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Ihre Väter lieferten sich einen erbarmungslosen Kampf um das beste Land im Tal. Und in den Söhnen schwelte der Hass weiter - bis er auch zwischen ihnen zum Ausbruch kam ...
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Starken
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9746-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Starken
Es war ein erbarmungsloser Kampf. Zwei Männer standen sich gegenüber, und jeder wollte den anderen vernichten.
Zwei Jungen wurden Zeugen des grausamen Schauspiels: Clay Cloudman und Thor Palance, die Söhne der beiden Männer. Sie erlebten mit, wie der Hass ihrer Väter in nackte Gewalt umschlug. Am Ende stand Clays Vater noch auf den Beinen, und Thors Vater lag besiegt am Boden.
Clay war stolz auf seinen siegreichen Vater, stolz darauf, ein Cloudman zu sein.
Thor schämte sich. Bisher war ihm sein Vater riesengroß und unüberwindlich erschienen, doch jetzt war er bezwungen worden. In dieser bitteren Stunde brach für Thor Palance eine Welt zusammen. Er hatte nur noch einen Wunsch: eines Tages Clay Cloudman zerschmettert am Boden liegen zu sehen, um die Niederlage seines Vaters wettzumachen.
Und als Clay und Thor selbst die Starken im Land geworden waren wie damals ihre Väter, kam die Stunde der Abrechnung. Von Neuem begann der gnadenlose Kampf der Giganten …
Clay Cloudman bückt sich unter dem Haltegeländer hindurch zum Plankensteig hinauf. Als er sich aufrichtet, erkennt man erst, wie groß er ist. Im Sattel wirkt er kleiner und massiger.
Er ist ein Mann mit langen Beinen, schmalen Hüften und massigen Schultern. Ein alter Colt hängt an seiner Seite.
Langsam bewegt er sich auf die große Schwingtür des Saloons zu, stößt sie auf und tritt ein.
Duff Lane steht hinter seinem Schanktisch und jagt mit einer Fliegenklatsche Fliegen. Als Clay den Schanktisch erreicht, erwischt der Saloonwirt einen besonders dicken Brummer. Dann sieht er Clay Cloudman an und betrachtet ihn sorgfältig. Es ist ein sehr ernstes Forschen in seinem Blick.
Dann nickt er und füllt zwei Gläser mit Whisky aus einer besonderen Flasche, aus der außer Clay Cloudman noch niemand von den Gästen getrunken hat.
Die beiden Männer prosten sich zu, trinken und stellen die Gläser ab. Sie haben bisher noch kein Wort gesprochen. Erst als sie sich aus einer Zigarrenkiste bedienen, murmelt Duff Lane sanft: »Einige Burschen der Jury sind feige. Die Gerichtsverhandlung wird gleich beendet sein. Die Jury wird kein Schuldig sprechen. Bald wird Meece Cliff hier am Schanktisch stehen und sich von mir einen Whisky einschenken lassen.«
Clay Cloudman hört die bitteren Worte, indes er umständlich die ausgewählte Zigarre in Brand setzt. Als sie brennt, hebt er die Schultern und sagt sanft: »Wenn er freigesprochen wird, kann er auch einen Whisky trinken, nicht wahr? Freispruch ist Freispruch.«
Nach diesen Worten geht Clay zum Billardtisch hinüber. Er legt sich die Bälle zurecht und probiert einen Rückläufer. Es gelingt ihm präzise.
Er will es nochmals versuchen. Bevor er jedoch beginnt, kommt Duff Lane hinter dem Schanktisch hervor, stellt sich an den Billardtisch und sagt: »Dieser Ball dort, der da etwas abseits liegt, das bist du, mein Junge. Der Stock in der Hand, das ist Thor Palance, verstehst du? Und er stößt die anderen Bälle so, dass sie zwar scheinbar woanders hinlaufen aber irgendwie dann auf dich zukommen. Alle Dinge kommen immer mehr auf dich zu, Clay. Und du wirst ihnen nicht ausweichen können. Sie werden eines Tages hart gegen dich prallen und hoffentlich dein Gehirn wieder in Tätigkeit setzen. Hast du mich verstanden, mein Freund?«
»Genau.« Clay grinst. Er hat einen festen, breiten Mund, eine kurze, gerade Nase, hohe Wangenknochen und dichte Augenbrauen. Seine Augen sind von einer rauchgrauen Farbe. Sein Gesicht ist braun und sehr glatt. Nur an den Augenwinkeln sind kleine Fältchen. Er hat den alten Hut zurückgeschoben, und sein Haar ist so rot wie eine Flamme. Er gibt Duff Lane den Stock.
»Versuch es mal. Dieser Ball da, das bin also ich.«
Der Wirt versucht es. Er gibt sich alle Mühe. Aber der Rückläufer gelingt ihm nicht.
»Thor Palance ist ein besserer Spieler als ich«, knurrt er und geht zum Schanktisch zurück.
Draußen auf der Straße wird es laut. Viele Schritte nähern sich.
Aber ein Mann ist noch vor den anderen Männern da. Er kommt in den Raum gestürmt und ruft: »Einen großen Whisky, Duff! Sie haben ihn freigesprochen!«
Der Mann, es ist ein Farmer im blauen Overall, wendet sich bei den letzten Worten Clay Cloudman zu. Aber der spielt ruhig Billard und tut so, als ginge ihn das alles nichts an.
Nun kommt eine ganze Gruppe von Männern in den Saloon. Es sind Siedler, Farmer und kleine Rancher. Indes sie zum Schanktisch gehen, starren sie zu Clay Cloudman hinüber.
Der legt plötzlich den Stock weg und verlässt den Saloon.
Er tritt auf die Straße hinaus und wendet sich nach rechts. Langsam geht er den Plankengehsteig entlang, und er wirkt sehr ruhig, unerschütterlich und selbstsicher.
Die Straße ist jetzt sehr belebt. Viele Menschen beobachten ihn. Es sieht so aus, als zöge er alle Blicke auf sich wie ein Signal oder ein Magnet.
So nähert er sich dem Restaurant, in dem die Verhandlung stattgefunden hatte. Denn Royal ist eine kleine Stadt und hat keine Versammlungshalle.
Vor dem Restaurant schwingen sich soeben über ein Dutzend Reiter in die Sättel. Es ist ein hartes Rudel, das da in die Sättel klettert.
Und dann kommen noch drei Männer aus dem Restaurant.
Es sind Thor Palance, sein Vormann Meece Cliff und der spindeldürre Advokat Frank Zinnek.
Auch sie sehen Clay Cloudman kommen, und sie wenden sich ihm sofort zu.
Thor Palance lächelt. Er ist noch zwei Fingerbreit größer als Clay. Er ist auch etwas schwerer. Seine braunen Augen und sein dunkles Gesicht sind jedoch lebendig. Er ist ein Mann mit schnellen Bewegungen und schnellen Entschlüssen. Er ist prächtig proportioniert. Seine weißen Zahnreihen blitzen.
Aber in der sanften Glätte seiner Worte schwingt ein stählerner Klang.
Er sagt: »Clay, deine Zurückhaltung in dieser Sache war erfreulich. Und vielleicht war sie auch klug, nicht wahr? Die Jury hat gesprochen, und sogar der große Clay Cloudman sollte sich damit abfinden. Was mich betrifft, nun, Clay, ich suche keinen Streit mit dir. Wir haben unsere Grenzen schon vor langer Zeit abgesteckt, nicht wahr? Bleib nur immer auf der anderen Seite des Zaunes.«
Clay Cloudman sieht ihn ruhig an. Dann wendet er sich Meece Cliff zu.
Der Vormann der Hackbeil-Ranch erwidert den Blick mit einem bösen Trotz. Meece Cliff ist nicht groß, aber ungeheuer breit und klotzig. An Meece Cliff ist alles kantig, massig und breit.
Eine braune Haarsträhne hängt ihm in die Stirn. Seine Unterlippe ist ständig vorgeschoben.
Plötzlich sagt er heftig: »Was willst du, Clay? Du kannst von mir alles bekommen, was du nur haben willst, verstehst du? Ich habe dir das schon mehrmals angeboten. Ich kann dich nicht leiden. Ich mag deine Art nicht. Zum Teufel, starr mich nicht so an!«
»Nur ruhig, Meece!«, murmelt Thor Palance sanft und sieht Clay gerade und scharf an.
»Mach dir nur keine Sorgen, Clay«, sagt er. »Meece möchte gern herausfinden, wie gut und hart du in Wirklichkeit bist. Aber ich möchte meinen Vormann nicht verlieren. Deshalb halte ich ihn dir vom Leib.«
Er lächelt.
Clay Cloudman erwidert dieses Lächeln, und jetzt kann man auch in seinen Augen jene hellen Lichter erkennen, die einen kalten Zorn verraten, der tief im Innern Clay Cloudmans ist.
Er sagt ruhig: »Thor, dein Riesenaffe hat einen Siedler totgeprügelt. Dann hat er behauptet, es wäre ein fairer Kampf gewesen. Und eine feige Jury hat sich dieser Behauptung angeschlossen und die ganze Sache für einen bedauerlichen Unglücksfall erklärt.«
»So ist es«, nickt Thor Palance, aber die dunklen Linien in seinem Gesicht verhärten sich. Im Hintergrund seiner Augen glimmt ein gefährliches Licht.
Clay nickt. »Beim nächsten Mal wird die Jury keine Angst haben«, sagt er sanft. »Beim nächsten Mal kaufe ich mich in dieses Spiel mit ein, Mister.«
»Große Worte, Clay! Ich kann gar nicht glauben, dass du für diese kleinen Drei-Kühe-Rancher, Schollenbrecher und Rübenzüchter deinen Skalp riskieren möchtest.«
»Ich habe dich gewarnt«, sagt Clay und geht ins Restaurant hinein. Er dreht den Männern achtlos den Rücken zu.
Meece Cliff macht eine Bewegung, aber Thor Palance hält ihn zurück. Er murmelt: »Ich möchte dich wirklich nicht verlieren, Meece! Du musst dir hinter die Ohren schreiben, dass es außer mir in diesem Land keinen einzigen Mann gibt, der Clay Cloudman gewachsen wäre. Reiten wir.«
Er geht zu seinem Pferd und sitzt auf. Meece Cliff gehorcht.
Und dann reitet Thor Palance mit seiner harten Mannschaft als Sieger aus der Stadt.
Frank Zinnek, der Advokat, sieht ihnen nach.
Er geht schnell davon. Er verschwindet in einer Seitengasse. Und irgendwie ähnelt er einer Ratte.
Im Restaurant sitzen noch zwei Männer am Tisch.
Hinter diesem Tisch hängt die Flagge von Wyoming – ein weißer Büffel im blauen Feld, rot umrandet. Man schreibt das Jahr 1876, und Wyoming ist noch nicht in die Union eingetreten. Das wird erst in zwölf Jahren geschehen.
Die beiden Männer am Tisch sind Richter Ford Walker, der im Hauptberuf der Schmied dieser Stadt ist. Und der zweite Mann ist Sheriff Jim Harding, dessen Amtszeit in zwei Wochen abläuft.
Clay bleibt vor diesen Männern stehen und sagt: »So sehen also zwei Narren aus!«
»Das wissen wir selbst«, knurrt der Schmied und schlägt mit der Faust auf das Gesetzbuch, das vor ihm auf dem Tisch liegt. »Wenn ein Angeklagter sich für unschuldig erklärt, dann muss eine Jury den Spruch fällen, nicht wahr? Und diese Jury fürchtet sich vor Thor Palance. Du aber hast gar nichts getan. Du hast dich aus der Sache herausgehalten, den Neutralen gespielt und kommst jetzt daher und nennst uns zwei Narren. Zum Teufel, für alle Leute sah es so aus, als würdest du Thor Palance nicht in den Weg treten, wenn er noch rauer …«
»Nein, es war eine Sache der Jury. Sie …«
»Es war keine Jury, es waren Feiglinge, die soeben dort durch den Hinterausgang verschwanden, weil sie sich schämten.«
Sheriff Jim Harding spricht die Worte. Er erhebt sich und geht zu einem der Fenster. Er hinkt leicht. Vor knapp vier Jahren war er noch Cowboy und Zureiter.
Er wendet sich um.
»Meine Amtszeit ist bald beendet. Ich werde nicht mehr kandidieren. Für eine Stadt und ein Land voller Feiglinge trage ich keinen Stern. Clay, bekomme ich auf deiner Ranch Arbeit?«
»Sicher, Freund«, sagt dieser ruhig und sieht den Schmied an.
»Was ist mit dir, Ford?«
»Es hat keinen Zweck«, sagt dieser bitter. »Ich kandidiere ebenfalls nicht mehr. Es hätte auch wenig Zweck. Thor Palance wird schon dafür sorgen, dass seine Kandidaten in die Ämter gelangen. Und du, Clay, hast, wie es mir fast scheint, Angst vor ihm. Du bist die größte Enttäuschung für uns alle.«
Clay atmet langsam aus. Er wendet sich ab und geht zur Tür. Dort hält er nochmals an und blickt über die Schulter.
»Ich wollte nur herausfinden, wie groß Recht und Gesetz in unserem Land noch sind«, sagt er. »Jetzt weiß ich es. Es kann die Kleinen und Schwachen nicht mehr beschützen. Nun gut, ich werde Thor Palance in Zukunft aufhalten.«
»Du willst für die Feigen kämpfen?«, fragen Walker und Harding zweistimmig wie eingeübt.
»Nicht für die Feigen, nur für mich selbst! Denn ich bin es, den Thor Palance sich schnappen will. Ich bin der Baum, den er fällen will. Die anderen Burschen, nun, die sind nichts anderes als das Gestrüpp und das Unterholz, das er erst beseitigen muss, um richtig an den Baum herankommen zu können.«
Nach diesen Worten geht Clay hinaus. Er wandert den Plankensteig entlang, tritt an sein Pferd, sitzt auf und reitet langsam aus der Stadt.
Hundert Augenpaare verfolgen ihn.
Die beiden Männer im Restaurant aber sprechen lange nicht.
Dann sagt Jim Harding: »Ford, wir sollten wohl doch kandidieren. Wir sollten wenigstens den Versuch machen, ihm zu helfen. Du hast es gehört, wie Clay die Sache ansieht. Er wollte herausfinden, ob wir noch ein Gesetz im Land haben. Und nun hat er herausgefunden, dass Thor Palance immer wieder eine Jury beeinflussen kann.«
»Clay ist ein rechtschaffener Mann. Und wir werden ihm helfen. Wir werden wieder kandidieren, Ford, nicht wahr?«
Der schüttelt den Kopf.
»Ich habe eine Frau und fünf Kinder«, murmelt er. »Ich bin nicht so stark wie Clay. Und bevor ich aus Feigheit eines Tages meine Amtspflichten verletze, will ich das Amt lieber abgeben. Ich bin nicht so stark wie Clay. Niemand von uns ist so stark.«
Er erhebt sich, nimmt das Gesetzbuch vom Tisch und die Flagge von der Wand.
Und dann verlässt auch er den Raum durch die Hintertür.
Jim Harding aber geht vorn hinaus. Er geht langsam zu seinem Office und betritt dann den Zellenraum. Hier sitzen zwei Satteltramps, die im Mietstall für ihre Pferde Futter stahlen.
Jim Harding öffnet die Zellen und sagt: »Ihr seid frei. Ich kann euch nicht eingesperrt halten, wenn die schlimmsten Halunken von einer Jury freigesprochen werden. Verschwindet binnen zehn Minuten aus der Stadt. Habt ihr mich verstanden?«
Die beiden Satteltramps erheben sich langsam von den Schlafpritschen. Es sind zwei scharfäugige und falkengesichtige Burschen, ziemlich abgerissen und hager vom ruhelosen Reiten.
Sie folgen dem noch sehr jungen Sheriff ins Office. Dort bekommen sie ihre Waffen.
»Es freut uns, dass man uns laufen lässt, weil man die großen Schufte nicht einsperren kann«, sagt der eine Reiter.
»Verschwindet«, brummt Jim Harding und wirft ihnen je ein Dollarstück zu.
»Damit könnt ihr das Futter für eure Pferde bezahlen.«
»Sie sind sehr nobel, Sheriff«, sagt der andere Satteltramp.
Dann gehen sie.
Jim Harding tritt hinter ihnen aus der Tür und blickt ihnen nach. Sie verschwinden im Mietstall. Wenig später kommen sie auf zwei mageren und hässlichen Tieren herausgeritten und verlassen die kleine Stadt.
Der Sheriff blickt die Straße hinauf und hinunter. Es ist, als schämten sich alle Bürger.
Und die vielen Besucher, die nach Royal kamen, jene Drei-Kühe-Rancher, Siedler, Farmer und all die Reiter, von denen niemand weiß, woher sie kommen, wohin sie reiten und von welchen Einkünften sie leben, sind verschwunden.
Aber sie alle haben sehen und erkennen können, wie groß Thor Palances Macht ist. Denn sein Vormann Meece Cliff, der einen Mann totgeprügelt hat, ist von einer feigen Jury freigesprochen worden.
Und Clay Cloudman hat nichts dagegen unternommen.
Die Leute sind enttäuscht von Clay Cloudman, den sie für den zweiten Starken in diesem Land gehalten haben, dessen Schatten nicht kleiner ist als der von Thor Palance.
Aber Clay Cloudman hat nichts getan. So denken die Leute.
☆☆☆
Clay reitet langsam. Es wird Nacht. Er spürt die starken Düfte des Landes, und er wittert den Geruch der noch sonnenwarmen Erde und den Duft der harzigen Kiefern.
Clay nimmt sich Zeit.
Als er dann bei Marthe Millers kleiner Ranch ist, wird in dem niedrigen Holzhaus eine Lampe angezündet. Clay hält an und späht hinüber. Er sieht, wie sich die Tür öffnet. Das Mädchen tritt heraus, und im herausfallenden Licht ist sie gut zu erkennen. Sie geht zu einem leichten Zweispanner, der dicht bei dem Haus steht.
Clay lenkt sein Tier vom Weg und reitet auf das Haus zu. Beim Klang der Hufschläge wird das Mädchen beim Wagen bewegungslos. Aber dann greift es in den Wagen hinein.
Ein Gewehrlauf blinkt matt im Lichtschein, der aus der offenen Tür fällt.
»Ich bin es, Marthe!«, ruft Clay halblaut und reitet langsam heran. Er sitzt ab und murmelt sanft: »Kann ich dir helfen?«
Sie sieht zu ihm auf. Sie ist ein großes Mädchen, blond, hübsch, ernst und schon fast fraulich. Sie ist stolz und tapfer. Vor drei Jahren lebte sie mit ihrem Bruder noch in Deutschland. Dann kamen sie nach einer Reise, die viele Monate dauerte, in dieses Land und bauten hier die kleine Ranch auf. Sie waren beide sehr arbeitsam. Fritz Miller verstand etwas von der Viehzucht, und er wollte hier eine besondere Rinderrasse züchten.
Aber jetzt ist Fritz Miller tot.
Er war jener Mann, der von Meece Cliffs Fäusten zusammengeschlagen wurde und dann starb.
Das Mädchen aus Deutschland betrachtet Clay ruhig und fest.
Dann nickt sie und sagt: »Ich habe einen Zweizentnersack im Wagen. Den könntest du mir in den Stall bringen.«
Clay nimmt den schweren Sack aus dem Wagen und trägt ihn zum Stall hinüber. Er kippt den Inhalt in die große Futterkiste, und er fühlt im Dunkel, dass es sich um Hühnerfutter handelt.
Langsam geht er dann zum Haus hinüber. Er tritt in die Küche. Das Mädchen kniet vor dem Herd und macht ein Feuer an.
»In zehn Minuten kannst du ein Abendbrot bekommen – wenn du möchtest«, sagt sie über die Schulter.
Er nickt, lehnt sich neben der Tür an die Wand, kreuzt die Beine und dreht sich eine Zigarette. Er beobachtet das Mädchen, und er findet alles an ihr sehr erfreulich.
»Marthe«, sagt er, »du warst nicht in der Gerichtsverhandlung?«
»Was sollte ich dort?«, fragt sie zurück, richtet sich auf und wendet sich ihm zu. Die Flammen prasseln jetzt im Herd.
Clay blickt in die großen, ruhigen Augen des Mädchens. Sie sind tiefblau. Das Gesicht ist wie aus Milch und Blut, sauber, frisch und klar. Ihre Lippen sind voll und haben jenen Schwung, den ein Mann gerne sieht.
»Was sollte ich dort?«, fragt sie nochmals, und nun wirkt ihr Mund herb und fast verächtlich. »Ich kann meinen Bruder nicht mehr lebendig machen, nicht wahr? Fritz ist tot. Und ich bin kein Mann, der für seinen Bruder Genugtuung fordern kann.«
Clay wendet sich um und blickt in die Nacht hinaus. Draußen reiten zwei Reiter vorbei, langsam und ruhig. Es sind die beiden Satteltramps, die der Sheriff aus Empörung darüber, dass ein Totschläger freigesprochen wurde, laufen ließ.
Die beiden Reiter wirken irgendwie ziellos und wie verloren. Der Mond ist aufgegangen. Clay kann die beiden Satteltramps gut erkennen. Einmal sieht es so aus, als wollten sie zur kleinen Ranch herüberkommen. Aber sie reiten dann doch langsam vorbei.
Clay denkt daran, wie allein und ohne Freunde dieses Mädchen ist. In der ersten Zeit konnten sie und ihr Bruder sich nur mühsam mit den Leuten im Land verständigen. Sie lernten sehr schwer die Landessprache. Auch jetzt noch wirken die Worte des Mädchens unbeholfen.
Clay ist eigentlich der einzige Mensch im Land, der mit den beiden Geschwistern nach und nach einen fast freundschaftlichen Kontakt aufnahm. Und irgendwie verspürt er ein Schuldgefühl, dass dieses Mädchen nun allein ist.
Er wendet sich plötzlich um. »Marthe«, sagt er etwas rau, »dein Bruder und ich, wir waren schon fast Freunde.«
»Fritz hatte dich gern, und er achtete dich«, sagt sie ruhig.
Clay nickt und schluckt.
»Deshalb hätte Fritz zu mir kommen müssen und nichts allein und auf eigene Faust unternehmen dürfen. Marthe, versprich mir, dass du zu mir kommst, sobald du irgendwie …«