1,99 €
Dick Hanson rekelt sich im Schaukelstuhl und stöhnt vor Wonne. "Jawohl", sagt er gähnend, "ich bin zurzeit der faulste Mensch im ganzen Bezirk. Nicht mal du Salzknabe kannst mich aus der Ruhe bringen! Es gibt überhaupt nischt, was mich aus der Ruhe bringen könnte, Jim! Oha - auch Dick Hanson muss mal Ferien machen, sag ich!"
Nun schließt Dick die Augen, legt die gefalteten Hände unter den Kopf und lehnt sich weit in den Schaukelstuhl zurück. Seine Beine liegen mit den Waden auf der Verandabrüstung. Neben Dicks Beinen hockt Jim Chester auf dem Geländer. Er starrt in Dicks Nasenlöcher, aus denen dunkle Haare lugen.
"Ich kann", sagt Jim sanft, "durch die beiden Bohrlöcher bis in dein Gehirn seh'n, Dicker! Weißt du, was ich sehe?"
"Armleuchter!", brummt Dick.
"No, keine Armleuchter!", ereifert sich Jim. "Ich sehe einen dunklen leeren Raum, in dem ein paar Mücken herumsummen!"
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 104
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
DER HARTE CAPTAIN
RETTER IN DER NOT - Teil 4
Vorschau
Wissenswertes
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Heinrich Berends
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9620-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Liebe Western-Leser, liebe Unger-Freunde!
Das Werk von G.F. Unger, einem der größten und beliebtesten Wildwest-Autoren über die Grenzen Deutschlands hinaus, ist umfangreich. Dazu zählen auch seine Beiträge zu den Serien BILLY JENKINS, TOM PROX, JOHNNY WESTON und PETE in den 50er-Jahren.
Als »sein« Verlag wollen wir Ihnen – zusätzlich zur Sonder-Edition, in der wir Ungers Taschenbücher ungekürzt im Heftformat auflegen –, in einer Classic-Edition jetzt auch diese Romane präsentieren, die neben ihrem nostalgischen Reiz nichts von ihrer Dramatik verloren haben. Wir beginnen mit seinen Billy-Jenkins-Romanen – 71 Hefte und 8 Leihbücher. Die Serie wurde erstmals im Werner-Dietsch-Verlag in den Jahren 1934–1939 veröffentlicht und zwischen 1951 und 1958 vom Uta-Verlag neu aufgelegt und fortgeführt. G.F. Unger stieg bei Band 50, mit dem wir auch die Classic-Edition begonnen haben, in die Serie ein.
Wir wünschen allen Sammlern und Lesern viel Vergnügen und spannende Unterhaltung bei dieser Zeitreise!
Ihre G.F Unger-Redaktion
PS: Einige Bezeichnungen in den Romanen wie »Neger« gelten heutzutage als diskriminierend. Sie waren zur Zeit der Romanhandlung aber gebräuchlich und sollten im historischen Kontext verstanden werden, weshalb sie im Text belassen wurden.
Der harte Captain
Nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins
Dick Hanson rekelt sich im Schaukelstuhl und stöhnt vor Wonne. »Jawohl«, sagt er gähnend, »ich bin zurzeit der faulste Mensch im ganzen Bezirk. Nicht mal du Salzknabe kannst mich aus der Ruhe bringen! Es gibt überhaupt nischt, was mich aus der Ruhe bringen könnte, Jim! Oha – auch Dick Hanson muss mal Ferien machen, sag ich!«
Nun schließt Dick die Augen, legt die gefalteten Hände unter den Kopf und lehnt sich weit in den Schaukelstuhl zurück. Seine Beine liegen mit den Waden auf der Verandabrüstung. Neben Dicks Beinen hockt Jim Chester auf dem Geländer. Er starrt in Dicks Nasenlöcher, aus denen dunkle Haare lugen.
»Ich kann«, sagt Jim sanft, »durch die beiden Bohrlöcher bis in dein Gehirn seh‘n, Dicker! Weißt du, was ich sehe?«
»Armleuchter!«, brummt Dick.
»No, keine Armleuchter!«, ereifert sich Jim. »Ich sehe einen dunklen leeren Raum, in dem ein paar Mücken herumsummen!«
»Fein!«, murmelt Dick und grinst, ohne die Augen zu öffnen.
»Vielleicht sind’s auch Fliegen… Schmeißfliegen und…«
»Oha!« Dick gähnt wieder, dann sagt er: »Halt die Luft an und stör die lieben Tierchen nicht, Jimmy! Die wollen auch leben!«
Jim gibt es auf. Er rutscht vom Geländer und wirft sich in den Sessel, der neben dem Schaukelstuhl steht.
Eine Weile dösen die beiden Freunde schweigend.
Auf dem Ranchhof bewegt sich nichts. Die Hitze des Mittags bringt die Sonnenstrahlen zum Flimmern. Totenstille herrscht. Auch alle Fliegen scheinen eingeschlafen zu sein.
Der rastlose Jim hält es nicht lange so aus. Angriffslustig sagt er: »Waren deine Ahnen alle so wie du, Dick? So stinkfaul meine ich?«
»Sicher, sicher…«
»Die Faultiere im Urwald von Brasilien sind so faul, dass sie sich nicht von ihrem Ast bewegen, wenn eine Harpyie aus der Luft auf sie herunterstößt. Sie krallen sich am Ast fest und…«
»… und lassen sich küssen, was?«, brummt Dick, wenig interessiert.
»Küssen? Wie kommst du denn da drauf?«
»Wie ich da drauf komme? Mann o Mann! Du als Gehirnakrobat müsstest doch wissen, dass Habbien Engel sin, Jim!«
»Engel?«, staunt Jim.
»Klar! Engel! Weißte nich? Weiß doch jeder!«
»Hahahaha… Mensch, Dicker! Ich staune! Wo haste denn das mal aufgeschnappt? Well, unter Harpyien verstanden die alten Griechen tatsächlich geflügelte weibliche Wesen, die…«
»Na, siehste!«, unterbricht Dick zufrieden.
»… die scharfe Raubvogelkrallen hatten und diese in Menschenherzen gruben und…«
»Wenn ich mir manchmal so die jungen Mädchen von heute betrachte«, unterbricht Dick wieder, »wie sie ihre langen Fingernägel rot bemalen… well, dann habe ich oftmals den Eindruck, dass diese Nägel in Blut getaucht waren und…«
»Quatschkopp!«, rügt Jim scharf. »Lass mich doch endlich mal weiterreden!«
»Oha… Rede ruhig, mein Sohn! Ich schlafe schon halb. Musst mir nur noch so ’n paar traurige Storys verpassen, dann… aaah!« Dick gähnt mächtig, so dass Jim seine Rachenmandeln sehen kann.
Den Mund wieder schließend, brummt Dick: »Na weiter, Jimmy! Was war mit den Engeln… küssten Faultiere, was?«
»Quatsch! Unter Harpyien versteht man einerseits griechische Sagengestalten, andererseits brasilianische Raubvögel von Adlergröße, die vorzugsweise Affen und Faultiere überfallen. Wenn nun so ’ne Harpyie auf so ’n Faultier runterstößt, lässt sich das Faultier lieber zerhacken, als dass es seinen Ast loslässt. Und so ’n Faultier bist du, Dick!«
»Okay. Ich bin so ’n Faultier, Jim. Noch was? Will dir was verraten, mein Süßer: Wenn man was tut, soll man’s auch richtig und ganz tun. Ich sammle Kräfte, musst du wissen. Bin sozusagen ’ne Talsperre, die Wasserkraft anstaut. Wenn ich genügend –«
»Einen Wasserkopp hast du schon, Dicker!«
»Keine Beleidigungen!«, brummt Dick und öffnet ein Auge. »Ich bin jetzt satt und zufrieden und möchte ’n bisschen pennen!«
»Immer pennen! Das ist für dich das Richtige: Sich dreimal am Tag ohne Gegenleistung den Wanst vollschlagen und dann sein Leben verpennen! Das hab ich gern…«
»Nun halt mal die Luft an, Jimmy! Wir sind in der letzten Zeit hart geritten, und ich hab mir ’n kleines Erholungsstündchen verdient. Wenn Billy von der Rancherversammlung zurückkommt, gibt’s bestimmt wieder harte Arbeit. Ich rieche das stets, wenn’s mulmig wird… und ’s wird mulmig, mein Sohn!«
»Kunststück!«, sagt Jim verächtlich. »Du weißt genau so gut wie ich, dass Jack Cedow vor einigen Tagen aus’m Zuchthaus entlassen wurde. Und du weißt auch, was Jack Cedow geschworen hat: dass er sich an Captain Jenkins rächen wird! Ja, Dick, es wird Kummer geben, das stimmt. Jack Cedow hat fünf Brüder. Es gibt in New Mexico ein geflügeltes Wort: ›Willst du nicht länger leben, so beginne mit einem der Cedows Streit, dann hast du die ganze höllische Sippe auf dem Hals, die dich zum Teufel jagen wird!‹ Jack Cedow hat drei Jahre in einem Steinbruch arbeiten müssen. Diesen Job hatte er Billy zu verdanken. Jack Cedow war schon immer der schlaueste der sechs Brüder. Er wird sich was ausdenken und…«
Jim Chester bricht ab, denn ein Reiter kommt durch das offene Tor der Herz-Ranch geritten. Es ist Ronny, ein junger Bengel, der seit einiger Zeit für den Stationsvorsteher von Camp Need arbeitet. Er muss oft wichtige Telegramme an die Empfänger zustellen.
Jim erhebt sich, als Ronny nach einem kurzen Gruß seinen Hut abnimmt und aus diesem ein Telegramm hervorzieht. »Hier, Mister Jim! Wichtiges Telegramm!«, sagt der Bursche.
»Geh in die Küche, Ronny!«, erwidert Jim freundlich, das Telegramm in die Hand nehmend. »Lass dir vom Chink was Gutes zu essen geben. Und wenn du abreitest, nimm dir ’n frisches Pferd aus’m Korral!«
»Okay, Jim«, lacht der Bengel und zieht sein müdes Pony herum.
Dick hat wieder ein Auge geöffnet und beobachtet Jim, der soeben das Telegramm aufgerissen hat und liest.
»Kriegen wir Besuch?«, fragt Dick faul. »Vielleicht ’n hübsches Weib?«
»John Kane depeschiert um Hilfe!«, murmelt Jim kurz.
»Kenn ich nich!«, erklärt Dick und öffnet auch das andere Auge.
»Glaube ich dir… du hast ja nicht genug Falten im Gehirn, um ein gutes Gedächtnis zu besitzen! Das ist nur ’ne ganz harte Masse bei dir im Kopp… und wenn ich dir einen Vorschlaghammer auf den Kürbis knalle, kriegst du höchstens Plattfüße, aber keine Gehirnerschütterung.«
Dick runzelt die Stirn. »Oha! Jim, bevor ich aufstehe und dich zu Beefsteak verarbeite… sag es rasch, wer John Kane ist und warum er um Hilfe brüllt!« Dick richtet sich halb auf.
Jim schielt jetzt misstrauisch auf den Freund. Dick aber lässt sich wieder zurückfallen und schließt beide Augen. Auf seiner Stirn erscheinen Denkerfalten, als Jim jetzt erklärt, was er von John Kane weiß: »John Kane war vor langer Zeit mal Billys Sattelgefährte. Das ist schon sehr lange her. Damals kannte Billy uns noch gar nicht, und du lagst noch als Quark im Schaufenster…«
»Zur Sache!«, mahnt Dick kurz.
»Damals war Billy jedenfalls irgendwo Sheriff, und John Kane, der wesentlich älter als Billy war, markierte den Hilfssheriff.«
»Ho – jetzt weiß ich, Jim! John Kane hat unserem Billy damals bei einer Schießerei den Rücken gedeckt… und Kane wurde dabei zum Krüppel geschossen. Billy war damals noch nicht bei der Special Police, sondern ein blutjunger Sheriff und –«
»Sehr richtig, Dicker! Sie hatten beide die berüchtigte Britton-Bande erledigt. Da John Kane ein Krüppel blieb, überließ Billy ihm die ganze ausgesetzte Belohnung. Kane kaufte sich dafür ’ne kleine Ranch. Er soll geheiratet haben und…«
»Warum brüllt er um Hilfe?«, unterbricht Dick.
»Weidepiraten! Man will ihn ruinieren! Seine Ranch liegt in einer ganz einsamen Gegend, deshalb bekam er sie damals auch so billig. ›Forlorn County‹ nennt man jene Gegend, und die Ranch heißt ›Lonely-Ranch‹.1) Wir müssen hin, Dick!«
»Möglicherweise!«, brummt Dick nachdenklich.
»Steh auf, Dicker!«, kommandiert Jim plötzlich.
»He! Was ’n los? Du willst doch wohl nicht gleich –«
»Natürlich gleich, Dick! John Kane hat Billy einmal den Rücken gedeckt und wurde dabei zum Krüppel. Jetzt braucht er dringend Hilfe! Billy kommt erst in zwei Tagen von Morenci zurück. Wir sind Billys Freunde. Deshalb reiten wir jetzt und lassen Billy eine Nachricht hier. Kümmere dich um unsere Klamotten, Dicker! Ich erkläre dem langen Charly die ganze Story und werde die Gäule bereitstellen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, verlässt Jim die Veranda und geht zu dem kleinen Büro, in dem Charly Skinner, der Vormann, finster über Abrechnungen brütet.
Jim erklärt Charly den ganzen Fall.
»Okay«, sagt der Lange. »Ihr habt’s gut. Wir müssen arbeiten, dass die Schwarte knackt… und ihr reitet spazieren.«
»Na ja, ganz so ist’s ja nun wieder nicht«, sagt Jim grinsend und geht.
Inzwischen packt Dick brummend seine und Jims Siebensachen zusammen. Er sorgt auch für reichlichen Proviant und räumt mächtig unter den leckeren Konserven auf. Dabei knurrt er: »Ich bin ja ’n Vollblutidiot! Immer wieder müssen wir reiten, um jemandem die Kastanien aus’m Feuer zu holen! Und immer wieder mache ich Knallkopp mit! Ich sollte doch wirklich mal streiken und Ferien machen! Ho – ich kauf mir doch mal ’ne Fahrkarte nach ’ner einsamen Insel, wo man faul unter Palmen liegen kann! Ich bin ja ’n Vollblutidiot!«
»Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung!«, sagt Jim, der lautlos eingetreten ist und die letzten Worte gehört hat. »Du musst es ja am besten wissen, was du bist, Dicker! Du bist also ’n Vollblutidiot? Well, als was anderes habe ich dich auch nie eingeschätzt!«
»Reize mich bloß nicht!«, warnt Dick. »Ich bin grade in der richtigen Stimmung, dir den Holzkopp abzureißen!«
»Das kannst du unterwegs machen, Bruderherz! Jetzt beeil dich ’n bisschen. Die Gäule stehen schon bereit!«
»Mach mich ja nich nervös, Jim! Immer mit der Ruhe! Warum diese unfeine Hast? Wir kommen noch früh genug zu spät!«
Zehn Minuten später haben die Freunde ihre Bündel hinter die Sättel geschnürt und reiten los.
Der chinesische Koch steckt neugierig seinen Kopf zur Küchentür heraus, und der lange Charly beugt sich aus dem Bürofenster. Bei den Korrals arbeiten einige farbige Ranchhelfer. Sonst ist von der großen Herzass-Mannschaft nichts zu sehen. Die Boys sind alle bei den Herden.
Jim Chester und Dick Hanson reiten nach Osten. Sie denken nicht mehr an Jack Cedow und dessen Brüder, sie denken nur an John Kane, der dringend Hilfe braucht.
Fünf Tage später reiten Jim und Dick bereits in New Mexico. Vor ihnen zieht sich die zerhackte Kette der Zuni Mountains von Nord nach Süd.
Nach weiteren zwei Tagen sind die Freunde auf der Wasserscheide eines Passes. Unter ihnen liegen dunkle Cañons, die sich bis zu den Vorbergen hinziehen und dann verlieren. Die Vorberge sinken in mächtigen Terrassen zu einem Wüstenland hinab. Weiter im Osten muss flache Weide sein. Ganz in der Ferne, in der klaren Luft jedoch deutlich erkennbar, ragt die mächtige Enchanted Mesa über braungelbe Hügel.
Noch zwei Tage brauchen die Freunde, bis sie sich zum Wüstenland hinuntergearbeitet haben. Hier unten ist nichts zu sehen als Sand, Steine, Dornengestrüpp und Kandelaber-Kakteen. Nur an den Wasserstellen wächst frischeres Gras.
Die Gegend ist grenzenlos einsam. Weit und breit sind keine Lebewesen zu sehen, nur Geier kreisen am Himmel.
Einen ganzen Tag dauert der Ritt durch die Wüste, dann erreichen die Freunde welliges Prärieland.
»Verlorenes Gebiet!«, sagt Jim. »Einsam, menschenleer und wild! Hier gibt es kein Gesetz, Dicker! Hier werden wir manchen Giftpilz finden, der von der Polizei gesucht wird.«