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Es ist gegen Mitternacht in der nobelsten Spielhalle von Saint Louis, als er sie zum ersten Mal in Wirklichkeit und nicht nur in seinen Träumen zu sehen bekommt.
Und so hält er erst einmal staunend inne, denn er kann es noch gar nicht glauben.
Doch es ist so. Da sitzt die Frau, von der er in einsamen Nächten träumte. Und einsame Nächte gab es viele auf seinen Wegen.
Er tritt etwas näher an den Pokertisch heran und gesellt sich so zum Kreis der Zuschauer, die voller Spannung das Spiel verfolgen, jedoch respektvollen Abstand halten.
Denn dies ist ein wirklich nobler Spielsaloon. Hier spielen Ladys und Gentlemen, aber auch jene Sorte, die sich gut getarnt hat auf der Jagd nach Beute.
Denn so ist die Welt nun mal, und die Menschen sind oft die gierigsten und gnadenlosesten Raubtiere auf dieser Erde ...
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Black Lady
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0115-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Black Lady
Es ist gegen Mitternacht in der nobelsten Spielhalle von Saint Louis, als er sie zum ersten Mal in Wirklichkeit und nicht nur in seinen Träumen zu sehen bekommt.
Und so hält er erst einmal staunend inne, denn er kann es noch gar nicht glauben.
Doch es ist so. Da sitzt die Frau, von der er in einsamen Nächten träumte. Und einsame Nächte gab es viele auf seinen Wegen.
Er tritt etwas näher an den Pokertisch heran und gesellt sich so zum Kreis der Zuschauer, die voller Spannung das Spiel verfolgen, jedoch respektvollen Abstand halten.
Denn dies ist ein wirklich nobler Spielsaloon. Hier spielen Ladys und Gentlemen, aber auch jene Sorte, die sich gut getarnt hat auf der Jagd nach Beute.
Denn so ist die Welt nun mal, und die Menschen sind oft die gierigsten und gnadenlosesten Raubtiere auf dieser Erde …
Oven Quaid – das ist sein Name – achtet vorerst nicht besonders auf das Spiel, obwohl es da offensichtlich um eine ganze Menge geht, sozusagen um alles oder nichts.
Er muss die Frau betrachten. Denn für ihn ist sie wunderschön, schwarzhaarig und grünäugig, ganz und gar wie eine Lady wirkend, eine Frau, die das Leben kennt und sich in einer Männerwelt stets zu behaupten wusste.
Denn auch jetzt versucht sie sich gegen vier hartgesottene Pokerspieler zu behaupten, und Poker ist kein Halmaspiel, Poker ist Krieg.
Offenbar spürte sie seinen Blick, denn sie hebt den ihren und sieht geradewegs in seine rauchgrauen Augen.
Es sind die Augen eines Mannes, der ein richtiger Mann ist und von dem der Strom einer selbstbewussten Männlichkeit ausgeht, die aber nicht herausfordernd, sondern eher zurückhaltend wirkt.
Ihre Blicke tauchen etwa drei Sekunden ineinander, verschmelzen gewissermaßen, und es ist, als hielten sie eine Art Zwiesprache miteinander und als würden sie sich schon lange kennen.
Doch das ist nicht so. Er kennt sie nur aus seinen Träumen.
Dann aber klingt die etwas ärgerliche Stimme eines der Spieler: »Lady, wollen Sie im Spiel bleiben?«
Sie nimmt nun den Blick von Oven Quaid und betrachtet noch einmal ihre Karten. Oven Quaid kann erkennen, wie sehr sie zu jenem Spieler hinüber wittert. Ja, es ist das Wittern einer Raubkatze, der man die Beute streitig machen will.
Die drei anderen Spieler haben schon gepasst, sind ausgestiegen aus dieser Runde.
Die Schöne nimmt nun all ihr Geld, zählt die Hundert-Dollar-Scheine und spricht: »Ich halte Ihren Einsatz und erhöhe um fünfhundert Dollar.«
Im Kreis der Zuschauer stöhnen einige Stimmen. Einer flüstert heiser: »Heiliger Vater im Himmel …«
Dann bricht das Flüstern ab.
Der Spieler aber – es ist ein bulliger Typ, der bei seinem Anblick an einen Löwen denken lässt – grinst unter seinem Schnurrbart. Er wirkt sehr gepflegt, ist teuer gekleidet mit einer Brokatweste über dem gefältelten Hemd und unter dem Prince-Albert-Rock. Aber seine Augen wirken flintsteinhart.
Soeben sah es so aus, als hätte er all sein Geld gesetzt. Denn vor ihm liegen keine Dollarscheine mehr auf dem Tisch. Und so könnte man annehmen, dass die Lady ihn aus dem Spiel geblufft hat, denn es wird ohne Limit gespielt.
Doch nun greift er in die Innentasche seines Rockes und holt ein Bündel Scheine hervor. »Hier sind noch mal tausend Dollar, Lady. Können Sie noch im Spiel bleiben?«
Es ist nun still, so als hielten sie alle den Atem an.
Denn jeder will die Antwort der Lady hören.
Und sie alle hören ihre Stimme ruhig sagen: »Es sieht so aus, als hätten Sie mich aus den Spiel geboten, Mister Lewis.«
»Das haben Sie mit mir auch machen wollen, Lady. Aber ich hatte noch eine Reserve.«
Sie nickt und will sich erheben.
Doch da sagt Oven Quaids Stimme in die Stille: »Lady, Sie haben bei mir einen zinslosen Kredit. Bleiben Sie im Spiel – bitte.«
Wieder begegnen sich ihre Blicke, verschmelzen ineinander, und in jeden von ihnen dringt etwas vom Gegenüber tief hinein. Ja, abermals ist es wie eine Zwiesprache ohne Worte.
Sie nickt ihm zu: »Ich nehme Ihr Angebot an, Mister.«
Und so tritt er vor, holt dabei Geld aus der Jackentasche und wirft es auf den Tisch.
Jener Lewis aber starrt ihn aus schmalen Augen an, hält seine Gefühle jedoch tief in sich verborgen. Dennoch wissen alle, dass dieser Mann jetzt vor Hass innerlich verbrennt.
Oven Quaid ist sich bewusst, dass er sich einen Todfeind gemacht hat, und alles nur wegen dieser schönen Frau, die er vor wenigen Minuten zum ersten Mal in seinem Leben gesehen hat. Doch das nimmt er hin. Er hat sich auf seinen Wegen schon mehr als einen Feind geschaffen und ist bis jetzt mit jedem fertig geworden.
Jener Lewis erhebt sich mit einem Ruck und geht. Nun erst sieht man, wie sehr er bei aller Schwergewichtigkeit dennoch wendig und geschmeidig ist. Er geht einfach davon.
Der Zuschauerkreis öffnet sich rasch.
Auch die drei anderen Mitspieler erheben sich, um zu gehen. Einer spricht höflich: »Lady, es war nicht fair von ihm, noch Geld in der Tasche zu haben.«
Sie nickt nur dankend und bleibt sitzen, wartet offensichtlich, dass sich Oven Quaid zu ihr setzt. Und das tut er auch.
Sie sind nun allein am Tisch. Der Zuschauerkreis löst sich auf.
Quaid beugt sich vor und deckt die Karten des Verlierers auf.
Es sind vier Buben.
Er blickt die Schöne fragend an, aber sie schenkt ihm nur ein Lächeln, deckt ihr eigenes Blatt nicht auf.
Also fragt er: »Haben Sie nur geblufft, Lady?«
»Was glauben Sie, mein Freund?«
Ihre Stimme klingt kühl.
Dann schiebt sie ihm das Geld hinüber, das er auf den Tisch warf.
»Und warum haben Sie das für mich getan, Mister?«
»Mein Name ist Oven Quaid.«
»Warum also?«
»Weil ich schon sehr lange wusste, dass es Sie gab. In vielen Träumen sah ich Sie vor mir. Und als ich Sie nun in Wirklichkeit sah, da wurde mir klar, dass dies von einem Schicksal so gewollt ist. Oder sind Sie anderer Meinung?«
Ihre Augen schließen sich einen Moment, so als könnte sie auf diese Weise tief in sich hineinlauschen. Dann aber sieht sie sie ihn mit ihren grünen Augen fest an.
»Ja, es könnte so sein«, murmelt sie. »Wir müssten es ausprobieren.«
Sie holt vom Boden ihre große Handtasche, die dort neben ihrem Fuß stand und beginnt das viele Geld vom Tisch hineinzuwischen.
Es ist eine Menge Geld, vielleicht mehr als zehntausend Dollar, das Geld von fünf Spielern, die hohe Einsätze wagten.
Als sie fertig ist, nickt sie ihm zu und deutet dann auf ihr Kartenblatt, das immer noch nicht aufgedeckt ist.
»Sie wollen doch wissen, Oven, ob ich eine Blufferin bin. Also sehen Sie nach.«
Er dreht die fünf Karten um und sieht einen Straight Flush, also fünf aufeinander folgende Kartenwerte der gleichen Farbe.
Es ist der zweithöchste Kartenwert beim Poker. Nur ein Straight Flush bis zum Ass, den man Royal Flush nennt, ist höher.
»Mein Name ist Samantha Donovan«, spricht sie und erhebt sich. »Gehen wir, Oven, und probieren wir aus, ob uns das Schicksal zusammengeführt hat oder alles nur ein dummer Zufall war.«
Samantha und Oven treten hinaus in die Nacht.
Vom Fluss her kommen die typischen Gerüche. Die Schiffe an den Landebrücken sind alle mehr oder weniger erleuchtet. Hier unterhalb der Missouri-Mündung liegen all die großen Mississippi-Steamer, darunter einige Luxus-Steamer, die wie schwimmende Nobelhotels sind und auf denen Theatervorstellungen stattfinden, ebenso viele Zerstreuungen anderer Art. Aber im Frachthafen liegen die Frachtschiffe, und wenn man den Wind von dorther bekommt, dann kann man die stinkenden Büffelhäute riechen, die dort zu Zehntausenden auf den Abtransport warten.
Samantha hat sich wie selbstverständlich in Ovens Arm eingehakt. Als sie sich in Bewegung setzen, übernimmt sie die Führung. Sie bewegt sich leicht und geschmeidig, hält mit ihm Schritt. Für eine Frau ist sie mehr als mittelgroß, aber er überragt sie dennoch um einen Kopf.
Ja, sie sind ein allein schon äußerlich beachtliches Paar. Aber was sie sonst sind, müssen sie erst noch gegenseitig herausfinden.
Und wahrscheinlich verspüren sie jetzt beide die gleiche Neugierde auf das Ergebnis ihres gegenseitigen Erforschens.
Es ist jetzt etwa zwei Stunden nach Mitternacht. Samantha führt ihn eine stille Straße entlang, die ein wenig ansteigt. Er spürt ihren Körper dicht an seinem. Es ist eine laue Sommernacht. Samantha trägt nur ein hauchdünnes Kleid.
Rechts und links der noblen Straße stehen Villen und kleine Hotelpensionen der gehobenen Klasse. Wahrscheinlich hat sich Samantha in solch einem Haus eingemietet.
Aus dem Mondschatten eines alten Baumes tritt plötzlich ein Mann heraus und versperrt ihnen breitbeinig verhaltend den Weg.
Der Mann ist kein anderer als jener Lewis, der vorhin nach seiner Niederlage beim Poker wortlos davonging.
Jetzt aber spricht er mit kehlig grollender Härte: »Ich bin nun mal ein schlechter Verlierer. Das ist euer Pech. Also gebt mir zurück, was ihr mir abgenommen habt. Ich hatte diese grünäugige Katze schon aus dem Spiel geboten, als du dich einmischen musstest. Das war ein guter Trick. Aber jetzt gebt ihr mir alles zurück. Vorwärts! Wirf deine Tasche herüber, du grünäugige Hexe!«
Sein Zorn, den er bisher unter Kontrolle hielt, bricht nun hervor. Und unter seinem offenen Prince-Albert-Rock sieht man den Elfenbeinkolben seiner griffbereiten Waffe.
Samantha löst sich von Oven und tritt zwei Schritte zur Seite.
Oven aber spricht ruhig: »Ihr Name ist Lewis, nicht wahr? Nun, Mister Lewis, bevor ich dieser Lady mein Geld anbot, hatte ich sie noch niemals in meinem Leben gesehen. Wir waren kein eingespieltes Paar. Muss ich Ihnen einen Vortrag über Pokern halten? Sie hätten vorher aus dem Spiel aussteigen können.«
Als er verstummt, da schweigt Lewis einige Atemzüge lang, wippt nur leicht auf seinen Sohlen. Dann schüttelt er den Kopf wie ein Mann, der keine andere Möglichkeit mehr sieht. Als seine Hand nach der Waffe greift, deren heller Elfenbeinkolben so deutlich sichtbar ist, da zieht auch Oven.
Seine Waffe, die er links trägt, war bisher unter seiner offenen Jacke verborgen. Dass er die Waffe so schnell in der Hand hat, gleicht wahrhaftig einer Zauberei. Lewis kommt gar nicht mehr zum Schuss. Die Kugel zerschmettert ihm das Schultergelenk, stößt ihn halb um seine Längsachse. Und der Revolver entfällt ihm.
Und so verharrt er stöhnend und muss die für ihn so schreckliche Erkenntnis erst noch verarbeiten, dass er zum zweiten Mal verloren hat und nun auch noch böse angeschossen ist. Einige Sekunden verharrt er schwankend, und sie hören ihn knurren, als er den Schmerz zu spüren beginnt.
Schließlich stößt er heiser hervor: »Du hättest mich töten sollen, Mann. Denn …«
Er spricht nicht weiter, sondern wendet sich nach links, denn dort öffnet sich eine Gassenmündung. Dann jedoch hält er noch einmal inne. Über seine blutende Schulter hinweg stößt er hervor: »Ihr verdammten Linkshänder! Warum sind Linkshänder stets schneller?«
Aber er wartet nicht auf eine Antwort, sondern taumelt in die Gasse hinein.
Samantha und Oven sehen ihm schweigend nach.
Aus dem Fenster einer der Villen ruft eine Stimme: »He, wer schießt da herum?«
Aber sie geben dem Rufer keine Antwort. Samantha hängt sich wieder bei Oven ein. Sie setzen ihren Weg fort, und nach etwa hundert Schritten erreichen sie das kleine Hotel.
Samantha hat den Hausschlüssel. Ihr Zimmer liegt im ersten Stock.
Oben kommt sie in seine Arme.
Und sie sprechen kein Wort. Denn das müssen sie auch nicht.
☆☆☆
Es ist am nächsten Vormittag, als er erwacht. Im ersten Moment glaubt er, dass er alles nur geträumt hat, wie schon so oft, wenn er im Traum das Bild von einer Frau vor seinen Augen sah, der Samantha so sehr gleicht.
Doch er begreift schon nach wenigen Sekunden, dass er diesmal nicht träumte, sondern alles in Wirklichkeit erlebte.
Denn Samantha liegt in seinem Arm und schläft noch.
Das helle Tageslicht fällt durchs Fenster herein. Sie hatten die Gardinen und Vorhänge zurückgezogen, um die Kühle der Nacht ins Zimmer zu lassen. Denn es war ein heißer Tag, und auch ihnen ist es mächtig warm geworden während der Stunden, in denen sie sich beschenkten mit Zärtlichkeiten, sich liebten ohne Worte.
Nun betrachtet er sie von der Seite, bläst einmal eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.
Doch sie erwacht immer noch nicht. Aber auf ihrem Mund liegt ein Lächeln. Es ist ein Mund mit vollen, lebendigen Lippen.
Er kann sich nicht satt sehen an ihrem Gesicht, denn es ist das starke, eindringliche Gesicht einer Schönheit, die das Leben kennt, ein Gesicht, dem die Liebe nicht fremd ist – und auch die Enttäuschungen der Liebe nicht. Es ist das leidenschaftliche und wunderbare Gesicht einer Frau mit großen Augen und edlen Zügen.
Und so denkt er: Womit habe ich das verdient?
In diesem Moment öffnet sie ihre grünen Augen und lässt ihn tief hineinblicken.
Ihr Lächeln ist für ihn das schönste Morgengeschenk. Ihre Stimme fragt ruhig und ohne Scheu: »Habe ich dich glücklich gemacht?«
»Ich war im Paradies«, erwidert er.
»Das war ich auch, Oven. Aber das kann nicht alles sein. Wir haben herausgefunden, dass wir uns gegenseitig glücklich machen können. Wir wurden ein Paar, das gewiss nicht mehr voneinander lassen kann. Aber das kann wirklich nicht alles sein. Ich weiß nichts von dir – und du nichts von mir. Warum kamst du nach Saint Louis? Wer bist du? Nur ein schneller Revolvermann, ein Abenteurer, ein Spieler? Oder machst du irgendwelche Geschäfte?«
Sie macht eine kleine Pause und lacht dann ein wenig, so als erinnerte sie sich an etwas und wäre deshalb amüsiert.
Dann murmelt sie: »Als ich noch sehr jung war, ging ich mit einem Mann von daheim fort, der seine Frau und seine beiden Kinder verlassen hatte. Doch das fand ich erst später heraus. Denn damals war ich noch ein dummes Ding von siebzehn Jahren. Inzwischen …«
Sie bricht ab, aber er weiß auch so, was sie gesagt hätte, nämlich, dass sie jetzt erfahren sei.
Und so sagt er: »Ich habe gewiss keine Frau und Kinder verlassen. Ich kam nach Saint Louis, um ein Dampfboot zu kaufen, es mit Waren vollzuladen und damit hinauf nach Montana zu fahren. Dort suchen mehr als zehntausend Menschen nach Gold. Und die brauchen alles vom Hufnagel bis zum Klavier, einfach alles, was sie bezahlen können mit ihrem Gold. Samantha, ich bin ein Mann vom Fluss.«
Als er verstummt, da denkt sie eine Weile nach.
Dann aber kommt die von ihm erwartete Frage: »Und woher hast du das viele Geld? Denn was du vor hast, dazu benötigst du eine Menge Kapital – oder? Du kannst mit der Waffe umgehen wie ein Revolvermann. Bist du oder warst du einer? Hast du eine Bank ausgeraubt oder reich geerbt?« Sie fragt es zuletzt leise lachend.
Aber er spürt, dass es jetzt sehr auf seine Antwort ankommen wird, ob sie beisammen bleiben oder sich trennen werden. Sie ist kein leichtsinniges Huhn mehr. Denn längst hat sie Lehrgeld gezahlt.
Und so erwidert er: »Ich besaß schon mal ein prächtiges Dampfboot. Während des Krieges fuhr ich Konterbande für die Konföderationsarmee in Vicksburg. Ich holte die wichtigen Versorgungsgüter von den Seeschiffen, die im Golf von Mexiko auf Reede lagen. Vicksburg wurde mehr und mehr abgeschnitten, und die mehr als dreißigtausend Verteidiger begannen zu hungern. Es fehlte auch immer mehr an Munition. Und die Kanonenboote der Unionsarmee machten zunehmend stärker und erfolgreicher Jagd auf uns Blockadebrecher. Es wurde ständig gefährlicher, sich in den Mississippi zurückzuschleichen und bis Vicksburg hinaufzukämpfen.«
Er macht nach dieser Einleitung eine Pause. Samantha spürt sein Zögern. Gewiss fragt er sich nun tief in seinem Kern, ob er ihr ein Geheimnis anvertrauen kann. Denn sie kennen sich ja erst weniger als zwölf Stunden, fanden in dieser Nacht nur heraus, dass sie sich gegenseitig das Paradies bereiten können. Aber langt das?
Ja, sie spürt, dass er sich diese Frage stellt.
Und so will sie sich schon trotzig aus seinem Arm rollen und dabei sagen: »Du musst es mir nicht erzählen. Bleib nur weiter ein vorsichtiger Wolf.«
Doch da hört sie ihn wieder sprechen und mit einem Klang von grimmiger Erinnerung in der Stimme sagen: »Die Yankees schossen meine ›River Shark‹ in Stücke. Sie kamen mit einigen Kanonenbooten aus dem Yazoo River heraus, als ich mit meiner ›River Shark‹ den Flusshafen von Vicksburg zu erreichen versuchte. Die schossen mein Dampfboot buchstäblich in Stücke. Ich verlor einige meiner Männer. Mit den anderen konnte ich mich schwimmend an Land retten. Aber wir retteten nur unser nacktes Leben.«
Als er abermals verstummt und einige Atemzüge lang schweigt, da spürt sie, wie sehr ihn die Erinnerung belastet. Und so wartet sie geduldig.
Er murmelt dann: »Ich hatte alles verloren, meine ›River Shark‹, die wertvolle Ladung und mein ganzes in den vergangenen Jahren angesammeltes Vermögen. Die Yankees hatten mich hart und gnadenlos dafür bestraft, dass ich eine belagerte und fast völlig eingeschlossene Stadt, in der auch Säuglinge mit ihren Müttern lebten, mit lebensnotwendigen Waren versorgte. Natürlich machte ich mit der Konterbande Gewinn. Nein, ich war gewiss kein edler Patriot. Doch ich nahm die Niederlage nicht hin. Wir waren noch zwölf Mann, darunter mein Steuermann und der Bootsmann. Vicksburg stand dicht vor der endgültigen Kapitulation. Wir eroberten zwei Wochen nach dem Verlust der ›River Shark‹ ein kleines Kanonenboot der Unionsmarine. Und dieses Boot hatte zuvor einen Goldtransport geschnappt, der zum Golf von Mexiko unterwegs war, um von den Seeschiffen weiterhin Konterbande kaufen zu können. Das wurde von Baton Rouge aus organisiert. Von dort erhielt auch ich mein Geld. Aber dieser Goldtransport der Konföderierten – es waren Spenden von den Silber- und Goldfundgebieten in Texas, New Mexiko und Colorado, die von Patrioten gesammelt wurden – konnte Vicksburg nicht mehr helfen. Die Yankees hatten ihn geschnappt. Aber alles wurde unsere Beute, das Kanonenboot und das Gold, das die Yankees schon so sicher zu haben glaubten.«
Abermals macht Oven Quaid eine Pause.