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Es sollte ihr Weg in die Freiheit sein, doch er endete in der Hölle. Aber Lizzy ist nicht nur schön und erlebnishungrig, sondern auch eine Kämpferin mit dem Herzen einer Löwin ...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Lizzy Bronks Weg
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Del Nido/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9745-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Lizzy Bronks Weg
Auch an diesem Morgen ist Lizzy Bronk wieder einmal allein auf der kleinen Hügelranch. Aber auch dieser Tag wird ihr nicht langweilig werden, denn es gibt eine Menge für sie zu tun. Sie ist die einzige Frau auf der Ranch, wenn auch noch ein Mädchen. Und sie muss die ganze Frauenarbeit verrichten. Ihre Mutter starb zu früh. Sie wuchs unter rauen Brüdern auf, die ihrem Vater nacheiferten. Und zurzeit sind sie unterwegs auf der Maverick-Jagd.
Sie ist gerade dabei, Wäsche aufzuhängen, und als sie einmal aufblickt, da sieht sie über die Wäscheleine hinweg den Reiter. Er kam unbemerkt näher, denn die großen Bettlaken versperrten ihr die Sicht. Ihr Staunen ist gewaltig, denn noch niemals sah sie einen schöneren Mann. Dieser Mann kommt ihr wie ein junger Gott vor, der auf die Erde niederstieg. Und weil sie soeben das Lied von Slim Wonderful sang, fragt sie impulsiv: »He, sind Sie Slim Wonderful?«
Er lacht und zeigt weiße Zahnreihen in einem sonnengebräunten Gesicht unter dem blonden Sichelbart. »Und wenn ich es wäre, du schönstes aller Mädchen?«, fragt er zurück.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, Sie sind es nicht, Mister«, spricht sie. »Was wollen Sie hier auf der Bronk Ranch, mitten in den einsamen Antelope Hills? Sie sehen nicht so aus, als suchten Sie Arbeit. Also?« Ihre Stimme wurde härter. Und nun betrachtet sie den Fremden nicht mehr staunend, sondern hartäugig …
Er nimmt den Hut ab und schüttelt sein langes Lockenhaar.
Dann ändert er jäh sein Verhalten und sagt: »Schöne Miss, meinem Pferd fehlt ein Eisen. Aber ich habe es mitgebracht. Mir fehlen nur ein paar Hufnägel und ein Hammer, um es wieder anschlagen zu können. Kann ich …«
Sie deutet hinüber zu einem halb offenen Schuppen, aus dessen Dach der Kamin einer Schmiedeesse ragt.
»Dort ist unsere Schmiede«, spricht sie.
Er sitzt ab, und als er um die aufgehängte Wäsche herum vor sie hintritt, bewegt er sich geschmeidig wie ein Berglöwe. Und sie denkt: Oh, was für ein Bursche ist das! Der sieht genau so aus wie jener, den ich mir immer wieder wünschte und mit dem ich oft in meinen Träumen glücklich war. Was ist das für eine Fügung? Das Schicksal muss ihn zu mir in die Einsamkeit unserer Hügel geführt haben, ja, das Schicksal, das die Wege der Menschen bestimmt.
Wieder betrachtet sie ihn staunend. Aber auch er staunt sie an und spricht dann: »Oh, ich sah noch nie ein so schönes Mädchen. Was tun Sie hier in dieser Einsamkeit? Hier verdorren Sie doch wie eine Rose in der Wüste. Was für eine Verschwendung! Oha, Miss Wonderful, Sie könnten die ganze weite Welt glücklich machen, allein schon durch Ihre Schönheit. Und Sie vertrocknen hier in der Einsamkeit dieser Hügel. Wissen Sie eigentlich, was Ihnen alles entgeht? Kennen Sie auch nur einen winzigen Bruchteil von den Schönheiten dieser Welt? Wissen Sie eigentlich, dass es dort draußen in der weiten Welt herrliche Abenteuer zu erleben gibt? Und Abenteuer machen das Leben süß. Waren Sie schon jemals am Mississippi, dem großen Strom und der gewaltigen Lebensader unseres weiten Landes? Haben Sie schon mal von den Städten New Orleans oder Saint Louis gehört? Haben Sie schon mal die eleganten Menschen gesehen, die prächtigen Theater, die berühmten Schauspieler, die großartigen …«
»Hören Sie auf«, unterbricht sie ihn. »Beschlagen Sie Ihr Pferd und machen Sie, dass Sie weiterkommen.«
Sie wendet sich ab und geht in die größere Hütte hinein. Es sieht fast wie eine Flucht aus.
Er blickt ihr nach und kann erkennen, wie geschmeidig und leicht sie sich bewegt.
Ihre langen Röcke schwingen ihr um die Beine. Er wird sich darüber klar, dass sie makellos gewachsen ist. Und so denkt er: Oha, sie ist wie eine Goldader. Man müsste ihr noch eine Menge beibringen, das ist klar. Aber dann …
Er nimmt sein Pferd und geht hinüber zur Schmiede, findet dort alles, was er benötigt an Werkzeug und auch Hufnägeln. Zuerst bearbeitet er noch mal den Huf seines grauen Wallachs, dann schlägt er ihm das Eisen wieder an.
Und als er dann seinen Wallach zum Tränktrog führt, da taucht das schöne Mädchen wieder auf.
Sie betrachten sich forschend. Und er sagt: »Sie sind einfach zu schön, um hier in den Hügeln zu verdorren. Mit wem leben Sie hier?«
»Mit meinem Vater und meinen Brüdern.«
Sie macht eine kleine Pause, leckt sich mit der Zungenspitze über die vollen Lippen und spricht dann entschlossen: »Ich habe für uns ein Essen zubereitet. Ich lade Sie ein. Wir werden auf der Veranda essen. Und dann können Sie mir was von der weiten Welt dort draußen erzählen, von der ich noch nie etwas gesehen habe. Nein, ich war noch niemals am Mississippi. Dort soll es riesige Raddampfer geben, schwimmende Luxushotels. Wollen Sie mir nicht endlich Ihren Namen sagen, Mister?«
Er lächelt blinkend. Dann fragt er: »Und wann kommen Ihr Vater und Ihre Brüder wieder heim?«
»Vielleicht heute, vielleicht erst in einigen Tagen. Sie sammeln eine Rinderherde. Wie also ist Ihr Name?«
»Ich heiße Guy Banks.« Er lächelt. »Und ich habe noch niemals ein so schönes Mädchen gesehen. Ja, ich werde Ihnen eine Menge über die weite Welt erzählen beim Essen. Und dann werden Sie zu begreifen beginnen, was Ihnen hier in den einsamen Hügeln alles entgeht.«
Sie wendet sich wortlos ab und geht voraus.
Er folgt ihr wie ein listiger Fuchs einem Huhn. Und er grinst zufrieden. Denn er ist ein erfahrener Bursche. Und jede Wette würde er darauf eingehen, dass sie noch eine Jungfrau ist. Er kennt sich da aus.
Er würde ihr gern eine Menge mehr beibringen. Und dumm ist sie nicht, nein, sie ist gewiss kein Hinterwäldlertrampel, eher ein ungeschliffener Edelstein.
☆☆☆
Es wird früher Nachmittag. Das Essen zog sich in die Länge, denn sie redeten eine Menge. Sie stellte Fragen, die er ausführlich beantwortete. Er erzählte ihr viel von seinen Wegen, und gewiss ist er ein ziemlich gebildeter Bursche, der als Gentleman auftreten kann unter anderen gebildeten Gentlemen.
Sie lauscht seinen Worten immer begieriger. Ihre Blicke hängen an seinen Lippen.
Und schließlich wagt er es. Denn er spricht: »Ich würde dich gerne mitnehmen, schöne Elizabeth. Aber das würden dein Vater und deine Brüder gewiss nicht erlauben. Du müsstest also ausreißen. Und dazu gehört eine Menge Mut. Denn du müsstest mir vertrauen. Wir würden ein Paar sein. Verstehst du, wir würden ein Paar sein?«
Sie bekommt einen nach innen gerichteten Blick. Dann aber sieht sie ihn wieder fest an und murmelt: »Ich dachte schon manchmal daran, einfach von hier auszureißen. Ich bin schon siebzehn Jahre und immer noch Jungfrau. Ich glaube, du würdest mir eine ganze Menge auf vielen Gebieten beibringen. Und du würdest mich auch beschützen in diesem Dschungel. Für mich wäre die Welt dort draußen wie ein Dschungel.«
Er nickt, und sein Lächeln ist das eines freudigen Siegers.
»Du könntest dich auf mich verlassen, Elizabeth. Aber wir würden ein Paar sein. Verstehst du?«
Sie nickt. »Ja, du würdest der erste Mann sein, dem ich gehöre.«
Sie erhebt sich plötzlich. »Ich packe meine wenigen Sachen zusammen. Dann satteln wir mein Pferd. Es ist die rote Stute im Corral. Und dann können wir reiten. Ja, ich will den Mississippi sehen und …«
☆☆☆
Als sie losreiten, trägt sie Hosen wie ein Mann. Und unter ihrem Stetson ist ihr rotgoldenes Haar verborgen. Dieses rotgoldene Haar und ihre grünen Augen werden jeden Mann verrückt machen.
Guy Banks weiß es zu genau.
Aber er wird einige Monate intensive Schulung in sie investieren müssen, immer wieder mit ihr üben, üben, üben. Doch in den Nächten wird er ihr eine Menge anderer Dinge beibringen und selbst eine Menge Spaß dabei haben.
Er weiß es, denn er ist erfahren. Und so reiten sie also am Nachmittag weg von der Hügelranch der Bronks.
Da Lizzy für ihren Vater und die Brüder eine Nachricht hinterließ, konnte er feststellen, dass sie richtig das Schreiben und auch das Lesen beherrscht. Sie gab ihm den Zettel sogar zu lesen.
Da stand geschrieben:
Ich habe genug von diesem Leben hier – und auch von euch.
Und deshalb haue ich jetzt ab.
Lizzy
Das sind die Worte, die sie ihrer Familie zum Abschied hinterließ.
Und sie gefielen ihm.
Nun reiten sie also nebeneinander wie ein Paar, und er weiß, dass er sie schon in der folgenden Nacht, wenn sie das Camp aufgeschlagen haben, unter seiner Decke in den Armen halten und von ihr alles bekommen wird, was ein Mädchen einem Mann geben kann.
Sie wurden Gefährten. Und sie will ihren Preis bezahlen. Es gibt nichts geschenkt auf dieser Erde. Dies jedenfalls hat sie schon begriffen.
Und sie will die weite Welt sehen.
Er aber ist ein blendend aussehender Bursche.
Er gleicht sogar dem Wunschbild, das sie sich von einem Mann machte. So wie ihn hat sie sich stets den Mann vorgestellt, dem sie eines Tages gehören wollte.
Der Instinkt einer Eva sagt ihr auch, dass sie ihn süchtig machen und beherrschen kann mit ihrer Schönheit, wenn sie es nur richtig anstellt.
☆☆☆
Es ist am nächsten Morgen, als sie in seinen Armen erwacht. Und etwas ungläubig erinnert sie sich an alles, was geschehen ist. Würde sie nicht in Guy Banks’ Armen liegen, dann könnte sie alles für einen Traum halten.
Aber sie liegt unter seiner Decke in seinen Armen, und sie wurde gewissermaßen seine Frau. Ja, er nahm sich, was sie auch zu geben bereit war, denn sie sind ja ein Paar, wurden Gefährten.
Und jetzt nimmt er mich mit zum Mississippi und von dort aus in die weite Welt, denkt sie voller Freude und Neugierde. Ich bin endlich weg von meiner Familie und raus aus den einsamen Hügeln. Ich wurde erlöst von einem Prinzen. Ja, so muss ich es wohl sehen.
Sie erinnert sich, wie sie bei Nachtanbruch hier am kleinen See das Camp aufschlugen, ein Feuer machten, etwas brieten und kochten und sich dann so glücklich vereinten.
Plötzlich denkt sie: Ich will im See ein Bad nehmen.
Und so löst sie sich sacht aus seinem Arm, geht zum See hinunter und entledigt sich dort ihrer Kleidung. Das Wasser ist klar und frisch.
Sie kann ein wenig schwimmen, und sie erinnert sich wieder daran, dass sie schon als kleines Kind von ihren Brüdern mal in einen See geworfen wurde und einfach wie ein Hundewelpe schwimmen musste, wollte sie nicht ertrinken.
Sie schwimmt also im See umher.
Doch dann kommen die Reiter.
Sie nähern sich leise im Schritt und umzingeln das kleine Camp, wo Guy Banks immer noch unter der Decke liegt und schläft.
Der Morgen ist noch nicht sonnenhell. Die Welt hier bekommt jetzt allmählich ihre Farben und ist nicht länger mehr grau.
Lizzy möchte einen Warnruf ausstoßen, doch sie begreift, dass Guy dann vielleicht im ersten Reflex etwas tun würde, was ihn das Leben kosten könnte.
Denn die Reiter, die so leise durch das hohe Gras geritten kamen, halten ihre Waffen schussbereit.
Lizzy ist im Wasser durch die Uferbüsche ein wenig gedeckt. Und sie verharrt geduckt, hat also Grund unter den Füßen und hält nur den Kopf über Wasser.
In ihr ist plötzlich eine heiße Furcht.
Sie muss die fünf Reiter für Banditen halten. Und wenn sie erst herausfinden, dass da ein nacktes Mädchen im See hockt …
Sie wagt gar nicht weiterzudenken.
Dann aber hört sie eine harte Stimme grimmig rufen: »Hoiii, Guy Banks, jetzt haben wir dich! Wach auf, du Sohn von tausend Vätern!«
Guy Banks bewegt sich endlich unter der Decke. Er bringt unter dieser seine Hand zum Vorschein und zeigt damit, dass er nicht nach der Waffe griff, die er neben sich liegen hat. Er setzt sich langsam auf und sieht sich um.
»Oha«, grinst er dann, »ihr habt meine Fährte also nicht verloren. Da müsst ihr aber verdammt hart geritten sein. Denn mein Vorsprung war riesengroß. Zu welchem Gerichtshof wollt ihr mich denn bringen? Denn ich werde doch hoffentlich einen fairen Prozess bekommen – oder?«
Als er verstummt, da ist in seiner Stimme beim letzten Wort ein verzweifelter Klang. Lizzy hört es genau. Dann herrscht einige Atemzüge lang drohendes Schweigen.
Lizzy verspürt plötzlich eine Furcht wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Und die Frage von Guy Banks hängt immer noch gewissermaßen unbeantwortet im heller werdenden Morgen.
Sie hört die harte und unduldsame Stimme des Anführers sagen: »Der Gerichtshof ist hier! Und das Urteil ist längst gesprochen. Du wirst hängen, Guy Banks!«
Da will dieser doch nach dem Colt greifen, den er neben sich auf der geteerten Zeltplane liegen hat, die ihm und Lizzy als Unterbett diente.
Aber da kommt das lange Ende einer Maultiertreiberpeitsche und zerschlägt ihm den Unterarm. Er springt brüllend hoch und will zwischen den Reitern hindurch die Flucht zu den dichten Büschen ergreifen.
Doch er schafft es nicht. Einer der Reiter rammt ihn mit der Schulter seines Pferdes. Er überschlägt sich fast am Boden. Und als er hochkommt, da fallen zwei Lassoschlingen über ihn und werden festgezurrt.
Nun haben sie ihn.
In der Nähe steht eine gewaltige Burreiche mit ausladenden Ästen, ein Ungetüm von einem Baum, sozusagen ein Monarch aller Bäume in dieser Gegend.
Vom See aus kann Lizzy sehen, wie sie ihn hängen. Ja, sie kennen keine Gnade. Sie hängen ihn auf, und Lizzy möchte gellend schreien, bringt jedoch keinen Ton aus ihrer Kehle.
Aber sie springt endlich aus dem See und beginnt sich anzukleiden. Doch das ist nicht so einfach, denn mit dem nassen Körper kann sie nicht so rasch in ihre Unterwäsche schlüpfen.
Als sie dann angezogen aus den Uferbüschen tritt, da sieht sie Guy Banks an der mächtigen Burreiche baumeln – und nun wirkt er nicht mehr wie ein junger Gott, der auf die Erde niederstieg, sondern armselig, schlaff, so wie ein Gehängter nun mal aussieht, wenn alles Leben aus ihm gewichen und sein Körper nur noch eine leere Hülle ist.
Sie verharrt in einiger Entfernung und hält mit beiden Händen ihren Halsansatz umfasst, so als könnte sie dadurch besser ein Schreien zurückhalten.
Die fünf Reiter kommen nun zu ihr geritten und bilden einen Halbkreis um sie. Sie kennt sich aus mit solchen Reitern und glaubt, dass sie einen Cattle King mit vier hartbeinigen Revolverreitern sieht.
Und heiser fragt sie: »Wollt ihr auch mich hängen?«
Der ältere Mann, den sie für einen typischen Cattle King hält, also für einen Rancher, der auf seiner Riesenranch wie ein König lebt und herrscht, dieser Mann kommt zu ihr geritten und blickt vom Sattel aus auf sie nieder.
»O Mädchen«, spricht er mit einer Stimme, die nun ganz anders ist als zuvor. »Wir kamen bei deiner Familie vorbei auf der Fährte dieses Hurensohnes. Wir reiten nun zurück. Sollen wir dich mitnehmen? Möchtest du wieder heim, nachdem dieser Mistkerl nicht mehr lebt? Allein würdest du wahrscheinlich untergehen in dieser verdammten Welt, die er dir gewiss zeigen wollte. Du hast einen Vater und Brüder. Willst du zurück? Wir nehmen dich mit. Ich bin Zerb Mittchum. Jeder kennt mich in Nebraska. Und dieser Guy Banks hat meinen Sohn erschossen, meinen einzigen Sohn und Erben. Deshalb musste ich Guy Banks hängen. Verstehst du, Mädchen. Also?«
Sie sieht zu ihm hoch und schüttelt den Kopf.
»Nein, Mister Mittchum«, hört sie sich heiser sprechen, »ich will nicht zurück zu meiner Familie. Ums Verrecken will ich nicht zurück. Ich will zum Mississippi, verstehen Sie?«
Er starrt auf sie nieder, hebt die Hand und wischt sich über sein stoppelbärtiges Gesicht. Dann zieht er wortlos sein Pferd herum und reitet an. Seine vier Reiter folgen ihm.
Und an der mächtigen Burreiche hängt immer noch die leibliche Hülle von Guy Banks.
Vielleicht ist seine Seele auf dem Weg zur Hölle oder gar schon dort angekommen.
Lizzy geht sie weiter, bis sie dort steht, wo Guy Banks’ Füße vor ihrem Gesicht baumeln. Immer wieder muss sie hart schlucken. Tränen rinnen über ihre Wangen. Es ist ihr, als hätte man ihr etwas genommen, was ein Stück von ihr selbst war.
»O Guy«, flüstert sie, tritt zwei Schritte zurück und blickt zu ihm empor, »o Guy, du warst nicht fair zu mir. Du hättest mir sagen müssen, dass du auf der Flucht warst und Schatten auf der Fährte hattest. Du hättest es mir sagen müssen, dass du ein Gejagter bist. Verdammt, Guy …«
Sie kann ihn da nicht hängen lassen. Nein, das will sie nicht. Und so geht sie, um ihr Pferd zu satteln. Denn nur vom Sattel aus kann sie ihn abschneiden.
Und dann hat sie auch noch sein Pferd. Dieses nahmen die Verfolger nicht mit.
Gewiss durchsuchten sie auch nicht seine Taschen. Sie weiß, dass er einen gefüllten Geldbeutel bei sich hat.
Also wird es ihr für eine gewisse Zeit nicht schlecht gehen.
☆☆☆
Sie ist langes Reiten gewöhnt, denn oft genug verrichtete sie wie ihre Brüder Sattelarbeit auf der Weide, jagte als Cowgirl ungebrändete Rinder und Wildpferde.
Und so reitet sie Tag für Tag und bezieht in den Nächten einsame und verborgene Camps. Dennoch hat sie in diesen Tagen und Nächten eine Menge Glück – oder sie wird ganz einfach von der Gunst eines ihr gewogenen Schicksals beschützt.
Dann stößt sie an einem dieser Tage des langen Reitens an einen Fluss.
Zuerst glaubt sie in ihrer Unerfahrenheit und Unwissenheit, dass es der Mississippi wäre. Sie weiß ja nicht, dass sie in Nebraska niemals den Mississippi finden kann.
Als sie den Fluss erreicht hat, da sieht sie, dass er wohl ziemlich breit, aber zugleich auch sehr flach ist. Sie weiß nicht, dass es der South Platte ist. Doch sie erreicht wenig später am Fluss einen Wagenweg. Es ist der Oregon Trail, aber auch das weiß sie nicht. Sie lebte ja in den Antelopehügeln wie auf einer einsamen Insel.
Am frühen Nachmittag dann kommt ihr ein Wagenzug entgegen. Sie reitet zur Seite, um die schweren Frachtwagen an sich vorbeiziehen zu lassen.
Ein Reiter kommt zu ihr herübergeritten, hält vor ihr an und fragt ziemlich barsch: »He, Junge, woher kommst du denn?«
Aber dann erkennt der Mann, dass er ein Mädchen vor sich hat, staubig, sonnenverbrannt und etwas verwildert wirkend. Dennoch erkennt er die Schönheit dieses Mädchens und staunt.
»He, der Teufel soll mich holen, wenn du nicht ein Mädchen bist«, staunt er. »Aber was macht ein Mädchen allein am South Platte? Sag es mir!«