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Die Warnung
Bevor Jim Chester die ersten Häuser von Luckytown sichtet, erreicht er einen Bach, über dessen tief eingefressenes Bett eine Bohlenbrücke führt. Die Hufe des Rotfuchses klappern und poltern dumpf. Am anderen Ufer geht es einen Hügel hinauf, der mit Buschwerk bestanden ist. Als Jim die Hügelkuppe gewinnt, tritt plötzlich hinter dem nächsten Gebüsch ein junges Mädchen hervor, das warnend die Hand hebt und ruft: "Halt! Nicht weiterreiten!"
Verblüfft zügelt Jim sein Pferd und mustert die junge Dame, die ihm den Weg verstellt. Sie trägt Reitkleidung. Die langen schlanken Beine stecken in Breeches, und an den hohen glänzenden Stiefeln klingeln silberne Sporen. Grüngraue Augen blitzen, und über dem von Sommersprossen bedeckten Näschen runzelt sich die Stirn.
"Hallo baby! What's the matter?", fragt Jim und zieht grüßend seinen schwarzen Hut.
"Reiten Sie nicht in den Ort hinunter, Mister!", sagt das Mädchen in herrischem Ton. "Die 'Halb-Dollar-Mine' liegt nordöstlich von hier! Reiten Sie nicht durch den Ort!"
"Haben Sie was gegen Fremdenverkehr?", fragt Jim und lächelt belustigt. "Warum soll ich nicht nach Luckytown reiten? Ist die 'Halb-Dollar-Mine' vielleicht 'n Gasthaus ... und sind Sie des Wirtes holdes Töchterlein? Wenn dem so ist, so werde ich Ihrem Rat gern folgen, Schönste der Schönen!"
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
DIE WARNUNG
DIE RANCH DER VIEHDIEBE - Teil 6
Vorschau
Wissenswertes
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Heinrich Berends
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8196-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Liebe Western-Leser, liebe Unger-Freunde!
Das Werk von G.F. Unger, einem der größten und beliebtesten Wildwest-Autoren über die Grenzen Deutschlands hinaus, ist umfangreich. Dazu zählen auch seine Beiträge zu den Serien BILLY JENKINS, TOM PROX, JOHNNY WESTON und PETE in den 50er-Jahren.
Als »sein« Verlag wollen wir Ihnen – zusätzlich zur Sonder-Edition, in der wir Ungers Taschenbücher ungekürzt im Heftformat auflegen –, in einer Classic-Edition jetzt auch diese Romane präsentieren, die neben ihrem nostalgischen Reiz nichts von ihrer Dramatik verloren haben. Wir beginnen mit seinen Billy-Jenkins-Romanen – 71 Hefte und 8 Leihbücher. Die Serie wurde erstmals im Werner-Dietsch-Verlag in den Jahren 1934–1939 veröffentlicht und zwischen 1951 und 1958 vom Uta-Verlag neu aufgelegt und fortgeführt. G.F. Unger stieg bei Band 50, mit dem wir auch die Classic-Edition begonnen haben, in die Serie ein.
Wir wünschen allen Sammlern und Lesern viel Vergnügen und spannende Unterhaltung bei dieser Zeitreise!
Ihre G.F Unger-Redaktion
PS: Einige Bezeichnungen in den Romanen wie »Neger« gelten heutzutage als diskriminierend. Sie waren zur Zeit der Romanhandlung aber gebräuchlich und sollten im historischen Kontext verstanden werden, weshalb sie im Text belassen wurden.
Die Warnung
Nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins
Erzählt von G.F. Unger
Bevor Jim Chester die ersten Häuser von Luckytown sichtet, erreicht er einen Bach, über dessen tief eingefressenes Bett eine Bohlenbrücke führt. Die Hufe des Rotfuchses klappern und poltern dumpf. Am anderen Ufer geht es einen Hügel hinauf, der mit Buschwerk bestanden ist.
Als Jim die Hügelkuppe gewinnt, tritt plötzlich hinter dem nächsten Gebüsch ein junges Mädchen hervor, das warnend die Hand hebt und ruft: »Halt! Nicht weiterreiten!«
Verblüfft zügelt Jim sein Pferd und mustert die junge Dame, die ihm den Weg verstellt. Sie trägt Reitkleidung. Die langen schlanken Beine stecken in Breeches, und an den hohen glänzenden Stiefeln klingeln silberne Sporen. Das grünseidene Halstuch über der hellen Bluse kontrastiert seltsam zu dem brandroten Haar, das ein liebliches Gesicht umrahmt. Grüngraue Augen blitzen, und über dem zierlichen, von Sommersprossen bedeckten Näschen runzelt sich die Stirn.
»Hallo baby! What’s the matter?«, fragt Jim und zieht grüßend seinen schwarzen Hut.
»Reiten Sie nicht in den Ort hinunter, Mister!«, sagt das Mädchen in herrischem Ton. »Die ›Halb-Dollar-Mine‹ liegt nordöstlich von hier! Reiten Sie nicht durch den Ort!« Rota
»Haben Sie was gegen den Fremdenverkehr, Miss Rotkäppchen?«, fragt Jim und lächelt belustigt. »Warum soll ich nicht nach Luckytown reiten? Ist die ›Halb-Dollar-Mine‹ vielleicht ’n Gasthaus … und sind Sie des Wirtes holdes Töchterlein? Wenn dem so ist, so werde ich Ihrem Rat gern folgen, Schönste der Schönen!«
Die Schöne schürzt verächtlich ihre Kirschenlippen und rümpft das Näschen. »Ich bin die Tochter Ihres neuen Chefs, Sie trauriger Revolvermann!« Grimmig mustert sie das rassige Spaniergesicht des Mannes, dann gleiten ihre Blicke über seine schwarze Reitertracht und bleiben auf den schweren Revolvern haften, deren Kolben vom häufigen Gebrauch abgescheuert sind. »Ich will Sie nur warnen, Dummheiten zu machen! In Luckytown würde man Ihnen nur Kummer bereiten … so wie Ihren Vorgängern! Gestern kamen zwei von Ihrer traurigen Gilde hier an. Vorgestern kam einer. Alle drei sind nun in ärztlicher Behandlung und werden sich einen anderen Beruf wählen müssen … vielleicht als Knecht. Richtig arbeiten könnt ihr Revolverhelden ja nicht!«
»Oho!« Jim strahlt und grinst. »Sie gefallen mir immer besser! Haben ja eine hohe Meinung von mir, Rotkäppchen!«
»Lassen Sie Ihre blöden Witzeleien!«, giftet sie ihn da an und zieht die Stirn in Falten. »Wenn Sie nicht einen anderen Ton anschlagen, brauchen Sie gar nicht erst zur ›Halb-Dollar-Mine‹ zu kommen … ich würde Sie dann nämlich verkehrt wieder rausfeuern, savvy? Sie wissen wohl nicht, wie man sich einer Dame gegenüber zu benehmen hat … natürlich nicht, Sie Flegel!«
»Warum denn gleich so kratzbürstig, he?«, schmunzelt Jim. »Ich will Sie ja gar nicht mit meiner Gegenwart belästigen, Verehrteste! Sehe nicht den geringsten Grund, warum ich zu Ihrer ›Halb-Dollar-Mine‹ reiten sollte. Ich will nach Luckytown, weiter nichts, und ich werde auch nach Luckytown reiten, savvy? Wenn Sie der Ausdruck ›Rotkäppchen‹ gestört haben sollte, so bitte ich höflichst um Verzeihung, meine Dame! Ich wollte Sie keineswegs kränken und erkläre Ihnen hiermit feierlichst, dass ich rote Haare liebe, zumal wenn ein so reizendes Gesicht dazugehört. Übrigens passt das grüne Tuch wunderbar zu Ihrem schönen Haar, Baby!«
Die Stirn des Mädchens glättet sich. Die Augen blicken noch sekundenlang misstrauisch, doch dann bekommen sie plötzlich einen sanften Ausdruck. Das hübsche Gesicht überzieht sich mit einem glühenden Rot. Ebenso rasch wandelt sich das Antlitz wieder.
Mit hochmütig geschürzten Lippen sagt die Kleine: »Ph! Ihr Süßholzgeraspel können Sie sich sparen, Sie bezahlter Revolvermann! Und wenn Sie in Ihr Unglück hineinreiten wollen, so habe ich nichts dagegen. Wenn Sie aber heute Abend mit kaputten Knochen daliegen und jammern, werden Sie mal an mich denken. Ich habe Sie gewarnt!«
Mit diesen Worten dreht sie sich um und verschwindet hinter dem Gebüsch. Gleich darauf hört Jim das Schnauben eines Pferdes, und dann entfernen sich die dumpfen Hufschläge des galoppierenden Tieres.
Als Jim um das Gebüsch herumgeritten ist, sieht er die Reiterin am Fuße des Hügels hinter Bäumen verschwinden. Ihr rotes Haar weht im Wind.
»Rotkäppchen!«, murmelt Jim versonnen. »Sie ist süß und feurig wie spanischer Wein … und sie hat mich mit ’nem anderen verwechselt, klar! Hm … Billy hat mich nach Luckytown bestellt. Hier in der Gegend gibt es Verdruss, das ist klar wie Bohnensuppe! Die ›Halb-Dollar-Mine‹ stellt also Revolvermänner ein, richtige Schießer und Raufbolde. Außerdem gibt es noch Leute hier, denen das gar nicht passt! Mann o Mann! Das muss ich mir näher begucken!«
Nach diesem Selbstgespräch reitet Jim Chester den Hügel hinunter und kommt auf freies Weideland. Dann erreicht er die ersten Häuser von Luckytown.
Jim weiß, dass es in der Gegend einige Ranches und Kupferminen gibt. Als er in die Hauptstraße einbiegt, wird er sich über viele Dinge klar. Cowboys, Farmer, Siedler und Minenarbeiter geben der Ortschaft das Gepräge. Jim sieht viele Pferde, Wagen, Packesel, eine Schmiede, eine Sattlerei, einige Stores und Kneipen, Büros der Minen und der Ranchergenossenschaft.
Vor dem Marshal-Office steht ein dicker Mann. Seine Nickel-Uhrkette blitzt mit dem Marshal-Stern um die Wette.
Der Dicke kaut auf seinem Walrossbart und starrt mit wasserhellen Augen auf Jim. Dann tritt er an das Geländer des hölzernen Gehsteiges und hebt lässig die fette Hand.
Jim zügelt sein Pferd und rückt sich im Sattel zurecht, tippt grüßend an die Hutkrempe und sagt: »Hallo, Mister Marshal! Ist doch sicher ’n gemütliches Nest, eh? Schätze so, weil der Town-Marshal ’n Bierbauch hat!« Jim grinst anzüglich.
Der Walrossbart sträubt sich. Es sieht so aus, als wolle der Dicke eine geharnischte Strafpredigt loslassen, doch er schließt den Mund wieder und mustert den Fremden von oben bis unten. Dann sagt er warnend: »Langreiter, deine Klappe ist giftig – aber es gibt noch andere Pilze in der Town … richtige Giftpilze! Wenn du für Lester Gray reiten willst, so nimm deinen Schinder lieber herum und verschwinde! Hörst du nicht auf mich, so wird es dir sehr dreckig gehen, savvy? Man wird dich fertigmachen! Ich kann nichts dagegen tun, mein Junge, überhaupt nichts. Ich bin nur ein Town-Marshal und kein Revolvermann!«
»Sonst noch was?«, fragt Jim sanft.
»No, weiter nichts, Fremder, aber wenn du in zwei Stunden immer noch so großkotzig bist, werde ich vor dir den Hut zieh’n!«
»Viel Fremde in den Ort gekommen, Marshal?«, fragt Jim, gleichgültig tuend.
»Wenn du Kunden deiner Sorte meinen solltest, dann reite zum Doktorhaus … erste Ecke links! Der Doc hat ’n paar Angeknackste in seiner Privatklinik liegen … alles Leute, die für Lester Gray reiten wollten. Sind jetzt Krüppel, schätze ich. Du wirst auch bald einer sein, Langreiter!«
»Na, dann drück mal für mich die Daumen!«, sagt Jim grinsend und reitet weiter.
Im Mietstall des Ortes bringt Jim seinen müden Fuchs unter und begibt sich dann mit Karabiner und Bündel zur »Bunten Kuh«. Hier mietet er sich ein Hotelzimmer. Wenig später sitzt er frisch rasiert und hungrig im Gastraum und wartet auf das bestellte Essen.
Mit der Zeit fällt es ihm auf, dass die anwesenden Gäste ihm sonderbare Blicke zuwerfen. Dann tuscheln die Leute miteinander, trinken ihre Gläser aus und gehen. Nach und nach wird das Lokal immer leerer. Nur einige trinkfeste Minenarbeiter kümmern sich nicht um ihn und bleiben am Schanktisch stehen.
Der Barhalter schielt dauernd zwischen Jim und der Pendeltür hin und her und wird in seinen Bewegungen immer nervöser.
Jim denkt schnell und gründlich nach: Ich trage zwei Colts, und sie hängen ziemlich tief wie bei einem schießwütigen Revolvermann. Zweihandschützen sind auch hier im Westen seltener als ein Rappe in einer Wildpferdherde. Man hält mich also für einen Revolverhelden. Es gibt zwei Parteien in der Town und wahrscheinlich im ganzen Tal, das ist mir auch klar. Die eine Partei hat ihren Bedarf an Kämpfern bereits gedeckt und ist dabei, den Gegnern das Wasser abzugraben. Well, und die andere Partei lässt sich nun ebenfalls Revolvermänner kommen; die aber werden gleich böse empfangen!
Nachdem sich Jim die Sache so weit überlegt hat, kommt er zu dem einfachen Schluss: Weil ich zwei tiefhängende Colts trage und weil sich dieser Lester Gray anscheinend ’ne Menge solcher Zweihandschützen engagiert hat, werde ich jetzt Kummer kriegen. Hier bahnt sich ’ne krumme Sache an, und nur deshalb hat mich Billy herbestellt. Hoffentlich gehören er und Dick nicht zu den Krüppeln, die schon beim Doc liegen! Na ja, jetzt sitze ich hier und muss die Suppe auslöffeln!
So denkt Jim Chester, und als er zu diesem zwingenden Schluss gelangt, fliegt die Pendeltür auf. Drei riesige, sehnige, hartgebrannte Männer gleiten in den Gastraum. Ja, sie gleiten herein wie Löwen durch eine offene Stalltür. Genau so erscheint es Jim.
Der Barhalter macht eine Kniebeuge und verschwindet hinter seinem Schanktisch. Nun werden die fünf Minenarbeiter aufmerksam. Sie blicken sich um, mustern Jim und wissen Bescheid. Da werfen sie Geld auf den Schanktisch und verlassen das Lokal.
Die drei Revolvermänner an der Tür grinsen Jim an.
Der Polizeireiter grinst zurück, obwohl er schon nach einer Sekunde weiß, dass er diese drei harten Brocken kaum verdauen kann. Einer der drei ist zu viel für ihn. Jim erkennt das mit dem sicheren Instinkt der langen Erfahrung. Er beobachtet die hageren, scharfen Gesichter der Kerle und sieht, dass er Gegner vor sich hat, die mit allen Hunden gehetzt sind. Erste Garnitur!, denkt Jim. Zwei könnte ich zur Not fertigmachen. – Die sind nicht billig. Also geht es hier um eine große Sache!
Jims Gedankengänge werden unterbrochen, denn die drei Gentlemen kommen jetzt quer durch den Raum und bauen sich drei Meter vor seinem Tisch auf.
»Na, ihr lieben Zeitgenossen? Ihr seht so aus, als ob Ihr was auf den Herzen habt!«, sagt Jim grinsend.
Der größte der Kerle, ein weißblonder Riese, winkt ab und sagt ruhig: »Wir haben deinen müden Rotfuchs vors Lokal gestellt. War ’ne Höllenarbeit, denn das Vieh wollte erst nicht. Aber du wirst dich nicht so sträuben, Sunny, was? Na, nun komm schon! Steh auf, setz dich auf deinen Bock und reite ’n paar Tage auf deiner eigenen Spur zurück! Den Kummer, der dir sonst blüht, kann dir Lester Gray gar nicht bezahlen. Ist das klar?«
»Ihr seid anscheinend in einem Irrtum befangen, Gents«, sagt Jim. »Den Namen Lester Gray höre ich zum ersten Mal. Ich bin hier lediglich auf der Durchreise. Mein Fuchs ist müde, und ich habe Hunger. Ist das klar?« Jims Stimme klingt sanft und doch irgendwie zur Vorsicht mahnend.
Die drei Revolvermänner schieben ihre Kinnladen vor. Dann knurrt der Blonde: »Hm … möglich, dass du ganz zufällig hier herkamst. Möglich ist’s auch, dass du Lester Gray gar nicht kennst. Alles möglich, Bruderherz – aber das hilft dir hier nichts. Wir wünschen, dass du so schnell wie möglich wieder abzitterst. Ist das klar?«
Im Bruchteil einer Sekunde hat Jim seinen Entschluss gefasst. Er ist völlig davon überzeugt, dass die Kerle ihn nur auslachen werden, wenn er sich als Polizeireiter ausweist. Dadurch würde er auch Billys Pläne gefährden. Es gilt klug zu sein und vorerst auszuspüren, was hier in der Gegend überhaupt gespielt wird.