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Als sie über den Hügel kommen und von seinem Kamm aus den Südhang beobachten können, sehen sie ein Antilopenrudel vor dem Wäldchen äsen. "Heute bin ich an der Reihe", sagt Dick Hanson und schnüffelt mit geweiteten Nasenlöchern gegen den Wind. Langsam zieht er die Winchesterbüchse aus dem Sattelschuh. Er wählt einige Sekunden, bis er einen feisten Bock ausgesucht hat. Die Entfernung beträgt fast zweihundert Meter. Dann reißt Dick die Waffe hoch, schielt einen Atemzug lang am Lauf entlang - und als er ausgeatmet hat und alles in ihm ruhig ist, drückt er ab.
Der Schuss kracht dünn und scharf. Das ganze Rudel springt in komischen Sätzen davon, flüchtet um das Wäldchen. Der getroffene Bock überschlägt sich nach einem tollen Luftsprung.
Dick knurrt zufrieden, schiebt eine neue Patrone in das Magazin, steckt die Waffe weg und holt sich Blättchen und Tabak aus der Hemdtasche.
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Seitenzahl: 99
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
WEIDEPIRATEN
RETTER IN DER NOT - Teil 2
Vorschau
Wissenswertes
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Heinrich Berends
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9618-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Liebe Western-Leser, liebe Unger-Freunde!
Das Werk von G.F. Unger, einem der größten und beliebtesten Wildwest-Autoren über die Grenzen Deutschlands hinaus, ist umfangreich. Dazu zählen auch seine Beiträge zu den Serien BILLY JENKINS, TOM PROX, JOHNNY WESTON und PETE in den 50er-Jahren.
Als »sein« Verlag wollen wir Ihnen – zusätzlich zur Sonder-Edition, in der wir Ungers Taschenbücher ungekürzt im Heftformat auflegen –, in einer Classic-Edition jetzt auch diese Romane präsentieren, die neben ihrem nostalgischen Reiz nichts von ihrer Dramatik verloren haben. Wir beginnen mit seinen Billy-Jenkins-Romanen – 71 Hefte und 8 Leihbücher. Die Serie wurde erstmals im Werner-Dietsch-Verlag in den Jahren 1934–1939 veröffentlicht und zwischen 1951 und 1958 vom Uta-Verlag neu aufgelegt und fortgeführt. G.F. Unger stieg bei Band 50, mit dem wir auch die Classic-Edition begonnen haben, in die Serie ein.
Wir wünschen allen Sammlern und Lesern viel Vergnügen und spannende Unterhaltung bei dieser Zeitreise!
Ihre G.F Unger-Redaktion
PS: Einige Bezeichnungen in den Romanen wie »Neger« gelten heutzutage als diskriminierend. Sie waren zur Zeit der Romanhandlung aber gebräuchlich und sollten im historischen Kontext verstanden werden, weshalb sie im Text belassen wurden.
Weidepiraten
Nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins
Erzählt von G.F. Unger
Als sie über den Hügel kommen und von seinem Kamm aus den Südhang beobachten können, sehen sie ein Antilopenrudel vor dem Wäldchen äsen. »Heute bin ich an der Reihe«, sagt Dick Hanson und schnüffelt mit geweiteten Nasenlöchern gegen den Wind. Langsam zieht er die Winchesterbüchse aus dem Sattelschuh. Er wählt einige Sekunden, bis er einen feisten Bock ausgesucht hat. Die Entfernung beträgt fast zweihundert Meter. Dann reißt Dick die Waffe hoch, schielt einen Atemzug lang am Lauf entlang – und als er ausgeatmet hat und alles in ihm ruhig ist, drückt er ab.
Der Schuss kracht dünn und scharf. Das ganze Rudel springt in komischen Sätzen davon, flüchtet um das Wäldchen. Der getroffene Bock überschlägt sich nach einem tollen Luftsprung.
Dick knurrt zufrieden, schiebt eine neue Patrone in das Magazin, steckt die Waffe weg und holt sich Blättchen und Tabak aus der Hemdtasche.
Die drei Reiter verhalten noch eine ganze Weile auf dem Hügelkamm und sehen über das Land. Jeder späht auf seine Art.
Der massige, muskelbepackte Dick Hanson besieht sich die ganze Sache sehr phlegmatisch, ziemlich gleichgültig und vielleicht sogar stur. Wenn dort unten eine Speisewirtschaft oder eine Brauerei zu sehen wäre, so würde Dick vielleicht etwas interessierter sein.
Jim Chester, der fast wie ein reinrassiger Spanier aussieht, beobachtet kühl, lässig, aber interessiert und wachsam zugleich. Auf seinen Lippen liegt ein leises Lächeln. An seinem Kinn und von da aus bis zu den Ohren leuchtet seine braune Gesichtshaut leicht bläulich – es sind die Bartwurzeln, die durch seine Haut schimmern.
Jim sitzt still im Sattel, und doch hat man sofort den Eindruck, dass er eine pantherhafte Geschmeidigkeit und außergewöhnliche Schnelligkeit entwickeln könnte. Neben seinem Freunde Dick wirkt er wie ein Panther neben einem Büffel – oder wie ein Windhund neben einer Bulldogge.
Billy Jenkins späht mit den scharfen, prüfenden, suchenden Augen eines Jägers über das Land, eines Jägers, der ständig die Schönheit der Welt in sich aufnimmt und zugleich unablässig auf seine Sicherheit achtet, alle Dinge sofort richtig erkennt und alle Zeichen haarscharf zu deuten versteht.
Groß, sehnig, hager, ganz ein harter Reiter, so sitzt er unbeweglich im Sattel und beobachtet aus schmalen, scharfen Augen. Unter seinem zurückgeschobenen Hut quillt dichtes, helles, fast weißblondes Haar hervor. Es ringelt sich über dem Halstuch. Man erkennt sofort, dass er der beste Mann des Kleeblattes ist.
»Well«, murmelt Billy bedächtig, »das sind die Danforth Hills. Das ist die Weide, die wir suchten.« Er deutet mit einer sparsamen Kopfbewegung nach Süden, wo ein zerhackter Gebirgszug von West nach Ost gen Himmel stößt. Zwischen diesen Bergen und den spähenden Reitern liegt eine Ebene, die zu ihren Füßen in Hügel übergeht und terrassenförmig ansteigt. »Well«, murmelt Billy noch einmal und lässt sein Pferd antraben.
Die beiden Freunde folgen sofort.
Es ist später Nachmittag.
Sie reiten den langen Hang hinunter und auf das Wäldchen zu. Als sie an der erlegten Antilope vorbeikommen, hält Dick an und beugt sich weit aus dem Sattel. Dann legt er die Beute quer über seine Knie und reitet hinter den Freunden her. Die halten jetzt plötzlich an, denn um die Ecke des Wäldchens kommen ein paar Reiter.
Es sind vier Cowboys. Sie lassen ihre struppigen Mustangs in Schritt fallen und reiten langsam herbei. Alle vier halten die Zügel in der Linken und lassen die Rechte auf dem Oberschenkel ruhen, so dass der Weg zum Coltgriff nicht weit ist.
Es sind dunkelhäutige, falkenäugige und sehnige Reiter. Sie wissen ganz genau, was sie wert sind. Sie sind wachsam und mit allen Wassern des Rinderlandes gewaschen. In ihrer lässigen Selbstsicherheit wirken sie sogar großspurig. Gewiss gebrauchen sie stets rücksichtslos ihre Ellenbogen. Es gibt nichts, das sie abschrecken könnte. Sie sind ein Teil einer harten und mächtigen Mannschaft.
Diese Cowboys betrachten sich als die Herren der Weide. Das ist es!
»Hallo!«, ruft Billy ruhig.
Der Gruß wird nicht erwidert. Vier harte Augenpaare studieren Billy, wandern dann zu Jim und richten sich auf Dick.
»Steig ab und bring den Bock zu mir, Buddy!«, sagt einer der Reiter hart und bestimmt. Er beugt sich dabei etwas vor, presst seine schmalen Lippen gegen die Zähne und zeigt ein gefährliches Grinsen.
Dick zieht scharf die Luft ein. »Warum sollte ich das tun?«, fragt er ruhig.
»Denk nach, denk gut nach, Buddy! Du hast genau zehn Sekunden Zeit, ganz genau nachdenken zu können«, erwidert der Sprecher sanft.
Eine kalte und mitleidlose Drohung geht von den vier Cowboys aus. Dick wendet langsam den runden Kopf zu Billy hin. Seine Augen fragen. Und Billy versteht die stumme Frage. Er nickt leicht. »Sicher«, sagt er wortkarg.
Da wirft Dick den Antilopenbock herunter, rutscht aus dem Sattel, nimmt die Beute wieder auf und stapft langsam auf den Reiter zu. Er hält den Bock an den Hinterläufen gepackt, so, als wäre es nur ein Karnickel. Dick ist ja ein starker Mann. Und dann steht er an der Seite des Reiters. »Hier!«, ruft er.
Der Cowboy streckt seine Rechte aus, um das Wildbret in Empfang zu nehmen.
Darauf hat Dick die ganze Zeit gewartet. Er benutzt den Antilopenbock wie einen Sandsack. Natürlich greift der Cowboy nun nach der Waffe, aber bevor er sie halb herausreißen kann, schlägt ihn Dick mit seiner seltsamen Waffe aus dem Sattel.
Der Bock wiegt immerhin seine sechzig Pfund. Das Pferd des Cowboys bäumt sich auf und weicht zurück.
Dick tänzelt nach links und steht wieder vor dem Cowboy, der seine Waffe beim Sturz verloren hat und sich hochstemmen will.
»Da hast du den Bock! Da, da!« Und immer wieder wuchtet Dick das Wildbret auf den Mann nieder – bis dieser sich nicht mehr erhebt.
Inzwischen ist natürlich noch eine ganze Menge mehr geschehen:
Als Dick losschlug, um den Mann aus dem Sattel zu schmettern, setzten Billy und Jim ihren Pferden die Sporen an. Die Tiere sprangen aus dem Stand vorwärts, rammten die drei anderen Cowboys und verhinderten somit, dass diese nach den Waffen greifen konnten.
Billy und Jim hielten sich an den Sattelhörnern fest, überstanden den Zusammenstoß und rissen zugleich ihre Revolver aus den Holstern. Sie prallten durch die Dreiergruppe, wendeten auf der Hinterhand und hatten alle Chancen vorläufig für sich.
Ein Cowboypferd war ausgeglitten und hatte den Reiter abgeworfen.
Die beiden anderen haben noch einige Sekunden lang Mühe, sich auf ihren tanzenden Tieren halten zu können.
Dick steht ganz in der Nähe, achtet gar nicht auf die auskeilenden Tiere, sondern drischt mit dem Bock auf seinen Mann ein.
Billys und Jims Revolver beherrschen die Lage.
Als die Cowboys ihre Pferde beruhigt haben, nehmen sie von selbst ihre Hände hoch. Der dritte Mann taumelt neben seinem aufspringenden Pferd vom Boden hoch. Er zischt einen wilden Fluch durch die Zähne, erkennt aber, dass die Sachlage eindeutig geklärt ist. Deshalb hebt er ebenfalls seine Hände, als Jim freundlich mit dem Colt wedelt.
Dick besieht sich besorgt den Antilopenbock, befühlt ihn und geht damit zu seinem Pferd zurück. Wenig später sitzt er wieder im Sattel und hat das Wildbret wie vorher quer über seinen Knien liegen.
»Euer Kamerad wollte den Bock nicht haben!«, ruft Dick. »Ihr habt ja gesehen, dass ich ihm den Wunsch erfüllen wollte!« Er verstummt brummend und wischt sich mit dem Unterarm über das rote Gesicht.
Jim grinst freundlich und sagt ganz sanft: »Solche Scherze könnt ihr nur mit Leuten machen, die den ganzen Tag mit ’ner Schlafmütze rumlaufen.«
Eine Weile ist es still. Man hört nur die Geräusche der stampfenden Pferde, das Quietschen des Sattelzeugs und das gepresste Atmen der Männer.
Alle beobachten sie den Mann, der von Dick mit dem Bock verprügelt wurde, sich nun mühsam aufrichtet und schwankend auf die Beine kommt. Das Pferd des Cowboys schiebt sich näher heran. Er kann sich nun am Sattel des Tieres festhalten.
Eine bösartige Spannung liegt in der Luft. Billy durchbricht sie mit der Frage: »Ihr seid Grenzwächter? Und ihr sollt jedem Reiter, der über diese Weide reitet, heilige Mannesfurcht einjagen, was?«
»Stimmt! Und ihr werdet noch eine Menge Spaß erleben!«, ruft einer der Cowboys heiser. Die Wut über die Niederlage glitzert nur so in seinen Augen.
Billy wirft einen Blick auf die Brandzeichen der Cowboypferde. »DD-Ranch«, murmelt er. »Hmm, dies hier ist freie Weide. Ihr maßt euch Rechte an, die nicht vorhanden sind. Wie heißt der Rancher?«
Die Cowboys starren ihn an, und einer antwortet giftig: »Dan Diamond! Ihr seid Fremde, sonst hättet ihr nicht mit uns angebunden! Well, ihr seid ’n paar verdammt hartbeinige Kunden, aber dieses Land«, er macht eine weite Armbewegung, »lebt im Schatten der DD-Ranch. Wir gehören zur DD-Mannschaft. Ihr habt mit der DD-Mannschaft angebunden! Eines Tages werdet ihr begriffen haben, was das bedeutet. Ich hoffe sehr, dass ihr nicht auf der Durchreise seid!«
Der Cowboy presst seine Lippen nun fest zusammen. Böser Jähzorn schimmert in seinem Blick.
»Ihr könnt abhauen!«, sagt Billy ruhig. Sonst sagt er nichts.
Die DD-Cowboys wenden ihre Pferde, und ihr Kamerad sitzt auf.
Sie reiten auf ihrer Fährte zurück und verschwinden um die Spitze des Wäldchens.
»Buck Sheridan hat in seinem Brief nicht übertrieben«, sagt Dick.
Jim aber erklärt: »Mancher Mann frisst so viel, bis er eines Tages platzt – oder groß, stark und mächtig wird. Unser Dick fri… verspeist nur Steaks, Speck und Eier mit dem notwendigen Zubehör. Dieser Dan Diamond scheint mehr auf Land versessen zu sein. Vielleicht hat er die Idee ausgebrütet, dass er so etwas wie ’n ungekrönter König werden könnte, wenn er die Grenzen seines Weidelandes jede Woche um ein paar Meilen vorschiebt. Na ja, es wird Kummer genug geben.« Er lächelt erst Dick und dann Billy an.
Billy erwidert das Lächeln und schnalzt mit der Zunge.
Mit der sinkenden Dämmerung suchen sich die Freunde einen Weg durch die Hügel und arbeiten sich allmählich zur Ebene hinunter. Ein frischer Wind, der hinter ihnen durch die Passlücke kommt, kühlt sie und die Tiere ab.
Als sie das offene Weideland erreichen, ist es Nacht.
Die Schwärze ist fast greifbar dicht, denn eine Wolkenwand kam hinter ihnen über die Bergrücken. Der Wind wird ständig stärker. Er wirbelt eine Menge Staub auf, denn hier unten ist das Land trocken. Das Gras verdorrt am Halm. Der Regen wird eine Wohltat sein.
»Irgendwo im Südosten muss Hollyday liegen!«, ruft Dick einmal unzufrieden.
»Irgendwo hat irgendein Mann mal ’nen Dollar verloren«, spottet Jim.
Billy gibt keine Antwort. Er weiß, dass sie bald kampieren müssen, aber er hofft, dass ihm sein Pferd bald durch zufriedenes Schnauben das Vorhandensein von Wasser meldet.