierig auf das Mädchen. Er freut sich darauf, sie beim Lampenlicht in der Stube ansehen zu können.
Und vielleicht ist sie nicht nur äußerlich schön, sondern kann auch noch gut kochen. Sein Hunger ist schlimm.
Sie empfängt die Männer mit einem vorsichtig wirkenden Lächeln und hat einen forschenden Ausdruck in ihren Augen.
Noch steht sie am Herd, aber sie hantiert sehr geschickt. Und als sie dann mit einem Tablett voller Pfannen und Schüsseln zum Tisch kommt, da bewundert Kellahan die Leichtigkeit und Harmonie ihrer Bewegungen.
Ja, sie ist ein prächtiges Mädchen, schon fast eine Frau mit rabenschwarzen Haaren, blauen Augen und ein paar Sommersprossen auf der kurzen Nase.
Ihr Mund ist ausdrucksvoll und vital – vielleicht auch irgendwie etwas hungrig wirkend. Es ist alles richtig an ihr.
Und solch ein Mädel lebt hier in der Einsamkeit auf einer kleinen Farm, die kaum mehr als eine Siedlerstätte ist, denkt Kellahan.
»Wenn es so schmeckt, wie es riecht und aussieht, dann sind Sie die beste Köchin der Welt«, sagt Kellahan, und er kann erkennen, dass ihr dieses Kompliment Freude macht.
Sie essen dann alle drei kräftig. Auch das Mädchen ziert sich nicht, sondern isst mit gesundem Appetit. Ihre Unterhaltung ist untereinander nur beiläufig und dreht sich um unwichtige Dinge.
Dann aber tönt von draußen Hufschlag herein. Reiter kommen.
Ben Kellahans Blick richtet sich zur Tür. Dort daneben sind die Haken für Hüte, Jacken und auch Waffengurte an der Wand. Und neben seinem Hut hängt dort auch der Gurt mit seinem Revolver.
Irgendwie sagt ihm sein Instinkt, dass es gut wäre, sich den Colt zu holen. Auch das Gewehr lehnt dort.
David Mullbow bemerkt Kellahans Blick und deutet den Ausdruck in seinen Augen richtig. Er sagt schnell: »Es hätte wenig Sinn, Kellahan, denn es hatte schon in der Stadt wenig Sinn. Ich kenne nur zwei Sorten von Besuchern: »Nachbarn und Freunde – oder jene Burschen, mit denen Sie schon zu tun hatten. Und gegen beide Sorten kämpft man aus verschiedenen Gründen nicht. Oder?«
Ben Kellahan nickt leicht.
Aber dann erhebt er sich, gleitet zur Tür, nimmt dort den Gurt von der Wand und wendet sich Vater und Tochter zu. »Es gibt doch eine Hintertür. Ich möchte dort hinaus.«
David Mullbow schüttelt unwillig den Kopf.
Doch das Mädchen sagt: »Dort!« Und sie deutet in die dunkle Ecke, des L-förmigen Raumes, der Küche und Wohnraum zugleich ist.
Kellahan gleitet schnell durch den Raum. Und die Tür nach der Hinterseite des Hauses hat sich kaum hinter ihm geschlossen, als vorne vor dem Haus drei Reiter ihre Pferde zügeln, absitzen und hereinkommen.
»Aaaaah, die schöne Su ist noch auf«, sagt der erste der hereinkommenden drei Männer, die sich dann auf die ganze Raumbreite verteilen.
Schon als sie draußen absaßen, ihre Pferde schnauften und stampften, die Sättel knarrten und die Sporen klirrten, da strömten sie etwas aus, was durch die Wand des kleinen Hauses ging – eine Welle oder einen Strom des Unabänderlichen.
Und jetzt, da sie schweigend verharren und der Lampenschein die Härte in ihren Gesichtern nur wenig mildern kann, da strömen sie Wildheit, Härte, Unduldsamkeit und Gefahr aus wie drei Wölfe, die in einen Schafs-Corral kommen.
»Hallo, Clint Clayborne«, sagte David Mullbow höflich, obwohl er der Vater dieses einen Burschen hätte sein können und dieser doch hereingekommen ist ohne jeden Gruß.
Der Bursche ist prächtig gewachsen, rothaarig und blauäugig. Da seine Oberlippe etwas zu kurz ist, scheint er ständig zu lächeln. Aber das täuscht. Man muss in seine Augen sehen, um zu wissen, dass in diesem Hombre keine Freundlichkeit ist.
Dieser Clint Clayborne kommt langsam näher. Er tritt an den Tisch und sieht, dass drei Menschen hier beim Essen waren.
»Das ist wohl euer Pedro, der hinten hinausgelaufen ist«, grinst er. »Oh, diese Affen mögen noch so dumm sein – eines haben sie begriffen, nämlich, dass es gut für sie ist, wenn sie niemals Zeugen werden.«
»Zeugen – wofür?« So fragt David Mullbow und erhebt sich langsam. Er schickt seine Tochter in die Küchenecke des Raumes, und er tut es nur mit einer Handbewegung, der sie aber sofort gehorcht.
»Was wollt ihr?«, fragt er. »Geld kassieren? Ich habe meine Ernte noch nicht …«
»Welche Ernte? Die auf deinen Feldern? Oder in der alten Mine? Willst du uns noch länger für dumm verkaufen, alter Mann? Glaubst du denn immer noch, wir wüssten nicht, dass du schon eine ganze Weile wieder die alte Mine ausbeutest und auf eine neue Goldader gestoßen sein musst? In El Paso hast du mehr als zehntausend Dollar auf der Bank, deren Gegenwert du in Gold hinschaffen konntest. Jetzt haben wir lange genug gewartet, bis du wieder eine Menge Gold beisammenhaben musstest. Und nun her damit! Oder möchtest du uns keine Schutzgebühren mehr zahlen für unsere Freundschaft? Ist es dir nichts wert, dass dich hier keine Banditen oder gar Apachen mehr überfallen können und dass auch keine mexikanischen Bandoleros mehr über die Grenze kommen. Also, heraus mit dem Zeug! Du bist ja ein alter Narr, dass du annehmen konntest, wir bekämen nichts von deinem Geheimnis mit. Du hast deine Farm zu klein gehalten und zu sehr alles vergammeln lassen. Und in den Nächten habt ihr oft genug in der alten Mine gearbeitet. Mullbow, du bist ein Dummkopf!«
Mullbow steht still hinter dem Tisch – ein grauköpfiger, knorrig und beharrlich wirkender Mann, der gewiss so leicht nicht aufgibt.
In seinem zerfurchten Gesicht arbeitet es.
Dann scheint er zu erschlaffen, aufzugeben und sich nicht mehr die geringsten Illusionen zu machen.
»Also gut«, sagt er, »ich zahle euch den üblichen Anteil. Ich gebe euch für zweitausend Dollar Gold.«
»Aber nicht doch, alter Mann«, grinst Clint Clayborne, und auch seine beiden hartgesichtigen Begleiter verziehen ihre Gesichter.
»Da du uns betrügen wolltest, sind wir gekommen, um alles zu holen, was du bisher noch nicht nach EI Paso schaffen konntest. Alles! Heraus damit! Es muss hier im Haus sein. Sollen wir selbst suchen?«
»O nein, verdammt nein!« Mullbow ruft es bitter. Er wendet sich ab, geht hin zum gemauerten Kamin und hebt die große flache Steinplatte davor auf.
Darunter ist ein Loch.
Mullbow greift hinein, holt einen gefüllten Beutel hervor, wirft ihn Clint Clayborne zu, greift wieder hinein, bringt einen zweiten Beutel zum Vorschein – und danach einen dritten und einen vierten. Er wirft sie alle dem grinsenden Clint Clayborne zu.
Doch dann hat Mullbow plötzlich keinen Beutel, sondern einen Revolver in der Hand. Als er sich damit umwendet, um die Waffe auf die drei Kerle richten zu können, ist er nicht schnell genug.
Dieser Clint Clayborne mag zwar an Jahren noch jung sein, doch als Revolvermann kann er von einem alten Mann wie David Mullbow nicht überrumpelt werden.
Es bleibt ihm genug Zeit, die Goldbeutel fallen zu lassen und den Colt herauszuschnappen. Er schießt einen Sekundenbruchteil früher und sieht dann mit glitzernden Augen zu, wie David Mullbow zuerst auf die Knie und dann vornüber auf das Gesicht fällt.
Pulverrauch breitet sich aus und beißt in Augen und Nasen.
Und Suzanne Mullbows Stimme sagt klirrend: »Mörder! Verdammter Bandit und Mörder.«
Sie eilt zu ihrem Vater hin, dreht ihn auf den Rücken und kniet bei ihm nieder, seinen Kopf in ihren Schoß bettend.
David Mullbow öffnet noch einmal die Augen.
»Es – es tut – mir – leid, Su«, murmelt er. »Ich habe – es nicht geschafft, dass – wir – reich wurden – und ein – neues …«
Er stirbt von einem Wort zum anderen.
Und das Mädchen sagt wieder klirrend zu jenem Clint Clayborne: »Mörder! Verdammter Bandit und Mörder! Wenn ich nur könnte, so würde ich euch vor ein Gericht bringen.«
»Das werden wir«, sagt Ben Kellahan, der inzwischen um das Haus gelaufen ist und in der offenen Tür auftaucht.
Er hat kaum geendet, als die drei Hartgesottenen herumwirbeln.
Jener Clint Clayborne hat seinen Revolver noch in der Hand.
Seine beiden Begleiter aber ziehen und stoßen beim Herumwirbeln scharfe Schreie der Überraschung und Wut aus.
Ja, es ist schon wirklich so, dass diese drei Revolverschwinger gefährlich wie ein Rudel gestellter Wölfe sind. Wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, dann greifen sie an, um sich den Weg wieder freizukämpfen.
Doch sie sind nicht schnell genug. Für einen alten Mann hatte Clint Claybornes Revolverschnelligkeit ausgereicht – nicht jedoch für einen Mann wie Ben Kellahan. Er trifft ihn zuerst. Aber sein Colt kracht unwahrscheinlich schnell hintereinander. Er trifft auch die beiden anderen Kerle – und nur einer von ihnen kann einen Schuss abfeuern. Die Kugel fährt zwischen Ben Kellahans Beinen hindurch nach draußen durch die offene Tür in die Nacht und irgendwo in den Erdboden hinein.
Dann ist es vorbei.
Der Pulverrauch beißt nun noch stärker in Augen und Nasen.
Die getroffenen Männer fluchen schmerzvoll. Sie stöhnen. Doch sie kämpfen nicht mehr weiter. Denn sie begreifen, dass sie keine Chance gegen ihn haben. Er ist zu schnell und zu sicher mit dem Colt. Er würde sie töten.
Einer liegt am Boden, und diesem geht es schlecht.
Ein zweiter taumelt zur Wand, lehnt dort dagegen und hält sich beide Hände gegen die blutende Seite.
Jener Clint Clayborne aber, der vorhin den alten Mann erschoss, sitzt halb auf der Tischkante. Er fand so einen Halt, weil seine Beine schwach wurden. Und er hält seinen zerschossenen Arm mit seinem gesunden Arm gegen den Leib gepresst, so als hielte er vorsichtig ein Baby an seiner Brust.
Aber der Schmerz macht ihn fast ohnmächtig. Er ist vielleicht doch nicht so hart, wie er wirkt. Offenbar gehört er zu den Typen, die eigenes Blut nicht fließen sehen können.
Das Mädchen sieht aus ihrer knienden Haltung auf dieses makabre Bild, und dann blickt sie auf ihren toten Vater nieder.
»Wo ist denn der nächste Gerichtshof, Miss Su«? So fragte Ben Kellahan hart. Es ist etwas in seiner Stimme, was drängt, fordert, antreibt.
Und so wächst auch in dem Mädchen wieder ein Wille, wird stärker als die bittere Resignation und zwingt zum Handeln.
»In El Paso«, sagt sie. »Doch es ist ein weiter Weg bis El Paso. Wir müssten fast dreißig Meilen mit unserem Wagen bis zur Hauptlinie der Oberlandpost und dort eine der Kutschen erwischen, bevor man uns einholen kann. Oh, wir müssten sehr schnell sein, wollten wir ihnen entkommen.«
»Wem?«, fragt er.
Sie bekommt einen staunenden Ausdruck in ihre mit Schmerz und Bitterkeit erfüllten Augen. Mit einer Kopfbewegung deutet sie auf den Rotkopf.
»Das ist Clint Clayborne«, sagt sie, »der jüngste Sohn von Jedson Clayborne. Wissen Sie nicht, wer Jed Clayborne ist, Ben Kellahan?«
»Nein«, sagt er. »Ich bin fremd in diesem Lande. Aber Sie sagen es mir nun wohl, nicht wahr? Wer also ist Jed Clayborne?«
»Der Big Boss«, erwidert sie. »Er ist der Big Boss in diesem Lande – und vielleicht reicht sein Arm auch bis nach El Paso.«
»Bestimmt«, knirscht Clint Clayborne vor Schmerz und Wut. »Ganz bestimmt! Ihr habt gar keine Chance mehr, ihr zwei. Ihr seid schon erledigt. Su, du wirst bald drüben in Mexiko in einem Bordell arbeiten. Wir werden dich für einen guten Preis verkaufen. Und du, Kellahan, bist schon so gut wie tot. Du weißt es nur noch nicht, wie tot du schon bist.«
»Ay, Amigo«, sagt dieser, »dies hättest du nicht sagen dürfen. Wenn ich schon so gut wie tot sein soll, dann will ich doch noch versuchen, dich an einen soliden Strick zu bringen, damit sich die ganze Sache auch richtig lohnt. Su, wir nehmen den leichten Wagen. Haben wir ein frisches Gespann dafür? Und wir nehmen nur ihn mit – nur ihn, der getötet hat. Mit kleinem Kroppzeug geben wir uns nicht ab. Willst du, Schwester?«
Sie starrt ihn eine Weile an – und sie weiß genau, was er von ihr verlangt, zu was er sie gewissermaßen auffordert.
Nicht mal ihren Vater wird sie beerdigen können. Das wird Pedro, der Helfer und Freund erledigen müssen, Pedro, der ihnen in der Mine half und auch einen Anspruch auf einen Anteil besitzt.
Sie weiß aber auch überdies noch, dass sie sich einem Fremden anvertrauen muss.
Kann sie das wagen?
Sie hört ihn zu ihrer Überraschung sagen: »Wir müssen den Toten mitnehmen nach El Paso. Denn er muss einer Leichenschau vorgeführt werden. Ohne Toten gibt es keine Anklage wegen Mord. Unsere Aussagen allein genügen da nicht. Ob wir dort drüben in der Siedlung euren Pedro schnell finden und auch schnellstens einen Sarg bekommen können?«
Nun erst begreift Suzanne Mullbow die Sache richtig. Sie wird sich darüber klar, was dieser Mann vorhat, was er unternehmen will.
Sie müssen mit einem Toten und einem verwundeten Gefangenen weiter als hundert Meilen zu einem Gerichtshof reisen.
Ben Kellahans Augen sind von hellgrauer Farbe, und sie blicken ernst und hart. Aber ganz im Hintergrund erkennt sie einen Ausdruck der Wärme und des Mitgefühls.
Sie nickt plötzlich.
»Pedro finden wir schnell. Und einen Sarg hat man wahrscheinlich ebenfalls dort in diesem Dorf auf Vorrat. In diesem Lande sterben ja immer wieder Leute auf gewalttätige Art. Soll ich den Wagen anspannen, indes du hier auf die Männer aufpasst?« Sie fragt es ernst und sachlich.
Er nickt.
»Doch vorher gib mir Verbandszeug, damit ich diesen Burschen versorgen kann, so wie es Christenpflicht ist.«
Wieder betrachtet sie ihn überrascht.
Sie duzen sich, sind von einer Minute zur anderen Partner geworden. Er hatte sie Schwester genannt, und sie begreift, dass er nicht auf plumpe Art vertraulich werden wollte, sondern ihr das Gefühl geben will, gut aufgehoben zu sein bei ihm.
Sie vertraut ihm.
Nachdem sie ihm in die hellgrauen und ziemlich weit auseinander stehenden Augen sah, vertraut sie ihm, als kenne sie ihn schon eine sehr lange Zeit.
Die Bitterkeit will immerzu in ihr hochkommen. Sie fürchtet sich davor, losweinen zu müssen, wenn sie auch nur noch einen einzigen Blick auf den tot am Boden liegenden Vater tun muss.
Sie holt den Verbandskasten aus einer alten Truhe.
Dann stürzt sie hinaus, um den Wagen wieder anzuspannen. Drinnen schweigen die Männer noch einige Atemzüge lang. Einer der beiden Revolverschwinger, die mit Clint Clayborne kamen, atmet am Boden seufzend und wie zitternd aus.
»Jetzt ist Brod tot«, sagt der andere Bursche, der immer noch an der Wand lehnt und sich die Hände gegen die Seite hält, so als könnte er auf diese Art das Blut aufhalten.
»Brod ist tot, Clint! Hörst du mich?« So spricht er schärfer und schmerzvoller.
Doch Clint Clayborne achtet gar nicht auf ihn.
»Du hast nur eine einzige kleine Chance«, sagt Clint Clayborne zu Ben Kellahan. »Wenn du jetzt wie der Blitz verschwindest und dich um nichts mehr kümmerst, hast du eine winzige Chance. Du könntest dir sogar zwei oder drei von diesen mit Gold gefüllten Beuteln mitnehmen. Also hau ab! Mach schon!«
Doch Ben Kellahan schüttelt den Kopf. Er hat inzwischen den Verbandskasten geöffnet. Nun tritt er an Clint Clayborne heran, schlitzt diesem den Ärmel auf und betrachtet die Wunde.
»Du hast Glück gehabt«, sagt er. »Mit dieser Fleischwunde wirst du die Fahrt überstehen. Bevor sie dich hängen, wirst du fast völlig gesund sein.«
☆
Sie müssen den Sarg hinten quer auf den Wagenkasten stellen, denn der Länge nach ist dieser Wagenkasten zu kurz für einen Sarg. Sie haben ein paar Kleinigkeiten außer dem Sarg dabei, und neben dem Toten, der durch ihn starb, muss Clint Clayborne hocken.
Ben Kellahan fährt. Das Mädchen sitzt neben ihm. Sie wirkt sehr starr und konnte immer noch nicht weinen.
Jener Pedro Gonzales, dem Suzanne Mullbow zwei Beutel Gold gab und der ihnen half, im mexikanischen Dorf so schnell einen Sarg zu bekommen, holt sie eine Meile weiter auf einem Pferd ein.
Pedro Gonzales ist schnurrbärtig, aber sonst recht klein und gedrungen. Er ist jedoch kräftig wie ein Apache und gehört zu jenem Typ kleiner Männer, die einen langen Burschen mit einem einzigen Schlag von den Beinen holen können.
Als er den Wagen eingeholt hat, wirkt er verlegen. Und die stummen Fragen von Su Mullbow und Ben Kellahan beantwortet er mit den Worten: »Ach, ich kann ohnehin nicht länger mehr bei meiner Teresa bleiben. Nicht nur deshalb, weil man mir aus den verschiedensten Gründen die Haut abziehen würde, sondern auch, weil Teresa mich heiraten will. Ich reite mit euch. Und ich werde vielleicht etwas helfen können unterwegs. Auch kann es wohl nicht schaden, wenn auch ich in El Paso vor dem Gericht den Mund aufmache. Ich muss doch wohl von der alten Goldmine erzählen, die wir insgeheim ausbeuteten, um keine ›Schutzgebühr‹ zahlen zu müssen. Ich muss doch wohl berichten, wie wir uns fürchteten, bei der Ausbeute der alten Mine entdeckt zu werden – und wie ihr dann mit dem toten Patron und diesem verwundeten Burschen da vor Teresas Haus gekommen seid. Das alles wird helfen, ihn verurteilen zu können, diesen Mörder. Ja, ich will euch helfen, obwohl Jed Claybornes Killer uns bald um die ganze Erde verfolgen werden. Aber es muss sein, dass ich meinem Patron auch jetzt noch die Treue halte. Denn er hat mir vertraut. Er hat mit mir die alte Goldmine ausgebeutet und mir mehr gegeben als nur den Lohn. Ich reite mit euch!«
»Du wirst mit ihnen zur Hölle sausen«, sagt Clint Clayborne böse vom Wagen zu ihm hinüber.
»Oh, halt nur dein Maul«, spricht Ben Kellahan über die Schulter.
Dann fährt er weiter, und er schont das Gespann nicht.
Es ist eine seltsame Menschengruppe, die durch das Land fährt und zum Glück eine helle Nacht erwischt hat für die Flucht.
Ein Toter in einem Sarg und der verwundete Mörder werden von einem Mädchen und zwei Männern zu einem Gerichtshof gebracht, welcher hundert Meilen weit entfernt an der Mexiko-Grenze etabliert ist.
Und bald werden sie Verfolger auf der Fährte haben, hinter denen die gewaltige und gnadenlose Macht eines Mannes ist, den sie hier weit und breit nur »Big Boss« nennen und der von jedem Menschen seine eigenen Steuern kassiert.
Indes er den Wagen lenkt und das Gespann nicht schont, denkt Ben Kellahan über seine eigenen Motive nach.
Warum hat er sich hier eingekauft?
Aus Rache darüber, weil man ihm so übel mitspielte, weil man seinem Pferd im Mietstall von Toril die Kehle durchschnitt?
Oder weil er die Welt verbessern und heiler machen will durch die Anzeige gegen einen Mörder?
Er kann sich keine ehrliche Antwort geben.
Als er nach einer langen Steigung die Pferde einmal verschnaufen lässt, wird im Osten die silberhelle Nacht grau. Die Sterne dort verblassen und verschwinden in einem sich verschleiernden Himmel.
Er weiß, dass nun bald der Tag kommen wird, dem sie entgegenfahren müssen, bis sie endlich die Poststraße erreichen, auf der die Express-Kutschen von Santa Fé nach El Paso verkehren.
Der Weg bis zum Rio Grande Valley ist noch weit.
Er hört neben sich ein leichtes Geräusch, und als er zur Seite blickt, da erkennt er im Mondlicht, dass Suzanne Mullbow endlich weinen kann.
Sie weint fast lautlos, schluchzt nicht. Die Tränen rinnen ihr über die Wangen.
Er möchte sie gerne trösten, möchte seinen Arm um sie legen und ihr ein paar Worte sagen.
Doch Clint Clayborne würde zuhören. Und vielleicht würde er böse und gemeine Bemerkungen machen. Dann müsste er ihm wirklich etwas aufs Maul geben.
So sagt Kellahan nichts.
Nur einmal berührt er Suzannes Schulter und Oberarm. Nur einmal drückt er ein wenig mit Daumen und Zeigefinger.
Sie wendet ihren Kopf und sieht ihn an.
Und da erkennt sie im verblassenden Mond- und Sternenlicht, was er ihr alles sagen möchte.
Sie begreift, dass sie ja gar nicht allein ist in dieser Nacht und in diesem so gnadenlosen Land, in dem die Mächtigen mit ihrer Gewalt herrschen können.
Sie spürt, dass er sie gerne mit Worten trösten möchte.
Aber ihr genügt schon das Gefühl, nicht allein zu sein. Und so beißt sie auf ihre zitternde Unterlippe und nickt ihm tapfer zu. Auch sie braucht keine Worte, um ihm somit zu sagen: »Danke, Ben Kellahan. Ich weiß genau, was du mir sagen möchtest. Doch das brauchst du gar nicht. Ich spüre es deutlich. Und ich danke dir dafür. Ich weiß nun, dass ich nicht allein bin mit der ganzen Bitterkeit auf dieser Erde. Danke!«
Er nickt zurück, und dann fährt er weiter. Der schmale Weg senkt sich nun langsam zum Rio Grande Valley hinunter.
Wenn die Sonne hochkommt, müssen sie die Pferdewechselstation der Postlinie erreichen.
Sollte die Postkutsche schon durch sein, so haben sie wahrscheinlich verloren.
Denn dann kommen sie mit ihrem Wagen und dem Sarg darauf einfach nicht schnell genug vorwärts.
Sie müssen die Postkutsche erwischen und es auch fertigbringen, mitgenommen zu werden. Solch eine Express-Post wechselt alle zwanzig bis dreißig Meilen das Sechsergespann und ist auch von schnellen Reitern, die ihre Pferde nicht so oft wechseln können, nicht einzuholen.
Er treibt die beiden Pferde des Gespanns noch einmal an, so als ob er nun plötzlich eine heiße Furcht spürte, dass sie um eine einzige Minute nur zu spät kommen könnten.
☆
Als sie die Relais-Station erreichen, geht es nicht nur um eine Minute, sondern um wenige Sekunden.
Denn der Kutscher lässt das Sechsergespann schon antraben. Zum Glück aber fahren sie von Westen her vor der Kutsche auf den Wagenweg und versperren ihr somit die Weiterfahrt.
Der Fahrer beginnt zu fluchen, beruhigt sich jedoch schnell angesichts des Sarges auf dem Wagen und des schönen Mädchens davor.
Ben Kellahan steigt ab und tritt an das Vorderrad der Express-Post. Er sieht zum Fahrer hinauf und bemerkt auch, dass der Begleitmann die doppelläufige Schrotflinte auf ihn richtet.
Von der Station her kommt der Stationsmann herbeigelaufen. »He, warum versperrt ihr uns die Straße?« Dies will der ungeduldige Fahrer wissen.
Alle Männer sehen nun scharf auf Ben Kellahan. Aus der Kutsche blicken ein paar Fahrgäste.
Kellahan sagt klar und trocken: »Wir müssen nach El Paso zur Leichenschau. Der Tote ist der Vater des Mädchens da auf dem Wagen. Und der Verwundete hinten beim Sarg ist der Mörder. Gentlemen, wollen Sie nicht helfen, Gerechtigkeit zu schaffen? Viel Zeit bleibt nicht übrig, denn die Verwandtschaft des Mörders ist hinter uns her und will verhindern, dass in El Paso Recht gesprochen wird. Also Gentlemen …«
Die Männer blicken sämtlich zu Suzanne Mullbow hinüber. Auch die Passagiere in den Kutschenfenstern.
Und plötzlich begreifen sie alle, was in diesem schönen Mädchen sein muss.
Sie soll ihren Vater dort hinter sich im Sarg und zugleich auch den Mörder daneben bei sich auf dem Wagen haben. Darüber müssen die Männer noch einige Sekunden nachdenken.
Doch plötzlich sind sie alle einer Meinung, ohne sich überhaupt verständigt zu haben.
Es geht dann alles sehr schnell.
Als die Postkutsche endlich abfährt, ist der Sarg mit dem Toten darin oben auf dem Dach festgezurrt. Pedro liegt daneben.
Suzanne und Ben Kellahan aber haben mit ihrem Gefangenen in der Kutsche Platz gefunden.
Das Sechsergespann springt an.
Zum Glück wird die Kutsche hier in Rio Grande Valley keine Steigungen oder gar Kehren zu bewältigen haben. Durch den Sarg wurde sie doch sehr hochlastig.
Und als sie kaum lange genug fort ist, um eine Meile zurückgelegt zu haben, da kommen einige Reiter zur Station.
Aber es ist eine große Station, bei der auch ein Frachtwagenzug rastet und mehr als drei Dutzend Menschen versammelt sind. Auch ein Store und ein Gasthaus gehören zur Station.
Die Reiter, die auf schaumbedeckten Pferden herangejagt kommen und nach frischen Tieren verlangen, werden abschlägig beschieden.
Und als sie böse reagieren wollen und es so aussieht, als wollten sie mit dem Stations-Agenten Streit beginnen, da nähern sich einige Frachtfahrer mit ihren Schrotflinten.
Jack Twodance, der Erste der Claybornes, der das Rudel selbst führt und der auch Jedson Claybornes zwei Söhnen Befehle geben darf, sagt zum Stationsmann: »Das werden wir uns merken, Amigo! Diese Unfreundlichkeit uns gegenüber wirst du noch zu spüren bekommen.«
»Wollt ihr der Wells Fargo drohen?« Dies fragt der Stationsmann, der stolz darauf ist, zur größten Post- und Frachtgesellschaft des Kontinentes zu gehören und der genau weiß, dass sich so leicht niemand mit der Wells Fargo Company anlegt.
Sie geben ihm keine Antwort, sondern lenken ihre erschöpften Pferde zu den Wassertrögen hinüber.
Sie haben verloren, das wissen sie. Und dabei sind sie auf den schnellsten Pferden des Landes wie die Teufel geritten – dreißig lange Meilen weit.
Aber es hat nichts genützt.
Jener Ben Kellahan, den sie in Toril so böse zurechtgestutzt hatten, um wieder einmal ein Exempel zu statuieren, hat hart zurückgeschlagen.
☆
Siebzig Meilen bis El Paso. Dies schaffen die Express-Postkutschen im flachen Rio Grande Valley in wenig mehr als neun Stunden, die Zeit des dreimaligen Pferdewechsels mit eingerechnet. Denn die Sechsergespanne sind zäh genug, um mehr als zwanzig Meilen ohne jede Pause unentwegt traben zu können.
Siebzig Meilen bis El Paso in einer überfüllten Kutsche, mit einem Sarg auf dem Dach, in dem ein Toter liegt – und mit dem Mörder des Toten mitten unter den anderen Fahrgästen.
Ben Kellahan sorgte dafür, dass ihm Clint Clayborne gegenübersitzt. So kann er ihn am besten unter Kontrolle halten. Aber es geht Clint Clayborne nicht besonders gut. Sein zerschossener Arm – obwohl eine Fleischwunde nur, die keine Knochen verletzte – macht ihm immer böser zu schaffen. Er hat bereits Wundfieber, und es wird bis El Paso noch stärker werden.
Clint Clayborne sagt nichts. Doch er scheint immer noch zu grinsen. Diesen Eindruck erzeugt seine zu kurze Oberlippe. In Wirklichkeit ist ihm das Grinsen längst schon vergangen, und er macht sich ernste Sorgen.
Außer dem Fieberglanz in seinen Augen ist da auch noch der unruhige und gehetzte Ausdruck eines Mannes, der sich böse in der Klemme fühlt und fortwährend nach einem Ausweg sucht.
Aber es gibt keinen Ausweg. Sämtliche anderen Fahrgäste – zwei Frauen und vier Männer sind zu sehr auf der Seite des Mädchens, dessen Vater oben auf dem Dach tot in einem Sarg liegt und dessen Mörder hier in der Kutsche zum Gerichtshof in El Paso gebracht wird.
Das finden sie alle in Ordnung. Das unterstützen sie.
Und deshalb gibt es keine Freundlichkeit für Clint Clayborne. Wahrscheinlich macht dieser seit langer Zeit erstmalig wieder die Feststellung, dass die Welt der Claybornes doch eigentlich recht klein ist und es außerhalb dieser Welt – ihres Machtbereiches – keine Sonderrechte für sie gibt.
Am Anfang der Fahrt sitzt dieser Clint Clayborne noch recht wachsam da, so wie auf dem Sprung und als wollte er sich bei der nächsten Gelegenheit gegen den Wagenschlag werfen und sich aus der Kutsche schleudern.
Er lauscht auch angespannt durch das Fenster. Wahrscheinlich hofft er, dass er außer dem Hufschlag des Sechsergespannes und den Geräuschen der Kutsche auch noch etwas anderes bald schon hören wird – nämlich schnelle Reiter, scharfe Rufe, vielleicht auch Schüsse.
Ja, solch ein Bursche wie Clint Clayborne in dieser misslichen Lage hofft natürlich auf Hilfe. Er kann sich ausrechnen, dass seine Sippe und deren hartbeinige Reiter eine Menge auf die Beine bringen werden, um ihm helfen zu können.
Doch mit jeder Meile wird Clint Claybornes Hoffnung etwas geringer.
Und als selbst beim nächsten Pferdewechsel niemand auftaucht, um ihm aus der Patsche zu helfen, da weiß er, dass er verloren hat und in El Paso eine Menge Ungelegenheiten bekommen wird.
Manchmal starrt er in Ben Kellahans hellgraue Augen – anfangs drohend und noch der baldigen Erlösung gewiss. Er sagt ihm mit seinen Blicken, was ihm alles dann zustoßen wird, diesem verdammten Kellahan.
Doch als dann tief in Clint Claybornes Kern die Zweifel stärker werden, da ist auch in seinem Blick bald kein drohendes Selbstvertrauen mehr, sondern zunehmende Verzweiflung.
Am Anfang spürte er auch Suzanne Mullbows Blick auf sich. Das irritierte ihn sehr. Er konnte ihren Blick nicht ertragen.
Doch nun schläft das Mädchen in der hinteren linken Kutschenecke. Was sie in der vergangenen Nacht erlebte, war zu viel für Suzanne Mullbow. Nun, da sie sich in der Kutsche in Sicherheit fühlen kann und es wohl festzustehen scheint, dass sie den Mörder ihres Vaters nach El Paso durchbringen können, kommt die Reaktion. Das Schwingen und Wiegen der Kutsche, das monotone Hufgetrampel, das Knallen der Peitsche und die Rufe des Fahrers – dies alles sind immerzu vorhandene Geräusche. Sie schläfern ein erschöpftes Mädchen bald ein.
Und als die Kutsche einmal besonders schaukelt, fliegt die schlafende Su Mullbow aus ihrer Ecke mit dem Oberkörper gegen Ben Kellahan. Sie lehnt nun gegen ihn und seine Schulter.
Er legt seinen Arm um sie, hält sie vorsichtig fest. Sie spürt gar nicht, dass sie nun in Kellahans Arm schläft.
Clint Clayborne hat dieses Bild ständig vor sich.
Und da ihm bekannt ist, wie sehr man Kellahan in Toril zurechtgestutzt hat und sogar seinem Pferd die Kehle durchschnitt, verflucht er die Burschen, die das taten.
Denn sonst wäre ihm, Clint Clayborne, dies hier alles nicht passiert.
Dann nämlich hätte dieser Kellahan gar keine Verbindung mit den Mullbows bekommen.
Diese Narren, denkt Clint Clayborne immer wieder. Wegen zwanzig Dollar Verkaufssteuer legen sie sich mit diesem Kellahan an, der nicht einfach nur ein Wildpferdjäger, sondern auch ein Revolvermann ist, wie ich zuvor keinen schießen sah. Wegen dieser Narren daheim in Toril bekam ich diesen zweibeinigen Tiger zum Feind. Und er wird es fertigbringen, dass man mir in El Paso den Prozess macht. Heute Abend bin ich in El Paso, und dann …
☆
Sie kommen noch vor Sonnenuntergang nach El Paso, und der Sarg auf dem Kutschdach lässt besonders viele Leute bei der Haltestelle der Postkutschen zusammenlaufen.
Sie sehen, wie Kellahan seinen Gefangenen zum Sheriff’s Office bringt.
Und vom Fahrer der Postkutsche, vom Begleitmann und den Passagieren hört man im Verlaufe der nächsten Stunde da und dort in der Stadt, was es mit dem Sarg auf dem Kutschdach und dem Gefangenen auf sich hat.
Die Leichenschau findet noch vor Anbruch der Nacht beim Leichenbestatter in dessen kleinem Aufbahrungsraume statt. Denn nach diesem heißen Tage muss der Tote bis Sonnenaufgang beerdigt werden.
Es geht alles sehr sachlich und schnell vonstatten. Man macht in El Paso zwar nicht jeden Tag, aber doch sehr oft solche Leichenschauen vor irgendwelchen Gerichtsverhandlungen.
Ein Arzt stellt den Tod und die Todesursache fest. Ein Sheriff, der die Anklage übernehmen wird, stellt ein paar Fragen, hört die Zeugen und wendet sich dann an Clint Clayborne: »Nun, was haben Sie zu sagen, Clint Clayborne?«
»Sie lügen«, sagt dieser. »Diese Schufte – das Flittchen mit eingeschlossen – lügen erbärmlich.«
Aber da grinst der schon graubärtige Sheriff hart.
»Von euch Claybornes im Toril-Land haben wir schon gehört«, sagt er. »Es dringen immer wieder Gerüchte über die Verhältnisse dort bis zu uns durch. Aber wir werden euch noch das Handwerk legen. Sobald ich einen guten Deputy finde und dieses Land dort meinem Distrikt hier zugeteilt wird, errichte ich in Toril ein Sheriff’s Office. Dieser Prozess wird meine Bestrebungen noch unterstützen. Trösten Sie sich, Clint Clayborne. Auch allen anderen Burschen Ihres Schlages geht es bald an den Kragen. Die Gerichtsverhandlung findet morgen sofort nach der Beerdigung statt. Ich spreche jetzt gleich mit dem Richter. Der ist nämlich nur noch morgen hier, bevor er nach Socorro fährt, um dort die anstehenden Fälle zu erledigen. Er kommt dann erst in vier Wochen wieder. Sie bekommen heute noch den Besuch eines Anwaltes.«
»Ich brauche keinen Anwalt«, sagt Clint Clayborne. »Ich möchte erst mal abwarten, ob es in diesem Lande Geschworene gibt, die einen Clayborne für schuldig zu sprechen wagen. Das wollen wir erst mal abwarten, nicht wahr?«
Er sagt es frech und drohend. Obwohl er immer noch starke Schmerzen und auch etwas Wundfieber hat, wirkt er jetzt plötzlich sehr selbstbewusst.
☆
Als Ben Kellahan dann schon recht spät in der Nacht und nach einem Essen im Hotel-Restaurant Suzanne Mullbow bis vor die Zimmertür bringt, verharrt sie zögernd. Im schwachen Licht des nur von einer einzigen Lampe erhellten Ganges sehen sie sich an.
»Ich habe Angst«, sagt Suzanne. »Ich habe Angst vor der Rache. Jedson Clayborne, den sie Big Boss nennen, hat noch niemals jemanden davonkommen lassen. Wer gegen ihn war, der hatte keine Chance mehr, der war verloren, den ließ er auf irgendeine Art erledigen. Und selbst Leute, die davonliefen und glaubten, sich durch Flucht retten zu können, die konnten seinem langen Arm nicht entkommen. Irgendwann und irgendwo holte er den Flüchtling ein durch seine Handlanger und Kopfjäger. Ben, ich habe Angst um uns – große Angst. Und ich frage mich, ob es sich lohnt, dafür zu sterben, dass der Mörder meines Vaters für seine Tat bestraft wird?«
Er streicht ihr über das rabenschwarze und selbst im schlechten Lampenlicht noch schimmernde Haar.
»Hab keine Angst«, sagt er. Doch dann geht er mit ihr in das Zimmer, zündet darin die Lampe an und blickt auch einmal aus dem Fenster, um sich zu überzeugen, dass von unten niemand heraufklettern könnte ohne Leiter.
Er untersucht auch den Riegel an der Tür.
»Ich schlafe nebenan«, sagt er dann. »Du brauchtest nicht einmal laut zu rufen, Su – und ich würde sehr schnell bei dir sein.«
Sie nickt, wirkt ein wenig erleichtert. Und als er gehen will, da fragt sie ihn: »Ben, warum tust du das? Warum willst du Clint Claybornes Bestrafung?«
Er schließt noch einmal die Tür und lehnt sich von innen mit dem Rücken dagegen.
Einen Moment scheint er tief in sich hineinzulauschen.
»Sie haben mich in Toril schlimm zurechtgestutzt«, sagt er. »Es sind Wilde, die sogar einem unschuldigen Pferd den Hals durchschneiden, um einen Mann wegen seines Ungehorsams zu bestrafen. Es sind Wilde, die keine Gnade kennen. Aber Wilde, das ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Böse sind es! Das passt besser. Es sind Böse, und sie beherrschen die Schwachen und die Guten. Ich wollte sie nicht bekämpfen. Ich lief davon. Denn ich wollte kein Blut vergießen aus Rache. Nicht einmal für mein Recht wollte ich kämpfen. Doch dann erlebte ich sie bei euch. Jetzt kann ich nicht mehr anders. Ich kann nicht noch einmal hinnehmen, kuschen, fortlaufen, oder wie man es auch nennen mag. Es muss doch irgendwie eine Gerechtigkeit geben. Man muss doch etwas tun! Oder das Leben auf dieser Erde wird immer weniger lebenswert. Soll man den Bösen ohne Gegenwehr die Macht überlassen?«
Sie nickt ein wenig, so als verstünde sie ihn jetzt besser. Dann aber spricht sie: »Ich werde meine Anzeige nur unter einer Bedingung aufrecht halten, Ben – nur unter einer Bedingung. Und darauf will ich dein Wort.«
Er sieht sie scharf an und erkennt, wie ernst sie es meint und wie sehr ihr alles auf sein Wort ankommt.
»Gib mir dein Wort«, sagt sie herbe, »dass wir nach der Verhandlung sofort die Flucht ergreifen. Wir müssen uns vor der Rache von Big Boss fürchten. Oh, wir haben glücklicherweise genügend Geld! Und auch die heute mitgebrachten Beutel mit Gold können wir umtauschen. Damit kommen wir vielleicht weit genug, um unsere Fährte verwischen zu können. Ben, gib mir dein Wort, dass wir nach der Verhandlung sofort das Weite suchen vor der Rache des Big Bosses.«
Er kann nicht nur an ihr erkennen, sondern auch mit seinem Instinkt fühlen, wie sehr sie erregt ist, sich fürchtet und deshalb von ihm das Versprechen haben will.
Und so nickt er. »Ja, ich geb dir mein Wort, dass wir abhauen. Denn ich weiß, dass ich sonst eine Menge Blut vergießen und wahrscheinlich auch töten müsste. Ich will das gewiss nicht. Ich will auch nicht der Hüter der Guten sein gegen die Bösen. Ja, wir nehmen die nächste Postkutsche. Von Pedro weiß ich, dass er zu Verwandten hinüber nach Mexiko will. Ist es jetzt gut, Suzanne?«
Sie wirkt nun ruhiger. Und sie nickt ernst.
»Es ist ein Glück«, sagt sie, »dass mein Vater dich zu uns heimbrachte.«
☆
Es gibt gar keine große Gerichtsverhandlung, wie man es sich vielleicht vorstellen könnte, wenn es sich um ein friedliches Land und eine friedliche Stadt gehandelt hätte.
Doch hier an der heißen Grenze und mitten im Apachenland, dazu auch noch so kurz nach dem Kriege, der den Verfall von Sicherheit und Ordnung beschleunigt hatte, sind in El Paso solche Gerichtsverhandlungen häufig.
Der Richter heißt Bringham David, und die Geschworenen sind harte Männer, die von El Paso aus Recht und Ordnung schaffen wollen.
Der Sheriff fungiert als Ankläger. Er trägt die Sache vor. Die drei Zeugen werden vernommen. Und dem Angeklagten wird ein letztes Wort gestattet. Und da begeht Clint Clayborne den großen Fehler, dass er zu schimpfen beginnt. Er beginnt das Gericht, die Geschworenen und den Ankläger zu verfluchen. Er beginnt zu drohen, und er behauptet, einen Anwalt nur deshalb abgelehnt zu haben, weil dieser ja ohnehin mit den hier anwesenden Schuften, die über einen Clayborne Gericht halten wollten, unter einer Decke stecken würde.
Sie lassen ihn eine Weile schimpfen und drohen.
Und als er verstummt, erhebt sich der Vormann der Geschworenen und sagt dem Richter, dass sie ihn für schuldig halten.
Daraufhin fragt Richter Bringham David den anwesenden Arzt, wann wohl der verletzte Arm des Angeklagten wieder halbwegs brauchbar wäre.
Als er zu hören bekommt, dass dies in einer guten Woche der Fall wäre, erhebt sich der Richter und wartet, bis alle anderen sich gleichfalls erhoben haben.
Dann verkündet er, dass Clint Clayborne aus Toril wegen Raubmord schuldig gesprochen worden wäre und er – der Richter – die Pflicht hätte, ihn nach dem Gesetz zum Tode durch Erhängen zu verurteilen. Das Urteil soll in acht Tagen bei Sonnenaufgang vollstreckt werden.
Als er geendet hat, bekommt Clint Clayborne einen Tobsuchtsanfall.
☆
Als Suzanne Mullbow und Ben Kellahan zur Postkutschenstation gehen, haben sie nur wenig Gepäck. Sie hatten hier in El Paso nur wenige dringende Einkäufe erledigt:
Doch sie haben das ganze Geld der Mullbows abgehoben und auch die mit Gold gefüllten Säckchen, die sie mitbrachten, gegen Geld eingetauscht.
In der Handtasche trägt Ben Kellahan fast vierzehntausend Dollar in größeren Scheinen und ein paar hundert Dollar in größeren Münzen.
Pedro hat sich mit seinem Anteil schon verabschiedet. Er wird sich für seine zweitausend Dollar drüben in Mexiko eine kleine Ranch kaufen können. Zweitausend Dollar sind drüben in Mexiko ein ganzer Berg von Geld.
Als Su und Ben von der Stage-Haltestelle nur noch wenige Schritte entfernt sind und schon langsamer gehen, kommt der Sheriff quer über die Fahrbahn. Er winkt ihnen zu und sagt: »Einen Moment noch!«
Sie verhalten.
Der Sheriff ist ein erfahrener Falke, einer von der Sorte, die an die Zukunft dieses Landes denkt und nicht nur das Gesetz für den Augenblick ausüben will.
Er sagt: »Jetzt weiß ich etwas mehr über Sie, Ben Kellahan. Jemand kennt Sie aus dem Krieg. Sie haben als Captain eine Einheit der Konföderierten-Armee geführt. Ich würde gerne mit Ihnen zusammenarbeiten, Ben Kellahan. Ich würde Sie dann als meinen Vertreter nach Toril schicken. Wären Sie daran interessiert, Ben Kellahan?«
»Warum sollte ich das?« So fragt dieser etwas erstaunt zurück. Der graubärtige und falkenäugige Sheriff wippt auf seinen Fußsohlen.
»Sie wollen jetzt wahrscheinlich mit dieser schönen Miss vor den Claybornes ausreißen. Aber wenn dieser Big Boss Jed Clayborne so ist, wie man dann und wann zu hören bekommt, so darf man nicht vor seiner Rache fortlaufen. Dann muss man sich ihm stellen und kämpfen. Sie könnten das mit einem Stern auf der Weste. Sie hätten das Gesetz hinter sich und könnten auch Deputies ernennen. Ihre Chancen wären etwas größer, nicht wahr? Die Chancen nämlich, ihn zu erwischen und nicht nur von ihm und seinen Jägern erwischt zu werden. Na?«
»Wir wollen fort«, sagt Ben Kellahan. »Und ich will nicht für die Feigen und Schwachen das Blut der Bösen vergießen. Wer nimmt mir das von meinem Gewissen? Denn, Sheriff, wenn das Gesetz nach Toril vorstoßen wollen sollte, so wird das zu einem Krieg ausarten. Das kann ein Deputy, der ein paar andere Deputies ernennen darf – wenn er überhaupt welche findet für diesen Job –, gar nicht schaffen.«
Er nickt dem Sheriff zu.
Dann geht er weiter mit Suzanne.
Denn die Postkutsche fährt nun mit einem frischen Gespann aus dem Wagenhof und hält an, um die Fahrgäste einsteigen zu lassen.
☆
Als sie zehn Meilen weit sind, spürt Ben Kellahan, wie Suzanne allmählich aufatmet und etwas von ihrer Furcht verliert. Sie sitzen wieder nebeneinander wie ein zusammengehörendes Paar.
Aber sind sie das schon? Genügten die paar Tage Gemeinsamkeit schon?
Wurden sie ein Paar, welches auch später noch zusammenbleiben wird, wenn es weit genug geflüchtet zu sein glaubt?
Sie denken beide über diese Dinge nach.
Aber zugleich auch wird ihnen von Stunde zu Stunde und Meile zu Meile klarer, dass sie sich mögen, dass sie gern zusammen sind.
Sie fahren mit der Express-Post nach Osten, also in Richtung Pecos River und Pecos-Land. Vor ihnen hebt sich der El Capitan Peak deutlich und klar über den Guadalupe Mountains gegen den Himmel ab.
Die Poststraße nach dem Pecos-Land schwenkt dann etwas mehr nach Süden ein. Denn der Pass befindet sich genau zwischen den Guadalupe-Ausläufern und den Davis Mountains.
Eigentlich fahren sie jetzt genau auf das Große Knie des Rio Grande zu.
Manchmal schläft Suzanne ein wenig an Ben Kellahans Schulter. Er hält sie in seinem Arm.
Ja, man kann wohl sagen, dass sie ein Paar geworden sind, welches zusammenbleiben wird. Je weniger sie sich noch in Gefahr glauben und je mehr sie der Meinung sind, dass sie der Rache des Big Bosses entkommen können, um so mehr können sie sich mit sich selbst beschäftigen.
Dabei wird ihnen immer stärker klar, dass sie sich mögen.
Von den Passagieren, die mit ihnen von El Paso losfuhren, befinden sich gegen Abend nur noch zwei in der Kutsche.
Einer ist wie ein Reverend gekleidet. Er liest auch ständig in einem dicken Buch, welches offensichtlich eine Bibel ist. Aber er ist ein relativ junger Mann noch, dessen stahlblaue Augen sehr fest blicken.
Der andere Reisende, der gleichfalls seit El Paso in der Kutsche sitzt, wirkt unscheinbar. Er ist gekleidet wie einer der Handelsreisenden, die hier im Westen für ihre vielen Angebote – vom Klavier bis zur Mausefalle – Abnehmer suchen.
Dieser da scheint hauptsächlich Feuerwasser in den verschiedensten Geschmacksrichtungen anzubieten. Denn er hat einen kleinen Musterkoffer bei sich, den er einmal öffnete, um sich selbst zu bedienen. Man sah ein Dutzend kleiner Flaschen, wohlverwahrt in Fächern und gefüllt mit allerlei Feuerwässerchen.
Alle anderen Fahrgäste stiegen im Verlaufe des Tages irgendwo ein und irgendwo wieder aus.