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Es ist Nacht. Jim Chester liegt im Bett und schläft. Das Bett steht in einem kleinen Zimmer des Hotels "Good Luck". Es ist das einzige Hotel von Crazytown, einem kleinen Ort in Montana, irgendwo in den Vorbergen der Crazy-Mountains.
Plötzlich krachen Schüsse auf dem Korridor.
So fest Jim auch geschlafen haben mag - die Schüsse wecken ihn sofort. Er fährt hoch, und da er seine Arme unter dem Kopfkissen hatte, bringt er automatisch einen schweren Revolver zum Vorschein.
"Prost Neujahr!", brummelt Jim. "Meines Wissens ist's aber erst Juni. Schätze, die da draußen machen keine Späße!"
Während Jim so vor sich hinbrummt, schleicht er schon auf bloßen Füßen zur Tür und packt die Klinke mit der freien Linken.
Auf dem Korridor wird immer noch geschossen. Schauerlich hallen die Detonationen im Treppenhaus. Jim riecht jetzt sogar den Pulverrauch, der durch die Türritzen dringt.
"Unverschämtheit!", murmelt Jim. "Anständige Leute mit derartigem Getöse aus'm Schlaf zu wecken!"
Jim zögert noch, doch dann hört er dicht vor seiner Tür ein gepresstes und sehr schmerzvolles Stöhnen. Er begreift sofort, dass ein verwundeter Mann vor seinem Zimmer liegt oder daran vorbeikriechen wollte.
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Seitenzahl: 97
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
EIN MANN WIRD GEHETZT
RETTER IN DER NOT - Teil 1
Vorschau
Wissenswertes
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Heinrich Berends
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9617-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Liebe Western-Leser, liebe Unger-Freunde!
Das Werk von G.F. Unger, einem der größten und beliebtesten Wildwest-Autoren über die Grenzen Deutschlands hinaus, ist umfangreich. Dazu zählen auch seine Beiträge zu den Serien BILLY JENKINS, TOM PROX, JOHNNY WESTON und PETE in den 50er-Jahren.
Als »sein« Verlag wollen wir Ihnen – zusätzlich zur Sonder-Edition, in der wir Ungers Taschenbücher ungekürzt im Heftformat auflegen –, in einer Classic-Edition jetzt auch diese Romane präsentieren, die neben ihrem nostalgischen Reiz nichts von ihrer Dramatik verloren haben. Wir beginnen mit seinen Billy-Jenkins-Romanen – 71 Hefte und 8 Leihbücher. Die Serie wurde erstmals im Werner-Dietsch-Verlag in den Jahren 1934–1939 veröffentlicht und zwischen 1951 und 1958 vom Uta-Verlag neu aufgelegt und fortgeführt. G.F. Unger stieg bei Band 50, mit dem wir auch die Classic-Edition begonnen haben, in die Serie ein.
Wir wünschen allen Sammlern und Lesern viel Vergnügen und spannende Unterhaltung bei dieser Zeitreise!
Ihre G.F Unger-Redaktion
PS: Einige Bezeichnungen in den Romanen wie »Neger« gelten heutzutage als diskriminierend. Sie waren zur Zeit der Romanhandlung aber gebräuchlich und sollten im historischen Kontext verstanden werden, weshalb sie im Text belassen wurden.
Ein Mann wird gehetzt
Nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins
Es ist Nacht. Jim Chester liegt im Bett und schläft. Das Bett steht in einem kleinen Zimmer des Hotels »Good Luck«. Es ist das einzige Hotel von Crazytown, einem kleinen Ort in Montana, irgendwo in den Vorbergen der Crazy Mountains.
Jim liegt auf dem Bauch, hat seine Arme unter das Kopfkissen geschoben und sein Gesicht in das weiche Polster gedrückt. So schläft er fest. Manchmal röchelt er, denn er war gestern Abend sehr müde gewesen. Wenn Jim besonders müde ist, schläft er immer auf dem Bauch.
Plötzlich krachen Schüsse auf dem Korridor.
So fest Jim auch geschlafen haben mag – die Schüsse wecken ihn sofort. Er fährt hoch, und da er seine Arme unter dem Kissen hatte, bringt er automatisch einen schweren Revolver zum Vorschein. Matt glänzt die Waffe im Mondlicht, das durchs Fenster hereinscheint.
»Prost Neujahr!«, brummelt Jim. »Meines Wissens ist’s aber erst Juni. Schätze, die da draußen machen keine Späße!«
Während Jim so vor sich hinbrummt, schleicht er schon auf bloßen Füßen zur Tür und packt die Klinke mit der freien Linken.
Auf dem Korridor wird immer noch geschossen. Schauerlich hallen die Detonationen im Treppenhaus. Jim riecht jetzt sogar den Pulverrauch, der durch die Türritzen dringt.
»Unverschämtheit!«, murmelt Jim. »Anständige Leute mit derartigem Getöse aus’m Schlaf zu wecken! Schätze, dass es jetzt höchstens drei Uhr ist, und ich habe verdammt noch mal keine Lust, schon aufzusteh’n!«
Jim zögert noch, doch dann hört er dicht vor seiner Tür ein gepresstes und sehr schmerzvolles Stöhnen. Er begreift sofort, dass ein verwundeter Mann vor seinem Zimmer liegt oder daran vorbeikriechen wollte.
Schnell und leise öffnet Jim die Tür und duckt sich dabei tief hinunter. Seine Rechte hält den schussbereiten Colt, denn er ist ja ein sehr vorsichtiger Mann, und seine Linke tastet in den dunklen Korridor hinaus.
Jims Finger fühlen den Rücken eines Mannes, der vor seiner Tür platt auf dem Bauche liegt, genau so da liegt, wie Jim eben noch im Bett lag. Dieser Mann zuckt jetzt unter Jims tastenden Fingern zusammen und will sich herumwerfen. Dabei stöhnt er wieder – und diesmal etwas lauter.
Das Stöhnen wird nicht nur von Jim gehört, denn von einem Ende des langen Korridors, der über zwei Treppen zu erreichen ist, meldet sich eine harte, heisere und drohende Stimme: »He, Langer! Du hast wohl schon was erwischt, was? Es wird noch schlimmer für dich, wenn du nicht deine Kanone wegwirfst und die ganze Sache aufgibst! Du verdammter Idiot! Wir wollen dich doch nicht – wir wollen die Pläne, die du bei dir hast! Hörst du? Die Pläne woll’n wir!«
Eine spannungsgeladene Stille entsteht. Jim hört an den Geräuschen, dass viele Männer an beiden Enden des Korridors lauern. Er begreift, dass irgendein armer Kerl vor seiner Tür liegt, der sich in einer ekelhaften Patsche befindet. Wenn der Mann nicht zufällig vor Jims Tür zusammengebrochen wäre, hätte er keine einzige Chance gehabt.
Jim klopft dem Verletzten leicht und beruhigend auf den Rücken. Der Mann stößt wieder ein Stöhnen aus, aber es klingt hoffnungsvoll und erleichtert. Dann kriecht er ein kleines Stück weiter. Jim ergreift die Fußgelenke des Mannes und zieht ihn langsam und vorsichtig in das Zimmer herein. Dann schließt er die Tür, bückt sich, hebt den Mann auf und legt ihn auf das Bett.
Jim hält sich nicht lange auf, sondern rückt mit aller Kraft den wurmstichigen Schrank vor die Tür.
Draußen ist es noch still.
Jim steckt eine Kerze an und besieht sich die Sache. Auf dem Bett liegt ein großer, sehniger Mann in halb städtischer Kleidung, der ihn aus weit geöffneten Augen anstarrt und stöhnend Atem holt. Die Jacke des Verwundeten ist offen und auseinandergeklappt.
Jim erkennt, dass das Hemd des armen Kerls bereits voller Blut ist. Er nimmt das frische Handtuch vom Haken, reißt dem Mann das Hemd auf und sieht nach der Wunde. »Glatter Durchschuss – mächtig Glück gehabt, Bruder«, murmelt er und arbeitet schnell dabei. Er holt ein zweites Handtuch mit einem einzigen Griff aus seiner offenen Satteltasche und schiebt es dem Fremden unter den Rücken, sodass es unter dem Ausschussloch zu liegen kommt.
»Was haben die Knilche da draußen eigentlich gegen dich, Kamerad?«, fragt Jim ruhig.
Der lange, blonde und noch ziemlich junge Mann starrt ihn immer noch an. Plötzlich grinst er müde und dankbar. »Du scheinst ’n prächtiger Fellow zu sein, Bruder«, murmelt er, »aber ich würde an deiner Stelle schnell durch das Fenster springen, sonst …«
»Ich könnte mir ’n Beinchen brechen«, unterbricht Jim trocken. Er lauscht wieder. Draußen rührt sich immer noch nicht viel. Die Kerle im Korridor sind sehr vorsichtig. Vielleicht haben sie noch gar nicht gemerkt, dass ihr Opfer inzwischen in eines der vielen Zimmer gezogen wurde.
Jim erkennt, dass er noch einige Minuten Zeit zur Verfügung hat, und sagt: »Vielleicht ist es gut, Langer, wenn du mir deine Geschichte erzählst. Bist du ’n gejagter Langreiter, oder sind ’n paar verrückte Revolverleute hinter dir her? Du bist kein Cowboy – was bist du also?« Er beugt sich tief über den Mann und studiert ihn aufmerksam.
»Ich bin Vermessungsingenieur – und du hättest mich besser vor deiner Tür liegen lassen sollen«, sagt der Verletzte. »Ich sollte wichtige Vermessungspläne nach Billings bringen – Pläne für ’nen Bahnbau bis zur Nordgrenze.«
»Ich verstehe«, nickt Jim, denn er hat wirklich sofort begriffen. Irgendwelche Landhaie wollen die genaue Route des geplanten Bahnbaues in Erfahrung bringen und dann mit Grundstücken spekulieren. Die Bodenpreise würden in den betreffenden Countys sofort ungeheuer steigen. Das kann natürlich nicht im Sinne der Regierung liegen.
»Kamerad, wo hast du diese Pläne?«, fragt Jim.
Die hellen, wachsamen Augen des Verwundeten werden sofort schmal und misstrauisch. »Misch dich da nicht ein, Fremder!«, stöhnt er.
»O doch!«, grinst Jim. Er greift in die Tasche und hält dem Ingenieur eine silberne Plakette vor die Nase. »So ist das«, erklärt er dabei.
Im selben Augenblick wird es draußen laut. Man durchsucht schon die Nebenzimmer. Männerstiefel trampeln über die Dielen. Sporen klingeln. Flüche werden laut. Ein Coltkolben hämmert an die Tür.
»Aufmachen!«, brüllt eine harte Stimme.
»Aufmachen! Sonst reißen wir die ganze Bude ab!«, ruft eine zweite.
Kurz danach sagt einer der Männer: »Hier, seht, hier ist Blut vor der Tür! He, wer hat noch ’n paar Zündhölzer? Meine sind alle! Aber hier ist Blut vor der Tür. Jemand hat den Kerl in das Zimmer gezogen!«
Jim bläst die Kerze aus.
»Mann, Kamerad«, knurrt er, »wo hast du die Pläne?«
»Sind … im … Abort … am … Papierhaken!«, stöhnt der Ingenieur und atmet dann leise aus.
Jim flucht, reißt ein Zündholz an und erkennt bald, dass der Mann bewusstlos geworden ist.
Gegen die Zimmertür krachen jetzt starke Schläge. »Aufmachen! Damned, aufmachen!«
»Wer ist denn eigentlich da draußen?«, fragt Jim laut.
»Aufmachen! Hier ist der Marshal von Crazytown! Mann, Sie haben einen flüchtigen Verbrecher bei sich im Zimmer! Geben Sie ihn raus, sonst …«
»Moment, Mister, Moment!«, erwidert Jim. »Wer sagt mir, dass Sie wirklich der Marshal von diesem Kuhdorf sind?«
»Das werden Sie gleich merken! Machen Sie auf! Das ganze Haus ist umstellt! Und ich lass es abbrechen, wenn …«
»Okay! Ich mach auf! Aber Sie kommen ganz allein zu mir herein! Und wenn Sie nicht wirklich der Marshal sind, dann beiß ich Ihnen die Nase ab!«
Jim ruft es ziemlich wild und verärgert. Dann rückt er den Schrank zur Seite und schiebt den Riegel zurück, der schon halb lose an den Schrauben hängt.
Jim presst sich neben der Tür an die Wand und drückt dem Manne, der wie ein Wilder in das Zimmer stürmt, seine Coltmündung gegen die Hüfte.
Der Dicke bleibt sofort steif stehen und brüllt: »Bleibt draußen, Leute, bleibt draußen! Das hier ist ’n Idiot, und ich muss ihn erst zur Vernunft bringen!«
Jim hat im Mondlicht inzwischen schon den glänzenden Stern auf der Brust des Mannes erkannt. Er nimmt den Colt weg und schiebt ihn in den Bund seiner Unterhose. Er hatte sich nämlich nur Stiefel, Socken und Reithose ausgezogen, als er sich vor drei Stunden zur Ruhe legte.
»Okay«, sagt Jim und geht vom Marshal weg. Er zündet sofort wieder die Kerze an und bleibt an der Wand neben dem Kopfende des Bettes stehen.
Der Marshal ist ein dicker, sehr lebendiger Mann mit rosigem Gesicht. Er besitzt außerdem noch einen prächtigen Knebelbart und sieht damit aus wie Buffalo Bill. Aber die wasserhellen Äuglein des dicken Marshals sind klug und scharf. Jim kann sich gar nicht denken, dass dieser Mann unecht sein könnte.
Ein paar Reiter kommen herein. Sie grinsen triumphierend und werfen Jim drohende Blicke zu. Die Kerle sehen aus wie Cowboys, aber Jim sind sie etwas zu großspurig, zu herausfordernd und zu hartgesichtig. Sie alle tragen ihre Waffen auf besondere Art, und sie alle haben den harten und eiskalten Blick, den nur Männer aufweisen, die Mitleid nicht kennen.
Jim erwidert diese Blicke ebenso hart und spöttisch. Er ahnt ungefähr, was hier gespielt wird.
»Packt an und tragt ihn ins Office!«, kommandierte der Sheriff. »Einer kann den Doc holen!«
Sie heben den Ingenieur von Jims Bett und tragen ihn aus dem Raum. Jim weiß, dass sie ihn schon unterwegs sorgfältig wegen der wichtigen Pläne durchsuchen werden.
Der Marshal bleibt zurück und sagt zu Jim: »Ziehen Sie sich an, Fremder! Sie kommen auch mit! Und wenn Sie mir nicht einen vernünftigen Grund angeben können, warum Sie nach Crazytown gekommen sind und warum Sie einen flüchtigen Verbrecher beschützen wollten, so wird es auch für Sie verdammt unangenehm!« Er schnarrt es nur so heraus und hält dabei einen schussfertigen Colt in der Hand.
Jim überlegt sekundenlang, ob er sich fügen soll. Aber dann siegt seine Neugierde. Er will doch erst mal erfahren, was man dem Ingenieur in die Schuhe schieben will. Er will zuhören, was im Marshal’s Office verhandelt wird. Vielleicht ist er dann in der Lage, dieses Spiel noch besser durchschauen zu können.
Stumm kleidet Jim sich an. Als er seine Reitstiefel zugeschnürt hat und sich den Waffengurt umbindet, streckt der Marshal seine fette Hand aus. »Gib mir den Colt, Fremder!«, befiehlt er.
Jim grinst und macht sogar eine höfliche Verbeugung, als er dem Dicken seinen Colt mit dem Griff zuerst hinreicht.