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Der Treibherden-Boss
Sie kommen auf müden Pferden durch die letzten Hügel. Zu ihren Füßen wogt das grasreiche Weideland. Vor ihnen, im Norden, nur wenige Meilen entfernt und in der klaren Luft deutlich erkennbar, ziehen sich Baumgruppen und meilenlange Buschreihen von West nach Ost. "Da ist der Red River!", krächzt Billy Jenkins und spuckt mehrmals den Staub aus Mund und Kehle. Man sieht es den drei Reitern an, dass sie einen langen Ritt hinter sich haben und schon viele Tage am offenen Feuer kampierten.
"Und da drüben liegt Red Rivertown!", ruft Jim Chester und deutet mit der Hand. Seine beiden Kameraden erkennen jetzt ebenfalls die Häuser der Ortschaft in der Ferne.
"Wenn es in diesem Mistkaff keinen Zahnklempner gibt, dann passiert was!", nuschelt Dick Hanson grimmig, zugleich aber gequält und schmerzerfüllt.
"Woher weißt du, dass es ein Mistkaff ist?", will Jim wissen. Er wendet seinen geschmeidigen Körper im Sattel und grinst übers ganze Gesicht.
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Seitenzahl: 101
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
DER TREIBERHERDEN-BOSS
JOHN KÄMPFT UM SEIN RECHT - Teil 4
Vorschau
Wissenswertes
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Heinrich Berends
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8496-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Liebe Western-Leser, liebe Unger-Freunde!
Das Werk von G.F. Unger, einem der größten und beliebtesten Wildwest-Autoren über die Grenzen Deutschlands hinaus, ist umfangreich. Dazu zählen auch seine Beiträge zu den Serien BILLY JENKINS, TOM PROX, JOHNNY WESTON und PETE in den 50er-Jahren.
Als »sein« Verlag wollen wir Ihnen – zusätzlich zur Sonder-Edition, in der wir Ungers Taschenbücher ungekürzt im Heftformat auflegen –, in einer Classic-Edition jetzt auch diese Romane präsentieren, die neben ihrem nostalgischen Reiz nichts von ihrer Dramatik verloren haben. Wir beginnen mit seinen Billy-Jenkins-Romanen – 71 Hefte und 8 Leihbücher. Die Serie wurde erstmals im Werner-Dietsch-Verlag in den Jahren 1934–1939 veröffentlicht und zwischen 1951 und 1958 vom Uta-Verlag neu aufgelegt und fortgeführt. G.F. Unger stieg bei Band 50, mit dem wir auch die Classic-Edition begonnen haben, in die Serie ein.
Wir wünschen allen Sammlern und Lesern viel Vergnügen und spannende Unterhaltung bei dieser Zeitreise!
Ihre G.F Unger-Redaktion
PS: Einige Bezeichnungen in den Romanen wie »Neger« gelten heutzutage als diskriminierend. Sie waren zur Zeit der Romanhandlung aber gebräuchlich und sollten im historischen Kontext verstanden werden, weshalb sie im Text belassen wurden.
Der Treibherden-Boss
Nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins
Erzählt von G.F. Unger
Sie kommen auf müden Pferden durch die letzten Hügel. Zu ihren Füßen wogt das grasreiche Weideland. Vor ihnen, im Norden, nur wenige Meilen entfernt und in der klaren Luft deutlich erkennbar, ziehen sich Baumgruppen und meilenlange Buschreihen von West nach Ost. »Da ist der Red River!«, krächzt Billy Jenkins und spuckt mehrmals den Staub aus Mund und Kehle. Man sieht es den drei Reitern an, dass sie einen langen Ritt hinter sich haben und schon viele Tage am offenen Feuer kampierten.
»Und da drüben liegt Red Rivertown!«, ruft Jim Chester und deutet mit der Hand. Seine beiden Kameraden erkennen jetzt ebenfalls die Häuser der Ortschaft in der Ferne.
»Wenn es in diesem Mistkaff keinen Zahnklempner gibt, dann passiert was!«, nuschelt Dick Hanson grimmig, zugleich aber gequält und schmerzerfüllt.
»Woher weißt du, dass es ein Mistkaff ist?«, will Jim wissen. Er wendet seinen geschmeidigen Körper im Sattel und grinst übers ganze Gesicht. Es ist ein rassiges Spaniergesicht, in dem unwahrscheinlich weiße Zähne blitzen und dunkle Augen funkeln.
Auch Billy, der genau der Idealgestalt einer nordischen Sage gleicht, hat einen erwartungsvollen Ausdruck in seinem scharfgeschnittenen Wikingergesicht.
»Warum ich das weiß?«, knurrt Dick. »Na – alle Towns auf diesem bekleckerten Treibherdenweg sind elende Nester, die nur aus Kneipen mit ’n paar Bruchbuden darum bestehen! Und in jedem Nest gibt es Flöhe, Wanzen, räudige Hunde und Buschräuber, nur keine anständigen Menschen – und nich mal ’nen Zahndoktor!«
»Tut’s sehr weh, Dicker?«, fragt Jim mitleidig.
»Weh? Das ist kein Ausdruck, Jim! Ich könnte vor Schmerzen in einen Kaktus beißen oder auf einem Stachelschwein mit bloßen Füßen herumtrampeln! Das alles wäre nur ein schönes Kitzeln im Vergleich zu meinen Zahnschmerzen, mein Junge! Dass ich dabei aber noch deine dämliche, schadenfroh grinsende Visage sehen muss, macht mich rasend!«
»Du solltest es wie Pancake-Joe machen!«, rät Jim.
Dicks rundes Vollmondgesicht sieht heute anders aus als sonst. Seine linke Wange ist so angeschwollen, dass man meinen könnte, er habe eine große Kartoffel in der Backentasche.
»Was ist mit diesem Pancake-Joe, he?«, stöhnt Dick und schlägt sich dabei die geballte Hand auf den Oberschenkel vor Schmerz.
»Well – der hatte auch mal solche Zahnschmerzen und …«
»Niemals solche wie ich!«, unterbricht Dick. »Was tat er?«
»Es war sein langer, großer Vorderzahn! Pancake-Joe hatte nur noch diesen einen Vorderzahn. Deshalb lebte er von weichen Pfannkuchen. Daher auch sein Spitzname! Er nahm ’nen langen Katzendarm, band ein Ende an den Schwanz seines Kleppers und das andere um den schmerzenden Zahn. Dann rieb er dem Gaul Pfeffer in den Hintern, und es ging los. Wie der Teufel haute der Klepper ab. Nach drei Stunden war er müde – und Pancake-Joe auch. Der Gaul hatte ihn die ganze Zeit hinter sich hergeschleift. Pancake-Joe war ja ’n harter Mann, aber das war ihm doch zu viel! Da machte er sich einen starken Bogen und einen langen Pfeil. Ein Ende des Katzendarmes band er an den Pfeil und …«
»Geschenkt!«, brummt Dick. »Was dann?«
»Nun, er schoss den Pfeil gegen den Himmel ab! In seiner Verzweiflung setzte er seine ganze mächtige Kraft ein. Pancake-Joe war nämlich noch bedeutend stärker als du, Dick! Drei starke Männer hätten den Bogen nicht spannen können!«
»Ho, ich könnte jetzt ’ne dreißig Meter hohe Pappel zu einem Ring biegen!«, ruft Dick grimmig.
»Unterbrich mich nicht immer! Er schoss also den Pfeil gegen den Himmel ab. Der Pfeil war so groß und stark wie ’ne Indianerlanze und …« Jim legt wieder eine Kunstpause ein und schielt besorgt auf seinen Freund, der dicht neben ihm reitet und sich voller Spannung aus dem Sattel beugt.
»Was dann?«, will Dick wissen. »Ho, der Pfeil riss ihm den Zaun aus, he?«
»No – der Pfeil riss Pancake-Joe mit in die Luft! Sie stießen durch die Wolken, und Pancake-Joe sah zum ersten Mal richtige Engel. Bisher hatte er sie nur singen gehört. Schließlich siegte allmählich die Anziehungskraft der Erde, und so kam es, dass Pancake-Joe herunterstürzte. Er hatte ja einen großen Kopf – und weil der Kopf so schwer war, flog Pancake-Joe denn auch mit dem Kopp vorneweg runter. Noch flog er hoch oben über den Wolken und konnte beide Ozeane sehen. Aber Pancake-Joe war ein kluger Mann und konnte sich ausrechnen, dass er mit ’m Schädel zuerst aufschlagen würde. Und da bekam er’s mit der Angst. Er nahm seinen Colt in den Mund und wollte abdrücken, aber der Schuss ging nicht los. Vor Wut bis Pancake-Joe auf den Colt. Dann landete er schon mit mächtigem Krach auf einem haushohen Felsen, spaltete den in zwei Teile und bohrte sich noch zehn Meter in die Erde hinein. Als er wieder herauskroch, hatte er den Zahn so fest in den Colt hineingebissen, dass die Kanone quer auf dem Zahn festsaß wie der Griff auf einem Bohrer. Da freute sich Pancake-Joe mächtig und drehte an diesem Griff seinen Zahn heraus – es war nämlich ’n eingeschraubter Stiftzahn!«
Schon bei seinen letzten Worten hat Jim seinen Fuchs etwas zur Seite getrieben und erwartet nun die Explosion seines athletischen Freundes. Doch Dick schüttelt nur wehmütig seinen Kopf und hält sich die angeschwollene Wange. Nun brummt er: »Nimm die Gabel und kitzele mich mal, Jim, damit ich lache. Über deine Witze wird wohl nich mal ’n altes Suppenhuhn lachen. Ich kannte mal einen Mann. Dem habe ich einen Witz erzählt. Drei Wochen lang hat der Mann gelacht. Wenn er den Witz eben gehört hätte, wären ihm wahrscheinlich die Tränen gekommen vor Mitleid mit dir Geistesarmen! Aber eins sage ich dir, alter Junge: Wenn mir einer in Red Rivertown den verflixten Zahn zieht und ich dann wieder okay bin – dann werde ich dich auseinandernehmen wie ’ne alte verrostete Weckuhr!«
Eine Stunde später reiten die Freunde in Red Rivertown ein. Die Ortschaft unterscheidet sich in keiner Weise von hundert anderen Nestern des Rinderlandes.
Dick schnaubt wie ein Pferd, das nach langem Ritt Wasser wittert, als er neben dem Frisier-Salon ein Schild entdeckt, auf dem geschrieben steht: »Brod Pickle. Toothdentist.«
Brummend treibt Dick seinen hässlichen Grauschimmel hinüber und gleitet wie ein Aal aus dem Sattel.
»Wir warten in der Kneipe!«, ruft Jim ihm nach, doch Dick verschwindet bereits in der Tür.
Im Wartezimmer verhält Dick nur kurz. Drei Männer mit geschwollenen Wangen sitzen hier. Eine Dreizentnerfrau hockt am Fenster, und eine alte Schreckschraube hält einen Dackel auf dem Schoß. Der Dackel trägt ein Wolltuch um den Kopf.
»Leute, ihr müsst warten!«, brüllt Dick mit seiner tiefen Bassstimme. »Hundert Meilen bin ich mit dem Mistzahn geritten! Jetzt ist der Bart ab! Ich habe es nötiger als ihr!« Schon reißt er die Tür zum Behandlungsraum auf und stürmt hinein.
Im Sessel am Schreibtisch sitzt der Arzt im weißen Kittel. Er hat ein Kreuz wie ein Grizzlybär, und als er sich jetzt zornig erhebt, sieht Dick, dass es ein Bullenkerl ist – groß und stark wie zehn Mann. Das Gesicht ist massig und rot. Dicke schwarze Augenbrauen und ein dunkler Walrossbart geben dem Gesicht etwas Finsteres, Drohendes.
»Mann! Ich nehme gerade mein Frühstück ein!«, brüllt er los und deutet auf einen Teller mit Speck und Spiegeleiern. »Sie können mich doch nicht einfach stören!«
»Doc!«, brüllt Dick. »Wenn du mir nicht binnen zehn Sekunden meinen Zahn ziehst, der mich …«
»Ho, du hast Zahnschmerzen, Kleiner?«, grinst der Riese.
Dick ist nicht nur athletisch gebaut, er hat wirklich kolossale Kräfte und kann sogar ein Pferd ausstemmen. »Über den ›Kleinen‹ reden wir später, Doc! Jetzt will ich den Höllenzahn loswerden …«
»Okay, du großmäuliger Cowpuncher!«, brummt Brod Pickle und rollt den rechten Ärmel auf. »Mit Betäubung?«, fragt er.
»Is mir wurscht!«, grollt Dick mit rollenden Augen, tanzt von einem Bein aufs andere und pfeffert seinen alten Hut auf den Boden.
»Also mit!«, brummt der Riese und knallt urplötzlich seine gewaltige Rechte gegen Dicks Kinn. Das ging gar schnell und wirkte wie ein ausschlagender Pferdehuf. Dick stand vor dem Behandlungsstuhl und fliegt nun wie ein Mehlsack hinein. Betäubt bleibt er darin liegen. Sein Kopf hängt über die Stützlehne hinaus, und sein Mund öffnet sich.
Brod Pickle grinst zufrieden, ergreift eine Zange und setzt sie am kranken Zahn an. Eine Hand stemmt er gegen Dicks Stirn und beginnt zu ziehen. Brod Pickle ist ein Mann, der einen Jungstier mit der Faust betäuben könnte, sonst hätte er wohl Dick niemals k. o. schlagen können. Der Zahn knirscht in seiner Verankerung und gibt nach.
Brod Pickle betrachtet sich die vereiterte Wurzel. »Könnte auch ’n Pferdezahn sein!«, murmelt er grinsend und will sich wieder seinem Essen zuwenden. Da gibt Dick auch schon die ersten Lebenszeiten von sich. Mit wackelndem Kopf spuckt er eine Menge Blut in den Napf und fragt sanft: »Was hast du gemacht, Doc?«
»Zahn gezogen! Macht drei Dahler! Betäubung einen Dahler! Ich kriege also vier Dollar, Buddy!«
Langsam erhebt sich Dick, greift in die Hemdtasche und bringt drei Silberdollar heraus. »Da!«
»Ein Dollar zu wenig!«, sagt der Dentist sanft. »Die Betäubung!«
»Geb ich dir wieder!«, grinst Dick und feuert plötzlich eine schwere Rechte gegen das Kinn des überheblichen Mannes. Er trifft genau den »Punkt«, und Brod Pickle, den bisher noch kein Mann von den Beinen schlagen konnte, fällt um. Er stürzt in den Behandlungsstuhl und bleibt darin liegen.
»Was man zurückgibt, braucht man nicht zu bezahlen!«, sagt Dick.
Er reibt sich das schmerzende Kinn, spuckt noch einmal in den Napf und will sich zur Tür wenden, als sein Blick auf das Essen fällt. »Ho, schade darum, dass es kalt wird, und ich habe drei Tage nichts gegessen. Dafür kann er noch einen Dahler kriegen!« Spricht es und setzt sich an den Schreibtisch. Mit gutem Appetit und ohne Rücksicht auf die Zahnwunde macht er den Teller blank.
Jetzt schlägt der Doc die Augen auf und glotzt blöde auf seinen Patienten.
»Ich bezahl’s dir!«, knurrt Dick kauend und besänftigend. »Bin mit meinem Schmerz den ganzen Treibherdenweg geritten, ohne einen Doc zu finden und ohne auch nur ’n einzigen Bissen essen zu können. Wenn du unzufrieden sein solltest, kann ich dir die Betäubung auch doppelt und dreifach zurückgeben.«
Der Riese reibt sich das angeschwollene Kinn. Zunächst hat es den Anschein, als wolle er sich auf Dick stürzen, doch dann funkelt es anerkennend in seinen grauen Augen, und er sagt: »Well, well – man muss geben und nehmen können. Auf einen Mann wie dich habe ich immer schon gewartet. Ho, wir zwei harten Nüsse könnten zusammen ’ne ganze Menge anstellen! Schade, dass es nicht noch mehr von unserer Sorte gibt. Ich würde tatsächlich …« Er unterbricht sich, setzt sich zu Dick an den Schreibtisch und haut seine schwere Faust auf die Platte. Dabei brüllt er: »Samuel!«