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G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 186 bis 190 der G.F. Unger Sonder-Edition:
Folge 186: Kellkini
Folge 187: Tausend Pferde
Folge 188: Bruder des Teufels
Folge 189: Die Unbeugsamen
Folge 190: Black Cat
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 963
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Manuel Prieto/Norma
ISBN: 978-3-7517-6493-3
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https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Sonder-Edition 186
Kellkini
G. F. Unger Sonder-Edition 187
Tausend Pferde
G. F. Unger Sonder-Edition 188
Bruder des Teufels
G. F. Unger Sonder-Edition 189
Die Unbeugsamen
G. F. Unger Sonder-Edition 190
Black Cat
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Contents
Kellkini
Mein Name ist Kellkini, Tim Kellkini. Aber es ist gewiss nicht mein richtiger Name, denn diesen werde ich nie erfahren.
Als mich damals die Soldaten aus den Händen der Indianer befreiten, weil ich zweifellos ein Kind weißer Abstammung war, zählte ich etwa drei Jahre. Und als sie mich fragten, wie mein Name sei, da sagte ich immer nur »Kellkini, Kellkini«, nichts anderes als Kellkini. Es war gewiss ein indianisches Wort und wurde von mir nur verstümmelt ausgesprochen.
Der Armeescout brachte mich zu einer Mission der Jesuiten, die mich aufzogen und von jenem Armeescout gesagt bekamen, dass ich Kellkini heiße und er mir den Vornamen Tim gegeben habe.
Und so heiße ich auch jetzt noch, da ich diese Geschichte meines Lebens schreibe: Tim Kellkini. Denn jeder Mensch muss ja wohl einen Namen haben. Mir war er recht.
Die Indianer hatten mich zu einem Krieger ihres Stammes aufziehen wollen. Doch dann war ich ein Jesuitenschüler geworden, dem die Patres eine Menge beibrachten, sodass ich wahrscheinlich gebildeter war als die meisten Weißen in unserem großen Land.
Natürlich musste ich ihnen dankbar sein, denn eigentlich wurden sie meine Väter.
Dennoch konnte ich nicht so werden wie sie, obwohl ich sie bewunderte und irgendwie verehrte. Denn sie versuchten Gutes zu tun.
Doch je älter ich wurde, umso stärker wuchs in mir der Wunsch nach Freiheit.
Wahrscheinlich glich ich in diesem Zustand einem Jungwolf, den man für ein braves Hündchen gehalten hatte, der aber mehr und mehr das Verlangen in sich spürte, frei zu sein und jagen zu können.
Dennoch hatten mir meine Jesuitenväter etwas beigebracht, denn sie ließen mich in einem Buch von einem gewissen Blackstone lesen, der ein sehr weiser Mann gewesen sein muss.
Und so wusste ich, dass die Gemeinschaft der Menschen jeden Einzelnen beschützen und dass jeder Mensch die Gebote der Allgemeinheit respektieren und befolgen soll. Denn die Gemeinschaft der Menschen hat die Rechte jedes Einzelnen zu beschützen. Und als Gegenleistung und Dank für diesen Schutz müssen sich die Beschützten den Gesetzen der Gemeinschaft unterwerfen, sich ihnen beugen. Denn nur so ist es möglich, jedem einzelnen Mitglied Schutz zu bewähren.
Irgendwann hatte ich das in meinem Hirn verarbeitet und begriffen.
Dennoch war mir nicht danach, mich einzuordnen. Ich wollte frei sein.
Und so machte ich mich auf die Socken, lief davon, folgte einem geheimnisvollen Ruf, einer inneren Stimme. Ich wollte die Welt erkunden und ein Jäger sein.
Sicherlich war da etwas von meinen Vorfahren, die ich nicht kannte, in meinem Blut mächtig geworden.
Und so lief ich in die Freiheit wie ein Jungwolf oder flog davon wie ein junger Adler, der seinen Instinkten folgen muss, weil das von Natur her so bestimmt ist. Dann vergingen ein Dutzend Jahre. Ich musste inzwischen etwa siebenundzwanzig Jahre alt geworden sein.
☆
Ich war mit der Ausbeute eines ganzen Jagdwinters aus dem Yellowstone-Gebiet nach Fort Buford unterwegs, und ich hatte fünf lange Monate eine gute Jagd gehabt. Meine drei Packpferde waren mit kostbaren Pelzen und Fellen beladen.
In Fort Buford wollte ich die vier Pferde verkaufen und mit der Ausbeute auf einem Dampfboot den Missouri abwärts bis Kansas City – Westport fahren.
Und dann … Oho, was würde dann sein?
Heiliger Rauch, ich würde die Einsamkeit ohne Frau in mir tilgen und alles, was ich versäumte, wieder ausgleichen.
Ich hätte mir ja auch eine Squaw kaufen können, die mit mir in der Hütte lebte und mich in den kalten Blizzardnächten unter der Decke wärmte.
Doch ich war keiner von dieser Sorte, die eine Squaw dann wieder fortschicken konnten. Das taten nicht wenige von der Hirschlederbrigade, wie man uns Bergläufer und Pelzjäger nannte. Sie schickten die Gefährtinnen eines langen Winters einfach wieder zu ihrem Stamm zurück, zumeist geschwängert, sodass ihre Kinder Halbbluts waren.
Vielleicht war auch ich so ein Halbblut, jedoch eines mit heller Haut und rötlichen Haaren. Ja, das konnte durchaus sein. So etwas gab es.
Doch ich dachte schon lange nicht mehr darüber nach.
Eigentlich war ich äußerlich recht gut geraten, ein richtiger Mann geworden, größer als sechs Fuß und so um die fünfundachtzig Kilo schwer, obwohl kein Gramm überflüssiges Fleisch an mir war. Ich hatte starke Knochen, starke Muskeln und bewegte mich leicht und geschmeidig. Gewiss war ich kein schöner Bursche, aber ich hatte dennoch Glück bei fast jeder Frau. Mehr als eine hatte mir gesagt, dass ich wie ein richtiger Mann aussehen würde.
Und ich hatte leuchtend blaue Augen.
Aber das war auch nicht selten bei Halbbluts.
Aber vielleicht war ich ja doch keines.
Nun, ich hatte noch mehr als zweihundert Meilen bis Fort Buford.
Es war noch nicht richtig Frühling. Überall lagen noch Schneereste, und oben in den Crazy Mountains war ich manchmal mit meinen Tieren im Schnee fast gänzlich versunken.
Doch ich kannte die Wege gut, konnte mich nach all den Landmarken richten. Und so würde ich einer der ersten Trapper sein, der mit wertvollen Pelzen nach Kansas City kam.
Auch würden zu dieser frühen Zeit noch keine Indianer auf Pelzjäger lauern, auch keine weißen Hurensöhne, die auf diese hinterhältige und bequeme Art Pelzjagd betrieben.
Dennoch gab es zu dieser frühen Frühlingszeit eine Gefahr: Es konnte ein später Blizzard über das Land herfallen. Denn die Natur spielte immer wieder einmal verrückt.
Es war dann an einem späten Nachmittag, zweihundert Meilen von Fort Buford an der Yellowstone-Mündung entfernt, als ich mich wieder einmal umsah.
Zwischen mir und der Schlucht, aus der ich vor einer halben Stunde auf die Ebene geritten war, lag mehr als eine Meile.
Dennoch konnte ich Yellow Hand erkennen, und er war nicht allein.
Bei ihm tauchten aus dem Schluchtmaul noch ein Dutzend weitere Reiter auf, und sie ritten auf meiner im Schnee so deutlichen Fährte.
Und so wusste ich, dass ich zumindest um meine Jagdausbeute kämpfen müssen würde.
Vielleicht würde mich Yellow Hand am Leben lassen, denn wir kannten uns. Allerdings aus einer Zeit, in der zwischen Roten und Weißen noch Frieden herrschte.
Aber längst war alles anders. Die Roten hatten begriffen, dass die Weißen an ihnen Völkermord betrieben. Und so wehrten sie sich. Es herrschte Krieg.
Ich hatte es nun mächtig eilig.
Wahrscheinlich würde mich die Horde noch vor Nachtanbruch einholen.
Das war ziemlich sicher, denn ich hatte drei Packpferde bei mir. Nur auf meinem schnellen Appaloosa hätte ich ihren zähen Mustangs entkommen können. Dann aber würde ich einen langen Winter umsonst gejagt haben.
O verdammt, wie ungerecht ist diese Welt doch manchmal. Und so fluchte ich erst einmal kräftig. Dann aber wurde ich wütend und so richtig böse.
Denn ich war ja kein Weichei. Ich war Tim Kellkini, mit dem man sich besser nicht anlegte, selbst wenn man ein kleiner Cheyenne-Häuptling war.
Ich ließ die Pferde traben, denn es wäre dumm gewesen, sie nun galoppieren zu lassen, besonders die Packpferde mit ihren schweren Lasten. Ich musste die Tiere schonen bis zum Endspurt.
Doch die Cheyenne, die mich ja einholen wollten, mussten ihre noch wintermageren Mustangs galoppieren lassen. Das war meine einzige Chance. Denn wenn sie mich eingeholt hatten, pfiffen ihre Tiere aus dem letzten Loch – vielleicht.
Ich behielt also die Nerven und setzte meinen Weg nach Osten ruhig fort.
Vor mir lag eine wild zerhackte Hügelkette, durch die enge Schluchten führten. Es würde für mich darauf ankommen, die richtige Schlucht zu finden, also den besten Durchgang durch dieses wilde Gebiet.
Und dann konnte die Nacht meine Rettung sein.
Immer dann, wenn ich über die Schulter nach Westen zurückblickte, da sah ich die Verfolger galoppieren. Hinter ihnen verschwand die Sonne. Und vor mir kroch die Dämmerung über die Hügelkette.
Aber was war im Norden, zu meiner Linken?
Das fragte ich mich plötzlich. Und dazu hatte ich einen Grund.
Denn von Norden her traf mich der erste, kalte Luftstrom.
Ich wusste ihn sofort zu deuten, also richtig einzuschätzen. Denn in dieser Hinsicht kannte ich mich aus. Ich lebte ja schon lange genug in diesem Lande.
Was ich da von Norden her auf meiner linken Seite spürte, dies war der erste Hauch eines Wasiya, der zu dieser Jahreszeit zwischen Winter und Frühling noch einmal von jenem Waniyetula nach Süden geschickt wurde.
Ein Wasiya, das war ein Blizzard. Und Waniyetula, so nannten die Roten den Blizzardgott, der sich vom nahenden Frühling noch nicht geschlagen geben wollte.
Bis zur Kansas-Prärie würde er noch einmal über alles herfallen.
O du Heiliger Rauch, das alles hatte mir noch gefehlt. Wäre ich doch nur zwei oder drei Wochen länger in meinem Hochtal und meiner Hütte geblieben. Ich hätte es dort schön warm gehabt und bei Kerzenlicht in einem der drei Bücher lesen können, die ich mir mitgenommen hatte. Es waren mächtig dicke Bücher. Eines hatte ein gewisser Homer geschrieben. Es war die Geschichte von Odysseus, dem sagenhaften König von Ithaka, der jahrelang auf der Welt umherirrte, bis er endlich heimkehren konnte zu seiner Frau und Gattin Penelope.
Jetzt steckte das Buch in meiner Satteltasche.
Aber ob ich den dicken Wälzer jemals zu Ende würde lesen können?
Als ich mich das fragte, war ein starkes Gefühl von Bedauern in mir.
Und so wurde ich noch wütender auf Yellow Hand.
Immer wieder blickte ich nach Norden und spürte den zweiten, eiskalten Atem des mächtigen Winterriesen, der den Blizzard nach Süden blies.
Auch meine Pferde spürten, was da von Norden her herangebraust kam. Und sie witterten längst den Schutz der Hügel vor uns. Ich musste sie nicht mehr antreiben.
Aber auch das Dutzend Cheyenne-Krieger wollte in den Schutz der Hügel.
Nach diesem zweiten Eiseshauch hielt alles den Atem an. Und ich wusste, dass nun alle Tiere Schutz suchten und sich verkrochen.
Im Norden erschien nun eine grüne Wand, zwar noch in weiter Ferne, doch rasend schnell näher kommend. Dort in dieser grünen Wand zuckten Blitze. Nach einer Weile endlich kam der Donner zu uns und übertönte den Hufschlag meiner Pferde.
Dann spürte ich den dritten Eiseshauch und wusste, dass dies da im Norden kein einfacher Blizzard war. Nein, da kam ein Blaueis-Blizzard, dessen Hagelkörner fast so groß wie Hühnereier waren, nur viel schwerer. Sie zerschlugen alles gnadenlos.
Ich sah mich nicht mehr nach den Verfolgern um. Die Sicht war schlecht geworden.
Und meine ledernen Hosenbeine klebten am Pferdeleib. Ich war festgefroren im Sattel und am Pferdefell.
Als wir die Hügel erreichten, war die Sicht etwas besser. Und so konnte ich noch nach dem richtigen Schluchtmaul suchen. Ja, ich kannte mich hier recht gut aus. Diesen Weg war ich jedes Jahr im Herbst nach Westen und im Frühjahr nach Osten geritten. Ich bog also nach Süden ein, ritt an der Basis der Hügelkette entlang und drehte dem nahenden Blizzard den Rücken zu.
Und dann fand ich das kleine Maul der Schlucht, ritt hinein wie ins Maul einer Riesenschlange.
Ich konnte nur hoffen, dass nicht auch Yellow Hand mit seinen Kriegern denselben Weg einschlug.
Hoch über uns brüllte und orgelte nun der Blizzard wie ein gewaltiges Ungeheuer aus der Hölle oder gar aus dem Jenseits des Alls, das die Erde verschlingen wollte. Und dann schlug der Blaueishagel auch in die enge Schlucht herein, prügelte meine Tiere und mich.
Die Sicht in der engen Schlucht wurde von einem Moment zum anderen so schlecht wie in finsterer Nacht.
Ich konnte nichts mehr sehen, und wahrscheinlich hatte sich auch jener Bursche so gefühlt, der von einem Walfisch verschluckt wurde und sich also in einem tintenschwarzen Loch befand. Irgendwann hatte ich mal etwas darüber gelesen, doch ich konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Ich musste was tun.
Aber was konnte ich tun, um in dieser Finsternis einen Schutz zu finden?
Ich hatte nur eine Chance, nämlich die, dass meine Pferde – besonders mein Appaloosa-Wallach – ihren Instinkten folgten und uns in Sicherheit brachten.
Besonders der Appaloosa, der ja aus der Zucht der Nez Percé stammte, die weiter oben im Norden an der Grenze von Kanada lebten, kannte sich mit Blizzards aus. Ja, er war ein Blizzardpferd.
Und so duckte ich mich im Sattel weit nach vorn und überließ ihm die Führung. Dabei wurde ich von den schweren Hageleiern geprügelt, als hätte ich die schlimmsten Sünden begangen.
Zum Glück trug ich meine Felljacke und eine Pelzmütze.
Meine Pferde waren trotz ihres Winterfells schutzloser.
Die drei Packtiere hatte ich an der langen Leine hinter mir.
Nun, ich weiß nicht, wie lange wir in der engen Schlucht waren und wohin wir immer wieder abbogen.
Doch irgendwann war plötzlich alles ruhiger, wurde ich nicht mehr von Hageleiern geprügelt und klang das Orgeln und Fauchen anders, viel leiser.
Ich bewegte mich mühsam im Sattel, löste mich vom Appaloosa, auf dem ich festgefroren war und begann zu begreifen, dass der Appaloosa mich und die drei Pferde in eine Höhle geführt haben musste.
Der brüllende Blaueis-Blizzard war außerhalb.
Und so kam ich schließlich steif gefroren von meinem Pferd herunter und begann mich zu bewegen. Mit den Zähnen zog ich mir die Handschuhe von den Händen und schlug mir die Arme um Brust und Schulterspitzen.
Ich stand mitten zwischen meinen Pferden, konnte sie spüren.
Aber es war wohl an der Zeit, dass ich endlich etwas zu sehen bekam.
Wo war ich?
Es dauerte aber noch eine Weile, bis meine klammen Finger mein Präriefeuerzeug aus der Tasche holen und anzünden konnte. Im Schein des Flämmchens sah ich, dass wir uns tatsächlich in einer Höhle befanden.
In meiner Satteltasche, in der sich Homers Buch befand, hatte ich noch einen Kerzenstummel. Als ich ihn zum Leuchten brachte, konnte ich mich besser umsehen. O du Heiliger Rauch, dachte ich, was sehe ich da?
Aber es gab keinen Zweifel. Dort vor mir an der Wand lag ein bleiches Gerippe, und es waren nicht die Knochen eines Tieres, sondern die eines Menschen, halb verborgen oder zugedeckt von den Überresten einer Lagerstatt, auf der dieser arme Teufel offenbar seine letzte Ruhe gefunden hatte.
Dann aber war er im Verlauf von Jahren bis auf die Knochen abgenagt worden.
Ja, er war wirklich ein armer Teufel gewesen, und niemand hatte ihn wie einen Christenmenschen beerdigen können. Er war hier einsam gestorben.
Aber das ist ja nicht selten auf unserer Erde. Hier sterben viele Lebewesen und lassen zuvor ihre Seelen entweder in den Himmel oder in die Hölle fliegen.
Jedenfalls glaube ich das. Das Kommen und Gehen gehört zu unserer Welt.
Ich fand bei einer alten Koch- oder Feuerstelle noch trockenes Holz. Es war hartes Holz. Der Mann, dessen Gerippe dort an der Wand lag, hatte es hereingeschleppt, um nach Bergmannsart einen Stollen abzustützen.
Ich hatte nach einer Weile ein Feuer in Gang, das allmählich etwas Wärme verbreitete. Nun stellte ich fest, dass die Höhle gleich hinter dem Eingang einen Knick oder eine scharfe Biegung machte, sodass die Kälte nicht so böse hereinfauchen konnte. Ich vermochte mir vorzustellen, dass man die wirkliche Höhle von draußen gar nicht wahrnehmen konnte.
Inzwischen hatte ich die Steifheit verloren und wollte meinen Tieren nun die Lasten und Sättel abnehmen. Denn mir war klar, dass ich mit ihnen viele Tage und Nächte in dieser Zuflucht würde zubringen müssen.
Als ich zu meinem Appaloosa trat, da klopfte ich ihm dankbar Hals und Brust und hörte mich mit heiserer und mir fremder Stimme sagen: »Gut, mein Junge, gut. Du bist ein prächtiger Pferdekönig. Wir sind dir eine Menge schuldig.«
Als ich verstummte, schnaubte er dankbar.
Doch dann wurde dieses Schnauben plötzlich anders, klang böse und wild. Er wollte sich mit der Vorderhand aufbäumen und auf der Hinterhand herumwirbeln, um die Flucht zu ergreifen.
Und da hörte ich, als sein böses Wiehern kurz aufhörte, was ihn so in Panik versetzt hatte.
Es war das Knurren eines Bären – wahrscheinlich eines Grizzlys –, dessen Winterschlaf wir gestört hatten.
O verdammt, waren die Cheyenne und der Blizzard nicht schon reichlich genug?
☆
Im schwachen Licht des Feuerscheins sah ich ihn riesig wirkend vor mir aus der Dunkelheit auftauchen, hoch aufgerichtet auf seinen Hinterbeinen stehend.
Und seine Vorderbeine, die in gewaltigen Tatzen endeten, die schlugen jetzt schon nach mir, obwohl er noch mehr als sechs Yards entfernt war. Sein Rachen war weit geöffnet, und es hätte mich kaum noch gewundert, wenn er Feuer gespien hätte.
Die Pferde hinter mir waren in Panik geraten. Sie bäumten sich auf, schlugen mit den Vorderhufen in die Luft, wirbelten herum und keilten nach hinten aus.
Ja, sie waren richtig verrückt, und es war ein Wunder, dass sie mich mit ihren auskeilenden Hufen nicht trafen.
Doch das alles nahm ich nur in Sekundenschnelle wahr, eigentlich nur so nebenbei.
Denn der Grizzly näherte sich mir mit jedem seiner Schritte um einen halben Yard.
Ich konnte sein Verhalten recht gut verstehen. Wir waren in seine Höhle eingedrungen und hatten seinen Winterschlaf vorzeitig beendet. Wahrscheinlich wäre er auch ohne unsere Störung in den nächsten Tagen aufgewacht und aus der Höhle gegangen, um nach Nahrung zu suchen.
Doch wir konnten nicht hinaus in den Blizzard. Und so musste ich ihn töten. Ich besaß zwei Gewehre und einen Revolver. Letzteren trug ich noch an meiner Seite im Holster. Die Gewehre hatte ich an meinen Sattel gelehnt, der beim Feuer lag.
Ich ergriff die schwere Sharps. Sie war das richtige Gewehr für einen Grizzly. Mit einer Sharps konnte man auf eine halbe Meile Entfernung auch einen riesigen Büffelbullen fällen. Da hatte auch ein riesiger Grizzly keine Chance, wenn man ihn richtig traf. Aber wenn nicht? Nun, eine Sharps war einschüssig. Man musste nach jedem Schuss nachladen.
Und meine Sharps war vielleicht noch eingefroren, obwohl sie schon eine Weile in Feuernähe an meinem Sattel lehnte.
Ich musste also darauf vertrauen, dass sie funktionierte.
Ich griff nach ihr und spannte zugleich den Hahn.
Der grollende Riese war nun fast bei mir.
Aber dann krachte meine prächtige Sharps tatsächlich. Und die schwere Kugel traf ihn in die Brust. Der Rückstoß der schweren Waffe ließ mich schwanken. Fast hätte ich sie in meinen klammen Händen nicht mehr halten können.
Aber sie hätte mir ohnehin nichts mehr genutzt. Nur noch als Keule hätte ich sie gebrauchen können.
Und der Grizzly fiel nicht um. Er hielt nur kurz inne, riss seinen Rachen noch weiter auf und kam wieder auf mich zu, schlug mit seinen Tatzen nach mir.
Und ich konnte nicht weiter zurück, denn hinter mir tanzten und bäumten die Pferde, trompeteten wie wild.
Ich wich nach der Seite aus, ließ die Sharps fallen und griff nach meinem Revolver. Doch der war im Holster durch eine Schlaufe gesichert, die ich erst lösen musste.
Ich riss mit meinen klammen Fingern wild daran, und sie löste sich.
Und so bekam ich die schwere, vierundvierziger Kanone endlich in die Hand.
Der Grizzly hatte sich mir zugewandt und folgte mir, indes ich rückwärtsging, bis ich gegen die Höhlenwand stieß.
Aber bei jedem Rückwärtsschritt schoss ich.
Dann war mein Revolver leer geschossen, und er stand immer noch. Aber er näherte sich mir nicht mehr. Er stand nur noch mit seiner letzten Lebenskraft zwei Schritte vor mir. Ich glitt zur Seite, indes er endlich nach vorn fiel.
Wäre ich nicht zur Seite geglitten, so hätte er mich noch im Fallen erwischt.
Was für ein Graubär! Heiliger Rauch, was für ein prächtiger Bursche war er doch gewesen. Er besaß meinen ganzen Respekt, aber ich hatte ihn töten müssen.
Ich wandte mich den Pferden zu, und nach einer Weile gelang es mir, sie zu beruhigen.
Dann setzte ich mich auf einen Stein und verschnaufte erst einmal.
Aus meiner Felljacke holte ich ziemlich mühsam mein Rauchzeug hervor.
Eine Zigarette hätte ich mir mit den klammen Fingern nicht drehen können. Aber ich stopfte meine Pfeife mit dem letzten Tabak aus dem Beutel.
Und dann rauchte ich auf dem Stein sitzend und dankte dem Herrn, der mein Schicksal bestimmte, fragte mich wieder einmal mehr, was dieses Schicksal noch mit mir vorhatte.
☆
Es war zwei Tage später – und ich hatte mich inzwischen mit meinen vier Pferden einigermaßen eingerichtet, indes der Blizzard draußen tobte –, als ich zu begreifen begann, was mein Schicksal mit mir vorhatte.
Ich hatte inzwischen dem Grizzly das Fell abgezogen und ihn mit der Axt – ja, ich hatte solch ein Beil in meinem Gepäck – in tragbare Stücke zerlegt und aus der Höhle geschafft, sodass die Pferde von dem Geruch nicht mehr so nervös waren. Nun lag der zerstückelte Graubär draußen im Schnee. Sein Fleisch würde vorerst nicht verderben. Und das Bärenfell war gewiss ein prächtiger Teppich vor einem Kamin. Ich musste ihn nur mitnehmen und verkaufen können.
Immer wenn ich daran dachte, da fiel mir immer wieder Yellow Hand ein, der ja mit seinen Kriegern gewiss ebenfalls irgendwo untergekrochen war und auf das Ende des Blizzards wartete.
Und wenn der Wasiya sich endlich ausgetobt hatte, dann würde die Jagd wieder von vorn beginnen. Yellow Hand würde nicht aufgeben. Da machte ich mir keine Illusionen.
Nun, mir ließ in diesen zwei vergangenen Tagen eine Frage keine Ruhe, nämlich diese, wer der Mensch gewesen war, dessen Gerippe ich mit Geröll und Steinen bedeckt hatte. Nein, ich hatte ihn nicht aus der Höhle geschafft wie den zerstückelten Grizzly. Ich gab ihm nach Christenart eine letzte Ruhestätte. Mehr war mir nicht möglich.
Warum hatte dieser Mensch vor vielen, vielen Jahren diese Hartholzstangen und dicke Knüppel in die Höhle geschafft und nicht als Feuerholz verwendet? Er hatte alles sorgfältig gestapelt wie Bauholz.
Mit solchen Holzstempeln wurde in den Minen abgestützt, damit es keine Einbrüche gab und ganze Platten wie Sargdeckel niederfielen.
Aber das hier war keine Mine, nur eine Höhle.
Am dritten Tag wollte ich es genauer wissen. Und so machte ich mir mithilfe des Bärenfettes und einiger trockener Knüppel primitive Fackeln, um die tief in den Berg reichende Höhle zu erforschen.
Ich musste manchmal durch Löcher kriechen, auch durch niedrige Stollen. Dann begann ich endlich zu begreifen, dass die Höhle nur am Anfang eine natürliche Höhle war. Aber dann wurde sie zu einer Mine. Denn die niedrigen Stollen waren nicht natürlich, sondern von Menschenhand geschaffen worden.
Es war natürlich viel niedergebrochen, herausgefallen. Und das karge Licht meiner primitiven Fackeln ließ mich alles nur schwer erkennen, aber endlich begriff ich, dass man hier vor sehr, sehr langer Zeit – vielleicht schon vor hundert Jahren – nach Gold gesucht hatte, so wie vor noch längerer Zeit die spanischen Eroberer im Süden. Denn denen hatten die Ureinwohner vorgemacht, dass es die goldenen Städte von Cibola gab.
Doch sollten die goldgierigen Hidalgos mit ihren eisengepanzerten Soldaten damals wirklich so weit nach Norden gekommen sein?
Ich stand geduckt vor einer Wand. Ja, es war eine Wand. Im roten Lichtschein erkannte ich Steine, die zu einer Trockenmauer aufgeschichtet worden waren.
Ich begann diese Trockenmauer einzureißen und kroch in die Fortsetzung der immer schmaler gewordenen Höhle.
Und da sah ich es im Fackelschein glitzern und funkeln.
Es war eine Goldader. Zwischen dem fast weißen Quarzgestein war Gold, Adergold, das einst flüssig gewesen war, als es auf der Erde noch keine Menschen gab.
Es erkaltete in diesem Quarz. Und dann vergingen Tausende von Jahren. Und irgendwann flüchteten Menschen in diese Höhle so wie ich vor dem Blizzard und glaubten, dass sie das große Glück gefunden hätten.
O du heiliger Rauch!
Was nun?
Das waren meine Gedanken, und ich dachte wieder einmal an das Gerippe vorn in der Höhle.
Dem armen Kerl hatte der Fund nichts genützt.
Er war hier gestorben, lag nun unter einem Steinhügel.
Doch so ist wohl das Leben. Alles ist Schicksal. Und das Glück entpuppt sich immer wieder als eine fragwürdige Sache.
Dennoch schien hier das Glück auf mich gewartet zu haben, weil der Blizzard mich in diese Höhle trieb.
Und das wieder hatte ich meinem Appaloosa-Wallach zu verdanken.
Ich brach mit meinem Messer einige Quarzstücke aus der Höhlenwand und pulte das Gold heraus. Ja, es war pures Gold. Die Stücke waren so groß wie Pferdezähne, wogen schwerer als gleichgroße Steine.
Es war pures Gold. Zwischen dem hellen Quarz befand sich eine Goldader, die sich durch den Berg zog.
Was nun?
Dies fragte ich mich.
So langsam wurde mir bewusst, dass sich für mich alles verändert hatte, einfach alles, was bisher war.
Ich war im Krieg gewesen und hatte auf der Seite der Union gekämpft, also gegen die Rebellen des Südens, die sich Konföderierte nannten.
Dann war ich ein Satteltramp, der ständig unterwegs war, um die Welt kennen zu lernen voller Neugierde und Abenteuerlust. Ich wollte stets über den nächsten Fluss, die nächsten Hügel und über die fernen Berge.
Dann wurde ich Trapper, Fallensteller, Pelztierjäger . Ja, das war es für mich: Jäger sein.
Ich liebte die Einsamkeit und war mir selbst genug.
Doch jetzt hatte ich eine Goldader gefunden.
Heiliger Rauch!
Dieses »Heiliger Rauch« in meinen Gedanken war wie ein Schrei in mir.
Ja, alles hatte sich verändert, es sei denn, ich brächte es fertig, konnte die Goldader vergessen und mein bisheriges Leben weiterführen.
Aber welcher Mensch an meiner Stelle hätte dies gekonnt?
Ich war ja kein Heiliger.
Und so hockte ich neben der Goldader auf einem Stein in der engen und niedrig gewordenen Höhle und dachte nach. Über mir knirschte das Hangende. Da und dort tropfte Wasser aus den Ritzen und Spalten über mir. Zu meinen Füßen auf der Höhlensohle lagen Steinbrocken im knöcheltiefen Staub. Ich begriff, warum der Mann, dessen Knochen ich beerdigt hatte, all das Stangenholz in die Höhle geschleppt hatte. Er wollte das Hangende über sich abstützen, bevor er die Ader aus der Höhlenwand herauszuschlagen begann.
Doch dann war er wahrscheinlich krank geworden, oder auch ihm hatte ein Grizzly die Höhle streitig gemacht für den Winterschlaf.
Die Fackel, die ich in eine Spalte gesteckt hatte, begann zu flackern und würde bald völlig erlöschen.
Und so machte ich mich auf den Rückweg.
Als ich im Vorderteil der Höhle war, wo meine längst schon hungrigen Pferde standen, da tobte draußen immer noch der Blizzard.
Was würde sein, wenn er noch eine Woche anhielt und die enge Schlucht so sehr mit Schnee füllte, dass ich vorerst gar nicht herauskommen konnte?
Meine Pferde würden dann vor Schwäche umfallen, weil sie ausgehungert waren.
Als ich noch nachdachte, hörte ich von draußen durch das Fauchen und Orgeln des gewaltigen Schneesturms noch ein anderes Geräusch. Es klang krachend und berstend, so als fiele etwas vor den Höhlenausgang.
Und so machte ich mich auf den Weg, bog um die Biegung und trat hinaus vor die Höhle. Der Schnee reichte mir bis zum Bauchnabel oder zur Gürtelschnalle.
Ich fand bald heraus, dass von oben ein Baum in die Schlucht gefallen war, ein großer, riesiger Baum, dessen Äste und Zweige aus dem tiefen Schnee ragten. Dieser Baum musste oben am Schluchtrand gestanden haben. Dann hatte er tage- und nächtelang dem Sturm getrotzt. Aber sein Stamm hatte wie ein Hebel gewirkt.
Ich hatte in der Jesuitenschule etwas vom Hebelgesetz beigebracht bekommen und wusste, dass eine Kraft vom Kraftarm – je nach dessen Länge – vervielfacht wurde.
Der Stamm des Baumes war also der Hebel, die Brechstange. Und der Wind war die Kraft, welche die Brechstange einsetzte.
Und so war der Baum auf dem Schluchtrand über der Höhle mit seinem Wurzelwerk ausgerissen worden.
Meine Pferde würden sich von der Rinde einige Tage ernähren können.
Nun, vielleicht wollte uns das Schicksal doch nicht untergehen lassen, jedenfalls nicht meine Pferde.
Ich kehrte in die Höhle zurück, um mir mein Beil zu holen.
Und dann arbeitete ich einige Stunden, machte nur kurze Pausen, um mich drinnen in der Höhle am Feuer zu wärmen. Kaffee hatte ich nicht mehr, doch noch einen Beutel getrocknete Teeblätter. Immer wieder trank ich heißen Tee.
Holz für das Feuer hatte ich ja nun genug.
Nun, lieber Leser meiner Geschichte, ich möchte es jetzt etwas kürzer erzählen.
Der Blizzard über der Schlucht tobte noch zwei weitere Tage und Nächte. Es war am dritten Tag, nachdem der Baum vor die Höhle fiel, als ich am fast erloschenen Feuer erwachte.
Etwas war anders geworden.
Aber ich begriff es schnell.
Draußen war es still, völlig still, so als hielte die Welt den Atem an. Der Blizzard war gestorben, hatte sich ausgetobt. Ich begriff es sofort, denn ich hatte schon viele Blizzards ausgesessen und auf deren Sterben gewartet.
Ja, er war tot wie ein Ungeheuer.
Auch meine Pferde, die nun viele Äste von ihrer Rinde befreit und blank gemacht hatten, wollten nicht länger mehr Schnee und Baumrinde fressen. Und so waren sie unruhig und schnaubten, scharrten mit den Hufen.
Ich kam endlich auf die Beine und sprach mit ruhiger Stimme zu ihnen: »Geduld, Geduld, ihr Äpfelmacher. Noch können wir nicht raus. Wir würden im Schnee versinken. Wir stecken immer noch in der Falle.«
Ich trat zu ihnen, beruhigte sie, sprach zu ihnen. Und immer dann, wenn ich sie am Hals und an der Brust klopfte, da stellte ich fest, dass sie mager geworden waren, so mager wie die Mustangs der Indianer nach einem langen Winter.
Draußen war es nun hell. Tageslicht fiel in die Vorhöhle.
Als ich vor die Höhle trat, mich im Schnee vorarbeitete, da fielen von oben die ersten Sonnenstrahlen in die Schlucht, denn deren Verlauf war von Ost nach West oder umgekehrt von der Natur so bestimmt worden.
Und da die Sonne im Osten aufging, fiel sie in die schmale Schlucht ein.
Ja, sie wärmte wie Frühlingssonne.
Das Wetter war total umgeschlagen. Die warme Luft kam gewiss von Süden, hatte von Texas her schon Oklahoma, Kansas, Nebraska und Wyoming überquert und dort den Frühling gebracht.
Der letzte Blizzard hatte den Frühling nicht lange aufhalten können. Sonne und warme Luft würden nun den Schnee fressen und in Wasser verwandeln.
Ich trat in die Höhle zurück und rief meinen Pferden zu: »Ihr müsst noch ein paar Tage warten! Aber dann könnt ihr wieder Gras fressen!«
Und so war es auch. Einige Tage später verließ ich die Höhle. Das Wasser stand den Pferden in der Schlucht bis über die Knie.
Als wir aus der Schlucht ritten, begann ich an Yellow Hand zu denken.
Wo hatte er mit seinen Kriegern den Blizzard ausgesessen? Würde er mir nun in den Weg geraten?
Verdammt, ich hatte eine Menge Adergold in meinen Satteltaschen. Und überdies war meine Jagdausbeute durch das Bärenfell noch größer geworden.
Ich kam mit den geschwächten Pferden durch den nassen Schnee nur langsam vorwärts.
Am späten Nachmittag erreichten wir eine Stelle, wo der Schnee nur noch wenige Zoll über dem Büffelgras lag. Die Pferde scharrten es mit ihren Hufen frei. Ich lud ihnen die Packlasten ab und machte es mir im Schutz einiger Felsen bequem. Denn hier prallte von den Felsen die Sonne mit ihren Strahlen ab. Die Felsen würden diese Wärme bis in die Nacht hinein speichern.
Ich dachte wieder an Yellow Hand, und es war mir, als könnte ich ihn schon wittern mit meinem Instinkt.
☆
Es war am nächsten Tag, als ich ihn und seine Krieger in der Ferne erblickte.
Sie hatten mich noch nicht wahrgenommen und zogen nach Südosten. Der Schnee war nur noch eine niedrige, nasse Pampe. Und tausende von Rinnsalen rannen zu den Bächen.
Es würde überall Hochwasser sein in den Creeks und Flüssen.
Auch der Yellowstone und der Missouri würden brüllendes Hochwasser führen. Und ich wollte immer noch nach Fort Buford.
Aber als ich länger darüber nachdachte, wurde mir klar, dass Yellow Hand sich das gewiss ausrechnen konnte.
Wenn er vor sich keine Fährte von mir fand, dann wusste er, dass ich hinter ihm war mit dem gleichen Ziel.
Also würde er irgendwo auf mich warten.
In mir kam wieder jener Trotz auf, der mich schon so manche Herausforderung annehmen ließ. Dann aber erinnerte ich mich wieder daran, was Yellow Hand im vergangenen Jahr von der Armee angetan worden war.
Eine starke Truppe hatte sein Dorf umstellt und war im Morgengrauen über die etwa fünfzig Tipis des kleinen Cheyennedorfes hergefallen.
Die Soldaten hatten es leicht gehabt mit den Frauen, Kindern und Alten. Es gab kaum Gegenwehr, denn Yellow Hand war mit seinen Kriegern unterwegs auf Büffeljagd, um genügend Fleisch für den langen Winter zu haben. Sie waren viele Meilen vom Dorf entfernt. Als sie zurückkehrten mit reichlich Büffelfleisch auf ihren Packtieren, da fanden sie das zerstörte Dorf und all die Toten.
Es hatte ein schreckliches Gemetzel stattgefunden. Die Armee hatte wieder einmal ein Blutbad angerichtet. Und viele Squaws waren vergewaltigt worden.
Besonders schlimm hatten die Crow-Kundschafter der Armee gehaust, obwohl sie doch selbst Indianer waren. Aber die Crows waren schon immer die Feinde der Cheyenne und aller Sioux-Stämme, und die Armee rüstete sie auch mit Feuerwaffen aus.
Nun, ich erinnerte mich also wieder an das Schreckliche, das man Yellow Hand angetan hatte, und an den Grund, warum er mit dem Rest seiner Krieger ständig auf dem Kriegspfad war und jeden Weißen umbrachte. Er war gnadenlos auf dem Pfad der Rache.
Ich hätte keine Chance gegen ihn und das Dutzend Krieger gehabt, die sich nun vor mir befanden, also zwischen mir und Fort Buford.
Und im immer noch mehr als knöchelhoch liegenden Schnee war jede Fährte deutlich zu sehen.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie Yellow Hand sich verhalten würde, wenn ihm klar wurde, dass ich nicht vor ihm war auf dem Weg nach Fort Buford.
Er würde anhalten, seine Krieger ausschwärmen lassen und auf mich warten, wahrscheinlich auf einer Hügelkette, von der aus man weit über eine Ebene blicken konnte, die ich überqueren musste.
Als ich mit meinen Überlegungen an diesem Punkt angekommen war, da begriff ich endlich, dass ich nicht nach Fort Buford reiten durfte. Diese Absicht musste ich aufgeben.
Also wohin? Dies fragte ich mich.
Ich befand mich dicht vor dem Musselshell River, der weiter östlich nach Norden zum Frenchman River abbog.
Eigentlich hatte ich weiter nach Osten reiten wollen, bis ich auf den Yellowstone gestoßen wäre, dem ich bis Fort Buford hätte folgen können.
Es wären noch etwa hundertsechzig Meilen gewesen, und ich hatte mich schon auf den ersten Whiskey-Drink gefreut.
Doch jetzt musste ich weiter nach Süden bis zum Bozeman Trail und auf dem weiter bis nach Fort Laramie. Erst dort würde ich meine Pelze und Felle für einen guten Preis verkaufen können.
Und dann war da ja auch noch mein Gold. Wenn ich es in Dollars umtauschen wollte, musste ich zu einer Stadt, wo es zumindest eine kleine Bankfiliale gab.
Also hatte ich einen Vierhundertmeilenritt vor mir. Vielleicht waren es sogar fünfhundert Meilen. Mit meinen Packtieren würde ich wahrscheinlich fast zwei Wochen unterwegs sein und mich durch das Land schleichen müssen wie ein gejagter Wolf.
O verdammt, das Leben war schwer!
Und dabei hatte ich eine gute Jagd gehabt und überdies auch noch Gold gefunden, dessen Wert gewiss nicht geringer war als die Pelzausbeute eines langen Winters.
Alles zusammen würde mir gewiss um die sechstausend Dollar einbringen.
Heiliger Rauch, was für eine Menge Geld!
Und wenn ich Yellow Hand entkommen und zu meiner Goldader zurückkehren konnte, um sie mit Werkzeugen richtig auszubeuten, dann würde ich erst richtig reich werden.
Und wieder dachte ich staunend: Heiliger Rauch, lockt mich da der Teufel selbst, um meine Seele bekommen zu können?
Doch auf meine stumme Frage gab es keine Antwort – noch nicht. Ich hatte im Schutz einiger Felsen gerastet. Denn hier lag kein Schnee mehr. Meine Tiere rupften emsig die ersten grünen Spitzen des Grases.
Ich ließ sie noch eine Weile rupfen.
Aber dann lud ich ihnen die Packlasten wieder auf und machte mich auf den Weg nach Süden. Irgendwo vor mir musste der Bozeman Trail von Fort Laramie in nordwestlicher Richtung verlaufen.
Aber ich musste ihm südöstlich folgen. Denn dort lag Fort Laramie. Doch zuvor kam man nach Medicine Bow, wo im vergangenen Jahr wieder einmal Friedensverhandlungen mit den roten Stämmen stattgefunden haben sollten, die dann aber gewiss wieder gebrochen worden waren, weil die Weißen stets Gründe für Landraub und Völkermord an den Indianern fanden.
Was war das doch für eine verdammte Welt!
Ich wusste, dass die Zeit sich nun sehr schnell verändern würde für uns Trapper und Pelztierjäger.
Aber wenn ich meine Pelze und das Gold verkauft und meine Goldader ausgebeutet hatte, dann war ich ein reicher Mann und konnte ein anderes Leben führen.
Doch würde mir das gefallen?
Ich war ja zu sehr ein Jäger, der die Freiheit liebte.
Ich blickte unwillkürlich auf den Kolben meiner Sharps nieder, die vor meinem rechten Knie aus dem Sattelschuh ragte.
Dieses Sharps-Gewehr Kaliber 45-120-550, also Kaliber 45, dessen Pulverladung 120 Grain und Geschossgewicht 550 Grain betrugen, würde dann nicht mehr mein treuer Gefährte sein, nur noch ein Andenken an eine frühere Zeit meines Lebens.
Ja, ich spürte instinktiv, dass mein Leben sich verändern würde.
Nur musste ich erst einmal Yellow Hand entkommen. Denn der würde sich bald mit seinen zwölf Kriegern auf meine Fährte setzen. Für ihn war ich eine fette Beute.
☆
Ich kam in den beiden nächsten Tagen gut vorwärts, denn ich ritt ja ständig nach Süden dem Frühling entgegen, der mir seinerseits ja ebenfalls entgegenkam.
Ich konnte immer wieder meine Pferde grasen lassen, denn ich musste sie ja bei Kräften halten, durfte sie auch nicht überanstrengen. In den Nächten fand ich stets gute Plätze und genug Holz für ein Feuer. Die Nächte waren frostfrei. Ja, es wurde Frühling. Immer wieder staunte ich, wie schnell das Gras grüner wurde, zu wachsen begann. Überall an den Büschen wuchsen die Knospen.
Langsam wurde es Zeit für mich, an Yellow Hand und dessen Morde zu denken.
Folgten sie mir schon? Hatten sie meine Fährte gefunden? Oder waren sie gar nicht hinter mir her?
Das waren zunehmend die Fragen in mir.
Ich erreichte am dritten Tag das Land zwischen dem Powder River und der Big-Horn-Kette. Vor mir lag der mächtige Cloud Peak. Seine Spitze war von einer Wolke verborgen, die sich nicht von ihm lösen wollte.
Am späten Nachmittag erreichte ich den Bozeman Trail. Ich erkannte ihn an den Radfurchen. Hier waren im vergangenen Jahr bis in den Winter hinein viele Wagenzüge zum Goldland von Montana gezogen, viele Reiter geritten und auch kleine Rinderherden getrieben worden.
Jetzt aber war diese Furche durch das sonst so unberührte Land verwaist. Nur einige Wölfe und Coyoten schlichen mir immer wieder aus dem Weg.
Ich ritt wachsam, denn ich wusste, dass die Indianer jetzt aus ihren Winterdörfern kamen, um mit der ersten Jagd nach Frischfleisch zu beginnen, vielleicht auch, um Beute zu machen, wenn die ersten Weißen wieder nach Nordwesten zu den Goldfundgebieten zogen, nach Bozeman, Lewingston, Last Chance City in der Last Chance Gulch und nach Three Forks.
Ja, da gab es Beute zu machen. Und Beute brauchten sie wegen des Krieges gegen die Flut der Weißen in ihr Land. Vor allen Dingen brauchten sie Waffen, Munition, Ausrüstung und Vorräte.
Ich musste also wachsam reiten.
An diesem Nachmittag erreichte ich eine Hügelkette, auf deren anderen Seite ich eine Ebene wusste, die sich einige Meilen weit nach Südosten ausdehnte. Ich wollte schon aus der Hügellücke hinausreiten auf dem zerfurchten Weg, als ich die Schüsse hörte. Und dazu hörte ich das gellende Geschrei einer Indianerhorde.
Ich hielt also in guter Deckung an, um mir die Sache anzusehen.
Aber was ich sah, war eigentlich recht einfach.
Da war ein kleiner Wagenzug, der neben einem dichten Wäldchen zu einem Kreis aufgefahren war. Es war ein wirklich kleiner Wagenzug. Ich zählte nur sechs Wagen. Und die Menschen dort kämpften ums Überleben.
Denn die Angreifer drangen schon in die Wagenburg ein. Dort wurde nun Mann gegen Mann gekämpft, aber die Verteidiger waren zu sehr in der Minderzahl. Die Indianer zählten nicht weniger als ein halbes Hundert. Doch sie hatten Verluste gehabt. Ich sah die Roten da und dort im noch braunen Büffelgras liegen. Ja, sie hatten einen blutigen Zoll für die Beute zahlen müssen.
Doch nun waren sie die Gewinner.
Ich konnte nichts tun, gar nichts. Ja, ich musste tatenlos zusehen. Aber es ging dann alles schnell. Bald krachten keine Schüsse mehr. Das Angriffsgeschrei, dieses kreischende und auch gellende »Yiieeejaaah«, veränderte sich in ein Triumphgeheul des Sieges.
Nun, ich konnte mir vorstellen, was da alles vor sich ging. Und es war für mich kaum zu ertragen, dass ich mich hier in guter Deckung verborgen halten musste. Denn hätte ich mich sehen lassen oder gar eingreifen wollen, dann wäre das schnell mein Ende gewesen. Dann hätte es nicht viel genützt, wenn ich ein halbes Dutzend Krieger abgeknallt hätte mit meinem Revolver.
Mein Tod hätte die Menschen des Wagenzuges nicht mehr retten können.
Ich sah dann, wie die Roten die Ladung aus den Wagen warfen und sich aussuchten, was sie gebrauchen und mitnehmen wollten. Und natürlich fanden sie auch das, was sie so treffend Feuerwasser nannten.
Doch als einige Krieger sich daran machten, sich das Zeug in die Hälse zu schütten, da griff ihr Häuptling mit einigen älteren Kriegern ein. Sie schlugen gnadenlos auf die Dummköpfe ein, die sich im Siegesrausch berauschen wollten.
Und daran erkannte ich, dass der Häuptling und die maßgebenden Krieger der Horde keine Dummköpfe waren und genau wussten, was Feuerwasser aus ihren Kriegern machte, nämlich hirnlose Süchtige, die nichts mehr taugten für ihren Stamm.
Ich zog mich mit meinen Tieren weiter in die Hügel zurück.
Wahrscheinlich würde sich die Horde bis zum nächsten Morgen davongemacht haben. Also musste ich warten.
Und so war es auch. Als ich am nächsten Morgen nach dem Wagenzug sah, waren alle Wagen bis auf die Eisenteile verbrannt. Da und dort qualmte es noch etwas aus der Asche. Die Indianer waren verschwunden, ebenso die Maultiere des Wagenzuges.
Auch ihre Toten hatten sie mitgenommen.
Doch da waren noch die Toten des kleinen Wagenzuges.
Ich wartete noch eine Weile und beobachtete ein Rudel Coyoten, die schon lüstern heranschlichen. Wahrscheinlich hielt sie nur der Geruch des Feuers und der dampfenden Asche noch zurück.
Oben am Morgenhimmel, der so sauber und klar war, kreisten bereits die Geier.
Ich machte mich auf den Weg zu den armen Teufeln, denen ich nicht hatte helfen können.
Und ich konnte nicht einmal ahnen, was mich da für eine Überraschung erwarten würde. Denn ich rechnete ja nicht mit Überlebenden.
☆
Ja, sie waren alle tot und skalpiert. Denn die Krieger dieser Stämme glaubten daran, dass sie später im Jenseits die Besiegten, denen sie die Skalpe nahmen, als persönliche Sklaven besitzen würden. Und bei Festlichkeiten in den Dörfern zeigten sie die Skalpe als Tapferkeitstrophäe an den Lanzenspitzen.
Aber nicht nur die roten Stämme skalpierten ihre Feinde.
Ich wusste längst, dass Skalpieren ursprünglich nur bei den Stämmen im Nordosten verbreitet war, weil dort die Engländer im Kampf gegen die Franzosen den alliierten Indianerstämmen für jeden getöteten Feind Skalpprämien zahlten.
Später wurde dieser schreckliche Brauch auch von den Stämmen der Prärie und den Weißen übernommen. Besonders im Süden zahlte man für Apachenskalpe hohe Prämien.
Ich zählte zwölf skalpierte Männer, und sie alle waren wie Frachtfahrer gekleidet gewesen. Ich erkannte es an den Resten ihrer blutigen Kleidung, die ihnen gelassen wurde, weil sie zu blutig war.
Ich dachte noch darüber nach, ob ich Zeit genug hätte, die armen Teufel zu beerdigen, wie es eigentlich meine Christenpflicht war.
Doch hatte ich dafür noch genügend Zeit? Ich musste ständig damit rechnen, dass Yellow Hand mit seiner Horde auf meiner Fährte hinter mir auftauchen würde. Und dann konnte ich nur hoffen, dass seine mager und dürr gewordenen Mustangs bei der Aufholjagd zu viele Kräfte verloren hatten.
Ich hatte meine Pferde geschont und musste normalerweise ein Wettrennen gegen meine Verfolger gewinnen.
Aber sollte ich mich wirklich hier aufhalten? Selbst wenn ich eine große Grube für alle ausheben würde – vielleicht fand ich eine Schaufel dafür –, würde ich einige Stunden verlieren.
Meine Gedanken wurden plötzlich gestört, denn ich hatte instinktiv das Gefühl, nicht mehr allein zu sein als Lebender unter den Toten.
Und so sah ich über die Schulter und griff zugleich nach meinem Revolver, war bereit, herumzuwirbeln und dabei unter meinem Arm hindurch auf ein Ziel zu schießen, bevor ich meine Drehung vollendet hatte. Das hatte ich oft genug geübt.
Doch dann hielt ich inne.
Denn drüben am Waldrand – nur zwei Dutzend Yards entfernt –, da stand eine Frau. O ja, es war eine Frau, obwohl sie Männerkleidung trug.
Und dieser Kleidung sah man an, dass sie in einem Erdloch oder unter einem Haufen Totholz gelegen hatte, unter dem Gestrüpp und den braunen Blättern des vergangenen Herbstes, die noch nicht verrottet und wieder zu Erde geworden waren.
Ja, die Frau musste sich im Wald verkrochen haben.
Doch wehrlos war sie gewiss nicht. Denn sie hielt einen Colt in der Rechten und zielte damit auf mich. Es war ein kurzläufiger Revolver. Deshalb machte ich mir vorerst keine zu großen Sorgen. Denn für solch eine kurzläufige Waffe war die Entfernung wohl doch etwas zu groß. Diese Taschenrevolver waren etwas für Saloons. Spieler bevorzugten sie zum Beispiel, auch Reisende in Postkutschen.
Die Frau sah also ziemlich schmutzig aus, zerzaust und mitgenommen. Aber sie war jung und gut gewachsen, wahrscheinlich eine Augenweide im normalen Zustand.
Ich hörte mich etwas heiser fragen: »Hey, Ma’am, wer sind Sie denn? Aus welchem Loch kamen Sie heraus?«
Sie stieß einen Laut aus, der wie ein bitteres Lachen klang.
Dann sagte sie: »Raten Sie mal. Und wer sind Sie? Sind Sie überhaupt ein Weißer?«
Ich nahm mit der Linken meine Pelzmütze ab, unter der ich mein rötliches Haar verborgen hatte. Es fiel mir bis zu den Schultern nieder, denn ich hatte es lange nicht mehr mit meinem Jagdmesser abgeschnitten.
»Ma’am, mein Name ist Kellkini. Tim Kellkini, und allein schon an meiner Haarfarbe können Sie erkennen, dass ich ein Weißer bin. Ich bin ein Trapper, der mit seiner Jagdbeute unterwegs nach Laramie ist. Und wenn ich Sie mitnehmen soll, dann können wir uns hier nicht lange aufhalten.«
Sie senkte ihre kleine Waffe und kam näher. Dabei musste sie über einen der Toten hinwegsteigen. Sie tat es, ohne zu zögern.
Langsam trat sie dichter an mich heran, verhielt nur einen Yard von mir entfernt und sah mir in die Augen. Aber das tat ich auch bei ihr.
Verdammt, sie hatte die blauesten Augen, die ich bisher bei einer Frau gesehen hatte. Sie waren von einem Tiefblau, nein, nicht verwaschen, sondern irgendwie zwingend.
Ihre Haare waren schwarz wie das Gefieder eines Raben. Und unter dem Schmutz auf ihrem Gesicht entdeckte ich auf ihrer geraden Nase einige Sommersprossen. Ihr Mund gefiel mir, denn es war ein lebendiger Mund.
Heiliger Rauch, dachte ich – denn das denke ich immer, wenn ich über etwas staunen muss –, was für eine Frau ist das.
»Mein Name ist Lorena McCay«, sprach sie ruhig. »Meinem Mann gehörte der Wagenzug. Er gewann ihn beim Poker in Medicine Bow. Doch jetzt ist er tot wie all die anderen Mitglieder des kleinen Wagenzugs. Bevor die Indianer angriffen, versteckte er mich im Wald und sagte mir noch, dass ich zu schön wäre, um mit ihm und den Männern sterben zu müssen. Vielleicht liebte ich ihn letztlich doch nicht gut oder tief genug, um an seiner Seite bleiben und sterben zu wollen.«
Sie machte eine kleine Pause und trat wieder zwei Schritte zurück. Offenbar hatte sie lange genug in meine Augen gesehen, um mich abschätzen zu können.
Ja, sie war eine erfahrene Frau, der man nicht so leicht etwas vormachen konnte. Sie kannte sich aus auf dieser Erde.
Und so hörte ich sie kühl sagen: »Wenn Sie meinen, Tim Kellkini, dass wir uns hier nicht lange aufhalten sollten, dann machen wir uns einfach auf den Weg.«
Und abermals dachte ich: Was für eine Frau! Ist sie wirklich so kalt, oder verbirgt sie auf diese Weise nur ihren Schmerz, ihre Furcht, und kann sie nur so ihre Beherrschung behalten?
Ich deutete mit einer ausholenden Armbewegung auf die Toten zwischen den abgebrannten Wagen, in deren Asche nur die Radreifen, Achsen und andere Eisenteile lagen.
»Welcher ist Ihr Mann, Lorena?«
Ja, ich redete sie mit dem Vornamen an, denn wenn ich sie mitnahm, würden wir einige Tage und Nächte zusammen sein und Gefährten werden müssen.
Sie schüttelte den Kopf und deutete mit einer Hand über die Schulter hinweg zum Wald zurück, aus dem sie gekommen war.
»Der liegt im Wald«, sprach sie kehlig. »Offenbar wollte er zuletzt doch davonlaufen und am Leben bleiben, so lange dies möglich war.« Ihre Stimme klang bitter.
» Er fiel auf den Blätter- und Gestrüpphaufen, unter dem ich verborgen war«, sprach sie weiter. »Auf welchem Pferd soll ich reiten? Die Packtiere sind ziemlich schwer belastet – oder?«
Ich nickte nur. Dann versuchte ich abzuschätzen, wie viel sie wiegen konnte.
Sie war gewiss knapp einssiebzig groß und mochte sechzig bis fünfundsechzig Kilo wiegen, denn an ihr war alles richtig.
»Mein Appaloosa wird uns beide tragen«, sagte ich und grinste leicht. »Sie müssen sich nur hinter mir gut festhalten, Lorena.«
Sie erwiderte nichts.
Ich sah mich noch einmal um und verspürte ein ungutes Gefühl. Ich kannte dieses Gefühl. Mein Instinkt ließ mich die ersten Warnsignale spüren. Vielleicht glich ich in dieser Hinsicht einem Wolf.
Und so saß ich endlich auf und machte Lorena einen Steigbügel frei, in den sie treten konnte, um sich hinter mich zu schwingen.
Dann ritten wir los. Meine drei Packpferde folgten mir und dem Appaloosa. Sie waren inzwischen daran gewöhnt, wenn das Wetter so gut wie jetzt war.
Ich spürte Lorena hinter mir. Ihre Arme umschlangen mich von hinten. Bei jeder Bewegung meines Appaloosas – mochte es Schritt oder Trab sein – spürte ich ihren geschmeidigen Körper.
Und ich hatte schon länger als ein halbes Jahr keine Frau mehr gehabt.
Meine letzte Frau hatte ich mir im vergangenen Herbst in Fort Buford für eine Nacht gekauft. Und sie war die zwanzig Dollar wert gewesen.
O verdammt, ob diese Lorena auch zu kaufen war?
Ich war ja nicht arm.
Wir ritten schweigend. Ich sah mich immer wieder um.
Inzwischen war es später Vormittag geworden, und obwohl die Tage noch kurz waren, würde die Nacht erst in etwa sieben Stunden kommen.
Wir waren etwa zwei Meilen geritten, als vor uns zwei Reiter auftauchten.
Sie kamen plötzlich aus einer Felsengruppe herausgeritten und hielten an, als sie uns sahen.
Auch wir hielten an.
Noch trennte uns eine Viertelmeile, also etwa vierhundert Yards. Aber ich wusste sofort, dass sie uns angreifen würden.
Denn sie sahen eine fette Beute. Und sie waren zwei in Wolfsfelle gehüllte Krieger. Wahrscheinlich waren sie von ihrer Horde weit zurückgeblieben, um diese abzusichern und Verfolger – zum Beispiel eine Armee-Abteilung – rechtzeitig melden zu können.
Ja, so mochte es sein.
Sie ritten nun wieder an, ließen ihre Mustangs traben. An der Art, wie sie sich näherten, konnte ich erkennen, dass es erfahrene Krieger waren.
Doch noch hoffte ich, dass sie sich nicht mit mir anlegen würden.
Und so sagte ich zu Lorena: »Jetzt sollten Sie absitzen, Lorena, und erst einmal abwarten. Denn auch ich sitze ab. Wenn die Kugeln fliegen sollten, möchte ich nicht, dass mein Appaloosa welche auffängt.«
»Sie lieben ihn wohl sehr, Tim«, sagte sie, rutschte vom Pferd und trat einige Schritte zur Seite.
»Vielleicht sollten Sie mir eines Ihrer Gewehre geben, Tim. Ich schieße nicht schlecht. Der Karabiner wäre mir recht. Er ist doch geladen?«
Aber ich schüttelte den Kopf und erwiderte: »Wenn die uns angreifen, werden sie sich hinter ihren Pferden verbergen, also bei Galopp auf der uns abgewandten Seite hängen. Und sie werden von zwei Seiten kommen. So schnell können Sie gewiss nicht mit dem Karabiner schießen.«
»Wenn Sie meinen, Tim …«, erwiderte sie.
Dann mussten wir nicht mehr lange warten.
Die beiden Roten – es waren gewiss Cheyenne – bogen nach rechts und links ab. Und als sie ihre Mustangs anspringen ließen, kamen sie von zwei Seiten und hingen auf der uns abgewandten Seite ihrer Pferde.
Sie zeigten uns, dass sie echte Ritter der Hochprärie waren und die besten Kavalleristen der Welt.
Als sie nahe genug waren, da kamen sie hoch und wollten sich im Vorbeijagen auf mich von ihren Pferden werfen.
Von zwei Seiten hätte ich sie am Hals gehabt.
Aber ich schoss vorher. Einen traf ich im Flug.
Der andere Krieger aber – er war ein riesiger Bursche – fing im Sprung meine Kugel auf, so wie damals der Grizzly in der Goldhöhle.
Er warf sich gegen mich und stieß mir das Messer in die Seite, weil ich mich wegdrehte, dies jedoch nicht schnell genug tat. So bot ich ihm meine Seite dar. Und dann erst fiel er mir tot vor die Füße. Sein Messer aber steckte immer noch in mir.
Der Schmerz schoss durch meinen Körper. Ich blickte seitlich an mir herunter und sah den Griff des Green-River-Messers aus meinem Körper ragen. Ich würde es wohl selbst herausziehen können, und so versuchte ich es, nachdem ich dies begriffen hatte. Aber da war Lorena bei mir.
»Lass mich das tun«, stieß sie hervor. »Das muss vorsichtig gemacht werden. Du musst dich dabei zu sehr verrenken.«
Sie sah es wohl richtig, und so ließ ich sie gewähren.
Das Messer war durch meine dicke Felljacke und mein Lederhemd gefahren wie durch Butter und tief in mich eingedrungen.
Lorena zog es vorsichtig heraus.
Ich trat zu meinem Appaloosa, lehnte mich bäuchlings an ihn und legte meine Arme über den Sattel. Doch Lorena zog mich noch einmal vom Pferd weg und zischte: »Erst muss ich deinen Oberkörper freimachen!«
Ich gehorchte. Aber als mein Oberkörper nackt war, lehnte ich mich wieder an mein Pferd, legte meine langen Arme über den Sattel, spürte, wie mir das Blut aus der Wunde lief. Dabei dachte ich: Das hat mir noch gefehlt. Aber eine Kugelwunde wäre böser gewesen als die Messerwunde. Ob der Rote meine rechte Niere erwischt hatte?
Aber der Schmerz war erträglich. Vielleicht hatte das Green-River-Messer – es war schlank und dünn, konnte auch als Wurfmesser verwendet werden – keine lebenswichtigen Organe verletzt.
Lorena zischte wieder: »Verdammt, du blutest wie ein Büffelbulle nach einem Lanzenstich. Hast du irgendwo Verbandszeug in deinem Gepäck?«
Ich bekam endlich wieder die Zähne auseinander und erwiderte ziemlich ruhig und mit ganz normal klingender Stimme: »Auf der anderen Seite die Satteltasche. Da muss was sein.«
Sie verließ mich, ging um das Pferd herum und kam wenig später wieder zu mir zurück. Dann sprach sie: »Offenbar bist du ein ordentlicher Mensch, der stets weiß, wo er seine Siebensachen verteilt hat. Nun gut …«
Sie arbeitete nun an mir, legte offenbar eine Kompresse auf die Wunde und wickelte einen Verband um meine Taille.
Dann trat sie zurück. Ich wandte mich um, lehnte mit dem Rücken an meinem Appaloosa, der still und bewegungslos wie ein Denkmal stand, so als hätte er genau begriffen, dass er mir auf diese Weise half.
Lorena und ich, wir betrachteten uns eine Weile schweigend.
In ihren tiefblauen Augen erkannte ich ein Funkeln und begriff endlich richtig, dass diese Frau eine Kämpferin war.
»Wenn du mir jetzt auch noch beim Ankleiden helfen möchtest …«, begann ich.
Ja, wir waren nun beim Du angelangt, so als wären wir schon lange Gefährten, die sich aufeinander verlassen konnten.
»Sicher, Lederstrumpf«, erwiderte sie. »Ich werde dir nicht nur beim Wiederankleiden helfen. Denn ohne dich wäre ich in diesem verdammten Land wohl verloren. Diese beiden jetzt toten Krieger hätten eine Menge Freude an mir gehabt, nicht wahr?« Sie verstummte so richtig grimmig.
Dann aber half sie mir in meine Oberkleidung, also in mein Lederhemd und die Felljacke. Dabei hörte ich sie murmeln: »Hey, du riechst in deinem Zeug nicht besonders angenehm. Riechen alle Trapper nach einem Jagdwinter so?«
»Ja, wir stinken«, knirschte ich. »Aber im Yellowstone-Land, wo es die heißen Quellen gibt, habe ich oft gebadet. Und bis wir in Laramie sind, wirst auch du nicht mehr wie eine Rose duften.«
Sie lachte, trat zurück und beobachtete, wie ich mich in den Sattel zog.
Dann schwang sie sich hinter mich.
Wir setzten unseren Weg fort.
Die beiden toten Indianer blieben zurück. Ihre Mustangs waren fortgelaufen. Ich konnte sie in meinem Zustand nicht einfangen. Wir mussten weiter auf meinem Appaloosa reiten.
Und bald würden am Himmel die ersten Geier kreisen.
Wie lange konnte ich im Sattel bleiben?
☆
Die Schmerzen blieben erträglich, dennoch war ich am Ende des Tages ziemlich erledigt, und meine Sorge war, dass sich meine Wunde entzünden würde, obwohl sie ziemlich stark geblutet hatte.
Ich lauschte also immer wieder in meinen Körper hinein, hoffte, dass sich die mögliche Blutvergiftung nicht durch hackende Schmerzen bemerkbar machte.
Denn dann musste mir Lorena die Wunde ausbrennen.
Solch ein Green-River-Messer wurde ja auch zum Ausnehmen von Jagdbeute verwendet. Da konnte eine Menge Böses an der Klinge geklebt haben.
Aber vielleicht hatte die starke Blutung alles mitgenommen.
Ich konnte nur hoffen.
Wir fanden am Abend einen guten Rastplatz auf der Lichtung eines dichten Tannenwäldchens. In der Nähe entsprang eine Quelle, deren Rinnsal nach Süden abfloss.
Lorena ließ sich nicht helfen. Sie pfiff mich richtig an, als ich das tun wollte. Also beschränkte ich mich darauf, ein Feuer zu machen und Tee zu kochen. Sonst hatten wir nur Dörrfleisch. Bis nach Fort Buford hätte mein Proviant gereicht, doch nun hatten wir einen weiteren Weg vor uns. Ich musste versuchen, ein Wild zu erlegen. Doch Schüsse waren in diesem Land meilenweit zu hören.
Lorena lud die Packtiere ab, nahm auch den Sattel vom Appaloosa herunter. Die Tiere begannen auf der kleinen Lichtung die ersten Grasspitzen zu rupfen, tranken auch von der kleinen Quelle.
Lorena kam dann ans Feuer. Ich reichte ihr den Teebecher. Abermals sahen wir uns fest in die Augen. Meine Augen waren grau.
Dann biss Lorena in das Dörrfleisch und riss sich einen Bissen davon ab. Ich sah ihr an, wie hungrig sie war. Aber sie hatte sich zuerst um die Tiere gekümmert.
Was für eine Frau!, dachte ich wieder.
Kauend betrachtete sie mich prüfend und lächelte schließlich, nachdem sie den ersten Bissen heruntergeschluckt hatte.
»Wie geht es dir, Tim Kellkini? He, was für ein verrückter Name ist das.«
Ich grinste und nickte nur. Dann aber erwiderte ich: »Man kann sich seinen Namen nicht aussuchen und muss froh sein, einen zu haben. Was war dein Mann für ein Bursche?«
»Wir waren nicht verheiratet. Er hieß Jeff Larrygan, und er war ein Spieler. Als es mir mal so richtig dreckig ging, weil ich krank geworden war und fast gestorben wäre, da tat er eine Menge für mich. Und so blieb ich bei ihm. Als er beim Poker den kleinen Wagenzug gewann, sahen wir das als große Chance. Wir wollten nach Last Chance City, also mitten ins Goldland hinein, und dort wären wir mit unserer Fracht die ersten Lieferanten gewesen nach einem harten Winter. Und mit dem Erlös hätten wir dann versucht, weiter nach Oregon zu gelangen, um ins Holzgeschäft einzusteigen.«
Als sie endete, fragte ich: »Und nun, Lorena?«
Sie betrachtete mich seltsam. Es war ein Prüfen, dies konnte ich erkennen. »Ach«, sagte sie schließlich mit einem leichten Achselzucken, »das wird sich finden. Irgendwie falle ich immer wie eine Katze auf die Pfoten. Was macht deine Messerwunde? Hackt sie vielleicht schon?«
»Noch nicht, Lorena, noch nicht.«
Sie nickte zufrieden. Doch dann sprach sie: »Ich habe schon mal einem Mann eine Wunde ausgebrannt. Das war im Krieg, und er war ein Deserteur. Er sagte mir, dass ich sein Bowiemesser ruinieren würde, wenn ich es nicht wieder nach dem Glühen härten würde. Er war mal Schmied gewesen und erklärte mir – obwohl er schon böses Fieber hatte –, wie ich das Messer im kalten Wasser abschrecken und den Stahl dann in der richtigen Farbe anlaufen lassen müsste. Ich würde auch dein Messer nicht ausglühen, Tim Kellkini.«
Ich grinste sie an. »Ja, das glaube ich, Lorena, denn ich bin sicher, dass du stets alles richtig machst.«
Sie schüttelte nachsichtig den Kopf und sprach: »He, Süßholzraspler, du weißt genau, dass ich eine Frau bin, die in ihrem Leben eine Menge falsch gemacht hat. Aber ich sage dir, dass ich dabei stets nur gelernt habe und nun so erfahren bin auf dieser Erde, als würde ich hundert Jahre alt geworden sein. Doch ich bin erst sechsundzwanzig.«
»Und gewiss wunderschön. Irgendwann werde ich dich in deiner ganzen Pracht bewundern können. Dann möchte ich selbst einen richtigen Anzug tragen und mit dir zu einem Ball gehen und mit dir tanzen.«