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Es ist zehn Uhr abends, als Dick die Tür zum Bunkhouse aufreißt und den großen Schlafsaal der Cowboys betritt. Er lässt seine Blicke durch den Raum schweifen. Genau zwölf Männer - die halbe Ranch-Mannschaft - befinden sich hier. Einige liegen schon in ihren Betten, andere sitzen auf den Rändern ihrer Kojen und rauchen die letzte Zigarette. Sie alle blicken jetzt auf Dick, dessen rundes Vollmondgesicht ein selbstbewusstes Schmunzeln zeigt. "Hallo, Dick!", ruft Blinky. "Was verschafft uns die Ehre deines Besuchs?"
"Sicher hat er was Interessantes erlebt auf der Station, und das will er uns jetzt erzählen!", meint Phil Morel, ein großer schwarzhaariger Boy, in texanischem Dialekt.
Dick Hanson grinst und reckt stolz die Brust heraus. "Ich bin vom Boss beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Herzass-Mannschaft auch wirklich wie die beste Crew von Arizona aussieht. Von der Bahnstation habe ich nämlich 'n Telegramm mitgebracht, Boys! Billys Braut kommt morgen früh, und wir holen sie ab, savvy? Dann sind wir endlich auf der Herzass-Ranch komplett ... haben den besten Boss, die beste Mannschaft, die schönste Rancherin und den stärksten Mann von Arizona - das bin ich! Und ich dreh euch die Nasen nach hinten, wenn ihr in zwei Stunden nicht reitfertig seid!"
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Seitenzahl: 99
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
DER HERZ-RANCHER
DIE RANCH DER VIEHDIEBE - Teil 5
Vorschau
Wissenswertes
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Heinrich Berends
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8082-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Liebe Western-Leser, liebe Unger-Freunde!
Das Werk von G.F. Unger, einem der größten und beliebtesten Wildwest-Autoren über die Grenzen Deutschlands hinaus, ist umfangreich. Dazu zählen auch seine Beiträge zu den Serien BILLY JENKINS, TOM PROX, JOHNNY WESTON und PETE in den 50er-Jahren.
Als »sein« Verlag wollen wir Ihnen – zusätzlich zur Sonder-Edition, in der wir Ungers Taschenbücher ungekürzt im Heftformat auflegen –, in einer Classic-Edition jetzt auch diese Romane präsentieren, die neben ihrem nostalgischen Reiz nichts von ihrer Dramatik verloren haben. Wir beginnen mit seinen Billy-Jenkins-Romanen – 71 Hefte und 8 Leihbücher. Die Serie wurde erstmals im Werner-Dietsch-Verlag in den Jahren 1934–1939 veröffentlicht und zwischen 1951 und 1958 vom Uta-Verlag neu aufgelegt und fortgeführt. G.F. Unger stieg bei Band 50, mit dem wir auch die Classic-Edition begonnen haben, in die Serie ein.
Wir wünschen allen Sammlern und Lesern viel Vergnügen und spannende Unterhaltung bei dieser Zeitreise!
Ihre G.F Unger-Redaktion
PS: Einige Bezeichnungen in den Romanen wie »Neger« gelten heutzutage als diskriminierend. Sie waren zur Zeit der Romanhandlung aber gebräuchlich und sollten im historischen Kontext verstanden werden, weshalb sie im Text belassen wurden.
Der Herz-Rancher
Nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins
Erzählt von G.F. Unger
Es ist zehn Uhr abends, als Dick Hanson eilig aus dem Ranchhaus kommt. Mit wuchtigen Schritten steigt er die Verandastufen hinunter und stampft sporenklirrend über den Hof. Im Bunkhouse ist noch Licht. Dick reißt die Tür auf und betritt den großen Schlafsaal der Cowboys. Dann bleibt er stehen und lässt seine Blicke durch den Raum schweifen.
Genau zwölf Männer – es ist die halbe Ranch-Mannschaft – befinden sich hier. Einige liegen schon in ihren Betten, andere sitzen auf den Rändern ihrer Kojen und rauchen die letzte Zigarette. Zwei Boys nähen irgendwelche Kleidungsstücke. Blinky, ein hübscher schlanker Bursche, steht vor einer an der Wand hängenden Spiegelscherbe und rasiert sich. Blinky macht das immer abends, denn so kann er morgens einige Minuten länger schlafen. Ja, die Herzass-Boys reiten frisch rasiert auf die Weide, wenn sie auf der Ranch stationiert sind.
Die Cowboys blicken jetzt alle auf Dick, dessen rundes Vollmondgesicht ein selbstbewusstes Schmunzeln zeigt.
Dicks mächtige Athletenbrust scheint noch mehr angeschwollen zu sein, und als er jetzt Luft holt, um mit einer Rede zu beginnen, springt einer seiner Hemdknöpfe ab.
»Hallo, Dick!«, ruft Blinky. »Du bist doch eben erst heimgekommen! Bestimmt hast du doch noch gar nicht gefuttert, Mann! Was verschafft uns die große Ehre deines Besuchs?«
»Sicher hat er was Interessantes erlebt auf der Station, und das will er uns jetzt erzählen!«, meint Phil Morel, ein großer schwarzhaariger Boy, in texanischem Dialekt.
»Ist ’n hübsches Mädchen in Camp Need ausgestiegen?«, fragt der kleine Shorty, und sein Baumrindengesicht legt sich in erwartungsvolle Falten.
»Na, nun spuck die Story endlich aus, Dicker!«, zischt der kleine, krummbeinige Roland.
Dick starrt den Sprecher an und knurrt: »Little-Egg, du ausgefranste Vogelscheuche … du hast ab sofort nur noch Außendienst! Lass dich nicht mehr auf der Ranch blicken, savvy?«
Roland, genannt Little-Egg, sitzt barfüßig und in Unterhosen auf dem Rand seiner Koje. In den Händen hält er ein paar Löcher, an denen die Überreste eines Socken-Paares hängen. Vor langer Zeit waren es Socken, dann Socken mit Löchern, und jetzt sind es nur noch Löcher mit etwas Wolle daran.
Andächtiges Schweigen herrscht nach Dicks Worten. Alle Augen richten sich auf Little-Egg, der außer seinem Eierkopf auch eine sehr scharfe Zunge sein eigen nennt. Der kleine krummbeinige Boy richtet sich langsam auf. Der Hosenboden seiner Unterkleidung ist durchlöchert und hängt fast bis an die Kniekehlen. Die drei oder vier Haare auf dem sonst blanken Schädel Little-Eggs scheinen sich aufzurichten wie kämpfende Regenwürmer. Dann öffnet er seinen Mund zu einer Ansprache.
Man muss wissen, dass Little-Egg zwar eine hässliche Vogelscheuche, aber auch einer der anständigsten, härtesten Boys ist, die jemals über die Arizona-Weide geritten sind. Nur kann er manchmal ein richtiger Teufel sein. Jetzt faucht er los: »Du schwachsinniger Elefantenbulle, du … zum Teufel! Kann ich dafür, dass ich so abgerissen bin?« Er watschelt dicht an Dick heran und wedelt ihm mit den Socken unter der Nase herum. »Warum ist kein Weibsbild auf der Ranch, he? Warum gibt’s hier nicht wenigstens ’ne schwarze Mammy, die uns die Wäsche wäscht und die Socken stopft? Du schimpfst mich ’ne Vogelscheuche? Jetzt geh ich zum Boss und werde ihm mal meinen Standpunkt klarmachen!«
Little-Egg will an Dick vorbei, um durch die offene Tür in den Hof zu kommen, doch Dick packt rasch zu und setzt ihn auf den großen Eisenofen, der zurzeit außer Betrieb ist.
»Hört mal gut zu, Jungs!«, knurrt Dick. »Ihr werdet jetzt wie geölte Blitze aus den Betten jumpen, euch waschen und rasieren, euer feinstes Habchenbabchen anzieh’n und so schick machen, dass euch eure eigene Mutter nicht wiedererkennt!«
Dick bricht ab und beginnt die Hemdärmel hochzukrempeln, denn die zwölf Reiter haben sich wie ein Mann erhoben und machen unmissverständliche Gebärden. »Jetzt werden wir diesen größenwahnsinnigen Bullen mal so richtig vermöbeln!«, schnaubt der hässliche Len, dessen von Narben zerschnittenes Gesicht rot anläuft.
»Kommt ran, Jungs!«, höhnt Dick. »Ich werde euch so verprügeln, dass ihr in den Betten liegen müsst, wenn die feine Lady ankommt! Mit euch könnte Billy doch keinen Staat machen, und es wäre ganz gut, wenn euch die künftige Herz-Rancherin gar nicht zu sehen kriegte! Ihr seid ja ’ne verschlafene Trauergesellschaft, abgerissene, verlauste Satteltramps … Ich frage mich nur, warum euch der Boss durchaus dabei haben will, wenn er morgen früh seine Braut von der Bahnstation abholt!«
Die zwölf Boys stehen plötzlich steif und stumm auf dem Fleck. »Was singt der Bulle eigentlich?«, ächzt Shorty.
»Ja, Dick!«, ruft Len. »Was hast du da gebrüllt?« Lens Bruder Lin verliert die Geduld: »Raus mit den schnellen Pferden, Dick, oder wir werfen dich auf den Misthaufen und lassen dich erst wieder runter, wenn du wie ’n Hahn krähen kannst!«
Dick Hanson grinst und reckt stolz die Brust heraus. »Ich bin vom Boss beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Herzass-Mannschaft auch wirklich wie die beste Crew von Arizona aussieht, well. Von der Bahnstation habe ich nämlich ’n Telegramm mitgebracht, Boys! Billys Braut kommt morgen früh, und wir holen sie ab, savvy? Dann sind wir endlich auf der Herzass-Ranch komplett … haben den besten Boss, die beste Mannschaft, die schönste Rancherin und den stärksten Mann von Arizona … das bin ich! Und ich dreh euch die Nasen nach hinten, wenn ihr in zwei Stunden nicht reitfertig seid!«
Ein Höllenlärm bricht los. Dick taucht im Gewühl unter. Alle fallen sie über ihn her. Dick hat Bärenkräfte, aber gegen diese Übermacht kann er nichts ausrichten. Außerdem muss er zu sehr lachen. Bald liegt er über dem großen Tisch und wird von den vielen Fäusten gehalten, so dass er kaum einen Finger bewegen kann. »Na wartet … hahaha … ihr Lauser! Wollt ihr mich wohl loslassen?«
»Wie sieht sie aus, he?«, will man wissen. »Du und Jim habt sie ja schon früher geseh’n! Beschreibe sie uns, oder wir …«
Eine lachende Stimme schallt von der Tür her: »He, Boys! Lasst doch Dick in Frieden! Der kann euch vielleicht ’ne Kuh beschreiben, aber niemals ’ne Lady!«
Der schlanke, drahtige Jim Chester steht an der Tür. Seine weißen Zähne und die dunklen Augen funkeln nur so in dem rassigen Spaniergesicht.
Dick ist sofort abgemeldet, wird überhaupt nicht mehr beachtet. Alle starren auf Jim. »Erzähl uns, wie sie aussieht, Jimmy!«, schnaubt der »Schwarze Phil.«
»Hm … Well, sie ist ’ne wahrhaftige Lady, Jungs!«, erklärt Jim. »Aber gar nicht hochnäsig, no … Euch wird’s die Sprache verschlagen, schätze ich. Ihr werdet mondsüchtige Kälber werden und jede Nacht von ihr träumen. Ihr werdet sie anhimmeln, und sie wird zu euch wie ’n guter Kamerad sein. Und wenn ihr in ihre graugrünen Augen blickt, dann werdet ihr vergessen, dass ihr Cowpuncher seid. Das Herz wird euch gegen die Rachenmandeln klopfen, und ihr werdet Atembeschwerden kriegen. Sie aber wird wie ’ne liebe Schwester zu euch sein … und ihr werdet euch um das Vorrecht prügeln, ihr die Steigbügel halten zu können … Sie hat entzückende Beine, oh! Und kastanienbraune Locken, hmmm! Neunundzwanzig Jahre ist sie alt, also kein Gänschen mehr, Freunde, aber sie ist schön wie ’n Märchen … und … und dabei von einer königlichen Anmut … ja, das ist’s, Jungs! Sie ist das, was man unter ›edel‹ versteht. Jedenfalls ist sie die schönste Frau, die ich je gesehen habe. He, Dick hat sicherlich ’n Klaps – aber ihr werdet auch einen haben, wenn ihr sie erst gesehen habt! In zwei Stunden reiten wir, Jungs!«
Jim Chester verschwindet, und ein höllischer Radau bricht aus. Dann machen sich die Herzass-Boys schön, aber da sie allesamt außer Rand und Band sind und vor Übermut und Freude nicht wissen, wohin mit der Kraft, geschieht in den nächsten zwei Stunden gar manches, was besser unterblieben wäre.
Die Beleuchtung versagt plötzlich. In der Petroleumlampe ist kein Öl mehr, und die Kerzen sind nirgends zu finden. So muss sich die Mannschaft mit dem Mondlicht begnügen. An den Tränktrögen neben dem Brunnen wird geschrubbt, geplanscht und gebürstet. Im Bunkhouse läuft alles durcheinander. Im Halbdunkel sucht Little-Egg nach einem neuen Paar Socken. Die Boys lachen und fluchen. Keiner scheint das zu finden, was er sucht.
Jim Chester befindet sich schon im Korral. Er streicht den Grauschimmel seines Freundes Dick an und versieht ihn erst mit weißen, dann mit schwarzen Streifen. Es ist eine Spezialfarbe, die völlig unschädlich für das Tier ist. »Zwiebel«, der hässliche Wallach, scheint den Farbgeruch zu lieben, denn er lässt sich mit sichtlichem Wohlbehagen eine neue Haarfarbe verpassen. Der Grauschimmel trippelt dann unruhig hin und her und schnaubt. Er weiß, dass es fortgeht, und das freut ihn, denn sein Herr hat ihn heute nicht geritten, sondern einen Rotscheck bevorzugt.
Billy Jenkins tritt auf die Veranda, ruhig und lässig wie immer. Er trägt einen hellgrauen Stetson, ein weißes Reithemd und graue Reithosen. An den hohen Stiefeln klingeln silberne Sporen.
Hinter dem Ranch-Boss taucht Charly Skinner, der lange Vormann, auf. Auch er hat seine feinste Kleidung angelegt.
»Für meine Braut nehmen wir ›Silverking‹!«, sagt der Herz-Rancher. »Legt ihm den roten Silbersattel auf, Charly!«
»Okay, Boss!« Charly steigt die Stufen hinunter.
Es ist genau Mitternacht, als sich die gesamte Mannschaft auf die Pferde schwingt. Charly führt den Schimmel »Silverking« im Schlepp. Der alte Neger Sam, der mit den anderen Knechten die Ranch hüten muss, erhält die letzten Anweisungen, und dann geht es mit gellendem »Jipiiiii-eeeh!« zum Tore hinaus.
Am Himmel leuchtet der Mond. Die Sterne funkeln türkisfarben. Der Nachtwind bringt die Geräusche einer großen Rinderherde bis zu den Reitern. In den Bergen heulen Grauwölfe, und irgendwo ertönt der Schrei eines Silberlöwen.
Die Herzass-Mannschaft reitet durch die Nacht, um die künftige Herrin der Herz-Ranch abzuholen: Kate Dunn, die in Phoenix ihren kranken Onkel pflegte. Der Onkel ist gestorben, und Kate wird nun ihr Versprechen einlösen und mit dem Herz-Rancher Hochzeit halten.
Die Boys sind gespannt wie Bogensehnen. Sie wissen von Jim, dass Kate eine besondere Frau ist, und etwas anderes haben sie auch gar nicht erwartet. Wenn sich ihr verehrter Freund und Boss Billy Jenkins verliebt, muss es schon etwas Besonderes sein, das ist ja klar.
Sie reiten die ganze Nacht. Endlich zeigt sich das erste Frühlicht.
Plötzlich gurgelt Dick einen urigen Schrei heraus. Der Grauschimmel »Zwiebel« wiehert dazu die zweite Stimme, als freute er sich über den gewaltigen Schrei seines Herrn. Dick aber beugt sich erst nach links, dann nach rechts aus dem Sattel und betrachtet sich mit hervorquellenden Augen die Seiten seines Pferdchens. Dann muss er erst einmal nach Luft schnappen: Als er das getan hat, fehlen ihm die Worte, und er bringt nur ein Ächzen heraus.
»Was ’n mit dir los, Dicker?«, fragt Little-Egg, der neben ihm reitet.