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Der Blechstern
Die Versuchung ist groß, mit dem ihm anvertrauten Geld einfach zu verschwinden. Doch Black Jim Jones trägt den Stern eines US Deputy Marshals, und eher riskiert er Kopf und Kragen, als seinen Eid zu brechen ...
G.F. Unger, der außergewöhnlichste und fantasievollste Westernerzähler deutscher Sprache, wird Sie auch mit diesem Western unnachahmlich unterhalten!
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Der Blechstern
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8889-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Blechstern
»Es tut mir leid, Jim«, sagt Sam Derringer trocken. »Du kommst zu spät, um deinen Bruder zu holen. Sie haben ihn drei Tage früher entlassen. Ich glaube, dass er in diesen drei Tagen zumindest hundert Meilen geritten ist.«
Nach diesen Worten schweigt Sam Derringer. Er ist eisgrau und trägt einen kleinen Spitzbart. Er wirkt wie ein alter, erfahrener Jagdfalke, der keine Gnade kennt.
Dies alles trifft auch wirklich zu. Denn er ist ein Jagdfalke – wenn auch einer ohne Schnabel und Flügel.
Er ist US Marshal.
Und Gnade? Nun, Jim Jones glaubt nicht, dass dieser alte Falke jemals welche kannte.
Er betrachtet ihn bitter, und er ist ein ziemlich großer, hagerer Mann, der wie ein Cowboy gekleidet ist, dunkelhaarig und grauäugig. Er hat ein fast hässliches Gesicht, in dem die Narben einiger Kämpfe zu erkennen sind. Jim Jones ist ganz gewiss ein Mann, der für sich sorgen kann.
An seiner linken Seite trägt er einen Revolver, eine Waffe mit einem einfachen Holzgriff. Sie wirkt sehr alt und abgenutzt.
»Warum habt ihr das getan, Marshal?« So fragt er nun bitter. »Ihr wusstet genau, dass ich meinen kleinen Bruder …«
Er verstummt und macht eine verächtliche Handbewegung. Er hält es für unnötig, zu wiederholen, was der Marshal und die Gefängnisleute seiner Meinung nach genau wussten und was sie dennoch nicht beachteten …
US Marshal Sam Derringer – er hat den Rang eines Majors – blickt Jim fest an und sagt knapp: »Hilf uns, Jim – und du hilfst damit auch deinem kleinen Bruder. Du weißt ganz genau, dass es zu nichts geführt haben würde, hättest du ihn hier in Empfang genommen und mit auf deine kleine Pferderanch genommen. Dein Bruder war an einem Bankraub beteiligt, bei dem achtzigtausend Dollar erbeutet wurden. Er war der Einzige der Banditen, den man erwischen konnte. Er war damals siebzehn Jahre, und er hat nichts anderes getan, als draußen vor der Bank die Pferde der Bande zu halten. Er wäre mit einer kleinen Strafe davongekommen, wenn er dem Gericht die Namen der Banditen genannt hätte. Doch er wollte wohl kein Verräter sein. Er war ein stolzer Junge, dessen Denken verzerrt war. Er erhielt vier Jahre Haft mit Strafarbeit und wurde zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag entlassen.«
Der Marshal macht nun eine kleine Pause. Er blickt Jim hart an und sagt: »Jetzt ist dein Bruder Adam unterwegs zu seinen alten Partnern, um seinen Anteil zu kassieren. Und auf diese Art bekommen wir vielleicht die achtzigtausend Dollar zurück und die drei anderen Burschen zu fassen. So ungefähr wissen wir nämlich, wohin sich Adam wenden wird. Und nun kommen wir zu dir, Jim, mein Junge. Es gab einmal eine Zeit, da sagtest du Onkel Sam zu mir, nicht wahr?«
Jim sieht ihn an und nickt langsam.
»Ja«, sagt er, »das war damals, als mein Vater noch lebte und dein Freund war, Sam Derringer. Du warst damals ein junger, ehrgeiziger Sheriff. Ich war ein kleiner Junge und bewunderte dich immer. Dein blitzender Stern war für mich …«
Er bricht wieder ab und macht abermals eine verächtliche Handbewegung, so als lohnte es sich nicht, über diesen Stern noch ein Wort zu verlieren.
Aber dann spricht er doch weiter: »… er war für mich etwas Großartiges. Und immer wenn du zuverlässige Helfer brauchtest, ritt mein Vater als dein Deputy mit dir. Auch er bekam dann solch einen Stern an die Weste gesteckt. Oh, ihr hieltet Ordnung in unserem Land. Ihr wurdet mit jeder Bande fertig, mit jedem Revolverhelden und jeder Art von Schwierigkeit und Bedrohung von Recht und Ordnung. Doch eines Tages wurde mein Vater dabei erschossen, als er dir wieder einmal den Rücken deckte. Ich war damals acht Jahre alt. Und mein Bruder Adam war gerade zwei Jahre geworden. Unsere Mutter aber war eine zarte Frau. Sie zerbrach daran, unsere Heimstätte zu erhalten und schuldenfrei zu bekommen. Ja, damals sagte ich noch Onkel Sam zu dir, Marshal. Doch das ist lange her. Und jetzt willst du was von mir? Willst du Hilfe, wie mein Vater sie dir schon einmal gab?«
Er fragt es mit bitterem Spott.
Und US Marshal Sam Derringer nickt.
»Es ist ganz einfach«, sagt er. »Dein Bruder nimmt Verbindungen zu seinen alten Partnern auf. Er wird von ihnen seinen Anteil verlangen.«
»Er hat dafür seine Strafe abgesessen«, sagt Jim Jones bitter.
Sam Derringer nickt.
»Wenn er seinen Anteil bekommt«, sagt er. »Vielleicht schießen sie ihn aber tot, bevor sie mit ihm teilen müssen oder er sie verraten kann. Oder sie nehmen ihn in ihren Verein auf und machen ihn zum Teilhaber an den Geschäften, die sie mit ihrem Raubgeld aufbauten.«
»He«, sagt Jim Jones scharf. »Ihr wisst viel über diese Bande.«
Der Marshal nickt. »Uns fehlen nur die Beweise«, sagt er. »Jim, es wäre falsch gewesen, deinen Bruder mit auf die Pferderanch zu nehmen. Er ist mit seiner Vergangenheit noch nicht fertig. Du musst ihm bei der Bewältigung dieser Vergangenheit helfen. Reite ihm nach und hilf ihm!«
Jim Jones erhebt sich langsam.
»Du alter Fuchs«, sagt er.
Sam Derringer nickt. »Es gehört zu meinem Geschäft, fuchsschlau zu sein. Ich will die drei anderen Banditen und die achtzigtausend Dollar nebst Zinsen haben. Du aber willst deinen kleinen Bruder retten. Das führt uns zusammen, Jim, mein Junge. Ich weiß keinen besseren Mann für diese Sache. Und ich gebe dir einen Stern. Ich mache dich zum US Deputy Marshal mit dem Rang und der Besoldung eines Captains der Bundesregierung. Überleg es dir schnell. Denn mit jeder Stunde wird der Vorsprung deines Bruders größer. Ich schicke auch zwei zuverlässige Leute zu deiner Pferderanch. Ich gebe dir den Stern, denn nur damit kannst du deinen Bruder retten.«
Jim Jones starrt ihn bitter an. »Mit einem Blechstern«, sagt er, »kann man auch kein Wunder vollbringen. Meinem Vater hat dieser Stern nichts genützt.«
Sam Derringer schnauft. Er greift in die Schreibtischschublade und holt einen Stern heraus. Es ist genau genommen kein Stern wie ein Sheriffstern, eher eine Plakette in hufeisenähnlicher Form, in der ein Stern eingepresst ist.
Darunter steht im Halbrund: US DEPUTY MARSHAL.
Jim starrt auf das Ding nieder.
»Ich kann auch einen anderen Mann schicken«, sagt Sam Derringer. »Ich kann zum Beispiel Jeff Frazee schicken. Doch er könnte deinen kleinen Bruder gewiss nicht vor Dummheiten bewahren, so wie du es vielleicht kannst.«
Als Jim Jones dies hört, da weiß er, dass Sam Derringer ihm wahrhaftig einen Dienst erweisen will. Er erkennt schnell, dass er verhindern muss, dass ein anderer Mann auf der Fährte seines Bruders reitet.
»Ich werde diesen Blechstern nehmen«, sagt er. »Und ich bitte um die genauen Einzelheiten.«
»Zuerst muss ich dich unter Eid nehmen«, sagt der alte Falke.
☆☆☆
Jim Jones’ Pferd ist ein hagerer, mausgrauer Wallach, den man auf den ersten Blick fast für ein Maultier hält. Jim nennt ihn einfach nur Pete. Bei diesem Wort spitzt der Wallach stets die Ohren wie ein Hund, den sein Herr ruft.
Man kann nicht sagen, dass Pete über eine Meile Chancen gegen ein halbwegs schnelles Pferd hätte. Über fünf oder gar zehn Meilen sieht die Sache allerdings schon anders aus. Und wenn sich die Distanz gar über hundert, zweihundert oder fünfhundert Meilen beläuft, nun, dann gibt es kein besseres Pferd als Pete. Da kann er sie alle schlagen.
Deshalb beginnt Jim Jones den Ritt sehr zuversichtlich.
Denn der Ort, zu dem er will, liegt etwa fünfhundert Meilen weit entfernt. Er kann mit nicht unberechtigter Zuversicht hoffen, dass er seinen Bruder Adam einholen oder nicht sehr viel später dort eintreffen wird.
Der Ort heißt Watervale. Das bedeutet nichts anderes als Wassertal. Der Ort muss wohl an einem kleinen Creek liegen, der das Tal bewässert.
Da Pete nur langsam in Gang kommt und eine Menge Meilen benötigt, um sich erst richtig warm zu laufen, legt Jim in der ersten Nacht »nur« fünfzig Meilen zurück.
Dann rastet er zwei Stunden.
Während der nächsten zehn Stunden schafft er siebenundfünfzig Meilen, ein Zeichen dafür, dass Pete langsam in Fahrt kommt, zumal das Gelände rauer und beschwerlicher war als am Anfang.
Nun rastet er drei Stunden, kocht sich ein gutes Essen und wartet, bis der Mond aufgegangen ist und die Sterne strahlen.
Dann reitet er weiter.
Dreimal vierundzwanzig Stunden später haben Mann und Pferd etwa vierhundertdreißig Meilen geschafft, und noch etwa siebzig liegen bis Watervale vor ihnen.
Jim glaubt nun schon fast nicht mehr daran, dass Adam noch vor ihm ist. Er muss Adam irgendwann während der letzten Stunden überholt haben und auf einem anderen Weg geritten sein als der jüngere Bruder.
Es wird eine finstere Nacht. Jim hat das Feuer etwa fünfzig Schritte neben einem Wagenweg angezündet, sich rasch ein Abendessen bereitet, Kaffee gekocht und sich dann mit seinem Pferd vom Feuer entfernt. Er hat Pete gut versorgt, durchmassiert, abgerieben und an der Wasserstelle ganz abgewaschen. Das tat Pete gut. Nun hat er sich zwischen einigen Bäumen auf einer leichten Anhöhe niedergetan.
Jim hockt unter einer Tanne.
Er hört das Plätschern des kleinen Baches, der die Wasserstelle immer wieder füllt, sodass ein kleiner Weiher entstanden ist.
Er sieht das Feuer leuchten, später dann glühen. Und jenseits des Feuers sind die Radfurchen des Wagenweges.
Es gibt nur diesen einen Wagenweg über den fernen Hügelpass. Wenn er seinen Bruder Adam irgendwo überholt hat, müsste Adam drüben auf dem Wagenweg vorbeikommen – vorausgesetzt, er reitet jetzt in der Nacht noch.
Jim glaubt nicht, dass er besonderes Glück haben wird.
Vielleicht kommen ganz andere Reiter hier vorbei und halten an, um zu sehen, wessen Feuer dort brennt.
Jim spürt seine Sattelmüdigkeit in allen Gliedern. Er schläft für eine Weile ein.
Doch sein Schlaf ist so leicht wie der eines Apachen in der Wüste. Als er den Reiter kommen hört, erwacht er sofort.
Der Reiter hält kurz auf dem Wagenweg an und kommt dann herüber zum Feuer. Noch bevor er die Grenze des Feuerscheins erreicht, ruft er heiser und gepresst: »Hoi, wer gehört zu diesem Feuer? Ich möchte wissen, wer hier …« Die Stimme versagt ihm. Ein Husten wirft ihn fast vom Pferd.
Jim Jones kann die Silhouette des Reiters gut erkennen. Er begreift, dass der Fremde entweder krank oder verwundet ist. Und es ist bestimmt nicht sein Bruder Adam. Dieser Mann dort auf dem Pferd ist älter, viel älter.
Jim nähert sich dem Reiter auf der anderen Seite des Feuers. Er trägt sein Gewehr in der Rechten und hat die Linke dicht über dem Revolvergriff. Er bleibt außerhalb der Lichtgrenze und sagt dabei: »Kommen Sie doch an mein Feuer, Mister. Ich bin allein. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
Der Mann im Sattel reißt sich noch einmal zusammen.
»Gewiss«, spricht er gepresst. »Ich habe eine Kugel in der Hüfte und kann sie mir allein nicht entfernen. Ich reite schon seit zwanzig Stunden mit dieser Kugel und schaffe es ganz sicher nicht mehr bis Watervale, wenn ich nicht jemanden finde, der mir die Kugel entfernt.«
Jim Jones hört es, denkt zwei Sekunden lang nach und nickt dann.
Der Mann im Sattel atmet langsam aus – zitternd und seufzend, so als löse sich in ihm ein Krampf, eine Spannung.
»Ich kann Ihnen helfen«, murmelt Jim, »wenn die Kugel nicht zu tief sitzt.«
Er nimmt das Pferd am Zügel und führt es zum Feuer.
Der Mann sagt indes seufzend: »Es ist ein Querschläger. Die Kugel ist an einem Felsen abgeprallt und schlug wohl quer in die Hüfte. Helfen Sie mir beim Absitzen.«
Jim hilft wortlos. Er stellt dabei fest, dass der Mann etwa zehn Jahre älter ist als er, also fast vierzig Jahre. Er ist bestimmt ein harter Mann. Das Pferd, auf dem er sitzt, ist erstklassig. Es ist ein echter Vollbluthengst aus Kentucky. Doch jetzt ist es am Ende seiner Kraft und kann kaum noch auf den Hufen stehen. Dieser Mann ist schon viele Tage unterwegs.
Vor sich hat der Reiter zwei prall gefüllte Satteltaschen. Jim schlägt einmal kurz mit der Faust dagegen. Es klirrt zwar nicht nach Goldstücken, doch glaubt Jim mit Sicherheit, dass die beiden Taschen mit goldenen Zwanzig-Dollar-Stücken gefüllt sind.
Der Mann stöhnt gepresst, als er ihm vom Pferd hilft. Jim fühlt, dass der Mann unter der Kleidung einen prall gefüllten Geldgürtel trägt. In den vielen Taschen dieses Geldgürtels wird Papiergeld sein, Hundertdollarscheine sicherlich.
Wenig später hat Jim den Mann neben dem Feuer auf einer Decke liegen. Er hat ihm Hose und Hemd geöffnet. Der Mann nimmt den auf der einen Seite blutigen Geldgürtel ab.
Jim sieht nun die Wunde, nachdem er einen blutigen Verband entfernte, den sich der Mann gewiss selbst angelegt hat.
Die Wunde sieht böse aus. Sie ist groß, wie sie nur ein Querschläger verursachen kann.
Und sie beginnt sich schon zu entzünden.
Ist der Fremde ein Flüchtling, der von Aufgeboten verfolgt wird, weil er eine Bank ausraubte oder einen Geldtransport überfiel?
Oder warum ist er sonst mit zwei Packtaschen und einem dicken Geldgürtel voller Geld unterwegs?
Jetzt ist er am Ende seiner Kraft und braucht Hilfe. Er musste sich an den ersten Menschen wenden, den er traf. Wahrscheinlich ist seine Not so groß, dass es ihm erst einmal gleich ist, ob der Mensch gut oder vielleicht schlecht und das viele Geld in Gefahr ist.
Jim Jones holt Wasser und ein Handtuch. Er säubert die Seite und gießt dann aus einer kleinen Flasche Whisky in die Wunde. Den Rest des Whiskys gibt er dem Mann zu trinken. Dann hält er die Klinge seines Messers über das Feuer und macht sich an die Arbeit.
Er schafft es ziemlich schnell, und sein Patient knirscht dabei mit den Zähnen und schnauft stöhnend.
Oh, dieser Mann ist wirklich hart. Jim glaubt ihm jetzt, dass er schon zwanzig Stunden mit dieser Wunde und der Kugel darin im Sattel saß. Ein eisenharter Bursche.
Er zeigt ihm dann die Kugel. »Da ist das Ding, Mister«, sagt er dabei. Nun legt er ihm das Handtuch auf die Wunde und reißt einen langen Streifen von der Decke. Er umwickelt den Leib des Mannes stramm damit, sodass das Handtuch fest auf die Wunde gepresst wird. Er hofft, dass der Whisky und die heftige Blutung nun die beginnende Entzündung bekämpfen.
Der Mann liegt mit geschlossenen Augen keuchend da. Er kämpft sicherlich gegen seine Schwäche an, die ihn bewusstlos zu machen droht. Und er will nicht die Besinnung verlieren.
Er muss Verfolger auf der Fährte haben.
»Wer sind Sie? Wohin wollen Sie? Sind Sie auf der Flucht? Sie haben eine Menge Geld bei sich, nicht wahr?«
Jim stellte diese Fragen ruhig. Dann wartet er und lauscht in die Nacht.
Der Mann am Boden hat nun wieder etwas Kraft geschöpft.
»Ja«, sagt er mühsam. »Ich habe eine Menge Geld bei mir. Es sind mehr als vierzigtausend Dollar. Aber sie gehören mir nicht. Die kleinen Rancher im Bezirk um Watervale stellten eine Sammelherde zusammen. Ich bin mit dem Erlös für diese Herde nach Watervale unterwegs. Mein Name ist Tom O’Rourke. Ich bin der Sheriff von Watervale. Und wenn Sie mir jetzt das Geld wegnehmen, Fremder, so sind Sie ein ganz besonderer Schuft. Viele Familien werden von ihrem Besitz vertrieben, wenn das Geld nicht rechtzeitig in Watervale eintrifft. Wer sind Sie? Was tun Sie hier? Ich muss Ihnen sehr danken, dass Sie mir halfen. Doch nun kann ich wohl nur hoffen, dass Sie kein Schuft, sondern ein redlicher Mann sind.«
Jim nickt, als er dies hört. »Ja«, sagt er, »dies können Sie nur hoffen. Denn bei einem Betrag von mehr als vierzigtausend Dollar und in einer Situation wie dieser, da würden wenige Burschen zögern. Es wäre leicht, mit dem Geld davonzureiten. Vierzigtausend Dollar sind ein mächtiger Berg Geld. Ein Cowboy müsste an die hundert Jahre dafür arbeiten. Und jetzt sind sie binnen weniger Sekunden und mit Leichtigkeit zu bekommen.«
»Ja«, stöhnt O’Rourke.
Jim lächelt schief und sagt zu Tom O’Rourke: »Keine Sorge, Sheriff. Sie haben Glück gehabt. Obwohl ich vierzigtausend Dollar gut gebrauchen könnte und es für einen hungrigen Burschen keine bessere Gelegenheit geben kann als diese hier, bin ich nicht interessiert an dem Geld.«
»Sie müssen es möglichst schnell nach Watervale zu meiner Tochter Jennifer bringen. Die wird dann schon für alles, was nötig ist, sorgen. Ich kann nicht weiter. Ich bin erledigt. Und so muss ich Ihnen vertrauen, Freund. Wollen Sie …«
»Still«, sagt Jim leise, doch unverkennbar scharf. Er entfernt sich plötzlich weiter vom Feuer bis unter einen Baum.
Es vergehen einige Minuten.
Das Feuer brennt nun wieder niedriger. Tom O’Rourke liegt still da und rührt sich nicht.
Jim lauscht.
Dann hört er die Pferde wieder, und er weiß, dass die Reiter dort draußen in der Nacht angehalten haben, um das Feuer zu beobachten. Nun kommen sie näher heran. Bald darauf kann er ihre Silhouetten erkennen. Sie halten an und sitzen ab.
Und erst dann fragt eine Stimme: »Ist Tom O’Rourke dort?«
Es ist eine kalte, leidenschaftslose Stimme, die Stimme eines Mannes, der eine lange Fährte verfolgte und nun gewiss ist, das Ende dieser Fährte erreicht zu haben.
Tom O’Rourke hat sich am Feuer auf der Decke mit letzter Kraft etwas aufgesetzt. Er hat jedoch keine Waffe in Reichweite. Jim hat ihm den Revolvergürtel abgenommen, um ihm besser die Kleidung öffnen zu können.
Nun sagt Tom O’Rourke heiser und gepresst: »Ihr habt mich nun endlich, ihr Schufte. Aber es …«
»Bitte, schweigen Sie, Mister O’Rourke.« Jim Jones ruft es entschieden. Er tritt vor, denn er weiß inzwischen, dass nur zwei Reiter kamen. Sie weichen etwas auseinander, aber nicht zu weit.
»Mister O’Rourke kann nicht mehr kämpfen«, sagt Jim nach einer kurzen Pause. »Wenn Sie den Wunsch haben, irgendwelche Dinge zu regeln, so wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.«
Seine Worte sind eine kühle und deutliche Warnung, aber auch eine Herausforderung. Sie begreifen, dass er ein Mann ist, der sich vor zwei Revolverschwingern nicht fürchtet.
Also muss er selbst ein Künstler mit dem Revolver sein.
Als sie einige Atemzüge lang darüber nachgedacht haben, kommt auch schon die zwangsläufig zu erwartende Frage: »Nun gut, wer sind Sie, Bruder? Verraten Sie uns mal Ihren Kriegsnamen, bevor wir zur Sache kommen.«